Stand-Up und Fall: Komik im Nibelungenlied


Hausarbeit (Hauptseminar), 2020

27 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Stand-Up und Fall: Komik im Nibelungenlied

1. Einleitung

2. Herausforderungen bei der Historisierung von Komik

3. Komik im Nibelungenlied
3.1 Die spielmännische Komik im Nibelungenlied
3.2 Die höfische Komik im Nibelungenlied
3.3 Die heroische Komik im Nibelungenlied

4. Narrative Funktionalisierung von Komik im Nibelungenlied

5. Schlussbemerkung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Beherzigt man als aufmerksamer Leser des Nibelungenliedes wie nah konträre Konzepte, seien es Leben und Tod, Treue und Verrat oder Liebe und Hass im Heldenepos beieinander liegen, so dürfte es eigentlich kaum verwunderlich sein, wenn sich unter die Tragik des Verrats und Todes Siegfrieds oder des blutigen Untergangs der Burgunden auch ein Quäntchen Komik mischt. Auf den ersten Blick jedoch scheint es, als sei zwischen Liebe, Mord und Rache kein Platz für amüsiertes Gelächter seitens der Rezipienten. Jedoch wird neben Speeren und Schwertern nicht minder treffsicher auch mit Komik hantiert, die, wie das blutige Gemetzel auch, einen gewissen Entertainmentfaktor innehat, aber dabei weitestgehend subtil bleibt. Ihre häufige Subtilität ist es auch, die die Komik vorwiegend unbeachtet bleiben lässt und selbst wenn eine missglückte Brautnacht oder ein spottender Hagen als witzig erachtet werden, dann unter den modernen Gesichtspunkten des Humors und nicht durch die Betrachtung der Szenen mit einem geschulten Auge für das komödiantische Potenzial des längst vergangenen Mittelalters. Dass es das Nibelungenlied trotz Untergangsstimmung nicht immer ganz so ernst meint, entgeht dem modernen Leser hier und da, was nicht der Rede wert wäre, wenn sich das Scherzen im Auge des Untergangs nicht als ein gezieltes Stilmittel des Dichters entpuppen würde.

Das in zahlreichen literarischen Analysen dominierende Untergangsszenario soll nachfolgend weitestgehend in den Hintergrund rücken, um Platz für einen anderen, konträren Schwerpunkt des Werkes zu machen: Das Absurde, Lächerliche, Komische, das mal ganz offensichtlich und mal eher versteckt zwischen der Tragik des Werks hervorlugt. Dass das Erkennen und das Verstehen der Komik gerade für moderne Rezipienten ein Problem darstellen, soll zunächst als Begründung für das mangelnde wissenschaftliche Interesse genauer erörtert werden, um dann als Grundlage für die Erarbeitung einer Komik im Epos zu dienen. Orientiert an Mayers (1966) strukturierter Zusammenfassung verschiedener Komikgattungen soll daraufhin die Existenz der spielmännischen, höfischen und der heroischen Komik anhand von distinktiven textuellen Beispielen entnommen aus der Handschrift B nachgewiesen werden. Offensichtlich komische Szenen, wie Gunthers Brautnacht oder Hagens Spott treffen dabei auf weniger offensichtliche Komik und erhalten dabei ihren Platz als relevante und nicht zu unterschätzende Stilmittel des Werks. Welche Implikationen die gezielte Verwendung von Komik nach sich zieht, soll abschließend durch den oft unterschätzten oder übersehenen literarischen Stellenwert der Komik erläutert werden und auf seine Legitimität als Forschungsmaterial hinweisen.

Die viel erforschten Bereiche der Sichtbarkeit, Raumsemantik oder Figurenkonstellation des Nibelungenliedes treffen nun also auf einen neuen, nicht minder bedeutenden Forschungsschwerpunkt, der uns neue Perspektiven und Annahmen über die Signifikanz des Nibelungenliedes offenbart und sich damit in die Riege immanenter Stilmittel des Heldenepos einreiht.

