Schulbegleitung als Werkzeug der Inklusion? Kritische Reflexion und eine Handlungsempfehlung


Bachelorarbeit, 2020

52 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


I. Inhaltsverzeichnis

Danksagung

Zusammenfassung

Abstract

II Abkürzungsverzeichnis

III. Abbildungsverzeichnis

IV. Hinweis auf geschlechtergerechte Formulierung

1. Einleitung

2 Inklusion - eine Annäherung
2.1. Inklusion - im Allgemeinen
2.2. Inklusion - im Rahmen der Schule
2.3. UN-BRK - Internationale Rechtsgrundlage schulischer Inklusion
2.4. Schulische Inklusion - Herausforderungen in Deutschland

3. Schulbegleitung - eine Einführung
3.1. Definition, Recht, Antragsverfahren
3.1.1. Definition der Maßnahme Schulbegleitung
3.1.2. Rechtliche Rahmenbedingungen
3.1.3. Antragsverfahren
3.2. Profil der Schulbegleitung
3.2.1. Tätigkeitsspektrum der Schulbegleitung
3.2.2. Ziele der Schulbegleitung
3.2.3. Qualifikation der Schulbegleitung
3.2.4. Anstellungsverhältnisse

4. Schulbegleitung - im Akteursdickicht
4.1. Anforderungen des Kostenträgers
4.2. Anforderungen der Schule
4.2.1. Lehrer
4.2.2. Begleitetes Kind
4.2.3. Mitschüler
4.3. Anforderungen der Eltern
4.4. Rollenkonflikte

5. Ist die Schulbegleitung inklusiv?
5.1. Antragsverfahren und Verortung in der Kinder- und Jugendhilfe
5.2. Schulbegleitung als Einzelfallmaßnahme
5.3. Zielsetzung, Arbeitsbereich und Qualifizierung
5.4. Rollenkonflikte
5.5. Resümee

6. Ausblick bzw. Handlungsempfehlung
6.1. Etablierung eines Poolmodells und somit Aufhebung der klassischen Einzelmaßnahme
6.2. Verlagerung der Kosten auf den Schulträger
6.3. Bündelung Zuständigkeiten, Reduktion Akteure und Verortung an der Schule
6.4. Etablierung einer Verantwortungsgemeinschaft
6.5. Mögliche Qualifizierung von Schulbegleitern
6.6. Resümee

7. Methodik
7.1. Literaturrecherche
7.2. Synthese
7.3. Methodenkritik

8. Fazit

V. Literaturverzeichnis

Danksagung

Nebenberuflich zu studieren bedeutet vor allem eins: alle Verpflichtungen und unterschiedliche Rollen unter einen Hut zu bekommen. Dies ist kaum möglich, ohne die Unterstützung anderer. Mein Dank richtet sich daher pauschal an alle, die mich in den letzten Jahren unterstützt haben und sei es nur durch ihren Glauben an mich. Allen voran bedanke ich mich bei meiner Mutti, die immer an mich geglaubt hat und immer mit einem offenen Ohr für mich da ist. Bei meinem Papa, der es leider nicht miterleben durfte, wie ich ein Studium aufgenommen habe, da er bereits 2014 verstorben ist. Doch er hat mir von klein auf einen nichtbrechbaren Gerechtigkeitssinn mit auf den Weg gegeben hat, der letztendlich dazu geführt hat, dass ich die „Profession der Menschenrechte“ studieren wollte. Bei meinen Freunden Tobias, Sascha und Pascal, mit denen ich immer wieder wunderbare Zeiten erleben durfte und die dadurch immer wieder für Ablenkung von dem ganzen Stress gesorgt haben. Bei Jana, die ebenfalls Soziale Arbeit studiert und daher den entscheidenden Anstoß dazu gab, mich ebenfalls dieser Profession zu widmen. Auch bei Jenny möchte ich mich bedanken, denn Sie hat diese Arbeit in vielen Stunden Arbeit Korrekturgelesen und war all die Jahre als gute Freundin und Arbeitskollegin für mich da.

Zuletzt möchte ich auch den Menschen meinen Dank aussprechen, die nicht an mich geglaubt haben. Das hat mir erst recht den Ansporn gegeben, meinen Weg zu gehen.

Zusammenfassung

Die vorliegende Bachelorarbeit widmet sich der Schulbegleitung als Einzelfallhilfe zur Inklusion beeinträchtigter Schüler an Regelschulen. Hierbei sollen vor allem Stärken und Schwächen dieser Maßnahme aufgezeigt und ein Ausblick gegeben werden, wie sich die Schulbegleitung weiterentwickeln sollte, damit sie dem Inklusionsgedanken Rechnung tragen kann. Als Stärken können vor allem angeführt werden, dass die Schulbegleitung die Beschulung beeinträchtigter Kinder an Regelschulen überhaupt erst möglich macht, die Lehrer und Eltern entlastet werden und dass im Allgemeinen die Situation der betroffenen Schüler verbessert wird. Schwächen liegen vor allem in unklaren Zuständigkeiten, einem stigmatisierenden und defizitorientierten Antragsverfahren und der oft mangelhaften Qualifizierung von Schulbegleitern. Unklare Tätigkeitsprofile und fehlendes Rollenverständnis von Schulbegleitern sind ebenso problematisch, wie die häufig prekären Arbeitsverhältnisse, die von Befristung und geringem Gehalt geprägt sind. Der verstärkte Einsatz von Schulbegleitern ist vornehmlich auf den Mangel an sonderpädagogischen Fachkräften zurückzuführen, der vor allem in der Struktur des deutschen Schulsystems seinen Ursprung hat. Folglich wird wahrscheinlich auch in Zukunft die Inanspruchnahme von Schulbegleitern zunehmen.

