Einstein in der Kindertagesstätte

Das Konzept und seine Umsetzung im Alltag


Studienarbeit, 2007

39 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Einführung
1.2 Die Notwendigkeit eines solchen frühpädagogischen Konzepts
1.3 Motivation und auftretende Fragestellungen

2. Das Konzept Einstein in der Kindertageseinrichtung
2.1 Die Grundlage und Ziel des Konzepts
2.2 Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen
2.2.1 Die Grundbegriffe der infans-Pädagogik: Betreuung, Bildung und Erziehung
2.2.2 Das konstruierende Kind und seine Bildungsbereiche
2.3 Die fünf Module des Konzepts
2.3.1 Modul 1 - 4: Das konkrete Vorgehen hinsichtlich der Inhalte und Methoden
2.3.2 Modul 5: Hinweise zu den organisatorischen Rahmenbedingungen
2.4 Das Portfolio: Die Zusammenfassung der Instrumente der Erzieherinnen
2.4.1 Die Instrumente für die Beobachtung
2.4.2 Das individuelle Curriculum
2.4.3 Grenzsteine der Entwicklung

3. Die Umsetzung im Alltag - Von der Betreuungseinrichtung zur Bildungseinrichtung
3.1 Vor Arbeitsbeginn
3.2 Veränderungen im Alltag
3.2.1 Raumgestaltung und angebotene Materialien
3.2.2 Die neue Rolle der Erzieherin
3.2.3 Der fachliche Diskurs im Team und mit anderen Einrichtungen
3.2.4 Die Elternarbeit
3.3 Das sich bildende Kind braucht die sich bildende Erzieherin

4. Konsequenzen aus dem Konzept und aktuelle Probleme
4.1 Zusammenfassung
4.2 Stolpersteine bei der Umsetzung
4.3 Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

1.1 Einführung

ImEinstein-Jahr2005, dem 50. Todestag von Albert Einstein, wurde dieSpezielle Relativitätstheorie100 Jahre alt. Im selben Jahr endete in acht Kindertageseinrichtungen der Stadt Stuttgart eine dreijährige Projektphase zur Erprobung eines Konzepts mit dem NamenEinstein in der Kindertageseinrichtung.

Dabei handelt es sich um ein frühpädagogisches Konzept, dessen Entwicklung bereits 2001 durch das Jugendamt der Stadt Stuttgart begann. Ein Jahr später wurde dasInstitut für angewandte Sozialisationsforschung/ Frühe Kindheit e.V.(infans) beauftragt, ihr neuartig entwickeltes Handlungskonzept, das10-Stufen-Projekt-Bildung, welches auf den in den Jahren 1997-2000 unter anderem in Brandenburger Kindertageseinrichtungen gesammelten Ergebnissen des ModellprojektsZum Bildungsauftrag in Kindertageseinrichtungenbasiert, unter Stuttgarter Bedingungen zu testen. Dabei wurden die ursprünglich zehn Arbeitsmodule für dasEinstein-Konzeptin fünf Module zusammengefasst, die im zweiten Kapitel näher erläutert werden.

Die Erprobung in den acht ausgewählten so genannten „Laborkitas“ mit rund 700 Kindern, ihren Eltern und über 100 Fachkräften [1] des Jugendamt Stuttgarts verlief so erfolgreich, dass die Kindertageseinrichtungen in einem bundesweitem Wettbewerb als die besten Deutschlands ausgezeichnet wurden. (vgl. Landeshauptstadt Stuttgart 2005, S. 3)

Seit Beginn des Jahres 2006 arbeitetinfansin Zusammenarbeit mit verschiedenen Trägern in Baden-Württemberg daran, das Konzept über die „Laborkitas“ hinaus auf alle Einrichtungen der Träger zu übertragen. Ziel ist es, auf der Grundlage desinfans-Konzepts die Vorgaben des Baden-Württembergischen Orientierungsplans für Kindertageseinrichtungen zu erreichen (vgl. Laewen/Andres 2006; vgl. in diesem Zusammenhang auch Baden-Württemberg Ministerium für Kultus, Jugend und Sport 2006). Auch in Stuttgart sollen bis 2012 alle 170 städtischen Kindertageseinrichtungen auf dieser Basis arbeiten. Dabei ist die Entwicklung von Betreuungseinrichtungen mit Bildungsauftrag zu Bildungseinrichtungen mit Betreuungsauftrag als kontinuierlicher Transferprozess geplant, dessen letzte Stufe im Jahr 2010 beginnt. Die Orientierung aller Einrichtungen an dem im Projekt von 2003-2005 entwickelten Bildungskonzept und die entsprechende Umstellung der pädagogischen Arbeit ist eine tief greifende Veränderung, die nur stufenweise erreicht werden kann. Nach den acht „Laborkitas“ aus der Projektphase haben seit 2006 19 weitere Kindertageseinrichtungen mit der konsequenten Umsetzung des BildungskonzeptsEinstein in der Kindertageseinrichtungbegonnen. (vgl. Landeshauptstadt Stuttgart 2006, oranges Kapitel, S. 3)

