Die Helden der klassischen Artusepik am Beispiel des Erec


Hausarbeit, 2002

25 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Vorwort: Die Artusepik in Deutschland

II. Der mühsame Saelden wec:
Die Helden der klassischen Artusepik am Beispiel des Erec
1. Der Weg in die Schuld (erster Kursus)
2. Die Frage nach der Schuld
3. Der Weg aus der Schuld (zweiter Kursus)

III. Schlussgedanke

IV. Literaturverzeichnis

I. Vorwort: Die Artusepik in Deutschland

Der Artusroman wurde zur bedeutendsten Romangattung des europäischen Mittelalters, die jahrhundertelang alle anderen dominierte.

Schöpfer des Artusromans ist der Franzose Chrétien de Troyes. Alle Merkmale sind bei ihm bereits vorgeprägt, die auch für den deutschen Artusroman typisch wurden:

Den Kopf der Tafelrunde bildet der große, tapfere, ehrbare und strahlende König Artus.

Er ist der Kristallisationspunkt der höfischen Freude für die um ihn versammelten Helden. An der runden Tafel ist keine hierarchische Sitzordnung möglich und dies dokumentiert die Gleichberechtigung aller Mitglieder. Größtmögliche Freiheit gewährt der König als primus inter pares (als „Erster unter Gleichen“) seinen Rittern, da von deren Vollkommenheit der Glanz des Artushofes abhängt. Dem einzelnen Ritter wird durch die Aufnahme in die Tafelrunde seine Idealität bestätigt. Allerdings muss er sich immer wieder aufs neue bewähren und seinen Rang durch ritterliche Taten, durch Âventiuren, verteidigen.

In der Âventiure verwirklicht der Ritter sich durch eine Tat, ein Kampf unter Einsatz seines Lebens. Für das erfolgreiche Bestehen wird er dann oft mit einer ebenso schönen wie reichen Frau belohnt.

Die Romane enden meist mit dem Einzug des Paares in den Artushof, in die „heiligen Hallen der Artusepen“.

Mit Hartmann von Aue (ca. 1165 – ca. 1215) setzt die Artusdichtung in Deutschland gleich auf höchstem Niveau ein.

Mit seinem ersten Roman dieser Gattung „Erec“ (um 1185) wurde die Artusepik in Deutschland eingeführt und entwickelte sich zum Muster der Gattung. Dies ist heute unbestritten, jedoch darüber wie und auf welchem Wege der Stoff nach Deutschland kam ist die Forschung sich nicht ganz einig. Als Vermittler sind wohl einflussreiche Mäzene deutscher Fürstenhäuser mit engen Kontakten nach Frankreich und der dort bereits blühenden höfischen Kultur anzusehen. Aus diesem Grund gibt es drei Thesen zur Stoffrezeption:

1. über die Staufer
2. über die Zähringer und
3. über den mittelniederrheinischen Raum mit seinen engen Beziehungen nach Frankreich.

Dabei muss man aber bedenken, dass in Deutschland kein einziger französischer Text überliefert ist, so dass immer noch unklar ist, wie die Autoren der hochhöfischen Zeit an ihre Vorlagen gelangten.

An Chrétiens „Erec“ und „Yvain“ und an Hartmanns Epen wurden aber dann die folgenden Charakteristika bestimmt, die die germanistische Forschung lange Zeit übernahm:

So ist demzufolge das klassische Artusepos charakterisiert durch eine „Zweiteilung“(Vgl. Reto R. Bezzola), den „doppelten Kursus“ (Vgl. Hugo Kuhn) und nach Kurt Ruh durch „zwei Zyklen“ beziehungsweise durch eine „Doppelwegstruktur“ (Vgl. Hans Fromm).

Diese Doppelung und die damit in Verbindung stehende Spannung von Individuum und Gesellschaft hat 1947 zunächst Bezzola als strukturelles Prinzip in Chrétiens Epen gesehen und beschrieben. Somit kennzeichnet ein Dualismus die Epen, der zunächst dem Helden zur Erfüllung seines Lebens verhilft (Minne und Ehe: Erec heiratet Enite).

Jedoch wird der Held im Folgenden mit den Belangen der Gesellschaft konfrontiert und macht sich schuldig (Krise des Helden: Erec verliegt sich).

Bezzola führt aus, dass der Held sich dann in den folgenden Âventiuren bewährt und sich schließlich wieder in die Gesellschaft eingliedern kann. Der Artushof wird daher auch als „Seismograph der Sozialisationsfähigkeit des Protagonisten“[1] bezeichnet.

Auch im „Erec“ Hartmanns von Aue hat das Geschehen am Artushof seinen Ausgangspunkt und nach einer kurzen Zwischeneinkehr landet der Held auch wieder dort.

