Denis Diderots Theorien über den Schauspieler


Hausarbeit, 2007

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Diderot und die Figuren seiner Dialoge

3 Lebenswelt vs. Bühne

4 Das Idealmodell

5 Der Schauspieler
5.1 Zu Empfindsamkeit
5.2 Zu Beobachtungsgabe und Urteilsvermögen
5.3 Sensibilité vs. sentir

6 Zusammenfassung

7 Literaturverzeichnis
7.1 Primärliteratur
7.2 Sekundärliteratur

1 Einleitung

Denis Diderot zeigt sich für gleich mehrere bedeutende Texte zur Theorie des Theaters verantwortlich. Insbesondere sind die Entretiens sur le fils naturel, De la poésie dramatique und das Paradoxe sur le comédien zu nennen. Dabei entwickelt Diderot nicht nur seine Gedanken über das Schauspiel, sondern auch über eine der wichtigsten daran beteiligten Personen: den Schauspieler. Dabei lassen sich leicht Unterschiede zwischen den beiden gegen Ende der 1750er-Jahre erschienenen Texten Entretiens sur le fils naturel und De la poésie dramatique auf der einen Seite und dem rund 20 Jahre später verfassten Paradoxe sur le comédien auf der anderen Seite feststellen. In dieser Arbeit sollen die fraglichen Unterschiede benannt werden, um anschließend zu klären, wie gravierend diese Differenzen sind. So kann schließlich die Frage untersucht werden, inwieweit Diderot in seiner Schauspielertheorie eine inhaltliche Kehrtwende vollführt hat.

Zu diesem Zweck soll zunächst geklärt werden, ob die Sprecher der beiden vorwiegend in Dialogform geschriebenen Texte Entretiens sur le fils naturel und Paradoxe sur le comédien wirklich repräsentativ für Diderots Ansichten sind. Im Anschluss wird die in den Texten vorgenommene Unterscheidung zwischen Lebenswelt und Bühne betrachtet, auf welcher die Notwendigkeit der Konstruktion eines Idealmodells fußt. Nach der Untersuchung der Konzeption eines Idealmodells kann dann im Hauptteil der Arbeit der Unterschied zwischen Diderots „frühen“ und „späten“ Theorien über den Schauspieler entlang der zentralen Begriffe Empfindsamkeit, Beobachtungsgabe und Urteilsvermögen aufgezeigt werden.

2 Diderot und die Figuren seiner Dialoge

Vor einer Untersuchung der Texte im Hinblick auf Diderots Schauspielertheorien sollte für die beiden hauptsächlich in Dialogform geschriebenen Texte Entretiens sur le fils naturel und Paradoxe sur le comédien abgeklärt werden, wie weit die einzelnen Sprecher als alter ego von Diderot zu sehen sind und somit sichergestellt ist, dass die Ansichten einzelner Figuren als repräsentativ für Diderots Ansichten betrachtet werden können.

Die Entretiens sur le fils naturel sind ein Dialog zwischen Dorval und Moi. Aus dem Text geht hervor, dass Moi sich für die Publikation der Encyclopédie verantwortlich zeigt[1], so dass man Moi als eine Inkarnation Diderots betrachten kann. Während einer Erholungsreise aufs Land trifft Moi auf Dorval, den Autor des Stückes der innerhalb der Rahmenfiktion des Fils naturel. Er ist es, der im Verlauf der Entretiens seine Ansichten über das Theater offen legt. Doch spätestens als Moi im letzten Abschnitt der Entretiens ebenfalls als fiktive Kreation Dorvals entlarvt wird[2], ist klar, dass Moi nicht die originalgetreue Inkarnation Diderots ist. Stattdessen ist gemäß Johannes Friedrich Lehmann[3] von einer Aufspaltung Diderots in den Autor Dorval und den Zuschauer bzw. Leser Moi auszugehen. Entsprechend können die Aussagen Dorvals als relevant für Diderots Ansichten über die Schauspielerei gewertet werden.

Auch im Paradoxe sur le comédien sind die Rollen nicht so klar verteilt, wie es oberflächlich den Anschein hat. Le Premier bezeichnet sich als Autor des Père de famille[4] und wird zudem namentlich als Monsieur Diderot identifiziert[5]. Doch auch wenn er derjenige ist, der die Argumente für die im Paradoxe vertretenen Theorien entwickelt, ist er doch weniger eindeutig die Inkarnation Diderots, als es scheint. Gegen Ende des Textes, als Le Premier und Le Second die vorgebrachten Theorien anhand eines praktischen Beispiels überprüfen wollen und sich auf den Weg ins Theater machen, tritt plötzlich ein übergeordneter Erzähler auf[6]. Philippe Lacoue-Labarthe situiert Diderot sowohl in diesem Erzähler als auch in Diderot:

L’auteur – Diderot – occupe donc simultanément (je veux dire: dans le même texte) deux places. Et deux places incompatibles. Il est le Premier, l’un des deux interlocuteurs. Ou tout au moins il s’est donné pour tel. Mais il est également celui qui, se mettant ouvertement en position d’auteur ou d’énonciateur général, se démarque du Premier ou peut, ne serait-ce que par jeu s’en démarquer et le constituer en personnage.[7]

Lehmann treibt diese Differenz sogar noch weiter, indem er in einer Fußnote mit Bezug auf Lacoue-Labarthe feststellt, dass Diderot aber mit gleichem Recht auch Le Second sei[8]. Letztlich erscheint es angemessen, eine ähnliche Zweiteilung Diderots vorzunehmen wie in den Entretiens sur le fils naturel. Diderot steckt sowohl in Le Premier, der die im Text dargelegte Theorie über das Schauspiel entwirft, als auch Le Second, der sie kritisch hinterfragt.

