Der Prolog als Schlüssel für die Interpretation des Werks. In ihm sind alle wichtigen Elemente für die Interpretation von Bassanis Roman "Il giardino dei Finzi-Contini" angelegt.
Der Prolog(griech. prologos = Vorrede) kommt ursprünglich aus der griechischen Tragödie. Hier erfüllt er die Funktion der Einleitungsworte an die Zuschauer entweder „zur Werbung in eigener Sache“ (Mitteilung u. Rechtfertigung seiner Absichten, Bezugnahme auf frühere Kritiken, ...) oder allgemein zur Exposition der Vorgeschichte, Nennung der Quellen u.a.. In der Epik erscheint der Prolog als einführendes Gespräch des Autors mit dem Leser erst sehr spät.
In antiken Epen und Geschichtswerken wird die Einleitung Proömium genannt – („Vorspiel, Vorrede“) mit Anrufung der Musen, Angaben zu Thema, Methode, Anlaß und Zweck, Selbstvorstellung und Captatio benevolentiae. Als Vorwort mußte im Proömium alles Wichtige über den Inhalt gesagt und zugleich das Interesse des Lesers geweckt werden. Hier mußten die "key-words" fallen. Auf den ersten Satz, den ersten Abschnitt kam es an, egal, ob in einer Rede (epideiktisch, politisch, Geschichtsrede) oder in einem schriftlichen Werk (Geschichte, philosophischer Dialog, politische Abhandlung).
Dies erhellt den vorausweisenden Charakter des Prologs und seine Bedeutung für das Verständnis des Romans. Wenn also der Erzähler von Il giardino dei Finzi-Contini seine Einleitung ausdrücklich als Prolog deklamiert, will er diesem Abschnitt oben genannte Bedeutung zuweisen. Man darf also bei der Interpretation davon ausgehen, daß sich keine der Erscheinungen des Prologs „zufällig“ dort befindet, sondern eine zentrale Bedeutung für den Gesamtroman hat. Daher ist eine weitreichende Deutung aller Phänomene in dem Vorwort nicht nur legitim, sondern notwendig.
Inhaltsverzeichnis
1. Der Romanprolog – Herkunft und Funktion
2. Gliederung des Prologs
3. Interpretation
3.1 Storia
a) Außenraum
b) Innenraum
c) Raum-Zeit als Faktoren der Historizität
3.2 Raumgestaltung
a) Außen – Innen statisch
b) Außen – Innen dynamisch: Hin- und Rückfahrt
c) Nah – Fern
d) Symbole der Trennung
3.3 Memoria
a) Namen
(1) Personen des Gesamtromans
(2) Stemma der Finzi-Contini
(3) Stemma der Familie des Ich-Erzählers
b) Memoria, Tod und Totengedenken
c) Riposo
3.4 „L‘impulso“ – der Abstieg in die Nekropole als Impuls zur Erinnerung
a) Parallelen zur Jugendzeit
b) Das Gespräch Gianninas mit ihrem Vater
c) Der Abstieg in die Nekropole
4. Auswahlbibliographie
4.1 Primärliteratur
4.2 Sekundärliteratur
1. Der Romanprolog – Herkunft und Funktion
Der Prolog (griech. prologos = Vorrede) kommt ursprünglich aus der griechischen Tragödie.[1] Hier erfüllt er die Funktion der Einleitungsworte an die Zuschauer entweder „zur Werbung in eigener Sache“ (Mitteilung u. Rechtfertigung seiner Absichten, Bezugnahme auf frühere Kritiken, ...) oder allgemein zur Exposition der Vorgeschichte, Nennung der Quellen u.a.. In der Epik erscheint der Prolog als einführendes Gespräch des Autors mit dem Leser erst sehr spät.
In antiken Epen und Geschichtswerken wird die Einleitung Proömium genannt – („Vorspiel, Vorrede“) mit Anrufung der Musen, Angaben zu Thema, Methode, Anlaß und Zweck, Selbstvorstellung und Captatio benevolentiae.[2] Als Vorwort mußte im Proömium alles Wichtige über den Inhalt gesagt und zugleich das Interesse des Lesers geweckt werden. Hier mußten die "key-words"[3] fallen. Auf den ersten Satz, den ersten Abschnitt kam es an, egal, ob in einer Rede (epideiktisch, politisch, Geschichtsrede) oder in einem schriftlichen Werk (Geschichte, philosophischer Dialog, politische Abhandlung).
