Umverteilung in der GKV


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

31 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

A. Einleitung

B. Hauptteil
1. Status quo
2. Sozialstaatliche Umverteilungsströme in der GKV
2.1. Umverteilungsströme im Überblick
2.2. Die interpersonelle Umverteilung
2.2.1. Die Umverteilung von Gesunden zu Kranken
2.2.2. Die Generationenumverteilung
2.2.3. Die Geschlechterumverteilung
2.2.4. Die Einkommensumverteilung
2.2.5. Der Familienlastenausgleich
2.3. Risikostrukturausgleich und überregionale Beitragssatzkalkulation
2.4. Die intergenerationelle Umverteilung
2.4.1. Existenz einer intergenerationellen Umverteilung
2.4.2. Gesundheitsausgaben und Alter
2.4.3. Der Einfluss des demographischen Wandels
3. Epidemiologisch geprägte Umverteilungstheorien
3.1. Medizinischer Fortschritt und Alterung
3.2. Die These der Rektangularisierung der Überlebenskurve
3.3. Kompressions- versus Medikalisierungsthese
3.4. Hypothesenbildung
4. Einordnung der Hypothesen anhand empirischer Befunde
5. Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz

C. Resümee

Anhang

Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:Mitgliederstatistik KM6,

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Umverteilungsströme in der GKV,

Abbildung 2: RSA-Alters-Ausgaben-Profile für die GKV,

Abbildung 3: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland,

Abbildung 4: Kompressions- versus Medikalisierungsthese,

Abbildung 5: Entwicklung der Überlebenskurven für Männer und Frauen,

Abbildung 6: Änderungen im Zuge des GKV-WSG,

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Einleitung

Die Existenz einer Krankenversicherung ist die Grundlage für eine flächendeckende und für Jedermann bezahlbare Bereitstellung und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. Ohne eine Krankenversicherung müsste im Krankheitsfall jeder Betroffene für die Kosten der Behandlung selbst aufkommen, was je nach Art und Intensität der Erkrankung schnell die finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen überschreiten kann.

Das gesetzliche Krankenversicherungssystem in Deutschland ist stark geprägt von umverteilungspolitischen Aspekten. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden die vorhandenen Umverteilungsströme erfasst und untersucht. Im Fokus der Betrachtung steht der Einfluss des Alters und der Lebenserwartung auf die Höhe der Gesundheitsausgaben. Es wird gezeigt, dass nicht das Alter, sondern vielmehr die ins hohe Alter verdrängte Sterblichkeit für eine Versteilerung der Ausgabenprofile verantwortlich ist. Desweiteren wird untersucht, ob eine höhere Lebenserwartung mit einer verbesserten Gesundheit und einer Verdichtung der Morbidität einhergeht, oder eine gegenteilige Ausweitung der Alters- und Gesamtmorbidität impliziert. Aus dieser Betrachtung heraus lassen sich klare Rückschlüsse im Hinblick auf die künftige Entwicklung der Gesundheitsausgaben ziehen. Eine Morbiditätsverdichtung ließe eine relative Konstanz der Ausgaben vermuten, während eine Morbiditätsexpansion eine überproportionale Ausgabensteigerung zur Folge hätte.

Zu diesem Zweck wird zunächst ein kurzer Überblick über den Status quo im Gesundheitswesen gegeben. Sodann werden die sozialstaatlichen Umverteilungsströme herausgearbeitet und entsprechende Umverteilungstheorien vorgestellt. Empirische Befunde werden schließlich für die Aufklärung der tatsächlichen Zusammenhänge zwischen Alter und Gesundheitsausgaben herangezogen. Schlussendlich werden aufgrund der Aktualität die Auswirkungen des GKV-Wettbewerbsstrukturgesetzes auf die Umverteilungsstöme untersucht.

B. Hauptteil

1. Status quo

Das umlagefinanzierte System der gesetzlichen Krankenversicherung stellt eine der insgesamt fünf Säulen der Sozialversicherung dar. Im Jahr 2006 waren rund 70,4 Mio. Bürger in der GKV versichert.1 Die Einnahmenseite ist durch paritätisch finanzierte Beiträge geprägt, wobei diese einkommensproportional bis zur Beitragsbemessungsgrenze nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip erhoben werden.2 Die Leistungsgewährung erfolgt hingegen beitrags- und risikounabhängig nach dem Bedarfsprinzip.3 Diese Systematik fördert das im deutschen Sozialversicherungssystem verankerte Solidarprinzip zu Tage.4 Die Versicherten lassen sich je nach Mitgliedsstatus in Pflicht- und freiwillige Versicherte unterteilen. Ausschlaggebend ist hier die Versicherungspflichtgrenze.5 Desweiteren herrscht für die Versicherten Wahlfreiheit hinsichtlich der Krankenkasse bei zeitgleichem Kontrahierungszwang der Versicherer.6 In diesem Zusammenhang sorgt der bundesweite, kassenartenübergreifende Risikostrukturausgleich (RSA) für einen Ausgleich der von den Krankenkassen nur noch in eingeschränktem Maße beeinflussbaren Risikostrukturen. Ab dem Jahr 2009 soll der bestehende RSA durch einen morbiditätsorientierten RSA abgelöst werden.

2. Sozialstaatliche Umverteilungsströme in der GKV

2.1. Umverteilungsströme im Überblick

Im deutschen Gesundheitswesen schlagen sich vielfältige und zum Teil sehr intransparente Umverteilungsströme nieder. Infolgedessen wird in Bezug auf die GKV auch von einer Risikovergemeinschaftung bzw. angewandten Reziprozitätsökonomik gesprochen.7 Abbildung 1 gibt einen generellen Überblick über die GKV-typischen Umverteilungsströme und ordnet diese dem entsprechenden Politikfeld zu.

So existieren zum einen eine Umverteilungen von gesunden zu kranken Versicherten, die dem Bereich der Gesundheitspolitik zugeordnet werden können und zum anderen Umverteilungen zwischen den Generationen, zwischen den Geschlechtern, zwischen Beziehern von hohen und niedrigen beitragspflichtigen Einkommen sowie zwischen Alleinstehenden/Kinderlosen und Familien mit Kindern. Letztere sind im sozialpolitischen Bereich anzusiedeln.8 Gesundheitspolitisch motivierte Umverteilung ist grundsätzlich versicherungsimmanent, da sie einzig und allein den ex-post Schadensausgleich zum Gegenstand hat. Bei der sozialpolitisch motivierten Umverteilung steht hingegen der Ausgleich sozialer Ungleichheiten im Vordergrund. Sie umfasst versicherungsfremde gesamtgesellschaftliche Aufgaben und verleiht so den anteiligen Mitgliedsbeiträgen einen gewissen Steuercharakter.9 Bei der Darstellung der Umverteilungsströme ist zwischen den verschiedenen Umverteilungsdimensionen zu unterscheiden. Im Folgenden wird auf die interpersonelle und intergenerationelle Umverteilung sowie auf den Risikostrukturausgleich eingegangen.

