Lesemotivation bei Jungen und Mädchen. Kann das Lesetagebuch die Lesemotivation beider Geschlechter fördern?


Bachelorarbeit, 2020

66 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretische Grundlagen zur Lesekompetenz und Lesemotivation
2.1 Lesekompetenz
2.1.1 Begriffsklärung
2.1.2 Das Mehrebenenmodell des Lesens nach Rosebrock und Nix
2.1.3 Empirische Befunde zur Lesekompetenz
2.2 Lesemotivation
2.2.1 Begriffsklärung
2.2.2 Erwartungs-Wert-Modell der Lesemotivation nach Möller und Schiefele
2.2.3 Einflussfaktoren von Lesemotivation
2.2.4 weitere empirische Befunde
2.3 Wechselwirkung der beiden Begrifflichkeiten

3 Geschlechterspezifisches Leseverhalten von Jungen und Mädchen
3.1 Lesemotivation bei Jungen und Mädchen
3.2 Gendersensible Förderung der Lesemotivation

4 Das Lesetagebuch als handlungs- und produktionsorientiertes Verfahren zur Motivierung von Schülerinnen und Schülern hinsichtlich ihrer Lesemotivation
4.1 Theoretische Grundlagen des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts
4.1.1 Herkunft des handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts und der Stellenwert heute
4.1.2 Merkmale und Funktionen des handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts
4.2 Das Lesetagebuch
4.2.1 Zielsetzungen und Funktionen des Lesetagebuchs
4.2.2 Aufbau und Inhalt eines Lesetagebuchs
4.2.3 Rolle der Lehrkraft
4.2.4 Chancen und Grenzen des Lesetagebuchs

5 Darstellung einer Unterrichtsreihe
5.1 Sachanalyse „Hanno malt sich einen Drachen“
5.2 Didaktische Analyse
5.3 Sequenzplan „Klassenlektüre: Hanno malt sich einen Drachen“
5.4 Verortung im LehrplanPus
5.5 Artikulationsschema zur Unterrichtsstunde „Mein Lesetagebuch“
5.6 Methodisch-didaktische Begründung

6 Fazit

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Anhang: Unterrichtsmaterial zur Stunde „Mein Lesetagebuch“

1 Einleitung

Lesen gilt als eine zentrale Grundvoraussetzung, um an dem gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Lernt man dies nicht frühzeitig, so sind wichtige Bereiche des alltäglichen Lebens nicht zu er­schließen. PISA (2001) (Programme for International Student Assesment) definiert Lesen als eine grundlegende Form des „kommunikativen Umgangs mit der Welt“, daher gehört es zum Kernbestand der kulturellen Literalität, über die jedes Mitglied in einer Gesellschaft im besten Falle verfügen sollte (vgl. Deutsches PISA Konsortium 2001, S.20). Darüber hinaus wird Lesekompetenz von der PISA-Studie als eine Fähigkeit definiert, geschriebene Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu reflektieren, um die eigenen Ziele erreichen zu können und das eigene Wissen weiterzuentwickeln. Diese Kompe­tenz ermöglich einem Individuum schließlich am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (vgl. Baumert et al. 2012, S.2). Dies zeigt die Notwendigkeit frühzeitiger Leseförderung auf.

Jungen und Mädchen stehen dem Lesen allerdings differenziert gegenüber. Sie unterscheiden sich zu­nächst in dem Umgang mit der Literatur, da Mädchen auf eine emotional-identifikatorische Leseweise abzielen, dahingegen steht bei Jungen die Informationsgewinnung im Vordergrund und somit ein kog­nitiv-intellektueller Lesestil. Des Weiteren interessieren sie sich für verschiedene Genres und Themen und zeigen somit unterschiedliche Interessen hinsichtlich des Lesens. Hurrelmann (1994) betont, dass dieser systematische Unterschied sich bereits am Ende der Grundschulzeit zeigt. Die PISA-Studie im Jahr 2000 stellte fest, dass die geschlechterspezifischen Leistungsdifferenzen hinsichtlich der Lesekom­petenz „teilweise darauf zurückzuführen [...] [sind], dass Jungen deutlich weniger Interesse und Freude am Lesen haben als Mädchen“ (Stanat et. al. 2012, S. 59).

Aus diesem Grund ist zu beachten, dass Leseförderung nicht nur auf die Förderung der Lesefähigkeiten und Lesefertigkeiten beschränkt sein sollte, sondern darüber hinaus bei den Schülerinnen und Schü­lern die Lust am Lesen, also die Lesemotivation, zu wecken. Hierbei sind beide Aspekte miteinander zu verknüpfen, denn „Lesefreude und -interesse sollten fruchtbar [gemacht] werden [.] für die Entfal­tung der Lesekompetenz, wie umgekehrt diese das genießende Lesen reicher und differenzierter ma­chen [sollte] [.]“ (Schiefele, Schaffner, Schneider 2004, S. 236).