3 Lebenswelt vs. Bühne

Die von Dorval erzählte, fiktive Entstehungsgeschichte des Fils naturel schildert den Anlass, aus dem das Stück verfasst wurde: es soll eine Begebenheit aus dem Leben der beteiligten Figuren so wiedergeben, wie sie real stattgefunden hat. Als ein Ritual der gemeinschaftlichen Erinnerung an diese Begebenheit soll sie im Salon von Dorvals Haus ohne Zuschauer wieder aufgeführt werden, wobei jede beteiligte Person sich selbst spielt. Lediglich die Rolle von Dorvals Vater muss von einem Schauspieler übernommen werden, da der Vater bereits verstorben ist. Eine Aufführung vor Publikum, womöglich gar in einem Theater, ist hingegen nicht vorgesehen und auch Moi verfolgt die erste Aufführung nicht als offizieller Zuschauer, sondern auf Dorvals Einladung hin verborgen in einer Ecke des Salons.

In den Entretiens unterstreicht Dorval den Unterschied zwischen Bühne und Salon und insistiert: „C’est dans le salon qu’il faut juger mon ouvrage.“[9] Durch die auf der Bühne herrschenden Konventionen sei der Erfolg des Fils naturel im Theater sehr zweifelhaft.

Diese Diskrepanz ist auf eine zentrale Komponente von Diderots Ästhetik gemäß Robert Niklaus[10] zurückzuführen: die Unterscheidung von Naturwahrheit und Kunstwahrheit. Die Kunstwahrheit des Theaters erfordert eine proportionale Vergrößerung des Dargestellten, um die Realitätsillusion aufrecht zu erhalten. Das von Dorval im troisième entretien vorgestellte neue Genre des Theaters braucht eben diese Vergrößerung, damit es sein Ziel beim Publikum „l’amour de la vertu [et] l’horreur du vice“[11] zu erzeugen erreichen kann. Robert Niklaus erläutert:

La seule propagande est une propagande inconsciente. Il s’agit avant tout de faire vrai, c'est-à-dire de représenter fidèlement la nature. Mais le peut-on en effet ? Non. Car au théâtre comme en peinture il est nécessaire d’altérer l’état naturel et de le réduire à un état artificiel. Il faut rechercher des sensations fortes, s’attacher à des êtres exceptionnels, présenter des situations pathétiques, en un mot faire plus gros la vie, pour donner l’illusion de la vie. Dans l’imitation les sensations doivent être plus fortes que dans la vie.[12]

Trotz einiger Verweise Dorvals auf den Zwang der Faktentreue innerhalb seines Dramas, der gewisse von Moi kritisierte Handlungsabläufe rechtfertigt[13], folgt auch der fils naturel diesem Postulat der Realitätsförmigkeit. Gisela Schlüter argumentiert, dass durch die potentielle Vieldeutigkeit des Textes[14] sowie durch Diderots Einbettung des Stückes in eine Rahmenfiktion der Anspruch der absoluten Faktentreue unterlaufen wird. Stattdessen wird eine Poetik der Fiktion impliziert, die fordert, der Realität Ähnliches zu inszenieren.[15] Diese Poetik deckt sich mit der von Robert Niklaus erläuterten proportionalen Vergrößerung.

In De la poésie dramatique findet sich die gleiche Unterscheidung von philosophischer und poetischer Wahrheit, illustriert durch ein Beispiel aus der Bildhauerei:

[...]


[1] z.B.: Entretiens sur le fils naturel, S.167

[2] Ebd., S.168

[3] Lehmann, Johannes Friedrich: Der Blick durch die Wand. Zur Geschichte des Theaterzuschauers und des Visuellen bei Diderot und Lessing, Freiburg, 2000

[4] Paradoxe sur le comédien, S.93

[5] Ebd., S.72

[6] Ebd., S.112

[7] Lacoue-Labarthe, Philippe: Diderot, le paradoxe et la mimésis. In: Poétique Vol. 43, Paris, 1980, S.267-281

[8] Lehmann, Johannes Friedrich: Der Blick durch die Wand. Zur Geschichte des Theaterzuschauers und des Visuellen bei Diderot und Lessing, S.233

[9] Entretiens sur le fils naturel, S.92

[10] Niklaus, Robert: La portée des théories dramatiques de Diderot. In: Rieger, Dietmar (Hg.): Das französische Theater des 18. Jahrhundert (Wege der Forschung, Bd.570), Darmstadt, 1984, S.124-140

[11] Entretiens sur le fils naturel, S.149, vgl. auch: De la poésie dramatique, S.313

[12] Niklaus, Robert: La portée des théories dramatiques de Diderot, S.131

[13] z.B. Entretiens sur le fils naturel, S.97

[14] Das Stück wurde gemäß Dorval von den beteiligten Personen redaktionell überarbeitet und somit verändert. Zudem wurden eine komödiantische und eine tragische Variante verfasst.

[15] Schlüter, Gisela: Eine implizite Poetik der Fiktion: Diderots Entretiens sur le fils naturel (1757). In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur, Vol. 107 No. 3, Stuttgart, 1997, S.317-331

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Denis Diderots Theorien über den Schauspieler
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Romanisches Seminar)
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V86834
ISBN (eBook)
9783638007399
ISBN (Buch)
9783638914253
Dateigröße
538 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Denis, Diderots, Theorien, Schauspieler
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Bernd Leiendecker (Autor:in), 2007, Denis Diderots Theorien über den Schauspieler, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86834

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