Abbildung 1: Umverteilungsströme in der GKV

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung nach Moog, Raffelhüschen (2006)

2.2. Die interpersonelle Umverteilung

Die interpersonelle Umverteilung beschreibt die Umverteilungsströme zwischen den verschiedenen in der GKV vertretenen Personengruppen. In Abb. 1 wurden diese bereits vorgestellt.

2.2.1. Die Umverteilung von Gesunden zu Kranken

Die Umverteilung von den gesunden zu den kranken Versicherten kann als versicherungstypisch bezeichnet werden. Versicherungstypische Umverteilung ist genau dann gegeben, wenn sie dem Ausgleich zwischen guten und schlechten Risiken dient. Eine Umverteilung kommt dadurch zustande, dass die guten Risiken unterdurchschnittlich von Krankheit betroffen sind und entsprechend weniger Leistungen beanspruchen als sie an Prämien in die Versicherung einzahlen. Schlechte Risiken sind hingegen überdurchschnittlich von Krankheit betroffen und verursachen durch ihre vermehrte Leistungsinanspruchnahme mehr Kosten als durch ihre individuelle Prämienzahlung gedeckt werden könnten.10 Die Umverteilung von Gesunden zu Kranken impliziert eine Umverteilung zwischen den Generationen, den Geschlechtern, der Einkommensklassen und den Familienständen. Sie ist jedoch immer auf den versicherungsimmanenten Ausgleich der Gesundheitsrisiken gerichtet und niemals auf den Ausgleich sozialer Ungleichheiten.

2.2.2. Die Generationenumverteilung

Da die Beiträge in der GKV einkommensabhängig und damit völlig losgelöst von dem Alter der Versicherten entrichtet werden, kommt es auf Grund der höheren durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheitsleistungen im Alter zu einer Umverteilung von den jungen zu den alten Versicherten. Verstärkt wird dieser Effekt durch die Tatsache, dass die Rentereinkommen in der Regel niedriger sind als die Erwerbstätigeneinkommen.11 Exemplarisch kann dies mittels des vom BMG veröffentlichten Zahlenmaterials gezeigt werden: Zum Stichtag 1. Juli 2006 betrug der Anteil der gezahlten KVdR-Beiträge 32,2 Mrd. Euro und stellte damit rund 23,1 % an den gesamten GKV-Beiträgen dar. Die Leistungsausgaben für Versicherte der KVdR beliefen sich im Betrachtungszeitraum hingegen auf rund 67,5 Mrd. Euro und stellten somit einen prozentualen Anteil in Höhe von rund 50,1 % an den gesamten Leistungsgaben der GKV dar. Daraus ergibt sich zum Stichtag ein Deckungsbeitrag der Rentner in Höhe von rund 47,9 %.12 Die Gruppe der Rentner deckt also mit ihren Beitragszahlungen deutlich weniger als die Hälfte der von ihr verursachten Leistungsausgaben.

2.2.3. Die Geschlechterumverteilung

In der GKV lässt sich ebenfalls eine Umverteilung von den männlichen Versicherten zu den weiblichen Versicherten feststellen. Zum einen resultiert dies aus der Tatsache, dass Männer im Durchschnitt über ein höheres Einkommen verfügen als Frauen und zum anderen ist zu beachten, dass die versicherten Frauen im Durchschnitt älter sind als die versicherten Männer und ein steigendes Alter in der Regel steigende Gesundheitsausgaben impliziert. Der Mitgliederstatistik KM6 des BMG zu Folge betrug das Durchschnittsalter der versicherten Frauen zum Stichtag 1. Juli 2006 rund 49,91 Jahre, das der versicherten Männer hingegen lediglich rund 45,39 Jahre.13 Auch sind die Pro-Kopf-Ausgaben für Frauen im mittleren Lebensalter höher als die entsprechenden Pro-Kopf-Ausgaben für Männer.14

2.2.4. Die Einkommensumverteilung

Die einkommensorientierte Beitragsbemessung hat zwingend eine Umverteilung der Einkommen zur Folge. Da die Beitragsbemessung prozentual erfolgt, zahlen Mitglieder mit höheren Einkommen einen höheren Beitrag als Mitglieder niedrigerer Einkommensklassen. Die Beiträge werden bis zur Beitragsbemessungsgrenze mit linearer Wirkung proportional zum Einkommen erhoben. Die Einkommensumverteilung kann daher auch als linear-regressiv bezeichnet werden.15

2.2.5. Der Familienlastenausgleich

Innerhalb der GKV existiert neben den bereits aufgeführten Umverteilungsströmen auch die so genannte Familienumverteilung bzw. der Familienlastenausgleich. Hierunter versteht man die Umverteilung von Alleinstehenden bzw. kinderlosen Zweiverdienerhaushalten hin zu Familien mit Kindern.16 In der beitragsfreien Familienversicherung sind derzeit insgesamt rund 20,3 Mio. Ehegatten und Kinder versichert.17 Die Anzahl der mitversicherten Familienangehörigen unterscheidet sich erheblich nach dem eingangs erwähnten Mitgliedsstatus. In der KVdR fällt die so genannte Mitversichertenlastquote z.B. wesentlich geringer aus als in der AKV. Dies resultiert aus der Tatsache, dass die Mitglieder in der KVdR nur selten mitversicherte Kinder haben. Zudem verfügen Ehegatten zunehmend über eigene Rentenansprüche und sind daher selbst Mitglied in der KVdR. Bei den freiwillig versicherten fällt die Mitversichertenlastquote am höchsten aus. Da diese Versichertengruppe ebenso gut in die PKV wechseln könnte entscheiden sich vor allem die schlechten Risiken mit einer höheren Zahl von mitversicherten Familienangehörigen für eine Mitgliedschaft in der GKV.18

2.3. Risikostrukturausgleich und überregionale Beitragssatzkalkulation

Der RSA dient dem Ausgleich der unterschiedlichen Merkmale der Versichertengemeinschaften der Krankenkassen und erzeugt bundesweite kassen- und kassenartenübergreifende Finanzströme. Der Ausgleich ist ausschließlich auf die Risikostrukturparameter Alter, Geschlecht, Grundlohnsumme, Familienversicherung und Disease Management Programme bezogen.19 Eine Differenzierung nach Gesunden und Kranken ist nicht vorgesehen.20 Der RSA dient der Beitragssatzgerechtigkeit und gewährleistet interregionale Solidarität. Unterschiede in den Beitragssätzen der Kassen resultieren zum einen aus Unterschieden hinsichtlich Leistungsniveau, Inanspruchnahmeverhalten der Versicherten und Effizienz der Kassenorganisation und zum anderen aus Unterschieden hinsichtlich Risikostruktur, regionaler medizinischer Angebotsstrukturen und regionaler Erstreckungsbereiche der Kassen. Ersteres ist im Zuge der Herstellung von Beitragssatzgerechtigkeit und Kassenwettbewerb unbedingt erwünscht.

