Die Landschaftsdarstellung bei Fra Angelico


Diplomarbeit, 2007

85 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Darstellung der Verkündigung bei Fra Angelico
2.1. Die Darstellung der Verkündigung im Quattrocento
2.2. Die Verkündigung von Cortona
2.3. Die Prado Verkündigung
2.4. Die Verkündigung im Klostergang von San Marco in Florenz

3. Die Predellen des Verkündigungsaltares von Cortona
3.1. Die Heimsuchung
3.2. Marientod

4. Das Altarbild für Santa Trinita - Die Kreuzabnahme
4.1. Gentile da Fabriano - Anbetung der Könige

5. Die Predellen des Altars von San Marco
5.1. Der Besessene Lysias (Abb. 19)
5.2. Die Enthauptung der Brüder (Abb. 20)
5.3. Die Grablegung (Abb. 22)

6. Der Freskenzyklus in den Zellen von San Marco in Florenz
6.1. Östliches Dormitorium - Die Zellen der Priester
6.1.1. Zelle 1: Noli me tangere (Abb. 24)
6.1.2. Zelle 2: Die Beweinung Christi (Abb. 25)
6.1.3. Zelle 5: Die Geburt Christi (Abb. 28)
6.2. Östliches Dormitorium - Die Zellen der Kleriker
6.2.1. Zelle 24 - Die Taufe Christi (Abb. 29)
6.3. Nördliches Dormitorium - Die Zellen mit den Darstellungen von Episoden aus dem Leben Christi
6.3.1. Zelle 32A: Die Versuchung Christi (Abb. 32)
6.3.2. Zelle 34: Christus am Ölberg (Abb. 33)
6.3.3. Zelle 39: Die Doppelzelle Cosimo de’ Medicis (Abb. 34)
6.4. Berater für das Freskenprogramm

7. Fra Angelico in Rom
7.1. Aufträge unter Papst Eugen IV
7.2. Aufträge unter Papst Nikolaus V
7.2.1. Die Kapelle für Papst Nikolaus V. - Die Cappella Niccolina

8. Der Tondo mit der Anbetung der Könige
8.1. Fra Filippo Lippi

9. Schlussbetrachtung

10. Literaturverzeichnis

11. Abbildungen

12. Abbildungsnachweis

1. Einleitung

„Seine Gewohnheit war, das was er gemalt hatte, nie zu verbessern oder zu überarbeiten, sondern stets zu lassen, wie es aufs erstemal geworden war, weil er meinte, so habe Gott es gewollt. Einige sagen, Fra Giovanni habe nie den Pinsel in die Hand genommen, ohne vorher gebetet zu haben, und nie ein Cruzifix gemalt, ohne daß ihm die Thränen über die Wangen strömten; […]“1

Guido di Piero, so Fra Angelicos bürgerlicher Name, trat im Alter von 20 Jahren zusammen mit seinem Bruder Benedetto in das Kloster San Domenico in Fiesole ein und erhielt den Namen Fra Giovanni. Dem Predigerorden ist es wohl auch zu verdanken, dass er in der Lage war sich an theologischen Fragen zu beteiligen.

Meine Arbeit befasst sich überwiegend mit der Landschaftsdarstellung bei Fra Angelico. Im Quattrocento besinnt man sich wieder auf die Antike in der man der Darstellung von Landschaft sowie einer Nachahmung der Natur große Bedeutung schenkte. Wichtig ist jedoch, dass es sich um eine idealisierte, reglementierte Natur handelt, in die sich der Künstler als Erfinder selbst einbringt und mit dem Betrachter in einen Dialog tritt.

Die Verherrlichung von Landschaft, Pflanzen und Tieren findet im 1. Kapitel der Genesis ihre Rechtfertigung. Gott schuf Wasser und Erde, Licht und Finsternis, Tiere und Pflanzen und „sah, dass es gut war“. Und er erweckte den „Menschen ihm zu Bilde“. Die Natur ist also eine Schöpfung Gottes. Diesen Zugang fand auch Fra Angelico in seinen Bildern. Wolfgang Bader schrieb in seiner Monografie über den Künstler: „Was er gelebt hat, bracht sein Pinsel an die Wand und auf die Tafel. Seine innere Quelle hatte der Dominikaner in der Betrachtung der göttlichen Worte und Taten. Was er wie einen Schatz im Herzen trug, fand seinen Ausdruck in der Sprache, die er am besten beherrschte: in der Sprache der Bilder, der Farben, der Malerei.“2

Die Entstehung der Landschaft in der europäischen Malerei des 14. und 15. Jahrhunderts ist eines der spannendsten Themen der Kunstgeschichte. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Konstruktion des Raumes.3 Die Künstler entwickelten mehrer Lösungen, die sich jedoch im Wesentlichen in zwei Hauptrichtungen unterteilen lassen. Die erste Lösung, welche hauptsächlich in Italien angewandt wurde, bestand darin, dass der Künstler danach strebte „hinter den handelnden Gestalten so viel Raumwirkung wie irgendwie möglich zu erzeugen. Er baute dabei weiterhin auf das Bühnenmodell, bei dem der angenommene Betrachter gegenüber der Bühne geradeaus schaut.“4 Das bedeutet, dass der Horizont sehr niedrig gehalten wurde. Probleme ergaben sich, wenn der Künstler kompliziertere Handlungen darstellen wollte, denn dafür war zu wenig Platz innerhalb des Bildes. „Um dieses Problem zu lösen, malte man häufig hinter die Figuren im Vordergrund eine hoch emporragende architektonische Konstruktion, oder man ließ einen Hang ansteigen, wodurch der Betrachter sich gleichsam in derselben Ebene wie die ‚agierenden’ Personen befindet und die Landschaft dahinter wie die Bühne eines Amphitheaters aufragt.“5 Nördlich der Alpen entstand zeitgleich eine andere Möglichkeit den Bildraum zu vergrößern. Für diese Künstler war der landschaftliche Raum Ausgangspunkt der Betrachtung. Man entschied sich nicht für eine „dreidimensionale Durchbrechung der Bildfläche, sondern ging von ihrer Zweidimensionalität aus.“6 Der Erdboden wurde hochgeklappt und die Figuren neben- und übereinander dargestellt.

Meine Arbeit soll aufzeigen, wie Fra Angelico begann, sich von den trecentesken Formen zu lösen und dadurch neue Formen der Darstellung von Landschaft entwickelte. Anfang des 15. Jahrhunderts war Giotto di Bondone mit seinen Fresken in der Arenakapelle in Padua noch das Maß aller Dinge, und jeder versuchte, ihn auf seine Art und Weise zu kopieren.

