Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definition und Begriffsklärung
3. Arten von Kinderarbeit
3.1 Landwirtschaftliche Kinderarbeit
3.2 Industrielle Kinderarbeit
4. Veränderung der Kinderarbeit im Laufe des 19. Jahrhunderts
5. Fazit und heutige Situation
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wir Europäer verbinden Kinderarbeit mit schrecklichen Bildern aus Textilfabriken in Bangladesch oder Indien, auf denen Kinder für große Modekonzerne viele Stunden täglich schwitzend und in unzumutbaren Zuständen für einen Hungerlohn arbeiten. Wir urteilen darüber, da solche Bedingungen für unsere Kinder in Europa und vor allem in Deutschland unvorstellbar sind. Dabei vergessen wir eine Zeit, in der die Kindheit nicht unbeschwert und mit Fürsorge der Eltern erfüllt war. Eine Zeit, in der ein Kind nur so gut war, wie es arbeiten konnte. Unseren modernen gesetzlichen Kinderschutz, um diese „ schönste Zeit im Leben “, wie Jean Jaques Rousseau die Kindheit bereits 1762 in seinem Werk „Émile ou de l’éducation“ genannt hat1, zu schützen, gibt es noch nicht allzu lange. Genauer gesagt gab es vor 200 Jahren noch überhaupt keinen Kinderschutz, ganz im Gegenteil: Kinderarbeit war bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts ohne jegliche Reglements an der Tagesordnung. In der folgenden Hausarbeit setze ich mich mit der Thematik der Kinderarbeit und des Kinderschutzes im 19. Jahrhunderts in Deutschland auseinander.
Da vor 1871 kein vereinigtes Deutschland bestand, würde die Aufarbeitung der Kinderarbeit und des Kinderschutzes in jedem Königreich, Herzogtum, o. Ä. im 19. Jahrhundert den Umfang von maximal 20 Seiten weit überschreiten. Deshalb fokussiere ich mich in dieser Arbeit hauptsächlich auf das Königreich Preußen, teilweise aber auch das Königreich Bayern oder Württemberg.
Die hier aufgezeigten Kinderarbeitsbedingungen und Kinderschutzgesetze betreffen jene Gebiete und können in den anderen Gebieten mehr oder weniger abweichen, die Betrachtung dieser Gebiete erfolgt aber aus den o. g. Gründen nicht.
2. Definition und Begriffsklärung
Für das Leseverständnis der folgenden Arbeit ist es unerlässlich, dass die drei zentralen Begriffe „Kind“, „Kinderarbeit“ und „Kinderschutz“ klargestellt, bzw. definiert werden. Ich beginne mit dem essentiellsten, aber auch wandelbarsten Begriff, dem des Kindes. Grundsätzlich wird er verwendet, um ein Abstammungsverhältnis auszudrücken, das Lebensalter sei hierbei irrelevant. Um dem Begriff aber in den hier passenden Kontext einzuordnen, ist die Betrachtung des Lebensalters unabdingbar. Die heutige Gesetzeslage wird im Paragraph 1 Absatz 1 Jugendarbeitsschutzgesetz (JuArbSchG) geregelt. Dieser Satz sagt aus, dass Kinder Personen vor der Vollendung des 15. Lebensjahres sind. In früheren Jahrhunderten wurde hingegen generell eine Unterscheidung zwischen Personen unter und über 14 Jahren vorgenommen, was wohl auf das Einsetzen der Pubertät zurückzuführen ist. Dabei ging es aber ab einem Alter von 14 Jahren mehr um die Frage der Mündigkeit, schon ab dem 8. Lebensjahr verlor man den Kindesstatus:
Im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) von 1794 wird der Ausdruck „Kind“ wie folgt beschrieben: „ Wenn von den Rechten der Menschen, in Beziehung auf ihr Alter, die Rede ist, so heißen Kinder diejenigen, welche das siebente, und Unmündige, welche das vierzehnte Lebensjahr noch nicht zurückgelegt haben.“2
Diese Definition kommt auch den ersten Kinderschutzgesetzen von 1839 im Preußischen Regulativ nahe: „Vor zurückgelegtem neunten Lebensjahre darf niemand in einer Fabrik […] zu einer regelmäßigen Beschäftigung angenommen werden.“ Des Weiteren wurde erlassen, dass junge Menschen unter 16 Jahren nicht mehr als 10 Stunden täglich in diesen Fabriken beschäftigt werden dürfen.3 Es wurde also stets zwischen Kind und jungem Erwachsenen und Erwachsenem differenziert.