[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]Dies erhellt den vorausweisenden Charakter des Prologs und seine Bedeutung für das Verständnis des Romans. Wenn also der Erzähler von Il giardino dei Finzi-Contini seine Einleitung ausdrücklich als Prolog deklamiert, will er diesem Abschnitt oben genannte Bedeutung zuweisen. Man darf also bei der Interpretation davon ausgehen, daß sich keine der Erscheinungen des Prologs „zufällig“ dort befindet, sondern eine zentrale Bedeutung für den Gesamtroman hat. Daher ist eine weitreichende Deutung aller Phänomene in dem Vorwort nicht nur legitim, sondern notwendig.
Das Besondere am Prolog eines Romans in Ich-Form ist, daß er zunächst einmal das Erzählen selbst evoziert (Ebene 0, Erzählzeitpunkt). Wie wir aber sehen werden, greift der Erzähler im Laufe des Prologs und Romans auf verschieden Geschichten (Episoden)[4] zurück, die unterschiedlich weit vom Zeitpunkt des Erzählens entfernt sind, der Ebene, zu der das epische Ich immer wieder zurückkehrt. Im Falle des Il giardino dei Finzi-Contini rahmt nun der Ich-Erzähler den Roman explizit durch einen Prolog und Epilog ein, aber nicht nur dort, sondern auch an anderen Stellen im Roman kehrt er zur Ebene des Erzählens zurück, so daß sich die Erzählebene fast wie eine Rahmenhandlung darstellt und die Terminologie Prolog und Epilog eigentlich zu suggerieren scheint, daß nur hier der Ich-Erzähler die anderen, chronologisch weiter zurückliegenden Ebenen verläßt und gleichsam an die Oberfläche, dem Dialog mit dem Leser, zurückkehrt. Diese Ebene wird nun aber von Zeit zu Zeit innerhalb des Roman, zwischen Prolog und Epilog, betreten. Es erschien mir zunächst interessant, der Frage nachzugehen, ob die Bezeichnungen Prolog und Epilog nicht irreführend sind oder ob man nicht vielmehr von einer Rahmenhandlung sprechen müßte, die die einzelnen Episoden zusammenhält. Rahmenhandlung aber bedeutet die „Einrahmung des Erzählens der Haupthandlung durch eine erzählte Figur in einer mehr oder weniger anschaulich gestal-
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Zeitebenen des Prologs
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Ebene 0: Erzählzeitpunkt
Ebene –2: Wunsch zu schreiben (da molti anni desideravo)
Ebene –4: Jugendzeit (abtitavano, frequentavano)
Ebene –1: Impuls-Erlebnis April 1957 (Nekropole)
Ebene –5: Leben der Etrusker
Ebene –3: Zweiter Weltkrieg (come i bunkers ...)
Ebene –1: Impuls-Erlebnis (Rückfahrt, Stau)
Ebene –4: Jugendzeit (anni della mia prima giovinezza, Tod Albertos )
Ebene –3: Zweiter Weltkrieg (deportati tutti in Germania)
teten Sprechsituation.“[5] Und wirft man einen Blick auf die Gestaltung der Erzählsituation, so stellt man fest, daß beim Ich-Erzähler die Erzählsituation nur durch Verben (im Prolog: „da molti anni desiderav o scrivere (1, p.3)[6] impliziert wird, nicht jedoch eine eigene Ausgestaltung erfährt, weswegen man „die alle diese Geschichten zusammenhaltende Geschichte des Ich-Erzählers nicht als eine Rahmenhandlung bezeichnen.“[7] kann. Doch gibt es sicher noch einige erzähltheoretische Fragen, die nicht nur der Prolog aufwirft, so die Frage nach der Allwissenheit des Erzählers, der Außen- und Innensicht, Anzeichen auktorialen Erzählens.[8] Die Fragestellung unserer Betrachtung konzentriert sich jedoch auf die Anlage des Prologs auf Schlüsselworte wie Raum (Garten), Storia (innere/äußere Geschichte), Figuren und Todesthematik.