Themenschwerpunkt meiner Arbeit werden demnach jene Werke Fra Angelicos sein, welche sich explizit mit Landschaft und deren Wiedergabe auseinandersetzen. Beginnend mit den frühesten Bildern soll in chronologischer Reihenfolge eine stilistische Entwicklung aufgezeigt werden. Im Zuge dessen werden des Öfteren Vergleiche mit anderen Künstlern, die zur selben Zeit tätig waren, gezogen werden, um Fra Angelicos Sonderstellung im Bereich der naturgetreuen Wiedergabe von Landschaften aufzeigen zu können.

Die große Wende in der Kunst vollzog sich mit der „Erfindung“ der Perspektive. Mit dem Architekten Filippo Brunelleschi begann die perspektivische Wiedergabe in der Malerei.

Brunelleschi stellte am Beginn des 15. Jahrhunderts Versuche an, wie man auf einer zweidimensionalen Fläche einen dreidimensionalen Raum mit der dazugehörigen Tiefe abbilden kann. Aufgrund dieser Versuche erfand er die mathematische Konstruktion des zentralperspektivischen Bildes und legte damit den Grundstein für eine mathematische Betrachtung der wahrgenommenen Welt. Diese Konstruktion ermöglichte dem Künstler den Bildraum zu organisieren. Brunelleschi ging es jedoch dabei nicht um die Richtigkeit der Darstellung, sondern vielmehr um die Harmonie und Schönheit. Damit wird durch die Zentralperspektive ein Prinzip thematisiert, das bis heute in den Wissenschaften ein wichtiges Prinzip geblieben ist. Schönheit und Stimmigkeit der Theorien.

Masaccio wandte im Jahr 1425 diese Theorie Brunelleschis in seinem Fresko mit der Darstellung des Zinsgroschens in der Brancacci Kapelle in der Kirche Santa Maria del Carmine in Florenz an. Das Fresko gilt bis heute als ein frühes Beispiel einer einheitlich angewandten Zentralperspektive.

Die kunstgeschichtliche Forschung befasst sich mit dem Thema der Landschaftsdarstellung in der Kunst nur sporadisch, es gibt nur wenig Literatur, die sich explizit mit Landschaftsmalerei in der ersten Hälfte des Quattrocento befasst.

Zu den frühesten Arbeiten zum Thema Landschaftsdarstellung in der Florentiner Kunst des 15. Jahrhunderts gehört Wolfgang Kallabs Analyse über „Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung“.7 In diesem Artikel befasst sich der Autor mit der spätantiken bis zur neuzeitlichen Landschaftsmalerei. Besonderes Augenmerk legt er dabei auf die in der Landschaftsmalerei vertretenen Formen und Typen. Kallab fand heraus, dass der Grundtyp der toskanischen Landschaftsgestaltung, die Felslandschaft, von der Antike herkommt und dort zuerst entwickelt wurde. Die byzantinische Malerei griff in der Folge diese Felslandschaft auf und vermittelte sie an das Abendland weiter. Die Grundgestaltung dieses Felsschemas besteht aus scharfkantig abgetreppten Blöcken mit schrägen, hellen Oberflächen und dunklen Schattenwänden, die von vertikalen Schroffen durchzogen sind. Dieses Felsschema wurde bis in das Florentiner Quattrocento überliefert und von den Künstlern der beginnenden Renaissance weitestgehend modifiziert.

Auch der Autor Johannes Guthmann anerkannte in seiner Abhandlung über „Die toskanische Landschaftsmalerei von Giotto bis Raffael“ die Bedeutung der byzantinischen Felslandschaft für die Florentiner Maler des 15. Jahrhunderts.8 Bei den Betrachtungen Wolfgang Kallabs und Johannes Guthmanns kommt jedoch die Differenzierung einzelner Vegetationsformen und die Untersuchung ihrer traditionellen Entwicklungslinien zu knapp.

Neben den Betrachtungen zu den Landschaftsformen der Florentiner Landschaftsdarstellungen im 15. Jahrhundert ist die Literatur besonders auf die Raumdarstellung eingegangen.

Wolfgang Kallab und Johannes Guthmann beschäftigen sich unter anderen am Beispiel Masaccios mit den Darstellungsqualitäten, die anhand der Perspektive für die Landschaftsdarstellung möglich werden.

Vor allem in der jüngeren Literatur, und hier im Speziellen bei Matthias Eberle9, steht bei der Betrachtung der Landschaftsdarstellungen der ersten Hälfte des Quattrocento die perspektivische Sicht der Wirklichkeit im Vordergrund.

Tatsache ist, dass in den vorliegenden Publikationen die künstlerischen Mittel, die zu einer Raumdarstellung in der Malerei führten sehr sporadisch behandelt worden.

Eine weitere Fragestellung, die in der Literatur zu wenig besprochen wird, gilt der Entwicklung der illusionistischen Darstellungsweise innerhalb der Landschaftsgestaltung. In den bereits erwähnten Publikationen werden einzelne Darstellungsprinzipien zwar erwähnt, werden aber nicht näher hinterfragt.

Abgesehen von den wenigen Abhandlungen über die Landschaftsdarstellung der Frührenaissance wird auch Fra Angelico in der Literatur nur vereinzelt behandelt. Nur wenige Monographien wurden bis heute über diesen Ausnahmekünstler der beginnenden Renaissance verfasst.

Giulio Carlo Argan war einer der Ersten, die sich mit der Kunst Fra Angelicos vertraut machte und ihm eine „biographisch-kritische Studie“ widmete.10 Er stützt sich in seiner Monographie über den Künstler auf die Viten Vasaris und bietet eine Analyse der wichtigsten Werke Fra Angelicos an, die jedoch noch sehr kurz ausfallen und zum Teil aus heutiger Sicht in Bezug auf Datierungen falsch erscheinen. Dieses Problem der unterschiedlichen Datierung von Werken Fra Angelicos begegnet dem Leser in fast jedem Buch über Fra Angelico.

Ein Standardwerk in der Fra Angelico Forschung ist eine Monographie von John Pope-Hennessy.11 Er liefert einen detaillierten Überblick über Fra Angelicos Leben und dessen Werke. Eine inhaltliche vergleichbare Monographie wurde von Kunibert Bering verfasst.12 Auch er behandelt die wichtigsten Werke Fra Angelicos, versucht jedoch, sie mit anderen Werken zu vergleichen und geht auch auf die Frage der illusionistischen Wiedergabe ein.