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern sich die Lesemotivation bei Jungen und Mädchen unterscheidet und ob das Lesetagebuch eine geeignete Maßnahme ist, diese handlungs- und produktionsorientiert zu fördern. Zu Beginn wird auf die beiden Begrifflichkeiten der Lesekompetenz und der Lesemotivation näher eingegangen, wobei ihnen empirische Befunde zugrunde gelegt werden. Daraus resultiert die Notwendigkeit sich die beiden Geschlechter separat genauer anzusehen und den Gedanken der geschlechtersensiblen Förderung der Lesemotivation aufzunehmen. Im Anschluss wird die Methode des Lesetagebuchs vertieft, indem allgemeine Informationen zum handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht gegeben werden und schließlich im Detail das Lesetage­buch erläutert wird. Der theoretische Teil wird in eine Unterrichtssequenz praktisch eingebettet, hierzu wird eine ausgewählte Unterrichtseinheit genauer beschrieben.

2 Theoretische Grundlagen zur Lesekompetenz und Lesemotivation

Lesekompetenz und Lesemotivation sind zwei Faktoren, die sich gegenseitig bedingen und voneinan­der abhängig sind. Zunächst ist es jedoch sinnvoll, beide Faktoren getrennt voneinander zu betrachten und im Anschluss daran Lesekompetenz und Lesemotivation in Beziehung zueinander zu setzen.

2.1 Lesekompetenz

Nachdem die Schülerinnen und Schüler in der Grundschule die Grundzüge der Schriftsprache erwor­ben haben, beginnt langsam der Prozess des Lesens. Der Leseprozess soll automatisiert werden und die Schülerinnen und Schüler fangen an verstehend zu lesen. Außerdem eignen sie sich Lesegewohn­heiten an und entwickeln zu diesem Zeitpunkt eine habituelle Lesemotivation (vgl. Lenhard 2019, S. 126). Darüber hinaus ist es von großer Bedeutung, dass sich eine stabile Lesekompetenz entwickelt. Im Folgenden wird der Begriff der Lesekompetenz versucht zu definieren und anhand des Mehreben­enmodell des Lesens verständlich gemacht. Zuletzt werden in diesem Kapitel empirische Befunde zur Lesekompetenz aufgezeigt.

2.1.1 Begriffsklärung

Während vor einem Jahrhundert die Lesekompetenz als das schlussfolgernde Denken von Lesenden definiert wurde (vgl. Thorndike 1917), wird es gegenwärtig dem Konstrukt der „reading literacy“ zuge­ordnet, welches aus der angelsächsischen Tradition stammt (vgl. Föster 2018, S.74). Unter diesem Kon­strukt versteht man zunächst, dass das Lesen individuell und in bestimmten Situationen beziehungs­weise Kontexten eingesetzt werden kann (vgl. Bos et al., 2003, S.73). Auch die Fähigkeit, diese Kompe­tenz anzuwenden, um einem Text wichtige Informationen zu entnehmen, ist der Lesekompetenz zu­zuschreiben. Hierbei kann das eigene Wissen des Lesers und der Leserin erweitert werden (vgl. Bau­mert, Stanat & Demmerich 2012, S. 22), während er sich aktiv mit dem Text auseinandersetzt. Die Lesekompetenz eines Individuums wird daran gemessen, wie gut er die oben genannten Prozesse be­herrscht.