2. Gliederung des Prologs
Chronologische Gliederung
A. Einleitung (1-7)
Vorhaben, über die Finzi-Contini zu schreiben
B. Erzählung (8-40)
1. Besichtigungsziel: castello medioevale (9-40)
Fahrt (8-11)
Mißglückte Schloßbesichtigung (11-26)
Unbequemer Spaziergang am Strand (27-40)
Rückfahrt und neues Ausflugsziel (41-54) ( Wende )
2. Besichtigungsziel: necropoli etrusca (55-173)
Fahrt bis Nekropole (55-114)
Dialog Giannina-Vater (67-113)
Äußerung Gianninas (114-116) (Höhepunkt 1 )
Besichtigung der Nekropole unter Vorzeichen von Gianninas Äußerung (117-167)
Besichtigung der Hauptgrabstätte (121-128)
Gedanken, die diese auslöst (128-167) (Höhepunkt 2 )
Rückfahrt nach Rom (168-173)
C. Schluss (174-196)
Gedanken, die die Stille der Rückfahrt und der Besuch auslösen
Erinnerung an Jugend, Ferrara, Friedhof ® Grab der F-C. (174-184)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3. Interpretation
Thematisch ist der Prolog zyklisch komponiert. Der Erzähler beginnt mit dem Vorhaben, über die jüdische Familie Finzi-Contini zu schreiben, und gelangt am Schluss zum Ursprungsvorhaben zurück. Erzähltechnisch ist der Prolog jedoch linear aufgebaut: am Schluß kehrt der Ich-Erzähler nicht mehr zur Meta-Ebene zurück (etwa: ... und nun will ich erzählen, wie ... ), sondern bleibt in der Ebene der Erzählung des auslösenden Moments und läßt so mit dem Stichwort Finzi-Contini quasi das erste Kapitel beginnen.
Wie die Gliederung bereits zeigt, läßt sich der Prolog auf verschiedenen Ebenen verstehen. Rein vordergründig erzählt hier der Ich-Erzähler die Geschichte, wie er zu dem Entschluß kam, seine Erlebnisse mit der jüdischen Familie niederzuschreiben. Insofern dient der Prolog als Rechtfertigung des Autors, warum er das Thema zu behandeln beabsichtigt. Doch hinter dieser Begründung oder in diese hinein verflochten finden sich Schlüsselbegriffe, die für den ganzen Roman von Bedeutung sind. In der Beschreibung eines Impuls-Erlebnisses entwickelt der Autor ein ganzes Konzept der Geschichtsbetrachtung (storia), des Impulses zum Schreiben, des Gedenkens an die Verstorbenen (memoria als genuin jüdische Tradition), des Raumes und weiterer grundlegender Aspekte, die für das Verständnis des ganzen Werks eine zentrale Rolle spielen.
All dies wird aber so in eine Erzählung eingekleidet, die in der Ebene der Erzählung endet, ohne zur Meta-Ebene zurückzukehren, daß der Leser sanft in die Geschichte des Romans begleitet wird und erst wieder im Epilog „erwacht“, weil der Autor ihn auf die Erzählebene zurückholt: „La mia storia con Micòl Finzi-Contini termina qui.“ (240).[9] Von den Schlüsselbegriffen sollen zwei ausführlicher betrachtet, die übrigen nur kurz behandelt werden.
3.1 Storia
Die historische Dimension des Romans zerfällt in einen „Außen“- und einen „Innenraum“. Der erste der beiden Begriffe beschreibt die äußere, empirische Geschichte, die in dem Erzählten hervortritt (Faschismus, Rassengesetzgebung); Innenraum meint die Ereignisse, die sich innerhalb der Familie der Finzi-Contini und der übrigen Romanfiguren abspielt.