Unterschiedliche Beitragssätze aufgrund unterschiedlicher Risikostrukturen implizieren hingegen eine unterschiedliche Erfüllung der GKV-Solidaraufgaben der einzelnen Kassen und stellen damit einen Verstoß gegen das Gebot der Beitragssatzgerechtigkeit dar. Der RSA nimmt hier also kassen- und regionenübergreifende Umverteilungsaufgaben wahr.21

Beitragssatzunterschiede aufgrund regional unterschiedlicher Versorgungsstrukturen und unterschiedlicher Erstreckungsbereiche der Kassen werden kontrovers diskutiert. Zum einen scheint ein höherer Beitragssatz für Versicherte in einer Hochversorgungsregion angemessen, da vergleichsweise höhere Ausgaben entstehen und dieser Versichertenkreis einen entsprechenden Nutzen aus der Versorgungslage zieht. Zum anderen lässt sich ein Verstoß gegen „das grundsätzliche Postulat der ‚Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse’“22 vermuten. Darüber hinaus kalkulieren überregionale Kassen einen einheitlichen Misch-Beitragssatz, der zu einer interregionalen Quersubvention innerhalb der Kassen führt. Der Beitragssatz der regionalen Kassen bemisst sich hingegen ausschließlich nach den entsprechenden Einnahmen und Ausgaben in der Region. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang die Existenz des kassenarteninternen Finanzausgleichs23, sodass eine realistische Reflektion regionaler Gegebenheiten durch den Beitragssatz generell fragwürdig ist.24 Die Zielungenauigkeit des RSA wird weiterhin durch die oben genannten unvollständigen Risikostrukturparameter forciert.25 So können z.B. Krankenkassen die überwiegend gute Risiken in ihrem Bestand haben ungerechtfertigte Beitragssatzvorteile erzielen.26

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Versicherte aus einkommensschwächeren Regionen Finanztransfers von Versicherten aus einkommensstärkeren Regionen erhalten. Bedingt wird dies sowohl durch den RSA-typischen Finanzkraftausgleich als auch durch die Beitragssatzkalkulation bundesweit tätiger Krankenkassen.27

2.4. Die intergenerationelle Umverteilung

2.4.1. Existenz einer intergenerationellen Umverteilung

Die Existenz einer intergenerationellen Umverteilung kann im Rahmen einer Längsschnittuntersuchung des deutschen Gesundheitssystems nachgewiesen werden. Während die interpersonelle Umverteilung eine zeitpunktbezogene Betrachtung ist, stellt die intergenerationelle Umverteilung eine zeitraumbezogene Betrachtung dar. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Gesundheitsausgaben ab einem bestimmten Alter in der Regel positiv, die Beitragseinnahmen jedoch negativ mit dem Alter korrelieren. Die jungen Erwerbstätigen kommen für die Versorgung der alten Nichterwerbstätigen auf, wodurch in jeder Periode eine Umverteilung von den jungen zu den alten Versicherten stattfindet. Das umlagefinanzierte Gesundheitssystem kann somit als echter Generationenvertrag bezeichnet werden.28

2.4.2. Gesundheitsausgaben und Alter

In der Literatur herrscht Einigkeit darüber, dass die Gesundheitsausgaben positiv mit dem Alter korrelieren. Auch empirische Befunde lassen hier keine andere Aussage zu. Insbesondere im dritten und vierten Lebensalter kann man einen ständigen Anstieg der Ausgaben beobachten.29 Chronische Erkrankungen fallen hier besonders stark ins Gewicht.30 Es gilt jedoch zu beachten, dass diese Ausgaben nur teilweise direkt auf das Alter zurückzuführen sind. Wesentlich gewichtigere Einflussfaktoren bilden in diesem Zusammenhang die gesellschaftlich verankerte „Tabuierung der Ressourcenrationierung im Alter“31 und die Möglichkeiten der Medizin. Ein wechselseitiger Verstärkungsmechanismus der schlussendlich zu einer Versteilerung der Ausgabenprofile führt ist die Folge.32 Dabei handelt es sich bei der Versteilerung um eine dynamische Größe, die die Veränderung des Ausgabenprofils im Zeitverlauf beschreibt.33 Die Pro-Kopf-Ausgaben der jungen und alten Generation driften immer weiter auseinander. Dadurch entsteht einerseits eine immer stärker werdende finanzielle Belastung der Jungen durch die Alten und andererseits ein generationenübergreifender Rückkopplungseffekt. Eine Versteilerung der Ausgabenprofile führt bei einer stabilen Bevölkerungsstruktur schließlich dazu, dass jede Generation eine Gewinner-Generation ist. Diese Kausalität ist über den gesamten Zeitraum der Gültigkeit und Umsetzung des Generationenvertrags gegeben.34

Abbildung 2 zeigt im Rahmen einer Querschnittsbetrachtung der RSA-Alters-Ausgaben-Profile für die GKV (je Versicherter mit allgemeinem Beitragssatz) die stark altersabhängige Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen für die alten Bundesländer im Jahr 2005. Der Kurvenverlauf für die neuen Bundesländer ist weitestgehend identisch. Die Grafik lässt erkennen, dass die Gesundheitsausgaben pro Kopf im sehr hohen Lebensalter im Durchschnitt etwa das Fünffache der Ausgaben für die Altersklasse der unter 15-Jährigen betragen. Ein deutlicher Ausgabenanstieg ist bereits ab dem sechzigsten Lebensjahr zu erkennen.

Abbildung 2: RSA-Alters-Ausgaben-Profile für die GKV

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (2006), S. 42.

