Rembrandts "Judenbraut" - Bewegung der Gefühle im Helldunkel


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

22 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Helldunkel als Gestaltungsmittel in der neuzeitlichen Malerei

3. „Isaak und Rebekka“
3.1 Bildbeschreibung
3.2 Probleme einer ikonographischen Zuordnung
3.3 Die Bewegung der Gefühle im Helldunkel
3.3.1 Helldunkel und Zeitlichkeit
3.3.2 Helldunkel und Räumlichkeit

4. Schlusswort

5. Literaturverzeichnis

6. Abbildungen

1. Einleitung

Kunstgeschichtliche Publikationen unterschiedlicher Provenienz erkennen in dem von Rembrandt (1606-1669) um 1666 geschaffenen Gemälde „Die Judenbraut“ ein Beleg für seine ausserordentliche Meisterschaft in der Darstellung feinster Nuancen menschlicher Beziehungen. Rembrandt beschwöre mit visuellen Mitteln die „innige Liebesbeziehung“[1] Isaaks und Rebekkas und veranschauliche auf eine herausragende Weise die „liebevolle Zuneigung“[2], welche Braut und Bräutigam einander entgegen bringen. Dieser Eindruck, darin sind sich die besagten Autoren einig, beruhe massgeblich auf der ebenso einfühlsamen wie präzisen Erfassung der „Gebärden, Haltungen und Körpersprachen“[3], welche gemeinhin mit Liebespaaren assoziiert werden. Diese Einsichten grundsätzlich teilend, möchte ich im Folgenden mein Augenmerk auf ein maltechnisches Mittel lenken, welches die Liebe zwischen Isaak und Rebekka ebenfalls eindringlich suggeriert und in seiner anschaulichen Wirkung durchaus unabhängig ist von den ikonographischen Motiven. Es soll dargelegt werden, wie Rembrandt sich des Helldunkels bedient, um die Lebendigkeit und seelische Verbundenheit des biblischen Paares auszudrücken. Dieser Gedanke gründet auf der Annahme, dass Licht, Dunkel und Farbe nicht bloss der „allgemeinen Sichtbarmachung des Gegenständlichen“[4] dienen, sondern über ihre reine Darstellungsfunktion hinaus als geistig-seelische Aspekte dem Betrachter etwas mitzuteilen haben.

Am Anfang meiner Arbeit stand die Beobachtung, dass in den Gemälden von Caravaggio oftmals eine zugespitzte Hervorhebung des Augenblickes deutlich wird, wogegen bei Rembrandt in der Regel der Eindruck einer stärker ausgedehnten Zeitdimension entsteht, was ungewöhnlich anmutet angesichts der Tatsache, dass die Malerei faktisch immer nur bestimmte Zustände vermitteln kann. Womöglich scheint der Betrachter unbewusst in Rembrandts Gemälden nach einer Zeitdimension zu suchen, die sich nicht allein im Anekdotischen erschöpft, sondern auch als eine geistig-seelische Zeit fühlbar wird. In der „Judenbraut“ kommt es mit dem Helldunkel zu einer Zeitspekulation, welche als Vorwegnahme der zeitlich gerichteten Gefühle von Isaak und Rebekka gedeutet werden kann.

Zunächst soll im 2. Kapitel als Grundlage für diese Überlegung gezeigt werden, wie über die Entwicklung des Helldunkels die Ausdrucksfähigkeit der Malkunst gegenüber der hochmittelalterlichen Malerei sich ganz grundsätzlich erweitert hat, was Rembrandt schliesslich das bildnerische Mittel in die Hand gab, seelische und psychologische Zustände auf ungewohnte und neue Weise zu thematisieren. Der anschliessenden kurzen Bildbeschreibung folgen im dritten Kapitel einige Gedanken zu den Möglichkeiten und Grenzen einer ikonographischen Lesart. Im Anschluss daran, widme ich mich eingehender der formalen Bestimmung des Helldunkels. Geknüpft an diese Erklärungen ist die mit dem Helldunkel verbundene Erfahrung von Zeit und Raum als das Liebesmotiv akzentuierende Gestaltungselemente. Ich will veranschaulichen, inwieweit die Beziehung von Isaak und Rebekka auch über die Elemente von Raum und Zeit Gestalt annimmt.

Als Material zu diesen Überlegungen dienten mir vorwiegend die „Koloritgeschichtlichen Untersuchungen zur Malerei seit Giotto“[5] von Ernst Strauss, sowie Lorenz Dittmanns Abhandlung der „Farbegestaltung und Farbtheorie in der abendländischen Malerei“[6] und Kaspar Spinners Aufsatz „Helldunkel und Zeitlichkeit“[7]. Ebenso wichtig waren verschiedene Essays von Georg Simmel und seine bekannte Schrift „Rembrandt. Ein kunstphilosophischer Versuch“[8].