Ein Standardwerk in der San Marco Forschung ist ein Buch von William Hood, das sich ausschließlich mit den Fresken des Klosters in Florenz auseinandersetzt.13 Vor dieser Publikation wurden die Fresken des Klosters in der Literatur weitestgehend ignoriert. Hood analysiert in seinem Buch die damals neu restaurierten Fresken basierend auf dem Hintergrund der beginnenden Renaissance. Er veranschaulicht überdies auch Fra Angelicos Einsatz von Farbe und die Technik des Künstlers. Die Publikation ist eine wertvolle Studie über den Dominikanerorden und seine Lehren, sowie über die Künstler der damaligen Zeit.

Zwei Jahre nach William Hoods Publikation befasste sich Georges Didi-Huberman ebenfalls mit den Fresken des Klosters San Marco in Florenz.14 Seinen eigenen Worten gemäß ist das Buch die Folge einer Überraschung, und zwar „derjenigen, eines Tages in einem Gang des Klosters von S. Marco in Florenz zwei oder drei erstaunliche, im Quattrocento gemalte Dinge vorgefunden zu haben.“15 Diese „zwei oder drei Dinge“, denen der Autor begegnet war und die bisher keinem Historiker aufgefallen seien, könnten auf den ersten Blick in der Tat nur als nebensächliche Einzelheiten erscheinen. Die Entdeckungen Didi-Hubermans werden in meiner Arbeit näher analysiert und zum Teil auch weitergeführt werden.

Wenige Jahre nach Didi-Hubermans Publikation über das Kloster San Marco, stellte John T. Spike in seiner Monographie über Fra Angelico neue Datierungsvorschläge vor und gab das gesamte Werk Fra Angelicos in einer neuen chronologischer Reihenfolge wieder.16 Mit dem Werkkatalog, der sich im Anhang befindet und alle Werke des Künstlers abbildet und einzeln kommentiert, stellt John T. Spike erstmals eine Gesamtübersicht über Fra Angelicos Oeuvre dar, die aufzeigt, welchen Stellenwert der Künstler in der Frührenaissance gehabt haben musste.

Das Problem, welches sich im Zuge meiner Recherchen ergab, ist, dass sich nur wenige Autoren explizit mit Landschaftsdarstellungen bei Fra Angelico auseinandersetzen. Meist wird nur in wenigen Sätzen auf diese Thematik eingegangen. Konträr verhält sich diese Tatsache in Bezug auf Aufsätze über den Künstler. Hier wird vermehrt auf Landschaftsdarstellungen eingegangen. Hervorzuheben sind vor allem der Aufsatz von Anneke de Vries17 über den Altar von Fiesole, sowie ein Aufsatz über Fra Angelico als Erzähler von Ulrich Christoffel.18 Eine sehr interessante Studie über die Fresken von San Marco verfasste Magnolia Scudieri.19

Es erscheint mir darüber hinaus wichtig, Bezüge zur niederländischen Malerei zu ziehen um aufzuzeigen, wie die flämische Malerei Landschaft darstellte. Deswegen werden einige Werke Fra Angelicos mit den niederländischen Künstlern verglichen. Vor allem die Stundenbücher, die Anfang des 15. Jahrhunderts entstanden, zeigen ein hohes Maß an Naturalismus. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Publikationen von Otto Pächt20, Eberhard König21 und Raymond Cazelles22 von großer Bedeutung. Alle drei Bücher geben einen Einblick in die niederländische Malerei. Eine explizite Auseinandersetzung mit den Stundenbüchern des Duc de Berry sowie den Brüdern Limburg findet sich in dem Ausstellungskatalog von Rob Dückers.23

Ziel der Arbeit soll es sein, Fra Angelicos Zugang zur Landschaft und deren Wiedergabe in der Malerei zu skizzieren. Dabei werden die Werke des Künstlers einer Analyse unterzogen, die sich vor allem damit auseinander setzen wird, wie sich Fra Angelico im Laufe seiner Karriere als Künstler weiterentwickelte. Dabei werden immer wieder Bezüge zu Zeitgenossen Fra Angelicos sowie zum Trecento und zur niederländischen Malerei gemacht werden, die Unterschiede oder auch Ähnlichkeiten aufzeigen sollen.

2. Die Darstellung der Verkündigung bei Fra Angelico

Die Verkündigung an Maria war in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein sehr beliebtes Thema der Florentiner Maler. Auch in Fra Angelicos Oeuvre begegnet man sehr oft Verkündigungsdarstellungen. Zu den Frühwerken des Meisters zählen die beiden Verkündigungsaltäre von Fiesole und Cortona.

Wesentlichen Einfluss auf Fra Angelicos Frühwerke übte der Maler Masolino aus. Dieser stellte um 1429 zwei Gemälde mit Verkündigungsdarstellungen fertig, welche von Fra Angelico in seinen beiden Verkündigungsaltären rezipiert wurden.

Beide Verkündigungen Masolinos befinden sich heute in der National Gallery of Art in Washington. Jene Verkündigung, welche für die Kirche San Niccoló oltrarno in Florenz (Abb. 1) ausgeführt wurde, gilt als Hauptwerk Masolinos. Er wendet darin „alle ihm zur Verfügung stehenden perspektivischen Mittel an, um den Betrachter unmittelbar in den Raum, der Maria umgibt, einzubeziehen.“24

In der Datierung der beiden Altäre sind sich die Kunsthistoriker bis heute uneinig. Die ältere Literatur geht davon aus, dass der Altar von Cortona (Abb. 2) später entstanden sein muss als der Altar von Fiesole (Abb. 3). Kunibert Bering zum Beispiel datierte die Cortona Verkündigung auf 1432-34, den Altar von Fiesole hingegen auf 1430-31.25 Der Autor erklärt dies zum Beispiel damit, dass die Heimsuchungsdarstellung in der Predella des Altares von Fiesole wahrscheinlich noch auf Masaccio und Masolino zurückgreift, in der Darstellung derselben Thematik im Altar von Cortona scheint Fra Angelico jedoch schon seinen eigenen Stil gefunden zu haben.26

Die jüngere Literatur sieht dies jedoch anders. John T. Spike zum Beispiel vertritt die Meinung, dass aufgrund der schwachen Farbgebung und der wenig individuellen Gesichtstypen in den Hauptbildern der Verkündigung, die in Fra Angelicos Gemälden hauptsächlich in der Zeit zwischen 1429 und 1433 zu finden sind, eindeutig Cortona früher zu datieren ist als Fiesole. Man „spürt [bei der Cortona Verkündigung, Anm. d. Verf.] Fra Angelicos Unerfahrenheit mit den neuen Entwicklungen der Perspektive“. Es wirke alles viel einfacher als im Altarbild von Fiesole.27 Demzufolge datierte er den früheren Altar von Cortona auf 1430-31 und jenen von Fiesole auf 1433-34.