Es ist daher wichtig, sich mit diesem Thema intensiv auseinanderzusetzen. Nur so können optimale Lösungsvorschläge entwickelt werden, um den Einsatz von Schulbegleitern mit dem Inklusionsgedanken zu verbinden und für alle Beteiligen erfolgreich zu gestalten.

Abstract

This bachelor thesis is dedicated to school support as a case-by-case aid for the inclusion of children with special needs in regular schools. Above all, the strengths and weaknesses of this measure are to be shown and an outlook is given on how school support should be developed so that it can take account of the idea of inclusion. The main strengths are that school attendance makes it possible for students with special needs or disabilities to attend school in regular schools in the first place, that teachers and parents are relieved, and that the situation of the students concerned is generally improved. The main weaknesses are unclear responsibilities, a stigmatizing and deficit-oriented application process, and the often inadequate qualifications of school support. Unclear job profiles and a lack of understanding of the roles of school support are just as problematic as the often precarious employment relationships, which are characterized by fixed-term contracts and low salaries. The increased use of school support is mainly due to the lack of special education teachers, which has its origins in the structure of the German school system. As a result, the use of school support is likely to increase in the future.

It is therefore important to deal intensively with this topic. This is the right way to develop best possible solutions in order to combine the use of school support with the idea of inclusion and make them successful for everyone involved.

II. Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

III. Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Idealtypisches Antragsverfahren (Lübeck, A. (2019), S. 10)

Abb. 2: Tätigkeitsspektrum der Schulbegleitung (Dt. Landkreistag et al. (2019), S. 10)

Abb. 3: Vor- und Nachteile einer Literaturarbeit (Pfeiffer, F. (2018))

IV. Hinweis auf geschlechtergerechte Formulierung

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein.

1. Einleitung

Ich selbst war einige Zeit, während meiner Praxisphase zur Erlangung der staatlichen Anerkennung als Sozialarbeiter, in der Schulbegleitung tätig und habe selbst die Stärken aber auch Schwächen dieser Maßnahme kennengelernt. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, meine Bachelorarbeit diesem Thema zu widmen, eine kritische Reflexion der Maßnahme vorzunehmen, sowie eine Handlungsempfehlung zu geben. Meine Arbeit soll vor allem die Fragen beantworten, ob die Schulbegleitung als Einzelfallmaßnahme einen wirklichen Beitrag zur Inklusion leistet, was ihre Stärken und Schwächen sind und welche Veränderungen zu einer Verbesserung der Maßnahme führen könnten.

Nach Art. 24 UN-BRK haben sich die unterzeichnenden Staaten dazu verpflichtet, ein inklusives Schulsystem auf allen Ebenen zu schaffen und somit ein gemeinsames lebenslanges Lernen aller zu ermöglichen. Dies führt dazu, dass auch Deutschland verpflichtet ist, die Rahmenbedingungen für ein inklusives Schulsystem zu schaffen. Da in Deutschland jedoch ein Mangel an sonderpädagogischen Fachkräften besteht (Heinrich, M. / Lübeck, A. (2013), S. 80) und in der allgemeinen Lehrerausbildung kaum sonderpädagogische Kompetenzen vermittelt werden (Lübeck, A. (2019), S. 36, 37), wird sich in Deutschland vor allem der Schulbegleitung1 als Maßnahme der Kinder- und Jugendhilfe bzw. Sozialhilfe bedient.

Um sich dem Thema Schulbegleitung anzunähern und die Fragestellungen dieser Arbeit beantworten zu können, ist es zunächst erforderlich, ein Grundverständnis für Inklusion durch ihre Definition zu schaffen. Dies wird im ersten Kapitel erfolgen. Hierbei ist zunächst das allgemeine Verständnis der Inklusion zu erörtern, um dann näher auf schulische Inklusion, die UN­Behindertenrechtskonvention, sowie Schwierigkeiten in der Umsetzung eines inklusiven Schulsystems in Deutschland eingehen zu können.

Im zweiten Kapitel erfolgt dann eine Definition der Maßnahme „Schulbegleitung“ und die Erörterung der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die Darstellung eines beispielhaften Antragsverfahrens.

Darauf aufbauend soll im Kapitel 3 das Profil der Schulbegleitung und insbesondere der Schulbegleiter analysiert werden. Themen des Tätigkeitsspektrums, der Zielsetzung, der Qualifikationsanforderungen sowie der Anstellungsverhältnisse bilden hierbei die Schwerpunkte. Dieses Kapitel umfasst bereits erste Kritikpunkte, deren Darstellung hier ebenso erfolgen soll.

Schulbegleiter werden an Schulen eingesetzt und sind im Zuge dessen von unterschiedlichen Akteuren (z. B. Lehrer, Mitschüler, Eltern, Jugendamt) umgeben, die dem Schulbegleiter mit verschiedenen Erwartungshaltungen und Anforderungen begegnen und ihm somit unterschiedliche Rollen zusprechen. Das vierte Kapitel soll daher die unterschiedlichen Anforderungen, die dadurch entstehenden Rollenkonflikte und mögliche Bearbeitungsmechanismen ebendieser aufzeigen.

Nachdem in den ersten vier Kapiteln dieser Rundumblick auf die Inklusion und Schulbegleitung vorgenommen wurde, bildet das fünfte Kapitel eine zusammenfassende Reflexion, die Stärken sowie Schwächen aufzeigen und die Frage beantworten soll, ob Schulbegleitung in ihrer jetzigen Ausgestaltung dem Inklusionsgedanken Rechnung trägt.

Das darauf aufbauende sechste Kapitel gibt anschließend eine Handlungsempfehlung zur Verbesserung der Maßnahme, die helfen soll, dass durch die Schulbegleitung ein gelingenderer Beitrag zur Inklusion geleistet werden kann und vorhandene Ressourcen optimaler genutzt werden können.

