Littérature trash = Cinéma trash? Mediale Inszenierungsformen des Pornographischen in Despentes’ "Baise-moi"


Seminararbeit, 2005

22 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Vergleich ausgewählter Szenen aus Buch und Film
2.1. Ausgangssituation und parallele Evolution der « existences échouées » zu gewaltverherrlichenden Täterinnen
2.1.1. Äußere Umstände und Ausgangspunkt im Fall von Manu
2.1.2. Begleitumstände und Ausgangssituation bei Nadine
2.2. Konstruktion eines lüsternen Mörderpaares
2.3. Auftakt der kollektiven Mordserie des « duo infernal »
2.4. Finale Kulmination der barbarischen Gewaltakte

3. Schlussbetrachtung

4. Bibliographie

1. Einleitung

Erst sieben Jahre nach der Publikation ihres ersten Skandalromans Baise-moi, verfilmte Virginie Despentes, die zuvor in Massagesalons und Peepshows arbeitete, zusammen mit Coralie Trinh Thi, einer ehemaligen Porno-Darstellerin, ihr Erstlingswerk. Schon kurz nach der für Aufregung sorgenden Publikation des Buches eröffnete sich der Autorin die Möglichkeit, die Filmrechte zu verkaufen, sie dachte aber beim Schreiben in keiner Weise an eine etwaige Verfilmung. Nachdem für Despentes schnell klar war, dass nur sie selbst die Regie dieses Films übernehmen konnte, dauert es noch mehrere Jahre, bis sie die passenden Schauspielerinnen für die Besetzung der beiden Hauptrollen[1] fand[2].

Im Juli 2000 war Baise-moi, eine Woche nach dem Kinostart, in Frankreich als pornografisch und gewaltverherrlichend eingestuft worden. André Bonnet – Richter, Mitglied einer rechtsextremen Partei und Vorsitzender des Elternverbandes „Promouvoir“ zum Schutz christlicher Werte – hatte beim französischen Staatsrat Anzeige erstattet und auch Recht bekommen. Seitdem darf Baise-moi nur noch in Pornokinos gezeigt werden, was faktisch einem Verbot gleichkommt, da es nach dem Siegeszug des Videorekorders kaum noch Pornokinos gibt[3].

In mancher Hinsicht führt Baise-moi gewissermaßen nur das weiter, was andere bereits begonnen hatten. Allerdings geht der Film mit dem spekulativen und schonungslosen Einsatz von pornographischen Bildern nach dem Dogma 95-Film Lars von Triers’ Idioten, Catherine Breillats Romance und, in geringerem Ausmaß, Patrice Chéreaus Intimacy bisher am weitesten.

Dennoch stellt sich die Frage, warum es gerade dieser Film schafft, die Gesellschaft so zu schocken und warum Baise-moi in den Filmkritiken fast einhellig zerrissen wird. Eine erste Antwort gibt der Filmanfang: Die dort dargestellte Vergewaltigungsszene ist an Brutalität und Grausamkeit sicherlich kaum zu überbieten und schlägt damit per se schon alles bisher Dagewesene und Gesehene. Aber warum schaffen es diese Bilder einer inszenierten Vergewaltigung vielleicht mehr als andere, den Ekel und den Drang des Zuschauers, wegschauen zu wollen hervorzurufen? Anders als bei Vergewaltigungen, die sonst in Filmen dargestellt werden, haben Despentes und Trinh Thi eine Methode angewandt, um den Realitätsfaktor der ganzen Handlung zu erhöhen. „Normale“ Vergewaltigungsszenen deuten die Tat meist nur an. Sieht man je einmal etwas mehr, so ist von vornherein klar, dass diese Szenen tatsächlich nur nachgespielt werden. Das heißt, dass es während des Drehs nicht zu veritablen Geschlechtsverkehr kommt. Dies erscheint einleuchtend, denn andernfalls müsste jeder Film mit diesen eindeutigen Szenen zum Pornofilm deklariert werden und das kann nicht die Intention des Gros der Produzenten sein. Despentes aber bricht in ihrem Film mit geltenden Konventionen. Um diesen so real und hautnah wie nur irgend möglich wirken zu lassen, verwendet sie echte Porno-Darsteller und „echte“ Sex-Szenen zugunsten einer realistischeren und authentischeren Verfilmung. In einem Interview erklärt Despentes auch den Grund dafür:

Die Sex-Szenen müssen echt sein, damit sie ein Teil des Ganzen sein können. Den Frauen endlich ihren ganzen Körper zugestehen, da ihnen das normalerweise nie erlaubt wird. Den Frauen endlich das Recht auf ihre eigene Sexualität zugestehen und es aus dem begrenzten Blickfeld der Männer reißen.[4]

Baise-moi vermag zwar nicht, „den Frauen endlich das Recht auf ihre eigene Sexualität zuzugestehen und es aus dem begrenzten Blickfeld der Männer zu reißen“, wie Virginie Despentes dies gerne hätte, trotzdem gelingt es ihr aber eine Art « nouvelle pornographie écrite par une femme, pour les femmes et du point de vue de la femme »[5] zu erschaffen.