1.2 Die Notwendigkeit eines solchen frühpädagogischen Konzepts

Es stellt sich die Frage, warum ein solches Konzept im Vorschulbereich überhaupt notwendig ist und wieso gerade in den letzen Jahren das Bedürfnis nach Bildungskonzepten in Kindertagesstätten immer größer wurde.

In diesem Zusammenhang darf nicht nur die Debatte um diePisa-Studieerwähnt werden. Bereits der gesetzlich festgelegte Bildungsauftrag für Kindertageseinrichtungen in § 22 SGB VIII zu den Grundsätzen der Förderung verdeutlicht, dass Bildung von Kindern nicht erst ab dem Schulalter zum Thema werden darf. Hier heißt es unter anderem in Absatz drei: „Der Förderungsauftrag umfasst Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes.“ (www.sozialgesetzbuch-bundessozialhilfegesetz.de/_buch/sgb_viii.html)

Dabei weist der Stand der Forschung darauf hin, dass wesentliche Grundlagen für Bildungspotentiale lange vor dem Eintritt der Kinder in die Grundschule erfolgen, so dass auch der Qualität der pädagogischen Arbeit in den Kindertageseinrichtungen eine höhere Bedeutung zukommt, als es bis dahin wahrgenommen wurde. Im Bezug darauf äußert Wolf Singer, Direktor desMax-Planck-Institutsfür Hirnforschung: „Falsches oder fehlendes Verständnis von Lernprozessen in frühen Lebensphasen kann zu Versäumnissen führen, die später kaum durch Bildungssysteme wettgemacht werden können, wie optimiert sie auch immer sein mögen“ (Singer zitiert nach Romberg 2002, S. 38). Die Ergebnisse derPisa-Studiesind demnach ein Hinweis darauf, dass sowohl der Bildungsauftrag als auch die neuesten Forschungsergebnisse über frühkindliche Lernprozesse in den letzten Jahren noch viel zu wenig in die Praxis umgesetzt wurden. Aufgrund dieser Nachlässigkeit und den aus den globalisierten Wirtschaftsverflechtungen ergebenden Anforderungen an die Qualifizierung der Fachkräfte wird das Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland, auch im vorschulischen Bereich [2] , zur Zeit grundlegend reformiert.

Vor diesem Hintergrund werden zur Zeit vier Konzepte, die die Grundlagen der bisherigen frühpädagogischen Konzeption verändern, erprobt bzw. sind in ihrer Erprobung bereits abgeschlossen. In Nordrhein-Westfalen ist Ende 2005 die Erprobungsphase für das von Gerd E. Schäfer entwickelte Bildungskonzept beendet worden. Das aus Großbritannien stammende Konzept desEarly Excellence Centreswird schon seit mehreren Jahren in einer Berliner Kindertageseinrichtung umgesetzt. Zudem wird die Erprobungsphase des auf den Arbeiten von Margaret Carr beruhenden Konzepts des Deutschen Jugendinstituts im Januar 2007 abgeschlossen sein. [3] (vgl. Landeshauptstadt Stuttgart 2006, gelbes Kapitel, S. 4; vgl. in diesem Zusammenhang auch Gardner 1996, www.early-excellence.de/de/konzept.html, und www.dji.de/cgi-bin/projekte/output.php?projekt=320)

1.3 Motivation und auftretende Fragestellungen

Von August 2005 bis August 2006 absolvierte ich ein Vorpraktikum in der „Laborkita“ Kindertageseinrichtung Linzerstraße in Stuttgart-Feuerbach. Daher konnte ich die Umsetzung dieses Konzepts selbst miterleben. Dies ermöglichte es mir, sowohl die Vorzüge als auch mögliche Stolpersteine in der Praxis zu erfahren. Hieraus ergab sich die Motivation, die folgenden Fragestellungen im Rahmen dieser Studienarbeit zu untersuchen:

