Mit dem am 1. April 2007 in Kraft getretenen GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) haben die gesetzlichen Krankenkassen die Möglichkeit erhalten ihren Versicherten im Hinblick auf Leistungsangebot und Beitragsgestaltung verschiedene Wahltarife anzubieten. Dieser neue individuelle Spielraum der Vertrags- und Produktgestaltung wird in bestimmten Bereichen zu einem intensiveren Wettbewerb zwischen den Kassen führen. Darüber hinaus wird künftig durch den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (morbi-RSA) die attraktive Basis von Kunden erweitert was zu veränderten Zielkundenstrategien der Versicherer führen wird. Die Deckungsbeitragsdimension wird einen massiven Bedeutungsverlust erfahren, wodurch fast alle Versicherten zu potenziellen Zielkunden der Krankenkassen werden. Vor diesem Hintergrund müssen die Kassen unter Beachtung ihrer individuellen Marktbearbeitungs- und Leistungsmanagementstärke neue Strategien für ein organisches und anorganisches Wachstum entwickeln. Dabei ist die Frage nach einer Spezialisierung auf einzelne Zielkundensegmente von großer Bedeutung. Investitionen in Markenimage und Vertrieb sind dabei unerlässlich.
In der vorliegenden Arbeit werde ich in einem GKV-Vergleich die Wahltarifstrategien der verschiedenen Kassenarten untersuchen. Zu diesem Zweck werde ich einführend den Status-quo des bestehenden Krankenkassensystem sowie die zur Verfügung stehenden Wahltarife vorstellen. In einem zweiten Schritt werde ich die Wettbewerbsintensität im Krankenkassenmarkt untersuchen. Zu diesem Zweck werde ich im Rahmen einer Porter-Five-Forces-Analyse die Marktdynamik herausarbeiten. Die entsprechenden Hintergrundinformationen wurden dabei aus Telefonaten mit der KKH und der Deutschen BKK sowie aus ausgewählter Literatur bezogen. Der ausführliche Interviewverlauf der Telefonate ist im Anhang beigefügt. Im Anschluss werde ich durch eine Betrachtung der Distributionspolitik und vor dem Hintergrund der Sinus-Milieus die typischen Zielgruppen der verschiedenen Krankenkassen herausarbeiten und daraufhin die Passgenauigkeit der jeweiligen Produktpalette überprüfen. Abschließend werde ich anhand der erarbeitenden Daten mögliche Strategieoptionen für die Zukunft geben.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
A. Einleitung
B. Hauptteil
1. Status-quo
1.1. Das bestehende Krankenkassensystem
1.2. Wahltarife und Wahltarifkalkulation
1.2.1. Wahltarife im Zuge des GKV-WSG
1.2.2. Theoretische Grundlagen der Wahltarifkalkulation
2. Der Krankenkassenmarkt – Dynamik und Strategieoptionen
2.1. Die Wettbewerbsintensität im Krankenkassenmarkt
2.2. Die Marktsegmentierungsstrategien der Krankenkassen
2.2.1. Die Versichertengemeinschaft im Lichte der Sinus-Milieus
2.2.2. Die Zielgruppen der Krankenkassen
2.2.3. Das Produktportfolio der Krankenkassen
2.3. Strategieoptionen und Handlungsempfehlungen
3. Resümee
Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Kassenarten und Marktanteile, S. 3
Abbildung 2.: Risikostrukturausgleichswerte, S. 3
Abbildung 3: Die Wettbewerbsintensität im Krankenkassenmarkt, S. 6
Abbildung 4: Die Sinus-Milieus
Abbildung 5: Wechselbereitschaft in den Sinus-Milieus
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A. Einleitung
Mit dem am 1. April 2007 in Kraft getretenen GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) haben die gesetzlichen Krankenkassen die Möglichkeit erhalten ihren Versicherten im Hinblick auf Leistungsangebot und Beitragsgestaltung verschiedene Wahltarife anzubieten. Dieser neue individuelle Spielraum der Vertrags- und Produktgestaltung wird in bestimmten Bereichen zu einem intensiveren Wettbewerb zwischen den Kassen führen. Darüber hinaus wird künftig durch den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (morbi-RSA) die attraktive Basis von Kunden erweitert was zu veränderten Zielkundenstrategien der Versicherer führen wird. Die Deckungsbeitragsdimension wird einen massiven Bedeutungsverlust erfahren, wodurch fast alle Versicherten zu potenziellen Zielkunden der Krankenkassen werden. Vor diesem Hintergrund müssen die Kassen unter Beachtung ihrer individuellen Marktbearbeitungs- und Leistungsmanagementstärke neue Strategien für ein organisches und anorganisches Wachstum entwickeln. Dabei ist die Frage nach einer Spezialisierung auf einzelne Zielkundensegmente von großer Bedeutung. Investitionen in Markenimage und Vertrieb sind dabei unerlässlich.
In der vorliegenden Arbeit werde ich in einem GKV-Vergleich die Wahltarifstrategien der verschiedenen Kassenarten untersuchen. Zu diesem Zweck werde ich einführend den Status-quo des bestehenden Krankenkassensystem sowie die zur Verfügung stehenden Wahltarife vorstellen. In einem zweiten Schritt werde ich die Wettbewerbsintensität im Krankenkassenmarkt untersuchen. Zu diesem Zweck werde ich im Rahmen einer Porter-Five-Forces-Analyse die Marktdynamik herausarbeiten. Die entsprechenden Hintergrundinformationen wurden dabei aus Telefonaten mit der KKH und der Deutschen BKK sowie aus ausgewählter Literatur bezogen. Der ausführliche Interviewverlauf der Telefonate ist im Anhang beigefügt. Im Anschluss werde ich durch eine Betrachtung der Distributionspolitik und vor dem Hintergrund der Sinus-Milieus die typischen Zielgruppen der verschiedenen Krankenkassen herausarbeiten und daraufhin die Passgenauigkeit der jeweiligen Produktpalette überprüfen. Abschließend werde ich anhand der erarbeitenden Daten mögliche Strategieoptionen für die Zukunft geben.
B. Hauptteil
1. Status-quo
Der folgende Abschnitt wird einführend einen kurzen Überblick über die verschiedenen Kassenarten und ihre Versichertenstruktur sowie über die grundlegenden „Regeln“ der Wahltarifkalkulation geben.
