Willy Brandt ist untrennbar mit der Sicherung des Friedens, der Verteidigung der Freiheit und dem unablässigen Bemühen um mehr soziale Gerechtigkeit verbunden.
Diese Arbeit beleuchtet den Zeitraum der Ära Brandt der Jahre 1968 bis 1972 zur Verleihung des Friedensnobelpreises. Der Schwerpunkt liegt im zweiten Teil auf den Ostverträgen, sehr detailliert soll auf den Moskauer und Warschauer Vertrag eingegangen werden. Der Moskauer Vertrag war die Ausgangsbasis für weitere Verhandlungen mit den Staaten des Warschauer Paktes, er gilt deshalb als Mustervertrag. Bekannter geworden ist jedoch der Warschauer Vertrag nicht zuletzt durch den Kniefall von Willy Brandt. Sein Name ist zu einem Symbol für die deutsche moralische Erneuerung nach dem Zweiten Weltkrieg geworden . „Keine offizielle Erklärung oder Geste bedeutete den Nachkriegsdeutschen mehr als Brandts Kniefall vor dem Denkmal des Warschauer Ghettos.“
Hierbei stützt sich die Arbeit vor allem auf Quellenmaterial, besonders erwähnenswert sind die Bundestagsdebatten sowie die Akten zur auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, sowie Brandts viele Veröffentlichungen..
Zum Verständnis der dieser Zeit gehören auch die historischen Hintergründe und das veränderte Weltbild, welches erklärt, wie es zu den Friedensverträgen kommen konnte. Diesem soll im ersten Teil der Arbeit behandelt werden.
Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Willy Brandt stellt den abschließenden Höhepunkt seiner Ostpolitik dar.
Inwieweit war die in der Literatur vielzitierte Neue Ostpolitik wirklich neu oder eine außenpolitische Wende? War es nicht eine logische Konsequenz aus den sich veränderten weltpolitischen Konstellationen? Diesen Fragen soll unter anderem nachgegangen werden.
Grundlage dieser Arbeit waren vor allem Quellen aus Pressearchiven, Bundestagsdebatten etc.
Inhalt
I. Nationale und internationale Voraussetzungen
1. Einleitung
2. „Wandel durch Annäherung“
a) Ausgangslage 1968/69
b) Die sozialliberale Koalition
c) Die Haltung der SPD
d) Regierungserklärung
II. Die Ostverträge
3. Außenpolitische Rahmenbedingungen
4. Der Moskauer Vertrag
a) Innenpolitische Reaktionen/ Stellung der CDU
5. Der Warschauer Vertrag
a) Der Kniefall als symbolische Zeitenwende
b) Bericht des Bundeskanzlers zur Lage der Nation am 28. Januar 1971
c) Die Reaktion der CDU/CSU-Fraktion
d) Schlüsselrolle Bundesrat
e) Auf dem Weg der Annährung mit der DDR
6. Der Grundlagenvertrag
7. Der Prager Vertrag
8. Folgen der Ostverträge
9. Die Verleihung des Friedensnobelpreises 1971
10. Schlussbetrachtung
III. Quellenanhang
1. Quelle
1. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, 12. August 1970
2. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen vom 7. Dezember 1970 ("Warschauer Vertrag")
3. Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, 21. Dezember 1972
4. Damit Sie auch morgen in Frieden leben können
5. Urkunde zum Friedensnobelpreis für Willy Brandt
6. Steckbrief
7. Quellen- und Literaturverzeichnis
8. Abbildungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Staatssekretär Egon Bahr versucht mit seiner Idee vom "Wandel durch Annäherung", den monolithischen Ostblock mit Leonid Breschnew an der Spitze aufzuweichen.
