Nicht alles wächst zusammen - Soziale Arbeit mit Jugendlichen in Zeiten der Wende


Diplomarbeit, 2002

109 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Jugend in der DDR
1.1. Gesellschaftliche Grundlagen
1.2. Gesetzliche Grundlagen
1.3. Der Aufbaus des Bildungssystems
1.4. Der Aufbau des Sozialsystems

2. Soziale Arbeit mit Jugendlichen in der DDR
2.1. Aufbau der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen in der DDR
2.2. Die Kirche als Träger der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen
2.3. Aspekte der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen

3. Die Jugend in der „alten“ BRD
3.1. Gesellschaftliche Grundlagen
3.2. Gesetzliche Grundlagen
3.3. Der Aufbaus des Bildungssystems
3.4. Der Aufbau des Sozialsystems

4. Soziale Arbeit mit Jugendlichen in der alten BRD
4.1. Aufbau, Träger und Aspekte der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen in der alten BRD

5. Die Soziale Arbeit mit Jugendlichen im vereinigten Deutschland
5.1. Veränderungen in der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen nach der Einführung des KJHG
5.2. Vorteile und Nachteile für die Jugendarbeit aus Sicht der DDR

6. Fazit

Abkürzungsverzeichnis

Quellen- und Literaturverzeichnis

Einleitung

Motivation dieser Diplomarbeit ist meine eigene Vergangenheit. Ich wurde in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) geboren und bin dort aufgewachsen. Die Wende und die Wiedervereinigung habe ich somit auch miterlebt.

Diese Diplomarbeit sehe ich zum einen als eine Möglichkeit, mich mit dem System auseinanderzusetzen und damit bekannt zu machen, und zum anderen als eine Chance zur Aufarbeitung.

Grund für das Interesse ist für mich vor allem, daß ich verstehen will.

Ich will verstehen, warum das alles damals passiert ist und warum auf einmal alles schlecht war, obwohl es mir persönlich und meiner Familie gar nicht so schlecht ging.

Was war falsch am System und warum funktionierte es nicht? Und vor allem, war wirklich alles so schlecht?

Mir als Kind ging es doch gut. Wir hatten immer was zu essen und trinken. In der Freizeit wurde es nie langweilig, es war immer irgendwo etwas los und man konnte auch einfach nur mal so ins Pionierhaus gehen.

Auch für meinen späteren Beruf sah ich einer rosigen Zukunft entgegen. Schon damals wußte ich ganz genau, daß ich auf jeden Fall mal arbeiten gehe, Kinder haben werde und verheiratet bin.

Sind doch auf jeden Fall eine schöne Gegenwart und eine sichere Zukunft gewesen, oder waren sie etwa zu schön und zu sicher?

Im ersten Kapitel befasse ich mich mit der Jugend in der DDR. Dabei werden die gesellschaftlichen und die juristischen Grundlagen näher betrachtet und außerdem versucht das Bildungs- und Sozialsystem genauer zu beschreiben.

Im ersten Abschnitt des ersten Kapitels werden die gesellschaftlichen Grundlagen beobachtet und ich werde versuchen das Leben der Jugendlichen in der DDR zu beschreiben. Hierbei können erste Zusammenhänge zwischen Staat, Familie und der Freien Deutschen Jugend (FDJ) festgestellt werden.

Der zweite Abschnitt befaßt sich mit den juristischen Grundlagen. Dort werden vor allem das Jugendgesetz der DDR und das Bildungssystem analysiert und das eng verstrickte Netz, welches der Staat um die Gesellschaft gelegt hatte, wird ein wenig entwirrt.

Mit dem Bildungssystem und den daraus resultierenden drei Erziehungs- und Bildungssäulen befasse ich mich im dritten Abschnitt. Vor allem der Aufbau, die Ziele und die praktische Umsetzung des Bildungssystems werden hier näher erfaßt.

Das Sozialsystem der DDR ist im vierten Abschnitt Thema des ersten Kapitels. Hier werden einige der sozialen Bereiche wie zum Beispiel das Gesundheitswesen, Rentensystem und die Familienpolitik näher betrachtet.

Im zweiten Kapitel ist die Soziale Arbeit mit Jugendlichen Schwerpunktthema. Hier geht es zum einen um den Aufbau und die Aspekte und zum anderen um die Kirche als einen Träger der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen. Vor allem werde ich mich dabei auf die Jugendarbeit an sich konzentrieren, da es zum Beispiel Schulsozialarbeit, so wie sie heute betrieben wird, nicht gab oder besser gesagt diese in ganz anderen Dimensionen praktiziert wurde.

Beim Aufbau wird ein Bezug zum Jugendgesetz der DDR hergestellt und herausgestellt, welche Rolle die FDJ einnahm und wie groß der Einfluß der Freien Deutschen Jugend auf die Jugend tatsächlich war.

Wenn ich dann auf die Aspekte der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen eingehe, werde ich versuchen herauszufinden, welche Art der Jugendarbeit es gab. Vor allem interessiert es mich, ob zum Beispiel Mädchenarbeit vorhanden war und wenn ja, wie stellte sie sich dar.

Das dritte Kapitel befaßt sich dann mit der Jugend in der alten Bundesrepublik Deutschland (BRD), das heißt mit dem Leben bzw. der Gesellschaft und dem System der BRD vor der Wende.

Auch hier beschäftige ich mich mit den gesellschaftlichen und juristischen Grundlagen und mit dem Bildungs- und Sozialsystem.

Ich werde allerdings versuchen, ständig Vergleiche zum System der DDR zu ziehen und etwaige Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszustellen.

Das Schwerpunktthema im vierten Kapitel ist wiederum die Soziale Arbeit mit Jugendlichen.

Hier wird der Vorgänger des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG), das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG), näher betrachtet und versucht den Aufbau, die Träger und die Aspekte der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen zu beschreiben.

Im fünften Kapitel befasse ich mich mit der Sozialen Arbeit und der Situation im vereinten Deutschland.

Vor allem beschäftigen mich in diesem Kapitel die Veränderungen, die nach der Einführung des KJHG eingetreten sind. Zuvor beschreibe ich allerdings die Aufgaben und den Aufbau des Kinder- und Jugendhilfegesetzes.

Abschließend möchte ich versuchen darzustellen, welche Veränderungen bzw. Vor- und Nachteile sich für die Jugendlichen und die Soziale Arbeit mit diesen von Seiten der DDR ergeben haben.

In der Diplomarbeit beziehen sich alle Jahreszahlenangaben auf das 20. Jahrhundert.

Außerdem werde ich vor allem die männliche Schreibweise benutzen, meine damit aber sowohl die männlichen als auch die weiblichen Personen.