Die vorliegende Arbeit ist eine Literaturarbeit. Daher wird das siebte Kapitel das methodische Vorgehen umfassen, bevor dann als Abschluss ein Fazit der gewonnenen Erkenntnisse in Kapitel acht erfolgt.

2. Inklusion - eine Annäherung

Dieses Kapitel soll den Begriff der Inklusion zunächst im Allgemeinen beschreiben, um im nächsten Schritt spezifisch auf Inklusion im Rahmen der Schule einzugehen. Darauf aufbauend soll kurz auf die UN-BRK eingegangen werden, nach der sich die Vertragsstaaten dazu verpflichtet haben, ein inklusives Schulsystem auf allen Ebenen (vgl. Art. 24 UN-BRK) umzusetzen. Den Abschluss dieses Kapitels bildet sodann ein konkreter Blick auf Deutschland und warum schulische Inklusion hierzulande schwierig umzusetzen ist.

2.1. Inklusion - im Allgemeinen

Der Begriff Inklusion bezeichnet eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die sich auf alle Lebensbereiche, Lebensphasen und alle gesellschaftlichen Felder bezieht. Nach dem Inklusionsgedanken ist jeder Mensch gleichwertig ohne dabei Normalität vorauszusetzen (Ziemen, K. (2016), S. 101). Somit wird die Unteilbarkeit der menschenrechtlichen Basis anerkannt und Marginalisierung, Diskriminierung und Stigmatisierung sollen so überwunden werden (ebd.). Gleichzeitig beschreibt Inklusion keinen herzustellenden Zustand, sondern einen Orientierungsrahmen, dessen Ziel, ein humanes und demokratisches Zusammenleben, -lernen und -arbeiten ist (ebd.).

Nach Ziemen beruht Inklusion auf drei Prämissen (Ziemen, K. (2016), S. 101):

1. Anerkennung und Wertschätzung aller Menschen, unabhängig von vorhandenen Defiziten (ebd.),
2. Anerkennung und Wertschätzung der Defizite, seien es unterschiedliche Fähigkeiten, Gesundheit, sexuelle Orientierung, religiöser Hintergrund, Lebensalter, Geschlecht etc. (ebd.),
3. Veränderung, Entwicklung und Anpassung von Systemen an Fragestellungen, die sich aus den individuellen Situationen der Menschen ergeben (ebd.).

Die Heterogenität der Gesellschaft soll demgemäß auf allen Ebenen nicht nur akzeptiert, sondern anerkannt und wertgeschätzt werden, um die Vielfalt menschlichen Lebens zu betonen. Ebenso ergibt sich aus den Prämissen, dass es Aufgabe der Gesellschaft ist, Entwicklungen und Anpassungen vorzunehmen, die der Vielfältigkeit der Individuen Rechnung tragen. Dies impliziert, dass es nicht das Individuum ist, dass sich den gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen muss.

Bis vor einigen Jahren wurde für den gemeinsamen Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung noch der Begriff Integration verwendet. Da Integration jedoch zunehmend für die Beschreibung von Migrationsproblematiken verwendet wird, hat sich regelmäßig der Inklusionsbegriff durchgesetzt (Moser V. / Egger, M. (2017), S. 19). Dieser wird vor allem auch seit der Ratifizierung der UN-BRK im Jahr 2009 in Deutschland verstärkt verwendet, da im Originaltext der UN-BRK der Inklusions- und nicht Integrationsbegriff genutzt wird (Ziemen, K. (2016), S. 101). Ob man beide Begrifflichkeiten strikt voneinander trennt oder aber Inklusion als Weiterentwicklung der Integration sieht, hängt vor allem auch davon ab, was man unter Inklusion bzw. Integration versteht (Rohrmann, E. (2016), S. 143). Ziemen verweist jedoch darauf, dass die Entwicklung der Integration, historische Befunde, theoretische Grundlagen und Erfahrungen zur Verfügung stellt, die in der Inklusionsdebatte genutzt werden können und sollten (Ziemen, K. (2016), S. 101). Aus den o. g. Gründen wird in der vorliegenden Arbeit auf eine explizite Unterscheidung zwischen Integration und Inklusion verzichtet.

2.2. Inklusion - im Rahmen der Schule

Im vorangegangenen Kapitel wurde der Begriff der Inklusion im Allgemeinen beschrieben. Bei der Betrachtung schulischer Inklusion fällt auf, dass kein wirklicher Konsens darüber besteht, was unter ebendieser zu verstehen ist (Piezunka, A. et al. (2017), S. 207). Durch eine Vielzahl von Definitionen wird nicht klar, ob sich die Inklusion auf alle, d. h. Migranten, Behinderte und andere Randgruppen oder nur auf Beeinträchtigte bezieht (ebd.). Das führt in der Praxis zu Handlungsproblemen, da Inklusion verordnet wird, ohne spezifische Implikationen für das Handeln der Fachkräfte vorzugeben (Piezunka, A. et al. (2017), S. 208). Aus diesem Grund haben Piezunka et al. (2017) durch Experten interviews vier Dimensionen ausgemacht, die dem Begriff schulischer Inklusion ein Rahmengerüst geben und somit zu einem besseren Verständnis beitragen sollen (ebd.):