2.4.3. Der Einfluss des demographischen Wandels

Aufgrund der starken Korrelation von Gesundheitsausgaben und Alter ist der demographische Wandel eine entscheidende Determinante im Hinblick auf die Entwicklung der Gesundheitsausgaben. Die zwei wesentlichen Aspekte der Bevölkerungsalterung werden mit dem Begriff des „double aging“35 zum Ausdruck gebracht. Demnach findet durch eine steigende durchschnittliche Lebenserwartung auf der einen Seite und eine rückläufige Geburtenrate auf der anderen Seite eine zweifache Alterung der Bevölkerung statt.36 Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Alterung der Bevölkerung von oben und unten.37

Abbildung 3 gibt in Anlehnung an die 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung in Form von Alterspyramiden einen Überblick über bereits eingetretene sowie prognostizierte Veränderungen des Altersaufbaus der Bevölkerung. Aus einer ursprünglichen Pyramide zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird für das Jahr 2050 ein Bevölkerungspilz prognostiziert. Die alten Jahrgänge werden den Großteil der Bevölkerung ausmachen, während die jungen und mittleren Jahrgänge nur noch in geringem Maße vertreten sein werden. Bereits bis zum Jahr 2005 hatte sich die ursprüngliche Pyramide zu einem tannenförmigen Gebilde entwickelt, was eine übermäßig starke Präsenz der mittleren Jahrgänge impliziert.

Abbildung 3: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: StBA (2006), 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung.

In die Betrachtung mit einzubeziehen ist auch die Migration.38 Sie wirkt der Entwicklung von Geburtenrate und Sterbefällen entgegen, da Immigranten im Durchschnitt jünger sind als Einheimische.39 In der Theorie wird jedoch davon ausgegangen, dass der demographische Alterungsprozess nicht aufzuhalten ist, obgleich die Migration ein erhebliches Entlastungspotenzial in sich trägt.40

Die Verschiebungen im Altersaufbau der Bevölkerung sind für ein umlagefinanziertes Gesundheitswesen von größter Wichtigkeit, da auf immer weniger Erwerbspersonen eine immer größer werdende Anzahl von abhängigen älteren Menschen kommt. Eine Analyse des Altenquotienten vermag Aufschluss über die genauen Verschiebungen zu geben.41 Weitestgehend unbestritten ist in diesem Zusammenhang vor allem der Einfluss des demographischen Finanzierungseffekts auf die Beitragssatzentwicklung in der GKV. Dieser Effekt betrifft die Einnahmeseite und erfasst den durch die Rentner geleisteten Deckungsbeitrag. Umstrittener ist hingegen der demographische Ausgabeneffekt, der Gesundheitsausgaben und Alter zueinander in Beziehung setzt. Für eine realistische Einschätzung der Ausgabenentwicklung sind zwingend zwei Effekte zu berücksichtigen.42

- Der Kalendereffekt

Der Kalendereffekt erfasst die positive Korrelation von Alter und Morbidität. Er wird daher auch als physischer Alterseffekt bezeichnet. Dieser Entwicklung wird im Allgemeinen ein großes Potenzial für die Steigerung der Pro-Kopf Ausgaben zugeschrieben.43

- Der Restlebenszeiteffekt

Der Restlebenszeiteffekt geht davon aus, dass die höheren Gesundheitsausgaben im Alter nicht nur eine Konsequenz des Lebensalters an sich sind, sondern vielmehr von dem herannahenden Tod und den Versuchen ebendiesen abzuwenden beeinflusst werden.44 Die Gesundheitsausgaben für Sterbende treiben dieser Ansicht zufolge die statistisch betrachteten Ausgaben für die Alten enorm in die Höhe.

Ulrich (2003) merkt in diesem Zusammenhang kritisch an, dass der Restlebenszeiteffekt nicht der Frage nach den Auswirkungen einer Zunahme der Lebenserwartungen insgesamt auf die Gesundheitsausgaben nachgeht. Gemeint ist hier ein möglicher entlastender Effekt, der sich bei einer Altersstrukturverschiebung hin zu höheren Altersklassen durch einen insgesamt geringer betriebenen Aufwand für die Hochbetagten ergeben kann. Dies steht allerdings im Widerspruch zu der in Abschnitt 2.4.2. erwähnten „Tabuierung der Ressourcenrationierung im Alter“. Darüber hinaus gibt Ulrich zu bedenken, dass in jedem Jahr nur ein vergleichsweise geringer Teil der gesamten Versichertengemeinschaft verstirbt. Im Fokus der Betrachtung sollte daher die Frage nach der Veränderung des durchschnittlichen Gesundheitszustands älterer Menschen stehen.45 In Abschnitt 3 werden hierzu zwei konkurrierende Thesen vorgestellt.

Desweiteren wird in der Theorie davon ausgegangen, dass zukünftige Kohorten älterer Menschen, bedingt durch eine Ausweitung präventiver Maßnahmen, einen besseren Gesundheitszustand aufweisen werden als die entsprechenden gegenwärtigen Alterskohorten.46 So soll sich der durchschnittliche Gesundheitszustand trotz eines Anstiegs des Durchschnittsalters der Bevölkerung deutlich verbessern und so die künftige Kostenentwicklung positiv beeinflussen.47 Ein weiterer Aspekt ist die prognostizierte Erhöhung der aktiven Lebenserwartung, die ebenfalls eine künftige Dämpfung der Gesundheitsausgaben impliziert.48

Allgemein bleibt zunächst festzuhalten, dass in umlagefinanzierten Gesundheitssystemen eine veränderte Bevölkerungsstruktur eine Ungleichbehandlung der Generationen impliziert und das verstärkte Auftreten intergenerationeller Umverteilungsströme forciert.49

3. Epidemiologisch geprägte Umverteilungstheorien

3.1. Medizinischer Fortschritt und Alterung

Bereits in Abschnitt 2.3.2 wurde auf die „Möglichkeiten der Medizin“ verwiesen. Hier sind in der Theorie zwei kontroverse Meinungen vertreten. Zum einen gehen Breyer und Ulrich in Anlehnung an den Restlebenszeiteffekt davon aus, dass sich durch einen innovationsbedingten Anstieg der Lebenserwartungen ein gleichzeitiges Absinken der Sterbeziffern ergibt. Der Anteil der Menschen in der ausgabenintensivsten Lebensphase soll sich somit verringern, was sich dämpfend auf den Ausgabenanstieg auswirkt.

