"Völkisch". Wird man das noch sagen dürfen? Historische und semantische Wortstudie zu einem umstrittenen Begriff


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

35 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitende Bemerkung

2. Morphologische Betrachtung

3. Wortstudie: „völkisch“
3.1. Wortherkunft
3.2. Nationalsozialismus
3.2.1. Volk
3.2.2. „völkisch“
3.3. Nachkriegszeit, DDR und heute

4. Kritische Einschätzung: AfD und der Kampf um Wörter

5. Fazit und Appell

6. Abbildungsverzeichnis

7. Literaturverzeichnis

Aus dem verstreuten Samen des einen Ungeheuers sind viele kleine Ungeheuerchen entsprossen, der eine totale Unmensch lebt in tausend partikularen Unmenschlein fort, und keiner von ihnen wei ß, was er tut-was er tut indem er redet. “1

1. Einleitende Bemerkung

Wörter scheinen an sich keine Ungeheuerlichkeiten zu enthalten. Ob ein Wort gut oder böse ist, das entscheidet die kontextuelle Umgebung, die Schuldigkeit eines Wortes, ist letztlich eine Schuldigkeit des Sprechers. Die vorangegangene These lädt förmlich zum Stolpern ein; kann ein Wort, hier das Adjektiv „völkisch“ ungeheuerliches in sich tragen, ist es in heutigen Zeiten noch benutzbar?

Anstoß der Frage ist ein Interview der damaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry mit der deutschen Zeitung Welt am Sonntag2. In dem Gespräch ließ sie verlauten, dass das Wort „völkisch“3 aus der negativen Konnotationsecke zu nehmen sei, da es direkt mit dem Substantiv Volk korreliere und nicht per definitionem als „rassistisch“ zu betrachten sei. Petry erläuterte weiter: „Ich benutze diesen Begriff zwar selbst nicht, aber mir missfällt, dass er ständig nur in einem negativen Kontext benutzt wird“4. Beklagenswert für sie ist, „dass es bei der Ächtung des Begriffes ‚völkisch’ nicht bleibt, sondern der negative Beigeschmack auf das Wort ‚Volk’ ausgedehnt wird“5. Presse, Rundfunk und Fernsehen reagierten auf diese Forderung mit Empörung6. Doch warum erhitzen sich die Gemüter bei einem Adjektiv? Ohne martialisch klingen zu wollen, geht es bei diesen Auseinandersetzungen um einen Kampf der Wörter. Die AfD erhofft sich eine Zurückeroberung von bestimmten Wörtern und deren Konnotationen. Es geht um die Macht der Worte und ihre politisch- gesellschaftliche Einflussnahme, die immer auch im Spannungsfeld von Geschichte und Gegenwart zu betrachten ist.

Um die Aussage Petrys differenziert und wissenschaftlich zu untersuchen, werde ich mich in der vorliegenden Arbeit um eine dezidierte und pointierte Wortstudie des Begriffs „völkisch“ bemühen. Dabei wird mit einem dreischrittigen diachronen Analyseverfahren, von der Wortherkunft und der althochdeutschen und mittelhochdeutschen Überlieferungssituation auf die Wortnutzung im Nationalsozialismus und schließlich die Wort- Verwendung in der Nachkriegszeit, der DDR und der Gegenwart ermittelt. Maßgeblich für die Analyse ist eine grundlegende Auseinandersetzung der Wechselbeziehung von Substantiven und deren Adjektiven, die ich der Arbeit voranstellen möchte. Desweiteren wird, neben der sprachwissenschaftlichen und sprachgeschichtlichen Auseinandersetzung, auch auf die semantische Bedeutung von Volk und „völkisch“ hingewiesen, ist diese doch dicht verwoben mit der akuten Fragestellung. Eine interdisziplinäre Erweiterung und Auseinandersetzung mit der philosophischen Anthropologie, der Ethnologie, der Politik- und Medienwissenschaft wäre sicherlich von großem wissenschaftlichen Interesse, soll hier aber nur ergänzend erwähnt, nicht jedoch Gegenstand der Analyse sein. Im Fokus steht die sprachwissenschaftliche Untersuchung des Wortes „völkisch“, die verdeutlichen soll, dass sich Frauke Petry eines historisch prekären Begriffs bedient und sich mit dessen Rehabilitierungsversuch in eine eindeutig rechts-populistische-nationalistische Position verortet, die geschützt vom Grundgesetz zwar veräußert, politisch und gesellschaftlich jedoch diskutiert und kritisiert werden muss. Die Arbeit soll veranschaulichen, dass der Begriff „völkisch“ historisch nicht tragbar ist. Der unsensible Umgang mit Begriffen des Nationalsozialismus kann nur zu leicht als Dammbruch verstanden werden, der sozial-vereinbarte Konventionen aufhebt.