a) Außenraum
Durch Äußerungen wie „prima che scoppiasse l’ultima guerra“ (5, p.3) und „come i bunkers di cui i soldati tedeschi hanno sparso invano l’Europa durante quest’ultima guerra“ (142, p.7) wird die äußere Geschichte bereits zu Beginn des Prologs thematisiert. Damit weist der Ich-Erzähler schon hier auf die historische Dimension seiner Erzählung hin. Der Vergleich (come) der etruskischen Gräber mit den deutschen Bunkern des zweiten Weltkriegs lädt dazu ein, die Geschichte der Etrusker („ i tardi Etruschi di Cerveteri, gli etruschi dei tempi posteriori alla conquista romana“ 130ff., p.6; „Il mondo non era più quello d’una volta, quando l’Etruria, con la sua confederazione di libere città-stato aristocratiche, dominava quasi per intero la penisola italica. Nuove civiltà, più rozze e popolari, ma anche più forti e agguerrite, tenevano ormai il campo.“, 19ff., p.7) mit der neueren Geschichte zu vergleichen und als Metapher für die tiefgreifenden Entwicklungen unter dem deutschen Nationalsozialismus bzw. dem italienischen Faschismus zu verstehen. Es fand eine vollständige Umwälzung der politischen Verhältnisse statt, und so läßt sich der den damaligen etruskischen Grabbesuchern unterstellte Gedanke „tutto, sì, stava cambiando“ (145, p.7) auch auf die Ereignisse des zweiten Weltkriegs beziehen. Das Bild der tief eingegrabenen parallelen Radspuren der antiken Wagen („le ruote ferrate dei trasporti avevano inciso a poco a poco, durante i secoli, due profondi solchi paralleli“ 148f., p.7) scheint diesen Gedanken der Parallelität zu unterstützen. Schon jetzt weiß der Leser, daß der Erzähler nicht nur fiktive Handlung darstellen will, sondern sich in seiner Erzählung auf Daten der empirischen Geschichte bezieht.
b) Innenraum
Der Außenraum wird mit der Nennung der historischen Fakten am Anfang und am Ende des Prologs („deportati in Germania nell’autunno del’43“, 194, p.8) fest umrissen. Durch diese letzte Nennung geschieht aber auch etwas Neues: die Geschichte bleibt nicht nur Außenraum. Denn wer da im Herbst '43 nach Deutschland deportiert wird, sind die Familienangehörigen der Finzi-Contini, die angekündigten Protagonisten („desideravo scrivere dei Finzi-Contini“, 1, p.3) des Romans, die hier der Reihe nach mit Namen genannt werden und womit er die äußere Geschichte in die Sphäre des Privaten, Persönlichen münden und in ihr verschmelzen läßt. Dadurch offenbart der Prolog die doppelte geschichtliche Dimension des Außen- und Innenraums und deren Verflechtung miteinander als Kennzeichen der Erzählung.
[...]
[1] Wilpert, G. von, Sachwörterbuch der Literatur, 7. verb. u. erw. Ausg. . Stuttgart 1989, s.v. Prolog.
[2] Wilpert, op.cit., s.v. Proömium.
[3] Earl, The Prologue-Form in Ancient Historiography. ANRW I,3, 1973:865.
[4] J. Schutte, Einführung in die Literaturinterpretation, 4. aktual. Aufl. Stuttgart, Weimar 1997:126.
[5] J. Schutte, Einführung in die Literaturinterpretation, 4. aktual. Aufl. Stuttgart, Weimar 1997:126.
[6] Stellenangaben in Klammern weisen an der ersten Stelle auf die Zeile, dahinter durch „p.“ gekennzeichnet auf die entsprechende Seite hin, der das Zitat entnommen ist. Die Textausgabe, die dieser Betrachtung zugrunde liegt, ist Giorgio Bassani, Il giardino dei Finzi-Contini, Mondadori ed. Oscar classici moderni. o.O. 1999.
[7] J. Schutte, Einführung in die Literaturinterpretation, 4. aktual. Aufl. Stuttgart, Weimar 1997:126.
[8] Dies läßt sich aus Erklärungen schließen, die ausschließlich an den Leser gerichtet sind (im Prolog: „fantasticavo“, 137, p.6) sowie deiktische Partikel (im Prolog: „quest‘ultima guerra“, 143, p.7), die auf „kulturelle Sachverhalte“ hinweisen und „immer ein Vorauswissen der Kommunikationsteilnehmer unterstellt“ (Otto Lorenz, Kleines Lexikon literarischer Grundbegriffe, München 1992, s.v.).
[9] Einfache Zahlen in Klammern (o. Zusatz) verweisen auf die jeweilige Seitenzahl in der genannten Ausgabe.
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