Das ontologische Problem der Negation - Platons Bezugnahme auf Parmenides im "Sophistes"-Dialog


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Erste Kollision mit der Ontologie von Parmenides

3. Die Notwendigkeit einer Korrektur an der Lehre von Parmenides

4. Überprüfung der Ontologie des Parmenides
4.1 Die erste Stufe der Aporie – Die Rede von Etwas
4.2 Die zweite Stufe der Aporie – Die Gattung Zahl
4.3 Die dritte Stufe der Aporie – Die Unwiderlegbarkeit des Nichtseienden
4.4 Die vierte Stufe der Aporie – Die Widersprüchlichkeit im Begriff der falschen Aussage

5. Der Begriff des Seienden
5.1.1 Seiendes als Vieles
5.1.2 Seiendes als Eines

6. Die Korrektur der Ontologie von Parmenides

7. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit behandelt den platonischen Dialog „Sophistes“, welcher zu den Spätwerken von Platon gezählt wird.[1] In diesem Dialog treffen sich Sokrates, Theodoros, Theätet und ein Gast aus Elea[2] zu einem Gespräch, dessen Thema die Wesensbestimmung des Sophisten ist.[3] Diese Bestimmung des Sophisten ist aber nur die Hülle für die eigentliche Kernuntersuchung, nämlich die Frage nach einer Existenz des Nichtseins und des Falschen.[4]

Parmenides hat in seinem ganzen Leben nur eine kurze Schrift geschrieben, ein Lehrgedicht.[5] Allerdings macht er in diesem Gedicht Aussagen über das Seiende, an denen nur wenige vorbei kommen und die eine beträchtliche Wirkung auf die philosophischen Schulen hatten.[6]

Und so stößt auch Platon im Sophistes bei der Suche des Sophisten und der Frage nach dem Nichtsein und des Falschen auf die Lehre des Parmenides. Laut Riezler hat Platon das ganze Lehrgedicht von Parmenides gekannt und noch von seinem, zu seiner Zeit schon verschollenen, ursprünglichen Sinn gewusst.[7]

Ziel dieser Arbeit ist es dazulegen, wann und wie Platon im „Sophistes“ auf die Lehre von Parmenides Bezug nimmt und wie er sie korrigiert, indem er beweist, dass das Nichtseiende seiend ist.

Dazu zeige ich zu Beginn die erste Kollision zwischen Platon und der Ontologie von Parmenides auf und erkläre anschließend die Notwendigkeit einer Korrektur an dieser Lehre vom Seienden. Danach lege ich dar, wie Platon die Lehre von Parmenides vor einer Korrektur überprüft, dabei auf eine Aporie stößt und diese, indem er das Seiende untersucht, versucht zu lösen. Zum Schluss lege ich dann die Korrektur von Platon an Parmenides dar.

2. Erste Kollision mit der Ontologie von Parmenides

Der Sophist wird im ersten Teil des Dialoges[8] durch die Methode der Dihairese als ein Wesen bestimmt, das „nur den Schein erweckt, die Zusammenhänge des Seienden in seinen Reden abzubilden, die er in Wahrheit verkehrt und verschleiert“.[9] Er ist also ein „Nachahmer des Seienden“[10], der „nur ein scheinbares Wissen über alles besitzt, nicht aber die Wahrheit“.[11]. Er täuscht, bewirkt falsche Meinungen, und falsche Meinungen zu haben bedeutet, das Entgegengesetzte zu meinen von dem was ist.[12]

Diese Definition aber wirft ein Problem auf, denn sie setzt voraus, dass es ein „Sagen und Meinen des Nichtwahren“[13] gibt, dass Nichtseiendes sei,[14] denn sonst gäbe es auch keinen Schein, Irrtum oder Falschheit. Der Schein kann nur trügen, wenn er selber Wirklichkeit ist.[15] Aber genau das widerspricht der Lehre von Parmenides.

Parmenides sagt: „Denn dazu werden sich Dinge gewiss niemals zwingen lassen: zu sein, wenn sie nicht sind. Du aber halte den Gedanken von diesem Weg des Suchens fern.“[16] Der strenge Seinsbegriff von Parmenides lässt nur Sein zu[17] und hält es für ausgeschlossen, dass Nichtseiendes ist.[18] „Die Hypothese, Nicht – Sein sei, […] gehört zu einer Logik, die menschlichem Denken, wenn man Parmenides folgt, unzugänglich ist.“[19] Hier kollidiert demnach die Suche nach dem Sophisten mit der Lehre von Parmenides.