Der Leseprozess wird nach Kaspar H. Spinner (2009) als ein stufenartiger Prozess angesehen. Der Pro- zess beginnt mit dem elementaren Schritt, der Identifizierung eines Buchstabens als Zeichen. Das „S“ sollte zum Beispiel nicht länger als eine schlangenförmige Linie gesehen werden, sondern als der Buch- stabe an sich erkannt werden. Auf der zweiten Stufe gewinnt das Sprachwissen an Bedeutung, wobei die Buchstabenkombinationen eines Wortes als Wort erkannt werden. Die nächste Stufe kennzeichnet sich durch das Erkennen der semantischen und syntaktischen Zusammenhänge eines Satzes. Das 2 Erkennen und Erfassen von nicht ausdrücklich Gesagtem wird in der Leserpsychologie auch „Herstellen von Inferenzen“ (vlg. Spinner 2009, S. 8.) genannt. In der vierten Stufe spielt sich das Erkennen und Herstellen von Beziehungen zwischen den Sätzen bis hin zu übergreifenden Textstrukturen ab. Hierbei geht es „um die Fähigkeit, sich eine Gesamtvorstellung des Textsinnes zu bilden“ (Spinner 2009, S.8). Beispielhaft lässt sich hier eine Spielanleitung mit anschließendem Durchführen eines Spiels heranzie­hen: Beim Lesen einer Spielanleitung sollte sich eine Vorstellung des Spiels gebildet werden können, um in der Lage zu sein, das in der Anleitung Gelesene auf das Spiel anzuwenden. Zuletzt gehört eine eigene Einschätzung des Gelesenen zu dem Prozess des Lesens. Hierbei sollte sich der Leser bzw. die Leserin die Frage stellen, ob die gelesenen Informationen genutzt werden können und ob das Gelesene auch Sinn ergibt. Es ist allerdings anzumerken, dass der Leseprozess nicht nur von unten nach oben verläuft (bottom-up-Prozess) also von dem Buchstaben über die Reflexion hin zur Anwendung. Der Prozess kann auch in die entgegensetzte Richtung stattfinden (top-down), wobei beispielsweise ein Wort gelesen wird und sich dazu eine bildliche Vorstellung gemacht wird. Die Erkenntnis, dass auch top-down-Prozesse existieren, führt dazu, dass beim Buchstabenerlernen in der Grundschule nicht län­ger eine strikte Reihenfolge eingehalten wird, sondern auch zu anderen Methoden und Reihenfolgen gegriffen wird (vgl. Spinner 2009, S.9).

Der Leseprozess wird durch lebensbezogene und textbezogene Faktoren bedingt, welche das Bundes­ministerium für Bildung und Forschung hinsichtlich der Förderung der Lesekompetenz entwickelt hat (Artelt et al., 2007). Zu den lebensbezogenen Faktoren zählen die Merkmale eines Lesenden und seine Aktivität des Lesens, die textbezogenen Faktoren umfassen die Leseanforderungen und die Textbe­schaffenheit. Die Bedeutung des Gelesenen entsteht durch die Interaktion zwischen dem Lesenden, dem Text und dem Kontext (vgl. Föster 2018, S.74).

Zu den Merkmalen eines Lesenden gehört unter anderem das Vorwissen, was mit den Informationen aus einem gelesenen Text zusammengeführt werden muss und zu einem Textverstehen führt. Darüber hinaus ist der lexikalische Zugriff von Bedeutung, da so die Kenntnisse über die Wortbedeutung beim Lesen genutzt und wichtige Informationen von unwichtigen Informationen getrennt werden können. Um einen Text zu verstehen sollte ein Leser Textmerkmale kennen und erkennen können während er einen Text liest, wodurch das Vorwissen besser aktiviert wird. Unter den Leseanforderungen versteht sich die Art und Qualität des Lesens, welche sich an den Lesestoff und an die Leseabsicht koppeln soll­ten. Ein guter Leser ist in der Lage eine geeignete Lesestrategie an den Lesestoff anzupassen. Bei der Beschaffenheit des Textes handelt es sich um den Aufbau eines Situationsmodells während des Lesens: der Inhalt wird kohärent organisiert, wobei berücksichtigt wird, welche Sachverhalte bzw. Informatio­nen untereinander in Beziehung stehen. Darüber hinaus wird eine hierarchische Sequenz der Inhalte festgelegt, wobei die Thematik entweder vom Allgemeinen zum Besonderen geführt wird oder umgekehrt. Unter der Aktivität des Lesenden subsumieren sich unter anderem die Reflexion über In­halte und Sachverhalte des Textes, wie auch die eigene Verarbeitung des Textes. Ebenso findet eine effektive Selbstregulation statt, wobei Lesestrategien den Anforderungen und Situationen entspre­chend eingesetzt werden (vgl. Artelt et al. 2007, S.13ff).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Beim Lesen muss zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Lesern unterschieden werden. Der Unterschied besteht darin, dass das Lesen bei starken Lesern einen bewussten und aktiven Prozess umfasst, wobei Informationen des Textes mit eigenem Wissen verknüpft werden. Schwache Leser le­gen primär Wert darauf, Wörter und Sätze des Textes zu verstehen, während der Sinnzusammenhang des Gelesenen weniger erfasst wird. In Verbindung mit der Lesekompetenz steht auch das Lesever­ständnis, womit die Fähigkeiten des Lesens von einzelnen Wörtern, Sätzen und Texten gemeint ist. Die Lesekompetenz wird mit Hilfe des Leserverständnisses in empirischen Untersuchungen konkretisiert (vgl. Föster 2018, S. 74).