1. Die Jugend in der DDR

Dieses Kapitel der Diplomarbeit befaßt sich vor allem mit den gesellschaftlichen und juristischen Grundlagen in der DDR.

Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Grundlagen und beschreibt das Leben der Jugendlichen näher. Es wird zum Beispiel untersucht, ob es Subkulturen gab und wenn ja, wie wurde mit ihnen umgegangen oder wie sah es mit Jugendbewegungen aus.

Im Abschnitt über die juristischen Grundlagen möchte ich mich vor allem näher mit dem Jugendgesetz und mit dem Bildungsgesetz der DDR befassen. Dabei versuche ich einen kleinen Abriß zu erstellen, um die Zusammenhänge zwischen Staat, Gesellschaft, FDJ und Jugend genauer darzustellen und somit das sehr eng verstrickte Netz der Regierung etwas zu entwirren.

Ansonsten sind das Bildungssystem und das Sozialsystem der ehemaligen DDR Schwerpunktthema.

Im Schwerpunktthema Bildungssystem werde ich den Werdegang der Kinder und Jugendlichen in der DDR aufzeigen und beschreiben. Auch hier versuche ich den Einfluß der FDJ auf die Jugendlichen und ihre schulische bzw. berufliche Laufbahn zu skizzieren.

Im letzten Abschnitt des Kapitels geht es um das Sozialsystem. Hier beschreibe ich das theoretisch sehr gute soziale Netz der DDR und betrachte das Rentensystem, das Gesundheitswesen und die Familienpolitik näher.

Zuerst aber zu den gesellschaftlichen Grundlagen.

1.1. Gesellschaftliche Grundlagen

Wie war sie, die Jugend in der DDR? War sie anders als zum Beispiel im westlichen Deutschland?

Die Jugend in der DDR war politisiert, kirchenfern, scheinbar angepaßt und konsumorientiert und ihr Leben war von Geburt an bis zum Tod durchgeplant.

Juristen und Soziologen versuchen Jugend im Allgemeinen folgendermaßen zu definieren:

- Jugend dauert juristisch gesehen von vierzehn bis achtzehn Jahren, ab dem Alter von achtzehn Jahren bis zum vollendeten einundzwanzigsten Lebensjahr gilt man - juristisch gesehen - als junger Erwachsener oder als Heranwachsender,
- laut Soziologen, wie zum Beispiel Levi[1] gilt man ab Beginn der Pubertät bis hin zum 30. Lebensjahr als Jugendlicher, die Jugendforscher sind sich in diesem Fall aber auch nicht ganz einig.

In der DDR dagegen galt man als junger Erwachsener bzw. Jugendlicher, wenn man zwischen vierzehn und fünfundzwanzig Jahren alt war: „Junge Bürger im Sinne dieses Gesetzes sind alle Bürger der Deutschen Demokratischen Republik bis zum vollendeten 25. Lebensjahr.“[2]

In der DDR wurden keine Unterschiede zwischen der juristischen und soziologischen Betrachtungsweise gemacht.

Da man allgemein gesehen sagen kann, daß Jugend mit dem Übernehmen von Verantwortung für sich selbst und der Loslösung von primären Bezugspersonen, z.B. den Eltern, endet, werden die Jugendlichen in der DDR schneller erwachsen als beispielsweise ihre westlichen Pendants.

Denn die Schul-, Studien- und Ausbildungszeiten sind in der DDR fest vorgegeben und vorsorglich geplant. Somit ist festzustellen, daß Postadoleszenz (verzögertes Erwachsenwerden) in der DDR in der Regel nicht auftritt. Es wurde früh geheiratet und feste Bindungen waren die Regel. Die meisten Frauen wurden früh Mutter[3]. Freiwilliges verlängertes Experimentieren mit Berufen gab es auf Grund des vorgeplanten Lebens nicht.

Der Jugend in der DDR wurde vom Staat sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt, da sie aktiv den Sozialismus aufbauen sollte. Um dies zu erreichen mußte sie „[…] ideologisch gewonnen und aktiviert werden.“[4]

Um dieses Ziel zu erreichen dienten die Schule, die Freie Deutsche Jugend und ihre Pionierorganisationen als Bildungs- und Erziehungsinstanzen. Die Jugend wurde organisiert, kontrolliert und allseitig erfaßt.

Der Jugendliche wurde zum einen als junger Erwachsener bzw. junger Sozialist gesehen und zum anderen als eigentlicher Motor und Vorreiter des Sozialismus.

Auf Grund dieser ideologischen Definition von Jugend wurde jegliche Phase des Absetzens gegenüber dem Elternhaus oder jeglicher Versuch von Individualität von vornherein durch eine starke Einbindung der Jugendlichen in das Berufs- und Alltagsleben der Erwachsenen unterbunden.

Zwar versuchten einige der Jugendlichen trotzdem aus der Masse hervorzustechen oder einfach anders zu sein, aber dies gestaltete sich in der Regel in der DDR sehr schwierig. Der Versuch individuell zu sein führte zu Problemen mit Staat und Gesellschaft.

Jugend in der DDR bedeutete nach außen heraus – in Verhalten und Auftreten - jeglichen Verlust von Individualität, Anpassung und ein Leben, das von Anfang durchgeplant wurde:

Die politische Lage in der DDR war in den 70er[5] und 80er Jahren sehr angespannt. In der Regierung der DDR gab es Anfang der 70er Jahre einen Führungswechsel.

Im Mai `71 wurde der DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht von Erich Honecker abgelöst.

Für die DDR war der Führungswechsel der Beginn der definitiven Einbindung in die Sowjetunion und einer begrenzten und kontrollierten kunst- und kulturpolitischen Lockerung.

Die Jugend verweigerte sich den von „oben“ vorgegebenen gesellschaftlichen Normen und orientierte sich an einem Lebensstil, der durch das „West-Fernsehen“ und die Musik in die DDR vorgedrungen war.

Und in den 80er Jahren tauchten plötzlich Punks, Skins, Grufties, Heavy Metalls und junge Rechtsextremisten im Straßenbild auf.

Die kirchlichen Jugendgruppen, die sich nicht nur auf die Vermittlung der Glaubenslehre beschränkten, erhielten immer stärkeren Zulauf.

Die Kirche engagierte sich besonders in der Kinder- und Jugendarbeit.

Sie wurde sogar als Keimzelle der Friedens-, Bürgerrechts- und Umweltbewegung in der DDR angesehen.

In ihr entstand die erste faßbare Opposition überhaupt in der DDR.