Die oben erwähnten „neuen“ Methoden, die Despentes und Trinh Thi aufgegriffen haben, schließen ebenfalls die Art der Kameraeinstellung ein: Durch die Einstellung auf Detail und den gros plan wird der Zuschauer förmlich gezwungen, sich schonungslos alles anzusehen, was sich vor seinem Auge abspielt. Es gibt keine Einstellung, in der sich der Zuschauer dem, was da vor sich geht, entziehen könnte. Er ist gezwungen, über mehrere Minuten diese Demütigung in allen ihren menschenverachtenden Facetten zu beobachten, es sei denn, er würde gänzlich wegschauen. Ganz wegzuschauen ist jedoch wiederum fast unmöglich, da man von den Bildern dermaßen schockiert wird, dass man hofft, im nächsten Moment komme endlich die Erlösung. Dem ist jedoch nicht so, vielmehr bekommt man während des Betrachtens den Eindruck, die Position eines Voyeurs einzunehmen, was in doppelter Hinsicht unmoralisch erscheint – das Gewissen und die Moral urteilen eindeutig, dass man sich diese Szenen eigentlich nicht einmal anschauen dürfte. Eine Vergewaltigung so zu sehen, wie sie von Despentes dargestellt wird, « vaccine durablement contre la salacité et le voyeurisme »[6].

Vor allem Männer dürften von dem Rollentausch innerhalb des Films geschockt sein. Das traditionelle Schema wurde von Despentes kurzum auf den Kopf gestellt. Zum einen dringt sie mit dem Krimi und dem Porno in zwei traditionelle Männer-Domänen ein. Zum anderen sind bei ihr die Frauen die Subjekte. Noch diskriminierender und demütigender: Die Männer sind sogar nur einfache Objekte, zur weiblichen Lustbefriedigung – und zwar ohne Skrupel seitens der Frauen. Und all’ dies übt die Frau aus, das zarte, gefühlvolle Geschlecht, das nur ach so gerne in devoten Positionen gezeigt wird. In Baise-moi sind Manu und Nadine als Frauen fast noch männlicher und damit kälter und roher als „richtige“ Männer dargestellt: Sie kennen keine Grenzen – egal in welcher Hinsicht, und eine Moral kommt nur sehr selten zum Vorschein. Hier sind es die Frauen, die das Zepter in der Hand halten und die völlig uneingeschränkt ihre Macht ausüben können. Das ist sicherlich neu für die Männer-Welt und dürfte einem Großteil von ihr auch nicht gefallen.

Im Bereich von Literatur-Verfilmungen ist es gängige Praxis, dass vom Originaltext etwas abgehoben wird, um den Film auf eine Kernaussage zu reduzieren. So ging man auch bei der Baise-moi -Verfilmung von der eigentlichen Textgrundlage weg und schrieb das Drehbuch filmgerecht um. Virginie Despentes äußert sich zu den Unterschieden von Film und Buch in einem Interview wie folgt:

[…] im Film gibt es weniger Tote, denn die zu inszenieren kostet immer sehr viel Geld. Daher wurden die Morde im Film sehr sorgfältig ausgewählt. [lacht] Außerdem fehlen einige weniger wichtige Charaktere. Wir beide [= Despentes und Trinh Thi] haben das Script [sic!] in kaum mehr als einer Woche geschrieben.[7]

Nachfolgend sollen nun die wesentlichen Unterschiede von Buch und Film herausgearbeitet werden, indem die entsprechenden Szenen einander gegenübergestellt werden[8].

2. Vergleich ausgewählter Szenen aus Buch und Film

Die Umsetzung der Szenen in Film und Buch unterscheiden sich zeitweise sehr stark. Verschiedene Thematiken des Buchs werden im Film nicht behandelt. Dies kann so interpretiert werden, dass die Szenen, die keine filmerische Umsetzung erfuhren, von den Regisseurinnen als nicht zentral und damit als vernachlässigbar angesehen wurden. So unter anderem die Geschichte um das Mädchen, das die beiden Protagonistinnen bei sich zu Hause aufnimmt. Dieses Mädchen ist im Film hellhäutig und blond, im Buch wird sie jedoch als Araberin vorgestellt. Sie heißt Fatima, wohingegen sie im Film Alice genannt wird.