Dies zeigt dann wieder, nach den bestandenen Abenteuern, die Integration oder besser gesagt die Reintegration in die höfische, arthurische Gesellschaftsordnung.

Die Âventiure des Ritters ist also eine „Isolierung im Dienste der Gesellschaft“[2] und zugleich auch individuelle Bewährung: eine Vereinzelung des Ritters, die jedoch nach wie vor auf die Gesellschaft bezogen bleibt. Unter diesen Voraussetzungen könnte man das Wesen der Âventiure als paradox bezeichnen.

Dieser Auffassung widerspricht eine andere These, die davon ausgeht, dass sich der Held im „Erec“ und auch im „Iwein“ von Anfang an schuldig macht. Die Epen zeigten dann kumulativ verschiedene Bereiche des Schuldigwerdens oder des Vergehens (Minne, Ehe, Rittertum, Herrschertum) auf, bevor dann die Läuterung des Protagonisten beginnen kann.

Diese These sieht auch nicht die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, sondern die eigenständige und vorbildliche Herrschaft des Helden, die so Gottzmann „aufgrund der Âventiuren in ihrem ethischen Anspruch den Artushof übertreffen“[3], als Ziel an.

II. Der mühsame Saelden wec: Die Helden der klassischen Artusepik am Beispiel des Erec

Das Bild vom Helden auf einem oder seinem Weg ist kennzeichnend und im „Erec“ sowie im „Iwein“ und im „Parzival“ zu finden:

dô sprach der künec Êrec:

´ich weste wol, der Saelden wec

gienge in der werlde eteswâ,

rehte enweste ich aber wâ,

wan daz ich in suochende reit

in grôzer ungewisheit,

unz daz ich in nû vunden hân.

(Vers 8520-8526)

Sehr schnell und relativ einfach erlangt der Protagonist Erec Ruhm und Ehre, er gewinnt die Liebe einer schönen Frau (Enite) und wird zum Herrscher über das Land Karnant.

Seinen Roman „Erec“ leitet Hartmann mit einer Art Vorgeschichte ein: Erec wird beleidigt, während König Artus und sein Gefolge auf der Jagd nach dem legendären weißen Hirschen ist. Nun verlässt Erec die Königin und den Artushof, um sich für die erlittene Schande zu rächen. Im Kampf besiegt er seinen Beleidiger und gewinnt dabei Enite, die schönste aller Frauen. Ohne Umschweife wird sogleich an Artus` Hof ihre prunkvolle Hochzeit ausgiebig gefeiert. Dann kehrt Erec mit Enite nach Hause zurück und erhält von seinem Vater die Herrscherkrone über Karnant. Und das alles in „nur“ 2851 Versen. Aber es sollen noch weitere 7284 Verse folgen und Erec muss sich wohl noch auf so einiges gefasst machen.

Dieser scheinbare Idealzustand geht durch eine Verfehlung in die Brüche. An der Seite seiner schönen Gattin vergisst Erec über der Liebe alle seine ritterlichen Tugenden und Pflichten.

Er verliegt sich und es kommt sogar soweit, dass den einst so idealen Ritter alle verachten.

Nun erst beginnt die eigentliche Handlung des Romans: Durch Enites Klage (Vers 3029-3033) wird er aus der Selbstvergessenheit gerissen und schüttelt seine Trägheit ab.

Um seine Ritterehre wiederherzustellen, begibt er sich mit seiner Frau auf Abenteuerreise und unterzieht sie und sich selbst härtesten Prüfungen, bis beide sich in Treue, Tapferkeit und sozialer Verantwortung bewährt haben.

Der Held des klassischen Artusromans muss sich somit auf einen zweiten, längeren und auch schwierigeren Weg begeben. Erst dann kann durch das veränderte Selbstverständnis des Protagonisten das Verlorene für immer zurückerworben werden. Formal steht hinter diesem Prozess das Prinzip des „doppelten Kursus“[4].

Die klassische Artusepik schafft eine geradezu perfekte Verbindung der Tektonik zwischen äußerer Handlung und der zu verdeutlichenden inneren Problematik.

So wird der Bewusstwerdungs- oder Reifeprozess des Helden vom Autor nicht expressis verbis geschildert, sondern wird sichtbar durch Episodenstruktur und Episodenanordnung, durch Motive und deren Relationen, durch Kontrast und Vergleich.

1. Der Weg in die Schuld (erster Kursus)

Aus den rein subjektiven Beweggründen des Strebens nach Ruhm und Ehre verlassen die Helden der klassischen Artusepik die Artussphäre.

