Das Verhältnis von Dichtung und Wahrheit in Schillers Trauerspiel Maria Stuart: Ein Vergleich der Figuren Maria und Elisabeth mit dem historischen Hintergrund


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

21 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Gestalt Maria Stuart zur Zeit Schillers
2.1 Literarische Quellen
2.2 Historische Quellen

3. Das Verhaltnis von Trauerspiel und Historie
3.1 Der historische Hintergrund
3.2 Dichtung und Wahrheit
3.3 Das Geschichtsbild Schillers
3.4 Fazit

4. Die Figuren Maria und Elisabeth im Trauerspiel
4.1 Der Dramenaufbau
4.2 Rivalinnen in der Politik
4.3 Rivalinnen in der Liebe
4.4 Das Frauenbild im 18. Jahrhundert

5. Was konnen Dramen mit historischem Hintergrund leisten?

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mit seinem Trauerspiel „Maria Stuart“ griff Schiller ein Thema der englischen Geschichte auf. Im 16. Jahrhundert gab es zwischen der Schottenkonigin Maria Stuart und der englischen Herrscherin Elisabeth einen Konflikt um den englischen Thron, der schlieBlich in der Hinrichtung Marias gipfelte.

Als angehende Historikerin interessiert es mich besonders, wie weit Schiller sich vom historischen Hintergrund gelost hat. Sah er sich mehr als gewissenhafter Wissenschaftler oder war er in erster Linie Dichter, der einzelne Personen und Ereignisse aus der Geschichte ubernahm und in seinen eigenen Kontext hineinsetzte?

Um dies beurteilen zu konnen, muB zunachst geklart werden, auf welche historischen und literarischen Quellen Schiller zuruckgegriffen hat und in welchem AusmaBe ihm der historische Hintergrund bekannt gewesen ist. Erst dadurch wird offenbar, wo er absichtlich von der Wahrheit abweicht und mehr Dichter als Historiker ist. In dem Verhaltnis von Tragodie und Historie wird deutlich, welche Funktion Schiller der Geschichte in seinem Trauerspiel „Maria Stuart“ eingeraumt hat.

Im weiteren untersuche ich anhand der beiden Hauptpersonen des Trauerspiels, Maria und Elisabeth, wie Schiller mithilfe der historischen Vorlage ein Drama konzipiert hat, das weit mehr bietet als nur die Darstellung eines politischen Konfliktes im England des 16. Jahrhunderts. Schiller gelingt es, die komplexe Beziehung der beiden Frauen zu schildern, deren Rivalitat auf der privaten Ebene schlieBlich den politischen Streit entscheidet. Gleichzeitig gewahrt das Trauerspiel einen Einblick in das burgerliche Frauenbild der Zeit Schillers.

Zum SchluB gehe ich auf die Frage ein, in welchem MaBe Dramen mit historischem Hintergrund wie „Maria Stuart“ uns die Geschichte naher bringen konnen oder ob sie die Wahrheitsfindung vielmehr behindern durch literatur- asthetische Veranderungen der Wirklichkeit.

2. Die Gestalt Maria Stuart zur Zeit Schillers

2.1 Literarische Quellen

Die ersten Dramen uber Maria Stuart entstanden bereits kurz nach ihrem Tod, so dab sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts schon zahlreiche Titel angesammelt hatten.[1] Einige dieser Stucke waren Schiller bekannt, so zum Beispiel der Dramenentwurf „Marie Stuart“ von Christian Heinrich SpieB. Der Verfasser popularer Romane und Theaterstucke hatte 1784 dieses Stuck dem Mannheimer National theater zur Auffuhrung angeboten, doch der BuhnenausschuB, in dem auch Schiller saB, lehnte es ab. SpieB konzipierte sein Drama als melodramatische Liebes- und Eifersuchtstragodie, in deren Zentrum Marias Page Douglas und der Herzog von Norfolk stehen.[2]

In einem Beitrag aus dem Jahre 1907 betont Karl Kipka[3], daB Schiller auch die Dramen von den Englandern Banks und St. John gekannt haben konnte, da er in Weimar Kontakt zu zwei Englandern hatte. Das Stuck von John Banks erschien um 1686 und kennt bereits zwei Zusammentreffen der Koniginnen. „Mary Queen of Scots“ von John St. John wurde 1789 uraufgefuhrt, hatte aber kaum Ahnlichkeit mit Schillers Drama. Bemerkenswert ist dabei, daB Schiller in seinen ersten Entwurfen Figuren von St. John ubernommen hatte, die er aber spater wieder strich.