Ältere Jugendliche engagierten sich in unabhängigen Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsgruppen.

Unter dem Deckmantel der Kirche war eine „autonome Jugendbewegung“ am Entstehen.

Mitte der 80er Jahre gab es erste sozialwissenschaftliche Annäherungsversuche an die neu entstehenden bzw. entstandenen Jugendkulturen.

Besonders Jugendliche, die Randgruppen bzw. Subkulturen angehörten, wie den Punks, Heavy Metals und Grufties, wurden zuerst mit den Augen der Polizei, also als potentielle Störenfriede, Straftäter oder sogar Kriminelle gesehen.

„Die abweichenden Jugendkulturen der Punks, Heavy Metals, Grufties und Skinheads in der DDR galten als Ausdruck westlicher Orientierung, in den Augen der SED damit letztlich als staatsfeindlich.“[6]

Letzten Endes wurden sie dann auch als Staatsfeinde behandelt.

Im Strafgesetzbuch der DDR gab es den § 249, welcher die Polizei dazu berechtigte diese Jugendlichen wegen „asozialer Lebensweise“ zu inhaftieren[7].

Schuld am Handeln, den Vorstellungen und auch am Aussehen der Randgruppen gab man dem „Westen“, das heißt der BRD und dem übrigen westlichen Ausland, vor allem den USA.

Die politisch „geduldeten“ und angepaßten Jugendszenen, wie z.B. die Popper, wurden von der Gesellschaft akzeptiert und waren in der Freien Deutschen Jugend vertreten, ohne größere Probleme zu bekommen. Jugendgruppen wie die der Punks oder Grufties dagegen galten in der DDR als Tabuzone.

Junge Menschen die einer Randgruppe angehörten wurden ausgegrenzt und hatten damit zu leben, jeden Tag von der Polizei schikaniert zu werden.

In der DDR wurde eigens im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die Abteilung XX „Staatsapparat, Kunst, Kultur, Untergrund“ gegründet, um die „rebellische Jugend“ im Zaum zu halten, zu kontrollieren und wieder auf den „rechten Weg“ zu bringen.

Um die Störenfriede im Zaum zu halten, benutzte das MfS Mittel wie Spitzelerpressung, Studien- und Abiturverweigerung, Berufsverbote

oder Berufseinschränkungen oder aber auch den sehr „beliebten“ Ausweisentzug.

Als die Außenwelt auf die Methoden aufmerksam wurde, ging das MfS zur „sanften“ Resozialisierung über. Das heißt Mittel wie Rufschädigung oder die Organisation beruflicher und gesellschaftlicher Mißerfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens standen dann an der Tagesordnung.

Trotz Polizeischikanen und Stasiüberwachung war das SED[8] - Regime in seinen letzten Jahren nicht mehr stark oder Willens genug, um diese Opposition gegen das eigene Gesellschaftsmodell zu zerschlagen.[9]

Ende der 80er Jahre bahnte sich ein Gesellschaftswandel in der DDR an. Durch die endgültige Einbindung in die Sowjetunion erfuhr die Zensur gemäßigtere Züge und einige verbotene Bücher und Filme wurden erlaubt. In vielen Jugend- und Studentenklubs kam es zu kritischen Lesungen und unkonventionellen Musikaufführungen. Folge war die Entstehung einer systemkritischen Jugendszene neben der systemkonformen FDJ.

Unter dem ständigen Druck des inneren Widerstandes und dem Druck des Westens begann sich die DDR immer mehr zu öffnen.

Zum Beispiel wurde am 18.Dezember 1988 die Todesstrafe abgeschafft.

Auch der Wunsch und Druck der Jugend nach „westlicher“ Musik, Kleidung und Trends im allgemeinen zwangen die Republik zur Lockerung der innenpolitischen Verhältnisse:

„DDR-Jugendliche konnten schließlich auch Beatles- und Rolling-Stones-Platten in Lizenzproduktion kaufen. Die Plattenhüllen mit den Idolen kamen an die Wand im Kinderzimmer. Bruce Springsteen durfte das größte Konzert seiner Karriere in der „Hauptstadt der Republik“ feiern – vor ca. 160.000 Jugendlichen 1988 in Berlin-Weißensee.“[10]

Nach musikpolitischer Direktive von oben sollte in den Diskos und auf Festen die Musik im Verhältnis 60 zu 40 gespielt werden. Das heißt 60% der gespielten Musik sollte aus sozialistischer Produktion stammen. Dies erwies sich aber als praktisch nicht durchführbar und so wurde ein umgekehrtes Verhältnis stillschweigend akzeptiert.

Nötige Konsequenz war hin und wieder das Eingreifen der Partei in das rockmusikalische Leben der Republik und letztendlich die Förderung der Musik per Parteiauftrag. Es wurden exzellente Musiker gefördert und Freiräume im gewissen Rahmen eröffnet. Die Musik in der DDR war daher eher systemtreu.

Viele der damals „angesagten“ Bands spielten und sangen vielmehr Lieder über allgemeine Themen wie Liebe, Familie etc.

Allerdings schlossen sich „rotzige“ Texte und Wohlverhalten gegenüber der Staatsmacht nicht aus.

Nachdem Bruce Springsteen in Berlin aufgetreten war und sein Lied „Born in the USA“ sang, hielt die Punkband ‚Sandow’ eitel ihr Lied „Born in the GDR“ dagegen.

Es kam zu einer Wende im Musikgeschehen der DDR, man war stolz auf seine Herkunft und liebte seine Heimat mit all ihren Vor- und Nachteilen.[11]

Demungeachtet konnte der Gesellschaftswandel in der DDR nicht mehr aufgehalten werden. Das Leben überall in der Gesellschaft erlahmte langsam.

„Jugendliche fuhren Moped, trugen Jeans, ließen sich die Haare lang wachsen, besetzten Häuser. Das gab es natürlich auch, nicht anders als im Westen. Wer seinen Protest offen zeigen wollte, trug Parka und rauchte Karo-Zigaretten. Ein Auffangbecken für all jene, die nichts mit Linientreue im Sinn hatten, war die Kirche, mit ihrer Jugendorganisation „Junge Gemeinde“. Jugend, das war in der DDR selbstverständlich mehr als nur strammes Aufmarschieren in blauen FDJ-Hemden.“[12]

Die Politbürokraten der DDR ignorierten die zahlreichen Alarmsignale, die seit Mitte der 80er Jahre die wachsende Ablehnung der SED-Politik innerhalb der Jugend vermeldeten. Sie „[…] ließen sich nur zu gern von den Massenaufmärschen, den kostspieligen Festivals und Rockkonzerten blenden, bei denen oft Hunderttausende von ausgelassenen Blauhemden die Städte bevölkerten.“[13]

Die FDJ war nicht mehr in der Lage, die Jugend an die DDR und die Regierung zu binden.