Beide Altäre zeigen im Hauptbild eine Darstellung der Verkündigung die sich laut Spike sehr an Fra Angelicos Vorbild Masolino da Panicale anlehnt.28 Dafür spricht, dass sich Fra Angelico vor allem in seiner ersten Verkündigungsdarstellung noch sehr an Masolinos Gestaltungsprinzipien orientiert und architektonische Bildelemente übernimmt.

Am auffälligsten ist der Vergleich mit dem Fresko der Heilung des Lahmen und Auferweckung der Tabitha (Abb. 4), welches Masolino für die Brancacci- Kapelle in Florenz schuf. Die Szene spielt auf einer Straße die zu einem Platz im Hintergrund des Freskos führt.29 Im Vergleich zur Verkündigung Fra Angelicos sieht man, dass der Künstler wiederum architektonische Elemente, respektive die nach hinten fluchtenden Loggiaarchitektur im linken Vordergrund, zu übernehmen scheint.

Fra Angelico löst sich jedoch sehr bald von seinem Vorbild Masolino. Im Folgenden sollen nun, nach einer kurzen allgemeinen Erläuterung, in chronologischer Reihenfolge ausgewählte Verkündigungsdarstellungen näher betrachtet werden.

2.1. Die Darstellung der Verkündigung im Quattrocento

Die Wiedergabe der Verkündigung an Maria gehört seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts zu den beliebtesten und häufigsten Darstellungen in der Kunst. Für die bildliche Darstellung war nicht nur die im Evangelium des Lukas erwähnte Verkündigung an Maria von Bedeutung, auch das Protoevangelium des Jacobus, welches zu den apokryphen Texten zählt, war wegen seiner Schilderungen der Verkündigung, für die Künstler des Spätmittelalters und der beginnenden Renaissance wichtig.30

Das Evangelium des Lukas, 1, 26-38:

„Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.“

Die zweite Quelle ist das Protoevangelium des Jakobus. Es ist eine bildhafte, lebendige Beschreibung der Verkündigung an Maria, die vor allem zwei Geschehnisse beinhaltet - das Spinnen am Tempelvorhang und die Begebenheit am Brunnen:

„Es wurde aber eine Beratung der Priester gehalten. Sie sprachen: ‚Lasset uns einen Vorhand machen für den Tempel des Herren.’ Der Priester sagte: ‚Rufet mir unbefleckte Jungfrauen aus dem Stamme Davids.’ […] Man führte sie alle in den Tempel des Herren; und der Priester sagte: ‚Loset als, wer das Hyazinthblaue und das Scharlachrote und den echten Purpur spinnen soll!’ Maria erloste den echten Purpur und das Scharlachrote, und sie nahm es und ging in ihr Haus. […] Maria aber nahm das Scharlachrote und spann. Und sie nahm den Krug und ging hinaus, um Wasser zu schöpfen. Siehe da ertönte eine Stimme: ‚Freue dich, Begnadete, der Herr ist mit dir, du Gesegnete unter den Frauen.’ Sie blickte umher nach rechts und nach links woher die Stimme komme, und zitternd ging sie in ihr Haus. Sie stellte den Krug hin, nahm den Purpur, ließ sich auf ihrem Sitz nieder und spann ihn. […]“31

Aufgrund der bildhaften Erzählung im Protoevengelium des Jakobus wird in der Malerei sehr oft Bezug darauf genommen. Die Erzählung des Lukasevangeliums ließ jedoch wenige Anregungen für die bildliche Wiedergabe zu.

Doch bei der Frage wo das Geschehen stattfindet, gibt es in beiden Evangelien keine näheren Auskünfte, nur einen Anhaltspunkt im Lukasevangelium, „dass der Engel von Gott nach Galiläa in eine Stadt namens Nazareth zu einer Jungfrau gesandt wurde.“32

Frühe Darstellungen der Verkündigung fanden in einem „neutralen“ Raum statt. Nichts soll die Verkündigung der heiligen Botschaft stören. Erst nach und nach kamen Attribute hinzu. Der Engel erhielt als Überbringer der Botschaft die Lilie als Symbol für die reine, jungfräuliche Liebe. Maria wurde gelegentlich als Königin dargestellt. Ihr Diadem war Sinnbild der göttlichen Auserwähltheit. Diese Attribute waren aber immer Ausdruck einer heiligen Handlung beziehungsweise eines heiligen Vorgangs.33 Erst im ausgehenden Trecento wurde die Verkündigung in einem „realen“ Raum dargestellt. Für die Künstler des beginnenden Quattrocento gewann die Wiedergabe von Architektur und Landschaft immer mehr an Bedeutung.

2.2. Die Verkündigung von Cortona

Schauplatz der Verkündigung (Abb. 2) ist eine zweiseitig geöffnete Loggia, Maria und der Engel Gabriel werden durch eine Säule getrennt. Der Engel, der gerade im Begriff ist, sich vor Maria niederzuknien, verbindet zwei Szenen miteinander, die Verkündigung und die Vertreibung aus dem Paradies. Diese wird im linken, oberen Teil auf einer Art Anhöhe gezeigt. Zwischen diesen beiden Szenen befindet sich ein Garten, ein Zaun scheint die beiden Schauplätze voneinander zu trennen. Die Verkündigung und die Vertreibung stehen in einem engen Bezug zueinander. Die Folgen des Sündenfalls werden durch die Fleischwerdung Christi wieder aufgehoben.34 Hinter der Loggia, direkt am Zaun, steht eine Palme. Symbolisch gesehen steht die Palme für „den Gerechten“, basierend auf den Psalm 92,12 „Der Gerechte wird grünen wie ein Palmenbaum“. Die Palme kann aber auch auf das Paradies hinweisen. In der Verkündigung Fra Angelicos hat die Palme beide Funktionen. Zum einen weist sie auf den Gerechten (Christus) hin, zum anderen auf das Paradies.