Entgegengesetzte Thesen wurden von Zweifel und Krämer formuliert. So besagt das „Sisyphus-Syndrom“ von Zweifel, dass medizinischer Fortschritt infolge einer gesteigerten Lebenserwartung zu einer größeren Anzahl älterer Menschen führt und dass diese im Zuge einer verstärkten Durchsetzung ihrer Ansprüche auch verstärkt Ressourcen beanspruchen. Die These der „konkurrierenden Risiken“ von Krämer geht von einem Absenken des durchschnittlichen Gesundheitszustands durch den technischen Fortschritt aus. Durch ein verlängertes Leben verlängert sich ebenfalls die Krankengeschichte jedes Patienten. Die Überlebensschwelle wird nach unten gesenkt und eine Versteilerung der Ausgabenprofile ist die Folge.50

3.2. Die These der Rektangularisierung der Überlebenskurve

Die These der Rektangularisierung der Überlebenskurve geht davon aus, dass künftig neben den gesunden Menschen auch die Schwachen und Kranken ein hohes Alter erreichen. Da sich der durchschnittliche Gesundheitszustand der hohen Lebensalter auf diesem Wege verschlechtert sind steigende Pro-Kopf-Ausgaben innerhalb dieser Altersklasse die Folge. Der Gesundheitszustand jüngerer Altersklassen verbessert sich hingegen, da die Mortalität ins hohe Alter verschoben wird. Es kommt zu einer Versteilerung der Ausgabenprofile.51

3.3. Kompressions- versus Medikalisierungsthese

Die folgenden Thesen gehen der Frage nach der Veränderung des durchschnittlichen Gesundheitszustands älterer Menschen nach.52

- Kompressionsthese

Die Kompressionsthese geht von einer Verdichtung der Morbidität aus.53 Grundsätzlich wird angenommen, dass die Morbidität im Alter durch eine leistungsfähigere Medizin nur in geringem Maße zunehmen wird. Die durchschnittliche Krankheitszeit am Lebensende nimmt bei Betrachtung der letzten Jahrzehnte tendenziell ab, was daraus resultiert, dass die zusätzlich gewonnenen Lebensjahre mit einem überwiegend guten Gesundheitszustand einhergehen.54 Krankheit tritt erst in der Phase kurz vor dem Tod auf. Folglich findet dann ein sprunghafter Anstieg der Gesundheitsausgaben statt. Diese Phase verkürzt sich durch die bessere Medizin aber zunehmend was zu einer Streckung des Ausgabenprofils in der Horizontalen führt. Eine höhere Lebenserwartung geht demnach keineswegs mit höheren durchschnittlichen Leistungsausgaben einher.55

- Medikalisierungsthese

Die Medikalisierungsthese geht hingegen von einer Morbiditätsexpansion aus. Folgt man dieser These ist im Zuge einer steigenden Alters- und Gesamtmorbidität von einer überproportionalen Steigerung der Gesundheitsausgaben auszugehen. Aufgrund der Wechselwirkung zwischen erhöhter Lebenserwartung und medizinisch-technischem Fortschritt werden Leistungen länger und verstärkt in Anspruch genommen.56 Bedingt durch eine verbesserte Sekundärprävention und eine verbesserte Diagnostik geht eine höhere Lebenserwartung mit einem verschlechterten Gesundheitszustand einher. Das Fortschreiten von Krankheitsverläufen wird verlangsamt und während die Mortalität in den verschiedenen Altersgruppen herabgesetzt wird, kommt es durch eine schlechtere Gesundheit in den zusätzlichen Lebensjahren zu einer Erhöhung der Morbidität.57.

- Thesen im Vergleich

Abbildung 4 verdeutlicht beide Thesen. Folgt man der Medikalisierungsthese findet mit steigender Lebenserwartung keine Verschiebung des Beginns von Krankheit ins höhere Alter statt. Die gewonnen Lebensjahre werden in Krankheit verbracht und die Menschen sind somit im Durchschnitt länger krank. Im Extremfall verschiebt sich der Krankheitsbeginn nach vorn, da durch den medizinisch-technischen Fortschritt verstärkt ebenfalls Menschen in jungen Jahren vor dem Tod bewahrt werden und ihr restliches Leben in Krankheit oder Therapie verbringen. Folgt man hingegen der Kompressionsthese setzt der Krankheitsbeginn später ein und die Krankheitsphase wird im Verhältnis zur Lebenslänge kürzer. Es kommt zu einer Kompression der Morbidität und einer starken Versteilerung der Ausgabenprofile kurz vor dem Tod.

- Der Bi-modale Ansatz

Der Bi-modale Ansatz gilt als Synthese von Kompressions- und Medikalisierungsthese und geht vor dem Hintergrund sozialer Schichtzugehörigkeit davon aus, dass sich sowohl der Gesundheitszustand verbessern als auch die Anzahl pflegebedürftiger Menschen erhöhen kann. Dabei ist die Kompressionsthese eher auf Angehörige der Oberschicht und die Medikalisierungsthese auf Angehörige unterer Einkommensschichten anwendbar.58

Abbildung 4: Kompressions- versus Medikalisierungsthese

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: In Anlehnung an Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (2006), S. 42, hypothetische Daten.

3.4. Hypothesenbildung

In Anlehnung an die Umverteilungstheorien lassen sich Hypothesen bilden, die vor dem Hintergrund empirischer Befunde auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden können. In Abschnitt 4 stehen daher folgende Hypothesen zur Diskussion:

1. Der medizinisch-technische Fortschritt ermöglicht ein konstant hohes Gesundheitsniveau und damit ein Hinauszögern des Todeszeitpunkts. Die Folge ist eine Konzentration der Todesfälle auf einen relativ begrenzten Lebensabschnitt (Rektangularisierung der Überlebenskurve). Damit ist nicht das Alter, sondern die in höhere Altersklassen verdrängte Sterblichkeit der Hauptgrund für eine Versteilerung der Ausgabenprofile.
2. Eine höhere Lebenserwartung geht mit einer verbesserten Gesundheit und einer Verdichtung der Morbidität einher, was zu einer Konzentration der Gesundheitsausgaben kurz vor dem Tod führt. Ein Anstieg der Gesundheitsausgaben findet nicht statt.
3. Eine höhere Lebenserwartung impliziert eine Ausweitung der Alters- und Gesamtmorbidität. Folglich kommt es zu einer überproportionalen Steigerung der Gesundheitsausgaben.