3. Die Notwendigkeit einer Korrektur an der Lehre von Parmenides

Folgt Platon der Lehre des Parmenides, dass Nichtseiendes nicht seiend sein kann, kann er den Sophisten nicht als ein Wesen bestimmen, welches nur den Schein erweckt alles zu wissen. Denn „wenn der Satz des Parmenides gilt, so gibt es nichts Falsches“.[20] „Dass Nichseiendes irgendwie ist, ist die Bedingung der Täuschung.“[21] Aus diesem Grund muss Platon beweisen, dass das Nichtseiende seiend ist, und dass umgekehrt das Seiende in gewisser Hinsicht ist.[22]

Dafür wäre eine Korrektur an der Lehre von Parmenides in einem ihrer wichtigsten Punkte[23] notwendig, auch wenn Platon solch eine Korrektur an Parmenides nur sehr ungern vornimmt, was an dem zögernden Beginn seiner Korrektur zu erkennen ist.[24] Der Gast bittet daher seine Gesprächspartner extra noch, es ihm nicht übel zu nehmen, wenn er als „Vatermörder“[25] auftritt.[26]

4. Überprüfung der Ontologie des Parmenides

Doch bevor Platon einfach gleich mit seiner Korrektur anfängt, lässt er die Lehre von Parmenides über die Negation des Seienden von dem Gast aus Elea überprüfen.[27] Bei dieser Überprüfung stößt er auf eine Aporie, die bei dem Versuch, das Nichtseiende zu fassen, entsteht.[28]

4.1 Die erste Stufe der Aporie – Die Rede von Etwas

Platon beginnt die Prüfung, ob Nichtseiendes seiend sein kann mit der Frage, ob das, was ist keinerlei Weise seiend ist, eigentlich irgendwie sprachlich formuliert werden kann.[29]

Um dies zu beantworten, stellt er zunächst fest, „dass auf irgend etwas unter dem Seienden <die Bezeichnung> das Nichtseiende nicht bezogen werden darf“.[30] Und daraus schließt er wiederum, dass man das Nichtseiende auch nicht auf Etwas beziehen kann, denn wenn jemand von Etwas spricht, dann spricht er notwendigerweise auch von etwas Einem, weil das Etwas ein Zeichen für Eines ist, so wie Beides ein Zeichen für Zweifaches ist.[31]

Die Konsequenz aus diesen Feststellungen ist, „dass derjenige, der versuchen sollte, Nichtseiendes in Wortgebilden zu fassen, überhaupt nicht redet“.[32] Schon der Gedanke des reinen Nichtseins ist undenkbar und unsagbar. Nichts als die eine Hälfte der Wirklichkeit hat in dieser Logik keinen Platz.[33]

Man kann Nichtseiendes weder erklingen lassen, noch sagen, noch denken.[34] Und damit könnte das Nichtseiende sprachlich nicht formuliert werden.

4.2 Die zweite Stufe der Aporie – Die Gattung Zahl

Im zweiten Schritt der Prüfung untersucht Platon das Verhältnis des Nichtseienden zu Zahlen. Dabei stellt er fest, dass die Gattung Zahl zum Seienden gehört,[35] und sie daher dem Nichtseienden nicht zugelegt werden darf,[36] da, wie er im ersten Schritt festgestellt hat, Nichtseiendes nicht auf Seiendes bezogen werden darf.

Ohne Zahl könnte also das Nichtseiende weder ausgesprochen noch im Denken erfasst werden.[37]

Brzoska kritisiert hier allerdings, dass bereits an dieser Stelle die Zahl als ein Seiendes etabliert wird, ohne dass schon der Nachweis erbracht wurde, dass die Zahl als seiend verstanden werden muss.[38]

[...]


[1] Vgl. Gauss, Hermann: Philosophischer Handkommentar zu den Dialogen Platos. Band 3,1. Die Spätdialoge Theätet, Parmenides, Sophist und Politicus. Bern 1960. S. 183.