- Welche neuen Forschungsergebnisse liegen im Bereich der Hirnforschung vor und inwieweit müssen diese in der frühpädagogischen Erziehung berücksichtigt werden?
- Inwieweit ist eine Abgrenzung der Begriffe Betreuung, Bildung und Erziehung notwendig und was ist deren begrifflicher Inhalt?
- Sind Kinder wirklich nur schutzbedürftige Wesen oder doch Forscher, Künstler und Konstrukteure?
- Wie nehmen Kinder die Welt wahr?
- Aus welchen Bausteinen setzt sich das Konzept Einstein in der Kindertageseinrichtung zusammen?
- Welche praktischen Herausforderungen ergeben sich aus diesen?

2. Das Konzept Einstein in der Kindertageseinrichtung

2.1 Die Grundlage und Ziel des Konzepts

Seit Neurologen genauere Einblicke in die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns gewonnen haben, wissen sie, dass der Stoffwechsel im Gehirn, der nach der Geburt steil ansteigt, bei einem Kind im Alter von vier Jahren seinen Höhepunkt erreicht und zu diesem Zeitpunkt um die Hälfte höher ist als der eines Zwanzigjährigen. In diesen frühen Jahren bilden sich Myriaden von Synapsen im Gehirn. Deren Zahl wird anschließend in einem langjährigen, gezielten Selektionsprozess wieder reduziert. Welche Synapsen überhaupt gebildet werden und welche Verbindungen im Gehirn bestehen bleiben, hängt entscheidend davon ab, was der Mensch in der Startphase seines Lebens sieht, hört, riecht und fühlt. Neurologen und Pädagogen sind sich sicher: Je komplexer und reichhaltiger die frühkindliche Welterfahrung ist, d.h. je mehr Bildung den Kindern zugute kommt, desto größer ist deren Bereitschaft als Heranwachsende und Erwachsene nach komplexen, differenzierten Herausforderungen Ausschau zu halten und sich nicht mit simplen Einsichten zufrieden zu geben. (vgl. Romberg 2002, S. 20 f.)

DasEinstein-Konzeptbasiert in diesem Zusammenhang auf einem Verständnis von Bildung und Erziehung, das Bildung im Sinne W. v. Humboldts als die Aneignung von Welt durch das Kind begreift und Erziehung als die Antwort von erwachsenen Bezugspersonen auf die Bildungswege des Kindes. Die Bildungsprozesse bleiben Sache des Kindes, die Erwachsenen ermöglichen und unterstützen die Bildungsbemühungen des Kindes und fordern sie auf immer höheres Niveau heraus. (vgl. Andres/Laewen) Dabei stehen in der frühen Kindheit zunächst die Eltern und das familiäre Umfeld im Zentrum. Einrichtungen der Kindertagesbetreuung mit ihrem Auftrag, vielfältige und anregungsreiche Bildungsmöglichkeiten zu schaffen, erweitern den Erfahrungsraum der Kinder. Sie unterstützen die natürliche Neugier, fordern eigenaktive Bildungsprozesse heraus, greifen die Themen der Kinder auf und erweitern diese. So ergänzen und unterstützen die Einrichtungen der Kindertagesbetreuung die Erziehung in der Familie und ermöglichen den Kindern Erfahrungen über den Familienrahmen hinaus. Als der Schule vor- und nebengelagerter Bildungsort hat die Kindertageseinrichtung die Aufgabe, mit den Kindern den Übergang in die Schule vorzubereiten. Die Schule tritt in die vorangegangenen Bildungsprozesse ein, knüpft an diese an und setzt sie mit ihren Möglichkeiten fort. (vgl. Pesch 2005, S. 5)

Ziel des Konzepts ist es demnach, dem heranwachsenden Kind für seine spätere Entwicklung, auf Grundlage der neuesten Forschungserkenntnisse und der Möglichkeiten in den Einrichtungen, eine möglichst umfangreiche Basis an Wissen zu vermitteln und nicht bereits in den ersten Lebensjahren wichtige Erkenntnisse vorzuenthalten.