2. Morphologische Betrachtung

Zu der wichtigsten Gruppe der Kategorie verändernden Suffixe, gehört das Suffix -isch. Es handelt sich hierbei um einen sogenannten Derivationssuffix, das zu den produktivsten seiner Kategorie zählt7, produktiver ist lediglich das Adjektivsuffix -ig8. Das Suffix -isch leitet sich vom althochdeutschen - isc und dem mittelhochdeutschen -isch ab9.

Bei dem Adjektiv „völkisch“ handelt es sich um eine Adjektiv-Suffigierung des Wortes Volk. Dabei wird der Nomenstamm Volk durch zusätzliche Umlautung und dem Suffix -isch zum Adjektiv10. Bei der Wortbildung mit -isch handelt es sich häufig um „nichtnative Wörter“11, das trifft bei „völkisch“ nicht zu, jedoch ist der Umlaut in „völkisch“, eine morphologische Markierung12, die nur bei nominaler Basis, wie hier bei Volk vorkommend, auftaucht13. Diese sogenannte „Basisveränderung“ kann an diversen Faktoren festgemacht werden: „Der Umlaut tritt vor -isch gewöhnlich dann auf, wenn er bei einer [im Falle von „völkisch“ Plural-] Substantivbildung auf -er dessen Grundmorphems üblich ist“14: Völker- „völkisch“. Der Begriff Volk, welches sich als „Basiswort“15 für „völkisch“ ausweist, gehört zu der Gruppe der Appelativa16 und wird im Plural, wie am vorangegangen Beispiel gezeigt, mit Umlaut realisiert.

Schon in der 1826 veröffentlichten „Deutschen Grammatik“17 setzt sich Jacob Grimm mit den Adjektiven auf -isch auseinander, jedoch ist es Heyse18, der im Jahre 1838 auf die semantische negative Bedeutung des -isch Suffixes eingeht19. Die Auseinandersetzung mit dem Suffix -isch soll hier nur kurz angedeutet werden, als dass sie Aufschluss über einen ausgedehnten inhaltlichen Diskurs gibt, der, neben den syntaktischen Kategorien, auch eine semantische Kongruenz von -isch Adjektiven herauszuarbeiten versucht20. Zu beobachten ist jedoch, dass „eine sehr häufig belegbare Bedeutungsvariante des -isch Suffixes […] die Kennzeichnung der Zugehörigkeit von Personen, Sachen, Institutionen oder geographischen Räumen zu dem in der Basis Bezeichneten“21 ist. Wie die Abbildung 6.1.22 zeigt, ist „[…] Zugehörigkeit die Bedeutung des -ischs Suffixes […], soweit nicht der Kontext eine Einengung bringt“23. Das will heißen, dass Adjektive au f -isch, Polysemie aufweisen können: Das Adjektiv politisch kann einerseits „die Politik betreffend“ und andererseits „zu Politik gehörend“24 bedeuten. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Wort „völkisch“, welches zum einen „zum Volk gehörend, aus dem Volk stammend“ und zum anderen „das Volk betreffend“ bedeuten kann. Schlaefer folgert daraus, dass „[…] die Bedeutungsimplikationen eine bewußt unscharfe Verwendung der -isch Adjektive in bestimmten Kontexten […] grundsätzlich auch [zu] Manipulation durch Sprache“ führen kann. Die folgende Wortstudie wird nicht auf die Kontextabhängige, mögliche Polysemie eingehen, viel mehr wird herausgearbeitet werden können, dass abhängig von einer spezifischen historischen Epoche, die semantische Bedeutung des Wortes „völkisch“ geprägt wird.

3. Wortstudie: „völkisch“

3.1. Wortherkunft

Die zeitliche Verortung des Wortes „völkisch“ lässt sich bis in 15. Jahrhundert zurückverfolgen. Es leitet sich vom althochdeutschen „folsic“25 ab, was mit „volkstümlich, zum Volk gehörend, gebräuchlich“26 zu übersetzten wäre. Erste Nachweise über die Realisierung des Wortes im Frühneuhochdeutschen bietet der Philosoph Johann Gottlieb Fichte, der das Wort „volckisch“ noch ohne Umlaut aufnimmt27.

