Der zentrale Aspekt einer Autobiographie ist das Auto, das Ich, das über sein Leben und sich selbst schreibt. Gefiltert durch die eigenen Vorstellungen und Ansichten, durch die eigene Identität also, erscheint dann diese Identität als individuelle Person. Das lyrische Ich und das Ich des Autors sind identisch, es handelt sich also um die doppelte Konzentration auf dieses Ich, das der Leser durch die Augen dieses Ichs wahrnimmt.
Wie funktioniert aber eine solche Autobiographie, wenn sie von einer Person geschrieben ist, die schon gar kein eigenständiges Individuum mehr ist, sondern von einer Ideologie vereinnahmt und Teil einer kollektiven Identität ist?
Um dieser Frage nachzugehen, sollen im Folgenden die Mechanismen von Ideologie in ihren Auswirkungen auf das Individuum anhand von Hannah Arendts politischer Theorie analysiert und anschließend an einem autobiographischen Beispiel erläutert werden. Als Beispiel wird, da Hannah Arendt sich in ihren Überlegungen hauptsächlich auf den Nationalsozialismus bezieht, die Autobiographie von Rudolf Höß, dem Lagerkommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz ausgewählt: Kommandant in Auschwitz. In diesem größten Vernichtungslager des Holocaust, in dem die meisten Juden umgebracht wurden, zeigt sich zum einen die konzentrierte NS-Realität, während zum anderen die Person des Rudolf Höß als Befehlsempfänger und –erteiler in so hoher Position nicht mehr als bloßer Mitläufer bezeichnet, sondern als typischer ausführender Nationalsozialist gesehen werden kann und somit völlig von der Ideologie durchdrungen war.
Um die Theorie Hannah Arendts zu erfassen, werden mehrere Werke verwendet. Besonders wichtig für diese Arbeit sind Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Eichmann in Jerusalem und ein Aufsatz zu Persönliche Verantwortung in der Diktatur.
Im folgenden soll nun Hannah Arendts Theorie zu Individuum und Masse unter totalitärer Herrschaft in Zusammenhang gesetzt werden mit der Autobiographie eines in der Durchführung des Holocaust zentralen Nationalsozialisten. Dabei soll besonders auf das Verschieben von Moralvorstellungen und Wirklichkeiten eingegangen werden. Als zentrale Frage steht im Mittelpunkt dieser Arbeit, inwiefern es einem ideologisch vereinnahmten Individuum möglich ist, als eigenständiges, unterscheidbares Individuum in Form einer Autobiographie in Erscheinung zu treten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I. Das Individuum und die Masse in Hannah Arendts politischer Theorie
- 1. politische Freiheit und menschliche Pluralität in der griechischen Polis
- 2. Auflösung von Individualität und Gewissen in totalitärer Herrschaft
- 2.1. Zerstörung des Gemeinschaftslebens durch Ausdehnung des Privaten und Vermassung
- 2.2. Eingehen des Individuums in die kollektive Identität der Masse
- 2.3. Die Banalität des Bösen und das Umkehren des Wertesystems: Wenn das Böse nicht mehr als moralisch falsch wahrgenommen wird
- II. Die Frage nach dem Individuum Rudolph Höß in seiner Autobiographie
- 1. Hintergründe zu Höß` Leben und Aufzeichnungen
- 2. Höß Selbstbild: zusammengesetzt aus Nazi-Idealen
- 3. Anonymes und rationales Beziehungsgeflecht zur Umwelt
- 4. Die Moralvorstellungen Höß` als Spiegelbild der nationalsozialistischen Ideologie und Weltvorstellung
- 5. Autobiographische Aufzeichnungen ohne wirkliche Reflexion
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die Auswirkungen von Ideologie auf das Individuum anhand von Hannah Arendts politischer Theorie und der Autobiographie von Rudolf Höß. Ziel ist es, zu analysieren, inwieweit ein ideologisch vereinnahmtes Individuum in der Lage ist, ein eigenständiges Selbstbild in Form einer Autobiographie zu präsentieren.
- Die Bedeutung des öffentlichen Raums für die Entwicklung und Erhaltung von Individualität
- Die Zerstörung des Gemeinschaftslebens durch die Ausdehnung des Privaten und die Vermassung in totalitären Regimen
- Der Verlust von Moralvorstellungen und die Übernahme eines ideologisch vorgegebenen Wertesystems
- Die Banalität des Bösen und die Frage, ob ein Mensch in einem totalitären System überhaupt noch zu unabhängigem Denken und Handeln fähig ist
- Die Rolle der Autobiographie als Ausdruck von Identität und die Schwierigkeiten, diese in einem ideologisch geprägten Kontext zu präsentieren
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Autobiographie und die Problematik der Identitätsfindung in einem ideologisch geprägten Kontext ein. Kapitel I beleuchtet Hannah Arendts politische Theorie und beschreibt, wie totalitäre Regime das Individuum in die Masse integrieren und seine Freiheit und Identität zerstören. Hier werden die zentralen Konzepte des öffentlichen und privaten Raums, sowie die Rolle von Denken und Handeln erläutert. Kapitel II analysiert die Autobiographie von Rudolf Höß und untersucht seine Selbstwahrnehmung im Kontext der nationalsozialistischen Ideologie. Hier wird die Frage gestellt, inwieweit sich ein ideologisch vereinnahmtes Individuum in der Lage ist, ein eigenständiges Selbstbild zu präsentieren.
Schlüsselwörter
Hannah Arendt, politische Theorie, Totalitarismus, Individuum, Masse, öffentlicher Raum, privater Raum, Nationalsozialismus, Ideologie, Autobiographie, Rudolf Höß, Holocaust, Banalität des Bösen, Moral, Identität, Selbstbild, Selbstverständnis.
- Arbeit zitieren
- Elisabeth Weydt (Autor:in), 2006, Die Masse, das Individuum und die Banalität des Bösen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86900