2.1.2 Das Mehrebenenmodell des Lesens nach Rosebrock und Nix

Auch Rosebrock und Nix (2017) haben sich mit der Thematik der Lesekompetenz beschäftigt und ein Mehrebenenmodell zur Gestaltung von Leselernprozessen im Unterricht entwickelt. Das Modell „be- nennt die verschiedenen Dimensionen des Lesens - die messbaren auf der Ebene des konkreten Leseprozesses, aber auch diejenigen auf der subjektiven und auf der sozialen Ebene“ (Rosebrock und Nix 2017, S. 14). Der Leseprozess ist dem­zufolge dreigeteilt und beschreibt zeitlich parallel ablaufende Dimensionen wäh­rend eines Leseprozesses, die sich hierar­chisch nicht unterscheiden.

Im Innenkreis des Modells befindet sich die Prozessebene, welche die Bildung lo­kaler Kohärenz durch die Verknüpfung von Buchstaben, Wörtern und Satzfolgen, als auch die Bildung von Sinnzusammen­hängen durch Sprach- und Weltwissen umfasst. Bei flüssigen Leserinnen und Lesern findet dieser sich langwierig entwickelnde Prozess automatisiert statt, ungeübte Leser können auf dieser Ebene Schwie­rigkeiten haben (vgl. Rosebrock und Nix 2017, S. 18). Ebenso findet der Prozess des komplexen Lese­verstehens auf der Prozessebene statt, wobei der Leser beim Lesen eine globale Kohärenz herstellt und sich somit ein Bild von dem macht, was er in dem Text liest. Hierbei zieht der Lesende sein vor­handenes Textmusterwissen heran, um den Text in seine Superstrukturen einzuordnen (vgl. Rosebrock und Nix 2017, S. 18).

Im Mittelkreis befindet sich die Subjektebene, wo unter anderem der Aspekt der Motivation und auch „die komplizierten und vielschichtigen Denkakte beim Lesen“ (Rosebrock und Nix 2017, S.20) einge­ordnet sind. Weitere Kompetenzen auf der Subjektebene sind der Einbezug des Weltwissens, die Re­flexion des Gelesenen und die innere Beteiligung beim Lesen eines Textes. Das bedeutet, dass ein Be­zug zum eigenen Leben und zu eigenen Wünschen hergestellt wird. Auch das Selbstkonzept eines Le­sers ist auf dieser Ebene angesiedelt, welches positiv als auch negativ sein kann und somit einen star­ken Einfluss auf die Lesemotivation eines Lesers und einer Leserin hat. Das Selbstkonzept eines Indivi­duums ist durch sein Umfeld geprägt und basiert auf Erfahrungen und Rückmeldungen, welche durch verschiedenen Lesesozialisationsinstanzen (Familie, Schule, Peer-Group etc.) verstärkt werden (vgl. Rosebrock und Nix 2017, S.22).

Den Außenkreis des Modells bildet die soziale Ebene eines Leseprozesses. Diese Ebene umfasst die Kommunikation im Anschluss an das Lesen eines Textes. Die Kommunikation kann in der Familie, in der Schule oder innerhalb der Peer-Group stattfinden und bietet dem Leser eine Intensivierung des Textverstehens und bildet für ihn einen verstärkten Leseanlass (vgl. ebd. S.23).