1. UN-Behindertenrechtskonvention: Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sollen hiernach im Regelschulsystem platziert werden. Allerdings fehlen konkrete praktische Implikationen. Die UN-BRK wird dabei als Legitimation schulischer Inklusion gesehen, da sie einen Rechtsanspruch festschreibt. Im Vordergrund steht die Nicht-Diskriminierung Behinderter und die damit einhergehenden Adaptionen des Bildungssystems (Piezunka, A. et al. (2017), S. 213).
2. Leistungsentwicklung: Hier orientiert man sich stark an den Lernprozessen der Schüler und ihrer individuellen Leistungssteigerung. Es geht um die Verbesserung von Unterricht und Förderung des akademischen Lern- und Kompetenzerwerbs. Fokussiert werden hierbei Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarfen bzw. Lernschwächen. Somit sind geringe Leistungen und Lernstände der Grund für die Intensivierung der Förderung des Einzelnen. Diese sind dann nicht mehr nur noch von einer vorhandenen Behinderung abhängig (Piezunka, A. et al. (2017), S. 214 f.).
3. Teilhabe/Anerkennung/Wohlfühlen: Die zweite Dimension wird um das Wohlfühlen, die Anerkennung und die Teilhabe aller, an sämtlichen schulischen Handlungen ergänzt. Zielgruppe sind alle Schüler, auch wenn insbesondere Differenzlinien im Fokus stehen. Ziele sind Gleichheit, Abbau von Diskriminierung und die Erarbeitung eines neuen Normalitätsverständnisses (Piezunka, A. et al. (2017), S. 215).
4. Inklusion als Utopie: Denken und Sprechen soll hierbei frei von Kategorisierungen und Differenzlinien erfolgen. Bereits der Begriff „Utopie“ verrät, dass es sich um einen Wunschgedanken handelt, der so vermutlich nie vollständig Einzug in die Praxis halten wird. Basis ist der Gedanke, dass „...Reproduktion von Machthierarchien und diskriminierende Zuschreibung aufgrund sozial konstruierter Differenzlinien nicht mehr stattfinden.“ (Piezunka, A. et al. (2017), S. 215 f.).

Alle vier Dimensionen haben gemeinsam, dass Diskriminierung aufgrund sozial konstruierter Gruppenzugehörigkeit abgebaut werden soll, um so Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen (Piezunka, A. et al. (2017), S. 216). Die Dimensionen haben einen hierarchischen Charakter, angefangen bei der am wenigsten komplexen ersten Dimension (UN-BRK), die allein auf einem Rechtsanspruch beruht, bis hin zu der komplexesten, aber kaum umsetzbaren vierten 7

Dimension, die das Denken und Sprechen ohne Kategorisierungen und Differenzlinien vorsieht (ebd.). Auch ist zu beachten, dass sich nur die Dimension UN-Behindertenrechtskonvention explizit auf behinderte Schüler bezieht, während sich die anderen Dimensionen grundsätzlich auf alle Schüler, wenn auch meist auf lernschwächere, beziehen. Daher kann bei den letzten drei Dimensionen schulischer Inklusion eher von Inklusion nach allgemeinem Verständnis gesprochen werden (ebd.), weil diese sich, wie in Kapitel 2.1. bereits aufgeführt, auf die „Gleichwertigkeit aller Menschen...“ bezieht (Ziemen, K. (2016), S. 101).

2.3. UN-BRK - Internationale Rechtsgrundlage schulischer Inklusion

In Kapitel 2.1. wurde Inklusion im Allgemeinen definiert und in 2.2. wurden die Dimensionen schulischer Inklusion nach Piezunka et al. (2017) vorgestellt. Dabei bildete die erste Dimension die UN-Behindertenrechtskonvention, die gerade auch für die vorliegende Arbeit relevant ist. Denn es stellt sich die Frage, warum in Deutschland und anderen Nationen dem Thema Inklusion und Schule in den letzten Jahren eine besondere Aufmerksamkeit zukommt. Um diese „Prominenz“ der Inklusion und auch deren Wichtigkeit im gesellschaftlichen Diskurs zu verstehen, sind zum einen die vorangegangenen Ausführungen relevant, da diese zeigen wofür Inklusion steht, nämlich kurz gesagt für menschliche Vielfalt, gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung, somit für eine Welt, in der jeder seinen Platz hat. Zum anderen ist es nicht nur ein erstrebenswertes Ziel, sondern auch eine rechtliche Verpflichtung, die vor allem durch die UN-BRK international festgeschrieben ist. Der nachfolgende Abschnitt widmet sich deshalb in aller Kürze der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Hierbei soll insbesondere Artikel 24 herausgestellt werden, denn dieser bildet die Grundlage der schulischen Inklusion.

Die UN-BRK ist am 26. März 2009 in Deutschland in Kraft getreten und ist geprägt vom Leitbild der Inklusion. Die ehemalige Bundesbehindertenbeauftragte Verena Bentele formulierte dieses Leitbild im Vorwort zur deutschen Fassung der UN-BRK wie folgt: „Es geht darum, dass sich unsere Gesellschaft öffnet, dass Vielfalt unser selbstverständliches Leitbild wird. Es geht um eine tolerante Gesellschaft, in der alle mit ihren jeweiligen Fähigkeiten und Voraussetzungen wertvoll sind.“ (Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen (Stand: 2017), S. 2).

Art. 24 UN-BRK bezieht sich dabei explizit auf das Bildungssystem, denn hier wird „.ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen.“ von den Vertragsstaaten gefordert (vgl. Art. 24 UN-BRK in der deutschen Version). Hierbei unterscheidet sich die deutsche Fassung von der englischen Version der UN-BRK in der von einem „.inclusive education system at all levels.“ die Rede ist, also nicht von einem integrativen, sondern einem inklusiven Schulsystem (vgl. Art. 24 UN-BRK in der englischen Version). An dieser Stelle sei nochmals darauf verwiesen, dass die Verwendung der Begriffe Inklusion und Integration i. d. R. davon abhängt, was man unter diesen versteht und in welchem Kontext diese anwendet werden (Rohrmann, E. (2016), S. 143) und das die genaue Begriffsdefinition von Inklusion und die damit einhergehenden Handlungsimplikationen unzureichend bestimmt sind (Piezunka, A. et al. (2017), S. 207 f.). Dementsprechend soll sich die vorliegende Arbeit nicht an abweichenden Begrifflichkeiten stören.

