'Die Rebellion der Gehenkten' von B. Traven: Ein Beispiel für literarische Sozialkritik


Hausarbeit, 1998

22 Seiten, Note: ohne Note (Leistungsnachweis)


Leseprobe


Inhalt

1 B. Traven und seine Werke: einleitende Bemerkungen zu Biographie und sozialpolitischem Engagement des Autors und deren Niederschlag in seinen Schriften.

2 Die Rebellion der Gehenkten als Fortführung des naturalistischen Gesellschaftsromans der Jahrhundertwende? Parallelen und Unterschiede

3 Landlose Indios ohne soziale Utopie: Analyse der anarchistischen Grundhaltung in Die Rebellion der Gehenkten

4 Traven als deutscher Vertreter der mexikanischen "literatura indigenista"? oder einfach nur "Exotik für Deutsche"? Die Rebellion der Gehenkten zwischen den Kulturen.

5 Die Rebellion der Gehenkten als Beitrag zum mexikanischen Revolutionsroman.

6 Ausblick: Wie aktuell ist das Werk von B. Traven?

Bibliographie

1 B. Traven und seine Werke: einleitende Bemerkungen zu Biographie und sozialpolitischem Engagement des Autors und deren Niederschlag in seinen Schriften

Nachdem es gegen Ende der Weimarer Republik und später noch einmal in den 50-er Jahren zu einer regelrechten Traven-Euphorie in Deutschland ge-kommen war, ist der Autor (wahrscheinliche Lebensdaten: 1982-1969) in der Gegenwart zwar nicht vergessen, doch nur wenige seiner heute eher sporadischen Leser kennen mehr als ein Buch von ihm. Wenig anders verhält es sich in Mexiko. Fragt man nun einen dieser Leser danach, wie sie Traven literarisch bzw. politisch einordnen würden, so fällt die Antwort nach dem jeweils gelesenen Werk aus. Eine häufige Meinung ist, dass Traven ein typischer Vertreter des Abenteuerromans sei, denn sein dem Abenteuertypus am nahestehendstes Werk, Der Schatz der Sierra Madre (bzw. dessen Verfilmung von 1947) ist neben Das Totenschiff das bekannteste. Wer Die Baumwollpflücker oder einen der Romane des Caoba-Zyklus1 gelesen hat, kommt häufig zu dem Schluss, Traven sei Marxist, denn hier werden inhumane Arbeitsbedingungen und Ausbeutung thematisiert und die kapitalistische Gesellschaft nicht selten direkt angegriffen. Diese Meinung lässt sich auf den ersten Blick noch verstärken, wenn man ein wenig über das "Vorleben" des Autors erfährt, d.h. über den Zeitraum, den er in Deutschland mit sozialrevolutionären Aktivitäten unter dem Pseudonym Ret Marut verbracht hat.

Die Identität Traven-Marut ist eines der wenigen gesicherten Daten, die geradezu detektivisch vorgehende Literaturwissenschaftler zu Tage ge-bracht haben. Liest man sich in die verschiedenen Werke der Traven-Forscher ein, so können es diese -was die Spannung betrifft- mit jedem Kriminalroman aufnehmen. Literaturwissenschaftler und Reporter sind regelrecht in den Bann einer unwiderstehlichen Leidenschaft geraten, wenn es darum ging, dem Geheimnis des Mannes auf die Spur zu kommen, der ein Leben lang unter den unterschiedlichsten Pseudonymen aufgetreten ist und (erfolgreich) alles daran getan hat, seine wirkliche Identität zu verschleiern. Die erstaunlichsten Theorien werden da aufgeworfen, so z.B. dass Traven ein unehelicher Sohn des Kaisers Wilhelm II gewesen sei, oder ein amerikanischer Theologiestudent2. Hat man sich gerade von einer Version überzeugen lassen, so wird diese in der nächsten Studie, die man zur Hand nimmt, ganz sicher beweiskräftig widerlegt. Will Wyatt z.B. kam nach aufwendiger Detektivarbeit zu dem Schluss, dass Traven der Schlosserlehrling Hermann Otto Feige aus Schwiebus bei Posen gewesen sei3, eine Meinung, die andere literaturwissenschaftliche Werke übernommen haben4, die aber von einem späteren Traven-Biographen, Karl S. Guthke5, mit überzeugenden Argumenten in Zweifel gezogen wird. Weitere überraschende Theorien sind, dass Traven selber nicht gewusst habe, wer er sei, dass er möglicherweise einen Mord auf dem Gewissen hatte, dass er nicht alle seine Werke selber geschrieben oder die Aufzeichnungen eines Erlebnisträgers literarisch verarbeitet habe6 oder schon in den dreissiger Jahren gestorben sei, woraufhin eine Art Mafia seine Werke in seinem Namen zu Geld gemacht habe - kaum eine lässt sich endgültig widerlegen oder beweisen.