Jene Regelungen lassen darauf schließen, dass ein Kind – egal, ob es nun bis 7 oder bis 9 Jahren als Kind betrachtet wurde - im 19. Jahrhundert weder lange Zeit hatte, sich zu entwickeln, noch hatte es die Chance, in einem geschützten Umfeld aufzuwachsen. Demnach wurde ein Kind als „ kleiner Erwachsener “4 gesehen und musste deshalb auch so früh wie möglich, vor 1839 oder in der Landwirtschaft auch mit weniger als neun Jahren, arbeiten.
Nun zum Begriff der Kinderarbeit. Siegfried Quandt definiert jenen Begriff als „ zumindest periodisch regelmäßige un- oder angelernte Erwerbstätigkeit Untervierzehnjähriger, bzw. Volksschulpflichtiger, die außerhalb eines ordnungsgemäßen Lehrverhältnisses stattfindet.“. Hierbei ist meinerseits zu ergänzen, dass es irrelevant ist, ob diese Arbeit innerhalb oder außerhalb eines Lehrverhältnisses stattfindet, da es auch innerhalb eines solchen als Arbeit zu verstehen ist. In Bezug auf den Kinderschutz schreibt Quandt, gemeint sei „ein gesetzlicher Kinderschutz, der die Kinder vor gesundheitlicher, seelisch-geistiger und sozialer Schädigung bewahren soll.“.5
3. Arten von Kinderarbeit
Da Kinder, wie in Teil 2 erwähnt, nicht als zu schützende Individuen wahrgenommen wurden, wurden sie bis ins Ende des 19. Jahrhunderts durch die verhältnismäßig leichtere Arbeit wohl eher an die „echte Arbeit“ der Erwachsenen herangeführt.6 Dabei galt es im Wesentlichen als sehr lobenswert, Kinder zu beschäftigen und somit in die Gesellschaft zu integrieren. Wolfram Fischer schreibt hierzu: „ Jeder, der Gelegenheit zur nützlichen Arbeit für Kinder schafft, wird als Menschenfreund gepriesen.“7 Hierbei stand vor allem der Punkt der Sozialisation im Fokus, da die generelle Haltung existierte, dass Kinder, die arbeiten, nicht Gefahr laufen, anderen durch ihr Nichtstun zur Last zu fallen und – was nicht weniger erheblich ist – nicht betteln können, was damals ein beträchtlicher Anteil der Kinder tat. Kuczynski formuliert es folgendermaßen: „ Kein „Beruf“, kein „Gewerbe“, mit Ausnahme der Landwirtschaft, beschäftigte so viele Kinder wie das Betteln “8. Außerdem wurde hierbei auch ein gewisser pädagogischer Effekt erwünscht. Die Kinder sollten bei der Arbeit wichtige Tugenden wie Pünktlichkeit, Fleiß und Gehorsam entwickeln. Die eher theoretische Schulbildung war in den Augen vieler zweitrangig und wurde der Arbeit demnach untergeordnet.
Im Verlauf des Jahrhundertewechsels vom 18. Jahrhundert ins 19. Jahrhundert hat sich mit dem Aufkommen der Fabriken und der Industrialisierung die Art der Kinderarbeit stark verändert. In diesem Kapitel wird auf die Unterschiede der beiden Arbeitsweisen eingegangen.