Die UN-BRK hat in Deutschland zu konkreten Veränderungen des Bildungssystems geführt, so musste beispielsweise das Schulrecht in den einzelnen Bundesländern angepasst und Ressourcen umverteilt werden (Piezunka, A. et al. (2017), S. 208). Ein weiterer Effekt der UN-BRK zeigt sich zudem in der verstärkten Inanspruchnahme von Schulbegleitungen (u. a. Demmer, C. et al. (2017), S. 15).

Auch wenn bereits viele Änderungen im deutschen Bildungssystem vorgenommen wurden, existieren in der Bundesrepublik große Herausforderungen, die der Umsetzung eines inklusiven Schulsystems auf allen Ebenen entgegenarbeiten, wie folgendes Kapitel veranschaulichen soll.

2.4. Schulische Inklusion - Herausforderungen in Deutschland

Das vorangegangene Kapitel hat aufgezeigt, dass sich Deutschland als Unterzeichner der UN-BRK dazu verpflichtet hat, ein inklusives Schulsystem auf allen Ebenen umzusetzen und dass dies bereits zu einigen Veränderungen geführt hat (Piezunka, A. et al. (2017), S. 208). Jedoch bestehen in Deutschland im Wesentlichen drei Herausforderungen, die die schulische Inklusion erschweren (Lübeck, A. (2019), S. 36 f.):

1. Gliederung des Schulsystems: Das deutsche Schulsystem ist ab der Sekundarstufe 1 gegliedert, d. h. es existieren Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien. Dies führt dazu, dass die Forderung nach Inklusion auf allen Ebenen erschwert bzw. kaum umsetzbar ist, da Schüler aufgrund ihrer Leistungen auf unterschiedliche Bildungsinstitutionen verteilt werden (ebd.). Im Sinne der schulischen Inklusion wäre es, die Schüler nicht nach ihren Leistungen auf unterschiedliche Bildungseinrichtungen zu verteilen, sondern sie entsprechend ihrer Fähigkeiten und Schwächen an gemeinsamen Schulen zu fördern (vgl. Kap. 2.2.).
2. Koexistenz von Sonder- bzw. Förderschulen und Regelschulen: Neben den Regelschulen existieren weiterhin Sonder- und Förderschulen, auch wenn diese sukzessive abgebaut werden sollen. Dadurch verbleiben sonderpädagogische Fachkräfte i. d. R. an Sonder- und Förderschulen und fehlen daher an Regelschulen. Diesen stehen dadurch zumeist keine geeigneten Fachkräfte zur Verfügung, um inklusives Handeln zu ermöglichen (Lübeck, A. (2019), S. 36, 37).
3. Fehlende sonderpädagogische Ausbildung der Lehrer: Das Lehramtsstudium ist sehr stark an den selektiven Strukturen des jeweiligen Bundeslandes orientiert und dadurch stufen- und schulformenbezogen. Es fehlt i. d. R. ein sonderpädagogischer Kompetenzerwerb während der Ausbildung der Lehrer (ebd.).

Vor allem diese Herausforderungen führen dazu, dass in Deutschland die Schulbegleitung als Werkzeug der Inklusion eingesetzt wird.

3. Schulbegleitung - eine Einführung

Nachdem wir uns im vorangegangenen Kapitel dem Thema der Inklusion und insbesondere der schulischen Inklusion zugewandt haben, soll dieses Kapitel nun eine erste Einführung in die Schulbegleitung als Werkzeug der schulischen Inklusion geben.

Beispiel Rheinland-Pfalz: Hier sind die Inanspruchnahmen von Schulbegleitungen von 2012 bis 2016 um 50 Prozent gestiegen, so gab es im Jahr 2012 1.661 und im Jahr 2016 2.494 Schulbegleitungen (Dittmann, E. / Drescher, T. (2018), S. 1). Die Kosten hierfür sind im gleichen Zeitraum um ca. 61 Prozent gestiegen, von 2012 mit 23,7 Millionen Euro auf 38,2 Millionen im Jahr 2016 (Dittmann, E. / Drescher, T. (2018), S. 2). Auch wenn es zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine bundesweite Statistik über die Inanspruchnahme von Schulbegleitungen gibt, so lässt sich vermuten, dass die Anzahl an Schulbegleitungen und deren Kosten bundesweit in den letzten Jahren rasant gestiegen sind (u. a. Demmer, C. et al. (2017), S. 15).

Schon aufgrund dieser Feststellungen ist es wichtig, sich in diesem Kapitel zunächst einführend mit dem Thema der Schulbegleitung auseinanderzusetzen, um dann Schwächen aufdecken und daraus dann Handlungsempfehlungen ableiten zu können. Denn folgt man Dworschak und Lindmeier kann davon ausgegangen werden, dass Schulbegleitung auch in diesem Jahrzehnt kaum wegzudenken sein wird (Dworschak, W. / Lindmeier, B. (2017), S. 158). Somit sind steigende Fallzahlen und Kosten eine Folge, dementsprechend muss dafür Sorge getragen werden, dass die Schulbegleitung, möglichst zielführend, in der schulischen Inklusion eingesetzt wird.

3.1. Definition, Recht, Antragsverfahren

In den folgenden Abschnitten soll zunächst auf die allgemeine Definition der Maßnahme Schulbegleitung eingegangen werden, um dann die rechtlichen Grundlagen sowie ein idealtypisches Antragsverfahren darstellen zu können.

3.1.1. Definition der Maßnahme Schulbegleitung

Nach Dworschak begleiten Schulbegleiter einzelne Kinder und Jugendliche, „die auf Grund besonderer Bedürfnisse im Kontext Lernen, Verhalten, Kommunikation, medizinischer Versorgung und/oder Alltagsbewältigung der besonderen und individuellen Unterstützung bei der Verrichtung unterrichtlicher und außerunterrichtlicher Tätigkeiten bedürfen“ (Dworschak, W. (2010), S. 133f.). Nach Rumpler handelt es sich bei Schulbegleitern somit um Personen, die „Schülern mit einem besonderen Betreuungsbedarf während ihrer Schulzeit für bestimmte unterstützende Tätigkeiten zur Seite stehen“ (Rumpler, F. (2004), S. 140).