1.1. Das bestehende Krankenkassensystem
Dem Zahlenmaterial des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zufolge waren im April 2007 im deutschen Gesundheitswesen insgesamt 360 gesetzliche Krankenkassen vertreten.[1] Diese lassen sich wie in Abbildung 1 dargestellt in Ersatzkassen (EK), Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK), Betriebskrankenkassen (BKK), Innungskrankenkassen (IKK) und sonstige berufsspezifische Krankenkassen untergliedern. Die Ersatzkassen lassen sich weiterhin in Angestelltenersatzkassen (EKAng) und Arbeiterersatzkassen (EKArb) unterteilen, die sich jeweils zu dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VdAK)[2] und dem Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. (AEV)[3] zusammengeschlossen haben. Die Gruppe der betriebsspezifischen Krankenkassen umfasst die Knappschaft-Bahn-See (KBS), die See Krankenkasse (SeeKK) und die Landwirtschaftlichen Krankenkassen (LKK).
Die Krankenkassen unterscheiden sich maßgeblich in ihrer Versicherten- und Risikostruktur. Abbildung 2 gibt einen Überblick über die Risikostrukturausgleichswerte der oben genannten Kassenarten. Diese lassen gezielte Rückschlüsse auf die Versichertengemeinschaft und damit auf die Zielkundensegmente zu. So wird z.B. deutlich, dass neben den IKKn und den Angestelltenersatzkassen insbesondere die BKKn und die Arbeiterersatzkassen zu den großen Zahlerkassen gehören und tendenziell bessere Risiken versichern als die Empfängerkassen, zu denen insbesondere die AOK und die KBS zählen.
Bei einer Betrachtung der Marktanteile wird deutlich, dass die AOK mit Abstand den größten Marktanteil hat. Es folgen die Ersatzkassen mit 33,2% und die Betriebskrankenkassen mit insgesamt 20,7 %.
Abbildung 1: Kassenarten und Marktanteile
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung nach BMG, KV45.
Abbildung 2: Risikostrukturausgleichs-Werte
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung nach BMG, KV45, 1.-4. Quartal 2006
1.2. Wahltarife und Wahltarifkalkulation
Wahltarife sind grundsätzlich als ein wählbares Alternativangebot zur Regelversorgung zu verstehen. Allgemein betrachtet geben die individuellen Beiträge eines Wahltarifs Auskunft über die erwarteten Kosten einer Versorgungs- bzw. Versicherungsform. Sie dienen den Krankenkassen dazu erzielte Einsparungen an ihre Versicherten weiter zu geben.[4]
1.2.1. Wahltarife im Zuge des GKV-WSG
Im Folgenden werden kurz die mit dem GKV-WSG einhergehenden Wahltarifstrukturen vorgestellt.
- Das Pflichtangebot
Die gesetzlichen Krankenkassen sind dazu verpflichtet ihren Versicherten Wahltarife für einen Vollversicherungsschutz anzubieten. Die Tarife umfassen insbesondere die Integrierte Versorgung, Modellvorhaben und besondere ambulante ärztliche Versorgung, strukturierte Behandlungsprogramme sowie die hausarztzentrierte Versorgung. Für die Teilnahme gewähren die Krankenkassen ihren Versicherten Prämienzahlungen oder Zuzahlungsermäßigungen.[5]
- Das freiwillige Angebot
Neben dem Pflichtangebot haben die Krankenkasse die Möglichkeit ihren Versicherten Selbstbehalttarife, Beitragsrückerstattungen, Kostenerstattungen oder Tarife für erweiterte Leistungen anzubieten. Bei einem Selbstbehalttarif verpflichtet sich der Versicherte im Krankheitsfall einen Teil der Behandlungskosten selbst zu tragen und erhält dafür im Gegenzug von seiner Krankenkasse eine Prämienrückzahlung. Der Kostenerstattungstarif kann in ausgewählten Versorgungsbereichen das Sachleistungsprinzip ersetzen.[6] Denkbar sind auch Kostenerstattungstarife die höhere vereinbarte Vergütungen als in der Regelversorgung vorgesehen zum Gegenstand haben. Beitragsrückerstattungen werden für nicht in Anspruch genommene Leistungen gewährt. Die Prämienzahlungen der Kassen dürfen 20% des gesamten Jahresbeitrages eines Versicherten nicht übersteigen und jährlich maximal 600 Euro betragen. Die Tarife haben eine Mindestbindungsfrist von drei Jahren. Anders als bei dem Pflichtangebot können Versicherte die ihre Beiträge nicht selbst entrichten diese Tarife nicht wählen.[7]
1.2.2. Theoretische Grundlagen der Wahltarifkalkulation
Bei der Kalkulation von Wahltarifen ist die Auswahl der Zielgruppe sowie die Form und Höhe der Vergünstigung von großer Bedeutung. Für die Wahrung des Solidarausgleichs ist es unabdingbar die in den Beiträgen enthaltenen Solidarbeiträge nicht anzutasten. Lediglich die Erwartungs- bzw. Risikobeiträge stehen für Beitragsnachlässe zur Verfügung. Für die Pflichtspartarife können in der Praxis die absolute und die prozentuale Beitragsreduktion in Betracht gezogen werden. Zu beachten ist hierbei die jeweils unterschiedliche Auswirkung auf den Solidarausgleich und die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Wahltarifs. Für die Wahltarife zum Unterversicherungsschutz sollte sich der individuelle Beitrag aus einem nicht antastbaren Solidarbeitrag und einem Erwartungswert für den Wahltarif zusammensetzen.[8]
2. Der Krankenkassenmarkt – Dynamik und Strategieoptionen
Im Zuge des GKV-WSG werden sich sowohl die Wettbewerbsintensität als auch die möglichen Strategieoptionen der Krankenkassen wandeln. Im Folgenden werde ich zunächst eine Einschätzung der Marktdynamik vornehmen. Anschließend werde ich die Zielgruppenstrategien der Kassen herausarbeiten und die Produkte vor dem Hintergrund des typischen Konsumentenverhaltens auf ihre Passgenauigkeit hin überprüfen.
2.1. Die Wettbewerbsintensität im Krankenkassenmarkt
Die Wettbewerbsintensität im Krankenkassenmarkt und die damit verbundene Marktdynamik lässt sich idealerweise mit Hilfe einer Porter-Five-Forces-Analyse darstellen.
Abbildung 3: Die Wettbewerbsintensität im Krankenkassenmarkt
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung nach Leitfolien und Haenecke (2001).