2.2 Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen

2.2.1 Die Grundbegriffe der infans -Pädagogik: Betreuung, Bildung und Erziehung

Dieinfans-Pädagogik geht von einem Verständnis der drei Grundbegriffe der deutschsprachigen Pädagogik aus, wie sie in dem ModellprojektZum Bildungsauftrag in Kindertageseinrichtungenerarbeitet und gemeinsam mit zwölf Praxiseinrichtungen in eine erste praxisfähige Form gebracht wurden.

Betreuung mag unter den drei Begriffen die einfachste und auch beständigste Kategorie sein: Wärme, Nahrung, Schutz vor Gefahren, kurz all das, was Menschenkinder zur Befriedigung ihrer leiblichen Bedürfnisse benötigen, muss in Kindertageseinrichtungen verfügbar sein. Damit ein Aufwachsen möglich ist und gelingen kann, muss nach Auffassung des Schweizer Psychologen René Spitz, jedoch noch etwas hinzutreten: verlässliche Zuwendung durch Erwachsene, Anregung und all das, was Kindern sonst noch einen Zugang zur Welt eröffnen kann. (vgl. Landeshauptstadt Stuttgart 2006, gelbes Kapitel, S. 24)

Betreuung schließt also auch die Bereitschaft von Erwachsenen ein, sich auf die Kinder im Rahmen von Beziehungen wechselseitiger Anerkennung einzulassen und ihnen als sichere Grundlage für ihre Bildungsprozesse zur Verfügung zu stehen. Betreuung heißt demnach auch, Bindungen zuzulassen, zu ermutigen und zu pflegen. (vgl. Laewen/Andres 2002 b, S. 69 ff.) In diesem Zusammenhang gilt es jedoch, den Betreuungsbegriff aus dem Bedeutungshorizont einer Hilfe für Hilflose herauszulösen. Betreuung im hier gemeinten Sinne bezieht sich auf die Sicherung der grundlegenden körperlichen und seelischen Bedingungen für die aktiven Bildungsprozesse der Kinder, denen durch Erziehung Ziele gesetzt werden können. (vgl. Landeshauptstadt Stuttgart 2006, gelbes Kapitel, S. 24)

Bezogen auf die Pädagogik in den Kindertageseinrichtungen hatinfansals ein Ergebnis des BundesmodellprojektsZum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungeneine Definition des Bildungs- und Erziehungsauftrags vorgestellt, in der systematisch zwischen Erziehung als Aufgabe der Erwachsenen und Bildung als Konstruktionsleistung des Kindes differenziert wird. (vgl. Laewen/Andres 2002 b, S. 26 ff.)

Wilhelm von Humboldt, so kann bei Hartmut von Hentig nachgelesen werden, verstand Bildung als „die Anregung aller Kräfte eines Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt in wechselseitiger Ver- und Beschränkung harmonisch-proportionierlich entfalten“ (Humboldt zitiert nach Hentig 1996, S. 40). Demnach ist von einem Menschen die Rede, dessen Kräfte sich über die Aneignung der Welt entfalten. Diese Aneignung muss wohl von diesem Menschen selbst geleistet werden, so dass Bildung in diesem Sinne folglich als Selbstbildung zu verstehen ist.

In der Wirtschaft wird Bildung dagegen im engen Zusammenhang mit so genannten Schlüsselkompetenzen gesehen, wobei auch hier Verbindungen zu Fremdsprachen, Neugierde in Gestalt einer Bereitschaft zu lebenslangem Lernen und Weltoffenheit als Flexibilität im Denken und als berufliche Mobilität angesprochen werden. Hierbei wird aber auch eine Zuspitzung von Bildungserwartungen erkennbar, die sich in den Schlüsselkompetenzen konkretisieren und die aktuellen Bestimmungsgründe wirtschaftlichen Denkens widerspiegeln. (vgl. Landeshauptstadt Stuttgart 2006, gelbes Kapitel, S. 25)

Infans, untermauert durch Forschungsresultate verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, versteht Bildungsprozesse als Aneignungsprozesse, die sich auf die Wahrnehmung des Kindes von sich selbst und seiner dinglichen und personellen Umwelt stützen und zur Konstruktion einer inneren Welt führen. (vgl. Laewen/Andres 2002 b, S. 73)

Wenn Bildung immer nur Aktivität des Kindes, also nur Selbstbildung, ist und sein kann, bleiben für Erziehung als Aktivität der Erwachsenen grundsätzlich zwei Formen, über die sie mit Bildung in Verbindung gebracht werden kann. Diese sind zum einen die Gestaltung der Umwelt des Kindes und zum anderen die Gestaltung der Interaktion zwischen Erwachsenen und Kind.