I. Nationale und internationale Voraussetzungen
1. Einleitung
Willy Brandt ist untrennbar mit der Sicherung des Friedens, der Verteidigung der Freiheit und dem unablässigen Bemühen um mehr soziale Gerechtigkeit verbunden
Diese Arbeit beleuchtet den Zeitraum der Ära Brandt der Jahre 1968 bis 1972 zur Verleihung des Friedensnobelpreises. Der Schwerpunkt liegt im zweiten Teil auf den Ostverträgen, sehr detailliert soll auf den Moskauer und Warschauer Vertrag eingegangen werden. Der Moskauer Vertrag war die Ausgangsbasis für weitere Verhandlungen mit den Staaten des Warschauer Paktes, er gilt deshalb als Mustervertrag. Bekannter geworden ist jedoch der Warschauer Vertrag nicht zuletzt durch den Kniefall von Willy Brandt. Sein Name ist zu einem Symbol für die deutsche moralische Erneuerung nach dem Zweiten Weltkrieg geworden[1]. „Keine offizielle Erklärung oder Geste bedeutete den Nachkriegsdeutschen mehr als Brandts Kniefall vor dem Denkmal des Warschauer Ghettos.“[2]
Hierbei stützt sich die Arbeit vor allem auf Quellenmaterial, besonders erwähnenswert sind die Bundestagsdebatten sowie die Akten zur auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, sowie Brandts viele Veröffentlichungen..
Zum Verständnis der dieser Zeit gehören auch die historischen Hintergründe und das veränderte Weltbild, welches erklärt, wie es zu den Friedensverträgen kommen konnte. Diesem soll im ersten Teil der Arbeit behandelt werden.
Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Willy Brandt stellt den abschließenden Höhepunkt seiner Ostpolitik dar.
Inwieweit war die in der Literatur vielzitierte Neue Ostpolitik wirklich neu oder eine außenpolitische Wende? War es nicht eine logische Konsequenz aus den sich veränderten weltpolitischen Konstellationen? Diesen Fragen soll unter anderem nachgegangen werden.
Grundlage dieser Arbeit waren vor allem Quellen aus Pressearchiven, Bundestagsdebatten etc.
2. „Wandel durch Annäherung“
Schon als Außenminister in der großen Koalition wollte Willy Brandt vermeiden, dass die Bundesrepublik außenpolitisch isoliert werden könnte. Diese Gefahr, die dadurch verstärkt wurde, dass immer mehr Staaten diplomatische Beziehungen zur DDR aufnahmen, sah Brandt er in der weiteren Anwendung der sogenannten Hallstein-Doktrin[3] (seit 1955) in der bundesdeutschen Außenpolitik begründet. Danach drohte die Bundesregierung allen Staaten, die die DDR völkerrechtlich anerkannten und Botschafter mit Ost-Berlin austauschen wollten, weitreichende Maßnahmen bis hin zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen an. Diese Politik beruhte auf dem Verständnis, dass allein die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer freiheitlich-demokratischen Grundordnung in der Rechtsnachfolge des 1945 untergegangenen Deutschen Reiches stehe und für das deutsche Volk sprechen dürfe (Alleinvertretungsanspruch).
Zwei Staaten auf deutschem Boden konnte es aus Sicht der Bundesregierung nicht geben. Die Anwendung der Hallstein-Doktrin hatte zur Folge, dass die Bundesrepublik - mit Ausnahme zur UdSSR - keine diplomatischen Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks unterhielt.
Willy Brandt war davon überzeugt, dass eine deutsche Wiedervereinigung langfristig nur durch eine Überwindung der Spaltung des europäischen Kontinents auf der Grundlage einer dauerhaften europäischen Friedensordnung möglich werden konnte. Brandt wollte daher darauf hinwirken, „die politischen Spannungen abzubauen und eine Verständigung und Aussöhnung zwischen den europäischen Völkern einzuleiten… [ ]…Die Neuansätze in der Ost- und Deutschlandpolitik der Großen Koalition waren für Willy Brandt ein erster Fortschritt. Die ost- und deutschlandpolitischen Gemeinsamkeiten zwischen Bundeskanzler Kiesinger und Außenminister Brandt verringern sich jedoch bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahre 1969 immer mehr. Die CDU/CSU ist nicht bereit, den Status quo in Europa anzuerkennen.“[4]