Doch nach Christian Grawe sei keines der zahlreichen Stucke uber Maria Stuart mit der Tragodie Schillers zu vergleichen. „Sie bleiben durchweg im Sentimentalen stecken und sind dramatisch ungelenk.“[4]

Aber auch wenn diese Dramen an Schillers Niveau nicht herankommen, durfen sie nicht vollig auBer acht gelassen werden, denn nicht erst Schiller nahm sich die Freiheit heraus, die Geschichte ein wenig zu andern. Wie bereits erwahnt stammen sowohl die Begegnung der beiden Koniginnen wie auch die beiden Figuren eines Retters und eines Maria zugeneigten Hoflings aus fruheren Dramen.

2.2 Historische Quellen

Die englische Geschichte des 16. Jahrhunderts war schon zur Zeit Schillers vergleichsweise ausfuhrlich aus unterschiedlichen Blickwinkeln behandelt worden, so daB Schiller aus mindestens 15 Quellenwerken schopfen konnte.[5]

Die notigen Rechtskenntnisse erhielt Schiller aus der Lekture der „Histoire d‘Angleterre“ von dem Juristen de Rapin[6]. Dieses Werk besitze die Fahigkeit, ihm die englischen Geschehnisse bilderreich zu erklaren, wie Schiller in einem Brief an Goethe vom 12. Juli 1799 eigens betonte.[7]

Aus den Akten der Weimarer Bibliothek geht hervor, daB Schiller auBerdem das Werk des prominentesten Historikers des spaten 16. Jahrhunderts, William Camden[8], ausfuhrlich gelesen hat. Seine Forschungen beruhen laut Camden selbst auf originalen Akten und portratieren eher eine sympathische Maria.

Eine gegensatzliche Interpretation Marias fand Schiller in den beiden proelisabethanischen Werken von Marias Zeitgenossen George Buchanan[9], aus denen Schiller das Bild der Sunderin Maria ubernahm.

Eine sachlichere Hauptquelle Schillers sind die beiden Bande uber die Geschichte Schottlands von Wilhelm Robertson[10]. Dort fand Schiller im Anhang umfangreiches Dokumentenmaterial, welches er in dem Dramentext verwendete. Robertson bemuhte sich um kritische Sachlichkeit bei der Beschreibung Marias. Ahnlich wie Robertson betrachtet der englische Philosoph und Geschichtsforscher David Hume[11] das Leben Maria Stuarts in seinem Werk und betont, daB die politischen Umstande und die Eifersucht Elisabeths sehr zum Ungluck Marias beigetragen hatten.

Bereits diese kleine Auswahl an Quellen, die Schiller zur Verfugung gestanden haben, machen deutlich, daB ihm der historische Hintergrund gut bekannt gewesen ist.

3. Das Verhaltnis von Trauerspiel und Historie

Um die Beziehung zwischen Schillers Drama „Maria Stuart“ und der Geschichte naher zu beleuchten, ist es notwendig zu erkennen, wo und warum Schiller von der Wirklichkeit abweicht und Anderungen in der Geschichte vornimmt.

3.1 Der historische Hintergrund

Der Hauptkonflikt zwischen Maria Stuart und Elisabeth von England besteht in der Frage nach dem Anrecht auf den englischen Thron. Elisabeth wird 1558 zur Konigin gekront, allerdings ist sie die Tochter von Anna Boleyn, die Heinrich VIII. nach der Scheidung von seiner ersten Frau geheiratet hatte. Da die katholische Kirche die Auflosung einer Ehe nicht anerkennt, war die zweite Ehe nicht vor Gott geschlossen worden und Elisabeth damit unehelich und ihr Thronanspruch illegitim. 1544 war ihr die Krone zwar durch ParlamentsbeschluB zugesichert worden, doch ihre zweifelhafte Herkunft hangt ihr bis zum Ende ihres langen Lebens nach.

Die schottische Konigin Maria Stuart hingegen ist die Enkelin der Schwester Heinrich VIII. und steht damit nach katholischem Recht in der Thronfolge vor Elisabeth.

Ungeachtet dessen kann Elisabeth die einzelnen Burger- und Adelsgruppen in den Rahmen einer starken Monarchie integrieren und die englische Nation unter dem protestantischen Banner ideologisch vereinen. Das Volk steht hinter ihr. Das Hauptziel der Konigin besteht darin, ihr protestantisches Land im uberwiegend katholischen Europa zu erhalten.