Wie sich bereits aus diesen Definitionen ergibt, muss für einen Anspruch auf Schulbegleitung ein besonderer Betreuungsbedarf vorliegen, der i. d. R. durch Behinderungen und Beeinträchtigungen gegeben ist. Ein sonderpädagogischer Förderbedarf, der sich z. B. allein durch Lernschwäche zeigt, reicht somit in vielen Fällen nicht aus (u. a. Lübeck, A. (2019), S. 19 ff.). Diese Definition ist eine Annäherung, es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich eine genaue Definition (mit Tätigkeitsprofil und Aufgabenbeschreibung) als schwierig gestaltet, da der entsprechende Unterstützungsbedarf vom Einzelfall abhängt und sich sehr heterogen gestaltet (Schwarz, A. et al. (2013)). Ein lernstarker Autist wird sicherlich andere Unterstützungsleistungen benötigen als ein lernschwaches Kind mit Downsyndrom. Welche möglichen Unterstützungsleistungen bzw. Tätigkeiten hierzu gehören können, wird in Kapitel 3.2.1 nochmals näher ausgeführt.

Anzumerken ist, dass der Einsatz von Schulbegleitern überwiegend als Übergangslösung angesehen wird, bis entsprechende Veränderungen hin zu einem inklusiven Schulsystem abgeschlossen sind (u. a. Demmer, C. et al. (2017), S. 32 f.) und der Mangel an sonderpädagogischen Fachkräften (Heinrich, M. / Lübeck, A. (2013), S. 80) beseitigt ist. Ob die Schulbegleitung nur als Übergangslösung anzusehen ist, wird in Kapitel 6 näher betrachtet.

3.1.2. Rechtliche Rahmenbedingungen

Weder der Begriff „Schulbegleitung“ noch „Integrationshilfe“ finden sich dergestalt im Gesetz wieder. Folglich werden die unterschiedlichsten Begriffe für die Maßnahme der Schulbegleitung verwendet, wie z. B. Integrationshilfe, Schulassistenz usw. (Dworschak, W. (2010), S. 131). Die gesetzlichen Grundlagen zur Schulbegleitung finden sich sowohl im SGB VIII (Eingliederungshilfe), als auch im SGB IX (Leistungen zur Teilhabe an Bildung), je nachdem welche Art von Unterstützungsbedarf vorliegt (Lübeck, A. (2019), S. 9). Der Unterstützungsbedarf richtet sich dabei nach der vorliegenden Beeinträchtigung bzw. Behinderung, was sich mitunter problematisch gestaltet. Daher soll in dieser Arbeit nur ein Überblick gegeben werden, der nicht auf Details, wie z. B. Beeinträchtigungsarten, eingeht.

Kinder und Jugendliche mit (drohender) seelischer Behinderung haben Anspruch auf Eingliederungshilfen (Schulbegleitung) nach § 35 a SGB VIII. In diesem Fall sind die öffentliche Kinder- und Jugendhilfe und somit das örtliche Jugendamt sachlich zuständig.

Kinder und Jugendliche mit bestehender körperlicher oder geistiger Behinderung haben dagegen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe an Bildung (Schulbegleitung) nach §§ 75 und 112 Abs. 1 SGB IX. Zuständig können hierbei nach § 6 Abs. 1 Nr. 6 und 7 i. V. m. § 5 Nr. 4 SGB IX sowohl Kinder- und Jugendhilfe als auch Sozialhilfe sein.

Vor dem 01.01.2020 war die Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit körperlicher oder geistiger Behinderung im SGB XII geregelt. Dies führte u. a. zu Zuständigkeitsproblemen, da die Unterscheidung zwischen seelischer, körperlicher und geistiger Behinderung häufig nicht eindeutig vorgenommen werden konnte und multiple Beeinträchtigungen zusätzlich eine Abgrenzung erschwert haben (Lübeck, A. (2019), S. 10 f.). Dies hatte mitunter zur Folge, dass sich weder Jugendamt noch Sozialamt für den jeweiligen Fall zuständig fühlten (Lübeck, A. (2019), S. 11). Angestrebt war daher eine Gesetzesreform, in der alle Leistungen für Kinder und Jugendliche unter dem Dach des SGB VIII vereint werden sollten (Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2015), S. 28).

Ob die Überführung der Eingliederungshilfe (SGB XII) in die neuen Leistungen zur Teilhabe an Bildung nach dem SGB IX zu einer Vereinheitlichung und Vereinfachung geführt haben, lässt sich zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit noch nicht feststellen. Es liegt jedoch die Vermutung nahe, dass die Zuständigkeitsklärung (Sozialamt oder Jugendamt) noch unklar bleibt, da nun nach dem SGB IX weiterhin sowohl die Zuständigkeit der Jugendhilfe als auch die der Sozialhilfe gegeben sein kann. Zum jetzigen Zeitpunkt fehlt es hier noch an Erfahrungswerten, denn die Gesetzesänderung ist erst Anfang des Jahres in Kraft getreten.

Weitere gesetzliche Grundlagen für die Schulbegleitung bieten Art. 24 UN-BRK, der bereits in Kapitel 2.3. erläutert wurde, sowie Bestimmungen der einzelnen Bundesländer, auf deren Ausführungen im Rahmen dieser Arbeit wegen der Detailtiefe nicht näher eingegangen wird.

