Entgegen der weit verbreiteten Meinung ist nicht die Wiederherstellung der verlorenen Ritterehre, sondern die Liebe und ihr Einfluss auf verschiedene Lebensbereiche das Hauptthema in Hartmanns erstem Artusroman. Die Unterscheidung zwischen richtiger und falscher, vernünftiger und blinder, egoistischer und selbstloser Liebe spielt dabei eine grundlegende Rolle. Zentrales Motiv dieser Dichtung ist eine Liebe, der die mâze fehlt, woraus sich Konflikte mit der Gesellschaft und den Pflichten dieser gegenüber ergeben1. Auch die Bewährung der Liebe nimmt viel Platz ein, denn richtige Liebe wird verstanden als etwas, was einem nicht geschenkt wird, sondern etwas, wofür man eine arebeit leisten muss. Und schließlich - last not least - kann man in Hartmanns Erec auch einen Aufruf dazu sehen, der Liebe in der mittelalterlichen Ehe- und Eheschließungspraxis mehr Platz einzuräumen.
Da diese Arbeit nicht nach der Chronologie der Ereignisse in Hartmanns Dichtung, sondern nach Themenkomplexen rund um die Liebe aufgebaut ist, scheint es angemessen zu sein, dem Leser an dieser Stelle die Handlung des Werkes noch einmal in kurzer Form vor Augen zu führen.
Erec, ein junger Königssohn wird im Beisein der Gemahlin von König Artus beleidigt und reitet aus, um seine Ehre wieder herzustellen und die ihm angetane Schande zu rächen. Er gewinnt dabei die Hand Enites, die Tochter eines verarmten Grafen ist. Mit ihr kehrt er nach Hause zurück und übernimmt von seinem Vater die Regentschaft. Doch dort ,,verliegt" er sich - er ist durch die Liebe zu seiner jungen Frau so gefesselt, dass er sich von den Menschen isoliert und seine Pflichten als Herrscher vernachlässigt.
[...]
INHALT
Einfuhrung
Richtige und falsche Liebe
Bewahrung der Liebe
Liebe und Pflicht
Liebe und Gesellschaft
Erec und Enite - eine hofische Liebe?
Resumee
Literatur
Einfuhrung
Entgegen der weit verbreiteten Meinung ist nicht die Wiederherstellung der verlorenen Ritterehre, sondern die Liebe und ihr Einfluss auf verschiedene Lebensbereiche das Hauptthema in Hartmanns erstem Artusroman. Die Unterscheidung zwischen richtiger und falscher, vernunftiger und blinder, egoistischer und selbstloser Liebe spielt dabei eine grundlegende Rolle. Zentrales Motiv dieser Dichtung ist eine Liebe, der die maze fehlt, woraus sich Konflikte mit der Gesellschaft und den Pflichten dieser gegenuber ergeben[1]. Auch die Bewahrung der Liebe nimmt viel Platz ein, denn richtige Liebe wird verstanden als etwas, was einem nicht geschenkt wird, sondern etwas, wofur man eine arebeit leisten muss. Und schlieBlich - last not least - kann man in Hartmanns Erec auch einen Aufruf dazu sehen, der Liebe in der mittelalterlichen Ehe- und EheschlieBungspraxis mehr Platz einzuraumen.
Da diese Arbeit nicht nach der Chronologie der Ereignisse in Hartmanns Dichtung, sondern nach Themenkomplexen rund um die Liebe aufgebaut ist, scheint es angemessen zu sein, dem Leser an dieser Stelle die Handlung des Werkes noch einmal in kurzer Form vor Augen zu fuhren.