„Die langfristigen Perspektiven von Brandts Politik lagen im Ost-West-Ausgleich und in der Kooperation zwischen West- und Osteuropa. Da die Spaltung Deutschlands vorerst nicht überwunden werden konnte, galt es, die Grenzen durchlässiger zu machen und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen durch Kontaktmöglichkeiten zu stärken. Dieser Wandel durch Annäherung sollte beschleunigt werden durch die seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa entstandenen Realitäten.“[5]
“Die Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Regierungskoalition wurde erst ab 1969 möglich, weil sich die internationalen Rahmenbedingungen verändert hatten…[ ]… Die Sowjetunion suchte an den Westgrenzen Entspannung, um den Rücken für eventuelle Auseinandersetzungen mit der VR China freizuhalten.” So habe sich der Sowjetunion damit die Chance geboten, ”politische Stabilität, wirtschaftlichen Fortschritt und militärische Sicherheit nicht mehr konfrontativ, sondern kooperativ zu erreichen. Handel, Rüstungskontrolle und Anerkennung des Status Quo in Europa standen dabei im Vordergrund.”[6]
“Die Wende in der sowjetischen Außenpolitik und die amerikanischen, entspannungspolitischen Ansätze unter Präsident Nixon wurden zur zentralen Voraussetzung für die neue wesdeutsche Ostpolitik”.[7]
In der deutschen Außenpolitik wurde Selbstbewusstsein demonstriert. Dies war neu. Die Bundesrepublik ließ sich nicht mehr von den Westmächten allein erzählen,, was die Russen meinen, und sie lässt die Westmächte nicht mehr allein die Russen sagen, was die Deutschen meinen, sondern die Deutschen sprechen mit dem einen wie mit dem anderen so wie andere auch”[8]
a) Ausgangslage 1968/69
Als Außenminister setzte Brandt seine Ostpolitik, die er als Berliner Bürgermeister im kommunalen Rahmen eingeleitet hatte, auf Bundesebene fort. Er lockerte die seit 1955 geltende Hallsteindoktrin und knüpfte vielfältige Kontakte zu den osteuropäischen Staaten, zu denen die Bundesrepublik bislang keine diplomatischen Beziehungen unterhielt.
„Wir hatten in Bonn sehr genau überlegt und kannten die Grenzen unserer Möglichkeiten. Sie waren nicht nur durch Realitäten der Macht, der Disziplin des Ost-West-Konflikts abgesteckt, sondern durch Verträge, eigene Interessen und eigene Überzeugungen. Nur in fester Einbindung im Westen konnten wir mit Moskau verhandeln über die eigentlich abstruse Idee eines Gewaltverzichts. Dennoch: Washington hätte verhindern können, was später Ostpolitik genannt worden ist […]. Dass wir mit der Deckung Amerikas handeln konnten, war unentbehrliche Voraussetzung des Erfolgs, erinnert Egon Bahr[9] anlässlich einer Feierstunde 2003 in Washington. Nicht zuletzt durch diese Erfahrung sei ein neues Vertrauen zwischen Washington und Bonn, das sich in einer Intimität der Zusammenarbeit bewährte, entstanden, „die danach kaum wieder erreicht oder gar übertroffen wurde […] Die Geschlossenheit des Westens gegenüber dem Osten war damals ein gemeinsamer Standpunkt.“.[10]
„In Walter Scheel fand Willy Brandt einen kongenialen außenpolitischen Partner, Beide hatten in Ihren Parteien entspannungspolitisch die Dinge angestoßen, Beide befürchten, dass Hallstein-Doktrin, Alleinvertretungsanspruch, Nichtanerkennung der DDR und legalistische Status Quo-Rhetorik eine außenpolitische Isolierung der Bundesrepublik bewirken könnten.“[11]
“Die neue Ostpolitik entstand aus der Kritik der Alten”[12], entscheidend sei dafür die unmittelbare Erfahrung und die Nähe zum Problem gewesen.
„ Kontinuität und Erneuerung waren die Schlüsselworte für die Innen- und Außenpolitik der sozialliberalen Koalition.“[13]
Die Ostpolitik war deshalb eng verknüpft mit der Deutschlandpolitik der Regierung Brandt, die eine Verbesserung in den deutsch-deutschen Beziehungen herbeiführen wollte. Ziel war es auch, auf die inneren Verhältnisse in der DDR und den Ländern des Ostblocks Einfluss nehmen zu können.
Am Beginn der neuen Außenpolitik gegenüber den Ostblockstaaten stand die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Dies bedeutete eine Abkehr von der Hallsteindoktrin. „Selbstvertrauen bildete den Beginn und die Basis der neuen Ostpolitik – nur wer die Kommunistenangst überwunden hatte, brauchte sich nicht mehr mit Abwehr zu begnügen und konnte sich mit Kommunisten auseinandersetzen“[14] Demnach war nicht der Schock über die Mauer, sondern der Zwang mit ihr zu leben das Schlimmste.