Die Staats- und Parteiführung nahm wahr, daß ihre Sozial- und Wachstumspolitik immer mehr auf westlichen Krediten beruhte.

Die Versorgungslage spitzte sich trotz hoher Kredite tragisch zu. Immer wieder fehlten selbst Grundnahrungsmittel in den Geschäften.

In der Sowjetunion sorgten Michail Gorbatschows „Glasnost“[14] und „Perestrojka“[15] für frischen Wind und Reformhoffnungen. Von da ab begann die SED sowjetische Zeitschriften und Filme zu verbieten, die zum Beispiel über stalinistische Verbrechen in der Vergangenheit berichteten.

Nur auf außenpolitischem Gebiet konnte die SED Erfolge feiern. 1987 empfing Bundeskanzler Helmut Kohl Erich Honecker in Bonn zu einem Staatsbesuch.

Doch dies änderte nichts an der krisenhaften Situation in der DDR.

Die Unzufriedenheit der Menschen nahm ständig zu.

Immer mehr Ausreiseantragsteller hofften darauf, ihr Land verlassen zu können und zählten die Monate, bis sie endlich die Erlaubnis dafür bekamen.

Die Jugend verweigerte sich den von oben vorgegebenen gesellschaftlichen Normen und orientierte sich an einem Lebensstil, der durch das Fernsehen und die Musik in die DDR vorgedrungen war.

Vor allem das von Anfang an verplante Leben verprellte viele Jugendliche. Alles stand fest: Geburt – Krippe – Kindergarten – Schule – Lehre/Studium – Armee – Heirat – Beruf usw.

„Man wurde durchgereicht, keiner fiel durch, keiner konnte durchschlüpfen. Alles war vorgeplant, die Bahn von Tausenden schon vorher durchlaufen. Da konnte nichts passieren, aber es war auch öde.“[16]

Es gab keinen Platz für Abenteuer, Individualität, Fehlermachen etc. Mitte Zwanzig war spätestens alles gelaufen: Beruf, Familie, Wohnung, der Rest des Lebens wurde abgespult. „Das Leben vieler junger Leute in der DDR gleicht den Neubaublocks und ihren Wohnungen, die mit Einheitsmöbeln sich zum verwechseln ähneln.“[17]

1.2. Gesetzliche Grundlagen

Am 4. Mai 1964 wurde das „Gesetz über die Teilnahme der Jugend an der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und über ihre allseitige Förderung in der Deutschen Demokratischen Republik“ – kurz Jugendgesetz der DDR - verabschiedet. Es sollte die politische, geistige, moralische und körperliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen zu sozialistischen Persönlichkeiten gewährleisten.

„Vorrangige Aufgabe bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ist es, alle jungen Menschen zu Staatsbürgern zu erziehen, die den Ideen des Sozialismus treu ergeben sind, als Patrioten und Internationalisten denken und handeln, den Sozialismus stärken und gegen alle Feinde zuverlässig zu schützen. Die Jugend trägt selbst hohe Verantwortung für ihre Entwicklung zu sozialistischen Persönlichkeiten.“[18]

Diese allumfassende Erziehung war nicht nur auf das berufliche und schulische Leben ausgelegt, sondern auch auf die Freizeit.

Im Jugendgesetz der DDR wurde in einer Fülle von Paragraphen vorgeschrieben, wie die Jugendlichen auch durch Kultur, Sport und andere Freizeitgestaltung zu sozialistischen Persönlichkeiten herangebildet werden sollten.

Deshalb waren Freizeitaktivitäten jeglicher Art, wie zum Beispiel Sport und Kultur, keine private Angelegenheit mehr, sondern bekamen eine gesellschaftspolitische Funktion. Die Freizeit mußte, wie es in der DDR -Verfassung hieß, "sinnvoll und effektiv" verwendet werden.

Somit regelte das Jugendgesetz beispielsweise die Feriengestaltung und Touristik der Jugend, bestimmte die Gestaltung und Entfaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen bzw. eines kulturvollen Lebens. Es sollte die Initiative der werktätigen, lernenden und studierenden Jugend fördern.

Im Jugendgesetz der DDR wurde unter anderem darauf hingewiesen, daß die Jugend die ehrenvolle Pflicht hatte, die „revolutionären Traditionen der Arbeiterklasse und die Errungenschaften des Sozialismus zu achten und zu verteidigen, sich für den Frieden und Völkerfreundschaft einzusetzen und antiimperialistische Solidarität zu üben.“[19]

In diesem Absatz wird darauf hingewiesen, daß auch die Jugend in militärischen Angelegenheiten unterrichtet werden sollte. Dazu hieß es im § 24 des Jugendgesetzes:

Die Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes und der sozialistischen Staatengemeinschaft ist recht und Ehrenpflicht aller Jugendlichen. Aufgabe der Jugend ist es, wehrpolitische Bildung, vormilitärische Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben sowie in der Nationalen Volksarmee und den anderen Organen der Landesverteidigung zu dienen. Dieser Ehrendienst wird durch die sozialistische Gesellschaft hoch geachtet.“[20]

Weiterhin wurde betont, daß vor allem die Jugend ein besonders wichtiger Teil der sozialistischen Gesellschaft war, welche es galt zu beschützen, zu ehren und zu achten.

Gesichert wurde das Vorhaben der Regierung, die Jugend für sich zu gewinnen und an sich zu binden unter anderem von Betrieben, Genossenschaften, vom Gewerkschaftsbund und natürlich der FDJ, dem Sprachrohr der Jugend und Kampfreserve der SED.[21]

Die Jugend, egal ob in der Schule, Ausbildung oder Studium, war immer in irgendeiner Art und Weise erfaßt und kontrolliert. Sei es durch die Lehrerschaft, den Ausbildungsbetrieb, der FDJ oder durch eine der Pionierorganisationen. Niemand hatte die Chance durch das eng geknüpfte Netz der SED durchzuschlüpfen.