2. Herausforderungen bei der Historisierung von Komik

Komik, Witz, Scherz, Hohn, Ironie oder Sarkasmus: Das, was wir als erheiternd wahrnehmen, wird durch vielerlei unscharfe Begrifflichkeiten zum Ausdruck gebracht. Nicht umsonst spricht Albrecht Classen im Bezug auf einen der genannten Begriffe, nämlich der Ironie, von “a vast storehouse of humour”1, unter dem Dach des Humors finden also eine Vielzahl spaßiger Begrifflichkeiten ihren Lagerplatz, oder man wirft etwaige Begriffe ungeachtet ihrer Bedeutung einfach hinein. Der Humor ist es auch, den man begrifflich gern in den vorhandenen akademischen Arbeiten zum Komischen im Nibelungenlied findet, aber gänzlich problemlos ist dieser Begriff nicht. Wenn sich der Rezipient mit Gelächter hervorrufenden Inhalten in einem mittelalterlichen Heldenepos befasst, scheint es der Interpretation unzuträglich, dafür den modern geprägten, ursprünglich aus der Humoralpathologie stammenden Begriff des Humors zu verwenden. Humor ist im kontemporären Sinne hochgradig rezeptiv und unkontrollierbar: Es hängt von einem Subjekt selbst ab, ob etwas ,,it Humor genommen” wird, ein Mensch ist ,,humorvoll”, nimmt also nach modernem Verständnis potenziell ernste Themen leichter wahr, als sie es tatsächlich sind. In unserem kontemporären Verständnis ist der Humor darüber hinaus in erster Linie ein Begriff der Persönlichkeitspsychologie, der damit keine Analyse am Text, sondern am Individuum verlangen würde. Humor ist damit kein Phänomen, das Anhand textueller Beispiele ergründet werden kann, es bedarf also eines Begriffes, der semantisch nicht gänzlich konträr zur Forschungsfrage vorbelastet ist.

Der Begriff der Komik verspricht klarere Resultate. Auch wenn Haug2 oder Mayer3 postulieren, es gäbe keine Formel für Komik, filtern Marquard4 und Tomasek5 den weiten Begriff der Komik zumindest auf eine grobe Struktur: Die der Verdrehung, der Disproportion. Zunächsteinmal geht das Komische (comicus) auf die Kunstform der Komödie zurück, welche gewisse Verfehlungen der Menschen nicht verbirgt, sondern verdreht und auf diese Weise heitere Gelassenheit unter den Rezipienten ermöglichen.6 Die Komik ist also ein Stilmittel, das Lachen hervorruft und damit einen hochgradig körpergebundenen Einfluss auf Rezipienten haben kann. Ein Versuch zur Komik kann also mit dem richtigen Vorwissen einem Text entnommen werden, während der Humor mehr eine individuelle Fähigkeit darstellt.

Genau darin besteht m.E. die methodologische Problematik in der Wahrnehmung von erheiternden, ,,komischen” Texten. Sprechen wir von ,,Humor” setzen wir uns als moderne Leser in das Zentrum der Textanalyse. Unser Verständnis für das Erheiternde ist jedoch ein gänzlich anderes, als es das der mittelalterlichen Rezipienten des Nibelungenliedes war. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn eine auf Komik basierende Analyse des Nibelungentextes fälschlicherweise mit modernen humoristischen Standards durchgeführt wird, die jedoch nichts mit dem ,,Humor”, viel eher der Erheiterung, eines mittelalterlichen Publikums zu tun hat. Die mögliche Komik mittelalterlicher Werke kann damit nicht nachvollzogen werden und verbleibt unerkannt, während Inhalte, die für damalige Verhältnisse gewiss nicht, für heutige allerdings sehr wohl erheiternd erscheinen, auch als erheiternd interpretiert werden. Aufgrund der raum-zeitlichen Alterität wird Komik also entweder übersehen oder fälschlicherweise unterstellt.