[2] Vgl. Platon. Der Sophist. Hrsg. von Helmut Meinhardt. Stuttgart 1990. 216a.

[3] Vgl. ebd. 218a.

[4] Vgl. Bröcker, Walter: Platons Gespräche. Zweite, erweiterte Auflage. Frankfurt am Main 1967. S. 442.

[5] Vgl. Parmenides. Vom Wesen des Seienden. Die Fragmente, griechisch und deutsch. Hrsg. von Uvo Hölscher. Frankfurt am Main 1969. S. 65.

[6] Vgl. Bröcker, W.: Platons Gespräche. S. 66.

[7] Vgl. Riezler, Kurt: Parmenides. Frankfurt am Main 1934. S. 9.

[8] Vgl. Platon. Der Sophist. 231b.

[9] Bröcker, W.: Platons Gespräche. S. 451.

[10] Platon. Der Sophist. 235a.

[11] Ebd. 233c.

[12] Vgl. Bröcker, W.: Platons Gespräche. S. 453.

[13] Platon. Der Sophist. 236e.

[14] Vgl. ebd. 237a.

[15] Vgl. Gauss, H.: Philosophischer Handkommentar zu den Dialogen Platos. S. 198.

[16] Vgl. Parmenides. Vom Wesen des Seienden. S 19. Fr. 7.

[17] Vgl. Tegtmeier, Erwin: Zeit und Existenz. Parmenideische Meditationen. Tübingen 1997. S. 3.

[18] Vgl. Diels, Hermann: Die Fragmente der Vorsokratiker. Hrsg. von Walter Kranz. 8. Auflage. Hamburg 1957. S. 41.

[19] Gardeya, Peter: Platons Sophistes. Interpretation und Bibliographie. Würzburg 1988. S. 31.

[20] Dürr, Karl: Moderne Darstellung der platonischen Logik. Ein Beitrag zur Erklärung des Dialoges „Sophistes“. In: Museum Helveticum 2 (1945). S. 169.

[21] Marten, Rainer: Der Logos der Dialektik. Eine Theorie zu Platons Sophistes. Berlin 1965. S. 193.

[22] Vgl. Bröcker, W.: Platons Gespräche. S. 453.

[23] Vgl. Gauss, H.: Philosophischer Handkommentar zu den Dialogen Platos. S. 199.

[24] Vgl. Platon. Der Sophist. 242a.

[25] Mit Vatermörder meint er die notwendige Korrektur an dem Vater Parmenides, vgl. Platon. Der Sophist. Hrsg. von Helmut Meinhardt. Stuttgart 1990. Kommentar 89.

[26] Vgl. Platon. Der Sophist. 242a.

[27] Vgl. ebd. 237b.

[28] Vgl. Gauss, H.: Philosophischer Handkommentar zu den Dialogen Platos. S. 199.

[29] Vgl. Platon. Der Sophist. 237b.

[30] Ebd. 237c.

[31] Vgl. ebd. 237d.

[32] Ebd. 237e.

[33] Vgl. Gardeya, P.: Platons Sophistes. S. 33.

[34] Vgl. Friedländer, Paul: Platon. Band 3. 2., verb. Auflage. Berlin 1960. S. 241.

[35] Vgl. Platon. Der Sophist. 238a.

[36] Vgl. ebd. 238b.

[37] Vgl. ebd.

[38] Vgl. Brzoska, Andreas: Absolutes Sein. Parmenides` Lehrgedicht und seine Spiegelungen im Sophistes. Münster 1992. S. 114.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Das ontologische Problem der Negation - Platons Bezugnahme auf Parmenides im "Sophistes"-Dialog
Hochschule
Universität Mannheim  (Lehrstuhl Philosophie I)
Veranstaltung
Platon: Sophistes
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V89952
ISBN (eBook)
9783638041041
ISBN (Buch)
9783638938662
Dateigröße
431 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Problem, Negation, Platons, Bezugnahme, Parmenides, Sophistes, Platon, Sophistes
Arbeit zitieren
Anke Beiler (Autor:in), 2006, Das ontologische Problem der Negation - Platons Bezugnahme auf Parmenides im "Sophistes"-Dialog, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89952

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