Die Regierung der DDR beeinflußte auch die Medien, wie das Fernsehen und die Verlage. Diese sollten zum einen vermehrt Sendungen ausstrahlen und produzieren, die den Interessen der Jugendlichen entsprachen und zum anderen Publikationen in einem größeren Umfang herausgeben, die die „politische, weltanschauliche, naturwissenschaftlich-technische, moralische, ästhetische und staatsbürgerliche Bildung und Entwicklung der Jugend fördern.“[22]

Ebenso wurde das kulturelle Leben durch die Regierung beeinflußt bzw. gefördert. Das Bedürfnis der Jugend nach Unterhaltung, Tanz und Spaß, ihr Verlangen nach niveauvollen Veranstaltungen, sollte durch die zuständigen staatlichen Organe (Räte der Kreise, Städte, Stadtbezirke und Gemeinden, Schriftstellerverband, Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler) gefördert und befriedigt werden.[23]

Enge Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den anderen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft war Verpflichtung. Alle Entwicklungsprozesse und die Geschichte sollten in den Schulen gelehrt und bei einem Auslandsaufenthalt im „Bruderland“ vertieft werden[24].

Um das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Jugend zu fördern, ließ sich die Regierung der DDR einiges einfallen. Zum Beispiel wurde im §11 des Jugendgesetzes folgendes geschrieben:

„Zur Förderung und Anerkennung der volkswirtschaftlichen Initiativen der Jugend wird ein „Konto junger Sozialisten“ gebildet. Das Konto umfaßt finanzielle Mittel, die von der Jugend zusätzlich zum Plan bzw. durch spezielle Jugendinitiativen erwirtschaftet werden. Diese Mittel werden auf Vorschlag der Freien Deutschen Jugend vor allem zur Unterstützung politischer, kultureller, sportlicher, touristischer und anderer Initiativen der Jugend sowie zur planmäßigen Erweiterung der materiellen Bedingungen für die Jugendarbeit eingesetzt. Zuführung und Verwendung der Mittel des „Kontos junger Sozialisten“ sind durch den Ministerrat in Übereinstimmung mit dem Zentralrat der Freien Deutschen Jugend zu regeln.“[25]

Auch hier hatten wieder die Regierung und die FDJ Einfluß auf das Konto und seine Verwendung.

Die FDJ wurde ebenfalls dazu verpflichtet, die Jugendlichen in Jugendbrigaden, Studentenbrigaden oder eben in der FDJ selbst zu organisieren. Gewerkschaften, Genossenschaften, Hochschullehrer, Lehrer usw. sollten der FDJ dabei zuarbeiten, sie fördern und unterstützen.

Die Freie Deutsche Jugend war demnach überall präsent im Leben eines Jugendlichen der DDR. Und da die FDJ zum Beispiel sogar Mitspracherecht bei der Vergabe von Zulassungen zum Studium hatte[26], war es von Vorteil sich dieser Massenorganisation anzuschließen. Daher kam auch der hohe Organisationsgrad in der DDR (ca. 80% aller Jugendlichen zwischen vierzehn und fünfundzwanzig Jahren[27]). Viele der FDJ-Mitglieder wurden oftmals nur formal Mitglied, weil sie sich dadurch bessere Chancen im Beruf bzw. im Studium erhofften.

Die FDJ war sogar Bestandteil im Bildungssystem der DDR und hatte auch dort Einfluß auf die Jugend.

Das „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“, kurz Bildungsgesetz, war Grundlage für das gesamte Bildungswesen in der DDR.[28]

Es wurde am 25. Februar 1965 von der Volkskammer erlassen.

Das Gesetz beinhaltete die Oberschul- und Berufschulpflicht, Schulgeld- und Lernmittelfreiheit an Universitäten und Hochschulen und die

Garantie von Weiterbildungsmöglichkeiten. Grundlegende Bestandteile des einheitlichen Bildungssystems waren die Einrichtungen der Vorschulerziehung, wie Krippe und Kindergarten, die zehnklassige allgemeinbildende Polytechnische Oberschule (POS), die Einrichtungen der Berufsausbildung, Ingenieur- und Fachschulen, Universitäten und Hochschulen, die Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung der Werktätigen sowie Sonderschulen.

Durch die Einführung der zehnjährigen Oberschulpflicht wurde außerdem das Recht auf Oberschulbildung gesichert. Im Schuljahr 65/66 begann man mit der jahrgangsweisen Einführung der präzisierten Lehrpläne.

Das Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem beschrieb in §1 Abs. 2 die Aufgaben folgendermaßen:

„Das sozialistische Bildungssystem trägt wesentlich dazu bei, die Gesellschaft zu gestalten, die technische Revolution zu meistern und an der Entwicklung der sozialistischen Demokratie mitzuwirken. Es vermittelt den Menschen eine hohe Allgemeinbildung und eine hohe Spezialbildung und bildet in ihnen zugleich Charakterzüge im Sinne der Grundsätze der sozialistischen Moral heraus. Das sozialistische Bildungswesen befähigt sie, als gute Staatsbürger wertvolle Arbeit zu leisten, ständig weiter zu lernen, sich gesellschaftlich zu betätigen, mitzuhalten und Verantwortung zu übernehmen, gesund zu leben, die Freizeit sinnvoll zu nutzen, Sport zu treiben und die Künste zu pflegen."[29]

Grundsätzlich orientierte sich die Bildungspolitik in der DDR am Vorbild der Sowjetunion und verfolgte zwei Ziele: ein hohes Bildungsniveau für alle Jugendlichen und Berufstätigen und die völlige Einbindung jedes einzelnen in das ideologische und politische System der DDR.

Das Bildungswesen der DDR beruhte somit auf dem sozialistischen Menschenbild des Marxismus/Leninismus.

Deswegen wurde auch im Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem besonderer Wert auf die sozialistische Bildung und Erziehung gelegt.

Die Bildung und Erziehung der Kinder und Jugendlichen „zu tüchtigen Menschen und guten Staatsbürgern“ stand an oberster Stelle. Um dies auch durchführen zu können, sollten Staat, FDJ und Familie eng zusammenarbeiten.

Auch Betriebe wurden zur Erziehung herangezogen und sollten direkten Einfluß auf die Eltern von „entwicklungsgefährdeten Kindern und Jugendlichen“ nehmen.

Da das Leben in der DDR (erwerbs-)arbeitszentriert war, wurde der Betrieb zugleich Sozialisations- und Kontrollinstanz wie auch Fürsorgeeinrichtung und teilweise sogar Familienersatz.[30]

In § 6 Abs. 1 zur ersten Durchführungsbestimmung zum Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem[31] war eine mögliche Maßnahme aufgezeigt, um beispielsweise der Verletzung der Oberschulpflicht nachzukommen.

Die Eltern des betroffenen Kindes sollten informiert und notfalls sollte auf sie eingewirkt werden - nötigenfalls auch mit dem Betrieb im Rücken, in dem die Eltern arbeiteten.