Zur Gestaltung der Umwelt gehören neben der Architektur der Kindertageseinrichtung und der Anlage des Freigeländes, im engeren Sinne die Raumgestaltung und die materielle Ausstattung der Einrichtung, auch die Gestaltung von Zeitstrukturen und Situationen. Bei der Gestaltung der Interaktion zwischen Erwachsenen und dem Kind handelt es sich sowohl um die Zumutung von Themen für die Kinder und deren Beantwortung durch die Erwachsenen als auch um die Wahl des Dialogs als Form der Interaktion. (vgl. Laewen/Andres 2002 b, S. 73)

Erziehung bleibt demnach ein unverzichtbarer Teil pädagogischen Handelns, kann in heutiger Perspektive aber nur im Kontext von Betreuung und Bildung angemessen verstanden werden. Dabei muss sich von der Vorstellung befreit werden, dass Erziehung nur ein Teil eines Zwangssystems zur Domestizierung von Kindern sein könne, welches den Namen Pädagogik jedoch nicht verdient. (vgl. Landeshauptstadt Stuttgart 2006, gelbes Kapitel, S. 29)

2.2.2 Das konstruierende Kind und seine Bildungsbereiche

Dasinfans-Konzept der Frühpädagogik stützt sich auf ein bereits in Kapitel 2.1 beschriebenes Bild vom Kind, wie es sich aktuell in den Forschungsergebnissen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen abzeichnet.

„Kinder“, sagt derinfans-Leiter Hans-Joachim Laewen, „kann man nicht bilden. Sie bilden sich selbst von Anfang an. Die Pädagogik muss endlich zur Kenntnis nehmen, dass wir Informationen nicht passiv wie Computer verarbeiten, sondern sie aktiv erobern, selbständige Konstrukteure unserer eigenen Kenntnisse sind“ (Laewen zitiert nach Romberg 2002, S. 25).

Kinder konstruieren sich von Geburt an aktiv ein Bild von der Welt. Sie nutzen dafür alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und finden vielfältig Ausdrucksformen. Hierzu besitzen Kinder bereits aus sich selbst heraus umfassende Fähigkeiten. Ob sie diese Bildungsfähigkeiten entfalten können, hängt vorrangig von den Bildungsmöglichkeiten ab, die ihnen die Umwelt bereitstellt. (vgl. Pesch 2005, S. 5)

Der Hirnforscher Wolf Singer (2001) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, „dass Sinnessignale nur dann strukturierend auf die Entwicklung (des Kindes H.L.) einwirken können, wenn sie Folge aktiver Interaktion mit der Umwelt sind, bei denen der junge Organismus die Initiative hat. (...) Selbermachen ist entscheidend, weil nur dann der interaktive Dialog mit der Umwelt einsetzen kann, der für die Optimierung von Entwicklungsprozessen unabdingbar ist“ (Singer 2001 zitiert nach Laewen/Andres 2002 b, S. 85).

Nach Laewen (2002 b) konstruiert das Kind selbstintuitiv und in Interaktion mit der belebten und unbelebten Umgebung in Kopf und Körper eine komplexe Struktur, die mehr als ein bloßes Abbild der Umgebung ist (vgl. Laewen/Andres 2002 b, S. 61). Aneignung heißt demnach nicht abbilden und etwas schon Fertiges in Besitz nehmen, sondern Neukonstruktion auf der Basis der dem Kind zugänglichen Erfahrungen. Dabei bildet das Kind nicht nur Kompetenzen im Umgang mit der Welt und ihrer Interpretation aus, sondern schafft und entfaltet sich zugleich selbst als Subjekt, wobei es von Beginn an als Konstrukteur einer Welt zunächst von subjektiver Bedeutung ist und zu der es sich ins Verhältnis setzt. (vgl. Laewen/Andres 2002 b, S. 61-65)

Zu diesen Konstruktionen des Kindes gehört auch der Aufbau eines intimen Systems wechselseitiger Einflussnahme und Verständigung zu seinen Eltern und gegebenenfalls zu einigen wenigen anderen Erwachsenen seiner engsten Umgebung, welches einen wesentlichen Aspekt dessen ausmacht, was als frühe Bindung bezeichnet wird (vgl. Landeshauptstadt Stuttgart 2006, gelbes Kapitel, S. 26).