4. Einordnung der Hypothesen anhand empirischer Befunde

- Hypothese 1

Die Rektangularisierung der Überlebenskurve ist zurückzuführen auf ein steigendes Durchschnittsalter zum Zeitpunkt des Todes sowie auf abnehmende Schwankungen des Sterbealters. Paccaud et al. haben in ihrer Studie eine entsprechende Untersuchung der Häufigkeitsverteilung vorgenommen und konnten so die vermutete Entwicklung mittels vergleichender Histogramme nachweisen.59

Desweiteren hat Felder (2005) den Verlauf der Überlebenskurven des vergangenen Jahrhunderts untersucht und festgestellt, dass dieser sich in den letzten 125 Jahren stark verändert hat. Wie aus Abbildung 5 hervorgeht ist nicht nur der fallende Kurvenverlauf am Lebensanfang nahezu verschwunden60, vielmehr wurde der Todeszeitpunkt immer weiter „nach hinten“ verschoben, was schließlich aufgrund des relativ konstanten Fußpunkts der Kurve in einer extremen Versteilerung des Kurvengefälles im hohen Alter endet. In einem ersten Schritt kann also die These der Rektangularisierung der Überlebenskurve bestätigt werden.61 Felder hat weiterhin den Zusammenhang zwischen der Versteilerung der Ausgabenprofile und dem Veränderten Kurvenverlauf untersucht und kommt zu dem Schluss, dass „die Nähe zum Tod einen signifikant hohen Einfluss auf die Höhe der Gesundheitsausgaben hat und die Erklärungskraft des chronologischen Alters zurückdrängt“62.

Abbildung 5: Entwicklung der Überlebenskurven für Männer und Frauen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Felder (2005), S. 3.

- Hypothese 2

In Anlehnung an Lauterbach et al. (2001a) darf künftig von einem verbesserten mittleren Gesundheitszustand älterer Menschen ausgegangen werden. Eine zielgerichtete und systematische Prävention zur Beschleunigung dieser Entwicklung ist unbedingt anzustreben. Folgt man den Ausführungen der Autoren, so wird der Großteil der Gesundheitsausgaben durch chronische Krankheiten hervorgerufen. Eine Verschiebung des Eintritts der Erkrankungen in höhere Lebensalter kann die Erkrankungsdauer verkürzen. In Verbindung mit einer Verbesserung des mittleren Gesundheitszustands der Betroffenen könnte der Kostendruck entsprechend gesenkt werden. Empirische Befunde belegen, dass ein Auftreten von Komplikationen und Folgeerkrankungen durch evidenzbasierte Therapie vermieden werden kann.63

Die befürchtete Kostenexplosion im Gesundheitswesen scheint also keine zwingende Folge des technischen Fortschritts und der demographischen Entwicklung zu sein. Kruse et al. (2003) legen in ihrer Expertise dar, dass eine Kompression der zu einer stationären Versorgung führenden Morbidität durch entsprechende Daten aus den USA, der Schweiz und Deutschland bestätigt werden kann. Auch der Sachverständigenrat für die konzentrierte Aktion im Gesundheitswesen geht insbesondere im stationären Bereich von einer Abnahme der altersspezifischen Verbrauchsziffern aus.64 Fetzer (2005) weißt in seinem Diskussionspapier zudem auf eine „altersbasierte Rationierung“65 hin. Demzufolge zeigen Studien, dass bei Personen die im Alter von über 101 Jahren sterben die Gesundheitskosten für die letzten zwei Lebensjahre im Vergleich zu den Kosten für Personen die im Alter von 70 Jahren sterben rund 63% geringer sind. Busse, Krauth und Schwartz zeigen, dass die Anzahl der Krankenhaustage im letzten Lebensjahr für unter 25jährige mit 24,2 Tagen höher ist als die Anzahl für über 85jährige (23,2 Tage). Brockmann zeigt, dass die Behandlungskosten bei gleicher Krankheit mit zunehmendem Alter sinken.66 Eine wie in Abschnitt 2.4.2. genannte „Tabuierung der Ressourcenrationierung im Alter“ scheint demnach nicht unbegrenzt gegeben. Die bereits genannte „Versteilerung der Ausgabenprofile“ kann in diesem Zusammenhang ergänzend als weiteres Argument für die Gültigkeit der Hypothese angeführt werden.

- Hypothese 3

Empirische Evidenz für Hypothese 3 ist nur in relativ geringem Maße vorhanden. So zeigt z.B. Nocera, dass im stationären Bereich durchaus von einem Anstieg der Gesamtmorbidität ausgegangen werden kann. Dies steht allerdings im Widerspruch zu den Erkenntnissen von Kruse et al. (2003) und des Sachverständigenrats für die konzentrierte Aktion im Gesundheitswesen. Cutler und Meara konnten für Medicare belegen, dass das reale Ausgabenwachstum im Zeitraum 1985-1995 für die über 85jährigen mit 4 % rund 2 Prozentpunkte über dem Ausgabenwachstum für die 65-69jährigen lag. Allerdings wurde der Großteil auf die steigende Pflegebedürftigkeit zurückgeführt, wodurch in erster Linie die gesetzliche Pflegeversicherung betroffen wäre. Schlussendlich kann auch hier wieder eine Versteilerung der Ausgabenprofile als Beweis für die Gültigkeit angesehen werden.67

5. Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz

Zum 1. April 2007 ist das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz in Kraft getreten. Abbildung 6 gibt einen Überblick die wesentlichen Neuerungen. Die rot markierten Felder sind im Zusammenhang mit der Umverteilungsfrage von großer Bedeutung und werden im Folgenden näher betrachtet.

Abbildung 6: Änderungen im Zuge des GKV-WSG

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Bundesministerium für Gesundheit (2007a).

- Der morbi-RSA

Ab 1. Januar 2009 erhalten alle Krankenkassen einkommensunabhängige Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds. Bis auf den Zusatzbeitrag wird von kasseneigenen Beitragseinnahmen abstrahiert. Der Finanzkraftausgleich erfolgt implizit über den einheitlichen Beitragssatz. Der bestehende RSA wird um eine direkte Morbiditätskomponente erweitert. Zu diesem Zweck werden 50 bis 80 Morbiditätskriterien für schwerwiegende und chronische Erkrankungen eingeführt.68 Damit verliert der RSA zwar einen Großteil seiner Zielungenauigkeit, was wiederum verstärkte Umverteilungsstöme im Vergleich zum Status quo zur Folge hat, jedoch erscheint die Anzahl der Kriterien recht willkürlich gewählt und die Präzision unzureichend.69 Die Folge ist, dass Kassen mit einem hohen Anteil Versicherter deren Erkrankungen nicht vom RSA erfasst werden zur Deckung ihrer Ausgaben Zusatzbeiträge erheben müssen.70