2. Das Helldunkel als Gestaltungsmittel in der neuzeitlichen Malerei

Das Helldunkel ist ein künstlerisches Gestaltungselement, worin sich Licht, Dunkelheit und Farbe zu einer spannungsvollen Einheit versammeln. Das Licht spielte in der Geschichte der Malerei schon immer eine herausragende Rolle. Zuerst natürlich als mehr oder weniger intensives physikalisches Licht, das die Farben und Formen der Bildwelt, vermittelt über die spezifischen Absorptions- und Reflexionseigenschaften der Farbpigmente, auf der Leinwand überhaupt erst sichtbar macht. Darüber hinaus spielte das quantitative und qualitative Einbeziehen des natürlichen Lichtes, als ein gleichsam technisches Mittel zur Beleuchtung der Leinwand, eine tragende Rolle für die Farb- und Lichtgestalt der mittelalterlichen Wand- und Deckenmosaike sowie des Goldgrunds und der Glasmalerei. Damit entfiel zugleich eines der Hauptprobleme der neuzeitlichen Malerei, nämlich die Wiedergabe von Licht und Dunkelheit durch die Farben. Erst mit der Entstehung der Tafelmalerei im 14. Jahrhundert gelangte das Licht als „Bildlicht“ als ein eigenständiges Thema zur Darstellung.[9] Nun kann der Maler den Pinsel nicht „ins Licht tauchen“[10], denn das von ihm gestaltete Hell und Dunkel ist wie gesagt immer gebunden an das Farbpigment. Dieser kommt insofern eine Doppelrolle zu, als sie die Farbigkeit des Bildes hervorbringt und zugleich das Bildlicht miterzeugt, je nach dem in welcher Helligkeitsstufe es eingesetzt wird. Ernst Strauss veranschaulicht diesen Zusammenhang anhand eines Goethezitates, wonach in der natürlichen Welt die Farben „Taten und Leiden des Lichtes“ sind, in der Bildwelt aber gerade das Umgekehrte gilt, insofern das Licht sich als die „Taten und Leiden der Farben“[11] begreifen lässt. Vereinfacht gesagt, trägt der Künstler Licht und Dunkel ins Bild durch Abwägen der Helligkeitswerte der Farben bzw. mittels Aufhellung und Verdunkelung der einzelnen Farbqualitäten. Mit der Gestaltung der Lichtwirkung entsteht im Bild der Eindruck von Räumlichkeit und Plastizität, es werden auch Lichtwirkungen hervorgerufen, welche die Farben selbst als zum Leuchten gebracht erscheinen lassen. Entsprechend ist das Dunkel nicht bloss grell vom Licht zurückweichender Schatten oder absolute Finsternis, sondern eine ebenso tiefe und komplexe Verbindung wie das Licht. Das heisst, auch im Schattenbereich herrschen mehr oder weniger komplexe Lichtverhältnisse.

Bei der Erschliessung des Rembrandtschen Helldunkels geht es nun allerdings nicht um die Feststellung eines irgendwie gearteten „kontinuierlichen Zusammenhang[s]“[12] von Lichtquelle und Bildwelt, oder wenn, dann eher am Rande. Bei Künstlern wie Caravaggio (1573-1610) oder George de La Tour (1593-1652) läge der Fall grundsätzlich anders. Ihre Gestaltung des „Bildlichts“ erinnert unmittelbar an das in der Renaissance wurzelnde, dann über Jahrhunderte hinweg geltende Kriterium der „Richtigkeit“ der Lichtführung (welches noch in den Akademien des 19. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle spielte bei der Beurteilung eines Gemäldes). Wer nun wie Wolfgang Schöne die Gestaltung und Wirkung des Helldunkels vor allem als von aussen einfallendes Lichtspiel versteht, lässt die Bedeutung der Farben ausser Acht und gerät gerade bei Rembrandts Werk schnell einmal an Grenzen. Gerade im Farbbereich zeigen sich psychisch-emotionale Ausdrucksqualitäten, die so nicht entsprechend gewürdigt werden könnten. Wie Ernst Strauss denn auch eingehend ausführt, ist das Bildlicht weniger ein „von einer Lichtquelle ableitbares Phänomen“[13], ebenso wie die Finsternis nicht unbedingt eine „zu der Nacht des Weltteils“[14] gehörige Erscheinung darstellt, wie Simmel schon vor Strauss formulierte. Beides sind Erzeugnisse der „künstlerischen Phantasie“[15] und konstituieren in erster Linie nicht nur einen von der Natur abgeleiteten Zusammenhang, sondern sind vor allem auch ein vom künstlerischen Gestaltungswillen diktierter Bereich. Umgekehrt betrachtet kommt das Helldunkel wie es die Malerei kennt in der Natur kaum jemals vor. Als Dämmerung des anbrechenden Tages oder als Halbdunkel der aufsteigenden Nacht, „kennt [die Natur] wohl den allmählichen Übergang des Hellen zum Dunkeln“[16]. Diese Zeitfolge findet sich aber in der Welt der Malerei durchaus nicht immer, in ihr können Tag und Nacht auch zur gleichen Zeit herrschen. Die Begegnung von Hell und Dunkel in allen möglichen Ausprägungen, ihr wechselseitiges Kontrastieren und Verschmelzen vollzieht sich für den Betrachter in der einmaligen Gegenwart der Bildwirklichkeit.