„Wenn die Erziehungspflichtigen gegen die Bestimmungen über die Oberschulpflicht verstoßen oder sonst ihre Erziehungspflichten vernachlässigen, hat der Direktor oder Schulleiter zusammen mit dem Elternbeirat und den gesellschaftlichen Organisationen auf sie einzuwirken. Erforderlichenfalls sind die Betriebe der Erziehungspflichtigen zu benachrichtigen und um Unterstützung zu bitten.“[32]

Ziel war es, die Kinder und Jugendlichen zu einer allseitig harmonisch entwickelten und gebildeten sozialistischen Persönlichkeit zu erziehen. Träger des Bildungssystems waren insbesondere die Schulen und die Jugendorganisationen wie die FDJ mit ihren Pionierorganisationen.

Das Schulwesen war gekennzeichnet durch Einheitsschulen sowie die Trennung von Schule und Kirche.

1.3. Der Aufbau des Bildungssystems

Die Entwicklung des Bildungssystems der DDR kann in drei historische Etappen unterschieden werden.

Die erste Etappe, welche man als die „Etappe der antifaschistischen demokratischen Schulreform“ bezeichnen kann, dauerte von 1945 bis zur Gründung der DDR im Jahre 1949 an.

Die zweite Etappe erfolgte bis 1961/62 und wurde „Etappe des Aufbaus der sozialistischen Schule“ genannt. Der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft galt schon ab 1961 als abgeschlossen. Somit war das Ziel des Bildungswesens nicht mehr der forcierte Klassenkampf, sondern die Gestaltung der entwickelten, sozialistischen Gesellschaft.

Ab da begann die Entwicklung des Bildungswesens der DDR. Damalige Bildungsministerin war Margot Honecker. Diese war von 1963 bis zum Zusammenbruch der DDR verantwortliche und aktive Mitgestalterin der „Etappe der Gestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“.

Das Schulwesen der DDR wurde durch das Berliner Ministerium für Volksbildung (MfV) zentral geleitet.

Grundlage war das am 25.Februar 1965 verabschiedete „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“. Es umfaßte sämtliche allgemein- und spezialbildenden Bereiche des Bildungssystems von der Krippe bis zur Universität.

Aufgabe und Ziel war auch hier, wie schon einmal im Jugendgesetz erwähnt, die Herausbildung „allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten“, um die „sozialistische Gesellschaft zu gestalten, die technischen Revolutionen zu meistern und an der Entwicklung der sozialistischen Demokratie mitzuwirken“[33].

Somit wurden die Gestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten der einzelnen Person von seiner Loyalität gegenüber dem Staat abhängig gemacht.

Um das durchzusetzen, mußte zum Beispiel auch die Freizeitgestaltung oder die Berufslaufbahn koordiniert werden. Somit übernahmen Krippen, Schulen etc. eine soziale Funktion neben der Bildungs- und Erziehungsfunktion.

In der DDR gab es folglich drei Erziehungssäulen. Die erste Erziehungssäule war die Familie, die Zweite die staatlichen Erziehungs- und Bildungsinstitutionen wie Krippe und Schule. Die dritte Säule war die FDJ und ihre Pionierorganisationen.

Diese drei Säulen arbeiteten eng zusammen.

In der DDR war das Leben sehr familienzentriert. Grund dafür waren zum einen mangelnde interessante und nicht vom Staat forcierte Angebote im Freizeitbereich und zum anderen fehlende Reisemöglichkeiten.

Die Familie wurde als „Nische“ gesehen und man hielt gegen die „Oberen“ zusammen. Dies widersprach allerdings der Absicht der Regierung, denn diese wollte die Familie für sich benutzen bzw. ausnutzen und an sich binden.

Eltern und Kinder hatten in der Regel ein gutes Verhältnis zueinander. Die Eltern waren eindeutig bevorzugte Vertrauenspersonen[34]. In der Mehrzahl dominierte ein Miteinander von Eltern und Kindern.

Da die Mütter Vollzeit arbeiteten, mußten die Kinder oft im Haushalt helfen. Diese Hausarbeiten wurden fraglos - allenfalls mit Maulen - erledigt, damit abends die Zeit für Gespräche und Aktivitäten genutzt werden konnte.

Im Gegensatz zu den „alten“ Bundesländern waren die Familienstrukturen dahingehend autoritär strukturiert und entsprachen deshalb öfter dem Bild einer Familie. Das heißt, daß man in der DDR mehr in die Familie involviert war und somit das Miteinander in der Familie in der Regel weitaus besser war.

Rücksicht und Achtung den arbeitenden Eltern gegenüber wurde somit auch in den Bildungseinrichtungen vermittelt. Die Kinder und Jugendlichen wurden zu Selbstständigkeit und zur Übernahme von Verantwortung für sich selbst und für andere erzogen, um in erster Linie ihre Eltern zu entlasten. Das Bild der „overprotecting mother“, wie es in der BRD vorhanden war, war in der DDR nicht etablierungsfähig[35].

Die Eltern konnten sich somit auf ihre Kinder verlassen und es herrschte in dieser Beziehung ein partnerschaftliches Verhältnis und gegenseitiges Vertrauen.

„Geradezu frappierend ist, wie positiv die Ostdeutschen auf ihre Erziehung im Elternhaus zurückblicken, obwohl die Meinung grassiert, daß die Ostdeutschen in ihrer Kindheit durch Krippenerziehung und Berufstätigkeit beider Eltern nicht viel familiäre Geborgenheit genossen haben könnten. […] Was immer man in der Erziehung von den Eltern erfahren und bekommen hat, klingt im Osten freundlicher als auf der westlichen Seite. […] Demnach werden die Eltern als warmherziger und toleranter beschrieben: Sie haben die Kinder näher an sich herangelassen, sie weniger bestraft, weniger geschlagen, weniger beschämt, mehr unterstützt und haben diese weniger mit ehrgeizigen Forderungen gequält. Den reglementierenden Eingriffen des Staates zum Trotz scheint sich demnach die Familie für die Kinder im Osten als Stütze besser bewährt zu haben, als oft unterstellt wird. In der Familie hatte sich anscheinend vielfach eine hermetische private Gegenkultur entwickelt, die den Kindern positive emotionale Erfahrungen vermittelte.“[36]

Obwohl ein partnerschaftlicher Umgang dominierte, war auch in der DDR unhinterfragter Gehorsam nicht verbreitet[37].

Über 90% aller arbeitsfähigen Frauen arbeiteten. Familie und Beruf war gesellschaftsweit akzeptiert und normal. Die Berufstätigkeit steigerte vor allem das Selbstbewußtsein bzw. Selbstwertgefühl der Frauen.