- Verhandlungsmacht der Kunden
Die Versicherten haben neben der Wahlfreiheit hinsichtlich der Krankenkasse und des Tarifs auch die Wahlfreiheit hinsichtlich des Leistungserbringers.[9] Folgt man den Ausführungen von Haenecke, so können Leistungserbringer auch als Absatzmittler betrachtet werden, die die Krankenkassen in Form von Kosten- und Qualitätskontrolle in ihre Strategien miteinbeziehen sollten. Es ist weiterhin zu beachten, dass die Leistungserbringer einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Versicherten nehmen können und so ein indirektes Mitspracherecht bei der Frage nach der Kassenwahl erhalten.[10] Desweiteren spielt bei der Entstehung von Pflichtsparverträgen die Verhandlungsmacht der Leistungserbringer eine wesentliche Rolle.[11] Auch Arbeitgeber können ein indirektes Mitspracherecht bei der Kassenwahl erhalten.[12] Die Beurteilung der Intensität der tatsächlichen Verhandlungsmacht der Versicherten ist zwingend vor dem Hintergrund der generellen Wechselbereitschaft vorzunehmen. Der Versichertenumfrage des Widomonitors zufolge sind derzeit nur rund 18 % der Versicherten an einem Wechsel der Krankenkasse interessiert.[13] Folgt man den Ausführungen in der Vorlesung fällt die tatsächliche Wechselbereitschaft mit nur 10 % sogar noch niedriger aus.
- Bedrohung durch die Private Krankenversicherung
Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse haben zum einen die Möglichkeit Zusatzversicherungen bei einer privaten Krankenkasse abzuschließen und zum anderen, wenn sie die entsprechenden Voraussetzungen[14] erfüllen, vollständig aus der GKV auszutreten. Tendenziell sind Privatpatienten bei den Leistungserbringern willkommener als gesetzlich Versicherte, was sich in einer erhöhten Servicequalität für diese Versichertengruppe niederschlägt.[15]. Da in der PKV bislang die Übertragbarkeit von Altersrückstellungen nicht möglich war herrschte zwischen den Versicherungen nur ein sehr eingeschränkter Wettbewerb. Daher bleibt zum einen zu vermuten, dass sich der Wettbewerb größtenteils auf Wechsler aus der GKV konzentriert hat und zum anderen bleibt abzuwarten wie sich die Neuregelungen durch das GKV-WSG hinsichtlich der Übertragbarkeit von Altersrückstellungen auf den Wettbewerb zwischen den privaten Krankenversicherern auswirken. Im Allgemeinen bleibt festzuhalten, dass der Bedrohung durch Substitute der PKV mit Kostenerstattungstarifen und Zusatzleistungen recht gut begegnet werden kann, sofern die dadurch entstehenden erhöhten Beitragszahlungen nicht wesentlich über denen der PKV liegen[16]. Desweiteren ist es in der Praxis durchaus üblich, dass gesetzliche Krankenkassen mit privaten Kassen kooperieren und die angebotenen Zusatztarife von dem privaten Versicherungspartner angeboten werden.[17]
- Bedrohung durch neue Anbieter
Der Krankenversicherungsmarkt ist durch hohe Markteintrittsschranken gekennzeichnet. Die Neugründung einer Krankenkasse ist an strenge gesetzliche Bedingungen gebunden und für Ersatz- und Allgemeine Ortskrankenkassen vollständig ausgeschlossen.[18] Darüber hinaus ist zu bedenken, dass der Krankenkassenmarkt kein besonders wachstumsstarker Markt ist, da bereits rund 98% der Gesamtbevölkerung Krankenversicherungsschutz genießen. Eine neue Kasse wäre also auf die Wechselbereiten Mitglieder angewiesen, die jedoch wie bereits erwähnt nur einen sehr geringen Anteil ausmachen. Die Bedrohung durch neue Anbieter ist daher eher als nebensächlich anzusehen.
- Einflussnahme der Politik
Der Markt der gesetzlichen Krankenversicherung wird in besonders Hohem Maße von der Politik und der Gesetzgebung beeinflusst. Die Leistungskataloge sind weitestgehend vereinheitlicht, der Risikostrukturausgleich sorgt für einen Risikoausgleich zwischen den Kassen, es herrscht ein Diskriminierungsverbot welches streng genommen eine Marktsegmentierungspolitik der Kassen untersagt und es herrscht Kontrahierungszwang. Desweiteren werden regelmäßig neue Gesetze und Verordnungen verabschiedet, die ebenfalls Einfluss auf die allgemeine Marktlage ausüben. Folgt man den Ausführungen in der Vorlesung wird z.B. im Zuge des morbi-RSA künftig mit einem Deckungsgrad der Leistungsausgaben von rund 95% gerechnet. Somit wird im Bereich der Zielkundensegmentierung die Deckungsbeitragsdimension als Beurteilungskriterium für die Attraktivität eines Versicherten entfallen. Theoretisch werden alle Versicherten zu attraktiven Zielkunden, wodurch die Krankenkassen genau überlegen müssen auf welche Gruppen sie sich vor dem Hintergrund der neuen Entwicklungen konzentrieren sollten.
- Wettbewerbsintensität zwischen den gesetzlichen Krankenkassen
Als oberstes Ziel der Krankenkassen kann das Fortbestehen des Unternehmens angesehen werden. Für das Fortbestehen ist wiederum Wachstum im Sinne von hohen Mitgliederzahlen als Deckungsgarantie der relativ hohen Fixkosten notwendig. In Anlehnung an die Vorlesung lässt sich festhalten, dass künftig folgende Kaufkriterien für die Wahl einer Krankenkasse entscheidend sein werden: Der Beitragssatz (100%), die Marke (50%), das Qualitätsmanagement (50%), die Produktvielfalt (35%), der Service (30%) und die Kundennähe (10%).[19] Es wird also weiterhin primär darum gehen möglichst niedrige Beitragssätze anzubieten um Versicherte zu werben. Doch auch die Etablierung der Marke und der Ausbau des Qualitätsmanagements sind von großer Wichtigkeit. Durch den stattfindenden Wettbewerb kommt es zu Marktkonsolidierung. Die Struktur der Konkurrenz befindet sich damit in einem Änderungsprozess. Hinsichtlich der Produktvielfalt und der Wahltarife wird in der Praxis davon ausgegangen, dass der eigentliche Wettbewerb über die Kostenerstattungstarife und Zusatzversicherungen ausgetragen wird. Kooperationen mit PKV-Partner gewinnen an Bedeutung. Ein weiter Faktor sind die Zielkundensegmente der Kassen. Konzentrieren sich viele Kassen auf die gleichen Zielgruppen oder „teilt“ man sich den Markt? Diese Frage werde ich in dem folgenden Abschnitt näher untersuchen.