Licht und Schatten bedeuten bei Rembrandt nicht einfach Schwarz und Weiss. Die Wirkung von Hell und Dunkel vermittelt er durch die Mischung von ganz unterschiedlichen Farbtönen. Oftmals erkennen wir Farbtöne in den Bereichen „Grau“, „Olivgrün“ und „Braun“, vielmals auch „Rot“, jeweils in unterschiedlichsten Helligkeitsstufen. Diese Tonwerte sind (in der Regel) massgebend für den Gesamteindruck seiner Bilder. Indem diese Farbwerte in das Helldunkel einbezogen werden, verlieren sie an Eindeutigkeit, „oft bis zur weitgehenden Umdeutung“[17] ihrer „gegenstandsbezeichnenden“[18] Funktion. Die „Erscheinungsfarbe“ und nicht die „Lokalfarbe“ wird für den Eindruck entscheidend. Ihre differenzierte Ausgestaltung wird gewissermassen zu einem Eigenwert, sie löst „eine die Oberfläche der Dinge umflorende, sie weithin vereinheitlichende, wenn nicht gar nivellierende Wirkung aus“[19]. Weil Rembrandt nicht mit der „Linie der Gegenstände“[20], sondern mit dem Licht der Farben malt, lösen sich die Formgrenzen auf und an „die Stelle ihrer Eigenrichtung setzt er ein flirrendes, nach allen Richtungen schwingendes und vibrierendes Leben“.[21] (Bereits Leonardo da Vinci verfügte mit dem „sfumato“ über ein ähnliches Mittel der produktiven Verundeutlichung. Einige Jahrhunderte nach Rembrandt erkennen wir verstärkt im Impressionismus eine verwandte Erscheinung, aber mit anderer Absicht und Wirkung.) So gewinnt das Bildganze ein von seinen Objekten losgelöstes Eigenleben, das geradezu übernatürlich und entrückt anmutet.

[...]


[1] Bull 2006, S. 131.

[2] Gerson 1969, S. 132.

[3] Bull 2006, S. 125.

[4] Strauss 1972, S. 27.

[5] Strauss 1972

[6] Dittmann 1987

[7] Spinner 1971

[8] Simmel 1916.

[9] Dittmann 1987, S. 1-29.

[10] Strauss 1972, S. 15.

[11] Ebd.

[12] Schöne 1983, S. 111.

[13] Strauss 1972, S. 26.

[14] Simmel 1916, S. 177.

[15] Ebd.

[16] Strauss 1972, S. 27.

[17] Ebd.

[18] Ebd.

[19] Ebd.

[20] Simmel 1916, S. 178.

[21] Simmel 1916, S. 178.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Rembrandts "Judenbraut" - Bewegung der Gefühle im Helldunkel
Hochschule
Universität Bern  (Institut für Kunstgeschichte )
Veranstaltung
Hauptseminar "Rembrandt"
Note
1-
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V83163
ISBN (eBook)
9783638893893
ISBN (Buch)
9783638905053
Dateigröße
697 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr sorgfältige methodische Einführung. Sprachlich sensible Analyse der hermeneutischen Funktionen des Helldunkels in Rembrandts "Judenbraut". Dabei sind auch eigene Beobachtungen eingebettet. Hervorzuheben sind die Vielzahl der beobachteten Aspekte, die Diskussion der ikonographischen Bezugspunkte und Gattungsgrenzen sowie die Bemühungen um weiteführende Vergleiche mit Caravaggio (Anmerkung des Dozenten)
Schlagworte
Rembrandts, Judenbraut, Bewegung, Gefühle, Helldunkel, Hauptseminar, Rembrandt
Arbeit zitieren
Christoph Urwyler (Autor:in), 2006, Rembrandts "Judenbraut" - Bewegung der Gefühle im Helldunkel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83163

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