2.1.3 Empirische Befunde zur Lesekompetenz

Im Anschluss an die theoretischen Grundlagen werden im Folgenden die empirischen Befunde zur Le­sekompetenz näher betrachtet. Lesekompetenz bezeichnet laut dem Deutsche PISA-Konsortium (2001) die „Fähigkeit, geschriebene Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu reflektieren, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potenzial weiterzuentwickeln und am gesellschaftli­chen Leben teilzunehmen.“ Jede dritte Untersuchung der PISA-Studie widmet sich dem Kernbereich der Lesekompetenz von Jugendlichen im Alter von 15 Jahren. Bislang wurde im Jahr 2000, 2009 und 2018 die Lesekompetenz detailliert empirisch untersucht. Vor allem aber wurden im Jahr 2000 erschre­ckende Ergebnisse der Studie veröffentlicht, wobei man auch von dem sogenannten PISA-Schock spricht. Hierbei war vor allem auffällig, dass deutsche Schülerinnen und Schüler leicht unterdurch­schnittliche Ergebnisse erzielten im Vergleich zu anderen teilnehmenden OECD-Staaten (Organisation for Economic Cooperation and Development) (vgl. Lenhard 2019, S.50). Über die Jahre hinweg konnte jedoch festgestellt werden, dass die Lesekompetenz signifikant zunimmt: im Jahr 2015 lag die Lese­kompetenz mit 509 Punkten über dem OECD-Durschnitt, welcher bei 493 Punkten lag. Der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit einer äußerst niedrigen Lesekompetenz sank von 9,9% auf nahezu die Hälfte (5,2%). Diese Entwicklung ist für Mädchen und Jungen gleichermaßen profitabel, wobei die Dif­ferenz zwischen den Geschlechtern zunächst zunahm. Bei der Lesefreude ist ebenfalls ein positiver Trend zu erkennen: 2009 lag diese ebenfalls über dem ermittelten OECD-Durchschnitt (vgl. Artelt, Neumann und Schneider 2010, S. 93). Jedoch ist anzumerken, dass ein großer Anteil der Teilnehmer angab, nicht zum Vergnügen zu lesen. Zusammenfassend ist dennoch zu sagen, dass eine positive Ent­wicklung messbar zu erkennen ist.

Eine weitere Studie welche die Lesekompetenz empirisch untersucht ist die IGLU-Studie (Internatio- nale Grundschul-Lese-Untersuchung). Diese ermittelt das Lesekompetenzniveau am Ende der 4. Jahr- gangsstufe, welches sich im Jahr 2001 nicht gravierend von den Leistungen in anderen europäischen Ländern unterschieden hat. Es konnte eine geringe Variabilität zu anderen Ländern festgestellt werden und der Leistungsunterschied zwischen beiden Geschlechtern war geringer als bei der PISA-Studie. Nicht nur die Ergebnisse aus dem Jahr 2001 waren erfreulich, auch im Jahr 2006 konnten durchaus positive Ergebnisse festgestellt werden, wobei sogar eine überdurchschnittliche Leistung deutscher 6 Schülerinnen und Schüler belegt werden konnte (vgl. Bos et. al. 2007, S. 113f.). Es wurde eine geringe Streuung gemessen und der Anteil an schwachen Lesern war mit 13,2% verhältnismäßig klein, dennoch bedarf es hier Verbesserungspotential. Die Teilnehmer gaben an, überdurchschnittlich oft zu lesen und dies auch häufig mit Freude zu tun (vgl. Lenhard 2019, S.51). Der Durchschnittswert für Deutschland lag bei 536 Punkten, was die dritte von vier Kompetenzstufen umfasst. Somit befindet sich Deutschland im Vergleich zu anderen Teilnehmerstaaten im oberen Viertel. 10,3% des Mittelwerts erreichen aller­dings nur die erste Kompetenzstufe, 18,1% hingegen können in der vierten Kompetenzstufe eingeord­net werden. Dies weist auf ein besonders hohes Leistungsgefälle hin (vgl. Kollenrott et. al. 2007, S. 17).

2.2 Lesemotivation

Neben einer ausgeprägten Lesekompetenz spielt auch die Ausbildung einer stabilen Lesemotivation von Schülerinnen und Schülern eine große Rolle. Bei der Lesekompetenz stehen die kognitiven Fähig­keiten der Schülerinnen und Schüler im Vordergrund, diese wirken zwar auf die Lesemotivation ein, sind aber nicht ausschließlich für eine stabile Lesemotivation verantwortlich. Im Nachfolgenden Kapitel wird zunächst der Begriff „Lesemotivation“ erläutert und anhand des Erwartungs-Wert-Modell von Möller und Schiefele veranschaulicht. Darüber hinaus werden die Faktoren, welche auf die Lesemoti­vation einwirken und empirische Befunde zur Lesemotivation aufgezeigt.

2.2.1 Begriffsklärung

"Ein besonders bedeutsames, wenn nicht das bedeutsamste Ziel des Literaturun- terrichts ist die Ausbildung einer stabilen Lesemotivation." (Richter und Plath 2007, S. 21)