Erec, ein junger Konigssohn wird im Beisein der Gemahlin von Konig Artus beleidigt und reitet aus, um seine Ehre wieder herzustellen und die ihm angetane Schande zu rachen. Er gewinnt dabei die Hand Enites, die Tochter eines verarmten Grafen ist. Mit ihr kehrt er nach Hause zuruck und ubernimmt von seinem Vater die Regentschaft. Doch dort „verliegt“ er sich - er ist durch die Liebe zu seiner jungen Frau so gefesselt, dass er sich von den Menschen isoliert und seine Pflichten als Herrscher vernachlassigt. Durch Zufall erfahrt er aus dem Munde Enites, wie es um ihn steht, und reitet erneut in die Welt aus. Enite begleitet ihn auf dieser Fahrt. Sie muss voranreiten, darf ihn aber unter Todesstrafe nicht ansprechen - egal was sie sehen oder horen wurde. Dieses Verbrot bricht sie jedoch mehrmals, um ihren Mann vor Gefahren zu warnen. Erec bewaltigt jede dieser Situationen und besiegt jedes Mal gewaltige und hinterhaltige Gegner. SchlieBlich versohnt er sich mit Enite und bittet sie um Vergebung fur alle Leiden, die er ihr wahrend dieser Fahrt zugefugt hat. Er tat das absichtlich, doch nicht aus bosem Willen. Er wollte sich namlich davon uberzeugen, ob Enite ihn vollkommen liebt. Ihre Liebesbeziehung wird durch diese Erlebnisse gefestigt und erreicht eine hohere Stufe. Erst jetzt sind sie fahig, gemeinsam Erecs richtige aventiure zu bestehen - den Kampf mit dem roten Ritter Mabonagrin, aus dem Erec - selbstverstandlich - als Sieger hervorgeht. Dann steht den Beiden nichts mehr im Wege, zu ihrem hofischen Leben zuruckzukehren, nachdem sie ihre Liebe zueinander erprobt und gelernt hatten, in ihrer Auslebung die unmaze (MaBlosigkeit) zu vermeiden. Erec ist jetzt fahig, sein Land zu regieren und ubernimmt nach dem Tod seines Vaters die Pflichten des Landesherrn. Freudig wird er von den Untertanen empfangen. Beiden ist auch das ewige Leben gewiss.
RICHTIGE UND FALSCHE LIEBE
Wie bereits erwahnt, wird in Hartmanns Erec das Problem der richtigen und falschen Liebe thematisiert. Es wird der Werdegang einer Liebesbeziehung dargestellt, der uber verschiedene Stationen zu einer vollkommenen Minnegemeinschaft fuhrt. Enite und Erec - das Paar, um welches es sich hier handelt - begehen am Anfang jedoch viele Fehler: nicht weil sie absichtlich gegen die bestehende Ordnung der Dinge verstoBen wollen, vielmehr weil sie jung und unerfahren sind, die Liebe aber eine Kunst ist, die gelernt werden muss.
Erec vermittelt uns ein dynamisches Bild der Liebe. Sie ist kein unveranderlicher Zustand, sie kommt und geht nicht wie die sprichwortliche „Liebe auf den ersten Blick“[2], sondern muss durch personliche arebeit erworben und weiterentwickelt werden. Sie ist ein Prozess und unterliegt standigem Wandel - und richtige Liebe muss sich naturlich vervollkommnen, sonst bringt sie nur Schande und Ungluck. Kurz gesagt: es handelt sich hier um den Werdegang zweier durch gegenseitige Zuneigung und den Willen des Miteinanderseins verbundener Menschen.
Bewahrung der Liebe
Die Situation nach Erecs ‘Verliegen’ beschreibt Peter Wapnewski sehr treffend wie folgt:
Erecs und Enites Liebe war nicht ‘wirklich’, nicht errungen, sondern rasch erworben, nicht verdient, sondern schnell gewahrt, hatte keine steigernde und lauternde Kraft, war nicht in arebeit zum eigenen Besitz geworden, begrenzte sich in ichhaftem Selbstgenuss - nunmehr muss sie sich ‘erproben’...[3]
Die aventiure--Fahrt, die sie jetzt antreten, ist keineswegs eine BuBfahrt, wie das die fruhere Forschung gerne behauptete. Ihr Sinn besteht vielmehr darin, diese ‘geschenkte’ Liebe durch personliche Anstrengung richtig zu erwerben und durch gemeinsam bestandene Proben, erlebte Gefahren, Qual und Not zu erproben und zu festigen, sowie darin, diese bisher ‘wild’ und ohne Rucksichtnahme auf andere Menschen ausgelebte Liebe in das Gefuge der gesellschaftlichen Ordnung einzubetten. Kurzum soll diese Fahrt eine Probe auf Erecs und Enites Minnegemeinschaft sein, eine Probe, aus der er als Beschutzer seiner Frau und sie als Leiterin ihres Mannes hervorgehen wird.