2.2. Die Marktsegmentierungsstrategien der Krankenkassen
Vor dem Hintergrund des morbi-RSA und der damit einhergehenden breiteren potenziellen Zielkundenbasis wird die Versichertengemeinschaft im Folgenden nach Vorgabe der Sinus-Milieus unterteilt. Die Identifizierung der Zielgruppen erfolgt im Wesentlichen vor dem Hintergrund der Distributionspolitik.
2.2.1. Die Versichertengemeinschaft im Lichte der Sinus-Milieus
Die Versichertengemeinschaft lässt sich mittels des Milieu-Ansatzes von Sinus Sociovision in verschiedene Zielgruppen unterteilen. Wie aus Abb. 3 hervorgeht umfasst die Milieulandschaft insgesamt 10 verschiedene Milieus die sich zu den vier großen Lebensweltsegmenten Gesellschaftliche Leitmilieus, Mainstream-Milieus, Hedonistische Milieus und Traditionelle Milieus zusammenfassen lassen.[20] Die Vertreter der Milieus weisen neben unterschiedlichen Einkommenshöhen und Morbiditätsrisiken auch Unterschiede in der Wechselbereitschaft der Krankenkassen auf. Dieser Aspekt ist für die Neukundenakquirierung von besonderer Bedeutung. Folgt man der Untersuchung „Markenprofile 11“ von Gruner + Jahr AG & Co KG, so ist ein Großteil der Wechselbereiten in den hedonistischen und den gesellschaftlichen Leitmilieus zu finden. Vertreter der traditionellen Milieus sind hingegen wenig wechselbereit. Die prozentualen Wechselbereitschaften sind in Abb. 4 dargestellt.
Abbildung 4: Die Sinus-Milieus
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Sinus Sociovision GmbH
Abbildung 5: Wechselbereitschaft in den Sinus-Milieus
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Markenprofile 11, Gruner + Jahr AG & Co KG
Auch die Ergebnisse einer Versicherten-Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Wido) zeigen die eindeutige Korrelation von Wechselbereitschaft und milieutypischen Merkmalen. Hier wurde insbesondere herausgefunden, dass die Wechselbereitschaft negativ mit dem Alter und positiv mit dem Einkommen und dem formalen Bildungsniveau korreliert. Eine höhere Wechselbereitschaft konnte ebenfalls bei Angestellten im Vergleich zu Arbeitern als auch bei (Ehe-) Paaren im Vergleich zu Singles beobachtet werden. Die höchste Wechselbereitschaft trat bei Männern unter 40 Jahren, die freiwillig und ohne Familienangehörige versichert sind zu Tage.[21]
2.2.2. Die Zielgruppen der Krankenkassen
- Betriebs- und Innungskrankenkassen
Betriebs- und Innungskrankenkassen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Distributionspolitik vor allem durch die Anzahl der Direktkassen.[22] Diese Art der Kundenbetreuung wirkt sich stark selektiv auf die angesprochene Versichertengruppe aus. Folgt man den Ausführungen von Sinus Sociovision wird das Medium Internet bevorzugt von den gesellschaftlichen Leitmilieus in Anspruch genommen. Diese Zielgruppe verfügt in der Regel über ein hohes Einkommen und ein hohes Bildungsniveau. Vertreter dieser Milieus sind sportlich aktiver als die übrigen Milieuvertreter und haben tendenziell wenig Zeit für Arztbesuche. Nach Angaben des BKK-Bundesverbands sind insbesondere Führungskräfte eine wichtige Zielgruppe da sie „eine Vorbildrolle für die Mitarbeiter […], Einfluss auf die Gestaltung von Arbeitsbedingungen“[23] und mit ihrem Verhalten Einfluss auf das Befinden und die Gesundheit ihrer Mitarbeiter haben. Es werden regelmäßig Seminare zur Gesundheitsförderung angeboten. Doch auch Arbeiter, Angestellte und Auszubildende der jeweiligen Betriebe sind als Zielgruppe zu identifizieren, da diese insbesondere dem Einfluss der „gesundheitlich geschulten“ Führungskräfte ausgesetzt sind. Die Erkenntnisse sind auf Innungskrankenkassen übertragbar.
- Ersatzkassen
Bei den Ersatzkassen entstehen schon allein durch die Namensgebung Selektionseffekte. Arbeiter fühlen sich eher von Arbeiterersatzkassen, Angestellte eher von Angestelltenersatzkassen angesprochen. Die großen Angestelltenersatzkassen wie die BARMER, die DAK und die KKH weisen im Vergleich zu den anderen Ersatzkassen eine relativ hohe, flächendeckende Geschäftstellendichte auf. Kleinere Ersatzkassen sind hingegen weniger stark vor Ort vertreten. Die HMK verfügt z.B. derzeit nur noch über 17 Regionalzentren. Ein Großteil des Vertriebs findet über Partnergeschäftsstellen statt. Hierbei ist auffällig, dass sich im Osten lediglich 2 Regionalzentren und 4 Partnergeschäftsstellen befinden. Im Hinblick auf die Arbeitslosenzahlen in den östlichen Bundesländern lässt sich hier eine Selektionsstrategie vermuten. Ähnliches gilt für die HEK. Darüber hinaus ermöglichen die drei großen Ersatzkassen bei ihren Onlineauftritten Einstellungen der Schriftgröße und der Hintergrundfarbe, so dass auch Menschen mit Behinderung und ältere Menschen mit Sehbeeinträchtigung einen problemlosen Zugang zu den Informationen erhalten. Die TK stellt unter den Angestelltenersatzkassen insofern eine Besonderheit dar, als sie eindeutig ihren Fokus auf die technischen Angestellten richtet. Unter den Arbeiterersatzkassen findet sich mit der KEH eine Direktkasse. Die Feststellung allgemeiner Zielgruppenmilieus der Ersatzkassen gestaltet sich relativ schwierig, da sie in der Regel einen breiten der Arbeiter und Angestellten ansprechen. Nach persönlich vorgenommener Einschätzung entfallen die hedonistischen Milieus sowie die Konsum-Materialisten. Die explizite Ansprache von Studenten lässt hingegen eine Tendenz zu den gesellschaftlichen Leitmilieus hin vermuten. Weiterhin dürfte die Bürgerliche Mitte ein wichtiges Zielmilieu sein.