Besonders das katholische Schottland stellt eine Bedrohung fur England dar. Elisabeth gelingt es 1560, den Burgerkrieg zu beenden. Im Vertrag von Edinburgh erkennt Schottland sie als englische Konigin an und der Protestantismus wird durch ParlamentsbeschluB Staatsreligion in Schottland.

Ende 1560 stirbt Maria Stuarts Ehemann, der franzosische Konig Franz II., sie verliert den Anspruch auf den franzosischen Thron und kehrt nach Schottland zuruck. Die Ankunft der katholisch-franzosischen Koniginwitwe sorgt dort fur groBe Unruhe.

Zunachst kann sich Maria als Konigin durchsetzen, doch gelingt es ihr nicht, ihre Macht zu festigen. Zum einen will sie ihre Religion nicht aufgeben, ist aber auch zu tolerant gegenuber ihren protestantischen Gegnern. 1565 spitzt sich die Lage zwischen Maria und dem protestantischen Adel in Schottland zu, als Maria ihren katholischen Vetter Lord Henry Darnley heiratet. Die Ehe wird eine Katastrophe, denn Darnley wechselt mehrfach das politische Lager, und auch die Geburt des gemeinsamen Sohnes kann die Entfremdung des Ehepaares nicht verhindern. 1566 wird Marias Sekretar und Vertrauter David Riccio ermordet, vermutlich von dem eifersuchtigen Darnley. Doch durch kluges Taktieren gelingt es Maria, diese Verschworung ins Leere laufen zu lassen.

Bereits ein knappes Jahr spater wird Darnley selbst ermordet. Angeklagt wird der Graf von Bothwell, Fuhrer der antienglisch orientierten Lords. Obwohl er ein Gunstling Marias ist, muB er sich auf Anordnung der Konigin vor Gericht verantworten und wird freigesprochen. Kurz darauf entfuhrt Bothwell Maria und heiratet sie am 15. Mai 1567, nur drei Monate nach dem Tode Darnleys. Diese skandaltrachtige Hochzeit fuhrt zum Aufstand des schottischen Adels gegen Maria, sie wird verhaftet, an der Mitwisserschaft am Mord ihres Gatten angeklagt und zur Abdankung zugunsten ihres Sohnes gezwungen.

Im Mai 1568 gelingt Maria die Flucht und sie versucht ein letztes Mal, den Thron wieder zu erringen. Doch sie unterliegt und flieht nach England, um dort um Asyl und Hilfe zu bitten.

Elisabeth sieht sich nun in einer prekaren Lage, da sie den protestantischen Kurs des schottischen Thronverwalters Moray (in manchen Buchern auch Murray) unterstutzt und an einer Ruckkehr Marias nach Schottland nicht interessiert ist. Doch sie kann Maria auch nicht weiterreisen lassen zu Englands Feinden Frankreich und Spanien. AuBerdem ist Maria eine personlich groBe Gefahr fur Elisabeth und ihren Thronanspruch. Die schottische Konigin wird verhaftet und verbringt die nachsten Jahre in englischer Gefangenschaft.

1584 wird anlaBlich der Ermordung Wilhelm von Oraniens das Gesetz „Act for the Queen‘s Savety“ eingefuhrt, nach dem auch derjenige, zu dessen Gunsten ein Anschlag auf die Konigin versucht wurde, mitschuldig ist. Aufgrund dieses Gesetzes wird Maria schlieBlich im November 1586 nach der Babington-

Verschworung zum Tode verurteilt. Trotz des Drangens des Parlaments zogert Elisabeth mit der Unterzeichnung des Todesurteils, und erst nach der Entdeckung eines angeblichen neuen Anschlags ist sie zur Unterschrift bereit. Maria Stuart wird schlieBlich am 8.2.1587 nach 20jahriger Gefangenschaft als erste gesalbte Konigin der Geschichte hingerichtet.

3.2 Dichtung und Wahrheit

Die Abweichungen Schillers vom historischen Hintergrund sind gut dokumentiert. Im folgenden orientiere ich mich vor allem an Peter-Andre Alt[12] und Karl S. Guthke[13], die sich intensiv mit den Werken Schillers beschaftigt haben.