Damit dieses Ziel aber erreicht werden kann, muss die Minnegemeinschaft zunachst paradoxerweise aufgehoben werden. Erec lasst Enite vorausreiten und verbietet ihr unter Todesstrafe, ihn anzusprechen. Gemeinsame Mahlzeiten sind nunmehr genauso tabu, wie jegliche Art von sinnlichem Liebesgenuss. Somit verhangt Erec eine „totale raumliche und akustische Trennung“[4] uber sich selbst und seine Gattin:
und [er] gebot sinem wibe niuwan bi dem libe, der sch&nen vrouwen Eniten, daz si muoste vur riten, und verbdt ir da zestunt daz ze sprechenne ir munt zer reise iht uf kwme, swaz si vern&me
oder swaz si geswhe. (V. 3094-3102)
Doch Enite bricht sehr rasch (und mehr als einmal) das ihr auferlegte Schweigegebot, um ihren Mann vor den lauernden Gefahren (Rauber) zu warnen. 1st es Mangel an Beherrschung und Fugsamkeit, wie es das im Mittelalter gultige Frauenbild uns suggeriert? Keineswegs! Diese Vergehen, die eigentlich keine sind, haben zwei wichtige Funktionen zu erfullen[5]. Erstens beweist Enite hier ihre groBe Liebe und Treue gegenuber Erec. Denn daran, dass die angedrohte Strafe von ihm ernst genommen wird, bestehen fur sie keinerlei Zweifel:
nu redete si in ir muote:
‘richer got der guote, ze dinen genaden suoche ich rat:
du weist al eine wiez mir stat.
(...)
warne ich minen lieben man,
da genim ich schaden an,
wan so han ich den lip verlorn,
wirt aber diu warnunge verborn,
daz ist mins gesellen tot.
ja ist einer solhen not
wibes herze ze kranc’ (V. 3148-3166)
Trotzdem uberwindet sie die Angst und warnt ihn - Treue steht weit hoher als der bloBe (von Angst motivierte) Gehorsam. Es sind bereits erste jener Prufungen, die aus einer leicht gewahrten, unverdienten Liebe eine erarbeitete, in harten Kampfen errungene Liebe machen sollen. Zweitens zeigen diese Szenen bereits am Anfang ihrer langen Odyssee sehr deutlich, dass ein Zusammenwirken des Paares (welches erst spater durch Erecs scheinbaren Tod richtig begrundet wird) notwendig ist. Ohne Enites Hilfe hatte Erec die Gefahren womoglich zu spat erkannt - seine schwere Rustung beeintrachtigt nicht nur seine Beweglichkeit, sondern auch sein Seh- und Horvermogen5[6]. Und naturlich verzeiht Erec seiner Frau und sieht von der Bestrafung ab - weil er sie genauso liebt, wie sie ihn (das Schweigegebot bleibt allerdings jedesmal weiter bestehen). Ein solcher Liebesbeweis durch Taten ist mehr wert und hat weit groBeren Wahrheitsgehalt als jegliche Worte.