- AOK
Schon anhand der RSA-Werte in Abb. 2 ist ersichtlich, dass die Allgemeinen Ortskrankenkassen eine eher schlechte Risikostruktur aufweisen. Der derzeitige Versichertenkreis ist klar in den „unteren“ traditionellen und Mainstream-Milieus anzusiedeln, was im Wesentlichen durch die Vergangenheit als Auffang- bzw. Basiskasse bedingt ist.[24] Sie weisen eine sehr hohe Geschäftstellendichte auf und verweisen auf ihren Internetseiten auf „Kundenberater(n), die Sie kennen und zu denen Sie Vertrauen haben“[25] Mit diesem Traditions- und Werterhalt sprechen sie insbesondere die Konservativen und Traditionsverwurzelten an. Durch die Bezeichnung als „Gesundheitskasse“ hat die AOK zwar versucht sich von dem Image als „Armenkasse“ zu befreien, jedoch befindet sich der Großteil der Sympathisanten der AOK immer noch in den unteren Einkommensklassen.[26]
2.2.3. Das Produktportfolio der Krankenkassen
Das Produktportfolio der einzelnen Krankenkassen lässt sich auch nach Einführung der Wahltarife nicht klar voneinander abgrenzen. Neben den Pflichtspartarifen werden auch Selbstbehalttarife und Tarife zur Kosten- oder Beitragsrückerstattung von allen Kassen gleichermaßen angeboten. Ein wirklicher Wettbewerb ist auf dieser Ebene somit kaum möglich. Auch die Struktur der Tarife wird sich kaum unterscheiden. Selbstbehalttarife werden in der Regel nach der Einkommenshöhe differenziert, Prämienrückerstattungen durch nicht in Anspruch genommene Leistungen werden bei keiner Kasse durch Vorsorgeuntersuchungen geschmälert. Der markante Unterschied liegt in den Kostenerstattungs- und Zusatztarifen. Die regulären Kostenerstattungsmöglichkeiten der gesetzlichen Versicherer dürften weitestgehend identisch sein. Im Bereich der Zusatzversicherungen werden sich hingegen große Differenzierungspotenziale auftun.[27] Die Kassen haben die Wahl. Entweder können sie die Zusatzversicherungen selbst anbieten oder sie können mit einem privaten Krankenversicherer kooperieren. Bereits heute sind beider Formen vertreten. Die AOK hat sich für ein eigenes Angebot entschieden und damit bereits den Zorn der PKV auf sich gezogen. Die DAK kooperiert hingegen mit der HUK Coburg.
2.3. Strategieoptionen und Handlungsempfehlungen
Durch die mit dem GKV-WSG einhergehenden Veränderungen werden die Krankenkassen hinsichtlich ihrer Positionierung im Markt künftig aus insgesamt vier Hauptstrategien wählen: 1. Breitenkasse vs. Nischenplayer, 2. Kostenführer vs. Qualitätsführer, 3. organische Wachstum vs. Fusions- und Kooperationswachstum und 4. Push durch Vertrieb vs. Push durch Marketing und Kostenführerschaft.
Insbesondere mit der Einführung von Wahltarifen zum Unterversicherungsschutz wird versucht das Abwandern von Versicherten in die PKV zu verhindern. Im Allgemeinen neigt der Versichertenkreis der guten Risiken[28] dazu die GKV zu verlassen. Die potenziellen Neukunden der PKV sind in den gesellschaftlichen Leitmilieus angesiedelt. Wie aus Abb. 5 hervorgeht besteht in diesen Milieus zugleich die höchste Wechselbereitschaft. In Abschnitt 2.2.2. wurde herausgearbeitet, dass sich vor allem Betriebs- und Innungskrankenkassen sowie einige Ersatzkassen wie z.B. die TK auf diese Leitmilieus konzentrieren.
Die Voraussetzung für wettbewerbstaugliche Wahltarife ist eine hohe Marktbearbeitungsstärke. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll bei der Ausgestaltung der Tarife auf Kooperationspartner der PKV zurückzugreifen, da so besonders attraktive Verträge angeboten werden können. Desweiteren sind Vergünstigungen für Arbeitgeber denkbar um sich so einen zusätzlichen Absatzmittler zu sichern.
Kassen die sich auf die Wechselbereiten der Leitmilieus konzentrieren sollten sich aufgrund des Anforderungsprofils dieser Milieus unbedingt auf eine hohe Qualität ihrer Produkte und in diesem Zusammenhang auf organisches Wachstum konzentrieren. Dabei ist vor dem Hintergrund der starken Kommunikationsbedürftigkeit einer Versicherungsleistung im Allgemeinen und eines Wahltarifs im Besonderen unbedingt auf eine hohe Beratungs- und damit Serviceintensität zu achten. Aufgrund der hohen Affinität der Zielgruppe zu den modernen Kommunikationsmedien und ihrer sehr begrenzten Zeit kann in diesem Zusammenhang durchaus auf ein breites Geschäftsstellennetz verzichtet werden. Eine Direktkasse hat hier gute Chancen und wird sich durchaus als exklusiver Nischenplayer im Markt behaupten können.
Es bleibt zu bedenken, dass Krankenkassen für Vertragsverhandlungen mit der PKV im Idealfall eine entsprechende Verhandlungsmacht aufweisen sollten. Eine große Verhandlungsmacht ist dann gegeben, wenn eine Kasse über einen großen Marktanteil verfügt. Vor diesem Hintergrund sind die Bemühungen der Kassen ebenfalls auf die Erzielung einer hohen Leistungsmanagementstärke zu richten um über günstigere Beitragssätze ein zusätzliches Mitgliederwachstum zu erzielen. Sobald günstigere Beitragssätze generiert werden können, können weitere Gruppen von Wechselbereiten wie z.B. die hedonistischen und die Mainstream-Milieus erfolgreich angesprochen werden. Aufgrund ihrer Haltungen und Einstellungen ist zumindest von den „unteren“ dieser Milieus im Großen und Ganzen keine differenzierte Auseinandersetzung mit der Produktpalette einer Krankenkasse zu erwarten. Hier dürfte größtenteils die direkt ersichtliche Einsparung über einen niedrigeren Beitragssatz ein Argument für einen Kassenwechsel sein. Breitenkassen wie die großen Ersatzkassen DAK und BARMER können hier mit der Zielsetzung auf eine Kostenführerschaft viel erreichen.