In diesem Zitat wird deutlich, dass Lesemotivation ein zentraler Bestandteil des (Literatur-)Unterrichts in der Schule ist, denn motivationale Überzeugungen gehören in der Pädagogik zu den einflussreichs­ten Faktoren um erfolgreich zu Lernen (vgl. Hasselhorn und Gold 2006, S.102). Lesemotivation kenn­zeichnet sich durch Motivationsprozesse während des Lesens aus, die langfristigen und komplexen Vorgängen zugrunde liegen und weit in die Identität eines Individuums reichen (vgl. Philipp 2013). Hierbei unterscheidet man zwei Kategorien von Lesemotivation: die extrinsische und die intrinsische Motivation (vgl. Förster 2018, Lenhard 2019, Ada und Valtin 2011). Ist das Lesen eines Schülers oder einer Schülerin von äußeren Faktoren geleitet, so spricht man von extrinsischer Motivation (vgl. Wild, Hofer, Pekrun 2006, S.217). Die extrinsische Motivation lässt sich wiederum in verschiedene Arten un­terteilen: leistungsbezogene Motivation, wettbewerbsbezogene Motivation, materielle Motivation und berufsbezogene Motivation (vgl. Schiefele 2008). Die leistungsbezogene Motivation kennzeichnet sich durch das Streben nach einer positiven Leistungsrückmeldung nach dem Lernen (hier Lesen) sei­tens der Eltern oder der Lehrkraft. Die wettbewerbsbezogene Motivation meint, dass primär gelesen wird um anderen überlegen zu sein bzw. sie zu übertreffen. Sozial motiviert ist jemand, wenn er durch die Handlung soziale Anerkennung erzielen kann. Wird jedoch ein materielles oder gegenständliches Ziel mit einer Handlung verfolgt, so handelt es sich um eine materiell motivierte Handlung. Zuletzt nennt Schiefele (2008) die berufsbezogene Motivation, wobei ein Individuum eine bestimmte berufli­che Laufbahn einschlagen möchte und aus diesem Grund zum Lernen motiviert ist. Eine Handlung fin­det bei extrinsisch motivierten Personen also oftmals nur dann statt, wenn die Handlung positive Kon­sequenzen mit sich bringt. Auf das Lesen bezogen heißt dies, dass ein extrinsisch motivierter Leser seinen Fokus auf die Folge seines Leseprozesses legt, was zum Beispiel ein Anreiz durch eine gute Note oder die Anerkennung der Lehrkraft und der Eltern sein kann. Folglich lässt sich festhalten, dass diese Beschäftigung ein Mittel zum Zweck ist und es sehr wahrscheinlich ist, dass der Leser sich über diesen extrinsisch motivierten Leseprozess hinaus nicht weiter mit dem Text beschäftigen wird (vgl. Spinath 2011, S. 47). Zudem wird ein extrinsisch motivierter Leser bzw. eine Leserin einen Leseprozess vermei­den, wenn er bzw. sie der Meinung ist, dass dieser mit einer schlechten Note oder fehlendem Lob einhergeht. Schlussfolgernd ist für den Erwerb der Lesekompetenz die extrinsische Motivation nicht von Vorteil (vgl. Spinath 2001, S.47).

Intrinsische Motivation hingegen ist ein Prozess, der von der handelnden Person selbst gesteuert ist. Es ist keine Steuerung durch äußere Einflüsse notwendig, um eine Handlung auszuführen bzw. zu ler­nen, auch wenn diese keinen Belohnungseffekt mit sich bringt. Eine intrinsisch motivierte Auseinan­dersetzung mit einem Lerninhalt bzw. einem Lerngegenstand wird also durch den eigenen Willen des Handelnden vollzogen (vgl. Wild, Hofer, Pekrun 2006, S. 216f.). Auch bei der intrinsischen Motivation kann zwischen zwei Varianten unterschieden werden: von der gegenstandszentrierten Lernmotivation wird gesprochen, wenn jemand aus Interesse oder Neugier lernt bzw. liest. Die Motivation ist tätig­keitszentriert, wenn der Lernende Freude am Lernen hat (vgl. Schiefele 2008, S.43). Der Unterschied zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation liegt also darin, dass ein Individuum bei der intrin­sisch motivierten Handlung durch die Aufgabe selbst motiviert ist, während bei einer extrinsisch moti­vierten Handlung die positiv erhofften Konsequenzen im Vordergrund stehen (vgl. Ryan and Deci 2000). Es konnte festgestellt werden, dass sich die intrinsische Motivation positiv auf den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern auswirkt, da der Leser bzw. die Leserin sich als selbstbestimmt wahr­nimmt und auch Freude beim Lernen bzw. Lesen aufbringt. Intrinsische Motivation wirkt sich auch positiv auf das Leseverhalten und die Lesekompetenz aus, da intrinsisch motivierte Kinder mehr Zeit für das Lesen aufwenden und das Gelesene tiefer verarbeiten (vgl. Ryan and Deci 2000). Aus diesem Grund gilt diese Art von Motivation als besonders wünschens- und förderungswert im Unterricht (vgl. Schiefele, Schaffner, Möller und Wigfeld 2012).