Farben spielen in der Verkündigung Fra Angelicos eine große Rolle, vor allem die Farbe Rot. In dem Altargemälde findet man diese Farbe im Eingang zum Paradies, den Blumen im Garten, in der Kleidung Marias, sowie in den im Nebenraum der Loggia hängenden Vorhang. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit der purpurfarbene Vorhang, den Maria gesponnen hat, somit entsteht hier wieder ein Bezug zum Protoevangelium. Auch der Umschlag des Buches, welches bei Maria auf dem Schoß liegt, ist rot. Ein Interpretationsansatz wäre, dass die Erbsünde, die durch die Vertreibung aus dem Paradies entstand und die Menschen von Gott trennte, durch die Verkündigung an Maria, die wiederum durch das „Los“ auserwählt wurde einen purpurnen Vorhang zu spinnen, aufgehoben wird.

Fra Angelico ging es in der Cortona Verkündigung nicht so sehr um die mathematische Konstruktion von Architektur und Landschaft, sondern um eine symbolische Darstellung der Aufhebung der Erbsünde durch die Verkündigung der Geburt Christi.

2.3. Die Prado Verkündigung

Ähnlich gestaltet sich der Bildaufbau der Prado Verkündigung (Abb. 3). Im Gemälde sieht man rechts wiederum eine Loggia, mit Verkündigungsszene, links die Vertreibung aus dem Paradies. Diesmal gibt es aber keine Trennung zwischen den beiden Szenen. Adam und Eva schreiten im linken Bildrand aus dem Paradies und gleichsam aus der Altartafel, über ihnen ein Engel und die Hand Gottes, die den beiden Vertriebenen den Weg weisen. Das Paradies wird als blühender Garten mit Gräsern, Pflanzen, Bäumen und Früchten dargestellt. Vor dem Paar liegen drei Äpfel als Symbol für die Erbsünde und der Versuchung, hinter ihnen eine Palme als Hinweis auf das Paradies.

Der Strahl, der von der Hand Gottes ausgeht, bildet eine Bilddiagonale. Der Heilige Geist, symbolisch dargestellt durch eine Taube, wird durch diesen Strahl von der Hand Gottes zu Maria geleitet. Diese sitzt wiederum in demütiger Geste mit aufgeschlagener Bibel auf einem Thron.35

Die Prado Verkündigung ist nicht mehr nur symbolhafte Darstellung. In diesem Altargemälde geht Fra Angelico weiter. Durch noch intensivere Farbgebung wirkt die Natur viel ausdrucksvoller als in der Cortona Verkündung. Der Einsatz von Licht und architektonischen Elementen gewinnt immer mehr an Bedeutung. Die Darstellung des Paradieses gilt als eine der schönsten Naturnachahmungen Fra Angelicos.

Die stilistische Weiterentwicklung des Künstlers ist deutlich erkennbar. Im Gegensatz zur Cortona Verkündigung setzt Fra Angelico in der Prado Verkündigung auf helle, leuchtende Farben. Eine weitere Neuerung ist die Einfügung einer Lichtquelle. Die von Strahlen umgebene Hand Gottes beleuchtet die Szene.

Es zeigt sich, dass sich der Künstler immer mehr dem Stil der Frührenaissance zuwendet.36 Der Einsatz von Licht (beziehungsweise einer Lichtquelle) und die Naturnachahmung werden dem Künstler immer wichtiger.

2.4. Die Verkündigung im Klostergang von San Marco in Florenz

Das wohl bekannteste Fresko Fra Angelicos befindet sich auf der Innenwand des Nordkorridors des Klosters San Marco. Es entstand um 1440 (Abb. 5).

Auf den ersten Blick erkennt man, dass Fra Angelico dem Thema mit einer neuen Darstellungsweise näherte. Maria sitzt wiederum in einer Art Loggia oder Säulenhalle, diesmal aber nicht auf einem Thron, sondern auf einem einfachen Holzsessel. Der Künstler verzichtet auf jegliche Symbolik, einzig die Darstellung der tiefen Gläubigkeit beider Personen ist von Bedeutung. Keine Taube, keine Attribute des Engels und kein Redegestus sollen diese Szene „stören“.

Die dargestellte Loggia ist nach den Prinzipien Brunelleschis in der Zentralperspektive dargestellt. Verkürzungen und Untersichten der Architekturteile sind überall erkennbar. Maria und der Engel befinden sich nicht mehr auf einer Ebene, sondern erstmals in einer Raumdiagonale.

Den einzigen Kontrast, den es in diesem Bild gibt, ist jener zwischen der Loggia, die sehr hell und spartanisch dargestellt wird und der Landschaft, die Fra Angelico in einem sehr dunkeln Grünton wiedergibt, auf der linken Seite des Bildes. Der Zaun, der in der Cortona Verkündigung noch sehr zierlich war, ist nun ein massiver Holzzaun, der die Verkündigung von der restlichen Welt abzugrenzen scheint. Die andächtig stimmende Szene im Vordergrund steht im Kontrast zu dem Garten, der sich hinter dem mächtigen Zaun befindet und als Grenze dient. Vor dem Zaun ist eine Wiese erkennbar, die gepflegt anmutet. Der Garten hinter dem Zaun jedoch ist verwildert und ungepflegt. Dies kann als Verweis auf den hortus conclusus angesehen werden. Außerhalb des Gartenzaunes erscheint das Unnahbare. Der dargestellte Wald war für Fra Angelicos Zeitgenossen ein dunkler und furchtbarer Ort, den sie nur gelegentlich aufsuchten.37 Der Garten innerhalb des Zaunes ist der hortus conclusus. Hier blühen Maiglöckchen und viele andere Blumen als Symbol für Marias Jungfräulichkeit und Unschuld.

Das Fresko trägt folgende Inschrift:

„VIRGINIS INTACTE CUM VENERIS ANTE FIGURAM PRETEREUNDO CAVE NE SILEATUR AVE“38

Diese Inschrift veranschaulicht, was Fra Angelico mit seinem Fresko ausdrücken wollte. Der fromme Mensch solle für eine angemessene Zeit vor dem Fresko verweilen. Das Bild dient demnach der Andacht. Noch offensichtlicher wird diese Forderung, wenn man bedenkt, dass zu der damaligen Zeit nur Mönche des Klosters und ausgewählte Laien, die die Bibliothek besuchen durften, dieses Fresko zu Gesicht bekamen.39 Doch das Fresko ist vielmehr als nur ein Bild im Nordkorridor des Klosters, es ist der Beginn eines außerordentlichen Zyklus den nur die Mönche kannten.