Der Artikel zum Wort „völkisch“ im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm28 verortet „völkisch“ zu einer angelsächsischen Quelle, dem Wort „folcsic“ folgend. Hier wird auf einen Eintrag in Diefenbachs Latino- Germanicum Glossarium29 verwiesen, das im Jahre 1857 erschien. Das Wort „volckisch“ wird hier als Übersetzung für das lateinische Wort popularis empfohlen30 und soll so viel bedeuten wie „dem volck angnem“31. Die Bedeutung deutet auf eine semantische Betrachtungsweise hin, die von einer Gruppen- oder Volksspezifischen Zugehörigkeit, abweicht. Das Grimm’sche Wörterbuch, verweist zusätzlich noch auf die im angelsächsischen aufkommende Anzahl von Zusammensetzungen, in denen „folc-“ ethnischen oder staatsrechtlichen Sinn hat oder eine grosze Menge32 bezeichnet. Zu beachten ist indes auch die Verbindung mit dem Suffix -isc in „folcisc“. Im älteren Deutschen finden sich dagegen nur außerordentlich wenig entsprechende Bildungen“33.

Die Herkunft des Morphems Volk, aus welchem das Adjektiv schließlich deriviert wird, „ist nicht sicher geklärt“34. Die Vermutung wird angestellt, dass es sich hierbei schon um einen altgermanisches Substantiv handelt, Belege über die Verwendung des Wortes Volk, liefern allerdings nur althochdeutsche und mittelhochdeutsche textliche Überlieferungen35. Im althochdeutschen als „folc“ realisiert bedeutet es soviel wie „Haufe, Kriegsschar; Volk“, im mittelhochdeutschen als „volc“ realisiert wird die semantische Komponente der „Leute“ hinzugefügt. Das Auftreten in anderen germanischen Sprachen wie dem Niederländischen (Volk), dem Englischen (Folk) und dem Schwedischem (Folk) lassen auf eine indogermanische Wurzel vermuten: „Wahrscheinlich gehört es zu der unter ,viel‘ behandelten idg. Wurzel, sodass lat. Plebs, Volksmenge‘ verwandt wäre“36. Aufschluss über die Bedeutung „des germ[anischen] Substantivs, Kriegerschar, Heerhaufen‘ liegt sowohl in Personennamen wie ‚Volkhart‘ und ,Volkmar‘ […] als auch in Zusammensetzung wie ,Fußvolk, Kriegsvolk‘ vor“37.

Die erste wissenswerte Erwähnung des Wortes Volk lässt sich bis ins Jahre 750-800 zurückverfolgen. Im Hildebrandslied, dass in oberdeutscher Sprache (ostfränkisch oder bairisch) verfasst wurde, finden sich neben der konkreten Realisierung von „folk“, auch Quasi-Synonyme wie „liuti“, also Leute, oder „lant“, hier mit Vaterland zu vergleichen38. Auch in Isidor, in alemannischer Mundart, dessen Entstehungszeit auf Jahr 790 datiert wird, ist vom „himilisca folc“ die Rede. Frei zu übersetzen mit dem himmlischen Volk, wird es hier jedoch mit „Militärische Grundbedeutung, übertragen auf das Heer der Engel“39 übersetzt40. Bedeutend ist ebenfalls die religiöse Komponente, wird in Idsidor doch auch vom „israhelischen folches“41 gesprochen42. Eine Übersicht des Aufkommens und der semantischen Ebene des Volksbegriffes des Althochdeutschen und Altniederdeutschen kann den Abbildungen 6.2.1, 6.2.1, 6.2.3 im Abbildungsverzeichnis auf Seite 22 entnommen werden.

Das Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm43 bringt zahlreiche Textbelege und Wortbedeutungen des Begriffs Volk hervor. Dabei handelt es sich hauptsächlich um eine diachrone Abhandlung des semantisch-philosophischen Bedeutungsspektrums des Wortes Volk . Der Wandel der Wortbedeutung reicht von „geschlossene Abtheilung von Kriegern, Heerhaufe“44 über „Hausgemeinschaft, Familie“45 und „Leute, besonders häufig werden Leute gleicher Art mit Volk bezeichnet“46 bis hin zu einer „staatsrechtliche Bedeutung: die Gesammtheit aller Staatsbürger unter Aufhebung aller Standesrechte; insofern die Gesammtheit als Ursprung aller Staatsgewalt gilt, findet diese Auffassung ihren reinen Ausdruck nur in der Staatsform der Republik“47. Betont wird indes, dass „die Bedeutungsgeschichte des Wortes […] auf das engste mit der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung verbunden [ist]; die im Wandel der Verhältnisse eintretenden Abspaltungen sind mannigfaltig u. auszerordentlich oft von dem Gedanken und der Stimmung des Sprechenden abhängig“48.