Außerdem gibt es im Buch z.B. eine Prämisse, die Nadine einmal auf den Punkt bringt: « J’ai bien compris qu’on tirait pas sur le Rebeus »[9]. Diese Prämisse kommt im Film nicht vor. Sehr schnell versteht man das Understatement dieser Aussage und muss sich fragen, warum diese Thematik im Film keine Rolle spielt. Möglicherweise wären die angedeuteten familiären Probleme und Umstände im Buch für die Filmfassung zu komplex gewesen. Als Zuschauer bekommt man in jedem Fall schnell den Eindruck, dass der Film im Allgemeinen versucht, sich auf Wesentliches zu konzentrieren. Tunlichst werden alle interessanten inneren Konfliktsituationen vermieden. So stellt z.B. folgende Schilderung Fatimas einen weiteren Tabubruch im Buch dar:

C’était pas un violent, mon père. […] Ils l’ont massacré d’entrée du jeu, même pas eu le temps de visiter sa cellule. – Il est tombé pour quoi ? […] – Pour inceste. Ça s’est su parce que je suis tombée enceinte. […] J’avais treize ans quand ils l’ont arrêté. […] Ils m’ont récurée le jour où mon père est mort. Moi et mon père, on était tout le temps ensemble, ça c’est le fait tout seul, tout doucement. Je crois que c’est moi qui suis venu sur lui. Je sais que j’en avais vraiment envie, je me souviens que ça m’a manqué longtemps.[10]

Nachdem sie diese Geschichte erzählt, erfährt man im Buch auch etwas über den familiären Hintergrund von Manu. Dabei gibt sie z.B. preis, dass ihr Vater sie früher immer Emanuelle nannte, obwohl sie Manuelle heißt, und ihre Mutter dumm wie ein Schaf sei. Dieser Dialog stellt de facto eine Situation her, in der man sehr gut auf das Gefühlsleben der Protagonistin hätte eingehen können, in der man hätte versuchen können, den inneren wie äußeren Weg bis zu diesem Punkt im Leben darzustellen, um die Charaktere besser verstehen zu können. Das Buch, besonders aber der Film, scheitern in dieser Beziehung an einer zu oberflächlichen Betrachtungsweise.

[...]


[1] Die Rollen der Nadine und der Manu.

[2] Vgl. Suchsland, Rüdiger (TELEPOLIS): Interview mit Virginie Despentes, Artikel vom 17.11.2000, URL: http://www.k85.squat.net/November/Lust.html, besucht am 01.05.05.

[3] Es existieren nur noch sehr wenige dieser Etablissements in Großstadtbereichen.

[4] Katalog der Feminale, 10. Internationales Frauen Film Festival in Köln, 2000, p. 118 f, URL: http://www.k85.squat.net/November/Lust.html, besucht am 28.04.05.

[5] Jordan, Shirley: « Dans le mauvais goût pour le mauvais goût ? Pornographie, violence et sexualité féminine dans la fiction de Virginie Despentes », in : Nouvelles écrivaines : nouvelles voix ? New York : Rodopi 2002, p. 125.

[6] Sotinel, Thomas : « Un film infirme et fier de l’être ». In: Le Monde, 28 juin 2000, URL : http://www.lemonde.fr/cgibin/ACHATS/acheter.cgi?offre=ARCHIVES&type_item=ART_ARCH_30J&objet_id=186890, besucht am 02.05.05.

[7] Suchsland, op. cit.

[8] Entsprechenden Textstellen werden vom Buch zitiert.

[9] Despentes, Virginie: Baise-moi. Paris : Editions J’ai lu, 2002, p. 168.

[10] Ibid., p. 180 ff.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Littérature trash = Cinéma trash? Mediale Inszenierungsformen des Pornographischen in Despentes’ "Baise-moi"
Hochschule
Universität Stuttgart  (Romanische Literaturen I)
Veranstaltung
Ecritures féminines
Note
1,5
Autor
Jahr
2005
Seiten
22
Katalognummer
V77600
ISBN (eBook)
9783638830812
Dateigröße
536 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Littérature, Cinéma, Mediale, Inszenierungsformen, Pornographischen, Despentes’, Baise-moi, Ecritures
Arbeit zitieren
Larissa Neuefeind (Autor:in), 2005, Littérature trash = Cinéma trash? Mediale Inszenierungsformen des Pornographischen in Despentes’ "Baise-moi", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77600

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