Ein gelungenes, nicht-nibelungisches Beispiel bietet da Hans Fromm: Wenn in einer aus dem 10. Jahrhundert stammenden St. Galler Anleitung zum gekonnten Eröffnen eines Briefes ein Gruß mit ,,frommem Blöken” (nach Psalm 23, ,Der Herr ist mein Hirte’) ans Herz junger Klosterschüler gelegt wird, ist das für den modernen Rezipienten ein Grund für schallendes Gelächter – nicht aber für die Personen der damaligen Zeit.7 Was den Rezipienten erheitert oder nicht muss also einer bestimmten Formel folgen, die allerdings raum-zeitlich gebunden ist. Wie bereits erwähnt entsteht Komik durch Disproportion, aber um Disproportion als solche zu erkennen, braucht es ein Verständnis für die Proportion selbst, was eine weitere methodologische Schwierigkeit darstellt.8 Es ist also nicht der Gegenstand selbst, der der Komik zugrunde liegt, sondern unser Verständnis für die Verdrehung des Gegenstandes, welche durch kollektive Phänomene, wie Raum, Zeit oder sozialen Hintergund gänzlich verschieden ausfallen kann.9 Dass damit nichts objektiv komisch sein kann, beweist, wie dringlich eine Untersuchung der Komik ist, um Texte wie das Nibelungenlied in seiner Fülle zu verstehen. Komik ist damit nicht nur ein Stilmittel, es ist ein Aspekt der Literatursoziologie, sowie eines diachronen Sprach- und Literaturbewusstseins.10 Treten wir mit diesem Wissen an Fromms Beispiel heran, so wird klar, dass der moderne Rezipient den Vergleich eines Menschen mit einem Lamm als Disproportion ansieht, während der Klosterschüler des 10. Jahrhunderts aufgrund omnipräsenter Religiosität den Lammvergleich als Proportion, und damit als nicht-witzig erachtet. Dieses Beispiel kann mit Humor genommen werden, obwohl keine intendierte Komik vorliegt. Ob und wann Komik absichtlich eingesetzt wurde, soll fortan im Zentrum der Analyse stehen.

Legen wir den Fokus vom Blöken auf das Nibelungenlied, so tritt eine weitere Problematik des Verständnisses von Komik zu Tage, welche ebenfalls mit raum-zeitlichen Unterschieden zu tun hat, allerdings weniger offensichtlich ist. Während das Nibelungenlied heutzutage gelesen wird, wurde es zuvor vorgetragen, oder um genau zu sein, vorgesungen. Intonation, Melodie, Zäsur und sonstige paraverbale Eigenschaften bleiben dabei weitesgehend unbekannt und damit kann auch auf dieser Ebene komödiantisches Potenzial sehr leicht übersehen, oder besser, überhört werden und damit aus literarischen Analysen herausfallen. Die nachfolgenden Kapiel befassen sich daher mit der Untersuchung der Proportion, um etwaige Disproportion, also die Wurzel der Komik aus dem Heldenepos zu extrahieren. Ganz nach Josef Körners Annahme, dass “[b]ekanntlich für eine nachgeborene Zeit nichts schwerer zu erkennen [ist], als die feine Linie, welche vormals zwischen Ernst und Scherz verlief”11, soll diese feine Linie anhand textueller Beispiele erörtert werden.

3. Komik im Nibelungenlied

Der Untergang ist es, mit dem das Nibelungenlied weitestgehend verbunden wird, aber dass sich einige Stand-Up-Einlagen unter die tragischen Elemente mischen, ist nicht zu leugnen. Dennoch wird die Komik, wenn überhaupt nur Gunthers Brautnächten zugesprochen, die man aufgrund dessen als Sonderfall erachtet, fast so, als seien die Szenen kleine Erheiterungen am Rande, die sonst eigentlich nicht in das Epos passen.12 Nimmt man das Nibelungenlied ernster als es tatsächlich ist, fällt es natürlich zunächsteinmal schwer, dem Werk etwas profan-alltägliches wie Witz oder Komik zuzusprechen. Aber der Komik liegen wissenschaftliche Theorien zu Grunde, die signifikant zur Betrachtung des Nibelungenliedes als Gesamtkunstwerk beitragen.