3.1.3. Antragsverfahren

In Kapitel 3.1.2. wurde bereits ersichtlich, dass die Maßnahme der Schulbegleitung entweder nach SGB VIII oder SGB IX erfolgen kann und dass dies mitunter zu Zuständigkeitsproblemen führt, wenn die sachliche Zuständigkeiten von Sozial- oder Jugendamt nicht eindeutig ist. Die Überführung der früheren SGB XII-Schulbegleitung in die neu geschaffenen Leistungen zur Teilhabe an Bildung (SGB IX) beheben dieses Problem zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Bei der Schulbegleitung handelt es sich bislang um eine Einzelfallhilfe für Schüler mit besonderem Förderbedarf. Dieser Förderbedarf richtet sich sowohl nach SGB VIII als auch nach SGB IX nach dem Vorliegen einer diagnostizierten Behinderung (Lübeck, A. (2019), S. 19 ff.). Somit reicht das bloße Vorliegen eines sonderpädagogischen Förderbedarfs im Sinne von Leistungsdefiziten in den meisten Fällen nicht aus (ebd.).

Insbesondere das Antragsverfahren gestaltet sich schwierig, da zu den o. g. Zuständigkeitsproblemen auch fehlende bundesweit einheitliche Standards hinzukommen. Dadurch können sich die Verfahrensabläufe, notwendige Unterlagen und die Anzahl der Beteiligten nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern teilweise sogar von Kommune zu Kommune unterscheiden (ebd.).

Um dennoch darstellen zu können, wie sich ein Antragsverfahren auf Schulbegleitung im Idealfall gestalten kann, folgt diese Arbeit der Darstellung eines idealtypischen Ablaufs nach Lübeck, A. (2019), der sich wie folgt gestaltet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Idealtypisches Antragsverfahren (Lübeck, A. (2019), S. 10)

Allein dieser idealtypische Ablauf zeigt, wie viele Personen bereits im Antragsverfahren involviert sein können. Neben den Erziehungsberechtigten und dem Kind sind hier schon Jugendamt, Facharzt bzw. Psychiater, Schule, Träger sowie potenzieller Schulbegleiter beteiligt. Diese Vielzahl an Akteuren stellt bereits das erste Kernproblem der Maßnahme Schulbegleitung dar (Lübeck, A. (2019), S. 11).

Nach Demmer, C. et al. (2017) kann man von einem „Dschungel des Beantragungsverfahrens“ (Demmer, C. et al. (2017), S. 17) sprechen, der mehr als nur kritisch zu bewerten ist. So besteht zum einen die Gefahr, dass das Wohl des Kindes aufgrund der Vielzahl an Akteuren aus dem Blick gerät, da jeder Akteur eigene Interessenslagen verfolgt (ebd.). Zum anderen ist dieses Verfahren stigmatisierend, denn die Beweislast, ob für das eigene Kind ein besonderer Förderbedarf aufgrund einer Behinderung besteht, liegt bei den Eltern. Weiterhin ist dieses Verfahren nicht barrierefrei im Sinne der Inklusion nach Art. 24 UN-BRK ist (ebd.). Auf diese Kritik wird in den Kapiteln 5 und 6 noch genauer eingegangen.

3.2. Profil der Schulbegleitung

Nachdem in Kapitel 3.1. die Schulbegleitung als Maßnahme der Einzelfallhilfe definiert, rechtliche Grundlagen genannt und ein idealtypisches Antragsverfahren dargestellt wurde, soll im Folgenden auf das Profil der Schulbegleitung eingegangen werden. Unter diesem Profil werden in dieser Arbeit sowohl Tätigkeitsbereiche, Ziele, Qualifikationen, als auch Anstellungsverhältnisse der Schulbegleitung verstanden.

3.2.1. Tätigkeitsspektrum der Schulbegleitung

In Kapitel 3.1. wurde die Schulbegleitung nach Dworschak (2010) und Rumpler (2004) definiert, ohne dabei genauer auf die eigentliche Tätigkeit der Schulbegleiter einzugehen. Es wurde jedoch hier bereits herausgestellt, dass eine genaue Definition des Aufgabenbereiches aufgrund der Heterogenität der betroffenen Schüler sich als schwierig gestaltet (Schwarz, A. et al. (2013)). Eine Orientierungshilfe, welche Tätigkeiten ein Schulbegleiter übernehmen kann, wurde im Jahr 2019 vom Deutschen Landkreistag zusammen mit dem Deutschen Städtetag und der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe herausgegeben.

Die Autoren dieser Orientierungshilfe stellen hierbei zunächst klar, dass die Vermittlung der Lerninhalte im Aufgabenbereich der Schule und nicht des Schulbegleiters liegt. Auch wäre die pädagogische und didaktische Arbeit mit den Kindern bzw. Jugendlichen nicht im Tätigkeitsbereich der Schulbegleitung zu verorten (Dt. Landkreistag et al. (2019), S. 5). Vielmehr liege die Aufgabe darin, dem betroffenen Schüler die Teilnahme am Unterricht zu ermöglichen (ebd.). Auch stellen die Autoren fest, dass ein inklusives Schulsystem auf allen Ebenen (i. S. d. UN-BRK) vorrangig Aufgabe der Schulen bzw. Schulträger ist und dass die Schulbegleitung eine Übergangslösung darstellen soll, bis eben jenes Ziel erreicht ist (Dt. Landkreistag et al. (2019), S. 3).

