Die "Riester-Reform": Gelungene politische Intervention?


Seminararbeit, 2007

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Politische Steuerung in der funktional differenzierten Gesellschaft

3. Die Operationslogik von Politik und Wirtschaft in der Alterssicherung
3.1 Politik
3.2 Wirtschaft

4. Untersuchung der „Riester-Reform“
4.1 Altersvermögensgesetz 2001 und Alterseinkünfte- gesetz
4.2 Steuerungstheoretische Implikationen der Riester-Gesetzgebung

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die hier vorzustellende Arbeit widmet sich der Analyse der Entwicklung der staatlich geförderten kapitalgedeckten Rente in Deutschland („Riester-Rente“) unter systemtheoretischen Gesichtspunkten funktionaler Differenzierung und politischer Steuerung. Die Untersuchung soll einen Beitrag zu der Frage liefern, ob und warum die Riester Reform von 2001 und ihre in der Folgezeit entstandenen Korrekturmaßnahmen ein gelungenes steuerungspolitisches Projekt sind oder nicht. Diese Frage stellt sich deshalb, weil die Zahl der in der Wirtschaft abgeschlossenen Verträge von Riester-Produkten in den ersten Jahren nach Verabschiedung der Reform weit hinter den gesteckten politischen Erwartungen zurückblieb und erst seit Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes 2004 deutlich anstieg. Die mit der Reform seit 2001 verbundenen sozialpolitischen Ziele einer möglichst umfassenden Ausbreitung der zusätzlichen privaten Altersvorsorge in Deutschland haben sich also erst spät verwirklicht. Die Gründe für diesen schleppend eingetretenen wirtschaftlichen Wandel in Zusammenhang mit den politisch erlassenen Maßnahmen aufzudecken ist das Anliegen dieser Arbeit.

Vor diesem Hintergrund wird der wirtschaftliche Entwicklungsprozess der Riester-Rente anhand der politischen Maßnahmen des Altersvermögensgesetzes 2001 und des Alterseinkünftegesetzes 2004 untersucht. Es soll sich zeigen, inwieweit die von der Bundesregierung reklamierten Änderungen des Alterseinkünftegesetzes für den jüngeren Anstieg der abgeschlossenen Verträge der Riester-Rente verantwortlich sind, nachdem das Projekt bis 2005 schleppend angelaufen war (Abschnitt 4.2). Zuvor werden diese Gesetze inhaltlich vorgestellt sowie prozessual eingebettet und der Entwicklungsstand der Riester-Rente dargelegt (4.1).

Um den aufgezeigten Sachverhalt wie geschildert bearbeiten zu können, dient das systemtheoretische Konzept funktionaler Differenzierung und die damit verbundenen politischen Steuerungsprobleme in modernen Gesellschaften als theoretisches Hilfsmittel. Dieser Ansatz soll in der Arbeit zunächst vorgestellt werden (2). Inhaltlich umreißt das Konzept die Aufteilung der Gesellschaft in autonome, unterschiedlich operierende Funktionssysteme, von denen die Politik keinen herausgehobenen Status mehr für sich beanspruchen kann und deswegen auf Resistenzen in der Wirtschaft trifft. Das Gelingen der Implementation politischer Programme hängt laut Helmut Willke vor allem davon ab, inwieweit die Politik bei ihrer rechtlichen Rahmensetzung die Rationalitäten der gesellschaftlichen Zielsysteme berücksichtige, die sie adressiert. Entsprechend werden in einem nächsten Abschnitt die unterschiedlichen Rationalitäten der Politik und der Wirtschaft in Bezug auf Alterssicherung erläutert (3).

In einem Fazit soll schließlich die Ausgangsfrage beantwortet werden indem die steuerungspolitischen Ambitionen der damaligen rot-grünen Regierung unter Berücksichtigung der zuvor erarbeiteten Ergebnisse bewertet werden (5).

2. Politische Steuerung in der funktional differenzierten Gesellschaft

Die soziologische Systemtheorie weist modernen Gesellschaftsformen ein sie zwingend determinierendes Strukturmerkmal zu, welches mit entscheidenden Konsequenzen für die Möglichkeiten politischer Steuerung verbunden ist: Die funktionale Differenzierung. Funktional differenzierte Gesellschaften zeichnen sich grundsätzlich dadurch aus, dass sie in unterschiedliche Funktionssysteme aufgeteilt sind (z.B. Recht, Wirtschaft, Politik), die untereinander Autonomie gegenüber den jeweils anderen Systemen behaupten können. Diese funktionssystemspezifische Autonomie steht als wesentliches Merkmal funktionaler Differenzierung auch im Mittelpunkt der politischen Steuerungsdebatte und soll deshalb in diesem Abschnitt genau beleuchtet werden.

Die autonome Funktionsweise sozialer Systeme in modernen Gesellschaften zeichnet sich dadurch aus, dass jedes Funktionssystem der Gesellschaft anhand einer spezifischen Operationslogik funktioniert, an der sich die Kommunikation in den Systemen orientiert. Im politischen System ist dies Machtkommunikation, im Rechtssystem ist es die Kommunikation über Recht und Unrecht anhand geltender Gesetze, während sich die Wirtschaft am Zahlungsverkehr orientiert. Natürlich kann in jedem Funktionssystem auch deren Umwelt (also andere Systeme) sowie jegliche Arten von Inhalten kommunikativ thematisiert werden, allerdings immer unter dem Schleier der systemspezifischen Arbeitsweise: „So ist zum Beispiel für das politische System der politische Erfolg (wie immer operationalisiert) wichtiger als alles andere, und eine erfolgreiche Wirtschaft ist hier nur als Bedingung politischer Erfolge wichtig“ (Luhmann 1997, 747).