„Die neue Regierung passte die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland an den internationalen Wandel an; sie war reaktiv und aktiv zugleich, denn sie trug in aktiver Anpassung als selbständig handelnder Faktor zur Gestaltung des internationalen Wandels bei“.[15]
Aus der Erfahrung mangelnder politischer und moralischer Unterstützung seitens der drei westlichen Alliierten während des Mauerbaus entwickelten Brandt und sein enger Vertrauter Egon Bahr ein neues deutschland- und ostpolitisches Konzept, das sich unter den Schlagworten „Politik der kleinen Schritte” (Brandt) und „Wandel durch Annäherung” (Bahr) subsumieren ließ. Für die politische Praxis bedeutete dies: Westdeutschland musste sich bemühen, in Verhandlungen mit den osteuropäischen Nachbarstaaten und der Sowjetunion ein Klima der Entspannung zu schaffen, die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Westberlin auf der einen und der DDR auf der anderen Seite nach und nach zu verbessern sowie Erleichterungen für die Bevölkerung im deutsch-deutschen Verkehr zu erreichen, und zwar aus eigener Anstrengung und auf eigene Initiative, ohne auf ein Engagement der drei Westalliierten zu bauen. Voraussetzung dieses neuen Konzepts war die Bereitschaft, die Folgen von Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg, d. h. die bestehenden politischen Grenzen, anzuerkennen.
b) Die sozialliberale Koalition
Bei den Bundestagswahlen im September 1969 erreichte die SPD erstmals deutlich über 40 Prozent der Stimmen, blieb aber weiterhin nur zweitstärkste Kraft. Eine Fortsetzung der großen Koalition war aufgrund zunehmender Differenzen zwischen CDU/CSU und SPD praktisch ausgeschlossen; Brandt ging daher eine Koalition mit der FDP unter Walter Scheel ein. „Spätestens als der Außenminister auf dem Nürnberger SPD-Parteitag im März 1968 die Oder Neiße Linie als eine anzuerkennende und zu respektierende Grenze bezeichnete, bekam die große Koalition einen Riss, der sich bald zu einer unüberbrückbaren Kluft ausweiten sollte“[16]
„Fassungslosigkeit und Verbitterung waren bei der CDU/ CSU zu verzeichnen, die nach zwanzigjähriger Führung der Regierungsgeschäfte nur noch reagieren, aber nicht mehr agieren konnten. Entsprechend vehement wurde gegen innenpolitische, besonders jedoch gegen deutschland- und ostpolitische Initiativen Stellung bezogen.“[17]
Am 21. Oktober 1969 wurde Brandt zum Bundeskanzler gewählt; Außenminister und Vizekanzler wurde Scheel, der Brandts Ostpolitik in allen Teilen mittrug und vorantrieb
Im Zentrum der Außenpolitik der Regierung Brandt/Scheel stand die Weiterentwicklung der Ost- und Deutschlandpolitik. Die sozialliberale Koalition wollte „die Selbstblockade der großen Koalition überwinden.“[18]
„Entspannung und Wiedervereinigung standen nicht mehr im Widerspruch – es war sogar umgekehrt: Jeder Schritt der Entspannung galt als Schritt zur Überwindung des Ost-West-Konflikts und somit auch der deutschen Einheit“[19] Dies blieb bis zur Wiedervereinigung 1989 die Formel aller Bundesregierungen
Wie wurde der Regierungswechsel in der DDR aufgefasst? „Das Zentralkomitee der SED und der Ministerrat der DDR schätzten die entstandene Lage realistisch ein. Sie bekräftigten die Bereitschaft der DDR, normale Beziehungen zur BRD auf den Grundlagen der Prinzipien der friedlichen Koexistenz aufzunehmen.“[20]
c) Die Haltung der SPD
Schon 1966 war bei der SPD die Philosophie entstanden, „die dann alle späteren Bundesregierungen leitete: eine staatliche Einheit ist nur in historischen Zeiträumen denkbar, Aufgabe der Politik muss daher sein, die Substanz der Nation zu erhalten und die unmenschlichen Auswirkungen der Teilung zu beseitigen, um Ansatzpunkte zu ihrer Überwindung zu suchen.“[21]
Im Jahrbuch der SPD 68/69 heißt es, „Für die Ostpolitik wurde die Erfüllung von drei Voraussetzungen verlangt.