Kehren wir also noch einmal zu dem biographisch abgesicherten Zeitraum zurück (1907 bis ungefähr 1923), in dem Traven als Ret Marut an verschiedenen Orten Deutschlands lebte, in Theatergruppen mitwirkte, die linksradikale Zeitschrift Der Ziegelbrenner herausgab und 1919 an der Münchner Revolution und kurzlebigen Räteregierung mitwirkte. In dieser Zeit schreibt er nicht nur eine Vielzahl an politschen Aufsätzen, die nicht, wie oftmals angenommen, marxistisch orientiert, sondern eher "radikal anarchistisch"7 waren, sondern es erscheinen auch erste literarische Veröffentlichungen, hauptsächlich kürzere Erzählungen oder Novellen. Hier setzt er sich zum grössten Teil mit dem Weltkrieg und dem deutschen Militarismus auseinander, wobei er seine Kritik an diesen geschickt tarnen musste, um nicht der Zensur zum Opfer zu fallen8, wettert aber auch "[...] gegen eine Welt der Empfindungslosigkeit und des Krämer-Geistes"9. Schon in diesem Frühwerk ist deutlich der Einfluss des anarchistischen Philosphen Max Stirner (1806-1856) zu spüren - ein Einfluss der sich, wie wir noch sehen werden, auch in Maruts (Travens) späteren Werken noch bemerkbar macht.

Ebenso wie der Held seines Märchens "Khundar"10 wandert Marut schliesslich in ein fernes Land aus "[] um keine Blutsgemeinschaft mit diesem neuen Deutschland mehr zu besitzen"11. Im Jahre 1924 geht er (wohl aus politischen Gründen) nach Mexiko, wo er bis zum Ende seines Lebens bleibt, um als B. Traven eine neue Phase seines künstlerichen Schaffens zu beginnen. Die Romane und Kurzgeschichten, die er von nun an schreibt, spielen fast durchweg in Mexiko und dort vor allem in ländlichen Gebieten und im Urwald, wo er als genauer und feinfühliger Beobachter hauptsächlich den harten und ungerechten Arbeits- und Lebensbedingungen der Landarbeiter und Indios (in einem Zeitraum der kurz vor der mexikanischen Revolution beginnt und bis in die 30-er Jahre hineinreicht) eine literarische Form verleiht. In dieser bedingungslosen Kritik an ungerechten sozialen Zuständen setzt er, in einem anderen Kontext, die Sozialkritik seines Frühwerks fort.

Ziel dieser Arbeit wird es sein, am Beispiel des Romans Die Rebellion der Gehenkten zu untersuchen, wie diese Sozialkritik konkret zum Ausdruck gebracht wird und auf welche Weise verschiedene literaturhistorische und philosphische Traditionen in sie eingeflossen sind, wobei wir vier verschiedene Strömungen berücksichtigen wollen, nämlich den naturalistischen Gesellschaftsroman, den Anarchismus von Max Stirner, die mexikanische "literatura indigenista" und den mexikanischen Revolutionsroman.