Diese Ausführungen problematisieren die Eigenschaften funktional differenzierter Gesellschaften und damit verbundener politischer Steuerungsansprüche in der Hinsicht, dass sie die Frage nach der Gewährleistung des Zusammenhalts der Gesellschaft unter den skizzierten Bedingungen moderner Differenzierungserscheinungen aufwerfen. In vormodernen Gesellschaften gebührte diese Rolle der Religion, die mit ihrer unhinterfragbaren Einflussnahme die Gesamtgesellschaft überwölbte und zusammenhielt. Heute sieht sich die Politik selbst und durch viele Beobachter bestätigt in dieser Rolle, die Einheit der Gesellschaft zu repräsentieren und integrativ auf die verschiedenen gesellschaftlichen Funktionsbereiche als Spitze der Gesellschaft einzuwirken. Diese Vorstellung jedoch ist der soziologischen Systemtheorie zufolge überholt. Durch funktionale Differenzierung verändert sich die Einheit von modernen Gesellschaften dahingehend, dass es in ihnen keine übergreifende, alle Teilsysteme einbeziehende Einheit von Gesellschaft geben kann. Jedes Funktionssystem sieht die Einheit der Gesellschaft in der systemeigenen Funktionslogik repräsentiert und kann gerade deshalb nicht den Anspruch erheben, die Gesamtgesellschaft zu repräsentieren, und dies gilt gleichermaßen für das politische System. (vgl. Luhmann 1997; Willke 2005).

An dieser Stelle ergeben sich grundlegende Friktionen mit Ansprüchen politischer Steuerung, definiert als „die Vorstellung, dass die Gesellschaft durch Politik zu einheitlichem, auf eine politische Zielvorgabe hin orientiertem Handeln veranlasst werden kann“ (Lange und Braun 2000, 19). Diese Vorstellung setzt eben genau jene Wandlungsfähigkeit der Politik voraus, die ihr laut der Systemtheorie versagt bleibt. Aus diesem Grund ist das Eintreten eines politisch geplanten Effektes einer bestimmten (Rechts-)Maßnahme grundsätzlich unwahrscheinlich, weil nämlich die Verarbeitung der über politische Machtkommunikation geschaffenen Rechtsnorm in den betroffenen Funktionssystemen über deren interne Operationslogik läuft. Werden etwa Gesetze verabschiedet mit dem Ziel, die Schwarzarbeit zu verhindern, indem Unternehmen im Falle der Beschäftigung von Schwarzarbeitern mit Geldstrafen belegt werden, so muss dies nicht zwangsläufig den gewünschten Effekt haben, wenn es sich für Firmen rechnet, die Strafen zu bezahlen weil sie mit der Beschäftigung der Schwarzarbeiter Einsparungen erzielen.

Entgegen dem grundsätzlichen systemtheoretischen Steuerungsskeptizismus offerieren bekannte Vertreter der Systemtheorie wie Helmut Willke dennoch einige für Politik zu berücksichtigende Aspekte für eine möglichst gelingende politische Intervention:

- Elaborierte Verfahren der politischen Interessenvermittlung
- Koordinationsstrategien zwischen Funktionssystemen abseits vom reinen Hierarchieprinzip der Politik
- Angemessene Rahmensetzung durch Politik unter Berücksichtigung der Rationalitäten anderer Funktionssysteme

(Quelle: Willke 2005)

Diese Kriterien werden bei der Bewertung der Riester-Reform noch eine Rolle spielen.

3. Die Operationslogik von Politik und Wirtschaft in der Alterssicherung

3.1 Politik

Die Alterssicherung wird im politischen System behandelt im Bereich Sozialpolitik. Inhaltlich geht es hier um Fragen und Definitionen sozialer bzw. generationenübergreifender Gerechtigkeit und damit verbundener Wertvorstellungen, die in Zusammenhang mit der Ausgestaltung von Alterssicherungssystemen stehen (vgl. Döring 2002). Entsprechend werden die politischen Konfliktlinien markiert durch Themen wie Armutsschwellen, finanzielle Verteilungsspielräume, oder die Reform von Systemstrukturen. Ausschlaggebend ist, dass die Entscheidung für oder gegen das eine oder andere politische Programm durch politische Akteure wie Parteien oder einzelne Abgeordnete nicht in erster Linie aus Gründen der Vernunft oder Überzeugung gefällt wird, sondern in Anlehnung an die machtorientierte Rationalität der Politik. Offizielle parteipolitische Standpunkte und Auffassungen zu bestimmten Themen müssen immer erst den Code des politischen Systems durchlaufen (Macht/Ohnmacht), bevor sie öffentlich geäußert werden können und dann selbstverständlich ideologisch und/oder moralisch gerechtfertigt werden können.

Dies sind keineswegs Vorwürfe an das etwaig verwerfliche Verhalten einzelner Politiker oder politischer Gruppen, sondern Ergebnisse rationaler Handlungsmuster aus den Zwängen des politischen Systems: Fährt man keine Wählerstimmen ein, handelt also nicht macht- sondern etwa vernunftbasiert, so riskiert man den Einflussverlust in der Politik und somit jegliche Chance auf Umsetzung einst gesetzter politischer Ziele. Je mehr Stimmen man demgegenüber erhält, desto größer der politische Einflussbereich.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die "Riester-Reform": Gelungene politische Intervention?
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Soziologie)
Veranstaltung
Alterssicherung im internationalen Vergleich
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V92926
ISBN (eBook)
9783638072489
ISBN (Buch)
9783640101832
Dateigröße
561 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Riester-Reform, Gelungene, Intervention, Alterssicherung, Vergleich
Arbeit zitieren
Patrick Sumpf (Autor:in), 2007, Die "Riester-Reform": Gelungene politische Intervention?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92926

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