Erecs Aufbruchsmotivierung ist der Wunsch, Vergeltung für den vor den Augen der Königin und deren Hofdamen erlittenen geiselslac (Vers109) des Zwerges von Iders zu üben. Die Schmach darüber (Vers 106) von einem sus wênic man (Vers 119) so sehr gedemütigt zu werden bewegt ihn dazu, von der Gesellschaft urloub (Vers 148) zu nehmen und erst zurückzukehren, wenn die Schande gerächt ist:

ir gesehet mich nimmer mêre,

ichn gereche mich an disem man

von des getwerge ich mâl gewan.

(Vers 135-137)

Wenige Verse später wird die Bedeutung der Rache als Motor für Erecs Tun noch einmal betont:

[...] wan daz er im durch sîn leit

ûf âventiure nâch reit.

(Vers 220-221)

Auf seinem ersten Weg verfolgt Erec allein seine dem eigenen Ego dienenden Zwecke. In seinem Streben nach Genugtuung und Vergeltung geht Erec sogar so weit, Enite zu benutzen, um den Sperber von Iders zu gewinnen und sie, wenn nötig auch zu heiraten.

[...] ob mir alsô gelinge

daz mir der sige belîbe,

sô nim ich si ze wîbe.

(Vers 513-515)

Alles andere als eine „gute Partie“ ist nämlich Enite für Erec.

Auch Koralus, Enites Vater, hält es für einen Scherz, so absurd und unglaublich erscheint ihm der Gedanke, ein Königssohn wolle allen Ernstes eine arme Grafentochter ehelichen.

er sprach. ´herre, disen spot

sult ir lâzen durch got.

iuwer rede ist vil verlâzenlich.

nû hât got über mich

verhenget swes er wolde:

anders dan ez solde

sô ist mîn leben nû getân.

daz will ich von gote hân:

des gewaltes ist alsô vil,

er mac den rîchen swênne er will

dem armen gelîchen

und den armen gerîchen.

sîn gewalt ist an mir worden schîn.

durch got sult ir erbeten sîn

daz dirre schimph belîbe.

ir getuot ze wîbe

mîner tohter wol rât,

wan si des guotes niht hât.

swie grôzen bresten ich nû dol,

doch sult ir mir gelouben wol,

ich hân gesehen ê den tac

daz iuwer vater der künec Lac

mich gesellen nande.

wir nâmen in sînem lande

beide mit ein ander swert.

daz ir nû mîner tohter gert,

mich entriege mîn wân,

daz hânt ir durch schimph getân.“

(Vers 532-59)

Erec ist als Sohn eines Königs Mitglied der höfischen Gesellschaft, und für einen Wiederaufstieg und die Reintegration in ebendiese benötigt er auf keinen Fall die Tochter eines armen Grafen.

Bis zu diesem Zeitpunkt spielt auch die Liebe, wenn überhaupt, nur eine Nebenrolle.

Die Sperberepisode stellt für Erec nur ein Mittel zum Zweck dar, seine Rachegelüste zu befriedigen und dafür braucht er Enite. Und er braucht auch ihren Vater Koralus, der ihm die ritterliche Ausrüstung zur Verfügung stellen muss, da Erec ungerüstet (Vers 103) mit Ginover und den Damen ausgeritten war.

Bereits Erecs Wehrlosigkeit stellt für Walter Ohly (1958) eine Schuld dar, weil „sie die Ordnung des Rittertums verletzt und in seinem Fall in die Schande“[5] führe.

Nach dem Sieg über Iders und der damit verbundenen Gewinnung der Frau Enite hat Erec den vorläufigen Höhepunkt in seiner Karriere als Ritter erreicht. Auf dem der Hochzeit am Artushof folgenden Turnier erringt Erec so viel Ruhm und Ehre, daz man begunde gelîchen

sîn wîsheit Salomône, sîn schoene Absolône, an sterke Samsônes genôz (Vers 2815–2818).

[...]


[1] Gottzmann, Carola L.: Artusdichtung. Sammlung Metzler Band 249. Stuttgart 1989, S.57

[2] Ebenda

[3] Ebenda

[4] Kuhn, Hugo: Erec. In: ders.: Dichtung und Welt im Mittelalter. Stuttgart 1969² , S.133-150

[5] Ohly, Walter: Die heilsgeschichtliche Struktur der Epen Hartmanns von Aue. Berlin 1958, S.61

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Helden der klassischen Artusepik am Beispiel des Erec
Hochschule
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt  (Ältere deutsche Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Hartmann von Aue, Erec
Note
2
Autor
Jahr
2002
Seiten
25
Katalognummer
V8074
ISBN (eBook)
9783638151542
Dateigröße
543 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Helden, Artusepik, Beispiel, Erec, Hartmann, Erec
Arbeit zitieren
Stephanie-Lioba Bauer (Autor:in), 2002, Die Helden der klassischen Artusepik am Beispiel des Erec, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8074

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