3. Die Predellen des Verkündigungsaltares von Cortona

In weiterer Folge sollen nun die Predellenbilder des Verkündigungsaltares von Cortona näher beleuchtet werden, die richtungweisend für spätere Werke Fra Angelicos sind und einen Einblick in das „Frühwerk“ des Künstlers geben.

3.1. Die Heimsuchung

Bei Lukas 1,39-40 heißt es:

„Maria aber machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth.“

Kristin Vincke befasste sich in ihrer Dissertation sehr eindringlich mit der Frage der Marienikonografie.40 Sie kam zu dem Schluss, dass vor Fra Angelico die Heimsuchung (Abb. 6) von den Künstlern meist sehr einfach dargestellt wurde.

Vor allem im Trecento wurde in der Malerei auf eine Gestaltung des Hintergrundes verzichtet. Eine Ausnahme bildet die 1320-30 mit Fresken ausgeschmückte Unterkirche von San Francesco in Assisi. Hier wird erstmals von Giotto, oder einem seiner Schüler, an der Ostwand der Kirche die gebirgige Landschaft die Maria durchschreitet, dargestellt (Abb. 7).41 Der Künstler versucht, den Schilderungen des Lukasevangeliums („Maria ging eilends in das Gebirge“) zu entsprechen. Im Hintergrund der Heimsuchungsdarstellung kann man eine von Hügeln geprägte Landschaft erkennen, die vereinzelt auch Bäume beinhaltet. Dabei fällt auf, dass ein Baum größer ist als die restlichen. Der Baum befindet sich auf dem Felsen direkt über Maria und Elisabeth. Kristin Vincke sieht darin den symbolhaften Christus, sozusagen den Lebensbaum, der in Maria gepflanzt wurde.42 Symbolhaft können auch die fünf Lilien gedeutet werden, die auf dem Balkon über den Protagonisten stehen. Dies kann man einerseits als Symbol für die Jungfräulichkeit, Unschuld und Reinheit Marias, andererseits auch für Christus und seine Erlöserverheißung deuten.43 Die Darstellung der Landschaft ist typisch für das Trecento. Seit Giottos innovativen Fresken in der Arenakapelle (Padua) werden Berge als kahle Felsen im Hintergrund dargestellt die als Kulisse wirken sollen.44

Die Darstellung in Assisi blieb jedoch eine Ausnahme. Den Künstlern des Trecento war die Wiedergabe der Szene von Umarmung und Begrüßung wichtiger als die des Hintergrundes. Die getreue Wiedergabe des Lukasevangeliums war nicht von Bedeutung. Bei den meisten Darstellungen findet man jedoch einen felsartigen Boden, der wahrscheinlich die gebirgige Landschaft „ersetzen“ soll. Bis in das Spätmittelalter war die Darstellung der Umarmung und des Gespräches zwischen den beiden Protagonistinnen der gängige Bildtypus, der wenige Variationsmöglichkeiten zuließ. Teilweise wurde dem Geschehen eine Magd, oder die mit der Handlung verbundene Person des Zacharias hinzugefügt.45

1263 wurde das Fest der Heimsuchung Mariens für die Franziskaner (durch den Kirchenlehrer Johannes Fidanza, genannt Bonaventura) und erst mehr als hundert Jahre später (1389) durch Papst Urban VI. für den gesamten katholischen Geltungsbereich eingeführt, um damit die gespaltene Kirche unter den Schutz der Jungfrau zu stellen.46 Durch das abendländische Schisma, in das die Kirche gegen Ende des 14. Jahrhunderts geraten war, war eine Besinnung auf Maria als Fürbitterin und Vorbild der Kirche von großer Bedeutung.47 Ebenso sieht es Gertrud Schiller.48 Sie meint, dass die Innigkeit, mit der die beiden so unterschiedlichen Frauen sich in der Heimsuchungsszene begrüßen, und die Demut, mit der Maria Elisabeth begegnet, als Vorbild für die zwischen Rom und Avignon zerstrittene Kirche gelten.

Der auf 1430-31 datierte Verkündigungsaltar für die Kirche San Domenico in Cortona gilt als richtungweisend für die späteren Werke Fra Angelicos, vor allem wegen der Darstellungen in den Bildern in der Predella.

Das Predellenbild der Heimsuchung (Abb. 6) ist laut Bernard Berenson von eminenter Bedeutung.49 Er stellte als Erster fest, dass die Szene in eine Landschaft verlegt wird, die eine Anhöhe oberhalb des Trasimenischen Sees (von Cortona aus gesehen) mit der Ortschaft Castiglione del Lago im Hintergrund wiedergibt.50

Somit nimmt Fra Angelico Bezug auf das Lukasevangelium. Er verlegt die Szene, laut Vincke, in eine weite, gebirgige Landschaft, die als ikonographische Neuheit im Zuge der beginnenden Renaissance zu einer besonders treu dargestellten Landschafts-Vedute Umbriens wird.51

Wie in der späteren Prado-Heimsuchung verschmelzen auch hier Architektur und Landschaft, indem die Bergrücken die Linien des Hauses im Vordergrund fortsetzen. Doch der Künstler geht in diesem Bild noch weiter. Nicht nur die äußerst weitläufige Landschaft kann als Neuheit angesehen werden, auch der Betrachterstandpunkt ist ein Novum. Der Betrachter steht auf einer Anhöhe und sieht hinunter zum See und der Ortschaft im Hintergrund. Dieser Blickwinkel ermöglicht es ihm, einen wesentlich größeren Tiefenraum darzustellen.52 Der Tiefenraum wird zusätzlich noch durch das von links einfallende Licht verstärkt. Der Schatten im Mittelgrund bildet sozusagen einen Kontrast zu den Personen im Vordergrund. Durch die dunkle Farbe werden die Protagonisten (vor allem die Magd, die gerade den Berg erklimmt) noch effizienter zur Wirkung gebracht.