- Einheitlicher Beitragssatz und Zusatzbeiträge

Die Krankenkassen dürfen mit Einführung des Gesundheitsfonds lediglich einen gesetzlich festgelegten einheitlichen Beitragssatz erheben. Die Differenzierung im Status quo (Abschnitt 2.3.) kann dann nur noch über Zusatzbeiträge und Rückzahlungen erfolgen. Eine Regionalkasse mit überdurchschnittlichem Beitragssatzsatz muss demnach künftig einen Zusatzbeitrag erheben um die Leistungsausgaben zu decken. Umgekehrt muss eine Regionalkasse mit unterdurchschnittlichem Beitragssatz Rückzahlungen an ihre Versicherten leisten. Umverteilungsströme innerhalb der Länder zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern71 sowie zwischen besser- und schlechter Verdienenden72 sind die Folge. Bei überregional kalkulierenden Kassen kann es zu Umverteilungsströmen zwischen den Bundesländern kommen. So muss z.B. eine Kasse mit einem derzeitigen unterdurchschnittlichen Beitragssatz Rückzahlungen an ihre Versicherten leisten. Wenn die Rückzahlungen über den Beitragssatz erfolgen fällt die Entlastung für Besserverdienende höher aus als für Versicherte mit niedrigen Einkommen. Folglich werden Hochverdienerregionen durch Rückzahlungen stärker belastet. Umgekehrtes gilt bei Erhebung eines konstanten Zusatzbeitrags, bei dem ein reicher Versicherter im Verhältnis zu einem prozentualen Aufschlag nicht so stark belastet wird wie ein Versicherter mit niedrigem Einkommen. Hochverdienerregionen würden in diesem Falle per Saldo entlastet. Bei einkommensabhängiger Erhebung der Zusatzbeiträge kommt es nur noch aufgrund der relativen Ausgabenposition einer Krankenkasse in einem Bundesland zu regionalen Auswirkungen. Ein Transfer aufgrund unterdurchschnittlicher beitragspflichtiger Einnahmen entfällt, wodurch Hochverdienerregionen entlastet werden.73

Im Hinblick auf eine mögliche prozentuale Erhebung des Zusatzbeitrags ist die 1%-Überforderungsklausel zu beachten. Fallen viele Mitglieder einer Kasse unter diese Klausel, so zahlen diese nicht mehr den vollen Zusatzbeitrag. Der entstehende Fehlbetrag muss über einen höheren Zusatzbeitrag von den übrigen Mitgliedern ausgeglichen werden.74

- Versicherungsschutz für Alle

Ab 1. Januar 2009 wird eine Versicherungspflicht für Jedermann eingeführt. Bereits ab 1. Juli 2007 müssen ehemals privat Versicherte bei Bedarf von ihrem letzten Versicherer zum Basistarif75 aufgenommen werden. Die Versicherungspflicht für Versicherte die der GKV zugeordnet werden gilt bereits seit 1. April 2007. Da insbesondere Personen mit niedrigen Einkommen von der neuen Versicherungspflicht betroffen sind, ist mit finanziellen Deckungslücken innerhalb der GKV zu rechnen.76

- Steuerfinanzierte Kinderversicherung

Bei der Ausschüttung der Finanzmittel aus dem Gesundheitsfonds wird für Kinder künftig der durchschnittliche Beitragsbedarf angesetzt. Die Morbidität wird nicht berücksichtigt.77 Hat man in letzter Zeit die aktuelle Tagespresse verfolgt soll langfristig eine vollständige Steuerfinanzierung der Kinderversicherung stattfinden. Werden staatliche Zuschüsse nur für Kinder die in der GKV versichert sind, nicht aber für privat versicherte Kinder gewährt, kommt es zu Umverteilungsströmen die über das GKV-System hinaus gehen und von denen naturgemäß nur Familien mit Kindern die in der GKV versichert sind profitieren.

C. Resümee

Die Arbeit hat den Einfluss des Alters und der Lebenserwartung auf die Höhe der Gesundheitsausgaben untersucht. Zwar konnte gezeigt werden, dass nicht das Alter an sich, sondern vielmehr die ins hohe Alter verdrängte Sterblichkeit für eine Versteilerung der Ausgabenprofile verantwortlich ist, jedoch konnte in diesem Zusammenhang keine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem künftigen Gesundheitszustand älterer Menschen gegeben werden. Ob eine höhere Lebenserwartung mit einer verbesserten Gesundheit und einer Verdichtung der Morbidität einhergeht, oder eine gegenteilige Ausweitung der Alters- und Gesamtmorbidität impliziert kann nicht eindeutig geklärt werden. Damit bleibt nicht nur die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen im Ungewissen, auch die genauen Auswirkungen auf die intergenerationellen Umverteilungsströme können nicht eindeutig geklärt werden. Im Hinblick auf die Auswirkungen des GKV-WSG lässt sich festhalten, dass sowohl Verschiebungen im Bereich der interpersonellen als auch der interregionalen Umverteilung (impliziert durch den RSA und die Tätigkeit überregionaler Krankenkassen) durchaus zu erwarten sind.

Anhang

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Bundesministerium für Gesundheit (2007), KM6, eigene Berechnungen

Die Zahlen ergeben sich aus der Mitgliederstatistik KM6 des BMG zum Stichtag 1. Juli 2006. Bei den Berechnungen der arithmetischen Mittel wird vereinfacht davon ausgegangen, dass in der Altersgruppe „90 und mehr Jahre“ ein Maximalalter von 100 Jahren erreicht werden kann.

[...]


1 Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2007), S. 2.

2 Vgl. Rosenbrock , Gerlinger (2006), S. 103.

3 Vgl. Rosenbrock , Gerlinger (2006), S. 101ff; Vgl. Schulz-Nieswandt (2006), S. 202.

4 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2005), S. 346.

5 Vgl. Schulz-Nieswandt (2006), S. 202.

6 Vgl. Simon (2005), S. 62.

7 Vgl. Schulz-Nieswandt (2006), S. 203.

8 Vgl. Moog, Raffelhüschen (2006), S. 1.

9 Da Gesamtgesellschaftlichen Aufgaben keine entsprechenden Gegenleistungen gegenüberstehen ist eine alleinige Finanzierung durch die Mitgliedsbeiträge der GKV nicht zu rechtfertigen. Idealerweise sollte die gesamte Gemeinschaft der Steuerzahler für die Finanzierung der entsprechenden Maßnahmen zur Verantwortung gezogen werden. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2005), S. 344 f.

10 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2005), S. 346 f.

11 Vgl. Wasem (1999), S. 130 f.

12 Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2007), S. 2.

13 Vgl. Anhang, Tabelle 1.

14 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2005), S. 352; Vgl. Wasem (1999), S. 131.

15 Vgl. Wasem (1999), S. 131.

16 Vgl. Moog, Raffelhüschen (2006), S. 2.

17 Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2007), S. 2.