Außerdem muss zwischen Leseinteresse und Lesemotivation differenziert werden. Leseinteresse ist stark auf bestimmte Texte, Bücher oder Geschichten gerichtet und hat zur Folge, dass nur bestimmte Textsorten gelesen werden. Lesemotivation hingegen wird als eine „überdauernde Disposition für ziel­gerichtetes Handeln“ (vgl. Richter und Plath 2007, S. 21) gesehen, wodurch der Leser mit der durch­führenden Handlung einen Sinn verbindet (vgl. Heckhausen 1989, S.9ff.) und bestimmte Intentionen und Ziele verfolgt.

2.2.2 Erwartungs-Wert-Modell der Lesemotivation nach Möller und Schiefele

"Die aktuelle Lesemotivation einer Person bezeichnet das Ausmaß des Wunsches oder der Absicht, in einer bestimmten Situation einen spezifischen Text zu lesen" (Möller und Schiefele 2004, S.102)

Demzufolge liest eine Person dann, wenn es ihr in spezifischen Situationen sinnvoll erscheint, wenn sie davon ausgeht, dass ihr dieses Lesen "etwas bringt". Grundlage des Erwartung-Wert-Modells der Le­semotivation von Möller und Schiefele ist das Modell von Eccles, Adler, Futtermann, Goff, Kaczala, Meece und Midgley aus dem Jahr 1989. Nach Möller und Schiefele (2004) wird in dem Modell zwischen „sozialen Umwelteinflüssen, deren subjektive Verarbeitung und den motivationalen Überzeugungen einer Person unterschieden“. Die subjektive Verarbeitung und die motivationalen Überzeugungen ei­ner Person bedingen die Hauptkomponenten des Modells: die Erwartung und den Wert. Diese beiden Komponenten bedingen schließlich die Lesemotivation einer Person. Mit den Überzeugungen einer Person in Bezug auf das Lesen selbst ist die Wertkomponente stark verbunden, wozu zum Beispiel das Interesse und die Zielorientierung gehören. Hier muss sich der Leser bzw. die Leserin die Frage stellen, ob und warum der Text gelesen werden soll. Ein Zusammenspiel von dem emotionalen Zustand einer Person, der Wichtigkeit der erfolgreichen Aufgabendurchführung, der Nützlichkeit für zukünftige Ziele und der Kosten, die aufgewendet werden müssen, sind entscheidend für die Ausprägung der Lesemo­tivation. Die Erwartungskomponente des Modells wird unter anderem durch das lesebezogene Selbst­konzept und die lesebezogene Selbstwirksamkeit bedingt. Dies ist mit der Frage verbunden, ob der Leser den Text verstehen kann. Somit werden Erwartungen auch auf zukünftige Leistungen bezogen.

Das Selbstkonzept spielt eine große Rolle hinsichtlich der Lesemotivation, da Fähigkeitskonzepte das künftige Verhalten und Erleben von Personen nachhaltig beeinflussen. Dies bedeutet konkret für den Leseprozess, dass ein negatives Selbstkonzept eines Lesers dazu führen kann, dass ein empathischer Bezug wie das Interesse oder die Neugierde zu Büchern und Texten nicht länger ausgebildet wird (vgl. Gold 2018, S. 37ff.)

2.2.3 Einflussfaktoren von Lesemotivation

Karin Richter und Monika Plath haben sich mit der Erfassung von Lesemotivation beschäftigt und konn­ten in ihrem Befunden feststellen, dass es zwei Faktoren für Lesemotivation gibt. Der erste Faktor um­fasst die Motivation von Grundschülern hinsichtlich des Lesens von Büchern und Geschichten, wäh­rend sich der zweite Faktor auf die Motivation des Lesens von Comics, Bildgeschichten und Zeitschrif­ten bezieht (vgl. Richter und Plath 2007, S.42f.). Darüber hinaus konnten Richter und Plath Einfluss­faktoren für die Motivation zum Lesen von Büchern und Geschichten feststellen, während für den zweiten Faktor kein stabiles Modell erbracht werden konnte. Demzufolge beziehen sich die Einfluss­faktoren nur auf das Lesen von Büchern und Geschichten. Die Einflussfaktoren sind in Familie, Schule, Peer Group und individuelle Faktoren unterteilt (Abbildung 4).