3.1 Landwirtschaftliche Kinderarbeit
Die Arbeit auf dem Land galt jahrhundertelang als Basis des Dorflebens in deutschem Gebiet. Hierzu gehörte die Viehzucht, der Ackerbau, die Holzwirtschaft sowie die Verarbeitung der Rohstoffe, wie zum Beispiel Getreide. In der Zeit des Mittelalters bis hinein ins 19. Jahrhundert war es üblich, dass der Grundherr einer Region die Bauern als Leibeigene besaß. Diese waren ihm vollkommen und in jeder Hinsicht unterworfen, so durften sie ohne seine Einstimmung beispielsweise weder heiraten noch seinen Zuständigkeitsbereich verlassen. Der Grundherr gab den Bauern die Aufgabe, sein Land zu bewirtschaften und ihm hierfür gewisse Abgaben zu stellen. Diese bestanden zum einen in Form von jenen Arbeitsdiensten (Frondienste) und zum anderen in Form von Material- oder auch Geldabgaben (Zehnt). Im Gegensatz dazu war es den Bauern erlaubt, auf eben diesem bewirtschafteten Land zu leben. Bei dieser Herrschaftsform spricht man vom Feudalismus, also der Herrschaft eines Feudalherren über seine dort ansässigen Diener, dem sogenannten Gesinde.9
Um die Stellung des Gesindes zu dieser Zeit zu verdeutlichen, orientiere ich mich an Johann Georg Krünitz: „ Viele Herrschaften achten ihr Gesinde gar nicht. Sie halten es nicht viel besser als […] Bettelvolk in der Republik, ja sie betrachten es kaum als Menschen. Sie sind grausam wider sie und fordern mehr Arbeit von ihnen, als Menschen leisten können und als sie vermöge ihres Vertrages zu leisten schuldig sind.“10.
Diese Beschreibung lässt erahnen, dass die Kinder, welche aus dem Gesindevolk stammten, immer bei der Arbeit halfen, wenn sie gebraucht wurden, weil der Bauer der Arbeit schlichtweg nicht hinterherkam. Eine gesetzliche Altersgrenze, bis zu der ein Kind nicht arbeiten durfte, war damals noch nicht festgelegt und so war es üblich, dass auch die kleinsten Kinder die Arbeit verrichteten, welche ihnen möglich war.
Sobald ein Kind in diesen Stand geboren wurde, galt es außerdem als Leibeigener des Grundherrn und musste per Gesetz zuerst einen sogenannten Zwangsgesindedienst ausüben, bevor es anderweitig Arbeit annehmen durfte11. Durch diese Art der Bereitstellung jener Kinder bekam der Gutsherr billige, bzw. teilweise sogar kostenlose Arbeitskräfte gestellt und konnte so seine weiteren Einnahmen durch deren Arbeit sichern. Der Gesindedienst fand bis 1620 im Umfang von drei Jahren statt und wurde per Gesetz zwar immer weiter verschärft, in der Praxis jedoch wurden die Beschränkungen sowohl vor 1620 als auch später kaum eingehalten und so wurde in Oberschlesien beispielsweise sechs bis zehn Jahre im Dienst gearbeitet, wodurch es nicht selten war, dass Knechte und Mägde aufgrund der Nähe zu Polen flüchteten.12
Den grundlegenden Vorteil des Einsatzes von Kindern in der landwirtschaftlichen Arbeit formulierte Klaus Baltzer 1957 folgendermaßen: „ Die Vielfalt bäuerlicher Arbeitsverrichtungen und die enge Verbindung des Menschen mit seiner Arbeit begünstigen die Mithilfe der Bauernkinder.“13
So ist es für das Kind eines Bauern auch heute noch üblich, dass es bei Arbeiten wie dem Ausmisten des Stalles oder beim Füttern der Tiere mithilft und dies als ganz selbstverständlich ansieht und keineswegs mit „echter Arbeit“ gleichstellt.