Erst mit einem Erwachen eines Nationalbewusstseins „im Zeitalter des Humanismus“49 hat sich die Bedeutung des Wortes auf die „Gesamtheit der durch Sprache, Kultur und Geschichte verbundenen (und zu einem Staat vereinten) Menschen“50 ausgedehnt. Die Romantik erweiterte den Begriff um eine gefühlsmäßige Nuance, von der Wörter wie ,Volkslied und Volkstum‘ zeugen“51. Der Einfluss von Philosophen wie Herder und anderen Intellektuellen verleiht dem Wort Volk eine neue Konnotation: „Bisher hatte das das Wort Volk im Munde gebildeter Menschen dieselbe Bedeutung, die heute das Wort >Pöbel< hat. Nun nahmen die […] jungen Bilderstürmer der Sturm-und Drangzeit, das Wort Volk als neuen Kampfruf auf“52. Ausschlaggebend für diese deutschen Philologie‘ lehnt es als unschön ab“55. Hingewiesen sei noch auf die Wörter Volkstum und volkstümlichWandlung ist „die Entdeckung des Anspruchslosen, Bescheidenen in Deutschland und zweitens die französisch-revolutionäre Mobilisierung der Masse“53.

Das Wort „völkisch“ hingegen wird erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts vom Germanisten H. v. Pfister als Ersatzwort des Adjektivs national verhandelt54 55. „Seit etwa 1900 dringt es von Österreich her vor, noch G. Roethe 1923 in ,Wege der , die erst Anfang des 19.Jahrhunderts entstehen und „dem Denken und Fühlen eines Volkes entsprechend; populär, gemeinverständlich“56 bedeuten. Dass das Wort und das Konzept Volk von äußerster Relevanz für den deutschen Sprachgebrauch ist, zeigen die im Grimm’schen Wörterbuch auftauchenden über 420 Komposita mit dem Präfix Volk57. „Vergleichsweise lässt sich feststellen, dass auch schon in anderen Sprachen und Kulturen in längst vergangener Zeit Zusammensetzungen mit dem entsprechenden Wort für Volk beliebt waren, so vor allem im klassischen Griechenland“58.

Wie die pragmatische und etymologische Herangehensweise bis hierher gezeigt hat, handelt es sich bei dem Adjektiv„völkisch“ um einen sehr alten Wortursprung. Weder dessen Bildung noch dessen Bedeutung kommt einer Wortneuschöpfung gleich. Daraus ist zu folgern, dass sich Frauke Petry keines Neologismus oder Kompositums bedient, dass im Nationalsozialismus erfunden wurde. Inwieweit sich die Bedeutungsebene im Nationalsozialismus verändert, ja radikalisiert, soll der folgende Abschnitt verdeutlichen.

3.2. Nationalsozialismus

3.2.1. Volk

Dass die nationalsozialistische Propaganda, mit ihrem bewussten taktischen Umgang der Sprache ideologischen Einfluss nahm, ist unumstritten. Ihre „mündliche und schriftliche Allgegenwart ihrer rassenideologischen, militaristischen, auf Führung und Gefolgschaft fixierten Interpretationen von Volk und Gesellschaft“59 und die mediale Verbreitung dessen über die Presse, den Hörfunk und das Fernsehen, stellten eines ihrer „wesentliches Herrschaftsmittel dar“60. Zum einen gab es die mit Pathos aufgeladene „teils ritualisierte Formen der öffentlichen Rede[n]“61, die das öffentliche Bild betrafen und andererseits eine bis in den Alltag dringende Beeinflussung von „Denken, Sprechen und Handeln“62, die die Unterscheidung von „Volksgenosse“ und „Volksschädling“ und eine damit korrelierende Unterscheidung von Gut und Böse stigmatisierte63. Die zentralen Motive des nationalsozialistischen Sprechens lagen dabei immer auf eine Betonung und Verdichtung einer in sich geschlossenen Gemeinschaft auf der einen und einer Exklusion jedweder Eindringung, Vermischung oder Assimilierung auf der anderen Seite.

Zahlreiche Literatur beschäftigt sich bis heute mit der kritischen Auseinandersetzung mit der „Macht des Wortes“ und der „Schuld des Wortes“ im Nationalsozialismus. Die Auseinandersetzung sind unzählbar64, elementar ist indes jedoch der Hinweis auf einen vermeintlichen Entschuldigungsmoment: „Wenn das deutsche Volk sozusagen durch die magische Wortkraft ,verführt‘ wurde, liegt ein Großteil der Schuld auf den wie mit überirdischer Macht ausgestatteten Führern.“65. Davon möchte sich die folgende Analyse lossagen.