1. Die innere demokratische Ordnung in der Bundesrepublik muss fest gefügt sein
2. Die Ost und Deutschlandpolitik muss mit den Verbündeten abgestimmt bleiben
3. Die Sicherheit Westeuropas, der BRD und Berlins darf nicht gefährdet werden“[22]
„… Die Sozialdemokraten wehrten sich zu jeder Zeit gegen nationalsozialistische Überheblichkeit in unserem eigenen Volke gegenüber anderen Völkern, aber ebenso leidenschaftlich widersprechen sie, wenn unser Volk in einer Art vom permanenten Anklagezustand zum Sündenbock für jegliche Aggression auf der Welt gemacht werden soll. Die wesentliche Aufgabe unserer Fraktion bestand darin, die Außen-- und Deutschlandpolitik des Bundesaußenministers und Ministers für gesamtdeutsche Fragen zu unterstützen und die Angriffe aus den Reihen des Koalitionspartners der CDU/CSU abzuwehren…“[23]
“Die SPD war und blieb die treibende Kraft einer aktiven Ostpolitik, die die realen machtpolitischen Gegebenheiten in Rechnung zu stellen bereit war.”[24]
d) Regierungserklärung
Die Ankündigung in Brands Regierungserklärung, den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen unterzeichnen zu wollen, „signalisierte dem Verhandlungspartner Nr. 1, der UDSSR, dass die neue Regierung die sowjetischen Sicherheitsinteressen berücksichtigen werde.“[25] Die Ernsthaftigkeit der Bundesregierung bestätigte sich bereits nach einem Monat und stellte somit eine vertrauensbildende Maßnahme der ostpolitischen Bemühungen dar, so dass die Gesprächspartner in Osteuropa von den Absichten der Bundesregierung überzeugt waren. „Die deutschlandpolitische Aussage der Regierungserklärung war gegenüber den westlichen Alliierten eine eigene souveräne Entscheidung, deren Gewicht von den Diplomaten vor Ort sofort erkannt wurde.“[26]
„Brandt war der Meinung, dass es mit einer Anerkennung der DDR gelingen werde, das sowjetische Imperium zu schwächen“[27]
In der Außenpolitik wollte Willy Brandt ein Klima des Vertrauens schaffen und die Bundesrepublik Deutschland nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges mit ihren östlichen Nachbarn aussöhnen. Die Aussöhnung und Verständigung - insbesondere mit der UdSSR, Polen und der Tschechoslowakei - setzte die Anerkennung des seit Ende des Zweiten Weltkrieges bestehenden territorialen und politischen Status quo in Mitteleuropa voraus. Willy Brandt war zu diesem Schritt bereit. In der Deutschlandpolitik wollte Brandt offiziell Kontakte zur DDR knüpfen und ein geregeltes Nebeneinander der beiden deutschen Staaten erreichen. Dadurch sollten Erleichterungen für die Menschen im geteilten Deutschland erzielt und das Bewusstsein für die Einheit der Nation wachgehalten werden. Die neue Ost- und Deutschlandpolitik begriff Willy Brandt nicht als Sonderweg der Deutschen, sondern als deutschen Beitrag zur Entspannungspolitik des Westens.
„... Die SPD steht zum Unterschied von dem, was ihr unterstellt wird, fest in der westlichen Gemeinschaft, diese Partei steht loyal zu den Bündnispartnern der Bundesrepublik, diese Partei steht auch zu den Verteidigungsmäßigen Verpflichtungen, die die Bundesrepublik trotz starker Kritik und starker Bedenken“, erklärte Brandt in einem Spiegelinterview nach der Regierungserklärung.[28] Der Wille zu Veränderungen und Reformen, für den der Name Willy Brandt stand, wurde von vielen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern geteilt. „Sie empfinden den Regierungswechsel in Bonn als eine ‚historische Zäsur’ in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“[29].