Durch das Zusammenspiel von Licht, Architektur und Landschaft wird eine systematische Einheit erzeugt. Seit Filippo Brunelleschis Entwicklung der Zentralperspektive wird auch der Landschaftsdarstellung erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt. Der italienische Architekt und Schüler Brunelleschis Antonio Manetti forderte in seiner Vita über Brunelleschi „gute und proportionale Wiedergabe der Verkleinerungen und Vergrößerungen von entfernten und nahen Objekten, wie sie dem menschlichen Auge erscheinen“ und der Künstler habe auch „Häuser, Ebenen, Berge, Landschaften aller Art, Figuren und andere Dinge“ zu malen.53

Auch Alberti, der Brunelleschi sein Traktat über die Malkunst (Della Pittura) widmete, ging auf die Zentralperspektive ein:

„[…]Dazu folgen die Regeln: Je spitzer der Winkel im Auge ist, desto kleiner erscheint die gesehene Länge. Daraus erkennt man, aus welchem Grund eine weit entfernte Länge nicht größer als ein Punkt erscheint.[…]“54

Alberti schreibt weiters:

„[…] Denn von der Stelle, an der die Strahlen die Flächen berühren, bin hin zum Auge nehmen sie Farben und Licht der Fläche so an, dass du sie an jeder Bruchstelle stets auf die gleiche Art beleuchtet und gefärbt vorfinden würdest. Und [dennoch] lässt sich nachweisen, dass sie mit zunehmendem Abstand schwächer werden. Ich glaube, der Grund dafür liegt darin, dass sie, beladen mit Licht und Farben, die Luft durchqueren, die durch ihre Belastung mit Feuchtigkeit die beschwerten Strahlen ermüdet. Hieraus entnehmen wir die Regel: je größer die Entfernung ist, desto trüber wird die gesehene Fläche erscheinen. […]“55

Genau diese beschriebene Theorie Albertis wendet Fra Angelico in seiner Darstellung der Heimsuchung an. Je tiefer der Raum, desto trüber werden die Farben.

Giulio Argan vertritt in seiner Monographie über Fra Angelico die Meinung, dass er „ohne jeden Zweifel der Erste gewesen ist, der die Perspektive der Bauwerke auf die Landschaft übertragen hat.“ Außerdem schreibt er, dass er zu sehr Theologe war, als das er sich „dem Prinzip einer differenzierten Schöpfung im Namen einer Raumauffassung widersetzt hätte, aber auch zu kultiviert, um nicht zu erkennen, dass die neue Raumvorstellung ein wertvolles Mittel zur intellektuellen Erkenntnis der Natur sein würde.“56

Argan beschränkt sich in seiner Aussage nur auf die italienische Malerei. Es wäre jedoch angebracht gewesen, Fra Angelicos Heimsuchung mit den Heimsuchungsdarstellungen der niederländischen Malerei zu vergleichen.

Von 1405-1410 entstand das so genannte Boucicaut Stundenbuch. Die Miniatur mit der Darstellung der Heimsuchung Marias (fol. 65r) verleiht der Landschaft im Hintergrund ungeahnte Tiefe (Abb. 8).57 Vom unteren Bildrand abgerückt und daher in die Tiefe gestellt, erscheinen die Figuren und zeigen so den Willen zur Verräumlichung. Der Horizont wird aufgeklappt und im Mittelgrund Wasser eingeführt um die Illustration nicht zu flächig wirken zu lassen. Dahinter erheben sich schollenartig aufgebaute Landschaftsformationen.

[...]


1 Vasari 1550/1568, Bd. II, S.517 (Zitiert nach John T. SPIKE, Fra Angelico, Hirmer Verlag, München 1997, S.11)

2 Wolfgang BADER, Fra Angelico, Einblicke in Leben und Werk, München 2005, S. 28. (im Weiteren zitiert als Bader, 2005)

3 Eine detaillierte Analyse findet sich in dem Aufsatz von Boudewijn BAKKER, „Die Eroberung des Horizonts - Die Gebrüder Limburg und die gemalte Landschaft“ in: Rob DÜCKERS, Bakker Boudewijn, u.a., Die Brüder van Limburg, Glanzvolles Mittelalter - Die Handschriften der Gebrüder Limburg, Stuttgart 2005, S. 191-209. (im Weiteren zitiert als Boudewijn,2005)

4 Ebenda, S. 192.

5 Ebenda, S. 194.

6 Ebenda, S. 194.

7 Wolfgang KALLAB, „Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert. Ihre Entstehung und Entwicklung“, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Wien XXI 1900, S. 1-90.

8 Johannes GUTHMANN, Die toskanische Landschaftsmalerei von Giotto bis Raffael, Leipzig 1902.

9 Matthias EBERLE, Individuum und Landschaft. Zur Entstehung und Entwicklung der Landschaftsmalerei, Gießen 1980.

10 Giulio Carol ARGAN, Fra Angelico. Biographisch-kritische Studie, Skira, o.O. 1955. (im Weiteren zitiert als Argan, 1955).

11 John POPE-HENNESSY, Angelico, Firenze 1981. (im Weiteren zitiert als Pope-Hennessy, 1981)

12 Kunibert BERING, Angelico. Mittelalterlicher Mystiker oder Maler der Renaissance?, Die Blaue Erle, Essen 1984. (im Weitern zitiert als Bering, 1984).

13 William HOOD, Fra Angelico at San Marco, Yale University Press, New Haven 1993. (im Weiteren zitiert als Hood, 1993).

14 Georges DIDI-HUBERMAN, Fra Angelico. Unähnlichkeit und Figuration, Wilhelm Fink Verlag, München 1995.

15 Ebenda, S. 9.

16 John T. SPIKE, Fra Angelico, Hirmer Verlag, München 1997. (im Weiteren zitiert als Spike, 1997). 5

17 Anneke de VRIES, “A velvet revolution: Fra Angelico’s high altarpiece for San Domenico in Fiesole”, in: Yale University Press, New Haven 2005, S. 59-64.

18 Ulrich CHRISTOFFEL, „Fra Angelico als Erzähler“, in: Die Kunst und das schöne Heim 51.1953, o.O, 1953,

S. 241-244.

19 Magnolia SCUDIERI, „The frescoes by Fra Angelico at San Marco”, in: Yale University Press, New Haven 2005, S. 177-189.

20 Otto PÄCHT, Van Eyck - Die Begründer der Altniederländischen Malerei, München 1989. (im Weiteren zitiert als Pächt, 1989)

21 Eberhard KÖNIG, Die Belles Heures des Duc de Berry, Sternstunden der Buchkunst, Theiss, Stuttgart 2004. (im Weiteren zitiert als König, 2004)

22 Raymond CAZELLES, Johann Rathofer, Das Stundenbuch des Duc de Berry, Les Tres Riches Heures, Hirmer Verlag, München 1988, S. 80. (im Weiteren zitiert als Cazelles, 1988)

23 Rob DÜCKERS, Bakker Boudewijn, u.a., Die Brüder van Limburg, Glanzvolles Mittelalter - Die Handschriften der Gebrüder Limburg, Stuttgart 2005.