Wie die Statistiken, (Abb. 6.3.2 und 6.3.5. und 6.3.1, Seite 24f.) verdeutlichen, erlebt das Wort „völkisch“ gerade im Vergleich zum konkurrierenden Adjektiv volkstümlich in dem Zeitraum von 1920 bis 1935 immens an Aufschwung. Das Adjektiv national hingegen (Abb.6.3.5, S.25) gewinnt sukzessiv im Zeitraum von 1800-2000 zunehmend an Relevanz. Inwieweit national und „völkisch“ als Adjektive überhaupt zu vergleichen sind, muss hier äußerst kritisch hinterfragt werden, handelt es sich doch bei national auch um eine „prominentes Wort“, um Komposita zu bilden. Festzuhalten ist jedoch, wie die die Statistik eindeutig zeigt, dass eine Etablierung des Wortes „völkisch“ mit Eintritt des 20. Jahrhunderts beginnt.

In Cornelia Bernings aufschlussreichem Werk Vom "Abstammungsnachweis" zum "Zuchtwart" Vokabular des Nationalsozialismus findet sich folgender Eintrag zum Schlagwort Volk:

Ein Zentralwort der nationalsozialistischen Sprache. Es umfasst die Bedeutungen; 1. Volk als das Urwüchsige im Gegensatz zur bürgerlichen Dekadenz, 2. Volk als politische Einheit, Nation, 3. Volk als rassische Einheit im Gegensatz zur Klasse, 4. Volk als geschichtliche, schicksalhafte, von Blut und Boden bestimmte Idee, der sie einzelnen als Träger unterstellt sind und die sich im Führer offenbart. Das Wort tritt in zahlreichen Ableitungen und Komposita auf, die aber in der Mehrzahl nicht neu geprägt sind und nur wegen der teilweise neuen Sinngebung- Volk als rassische Einheit, als „Blutsgemeinschaft“- spezifische Wörter der NS-Sprache sind.66

Der nationalsozialistische Sprachgebrauch verpflichtet sich einer „Überhöhung des Ausdrucks Volk, wie sie schon bei den Nationalbewegungen des neunzehnten Jahrhunderts, parteiübergreifend aber spätestens seit 1918 üblich geworden war“67. Die Betonung auf eine explizite „Rassenzugehörigkeit“ steht dabei im Fokus, die nicht eine Menge an Menschen, im Sinne einer Bevölkerung, sondern eine „Abstammungs- und Schicksalsgemeinschaft“68 ist. Im Vergleich zum Sentiment der französischen Revolution, in der ein „Volks-und Nationsbegriff“69 bereits bestand, handelte es sich im Nationalsozialismus um eine Idee, die dem „individualistischem“70 und liberalem Denken diametral gegenübersteht. Die Konzentration auf „Blut und Boden […] als die entscheidenden völkischen Grundwerte“71, vernachlässigt die philosophische Konzeption einer aus Individuen bestehenden Gemeinschaft, die, die Komponente des „gemeinsame[n] geschichtliche[n] und kulturelle[n] Erleben[s]“72 vereint. Auf jener Weltanschauung basieren schließlich auch die Nürnberger Gesetze und die Juden- und Minderheitenfeindlichkeit.

Dem „deutschen Volk“ werden zwei Aufgabenbereiche zu teil: „So haben diese beiden größten Institutionen unseres Volkes zwei gleiche Aufgaben zu erfüllen: der Nationalsozialismus erzieht unser Volk im Innern zur Volksgemeinschaft, und die Wehrmacht erzieht dieses gleiche Volk zur Verteidigung dieser Volksgemeinschaft nach außen!“73. Die Wechselbeziehung, die einmal mehr die innere Konstitution verdichten und nach Außen verteidigen soll, basiert auf der Annahme eines einheitlichen „deutschen Volkes“. Erstaunlich ist es dabei nicht, dass von höchster Stelle, vom Propagandaministerium eine Nutzung jedweder „Volks-“ Komposita untersagt wird: „Kirchenvolk“74, „Künstlervölckchen“75 und „Jugoslawische Volk“76 lenken zu sehr von der vermeintlich singulären Bedeutung des Wortes Volk ab. Abgesehen von einer scheinbaren gesellschaftlichen, ideologischen Entität, bemüht man sich also auch um eine „eindeutige“ semantische Zuordnung. Polysemie wird in jedem Teilbereich gesellschaftlichen Zusammenkommens ausgeschlossen, auch und vor allem die Sprache betreffend. Da erscheint es fast als implizite Rebellion, wenn der Duden, trotz mehreren Presseanweisungen das Wort „Völkerbund“ in „der 12. Auflage des Rechtschreibduden von 1941“77 übernimmt.