„ Die neue Regierung passte die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland an den internationalen Wandel an; sie war reaktiv und aktiv zugleich, denn sie trug in aktiver Anpassung als selbständig handelnder Faktor zur Gestaltung des internationalen Wandels bei.“[30]
II. Die Ostverträge
3. Außenpolitische Rahmenbedingungen
Die Sowjetunion verfügte nun über die Fähigkeit zum nuklearen Zweischlag und hatte damit eine strategische Position erreicht, die der USA ebenbürtig war und sich zu einer Globalmacht entwickelte.[31]
Inwieweit war diese Ostpolitik tatsächlich neu, eine außenpolitische Wende?
Kontinuität und Erneuerung waren die Schlüsselworte der Innen- und Außenpolitik der sozialliberalen Koalition.
„Die militärische Intervention war kein Verkehrsunfall auf der Straße der Entspannungspolitik. Die Sowjetunion ließ die Waffen sprechen, um die Geschäftsgrundlage jedweder Regulierung des Ost/Westkonflikts zu beschreiben: Die sowjetische Macht- und Herrschaftsordnung in Osteuropa durfte nicht gefährdet werden. ... Die Hegemoniale Bestandssicherung schloss den Grenzstaat Deutsche Demokratische Republik mit ein.“[32] Dies hatte Brandt schon vor der Prager Tragödie erkannt und schon während seiner Zeit als Außenminister diese Kurskorrektur eingeleitet, die darin bestand, der UDSSR Gewaltverzicht anzubieten und die gegebenen Realitäten zu akzeptieren, um eine europäische Friedensordnung herbeizuführen.[33] Dazu zählte für Brandt auch die Akzeptanz der DDR. Für die CDU hingegen war es ein Bruch der Kontinuität. „Zwanzig Jahre nach der Gründung beider deutscher Staaten empfand die Regierung Brand/ Scheel die Notwendigkeit, sich der veränderten Lage anzupassen, ohne das Ziel der Wiedervereinigung aufzugeben. Sie war überzeugt, dass durch die neue Ostpolitik erst die Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssten, dass das deutsche Volk in einer veränderten europäischen Landschaft, die es mitzugestalten gelte, die Chance erhalte, von seinem Selbstbestimmungsrecht gebrauch zu machen. Dieses Recht und der Wille zu seiner Verwirklichung war kein Verhandlungsgegenstand“[34]
4. Der Moskauer Vertrag
Der Schlüssel zur Lösung der Deutschen Frage lag in Moskau. Deshalb begann schon kurz nach Regierungsantritt der sozialliberalen Koalition eine Phase der intensiven Verhandlungen des neuen Staatssekretärs Egon Bahr.[35]
Insgesamt 55 Stunden verhandelte Egon Bahr mit zwischen dem 30 Januar und 22. Mai 1970 mit dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko. „Bahr kam mit einem sorgfältig durchdachten Plan. Er verfuhr wie Brandt in seiner Regierungserklärung“[36] und legte den gesamten Plan auf den Tisch. Er wollte beweißen, dass die neue Regierung es mit der Hinnahme des Status Quo ernst meine“.[37] Bahr war es zwar nicht gestattet, über die Berlin-Frage zu sprechen, er „machte aber begreiflich, dass Bonn Interessen in Berlin habe und eine Anerkennung der „Westlichkeit’ Westberlins einschließen müsse.“[38] „Egon Bahr führte seine Verhandlungen in Moskau äußerst diskret und verschwiegen. Nur Brandt, Scheel und ein kleiner Kreis von Eingeweihten wusste um Verhandlungsgegenstand, -ziel und –konzeption. Diese verdeckte Verhandlungsführung wurde von den deutschen Konservativen und der neuen USA-Führung mit großem Misstrauen verfolgt.“[39] Im Juli nahm Außenminister Scheel offiziell die Verhandlungen auf. Einigen konnte man sich im Laufe der Gespräche nicht über das Recht auf Einheit, wie die Bundesregierung forderte. Ihren Willen bekundete Sie deshalb in einem formellen Brief ihre Auffassung, den Gromyko „widerspruchslos zur Kenntnis nahm.[40] “
Im Wortlaut heißt es darin:
„Brief der Bundesregierung an die sowjetische Regierung zur deutschen Einheit. Überreicht anlässlich der Unterzeichnung des Moskauer Vertrages am 12. August 1970
Im Zusammenhang mit der heutigen Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken beehrt sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland festzustellen, dass dieser Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.“[41] „In Moskau ging es in dieser Woche darum, einen wichtigen Teil unseres Regierungserklärung in praktische Politik umzusetzen …[]… als westlicher Bündnispartner haben wir uns zum konsequenten Gewaltverzicht bekannt, und gleichzeitig zu der jeweils möglichen Zusammenarbeit mit den Staaten im Osten und zum Gleichgewichtigen Abbau der Rüstungen,“[42] Brandt war der Ansicht, dass der Vertrag niemandem schaden, sondern vielen nutzen würde. Er war davon überzeugt, dass der Vertrag die Verhandlungen der Vier Mächte „für eine befriedigende Regelung in und um Berlin fördern“[43] würde.