Auf Grund eines breit entwickelten, bevölkerungspolitisch orientierten Hilfssystems war es gewährleistet, daß Frauen auch nach einer Geburt wieder in ihren alten Beruf zurückkehren konnten.

Hier knüpfte die zweite Erziehungssäule nahtlos an.

Zur zweiten Erziehungssäule gehörten die staatlichen Erziehungs- und Bildungsinstitute wie zum Beispiel Kindergärten, Schulen und Universitäten.

1965 wurde auch die Krippe in das „einheitliche sozialistische Bildungssystem“ eingegliedert, blieb aber dabei dem Ministerium für Gesundheitswesen (MfG) unterstellt.

Mütter konnten ab der achten Woche ihre Kinder in die Kinderkrippe geben. Dies gewährleistete die weitere Berufstätigkeit der Mütter.

„In den Kinderkrippen werden vorwiegend Kinder, deren Mütter berufstätig sind oder studieren von den ersten Lebenswochen bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres in engem Zusammenwirken mit der Familie gepflegt und erzogen.“[38]

In der DDR existierten bis Januar 1990 ca. 7600 Kinderkrippen, in denen Kinder bis zum vollendeten dritten Lebensjahr in Gruppen betreut wurden. Von 1000 Kindern dieser Altersgruppe besuchten 799 eine Tageskrippe[39].

Dem Besuch der Kinderkrippe schloß sich ab dem dritten Geburtstag der ebenfalls freiwillige Kindergartenbesuch an. Von 1000 Kindern im Alter von drei Jahren bis zur Einschulung besuchten 940 einen Kindergarten[40].

Es folgte die allgemeinbildende Polytechnische Oberschule als obligatorische Pflichtschule, welche zehn Jahre umfaßte. Sie bildete den Kern dieses Bildungssystems. Die POS war die Pflichtschule für alle Kinder und Jugendlichen, die damit prinzipiell zehn Jahre lang eine allgemeinbildende Schule besuchen mußten.

Auch nach Erlaß des Bildungsgesetzes war es allerdings möglich, die Schule bereits nach dem achten Schuljahr zu verlassen und eine Berufsausbildung zu beginnen.

Die Polytechnische Oberschule war eine Gesamtschule. Ihr besonderes Kennzeichen war die Verbindung von Schule und Arbeitswelt durch den polytechnischen Unterricht, der in der siebten Klasse einsetzte. Hier wurden die Schülerinnen und Schüler in die „sozialistische Produktion“ eingeführt. Dazu gehörte vor allem „produktive Arbeit“ in einem Volkseigenen Betrieb (VEB) oder in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG). Unterricht und Arbeit in diesen Bereichen boten noch keine berufliche Grundausbildung, sollten aber berufsvorbereitend sein.

Die zweijährige Erweiterte Oberschule (EOS) baute auf die zehnklassige Polytechnische Oberschule auf und bereitete auf das Hochschulstudium vor. Der polytechnische Unterricht wurde hier in Zusammenarbeit mit Betrieben und wissenschaftlichen Institutionen fortgeführt. Zum obligatorischen Unterricht gehörten auch Lehrgänge zur vormilitärischen Ausbildung für Jungen und die Sanitätsausbildung für Mädchen. Die Aufnahme in die EOS wurde von Anfang an zahlenmäßig begrenzt und auf die ebenfalls begrenzte Zahl der Studienplätze abgestimmt. Die Auswahl erfolgte nach schulischen Leistungen, politischer Zuverlässigkeit und sozialer Herkunft.

Nach Abschluß der zehnten Klasse absolvierte die Mehrzahl der Schüler eine Berufsausbildung. Diese dauerte zwei Jahre. Um die Hochschulreife zu erreichen mußte man entweder die Erweiterte Oberschule, eine Berufsausbildung mit Abiturklassen oder eine Ingenieur- oder andere Fachschule absolviert haben.

Im Bildungsgesetz von 1965[41] wurde auch erstmals die notwendige „Förderung besonderer Begabungen und Talente“ sowie die Auswahl der „Besten und Befähigtsten“ betont.

Das Bildungsprivileg der besitzenden Klasse galt als gebrochen und das Recht der Kinder auf eine höhere Schul- bzw. Berufsausbildung war Gesetz. Von der Chancengleichheit wurde sich proportional distanziert und es kam zu einer Eliteförderung.

Spezialschulen und -klassen dienten der Nachwuchsentwicklung und -förderung. Zu diesen gehörten unter anderem auch die Sportspezialschulen oder die Kunstschulen.

Die Betreuung der Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren nach der Schule in Horten war ebenfalls zu einem hohen Prozentsatz gesichert und wurde auch vom Großteil der Eltern genutzt, denn 1989 besuchten 81,2% der Schüler der ersten bis vierten Klasse einen Hort.[42]

[...]


[1] Levi, G./ Schmitt, J. - C., Geschichte der Jugend - Von der Aufklärung bis zur Gegenwart/ G. Levi; J.C. Schmitt, - 1. Aufl. – Paris, Fischer Verlag, 1996

[2] Verfassung der DDR und Jugendgesetz/ Staatsverlag der DDR, - 9.Aufl. -, Berlin: Staatsdruckerei der DDR, 1983, S. 76, § 57 Abs. 1

[3] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Fünfter Familienbericht Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens, Bonn 1994, S. 70 ff.

[4] Judt, M., DDR – Geschichte in Dokumenten Judt, M., - Lizenzausgabe für die

Bundeszentrale für politische Bildung – Bonn: Christoph Links Verlag, 1998, S. 177

[5] Alle Zeitangaben beziehen sich auf das 20. Jahrhundert

[6] Furian, G./Becker, N., Auch im Osten trägt man Westen: Punks in der DDR und was aus ihnen geworden ist / G. Furian, - 1. Aufl. – Berlin; Verlag Thomas Tilsner, 2000 , S. 57

[7] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Neunter Jugendbericht. Bericht über die Situation der Kinder und Jugendlichen und die Entwicklung der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern, Bonn 1994, S. 179

[8] SED = Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, hält die politische Macht, aus der Zwangsvereinigung von KPD und SPD hervorgegangen

[9] Mählert, U., Die Freie Deutsche Jugend 1946-1989/ Mählert, U. – 1. Aufl. - Paderborn 1995, S. 58

[10] Müller, W., Leben in der Platte: Alltagskultur der DDR der 70er und 80er Jahre/ W. Müller, - 1. Aufl. – Wien: Österreichisches Museum für Volkskunde., 1999 Österreichisches Museum für Volkskunde., 1999