Dem (vermeintlich) einheitlichen Volksgedanken stehen die Wörter „Völkerbund“ und „Völkerbrei“ feindlich gegenüber. „Völkerbrei“ wird als pejorative Bezeichnung eines „Gemisch aus Angehörigen vieler Völker“78 verstanden, „die als Zeichen der Entartung und als Ursache des Untergangs von Völkern und Staaten galt“79. Deutlich wird an der vorangegangenen Argumentation eine nationalsozialistisch- ideologische Durchdringung des Wortes Volk. Man beansprucht die semantische Wortbedeutung, und geht nur auf das eigene, „deutsche Volk“ ein und spricht bei anderen Volksgemeinschaften und Nationen von Bevölkerung. Die Anweisungen auf ein Verbot anderer Volks- Komposita, die in beliebigen Form das Morphem Volk beinhalten, schließt auf einen marketingtechnischen Zug des Propagandaministeriums, dem an einer einstimmigen Idee und Nutzung, vor allem aber einer ideologische Verbreitung des Wortes Volk gelegen ist.

3.2.2. „völkisch“

Im Folgenden soll sich ausgehend vom Volks -Begriff im Nationalsozialismus, dem zugehörigen Adjektiv „völkisch“ gewidmet werden. Im Volks-Brockhaus von 1940 findet sich zum Wort völkisch folgender Eintrag: „National mit Betonung der in Rasse und Volkstum liegenden Werte“80. Wie bereits im Kapitel „Wortherkunft“ angesprochen, beschäftigt sich der österreichische Germanist und Philosoph Pfister mit dem Ausdruck „völkisch“. Er ist es, der im Jahre 1875 „völkisch“ als „Verdeutschung von national81 etablieren möchte. „In dieser Verwendung verbreitet er sich schnell, nimmt aber seit etwa der Jahrhundertwende dadurch, dass deutschnationale, antisemitische, oft einer Germanenschwärmerei huldigende Gruppierungen sich oder ihre Gesinnung völkisch nennen, einen Nebensinn von abseitiger Deutschtümelei an“82. Auch der deutsche Sprach- und Literaturwissenschaftler Eduard Engel83 setzt sich für eine Etablierung des Wortes „völkisch“ ein, ebenfalls mit der Begründung einer „Verdeutschung“84 des Begriffs national, leitet der sich doch aus dem Lateinischen von „ natio, einer Ableitung von nasci (natus sum), <<geboren werden>>“85 ab. Sichtbar wird im anfänglichen 20. Jahrhundert eine Auseinandersetzung mit dem Wort „völkisch“ und eine steigendes Nationaldenken, dass mit der „Entwelschung“86 der Sprache einhergeht. Die Diskussion scheint damit hauptsächlich den Begriffen völkisch und national anzugehen, man sucht nach dem trefflichsten Wort, einer eigenen „Identitätsbeschreibung“. Abbildungen 6.3.5 und 6.3.5.187 verdeutlichen eine Omnipräsenz des Begriffs national, der in den Anfängen des 20. Jahrhunderts zwar keine ernstzunehmende, aber immerhin Konkurrenz durch das Adjektiv „völkisch“ bekommt.

[...]


1 Sternberger, Storz, Süskind, Aus dem Wörterbuch des Unmenschen, Hamburg 1957, S.10.

2 https://www.welt.de/politik/deutschland/article158049092/Petry-will-den-Begriff-voelkisch-positiv-besetzen.html

3 Im Folgenden wird das Adjektiv „völkisch“ nur mit Anführungszeichen verwendet, da es sich, wie die Analyse zeigen wird, um einen von der nationalsozialistischen Propaganda geprägten Begriffs handelt. Das Wort Volk wird nur dann kursiv realisiert, wenn es sich um die konzeptuelle Vorstellung von Volk handelt. Eckige Klammern sind immer Merkmal von Veränderungen, die ich, Hannah Grünewald an Sekundärliteratur vorgenommen habe.

4 https://www.welt.de/politik/deutschland/article158049092/Petry-will-den-Begriff-voelkisch-positiv-besetzen.html

5 Ebd.

6 Vgl. dazu das Literaturverzeichnis, Stichwort Petry und Presse, S.33.

7 Vgl. dazu Eisenberg, Peter, Das Wort. Grundriss der deutschen Grammatik, Stuttgart 2006, S.270ff.

8 Altmann, Hans, Pr üfungswissen Wortbildung, Göttingen 2011, S.116.

9 Ebd., Vgl. dazu auch Kluge . Etymologisches W örterbuch der deutschen Sprache, 24. Auflage. Elmar Seebold, Berlin 2002, S.447.