Wenn man den historischen Hintergrund mit dem Drama vergleicht, fallt einem als erstes auf, daB Schiller die Ereignisse stark komprimiert hat. In Wirklichkeit vergingen fast 20 Jahre von Marias Festnahme bis zu ihrer Hinrichtung im Alter von 45 Jahren. Solch ein langer Zeitraum ist jedoch auf der Buhne nicht auffuhrbar. Mit dieser Zeitraffung geht eine Verjungung der beiden Koniginnen einher. Maria und Elisabeth sind im Drama ungefahr 25 und 30 Jahre alt. Doch nach Schiller sei es unumganglich gewesen, die beiden Frauen zu verjungen. Nur so konne die erotische Attraktivitat von Maria und Elisabeth glaubwurdig dargestellt werden.[14]

Schiller wollte vor allem die Schonheit Marias hervorheben. Zu diesem Zweck erfindet er die Gestalt des jungen Mortimer, der sich rettungslos in Maria verliebt und schlieBlich tragisch endet bei dem Versuch, die schottische Konigin zu retten. Mortimer steht stellvertretend fur alle Manner an Marias Seite, die bereits fur sie ihr Leben gelassen haben. In der Realitat haben mehrere Manner immer wieder versucht, Maria aus der Gefangenschaft zu retten und bezahlten haufig mit ihrem Leben dafur.

[...]


[1] Grawe, Christian: Erlauterungen und Dokumente. Friedrich Schiller - Maria Stuart; Stuttgart 1999, S. 98.

[2] Ebd. S. 100.

[3] Kipka, Karl: Maria Stuart im Drama der Weltliteratur vornehmlich des 17. und 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur vergleichenden Literaturgeschichte. Leipzig 1907. Breslauer Beitrage zur Literaturgeschichte IX.; zit. in Grawe, C.: Erlauterungen und Dokumente S. 99.

[4] Grawe, C.: Erlauterungen und Dokumente S. 100.

[5] Grawe, C.: Erlauterungen und Dokumente S. 84-95.

[6] De Rapin, Paul: Histoire d‘Angleterre. Tom.6; La Haye 1733; zit. in Grawe, C. S. 87.

[7] In: Schillers Werke. Nationalausgabe. Begr. Von Julius Petersen. Hrsg. von Lieselotte Blumenthal und Benno von Wiese. Weimar: Bohlau, 1943ff. Bd. 30,71: Schillers Briefe 1798­1800. 1961; zit. in Grawe, C. S. 87.

[8] Camden, William: Annales rerum anglicarum et hibernicarum regnante Elizabetha ad annum salutis 1589; London 1615; zit. in Grawe, C. S. 85.

[9] Buchanan, George: Rerum Scoticarum historia ad Jacobum VI. Scotorum regem; Amsterdam 1697; Ders.: Detectio Mariae reginae Scotorum; zit. in Grawe, C. S. 85.

[10] Robertson, Wilhelm: Geschichte von Schottland unter den Regierungen der Konigin Maria und des Koniges Jakob VI. bis auf dessen Erhebung auf den englischen Thron [...] In zween Banden [...] ubersetzt [...] mit einer Vorrede begleitet von Matthias Theodor Christoph Mittelstedt; Braunschweig 1762; zit. in Grawe, C. S. 87.

[11] Hume, David: Geschichte von England, von dem Einfalle des Julius Casar bis auf Elisabeth. Aus dem Englischen. 3. und 4. Bd. Breslau/Leipzig 1770/71; zit. in Grawe S. 90-91.

[12] Alt, Peter-Andre: Schiller: Leben-Werk-Zeit; 2 Bde.; Kap. 5: Maria Stuart, S. 492-509; Munchen 2000.

[13] Guthke, Karl S.: Schillers Dramen. Idealismus und Skepsis; Maria Stuart: Die Heilige von „dieser Welt“, S. 207-233; Tubingen 1994.

[14] So Schiller in einem Brief an Iffland vom 22. Juni 1800, zit. in Alt, P.-A.: Schiller, S. 496.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Das Verhältnis von Dichtung und Wahrheit in Schillers Trauerspiel Maria Stuart: Ein Vergleich der Figuren Maria und Elisabeth mit dem historischen Hintergrund
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Germanistik)
Veranstaltung
Hauptseminar: Dramen der Klassik
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
21
Katalognummer
V8053
ISBN (eBook)
9783638151351
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verhältnis, Dichtung, Wahrheit, Schillers, Trauerspiel, Maria, Stuart, Vergleich, Figuren, Maria, Elisabeth, Hintergrund, Hauptseminar, Dramen, Klassik
Arbeit zitieren
Claudia Schneider (Autor:in), 2001, Das Verhältnis von Dichtung und Wahrheit in Schillers Trauerspiel Maria Stuart: Ein Vergleich der Figuren Maria und Elisabeth mit dem historischen Hintergrund, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8053

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