Die vorliegende Arbeit befasst sich hauptsächlich mit der Maßnahme der Schulbegleitung an Regelschulen. In diesen lassen sich die Aufgaben der Schulbegleiter in fünf Bereiche einteilen, wie folgende Tabelle zeigen soll:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Tätigkeitsspektrum der Schulbegleitung (Dt. Landkreistag et al. (2019), S. 10)

Betrachtet man diese typischen Aufgaben des Schulbegleiters, so lässt sich hier bereits eine weitere Kernproblematik der Schulbegleitung erkennen. Die Autoren stellen, wie oben bereits erwähnt, fest, dass pädagogische und didaktische Aufgaben nicht in den Tätigkeitsbereich eines Schulbegleiters gehören (Dt. Landkreistag et al. (2019), S. 5). Allerdings gehören auch Aufgaben, wie etwa „Kontrolle und Einflussnahme auf das Verhalten“ zu den Tätigkeiten, so dass sich Schulbegleiter in einem Bereich bewegen, der sich nur schwierig von einem pädagogischen Handeln trennen lässt. Allgemein ist eine Trennung zwischen pädagogischer und nicht-pädagogischer Arbeit schwierig, da die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, insbesondere mit denen, die über Beeinträchtigungen und Lernschwächen verfügen, zwangsläufig pädagogische Inhalte enthält (Kremer, G. (2012), S. 159). Auch muss bedacht werden, dass ein Schulbegleiter als erwachsene Person in einer Klasse als Modell fungiert, an und mit dem alle Kinder lernen (Kremer, G. (2012), S. 160). Dworschak (2012b) betont zudem, dass durch die Schulbegleitung als Einzelfallmaßnahme, zwangsläufig auch pädagogische Handlungsvorgänge stattfinden, deren Abtrennung bzw. Abbruch, um wirklich nur nicht-pädagogische Handlungen beizubehalten, die Ermöglichung von Bildung und somit das Sinnganze des Unterrichts gefährden würde (Dworschak, W. (2012b), S. 5).

Ein weiteres Problem kann in den unklaren Beschreibungen der Tätigkeiten gesehen werden. Sie sind sehr vage formuliert, ohne, dass eine nähere Beschreibung erfolgt. Auch hier kann nochmals das Beispiel „Kontrolle und Einflussnahme auf das Verhalten“ aufgegriffen werden. Wie kann Verhalten kontrolliert bzw. wie kann Einfluss auf das Verhalten genommen werden? Ist es überhaupt möglich Verhalten zu kontrollieren? Welches Verhalten muss unterbunden werden und welches nicht? Vor solchen und ähnlichen Fragen dürften Schulbegleiter stehen, wenn sie ihrer Tätigkeit nachgehen. Solche oder ähnliche Fragen können bereits bei pädagogischen Fachkräften zu 16 Unsicherheiten führen. Fraglich ist dann also, wie Schulbegleiter solche Tätigkeitsinhalte nachvollziehen und in der täglichen Arbeit umsetzen können, insbesondere, wenn sie nicht pädagogisch handeln sollen.

3.2.2. Ziele der Schulbegleitung

Grundsätzlich ist eine „Assistenzleistung“, wie sie die Schulbegleitung darstellt, eine Maßnahme, bei der Unterstützung geleistet wird, deren Ziel es ist, diese Unterstützungsleistung sukzessive zu minimieren und die Eigenständigkeit des Klienten (hier Schüler) zu erhöhen (Prammer-Semmler, E. / Prammer, W. (2014), S. 209). Analog hierzu formuliert auch das Bayerische Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst die Zielsetzung der Schulbegleitung. Denn hier heißt es in den Empfehlungen zum Einsatz von Schulbegleitern an Regelschulen: „Ziel der Maßnahme muss es sein, dass sich die schulbegleitende Person im Laufe des Fortschritts der Eingliederungshilfe überflüssig macht und der junge Mensch die Zielperspektive entwickelt, zukünftig selbstständig im schulischen Umfeld zurechtzukommen.“ (Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (2013), S. 5).

Diese allgemeine Zielsetzung wird u. a. durch die Freie Wohlfahrtspflege NRW um fünf grundlegende Ziele ergänzt:

- Ermöglichung oder Erleichterung des Besuchs der gewünschten und geeigneten Schule, sowie Verhinderung von Schulabbrüchen;
- Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung und Unterstützung bei dem Erreichen von Schulabschlüssen;
- Ermöglichung der Teilhabe am schulischen Leben, z.B. der Teilnahme an Klassenfahrten;
- Unterstützung der zunehmenden Selbstorganisation und Eigenständigkeit von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung.
- Unterstützung von Lehrkräften, Mitschülern ohne Behinderung und Eltern dabei, die schulische Integration zu verwirklichen. (Freie Wohlfahrtspflege NRW (2014), S. 8).

Auch hierbei zeigt sich, dass bereits in Kapitel 3.2.1. angesprochene Problem, dass Schulbegleitung grundsätzlich nicht-pädagogisch agieren soll. Der Anspruch, einen jungen Menschen durch die eigene Unterstützungsleistung zu Selbstbestimmung und Eigenständigkeit zu verhelfen, entspricht professionellem pädagogischem Handeln, dass i. d. R. durch Fachkräfte mit entsprechendem akademischem Abschluss ausgeführt wird und nicht von „Hilfskräften“ ausgeführt werden sollte (Demmer, C. et al. (2017), S. 40).

[...]


1 In Deutschland existieren unterschiedliche Begrifflichkeiten, wie z. B. Integrationshilfe, Schulassistenz usw., die meist synonym verwendet werden (Dworschak, W. (2010), S. 131). In der Bachelorarbeit ziehe ich den Begriff der Schulbegleitung vor.

Ende der Leseprobe aus 52 Seiten

Details

Titel
Schulbegleitung als Werkzeug der Inklusion? Kritische Reflexion und eine Handlungsempfehlung
Hochschule
IU Internationale Hochschule
Note
2,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
52
Katalognummer
V901723
ISBN (eBook)
9783346258755
ISBN (Buch)
9783346258762
Sprache
Deutsch
Schlagworte
schulbegleitung, werkzeug, inklusion, kritische, reflexion, handlungsempfehlung
Arbeit zitieren
Martin Poser (Autor:in), 2020, Schulbegleitung als Werkzeug der Inklusion? Kritische Reflexion und eine Handlungsempfehlung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/901723

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