Es sind verschiedene Arten der Komik, die im Nibelungenlied aufeinandertreffen. Populär ist die Zweiteilung in den ersten, heiteren Handlungsteil, mit unbeschwertem Gelächter über missglückte Brautnächte oder Minnegespräche und der zweite Handlungsteil, der Weg hin zum Untergang, welcher mit Spott und Hohn gepflastert ist.13 Es ist also ein Spektrum vom heiteren zum bösen Lachen, vom Witzeln hin zum scharfen Spott. Im Nibelungenlied treffen also verschiedene Prinzipien der Komik aufeinander: Auf der einen Seite das auf Aristoteles Poetik zurückgehende Harmlosigkeitspostulat und auf der anderen Seite Bergsons anesthésie momentanée du coer.14 Das Harmlosigkeitspostulat zielt darauf ab, dass die Komik schmerzlos ist, also keinen Schaden anrichtet und damit die Empathie des Rezipienten in den Vordergrund gerückt wird.15 Umberto Eco erachtet dabei den Etikettbruch als Quelle der Komik, solange tatsächlich nur Etikette gebrochen wird und sonst kein körperlicher oder seelischer Schaden seitens der Witzfigur verursacht wird.16 Andererseits postuliert Bergson mit seiner Annahme zur anesthésie momentanée du coer, das Mangels temporären Mitgefühls auch das Leiden als lachhaft empfunden werden kann.17 Nicht umsonst gilt das Lachen selbst als Distanzmarker. Wer über einen Sachverhalt lachen kann, ist fähig, sich von selbigem zu distanzieren. Komik und Schrecken müssen sich damit keineswegs ausschließen, insbesondere nicht, wenn in schwarz-humoristischer Tradition mit Tabus eines politischen oder sozialen Wertesystems gebrochen wird.18 Das auf die Komik folgende Lachen ist nicht mehr nur Resultat geglückten Entertainments, es ist ein Versuch, die Rezipientenschaft zu lenken, sie „bei der Stange zu halten“.19 Lachen wird damit zum politischen Statement und zum Beweis, dass der Witz verstanden wurde, der Rezipient reiht sich also ein in das Gefüge der Eingeweihten.20

Das Lachen tritt dabei in verschiedenen Ausprägungen auf: Ob als Resultat der heiter-komischen Burleske, der realitätsverzerrenden Groteske oder im Zusammenhang mit verwandten Phänomenen, wie dem Spott, Hohn oder der Ironie. Das Nibelungenlied bedient sich der ganzen Bandbreite an Komik und auch wenn das Gelächter damit vielseitig motiviert ist, bleiben die Ziele dennoch gleich: Aufmerksamkeit, Lenkung, Positionierung.

3.1 Die spielmännische Komik im Nibelungenlied

Leichtfüßig erweist sich zunächst die spielmännische Komik im Nibelungenlied, benannt von Mayer (1966). Sie zeichnet sich vor allem durch die Einhaltung des Harmlosigkeitspostulats aus, wie sie auch von Friedrich Georg Jünger in seiner Annahme zur Komik postuliert wird. Die Geburtstunde des Komischen schlägt mit der Entstehung eines Konflikts, welcher zwischen zwei nicht ebenbürtigen Parteien stattfindet, wobei vom Unterlegenen eine unverhältnismäßige Provokation ausgeht, auf die mit einer angemessenen, harmlosen Replik geantwortet wird.21 Harmlos erscheint die spielmännische Komik auch in Anbetracht einer, wie es Mayer nennt, ,,gerade-nochmal-gut-gegangen”- Mentalität, die ganz besonders auf eine Figur im Nibelungenlied zutrifft.22 Gunther erweist sich als die große Witzfigur des Nibelungenliedes, auf deren Kosten ein prominenter Konflikt geht: Der der missglückten Brautnacht. Wailes spricht hierbei von einer ‘Bedroom Comedy’, stellt aber dennoch klar, dass die Komödie selbst bereits außerhalb des Schlafzimmers seinen Lauf nimmt.23 Das Werben Gunthers in der siebten Âventiure ist die Initalzündung eines nibelungischen Running-Gags und strotzt bereits vor Komik.