10 Vgl. dazu Eisenberg, Das Wort, (Anm. 7), S. 270f.

11 Altmann, Pr üfungswissen Wortbildung, (Anm.8), S.116.

12 Altmann spricht hier eher irreleitend von einem „Fugenelement“, wird dieses von der Forschung doch eher als Glied zwischen Basis und Suffix bezeichnet.

13 Altmann, Pr üfungswissen Wortbildung, (Anm.8), Ebd.

14 Ebd.

15 Schläfer, Michael, Die Adjektive auf -isch in der deutschen Gegenwartssprache, Heidelberg 1977, S.43.

16 Ebd. S.43 und S.72.

17 Vgl. dazu: Grimm, Jacob, Deutsche Grammatik, Göttingen 1826.

18 Vgl. dazu: Heyse, Johann Christian August, Theoretisch-praktische deutsche Grammatik, Hannover 1822.

19 Vgl. dazu: Eichinger, Ludwig M., S yntaktische Transposition und semantische Derivation: die Adjektive auf -isch im heutigen Deutsch, Tübingen 1982, S.3f.

20 Schläfer, Die Adjektive auf -isch in der deutschen Gegenwartssprache, (Anm.15), S. 205ff.

21 Ebd. S.117.

22 Siehe Abbildungsverzeichnis, Abbildung 6.1, S.19.

23 Schläfer, Die Adjektive auf -isch in der deutschen Gegenwartssprache, (Anm.15), S.122.

24 Berning, Cornelia, Vom "Abstammungsnachweis" zum "Zuchtwart": Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin 1964, S.191.

25 Berning, Cornelia, Vom "Abstammungsnachweis" zum "Zuchtwart": Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin 1964, S.191.

26 Duden, Etymologie, Herkunftsw örterbuch der deutschen Sprache, hg. vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion, Leipzig 1997. S.793.

27 Berning, Cornelia, Vom "Abstammungsnachweis" zum "Zuchtwart, (Anm.25), S.191.

28 Alle Zitate aus dem Grimm’schen Wörterbuch durch Online Zugriff entnommen: Vgl. dazu http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB, Bei dem Eintrag „Volk“ handelt es sich um Band 7, bearbeitet von Rudolf Meissner,1926 . 29 Vgl. dazu auch:

29 https://books.google.at/books?hl=de&lr=&id=1KIyAQAAMAAJ&oi=fnd&pg=PA1&dq=diefenbach+&ots=fFHguFRD E8&sig=0HyuVy9G8DCS-KJQH0vyC_oHqAw#v=onepage&q=diefenbach&f=false 30Kluge, Etymologisches W örterbuch der deutschen Sprache, (Anm. 9), S.447, Vgl. dazu auch Abb. 6.5, S.25.

30 https://books.google.at/books?hl=de&lr=&id=1KIyAQAAMAAJ&oi=fnd&pg=PA1&dq=diefenbach+&ots=fFHguFRD E8&sig=0HyuVy9G8DCS-KJQH0vyC_oHqAw#v=onepage&q=diefenbach&f=false 30Kluge, Etymologisches W örterbuch der deutschen Sprache, (Anm. 9), S.447, Vgl. dazu auch Abb. 6.5, S.25.

31 Ebd., Vgl. hierzu auch Bartholmes, Herbert, Das Wort <<Volk>> im Sprachgebrauch der SED. Wortgeschichtiliche Beiträge zur Verwendung des Wortes >Volk< als Bestimmungswort und als Genitivattribut, Düsseldorf 1964, S.28.

32 http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB, außerdem wie bei (Anm. 30) Groß-und Kleinschreibung angepasst.

33 Ebd.

34 Duden, Etymologie, Herkunftsw örterbuch der deutschen Sprache, (Anm. 26), S.793.

35 Duden, Etymologie, Herkunftsw örterbuch der deutschen Sprache, (Anm. 26), Ebd.

36 Ebd.

37 Ebd.

38 Herold, Günter, Der Volksbegriff im Sprachschatz des Althochdeutschen und Altniederdeutschen, Halle 1941, S.17

39 Ebd. S. 21.

40 Hinweis: Die im Jahre 1941 von Günter Gerold publizierte Forschungsschrift Der Volksbegriff im Sprachschatz des Althochdeutschen und Altniederdeutschen basiert auf dem Impuls eine „Lücke im deutschwissenschaftlichen Schrifttum zu schließen“ (S.11). Die Forschungsarbeit muss kritisch begutachtet werden, ist sie doch von ihrer historischen und inhaltlichen Disposition den Ideologien der NS-Zeit sicherlich dienlich. Die Nutzung der bearbeiteten Quellen ist dabei für die vorliegende Arbeit von Nutzen, von diversen Folgerungen wird aber abgesehen.