24 Spike, 1997 (siehe Anm. 16), S. 37f.

25 Kunibert BERING, Fra Angelico, Mittelalterlicher Mystiker oder Maler der Renaissance?, Die Blaue Erle, Essen 1984, S. 42-51 (im Weiteren zitiert als Bering, 1984)

26 Ebenda, S. 42-51

27 SPIKE, 1997 (Siehe Anm. 16), S.37

28 Ebenda, S.37

29 Eine sehr genaue Analyse findet sich bei: Werner JACOBSEN, „Die Konstruktion der Perspektive bei Masaccio und Masolino in der Brancaccikapelle“, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, Bd. 21 (1986), S. 80-86 (im Weiteren zitiert als Jacobsen, 1986).

30 Vgl. Gert DUWE, Der Wandel in der Darstellung der Verkündigung an Maria vom Trecento zum Quattrocento, Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1988, S. 19. (im Weiteren zitiert als Duwe, 1988)

31 DUWE, 1988 (Siehe Anm. 30), S. 21.

32 Ebenda, S. 39.

33 DUWE, 1988 (Siehe Anm. 30), S. 36.

34 Ebenda S. 149.

35 Das Buch hat auch einen narrativen Charakter. In Verkündigungen schlägt Maria das Buch an der Stelle auf, wo es heißt: „Siehe, eine junge Frau ist schwanger“ (Jesaias 7,14)

36 Vgl. BADER, 2005 (Siehe Anm. 2), S. 32ff.

37 Lexikon der Kunst, „Landschaft“ in: Alscher, Ludger [Hg.] , Lexikon der Kunst Bd 4, Seemann 1977. 12

38 „Wenn du vor die Figur der unberührten Jungfrau kommst, gib beim Vorbeigehen acht, dass du das Ave nicht stillschweigend übergehst“ (zitiert nach Georges Didi-Huberman, Fra Angelico, Unähnlichkeit und Figuration, Wilhelm Fink Verlag, München 1995, S. 131)

39 Vgl. SPIKE, 1997 (Siehe Anm. 16), S. 136f.

40 Kristin VINCKE, Die Heimsuchung, Marienikonografie in der italienischen Kunst bis 1600, Diss Wien 1997. (im Weiteren zitiert als „Vincke, 1997“)

41 Ebenda, S. 58.

42 Ebenda, S. 59.

43 Mirella Levi D’ANCONA, The Garden of the Renaissance, Botanical Symbolism in Italian Painting, Fierenze, 1977. S.216.

44 Eine ausführliche Besprechung der landschaftlichen Szenerien bei: F. RINTELEN, Giotto und die Giotto- Apokryphen, 2.Auflage, Basel 1923, S.19ff. bzw. A. MUELLER VON DER HAEGEN, Die Darstellungsweise Giottos mit ihren konstitutiven Momenten, Handlung, Figur und Raum im Blick auf das mittlere Werk, Braunschweig 2000.

45 Zacharias war Priester und Ehemann der Elisabeth. Der Erzengel Gabriel sagt ihm voraus, dass er einen Sohn bekäme. Da Elisabeth aber nicht mehr im Gebärfähigen Alter war, bat Zacharias den Engel um ein Zeichen. Zacharias verlor daraufhin seine Stimme, die er erst wieder bei der Taufe seines Sohnes - Johannes des Täufers

- wiedererlang. (Nach dem Lukasevangelium 1, 5-25) Die Attribute des Heiligen Zacharias sind das Priestergewand und ein Rauchfass.

46 Durch das abendländische Schisma kam es zwischen 1378-1417 zu einer zeitweiligen Spaltung innerhalb der Lateinischen Kirche, welche sich auf das gesamte Abendland wirkte. Zwei (später sogar drei) Päpste der westlichen Kirche erhoben Anspruch, das legitime Oberhaupt der katholischen Kirche zu sein. Begonnen hatte das Schisma mit der Wahl des (umstrittenen) Papstes Urban VI. im Jahr 1378. Aufgrund seines Verhaltens versagten ihm die Kardinäle den Gehorsam, erklärten seine Wahl für ungültig und wählten Clemens VII. zum Papst. Auf Grund dessen exkommunizierte Urban Clemens und die Kardinäle und gründete sein eigenes Kardinalskollegium. Clemens VII. ging daraufhin nach Avignon (Frankreich) und besiegelte damit das Schisma. 1409 kam es zu einem Treffen der Kardinäle und Bischöfe beider Seiten, das aber das Schisma nicht beenden konnte. Daraufhin wurde ein neuer (dritter) Papst gewählt - Alexander V. Das Konstanzer Konzil führte schließlich 1417 zum Rücktritt der rivalisierenden Päpste und zur Wahl Martins V., womit das Abendländische Schisma beendet wurde.

47 Walter DELIUS, Geschichte der Marienverehrung, München, 1963, S. 166ff.

48 Gertrud SCHILLER, Ikonographie der christlichen Kunst, Gütersloh, 1980, Bd 4,2, S. 201. 15

49 Bernard BERENSON, Die italienischen Maler der Renaissance, Kiepenheuer&Witsch, Köln o.J. S. 63f, 66f.(im Weiteren zitiert als Berenson)

50 Ebenda, S. 64.

51 VINCKE, 1997 (Siehe Anm. 40), S. 69

52 BERING, 1984 (Siehe Anm. 12), S. 47

53 Ebenda, S. 49

54 Leon Battista ALBERTI, Della Pittura, Über die Malkunst, Hg. von Oskar Bätschmann und Sandra Gianfreda, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2002, Seite 75. (im Weiteren zitiert als Alberti,2002)

55 Ebenda, S. 77

56 Argan, 1955 (siehe Anm. 10), S. 49.

57 Eine sehr genaue Analyse des Stundenbuches sowie der Zuschreibungsfrage: Gabriele BARZT, Der Boucicaut-Meister, ein unbekanntes Stundenbuch, Tenschert, Ramsen 1999.

Ende der Leseprobe aus 85 Seiten

Details

Titel
Die Landschaftsdarstellung bei Fra Angelico
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Kunstgeschichte Wien)
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
85
Katalognummer
V81534
ISBN (eBook)
9783638858618
ISBN (Buch)
9783638854795
Dateigröße
8122 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Landschaftsdarstellung, Angelico
Arbeit zitieren
Mag.phil. Yvonne Sitter (Autor:in), 2007, Die Landschaftsdarstellung bei Fra Angelico, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81534

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