Die erste Disproportion lässt nicht lang auf sich warten. Dass dem Liebesanwärter Gunther nach Ankunft in Isenstein seitens Brünhild zunächst keine Beachtung geschenkt wird und Siegfried für den tatsächlichen Anwärter gehalten wird, bedeutet, dass die Herrscherin Gunther auf den ersten Blick schon keinerlei Ebenbürtigkeit zugesteht (419). Brünhilds furchteinflößende Spiele, die sogar Hagen und Dankwart nervös machen (430), werden jedoch nicht wirklich von König Gunther bestritten, sondern mithilfe Siegfrieds und seinem Tarnmantel, der den König fast wie ein Kind zu schützen verspricht: ,,ich sol iuch wol behüeten vor ir mit den listen mîn” (426). Dennoch zückt Brünhild furchteinflößende Waffen und neben dem Schild, ,,den ir kameraere selbe vierde kûme truoc” (437), wird König Gunther verschwindend klein. Diese Beispiele demonstrieren, dass Gunthers Darstellung als Witzfigur stark auf Kontrastierung beruht. Neben Siegfried sieht Gunther nicht nach einem Liebesanwärter aus, wieder bedarf es Siegfrieds Trost und letztendlich auch seine Hilfe um Gunther Verlangen nach Brünhild zu stillen, neben dem von Brünhild gezeichneten Bild erscheint Gunther zwergenhaft und auch die etwas amüsierende Anspielung ,,er muoste wesen vil küene, dem diu vrouwe wurde holt” (436) lässt den Rezipienten des Werks wissend schmunzeln, denn natürlich ist bekannt, dass König Gunther nicht mit küene brilliert. Der komödiantische Effekt rührt daher vom niemals enden wollenden Vergleich Gunthers mit einer ihm überlegenen Figur.

Auch Brünhild selbst kann sich ein wissendes Schmunzeln ,, mit smielendem munde” (447) nicht verkneifen: Gunthers Angst springt scheinbar auch auf Hagen über, der nun mit gespielter Tapferkeit behauptet: ,, unt heten wir daz gewant, des wir ze der nôt bedurfen, unt ouch diu swert vil guot, sô wurde wol gesenftet der starken vrouwen ubermout.” (446). Brünhild ist sich bewusst, dass Gunthers Gefolgsleute mit oder ohne Ausrüstung ihr nichts anhaben können und gibt ihnen kurzerhand die Waffen zurück (447), nicht aber ohne lächelnd über die Schulter zu blicken. Es ist die Überlegenheit des Bewusstseins, die sowohl Brünhild als auch den ein oder anderen Rezipienten lächeln lassen. Denn selbst mit voller Ausrüstung, über die sich Dankwart wohlgemerkt mit erröteten Bäckchen freut (448), erscheint Brünhild dennoch als übermächtige ,, tîvels brut” (450). Sowohl Gunther als auch sein Anhang wirken damit, verglichen mit ihren Rollen als König und heldenhafte Ritter, als unzulängliche Gestalten, gar als Witzfiguren ganz nach Gunthers Manier.24 Selbstverständlich wird durch List – und das ist auch mit der spielmännischen Komik zu vereinbaren – Brünhild dennoch bezwungen. Allerdings tritt die Gemeinschaft um Gunther auf wie ein Zusammenschluss aus Buben, die mit Biegen und Brechen gerade noch einen Triumph herausschlagen konnten. So kommt es nicht nur zur Eheschließung zwischen Brünhild und Gunther, sondern auch zur Siegfried versprochenen Heirat zwischen ihm und Kriemhild, was später noch von Relevanz sein wird.