2 Die Rebellion der Gehenkten als Fortführung des naturalistischen Gesellschaftsromans? Parallelen und Unterschiede

Die Rebellion der Gehenkten wurde erstmals 1936 (von der Büchergilde Gutenberg) veröffentlicht, während der Naturalismus eine literarische Strö-mung der letzten zwei Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts ist. Das heisst aber, dass zwischen beiden ein zeitlicher Abstand von fast einem halben Jahrhundert liegt. Dennoch steht Travens Roman dem Naturalismus in vieler Hinsicht wesentlich näher, als späteren literarischen Strömungen, wie etwa der Dekadenz, dem Expressionismus, aber auch sozialistischen Werken, wie z.B. dem epischen Theater Brechts.

Der Naturalismus zeichnet sich durch die schonungslose Widergabe drastischer sozialer Verhältnisse aus. So wird zum Beispiel in Die Weber von Gerhard Hauptmann -dem wichtigsten deutschen Verteter dieser Literaturepoche- das Leid der schlesischen Weber in allen Einzelheiten nahezu fotographisch geschildert, ohne dass der Autor die Trostlosigkeit ihres Lebens auf irgendeine Weise künstlerisch verschönert hätte. Hier steht nicht der Einzelne als Held im Mittelpunkt, sondern es geht um die Erfassung gesellschaftlicher Verhältnisse als solche. Den mittellosen Webern, die nichts als ihre Arbeitskraft besitzen, wird der Fabrikant gegenübergestellt und in der Beschreibung, wie dieser die Arbeiter mitleidslos für seine eigenen Zwecke ausbeutet und sogar ohne mit der Wimper zu zucken in Krankheit und Tod treibt, drückt Hauptmann seine Anklage an extrem ungerechten sozialen Verhältnissen aus.

Genau dieselben Elemente finden wir aber in Die Rebellion der Gehenkten wider. Auch hier stehen sich Besitzende (weisse Grossgrund-besitzer) und Besitzlose (Indios) gegenüber. Bekommt man zunächst den Eindruck, dass der Roman die Geschichte des Indios Candido Castro erzählt, so merkt man doch bald, dass die grausame Behandlung, die dieser seitens der ladinos, der weissen und mestizischen Bewohner der Städte erfährt und dass die Art und Weise wie er durch einen üblen Trick zur Arbeit auf einer montería, einem Holzfällerlager, verpflichtet wird, nur beispielhaft für das Schicksal seines Volkes sind. Später rücken Candido und seine Familie auch zugunsten anderer Figuren zeitweise völlig in den Hintergrund, d.h. nicht das Einzelschicksal steht im Mittelpunkt, sondern die Beziehung zwischen sozialen Gruppen. Ebenso wie der Fabrikant Dreissiger bei Hauptmann beuten die Brüder Montellano -natürlich stehen auch diese nur stellvertretend für die Gesamtheit der Grossgrundbesitzer der Gegend- ihre Arbeiter auf brutale Art und Weise aus, wobei letztere den Erstgenannten noch bei weitem an Grausamkeit übertreffen, denn totgearbeitete und -gequälte Indios stehen hier auf der Tagesordnung. Als besonders wirkungsvolle Methode um ihre Arbeiter hörig zu machen und grössere Leistungen aus ihnen herauszupressen, haben sich die Montellanos das Henken einfallen lassen: "[...] Und nun verlangt der stinkige Hund von einem Don Acacio vier Tonnen, und wer sie nicht schafft, henkt die halbe Nacht, zusammengeknotet nicht an allen vieren, nein, gleich an allen fünfen, damit auch ja nichts vergessen wird, und den Kopf mit ein-gequetscht. Und dann die Moskitos herum, gerade da am versumpften Dreck und rote Ameisen in ganzen Völkern"12, erklärt Pedro den Neuankömmlingen in der montería.