18 Vgl. Pfaff (1993), S. 302 f.

19 Vgl. Schulz-Nieswandt (2006), S. 204.

20 Vgl. Göpffarth (2006), S. 17.

21 Vgl. Reschke et al. (2002), S. 27ff.

22 Reschke et al. (2002), S. 29.

23 Nach § 265a SGB V existiert eine „Finanzielle Hilfe in besonderen Notlagen oder zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit“, Vgl. Reschke et al. (2002), S. 29.

24 Vgl. Reschke et al. (2002), S. 29.

25 Vgl. Göpffarth (2006), S. 17.

26 Denkbar ist hier z.B. ein finanzieller Vorteil der durch das Vorhandensein überwiegend gesunder Rentner entsteht.

27 Vgl. Wasem (1999), S. 133f.

28 Vgl. Fetzer, Moog, Raffelhüschen (2003), S. 2ff.; Vgl. Wasem (1999), S. 132.

29 Vgl. Kruse et al. (2003), S. 18f.

30 Vgl. Kruse et al. (2003), S. 20f.

31 Kruse et al. (2003), S. 45. Diese Tatsache schließt jedoch keine generelle Ressourcenrationierung aus. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auf den nachhaltigkeitsbedingten, den steuerungsbedingen und den medizinendogenen Rationierungsdruck. Vgl. Schulz-Nieswandt (2006), S. 214ff.

32 Vgl. Kruse et al. (2003), S. 45.

33 Vgl. Buchner, Wasem (2000), S. 359.

34 Vgl. Buchner, Wasem (2000), S. 386.

35 Buchner, Wasem (2000), S. 358.

36 Vgl. Buchner, Wasem (2000), S. 358; Vgl. Schmähl, Ulrich (2001), S. 1.

37 Vgl. Schmähl, Ulrich (2001), S. 25.

38 Zuwanderungen sind zwar gesetzlich steuerbar, jedoch zeitgleich ein sehr heikles Thema in der Politik. Bevölkerungsprognosen arbeiten daher mit unterschiedlichen (Netto-)Wanderungssalden. Vgl. Ulrich (2003), S. 2.; Vgl. Kruse et al. (2003), S. 13ff.

39 Vgl. Schmähl, Ulrich (2001), S.1.

40 Vgl. Ulrich (2003), S. 2.

41 Vgl. Ulrich (2003), S. 4; Vgl. Kruse et al. (2003), S. 13.

42 Vgl. Schmähl, Ulrich (2001), S.6ff, Vgl. Kruse et al. (2003), S. 24.

43 Vgl. Schmähl, Ulrich (2001), S. 27f.

44 Vgl. Ulrich (2003), S. 8f.

45 Vgl. Schmähl, Ulrich (2001), S. 31f; Ulrich (2003), S. 8f.

46 Vgl. Kruse et al. (2003), S. 20f.; Vgl. Lauterbach, Stock (2001), S. 27f.

47 Vgl. Lauterbach, Stock (2001), S. 7.

48 Vgl. Kruse et al. (2003), S. 26.

49 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2005), S. 347 f; Vgl. Wasem (1999), S. 132 f.

50 Vgl. Kruse et al. (2003), S. 26f; Vgl. Schmähl, Ulrich (2001), S. 34f.

51 Vgl. Buchner, Wasem (2000), S. 383.

52 Vgl. Ulrich (2003), S. 9.

53 Vgl. Wasem, Hessel (2002), S. 6.

54 Vgl. Ulrich (2003), S. 10.; Vgl. Wasem, Hessel (2002), S. 6.

55 Vgl. Fetzer, Moog, Raffelhüschen (2003), S. 5.

56 Vgl. Fetzer, Moog, Raffelhüschen (2003), S. 5.; Vgl. Ulrich (2003), S. 10f.

57 Vgl. Wasem, Hessel (2002), S. 6f.

58 Vgl. Ulrich (2003), S.11f.

59 Vgl. Paccaud et al. (1998), S. 414ff.

60 Diese Tatsache ist bedingt durch eine Reduzierung der Säuglings- und Kindersterblichkeit. Vgl. Felder (2005), S. 3.

61 Vgl. Felder (2005), S. 17.

62 Felder (2005), S. 18.

63 Vgl. Lauterbach et al. (2001a), S. 333f.

64 Vgl. Kruse et al. (2003), S. 82ff.

65 Fetzer (2005), S. 10.

66 Vgl. Fetzer (2005), S. 10f.

67 Vgl. Fetzer (2005), S. 11.

68 Vgl. Göpffarth (2006), S. 17.

69 Vgl. Jacobs, Schulze (2006), S. 23.

70 Vgl. . Stock, Lüngen, Lauterbach (2006), S. 410.

71 Sollte es durch den einheitlichen Beitragssatz zu Beitragssatzanhebungen kommen – derzeitiger unterdurchschnittlicher Beitragssatz -, profitiert nur der Arbeitnehmer von etwaigen Rückzahlungen, obwohl durch die paritätische Finanzierung Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam die Beitragssatzerhöhung tragen. Eine Beitragssatzsenkung – derzeitiger überdurchschnittlicher Beitragssatz - kommt hingegen nur dem Arbeitgeber zu gute, da ein etwaiger Zusatzbeitrag allein vom Arbeitnehmer zu tragen ist. Vgl. Göpffarth (2006), S. 19.

72 Bei Rückzahlungen über den Beitragssatz würden sich durch die prozentuale Bemessung Versicherte mit höheren Einkommen besser stellen als Versicherte mit niedrigen Einkommen. Vgl. Göpffarth (2006), S. 18.

73 Vgl. Göpffarth (2006), S. 18.

74 Vgl. Jacobs, Schulze (2006), S. 23.

75 Der Höchstbetrag des Basistarifs ist an den Höchstbetrag der GKV gekoppelt, der Leistungskatalog entspricht dem der GKV. Vgl. Stapf-Finé (2006), S. 372.

76 Vgl. Stapf-Finé (2006), S. 372, Vgl. Langer, Plass (2007), S. 146.

77 Vgl. Stock, Lüngen, Lauterbach (2006), S. 410.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Umverteilung in der GKV
Hochschule
Universität zu Köln  (Seminar für Sozialpolitik, Prof. Dr. F. Schulz-Nieswandt)
Veranstaltung
Hauptseminar Sozialpolitik im SS 2007
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
31
Katalognummer
V85012
ISBN (eBook)
9783638002929
Dateigröße
885 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Umverteilung, Hauptseminar, Sozialpolitik
Arbeit zitieren
Karin Friedrich (Autor:in), 2007, Umverteilung in der GKV, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85012

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