Gerade deshalb liegt die grundlegende Schwierigkeit in der wertmäßigen Erfassung der landwirtschaftlichen Kinderarbeit laut Baltzer darin, dass die Arbeitszeit hohen saisonalen Schwankungen unterlag und außerdem darin, dass kleinere Arbeiten wie die Beschaffung von Brennholz oder die oben genannten Stallarbeiten von der Kindern selbst nicht als Arbeit angesehen wurden14.
Ein zusätzlicher Vorteil der Kinderarbeit auf dem Land war vor allem der bedarfsgerechte Einsatz von Arbeitskräften. Demnach konnte der Bauer seine Kinder immer nur ab dem Zeitpunkt beschäftigen, sobald er die Arbeit allein nicht bewältigen konnte und musste sie nicht dauerhaft vertraglich beschäftigen, geschweige denn entlohnen.
Die Allgegenwärtigkeit der Landwirtschaft zu dieser Zeit wird unter anderem durch die Tatsache deutlich, dass Schulferien, gerade im Sommer, an die Zeiten hoher Anforderungen in der Landwirtschaft angepasst wurden und auch heute noch sind.15 So ist das Bundesland Bayern traditionell das Schlusslicht in Bezug auf die Sommerferien, was sich auf den großen Anteil ländlicher Regionen, die Erntezeit und den dadurch bedingten Bedarf an Kindern zurückführen lässt.
3.2 Industrielle Kinderarbeit
Eine damals vollkommen unbekannte Form der Kinderarbeit war die Arbeit in den neu aufkommenden Fabriken des 19. Jahrhunderts. Unter einer Fabrik, so Wolfram Fischer, sei „ eine Produktionsstätte verstanden, in der eine größere Anzahl von Menschen in arbeitsteiliger Organisation mit Hilfe von Antriebs- und Arbeitsmaschinen oder chemischen Prozessen […] Güter produziert.“16. Durch die aufkommende Industrialisierung fielen viele traditionelle Erwerbsformen weg, was zu einer Massenarmut führte, die die Eltern dazu zwang, die Kinder zur Arbeit zu schicken, um für den Mitverdienst der Familie zu sorgen. Außerdem waren Kinder für die Fabrikanten äußerst attraktiv, da sie weitaus weniger Lohn erhielten als ein erwachsener Arbeiter.17 Des Weiteren sorgte die durch neue technische Erfindungen bedingte Substitution von menschlicher Tätigkeit zu maschineller Arbeit für das Wegfallen einiger Hürden, welche es zuvor den Kindern verhindert hatten, in der Industrie zu arbeiten.
So ergaben sich durch den Webstuhl oder die Dampfmaschine differenzierte Arbeitsschritte, die nichtmehr davon abhingen, dass die Arbeiter körperlich entwickelt und stark sein mussten. In anderen Worten: Die aus dem sozialen Wandel entstandene Armut und die gleichzeitige Technologisierung der Industrialisierung machten es den Kindern möglich, einer Beschäftigung in den Fabriken nachzugehen.
Eine typische Form der Kinderarbeit in den Fabriken war in der Textilindustrie das Zusammenknoten von gerissenen Fäden. Da die Finger von Kindern kleiner sind, waren diese besser geeignet, um solch diffizile Arbeiten zu erledigen. Falls Maschinen ausgefallen sind, konnten die Kinder auch darunter kriechen, um nachzusehen, wo der Fehler liegt. Ein weiteres Beispiel für Kinderarbeit innerhalb der Fabrik waren die Tabakfabriken. Hier wurden häufig Kinder eingestellt, um die Tabakblätter zu sortieren und die Stängel herauszuziehen. Vor allem aber im Textilgewerbe stieß man in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auf einen besonders hohen Anteil von Kinderarbeitern.18
Dass diese Kinderarbeiten häufiger dazu führten, dass Kinder Verletzungen ausgesetzt waren, wird unter anderem im Museum of Science and History in Manchester, England veranschaulicht. Hier wird an sich bewegenden Maschinen demonstriert, wie schnell die Kinder die heruntergefallenen Fäden aufheben mussten, bevor die Maschine in drei oder vier Sekunden zurückrauschte und das Kind, sollte es bis dahin nicht fertig sein, zerquetschte. Deshalb seien, so die Aussage in jenem Museum, vor allem Waisenkinder für diese Arbeit eingesetzt worden.19
Einen Eindruck über die Kinderarbeit bietet ein Reisebericht des Direktors des öffentlichen Unterrichts am Niederrhein aus dem Jahre 1815: „ Kinder von 6 Jahren werden bereits hinter die Maschinen gestellt, um dort selbst zur Maschine zu werden. Sechs Tage lang in jeder Woche […], auch wohl bei dringender Arbeit-sieben Tage, und jeden Tag von früh morgens bis spät abends “20.