41 Ebd., S.21.

42 Von großem Interesse wäre hier eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Ausdruck „Volk Gottes“.

43 Vgl. dazu (Anm. 28).

44 http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB

45 Duden, Etymologie, Herkunftsw örterbuch der deutschen Sprache, (Anm. 26), S.793.

46 Ebd.

47 Ebd.

48 http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB , Vgl. dazu auch (Anm.44).

49 Duden, Etymologie, Herkunftsw örterbuch der deutschen Sprache, (Anm. 226), S.793.

50 Ebd.

51 Ebd.

52 Vgl. Dafür Bartholmes, Das Wort <<Volk>> im Sprachgebrauch der SED (Anm.31), S.27.

53 Ebd.

54 Berning, Vom "Abstammungsnachweis" zum "Zuchtwart": Vokabular des Nationalsozialismus (Anm. 25), S.191.

55 Ebd.

56 Duden, Etymologie, Herkunftsw örterbuch der deutschen Sprache, (Anm. 26), S.793.

57 Vgl. hierfür. Abbildung 6.6, S. 27. Vgl. dazu außerdem Bartholmes, Das Wort <<Volk>> im Sprachgebrauch der SED (Anm.31), S.26f.

58 Ebd. S.27f

59 Kinne, Michael und Johannes Schwitalla, Sprache im Nationalsozialismus, Heidelberg 1994, S.1.

60 Ebd.

61 Ebd.

62 Ebd.

63 Ebd.

64 Aufschluss gibt; Kinne, Michael und Johannes Schwitalla, Sprache im Nationalsozialismus, (Anm.59), S.1.

65 Ebd, S.2

66 Berning, Vom "Abstammungsnachweis" zum "Zuchtwart": Vokabular des Nationalsozialismus (Anm. 25), S.191.

67 Schmitz-Berning, Cornelia, Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin 2010. S.642

68 Ebd. Schmitz-Berning zitiert hier aus: zitiert aus: Graf, J.: Vererbungslehre, Rassenkunde u. Erbgesundheitspflege, 6. Aufl. 1939, S. 227.

69 Schmitz-Berning, Cornelia, Vokabular des Nationalsozialismus, (Anm.67), Ebd.

70 Ebd.

71 Ebd. S.643, Schmitz-Berning zitiert hier aus Koellreutter, Otto, Grundfragen unserer Volks- und Staatsgestaltung, 1936, 9f.

72 Ebd.

73 Ebd., S.644, Schmitz-Berning zitiert hier aus: Reden des Führers am Parteitag Großdeutschland 1938, An die Soldaten der Wehrmacht, S. 56.

74 Ebd., S.644, wieder zitiert aus: Reden des Führers am Parteitag Großdeutschland 1938, An die Soldaten der Wehrmacht, S. 56.

75 Ebd.

76 Ebd.

77 Ebd.

78 Ebd.

79 Ebd.

80 Schmitz-Berning, Cornelia, Vokabular des Nationalsozialismus, (Anm.67), S.644. Schmitz-Berning zitiert hier aus dem Volks-Brockhaus, 1940

81 Ebd., S.644f.

82 Ebd.

83 https://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_Engel

84 Vgl. dazu: Engel, Eduard, Entwelschung. Verdeutschungsw örterbuch für Amt, Schule, Haus, Leben, Leipzig 1918.

85 Kluge . Etymologisches W örterbuch der deutschen Sprache, (Anm. 9), S.646.

86 Vgl. dazu (Anm.84).

87 Siehe dazu: Abbildungsverzeichnis, S. 25

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
"Völkisch". Wird man das noch sagen dürfen? Historische und semantische Wortstudie zu einem umstrittenen Begriff
Hochschule
Universität Wien
Veranstaltung
Sprachwissenschaft: Sprache und Politik
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
35
Katalognummer
V886260
ISBN (eBook)
9783346178381
ISBN (Buch)
9783346178398
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nationalsozialismus, Wortstudie, Semantik, Sprache des Nationalsozialismus, völkisch
Arbeit zitieren
Hannah Grünewald (Autor:in), 2018, "Völkisch". Wird man das noch sagen dürfen? Historische und semantische Wortstudie zu einem umstrittenen Begriff, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/886260

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