„Für die Bundesrepublik wurde der Moskauer Vertrag zum Tor nach Osteuropa. Er ermöglichte alles, was ihr später östlich der Elbe gelang; sie fand sogar, wenn ihre Ostpolitik stockte, im Kreml einen stillen Verbündeten, denn nachdem sich beide auf das Experiment Entspannung eingelassen hatten, mussten beide dafür sorgen, dass es gelang.“[44]
In der Bundestagsdebatte zum Moskauer Vertrag am 18. September 1970 machte Willy Brandt deutlich „Der Kern des Vertrages sind die beiden Artikel über den Gewaltverzicht und die Unverletzbarkeit der Grenzen. Die Vertragspartner erklären, dass sie ihre Streitfragen mit friedlichen Mitteln lösen wollen. Hinter diesem umfassenden Gewaltverzicht fällt auch die gegenseitige Verpflichtung, keine der in Europa bestehenden Grenzen anzutasten und keine Gebietsansprüche zu erklären.“[45]
Das nationale Ziel der deutschen Einheit durch Selbstbestimmung werde durch den Vertrag am 12. August nicht beeinträchtig. Eine Entspannung in Europa ohne eine Verbesserung der Lage in und um Berlin sei nicht möglich. Brandt betonte, dass ohne eine befriedigende Berlin-Regelung keine Wirksamkeit des Vertrags möglich sei.[46] „Mit dem Vertrag wird nichts verschenkt. Der Vertrag geht von der bestehenden wirklichen Lage aus“[47], konterte Brandt den Vorwurf der CDU/CSU.
[...]
[1] Vgl. Remembering Willy Brandt, S 10
[2] Remembering Willy Brandt, S.15
[3] Hallsteindoktrin, außenpolitisches Prinzip der deutschen Bundesregierung zur Durchsetzung ihres völkerrechtlich begründeten Alleinvertretungsanspruchs für das gesamte deutsche Volk. In der Hallsteindoktrin wurde 1955 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen eines Landes zur DDR zum „unfreundlichen Akt” gegenüber der Bundesrepublik Deutschland erklärt, mit der Folge, dass die Bundesregierung ihrerseits die diplomatischen Beziehungen zu dem betreffenden Land abbrach bzw. zu Ländern, die diplomatische Beziehungen zur DDR unterhielten, keine diplomatischen Beziehungen aufnahm oder – seit Mitte der sechziger Jahre – mit der Einstellung von Wirtschaftshilfe antwortete. Der von Walter Hallstein, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, konzipierte Grundsatz sollte dazu dienen, die internationale Isolierung der DDR aufrechtzuerhalten, nachdem die Bundesregierung diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion aufgenommen hatte, um dem besonderen Verhältnis zur vierten Besatzungsmacht gerecht zu werden und die letzten Kriegsgefangenen auszulösen. 1957 und 1963 wurden entsprechend der Doktrin die Beziehungen zu Jugoslawien und Kuba abgebrochen. Seit Mitte der sechziger Jahre erwies sich die Hallsteindoktrin jedoch als Hindernis auf dem Weg zu besseren Beziehungen insbesondere zu den Staaten des Ostblocks. Nach Bildung der großen Koalition 1966 wurde die Hallsteindoktrin flexibler gehandhabt und nach Abschluss des Moskauer Vertrags 1970 und des Grundvertrags zwischen beiden deutschen Staaten 1972 endgültig aufgegeben.