Der Zustand in den Fabriken und die Gesundheit der Kinder wurde häufig hinterfragt, von den Fabrikleitern aber immer wieder – fälschlicherweise – als normal beschrieben. So ergibt ein Bericht aus dem Regierungsbezirk Minden im Jahr 1824, dass Kinder in der Schrewerschen Baumwollspinnerei von 5 Uhr morgens bis 8 Uhr abends mit einer Stunde Mittagspause nur leichten Arbeiten nachgehen und sich derselbigen Gesundheit, wie alle übrigen Kinder erfreuen.21 Auf eine Umfrage des Staatskanzlers von Hardenberg antwortete der Regierungspräsident in Berlin: „ Die Arbeiten erfordern stete Bewegung des Körpers, und sollen […] keineswegs verderblich wirken, da für frische Luft in den Fabriken gesorgt wird. Die Kinder bleiben also gesund.“22 Im Gegensatz hierzu stehen jedoch einige Berichte des geheimen Regierungsrates Keller. Einer sei an dieser Stelle zitiert: „[…] Spinnereien der Gebrüder Busch, die eher einer Mördergrube als einer Fabrik gleichsieht. Die Säle sind so niedrig, dass man unwillkürlich mit gebücktem Kopfe durch sie hindurchschreitet. […]; die Luft in den Sälen und die Wände mit dem Schmutze des zu verarbeitenden Materials […]; die Kinder, dementsprechend wahre Gebilde des Jammers, hohläugig und bleich, wie der Tod.“23
Folgendes Zitat von Rudolph Strauß gibt ebenfalls einen Eindruck, was die Fabrikkinder über sich ergehen lassen mussten: „ An manchen Orten besteht der Unterschied zwischen Zuchthaus und Fabrik nur darin, dass in ersterem die Prügelstrafe erlaubt ist, in letzterem bei den Erwachsenen nicht. An den unglücklichen Kindern wird das Prügelrecht oft in empörender Weise […] ausgeübt. “24
Es ist bekannt, dass die Kinder seit Beginn der gewerblichen, besonders aber seit der besonders ausbeuterischen Fabrikarbeit an diversen Krankheiten litten, unter anderem an Atemwegserkrankungen, Tuberkulose, Schlafmangel, gequetschten Gliedmaßen, Krätze, Flechten, Asthma, sog. „Blutspeien“ oder Augenentzündungen, um ein paar Beispiele zu nennen.25 So betrug deren durchschnittliche Lebenserwartung um 1850 gerade einmal ca. 35 Jahre.26
Es gibt zwar Zahlen über das Ausmaß der Kinderarbeit, jedoch sind diese kritisch zu betrachten. In den Anfängen der Fabrikarbeit wurden die Zahlen nur unzureichend und immer nur für verschiedene Regierungsbezirke dokumentiert, die Aufarbeitung hiervon würde jedoch den Umfang dieser Hausarbeit bei weitem überschreiten. In der späteren Zeit hingegen wäre dieses gemeinsame Erfassen durch die Einigung zum Deutschen Kaiserreich 1871 möglich gewesen, jedoch war dies auch eine Zeit, in der die industrielle Kinderarbeit immer mehr als Tabu-Thema angesehen wurde. Deshalb wurden die Zahlen häufig verfälscht, um eine schlechte Stimmung gegen die Unternehmerschaft zu verhindern.27 Nichtsdestotrotz, um einen Einblick zu geben, sind hier die Zahlen aus der Industriestadt Chemnitz im Jahre 1840. Hier wurde herausgefunden, dass 1500 Kinder in der Industrie beschäftigt waren, verglichen mit der Einwohnerzahl von 23 476 waren dies ungefähr 50 Prozent der dort lebenden Kinder.28 Bei dieser Zahl ist zu beachten, dass ein weiterer großer Teil der Kinder außerhalb der Fabriken, zum Beispiel in der Landwirtschaft arbeitete.