Dass Brünhild trotz ihrer Vermählung mit Gunther in Âventiure zehn bereits darauf anspielt, lieber nicht mit ihm das Bett zu teilen (622), lässt Gunther per se nicht gerade starker dastehen, allerdings entfaltet sich der komödiastische Effekt erst durch Strophe 625:

Er dâhte, er laege sanfter der schoenen vrouwen bî,

Dô was er des gedingen niht gar in Herzen vrî,

Im muose von ir schulden liebes vil geschehen.

Er begonde vriuntlichen an vroun Brünhilde sehen.

Gunther hat also bereits einige Phantasien über die von ihm erwartete körperliche Zusammenkunft im Ehebett, während Brünhild so offensichtlich genau diese lustvolle Erwartung nicht teilt. Wieder treffen hier zwei Gegensätze aufeinander, die Gunther ein wenig schwächlich dastehen lassen: Hoffnungsvolle Erwartung trifft auf Ablehnung und Gunthers Unwissen trifft auf den Wissensvorsprung der Rezipienten, schließlich ist bekannt, dass Gunthers Tagträume tatsächlich nur Träume bleiben.

Warum der Witz um Gunthers missglückte Brautnacht so zeitlos und daher derart prominent ist, sollte leicht nachvollziehbar sein, schließlich erweist sich die Erotik an sich schon als ein Topos der Erheiterung, was im Falle des Nibelungenliedes bewusst ausgenutzt und an die Spitze getrieben wird, und das mit dem bereits bekannten Mittel komödiantischer Kontrastierung. Während Siegfried es schafft, mit Kriemhild die Ehe zu vollziehen (629) blüht Gunther ein anderes Schicksal. Strophe 630 stellt beide Liebesnächte nicht nur dar, sondern vor allem auch in Bezug zueinander. Der Dichter möchte nicht weiter auf die Liebesspiele Kriemhilds und Siegfrieds eingehen, die Vorgänge können sich die Rezipienten sicher selbst vorstellen. Gunthers Brautnacht allerdings gilt es ausführlich zu erzählen, denn was hier passiert passt eben nicht in das Schema einer Brautnacht und darauf spielt der Dichter häppchenweise an. Erst in 630 mit den Worten ,,er hete dicke samfter bî andern wîben gelegen” und daraufhin in 631 ,,jâ was is noch unnâhen, ê si wurde sîn wîp”. Allein narrativ wird hier bereits Spannung aufgebaut und tatsächlich ist es die detailreiche Darstellung der Brautnacht, die die Szene so lächerlich erscheinen lässt.25 Brünhild erscheint also in einem ,, sabenwîzen hemede” (632), Gunther dimmt voller Erwartung das Licht, legt sich zu ihr und versucht ihr lustvoll näher zu kommen (633). Nach Brünhilds erster Abweisung wird der König ungeduldig und versucht sich ihrer unverhältnismäßig grob zu bemächtigen (636), doch auch hier beweist Brünhild nicht nur ihre Stärke, sondern auch Gunthers Schwäche. Sie bindet ihn an Händen und Füßen zusammen und hängt ihn an der Wand auf (637) und das Bild der Hochzeitsnacht wird grotesk.26,, Do begonde er vlêgen, der meister wânde sîn” (638), wie es wortwörtlich daraufhin heißt. Man sieht also einen König in einer absolut jämmerlichen Situation, die sogar noch jämmerlicher erscheint, hält man sich vor Augen, dass sich Gunther doch tatsächlich für Brünhilds ,, meister” gehalten hat. Gunthers klägliches Flehen kümmert Brünhild nicht, ,, want si vil sanfte lac” (639), so trivial es klingt, ist es Brünhild im Bett zu bequem um sich zu etwas zu bequemen. So hängt König Gunther, und auch dieses Detail spielt in die Groteske hinein, bis zum Morgengrauen an der Wand.

[...]