Ihre Treue gegenuber Erec beweist Enite aber am eindringlichsten in der Galoein- und Oringles-Episode. Galoein ist durch Enites Schonheit so uberwaltigt, dass er beschlieBt, sie ihrem rechtmaBigen Ehemann wegzunehmen. Er macht ihr den Antrag, sie zur Herrin seines Landes zu Erheben (er denkt offensichtlich, Enite stunde auf der sozialen Leiter weit unter ihm). Sie lehnt ab mit der Begrundung: „ich entouc ze gravinne niht: | ich enhan geburt noch daz guot“ (V. 3809f.). Galoein stort sich nicht daran, im Gegenteil - er droht Enite sogar an, Gewalt anzuwenden: welt ir niht guetlichen | miner bete entwichen | so geschiht ez under iuwern danc. | iuwer wer ist mir hie ze kranc (V. 3830ff.). Enite sieht sich dazu gezwungen, durch „schwne wibes list‘ den Grafen zu tauschen. Ihr anfangliches Zogern rechtfertigt sie damit, dass sie seinen Antrag fur nicht ernst gemeint hielt, gibt jetzt jedoch zu, seine Frau werden zu wollen und schwort, ihm die Treue zu halten. Naturlich hat sie nicht vor, dieses Versprechen zu halten und sie bleibt in dieser Situation vollig schuldlos - denn Treue gegenuber dem geliebten Mann steht hoher, als die durch ein erzwungenes Versprechen begrundete Treueverpflichtung gegenuber einem Verbrecher (wollen wir uns der heutigen Rechtsterminologie bedienen, so haben wir hier eindeutig mit einem Fall der Notwehr zu tun!)[7]. Enite schlagt vor, ihrem Mann das Schwert in der Nacht zu entwenden, damit der Graf sie am nachsten Morgen kampflos entfuhren kann. Die so gewonnene Zeit soll in Wirklichkeit zur Flucht genutzt werden. Doch vorher muss Enite erneut das ihr auferlegte Schweigegebot brechen - und wieder ist es mit Angst und Qual verbunden[8]. Sie rettet ihrem Mann aber auch noch einmal das Leben - mitten in der Nacht brechen sie zur Flucht auf.
Zwischen den beiden Grafen-Episoden liegt Enites aufschlussreiche Klage nach Erecs scheinbarem Tod. Nach dem Kampf mit den Riesen (Befreiung von Cadoc) brechen alte Wunden auf - Erec fallt ohnmachtig vom Pferd - Enite halt ihn fur tot:
einen solhen val er nam
daz er lac vur tot.
nu huop sich ein bitter not
und alles leides galle
von disem valle
in vrouwen Eniten muote.
von jamer huop diu guote
ein klage vil barmecliche... (V. 5737-5744)
Meisterhaft vermag Hartmann die erschutternde Tragik dieses Ereignisses auszumalen:
diu guote, nu viel si
uber in unde kusten.
dar nach sluoc si sich zen brusten
und kuste in aber unde schre.
[...]
[1] „Es wird sich (...) zeigen, dass die Funktion der Aventiurenfolge nur vordergrundig erkannt ist, wenn man sie lediglich auf die Wiederherstellung von Erecs Ritterehre vor der Zeugschaft Enitens hin interpretiert.“ Peter Wapnewski, Hartmann von Aue, Stuttgart 1964, S. 47.
[2] Die Uberzeugung, dass es sich hier um eine bewusste Absicht des Dichters handelt, unterstutzt der Vergleich mit Hartmanns Vorlage, Erec und Enide von Chrestien de Troyes. Bei Hartmann finden wir Szenen, die auf eine allmahliche Entstehung dieser Liebe hinweisen und bei Chrestien nicht vorhanden sind. Die Liebe lasst sich psychologisch und nicht als zauberische Einwirkung von AuBen (Minnetrank o.A.) wie in vielen anderen Werken der mittelalterlichen Literatur erklaren.
[3] Wapnewski: a.a.O., S. 53f.
[4] Ebda., S. 47.
[5] Zur doppelten Funktion des Schweigegebotes vgl. Wapnewski: a.a.O., S. 45.
[6] nu endarf niemen sprechen daz: | ‘von wiu kam daz diu vrouwe baz | beide gehorte undgesach?’ | ich sage iu von wiu daz geschach. | diu vrouwe reit gewafens bar: | da was er gewafent gar, | als ein guot ritter sol. | des gehorte er noch gesach so wol | uz der isenwate | als er blozer tate. (V. 4150-4159)
[7] Das wird auch ausdrucklich vom Erzahler bestatigt: diu [=Enite] hete den graven betrogen | und ane sunde gelogen. (V. 4026f.)
[8] von sorgen grozen kumber leit | der vrouwen gemuete | durch triuwe und durch guete, | wie im diu rede wurde kunt: | wan er verbot daz ir munt | zu sprechenne iht uf kame | (...) ir triuwe ir daz gebot | daz si ze sinem bette gie | und bot sich vur in an ir knie | und sagete im die rede gar. | von vorhten wart si missevar (V. 3959ff.).
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