Ebenso wie die Naturalisten, schildert auch Traven die Zustände sehr genau und in unverblümter Sprache. An keiner Stelle beschränkt er sich darauf, grausame Einzelheiten etwa lediglich anzudeuten oder künstlerich abzuschwächen. Sehen wir hier, wie er den Zustand der Abgehängten schildert:

Ob sie während des Henkens verreckten, wie es zuweilen geschah, oder ob sie nicht verreckten, hatte für die Montellanos und deren Aufseher nur insofern Interesse, als ihnen Arbeitskräfte verlorengingen. [...] Die Augen der Abgehenkten waren blutig und verquollen. Der Körper an hundert Stellen entzündet von Beulen, verursacht von den Stichen der Moskitos und den Bissen der roten Ameisen. Dutzende von kirschgrossen und Hunderte von sehr kleinen Zecken hatten sich in die Haut so heftig eingebissen, dass ihre Köpfe völlig eingegraben waren. [...] Wo immer eine Zecke sich eingebissen hatte, auch wenn sie wieder herausgezogen worden war, da verblieben Stiche, die eine Woche lang so entsetzlich juckten, dass der Verletzte sich die Haut ständig aufkratzen musste, um Ruhe zu finden. Jeder Körper war bedeckt mit einem Gewimmel von Ameisen, eingebissenen und solchen die hinwegrannten mit Tröpfchen von Blut oder mit Stückchen menschlichen Fleisches. In den Zehen und zwischen den Zehen steckten Sandflöhe, die ihre Eier tief in das Fleisch gelegt hatten. Kleine Spinnen waren im Haar verkrochen, und grössere Spinnen hatten begonnen, Netze über Stellen des Körpers zu weben, um die winzigen Fliegen, angelockt vom Schweiss und Blut der Gehenkten, zu fangen [...].13

[...]


1 Dazu zählen: Der Karren (1931), Regierung (1931-32), Der Marsch ins Reich der Caoba (1933), Die Troza (1936), Die Rebellion der Gehenkten (1936), Ein General kommt aus dem Dschungel (1940). Diese Romane beschreiben die Lebensverhältnisse der Indios in Chiapas und hier vor allem der Holzfäller im Urwald in den Jahren unmittelbar vor Ausbruch der mexikanischen Revolution.

2 vgl. Wyatt (1982), S. 203f. u. 226-235

3 vgl. Wyatt (1982), S. 295-313

4 z.B. Deutsche Literatur, Eine Sozialgeschichte (1983), Bd. 9, S. 163

5 vgl. Guthke (1990), S. 128

6 zur Theorie des "Erlebnisträgers" vgl. Baumann (1978), S. 64-75

7 Guthke (1992), S. 106

8 vgl. Recknagel (1977), S. 12

9 ebd. S. 19f.

10 1920 in Der Ziegelbrenner veröffentlicht

11 Recknagel (1977), S.20

12 Traven (1977), S. 75.

13 ebd. S. 89.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
'Die Rebellion der Gehenkten' von B. Traven: Ein Beispiel für literarische Sozialkritik
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Neuere deutsche und europäische Liter)
Note
ohne Note (Leistungsnachweis)
Autor
Jahr
1998
Seiten
22
Katalognummer
V9020
ISBN (eBook)
9783638158367
ISBN (Buch)
9783638676281
Dateigröße
533 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Autorin ist Lehrkraft an der Benemérita Universidad Autónoma de Puebla, Mexiko.
Schlagworte
Rebellion, Traven, Sozialkritik, Gehenkte, Mexiko, B. Traven
Arbeit zitieren
Magister Artium Dorit Heike Gruhn (Autor:in), 1998, 'Die Rebellion der Gehenkten' von B. Traven: Ein Beispiel für literarische Sozialkritik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9020

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