1 Classen, Albrecht. 2014. „Irony in Medieval and Early Modern German Literature: Nibelungenlied, Mauritius von Craûn, Johannes von Tepl's Ackermann: The Encounter of the Menschlich-Allzumenschlich in a Medieval Context. The Journal of English and Germanic Philology.113(2): 184.

2 Haug, Walter. 1996. „Schwarzes Lachen: Überlegungen zum Lachen an der Grenze zwischen dem Komischen und dem Makabren“. Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens: 49-64.

3 Mayer, Hartwig. 1966. Humor im Nibelungenlied. Tübingen: H. Köhler: 49.

4 Marquard, Odo. 1976. „Exile der Heiterkeit“. Poetik und Hermeneutik VII: 133-151.

5 Tomasek, Tomas. „Komik im Minnesang: Möglichkeiten einer Bestandsaufnahme“. Komische Gegenwelten: Lachen und Literatur im Mittelalter und Früher Neuzeit: 13-28.

6 Ebd. 9.

7 Fromm, Hans. 1962. „Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters“. DVjs 36: 324.

8 Ebd.

9 Seeber, Stefan. 2014. „Totlachen: Komik und Ironie im ‚Nibelungenlied‘ und in der ‚Kudrun‘“. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 136(2): 234.

10 Fromm, Hans. 1962. „Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters“. DVjs 36: 322.

11 Körner, Josef. 1921. „Das Nibelungenlied“. Natur und Geisteswelt 591. Leipzig, Berlin: Teubner:109.

12 Wailes, Stephen. 1971. „Bedroom Comedy in the Nibelungenlied“. Modern Language Quarterly 32 (4): 365.

13 Seeber, Stefan. 2014. „Totlachen: Komik und Ironie im ‚Nibelungenlied‘ und in der ‚Kudrun‘“. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 136(2): 236.

14 Ebd.

15 Horn, András. 1988. Das Komische im Spiegel der Literatur: versuch einer systematischen Einführung. Würzburg: Königshausen&Neumann: 61.

16 Eco, Umberto. 1984. „The Frames of Comic ‚Freedom‘“. Carnival!: 2.

17 Stierle, Karlheinz. 2012. Text als Handlung: Grundlegung einer systematischen Literaturwissenschaft. München: Fink: 251.

18 Seeber, Stefan, ed. 2016. Parodie und Verkehrung: Formen und Funktionen spielerischer Verfremdung und spöttischer Verzerrung in Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Freiburg: V&R Unipress: 96.

19 Seeber, Stefan. 2014. „Totlachen: Komik und Ironie im ‚Nibelungenlied‘ und in der ‚Kudrun‘“. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 136(2): 234.

20 Ebd.

21 Mayer, Hartwig. 1966. Humor im Nibelungenlied. Tübingen: H. Köhler: 24.

22 Ebd.

23 Wailes, Stephen. 1971. „Bedroom Comedy in the Nibelungenlied“. Modern Language Quarterly 32 (4): 367.

24 Mayer, Hartwig. 1966. Humor im Nibelungenlied. Tübingen: H. Köhler: 24.

25 Wailes, Stephen. 1971. „Bedroom Comedy in the Nibelungenlied“. Modern Language Quarterly 32 (4): 367.

26 Mayer, Hartwig. 1966. Humor im Nibelungenlied. Tübingen: H. Köhler: 50.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Stand-Up und Fall: Komik im Nibelungenlied
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
27
Katalognummer
V882749
ISBN (eBook)
9783346188885
ISBN (Buch)
9783346188892
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Geschrieben in essayistischem Stil, damit passend zum Forschungsthema; überzeugende Wahl an Argumenten; kohärente und vielschichtige Analysearbeit
Schlagworte
Nibelungenlied, Mittelhochdeutsch, Komik, Humor, Mittelalter, Witz, Brautwerbung
Arbeit zitieren
Isabell Rieth (Autor:in), 2020, Stand-Up und Fall: Komik im Nibelungenlied, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/882749

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