[11] Furian, G./Becker, N., .Auch im Osten trägt man Westen: Punks in der DDR und was aus ihnen geworden ist/ G. Furian, - 1. Aufl. – Berlin; Verlag Thomas Tilsner, 2000

[12] Müller, W., Leben in der Platte: Alltagskultur der DDR der 70er und 80er Jahre/ W. Müller, - 1. Aufl. – Wien: Österreichisches Museum für Volkskunde., 1999Österreichisches Museum für Volkskunde., 1999

[13] Mählert, U., Die Freie Deutsche Jugend 1946-1989/ Mählert, U. – 1. Aufl. - Paderborn 1995, S. 58

[14] Glasnost, russ.= Transparenz, Offenheit, Mitte der 80er Jahre von Gorbatschow geprägter Leitbegriff. Unter dieser Losung werden die politisch-ideologisch begründeten Beschränkungen der Pressefreiheit in der Sowjetunion gelockert und schließlich aufgehoben, um eine höhere Transparenz der Entscheidungen im Partei- und Staatsapparat zu bewirken und somit eine gewisse Kontrolle zu etablieren und die angestrebten Reformen abzusichern

[15] Perestrojka, russ.= Wandlung, Erneuerung, neben Glasnost eine der zentralen Parolen nach dem Machtantritt Michail Gorbatschows in der UdSSR (1986 offiziell verkündet); der Begriff bezieht sich auf die Wandlung politischer Strukturen, Wirtschaft und Verwaltung durch innere Reformen, die das Sowjetsystem retten sollen.

[16] Hessische Jugend, Jugend und Jugendarbeit in der DDR/ Hessischer Jugendring – Jahrgang 42 – Heft 2/3 – Juni/September 1990, S. 10

[17] ebd., S. 10

[18] Verfassung der DDR und Jugendgesetz/ Staatsverlag der DDR, - 9.Aufl. -, Berlin: Staatsdruckerei der DDR, 1983, S.41, §1 Abs. 1

[19] ebd., S.41, §1 Abs. 2

[20] Verfassung der DDR und Jugendgesetz/ Staatsverlag der DDR, - 9.Aufl. -, Berlin: Staatsdruckerei der DDR, 1983, S. 57, § 24

[21] ebd., S. 45, § 8 Abs. 3

[22] ebd., S. 43, § 4 Abs. 2

[23] ebd., S. 59 ff, §§ 27 - 33

[24] Verfassung der DDR und Jugendgesetz/ Staatsverlag der DDR, - 9.Aufl. -, Berlin: Staatsdruckerei der DDR, 1983, S.43, § 5

[25] ebd., S.44 f., § 11

[26] ebd., 1983, S. 54, § 22

[27] Mählert, U., Die Freie Deutsche Jugend 1946-1989/ Mählert, U. – 1. Aufl. - Paderborn 1995, S. 1

[28] Ministerium der Justiz, Ehe und Familie. Eine Sammlung gesetzlicher Bestimmungen mit Anmerkungen und Sachregister/ Ministerium der Justiz, - 4. korrigierte Aufl. – Berlin: Staatsverlag der DDR,1981

[29] Ministerium der Justiz, Ehe und Familie. Eine Sammlung gesetzlicher Bestimmungen mit Anmerkungen und Sachregister/ Ministerium der Justiz, - 4. korrigierte Aufl. – Berlin: Staatsverlag der DDR,1981, S. 126

[30] Schroeder, K., Der SED – Staat. Partei, Staat und Gesellschaft 1949 – 1990/ Schroeder, K. – 1. Aufl. – München/ Wien: Carl Hanser Verlag, 1998, S. 515 ff.

[31] Ministerium der Justiz, Ehe und Familie. Eine Sammlung gesetzlicher Bestimmungen mit Anmerkungen und Sachregister/ Ministerium der Justiz, - 4. korrigierte Aufl. – Berlin: Staatsverlag der DDR,1981, S.128

[32] Ministerium der Justiz, Ehe und Familie. Eine Sammlung gesetzlicher Bestimmungen mit Anmerkungen und Sachregister/ Ministerium der Justiz, - 4. korrigierte Aufl. – Berlin: Staatsverlag der DDR,1981, S. 129

[33] Ministerium der Justiz, Ehe und Familie. Eine Sammlung gesetzlicher Bestimmungen mit Anmerkungen und Sachregister/ Ministerium der Justiz, - 4. korrigierte Aufl. – Berlin: Staatsverlag der DDR,1981, S. 126

[34] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Neunter Jugendbericht. Bericht über die Situation der Kinder und Jugendlichen und die Entwicklung der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern, Bonn 1994, S. 29

[35] ebd., S. 29

[36] Psychosozial , Deutsche Befindlichkeiten im Ost- West-Vergleich/ Brähler, Elmar/ Richter, Horst-Eberhard, in Psychosozial, 18 Jg. (1995) Heft I (Nr. 59), S. 17

[37] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Neunter Jugendbericht. Bericht über die Situation der Kinder und Jugendlichen und die Entwicklung der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern, Bonn 1994, S. 29

[38] Ministerium der Justiz, Ehe und Familie. Eine Sammlung gesetzlicher Bestimmungen mit Anmerkungen und Sachregister/ Ministerium der Justiz, - 4. korrigierte Aufl. – Berlin: Staatsverlag der DDR,1981, S. 127

[39] Maaz, H.–J., Der Gefühlsstau - Ein Psychogramm der DDR/ Maaz, H. – J. Berlin (Argon) 1990, S. 26

[40] ebd., S. 26

[41] Ministerium der Justiz, Ehe und Familie. Eine Sammlung gesetzlicher Bestimmungen mit Anmerkungen und Sachregister/ Ministerium der Justiz, - 4. korrigierte Aufl. – Berlin: Staatsverlag der DDR,1981, S. 126

[42] Fischer, A., Das Bildungssystem der DDR – Entwicklung, Umbruch und Neugestaltung seit 1989, 1- Aufl. – Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1992, S. 57

Ende der Leseprobe aus 109 Seiten

Details

Titel
Nicht alles wächst zusammen - Soziale Arbeit mit Jugendlichen in Zeiten der Wende
Hochschule
HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst - Fachhochschule Hildesheim, Holzminden, Göttingen  (Sozialarbeit)
Note
2
Autor
Jahr
2002
Seiten
109
Katalognummer
V8345
ISBN (eBook)
9783638153348
Dateigröße
689 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nicht, Soziale, Arbeit, Jugendlichen, Zeiten, Wende
Arbeit zitieren
Nancy Mühlenberg (Autor:in), 2002, Nicht alles wächst zusammen - Soziale Arbeit mit Jugendlichen in Zeiten der Wende, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8345

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