Kinder bilden sich selbst, indem sie über ihre Sinnesorgane einen Zugang zur Welt finden. Sie sehen, hören, tasten, schmecken und riechen die Welt, sie empfinden Kälte und Wärme, Schmerz und Wohlbehagen sowie die Existenz ihres eigenen Körpers. In diesem Zusammenhang muss allerdings beachtet werden, auf welchen unterschiedlichen Wegen Kinder ihren Zugang zur Welt strukturieren. Howard Gardner, Psychologe an derHavard Universitätin Bosten hat insgesamt sieben dieser Zugänge bzw. Intelligenzen, wie er es nennt, über die jeder Mensch in unterschiedlicher Weise verfügt, identifiziert. Diese sind:

- die sprachliche Intelligenz
- die soziale Intelligenz
- die logisch-mathematische Intelligenz
- die Bewegungsintelligenz
- die musikalische Intelligenz
- die wissenschaftliche Intelligenz
- die praktische Intelligenz

(vgl. Laewen/Andres 2002 a, S. 162 ff.)

„Es liegen ausreichend Belege dafür vor“, so argumentiert Gardner, „dass einige Menschen einen vorwiegend sprachlichen Lernansatz wählen, während andere einen räumlichen und quantitativen Weg bevorzugen“ (Gardner zitiert nach Laewen/Andres 2002 a, S. 164; vgl. in diesem Zusammenhang auch Gardner 1996).

Auf Basis dieser Theorie müssen die verschiedenen Zugänge zur Welt betrachtet werden, welche das Kind vorzugsweise wählt, und die Bildungsbereiche identifiziert werden, in denen sich das Kind besonders gerne aufhält und in denen es besonders leicht lernt (vgl. Laewen/Andres 2002 a, S. 166 f.). In diesem Kontext bestimmen die Bildungsbereiche keine im Erleben der Kinder abgrenzbaren Sachgebiete oder stellen Fächer im schulischen Sinn dar. Vielmehr überschneiden sich die einzelnen Bereiche schon in der Beschreibung. So wie Sprache ein wesentlicher Bestandteil der Naturerfahrung ist und Sprachförderung beim Spielen und Gestalten geschieht, bestehen auch erwiesene Zusammenhänge zwischen körperlicher und kognitiver Entwicklung. Erst in der Verbindung und Durchdringung der Bildungsbereiche zeigt sich die Aufgeschlossenheit der pädagogischen Arbeit. Trotzdem wird in der Benennung von Bildungsbereichen die Möglichkeit gesehen, Grundsätze elementarer Bildung zu bestimmen. Sie geben dem pädagogischen Konzept einen Rahmen, der Planung eine Orientierung sowie der Beobachtung und der Reflexion ein Auswertungsraster. Bei den sieben Bildungsbereichen handelt es sich, in ähnlicher Formulierung wie der bereits genannten sieben Intelligenzen, um:

[...]


[1] In dieser Studienarbeit wird die Berufsgruppe der Erzieherin/des Erziehers häufig genannt. Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wird auf die umständliche Doppelbenennung (z. B. Erzieherinnen und Erzieher) verzichtet und in der Regel die weibliche Form gewählt, da es sich aktuell immer noch um einen überwiegenden „Frauenberuf“ handelt. (Anm. d. Verf.)

[2] Unter Vorschulbereich darf in diesem Zusammenhang nicht nur die Zeit kurz vor der Einschulung verstanden werden, sondern bereits die Zeit kurz nach der Geburt, da Kinder von den ersten Lebensmonaten an beginnen, ihr Wissen zu erweitern und zu perfektionieren. (Anm. d. Verf.)

[3] An dieser Stelle soll auf die einzelnen Konzepte nicht weiter eingegangen werden, da dies den Umfang der Studienarbeit überschreiten würde. (Anm. d. Verf.)

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Einstein in der Kindertagesstätte
Untertitel
Das Konzept und seine Umsetzung im Alltag
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg, Villingen-Schwenningen, früher: Berufsakademie Villingen-Schwenningen
Note
1,2
Autor
Jahr
2007
Seiten
39
Katalognummer
V86492
ISBN (eBook)
9783640495740
ISBN (Buch)
9783640495733
Dateigröße
6640 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einstein, Kindertagesstätte
Arbeit zitieren
Susann Bialas (Autor:in), 2007, Einstein in der Kindertagesstätte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86492

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