[...]
1 Rousseau, J.-J. und Schmidts, L. (1981). Emil oder über die Erziehung, Paderborn: Schöningh.
2 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 1794, Erster Teil, I, 1, §25.
3 Gesetz-Sammlung für die Kgl. Preußischen Staaten (Berlin, 1839), Nr. 12, §1 und 3.
4 Dörr, N. (2004), 165 Jahre Einschränkung der Kinderarbeit in Preußen: Ein Beitrag zum Beginn der Sozialgesetzgebung in Deutschland, Universitätsverlag Potsdam, 2.
5 Quandt, S. (1978). Kinderarbeit und Kinderschutz in Deutschland: 1783 - 1976; Quellen und Anmerkungen Paderborn: Schöningh Verlag, 9.
6 Dörr, a.a.O., 2.
7 Fischer, W. (1962). Der Staat und die Anfänge der Industrialisierung in Baden 1800 - 1850, Berlin: Duncker & Humblot.
8 Kuczynski, J. (1968). Studien zur Geschichte der Lage des arbeitenden Kindes in Deutschland von 1700 bis zur Gegenwart, Berlin: Akad.-Verlag, 4.
9 Bundeszentrale für politische Bildung: „Feudalismus“, unter: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-junge-politik-lexikon/161089/feudalismus, aufgerufen am 06.12.2019.
10 Krünitz, J. G. (1779). Das Gesindewesen, nach Grundsätzen der Ökonomie und Polizeiwissenschaft abgehandelt, Berlin, 49.
11 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 1794, Zweiter Teil, VII, 5, §185.
12 Kuczynski, a.a.O., 33–35.
13 Baltzer, K. (1957). Probleme der bäuerlichen Kinderarbeit, Philipps- Universität zu Marburg, 5.
14 Baltzer, a.a.O., 13.
15 Baltzer, a.a.O., 11.
16 Fischer, W. (1972). Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 359.
17 Dörr, a.a.O., 3.
18 Herzig, A. (1983). Kinderarbeit in Deutschland in Manufaktur und Protofabrik (1750-1850), In: Archiv für Sozialgeschichte 23, 329.
19 Bundeszentrale für politische Bildung: „Zur Geschichte der Kinderarbeit in Deutschland und Europa“, Jürgen Bönig, erschienen am 16.10.2012, zu finden unter: http ://www.bpb.de/apuz/146095/zur-geschichte-der-kinderarbeit?p=all, aufgerufen am 22.01.2012.
20 Meyer, A. H. G. (1971). Schule und Kinderarbeit, Universität Hamburg, 70.
21 Kuczynski, a.a.O., 72 f.
22 Quandt, a.a.O., 27.
23 Reisebericht des geheimen Regierungsrates Keller (Berlin, 1834), In: Quandt, a.a.O. 37.
24 Strauß, R. (1960). Die Lage und die Bewegung der Chemnitzer Arbeiter in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Berlin. Akademie Verlag, 62.
25 Vgl. Bohrmann, zitiert in: Boentert, A. (2007). Kinderarbeit im Kaiserreich, Paderborn: Schöningh, 334.
26 Vgl. Stark- von der Haar, E. und von der Haar, H. (1980). Kinderarbeit in der Bundesrepublik Deutschland und im Deutschen Reich, Berlin: Die Arbeitswelt Verlag, 15.
27 Kuczynski, a.a.O., 104.
28 Strauß, a.a.O., 178.