Desweiteren sind niedrige Beitragssätze wichtig um die Wechselbereiten im eigenen Versichertenbestand nicht an andere Kassen zu verlieren. Mit ebendiesem Problem hat die AOK weniger zu rechnen, da ihre Versicherten vornehmlich den traditionellen Milieus angehören und diese die geringste Wechselbereitschaft aufweisen. Dennoch ist es für die AOK wichtig ihre bestehende lokale Marktmacht umzusetzen und attraktivere Beitragssätze zu generieren falls sie Wechselbereite aus den hedonistischen und den Mainstream-Milieus gewinnen will. Die gesellschaftlichen Leitmilieus wird die AOK allerdings realistischerweise kaum erreichen.
Darüber hinaus ist anzumerken, dass eine ausgefeilte Differenzierung der Tarife nur in Maßen ratsam ist, da die Aufnahmefähigkeit der Versicherten berücksichtigt werden muss. Eine zu breite Produktpalette überfordert den einzelnen, so dass es schnell zu einem mangelnden Kaufinteresse kommen kann.
3. Resümee
Die neuen Wahltarife sollen die Wettbewerbsintensität auf dem Markt der gesetzlichen Krankenkassen erhöhen und ein stetiges Abwandern der Versicherten in die PKV verhindern. Der Gesetzgeber schafft aber auch hier wieder ungleiche Voraussetzungen, die einen wirkungsvollen Wettbewerb beschneiden.[29] Zudem ist zu bezweifeln, dass das System der GKV mit dem systemtypischen Solidarausgleich überhaupt für einen funktionierenden Wettbewerb geschaffen ist. Einschränkungen des Solidarprinzips werden sich insbesondere in der Einführungsphase der Wahltarife nicht vermeiden lassen. Es ist schon jetzt absehbar, dass die eng abgesteckten Grenzen der GKV ein Ausweichen auf die umfangreicheren Möglichkeiten der PKV zur Folge haben werden. Der gewünschte Wettbewerb wird sich infolgedessen dahingehend entwickeln, dass diejenigen Kassen ihren Fortbestand sichern, die ihren Versicherten die besten Kooperationsverträge mit privaten Krankenversicherern anbieten können. Vor diesem Hintergrund müssen sich die Krankenkassen künftig verstärkt auf ein organisches und anorganisches Wachstum konzentrieren.
Desweiteren gilt, dass Wahltarife ein stark kommunikationsbedürftiges Produkt sind und äußerste Vorsicht hinsichtlich Ausgestaltung und Vermarktung geboten ist. Werden die theoretisch erwarteten Einsparungen in der Realität nicht generiert sind Quersubventionierungen durch die Regelversorgung von Gesetzeswegen her ausgeschlossen und der GKV droht eine neue Verschuldungswelle.
Anhang
Anhang 1: Fragebogen KKH
Fragebogen KKH
Gesprächspartner: Herr Demirkol
1. Wie wurden in der Vergangenheit die Tarife zur Integrierten Versorgung, Disease-Management Programmen etc. von den Versicherten genutzt?
Antwort:
Tarife zu Selbstbehalten wurden kaum in Anspruch genommen, hauptsächlich aufgrund des hohen Kostenrisikos. Beitragsrückzahlungen waren schon eher gefragt. DMP wurden relativ gut aufgenommen.
2. In der Theorie wird auf eine Gefährdung des Solidarausgleichs angespielt (In dem Sinne, dass bei Beitragsnachlässen auch der Solidaranteil der Beiträge angetastet wird und nicht nur der Risikobeitrag). Wie hoch schätzen Sie dieses Risiko ein?
Antwort:
Zum Thema Solidarausgleich konnte Herr Demirkol leider keine konkrete Aussage treffen, da ihm selbst die Begriffe Solidaranteil und Risikobeitrag nicht wirklich vertraut waren. Seiner Meinung nach ist das auch eine zu theoretische Betrachtung .Die KKH hat die Tarife nach Einkommenshöhe gestaffelt. Jeder Versicherte wird dabei einer Gruppe zugeordnet und muss dann vor dem Hintergrund seiner individuellen Leistungsinanspruchnahme selbst entscheiden. Herr Demirkol hat in Bezug auf Selbstbehalttarife und Kostenerstattung auch von einer „Wette mit der Gesundheit“ gesprochen. Nach einer des BVA als Bundesaufsicht der Ersatzkassen gilt für diese, dass die Tarife grundsätzlich mit Ist-Kosten zu kalkulieren sind. Das heißt, dass die tatsächlich entstandenen Medikamentenkosten in Abzug gebracht werden müssen. Die AOK hingegen unterliegt einer Länderaufsicht und darf mit Pauschalen kalkulieren. Herr Demirkol sieht hier eine starke Beschneidung des Wettbewerbs. Bei der Kalkulation der KKH wurde im Wesentlichen auf das Einkommen und die Leistungsinanspruchnahme geachtet. Nach Angaben von Herrn Demirkol ist das wichtig um die Tarife dem Kunden möglichst einfach zu erklären und verständlich zu machen. Die wenigsten der Versicherten würden Ausführungen über einen Risikobeitrag und Solidarbeitrag verstehen. In diesem Zusammenhang ist die Plausibilität wichtig. Zum Thema Quersubventionierung wusste Herr Demirkol zu sagen, dass das BVA dies künftig stark kontrollieren will. Wie die Überprüfung genau aussehen soll konnte er sich allerdings auch nicht vorstellen, da er es insbesondere bei den großen Kassen für sehr schwierig hält. Die KKH hofft, dass die Tarife sich selbst tragen werden. Hundertprozentig sicher könne man sich da allerdings nicht sein. Dies gilt es nach den ersten Monaten der Einführung anhand von Ist-Zahlen zu überprüfen.
3. Werden bei den Pflichtspartarifen auch die Arbeitgeber an den Einsparungen beteiligt?
Antwort:
Bis jetzt ist dies noch nicht der Fall. Herr Demirkol hält es aber für sehr wahrscheinlich, dass dies bald passieren wird. Zum einen vor dem Hintergrund der Lohnnebenkostensenkung und zum anderen vor dem Hintergrund der Einflussnahme des Arbeitgebers sobald diesem Einsparungen in Aussicht gestellt werden.