[4] http://www.bwbs.de/bwbsbiografie/index.php?l=de&p=wb&m=2&id=349
[5] Hacke; Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 153
[6] Hacke. S.150 ff.
[7] Ebd.
[8] Hacke, S.152
[9] Bahr, Egon (*1922), Journalist und Politiker (SPD), „Architekt der Ostpolitik” unter Willy Brandt. Bahr wurde am 18. März 1922 in Treffurt bei Eisenach geboren. Von 1948 bis 1950 war er Korrespondent für den Berliner Tagesspiegel in Hamburg und Bonn und von 1950 bis 1960 politischer Kommentator und zeitweise Chefredakteur beim RIAS Berlin. 1960 berief ihn Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister von Berlin, zum Leiter des Presse- und Informationsamtes in Berlin. Bahr, seit 1957 Mitglied der SPD, wurde zu einem der engsten Mitarbeiter und Berater Brandts, für dessen neue Ostpolitik er bereits 1960 unter Abkehr von der Hallsteindoktrin die Formel „Wandel durch Annäherung” prägte. 1966 folgte er Brandt, nun Außenminister in der großen Koalition, als Sonderbotschafter im Auswärtigen Amt nach Bonn, und von 1967 bis 1969 war er als Leiter des Planungsstabes des Auswärtigen Amtes maßgeblich für die Gestaltung der Ostpolitik verantwortlich. Als Staatssekretär im Bundeskanzleramt (1969-1972) in der Regierung Brandt bereitete er den Moskauer Vertrag mit der Sowjetunion und den Grundlagenvertrag mit Polen vor; außerdem leitete er die bundesdeutschen Delegationen bei den Verhandlungen mit der DDR, die 1972 im Grundvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR mündeten..
[10] Egon Bahr in seiner Festansprache in Remembering Willy Brandt, S. 24
[11] Hacke, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S 148
[12] Bender; Die neue Ostpolitik und ihre Folgen, S. 127
[13] Bracher u.a. Republik im Wandel, S. 164
[14] Bender, Die neue Ostpolitik, S. 127
[15] Hacke. S. 169
[16] Ebd. S.220
[17] Maibaum; Geschichte der Deutschlandpolitik, S. 63
[18] Ebd.
[19] Bender; die neue Ostpolitik, S. 140
[20] Maibaum. S. 64
[21] Zitiert Bender in „Die neue Ostpolitik“ auf Seite 134 Willy Brandt aus seinem buch, Begegnungen, S.107
[22] Jahrbuch der SPD 1968/69, S. 65
[23] Bender, die neue Ostpolitik, S.107ff
[24] Bracher u.a.; Republik im Wandel; S. 164
[25] Ebd. S.166
[26] Bender, die neue Ostpolitik, S.107ff
[27] Knopp, Guido: Kanzler. Die mächtigen der Republik , S.218
[28] Spiegel vom 23. November 1960, Nr. 48, 14. Jahrgang Interview mit Willy Brandt zur Koalitionsfrage und neuen wegen in der Regierungsbildung, S.38.
[29] http://www.bwbs.de/bwbsbiografie/index.php?l=de&p=wb&m=2&id=351
[30] Bracher u.a.. Republik im Wandel, S 168
[31] Bracher u,a,; Republik im Wandel; S. 163
[32] Ebd. S 164
[33] Vgl. ebd.
[34] Ebd. S. 167
[35] Vgl. Uschner, Manfred; Die Ostpolitik der SPD, S.84
[36] Bender; Die neue Ostpolitik, S.174
[37] Ebd.
[38] Bender, die Neue Ostpolitik, S.175
[39] Uschner, Manfred; Die Ostpolitik der SPD, S.85
[40] Bender, die neue Ostpolitik, S. 175
[41] Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 12. August 1970, Nr. 107, S. 1057-1058 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Vertragsarchiv
[42] Willy Brand auf der Pressekonferenz des Bundeskanzleramtes und des Bundesaußenminiasters in Bonn am 14. August 1970. In: Der Vertrag vom 12. August 1970, S. 29
[43] Ebd. S.30
[44] Kommt Peter Bender zu seinem Fazit. Vgl. Bender, die neue Ostpolitik, S. 178
[45] Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Stenographische Berichte, Band 73, S.3632
[46] Ebd.
[47] Ebd, S.3633
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