4. Denken Sie, dass derzeit genügend Vertriebswege vorhanden sind um die Wahltarife zu verkaufen?
Antwort:
Im Prinzip ja. Da es sich um ein sehr beratungsintensives Produkt handelt steht hier vor allem der Außendienst ganz hoch im Kurs. Natürlich gibt es auch Online-Anzeigen, Flyer sowie Werbung im TV und ausgesuchten Magazinen, allerdings ist es wichtig den Kunden nach dieser ersten Kontaktaufnahme in einem persönlichen Gespräch von dem Produkt zu überzeugen. Aus diesem Grund hat die KKH vielen Versicherten „nachtelefoniert“ um oftmals falsche Rückschlüsse der Versicherten zu korrigieren. Viele Versicherte haben die Tarife im Kern nicht verstanden und fühlten sich mit dem Angebot überfordert. Daher ist es für jede Kasse unerlässlich den Erklärungsbedarf zu decken.
Anhang 2: Fragebogen BKK
Fragebogen Deutsche BKK
1. Wie wurden in der Vergangenheit Angebote zur Integrierten Versorgung, etc. und Selbstbehalttarife von den Versicherten genutzt? Antwort: Aufgrund der geringen Attraktivität wurde in der Vergangenheit so gut wie gar nicht auf Selbstbehalttarife zurückgegriffen. Angebote zur Integrierten Versorgung und zu Disease-Management Programmen wurden hingegen gut aufgenommen. Es ist jedoch zu beachten, dass es der Deutschen BKK aufgrund ihrer regionalen Stärke möglich war entsprechend gute Verträge anzubieten. Für kleinere Krankenkassen ist es relativ schwierig gute Konditionen mit den Leistungserbringern auszuhandeln. 2. In der Theorie wird befürchtet, dass Beitragserstattungen zu Lasten der Regelversorgung gehen können. Wie hoch schätzen Sie in diesem Zusammenhang die Gefahr ein, dass die Wahltarife sich nicht selbst tragen können und daher auf Mittel aus der Regelversorgung und somit auf eine Quersubventionierung zurückgegriffen werden muss? Antwort: Die Kassen werden versuchen dies zu vermeiden, da strenge Kontrollen von den Aufsichtsbehörden angekündigt wurden. Jede Kasse muss für ihre Tarife Evaluationsstrukturen zur Tarifbewertung entwickeln. Die Aufsichtsbehörden werden regelmäßig, erstmalig nach einem Jahr, prüfen, ob sich die Tarife rechnen. Falls dies nicht der Fall ist müssen die Tarife entsprechend angepasst werden. Es besteht bei den großen Kassen durchaus die Gefahr, dass durch eine bestehende „Grauzone versteckte Quersubventionierung betrieben werden kann. Es bleibt abzuwarten inwieweit die Aufsichtsbehörden lückenlose Kontrollen durchführen können.
3. In der Theorie wird auf eine Gefährdung des Solidarausgleichs angespielt (In dem Sinne, dass bei Beitragsnachlässen auch der Solidaranteil der Beiträge angetastet wird und nicht nur der Risikobeitrag). Wie hoch schätzen Sie dieses Risiko ein? Antwort: Das Risiko einer Abkehr vom Solidarsystem ist ganz klar gegeben. Gerade für die Einführung der Tarife müssen die Kassen zusätzliche Mittel aufbringen. Es wird wohl auch – zumindest in der Anfangszeit – nicht möglich sein ohne ein Antasten des Solidarbeitrags auszukommen. Die Entwicklung im Gesundheitswesen geht in Richtung einer Verwischung von PKV und GKV. Mit den neuen Tarifen wird das bestehende System der GKV um Komponenten erweitert die vom Grundsatz her mit dem Solidarsystem nicht vereinbar sind. Daher wird sich eine (negative) Auswirkung auf den Solidarausgleich kaum vermeiden lassen.
4. Werden bei den Pflichtspartarifen auch die Arbeitgeber an den Einsparungen beteiligt?
Antwort: Die Arbeitgeber werden weder direkt an den Beitragsnachlässen beteiligt, noch entsteht ihnen durch die Tarife ein Vorteil.
5. Denken Sie, dass derzeit genügend Vertriebswege vorhanden sind um die Wahltarife zu verkaufen?
Antwort:
Vertriebswege sind grundsätzlich vorhanden, jede Kasse wird für sich entscheiden wie sie die Tarife verkauft. Es ist zu beachten, dass viele Tarife für die Kassen selbst ein hohes Risiko bergen. Daher müssen die Kassen sich entscheiden ob sie die Tarife offensiv oder defensiv anbieten wollen. Generell soll mit den Tarifen ein Abwandern der Versicherten in die PKV verhindert werden. Sie sind also prinzipiell für gute Krankheitsrisiken mit hohen Einkommen gedacht. Eine Kasse muss also darauf achten, dass sie ihre Versicherten auf die mit den Tarifen verbundenen Kostenrisiken hinweist, damit nicht der „falsche“ Versichertenkreis die Tarife in Anspruch nimmt.
6. Glauben Sie, dass sich die Wahltarifsangebote zwischen den Kassenarten stark unterscheiden werden? Inwieweit nimmt die vorhandene Versichertenstruktur Einfluss auf die Ausgestaltung der Wahltarife?
Antwort:
Grundsätzlich wird es so sein, dass jede Kasse Selbstbehalte, Prämientarife und Kostenerstattungen anbieten wird. Selbstbehalte und Prämientarife werden sich in Nuancen unterscheiden und weitestgehend gleich strukturiert sein. Hier wird kein Wettbewerb stattfinden. Die Kostenerstattungstarife hingegen weisen ein großes Differenzierungspotenzial auf, so dass es zu unterschiedlich differenzierten Versorgungstarifen kommen wird. Die gesetzlichen Krankenkassen haben hier die Möglichkeit Zusatzleistungen selbst anzubieten oder sich einen erfahrenen PKV-Partner zu suchen. Die AOK Rheinland/Hamburg hat sich z.B. für die erste Variante entschieden und hat darüber hinaus vom Landesversicherungsamt die Genehmigung für ein über die neuen Wahltarife hinausgehendes Angebot erhalten (z.B. Unterbringung im Ein- oder Zweibettzimmer). Da die PKV hier einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht sieht ist auch in Zukunft nicht zu erwarten, dass die AOK mit der PKV kooperiert.
Literaturverzeichnis
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BKK-Bundesverband (Jahr unbekannt): Führungskräfte: Akteure und Zielgruppe der betrieblichen Gesundheitsförderung, URL: http://www.bkk.de/bkk/psfile/downloaddatei/97/fuehrungsk414835364de00.pdf (Zugriff: 15.05.2007).
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Bundesministerium für Gesundheit (2007): Informationsblatt: Die neue Gesundheitsversicherung: Entscheiden Sie selbst – die neuen Wahltarife, URL: http://www.die-gesundheitsreform.de/gesundheitssystem/themen_az/infoblaetter/pdf/infoblatt_wahltarife.pdf (Zugriff am 17.05.2007).
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Gruner + Jahr AG & Co KG (2005): Die Rückkehr der Qualität, Markenprofile 11, URL: http://www.gujmedia.de/_components/markenprofile/download/mapro11branchen/MaPro11_Krankenkassen_Basis.pdf (Zugriff am 17.05.2007).
Haenecke, Henrik (2001): Krankenkassen-Marketing, Eine empirische Analyse der Erfolgsfaktoren, Rainer Hampp Verlag, München und Mering.
Popp, Ekhard (2002): Wahltarife für die GKV – die solidarische Kalkulation von Anreiz- und Bonussystemen für die integrierte Versorgung, in: Arbeit und Sozialpolitik 11-12/2002.
Sinus Sociovision GmbH (2007): Die Sinus-Milieus in Deutschland 2007, URL: http://www.sinus-sociovision.de/2/2-3-1-1.htm (Zugriff am 20.05.2007).
Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V./AEV – Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. (2006), Ausgewählte Basisdaten des Gesundheitswesens, Siegburg.
Wissenschaftliches Institut der AOK, AOK Bundesverband (2006): Widomonitor Ausgabe 2/2006, Beitragssatzkenntnis und Wechselbereitschaft in der GKV, URL: http://wido.de/fileadmin/wido/downloads/pdf_wido_monitor/wido_mon_ausg2-2006_1006.pdf, KomPart Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Bonn (Zugriff am 20.05.2007).
[...]
[1] Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2007a), s. 34.
[2] Folgende Krankenkassen gehören dem VdAK an: BARMER, DAK, TK, KKH, HEK, HMK, Handelskasse Bremen. Vgl. hierzu VdAK/AEV (2006), S. 2.
[3] Folgende Krankenkassen gehören dem AEV an: GEK, HTK, KEH. Vgl. hierzu VdAK/AEV (2006), S. 2.
[4] Vgl. Popp (2002), S. 40.
[5] Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2007).
[6] Ein Kostenerstattungstarif muss nicht zwingend das gesamte Versicherungsverhältnis betreffen. Denkbar ist zum Beispiel die Begrenzung des Tarifs auf ausgewählte Versorgungsbereiche wie ambulante, stationäre oder zahnärztliche Leistungen.
[7] Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2007)
[8] Vgl. Popp (2002), S. 39ff.
[9] Die Wahlfreiheit beschränkt sich auf die geöffneten Krankenkassen. Sie kann beschränkt werden, sobald sich ein Mitglied für einen Wahltarif des unter 1.2.1. genannten Pflichtangebotes entscheidet. In diesem Fall können die Leistungserbringer von den Krankenkassen vorgegeben werden.
[10] Vgl. Haenecke (2001), S. 116.
[11] Die Verträge werden unmittelbar ohne die Kassenärztliche Vereinigung mit dem jeweiligen Leistungserbringer geschlossen. Vgl. hierzu auch Anhang, Fragebogen 2.
[12] Vgl. Haenecke (2001), S. 118f.
[13] Vgl. Wissenschaftliches Institut der AOK, AOK Bundesverband (2006), S. 3.
[14] Die Versichertenpflichtgrenze muss hierfür drei Jahre in Folge überschritten werden. Erst dann ist ein Wechsel in die PKV möglich.
[15] Es besteht die Tendenz bei Privatversicherten mehr Leistungen zu erbringen, da bei der Behandlung das Budget das dem Leistungserbringer zur Verfügung steht nicht angetastet wird. Die erbrachten Leistungen werden in jedem Fall bezahlt. Die verbesserte Servicequalität dient der Kundenbindung.
[16] Hierbei wird unterstellt, dass Kostenerstattungstarife in der Regel nur von einkommensstarken Versicherten gewählt werden, die die Voraussetzungen für einen Wechsel in die PKV erfüllen.
[17] Vgl. Anhang, Fragebogen BKK.
[18] Vgl. Haenecke (2001), S. 65f.
[19] Die Zahlen verstehen sich als der Teil der befragten Personen, die das jeweilige Kriterium als entscheidungsrelevant angegeben haben.
[20] Vgl. Sinus Sociovision GmbH (2007)
[21] Vgl. Wissenschaftliches Institut der AOK, AOK Bundesverband (2006), S. 2f.
[22] Direktkrankenkassen verzichten in der Regel auf ein umfangreiches Geschäftstellennetz sowie auf einen Außendienst. Die Kundenbetreuung erfolgt häufig ausschließlich über Internet-Geschäftsstellen oder Call-Center. Man kann diese Strategie auch als konsequente Kanalstrategie bezeichnen. Vgl. Haenecke (2001), S. 110.
[23] Vgl. BKK-Bundesverband, S. 1f.
[24] Vgl. Haenecke (2001), S. 63.
[25] Vgl. AOK Saarland.
[26] Vgl. Gruner + Jahr AG & Co KG (2005).
[27] Vgl. Anhang, Fragebogen BKK.
[28] Unter guten Risiken versteht man in diesem Zusammenhang gesunde Versicherte ohne mitversicherte Familienangehörige. Unterstellt man den weiblichen Versicherten eine tendenziell höhere Leistungsinanspruchnahme können Männer als attraktivere „Zielrisiken“ verstanden werden.
[29] Vgl. Anhang, Fragebogen KKH, Frage 3, Beitragsrückerstattung: Ist-Kosten-Abzug für Ersatzkassen und Pauschalabzug für die AOK.
- Arbeit zitieren
- Karin Friedrich (Autor:in), 2007, Wahltarifstrategien der gesetzlichen Krankenkassen und die Bedeutung von Selektionseffekten - GKV-Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85011