Wie in der Grafik von Richter und Plath (2007) zu erkennen ist, hat die Familie eine große Bedeutung für die Motivation der Kinder hinsichtlich des Lesens. Vor allem ist dabei der Wunsch der Kinder mit den Eltern über etwas Gelesenes zu sprechen, sowie die Häufigkeit dessen, hervorzuheben. Somit be- steht ein enger Zusammenhang zwischen dem Kommunikationswunsch der Kinder und der Gesprächs­häufigkeit der Kinder mit den Eltern. Die Kinder geben an, wenn das Interesse der Eltern an ihrem Leseverhalten sehr groß ist, findet auch regelmäßig ein Austausch über die Literatur statt und der Wunsch an einem solchen Austausch weiter anzuknüpfen steigt. Hervorzuheben ist ebenfalls, dass die Schülerinnen und Schüler großen Wert auf Interesse seitens der Eltern an dem Lesen in der Freizeit legen. Mit dem Interesse steigt die Häufigkeit des Vorlesens, was schließlich mit dem Wunsch nach Kommunikation verbunden ist. Ebenso steht der Buchbestand der Familie mit der sozialen Schicht im Zusammenhang: je mehr Bücher in einer Familie vorhanden sind, desto wahrscheinlicher ist deren Bil­dungsnähe. Ebenso steht der Buchbesitz einer Familie mit der Häufigkeit des Vorlesens in Zusammen­hang: Je größer der Buchbestand einer Familie, desto häufiger erleben die Kinder, dass ihnen vorgele­sen wird (vgl. Richter und Plath 2007, S. 46).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein weiterer Einflussfaktor der Lesemotivation ist die Institution Schule. Hier können zwei Faktoren erkannt werden, zum einen der Spaß am Deutschunterricht, welcher eine zentrale Rolle einnimmt. Dieser Faktor wirkt unmittelbar auf die Motivation der Schülerinnen und Schüler ein und beeinflusst die Leseleistung umso stärker, welche schließlich mit der Lesemotivation übereinstimmt. Der zweite Faktor ist der Wunsch der Schülerinnen und Schüler nach Anschlussgesprächen mit der Lehrkraft und die faktische Häufigkeit solcher Gespräche, welche sich positiv auf die Freude am Deutschunterricht auswirken. Nicht nur in der Schule und im häuslichen Umfeld sind solche Gespräche von Bedeutung, auch im Freundeskreis haben Gespräche über Gelesenes Einfluss auf die Motivation der Schülerinnen und Schüler Bücher und Geschichten zu lesen (vgl. Richter und Plath 2007, S. 46).

Die individuelle Ebene der Studie von Richter und Plath konnte bestätigen, das Mädchen lieber lesen als Jungen, was durch das Fernsehverhalten der Jungen zu begründen ist, da diese mehr fernsehen als Mädchen (vgl. Richter und Plath 2007, S. 46f.).

Es ist also zu erkennen, dass die einzelnen Faktoren in Hinblick auf die Förderung der Lesemotivation sich gegenseitig beeinflussen.

2.2.4 weitere empirische Befunde

Neben der Studie von Richter und Plath gibt es noch weitere Ergebnisse aus empirischen Untersuchun­gen, welche Auskunft über die Lesemotivation geben. Insgesamt ist anzumerken, dass primär die intrinsische Motivation erforscht wurde und weniger die extrinsische Motivation. Wie bereits erwähnt, ist eine intrinsische Motivation im schulischen Kontext anzustreben. Längs- und Querschnittstudien in diesem Bereich konnten jedoch belegen, dass die Lesemotivation der Schülerinnen und Schüler im Laufe der Jahre abnimmt (vgl. Gambrell, Palmer, Colding und Mazzoni 1996, Rosebrock & Nix 2017, S.120). In Hinblick auf die Grundschule konnte belegt werden, dass bereits ab der zweiten Jahrgangs­stufe die Lesemotivation abnimmt (vgl. Richter und Plath 2005, S. 82, Rosebrock und Nix 2017, S.120), eine sinkende Lesemotivation in der dritten Jahrgangsstufe konnte durch McElvany, Kortenbruck und Becker (2008) bestätigt werden. In dem Berliner Längsschnitt (ebd.) wurden Kinder am Ende der drit­ten Klasse, in der Mitte der vierten Klasse und am Ende der sechsten Klasse befragt. Bereits in den ersten acht Monaten der empirischen Untersuchung konnte eine sinkende tätigkeitsspezifische intrin­sische Lesemotivation erkannt werden. Von dem zweiten zum dritten Messzeitpunkt sank die Lesemo­tivation erneut und im Gesamtverlauf der Untersuchung ist eine merkliche Abnahme der Lesemotiva­tion zu erkennen (vgl. McElvany, Kortenbruck & Becker 2007)

Leseforscher konnten darüber hinaus belegen, dass lesestarke Kinder eher intrinsische Motivation ent­wickeln als leseschwache Kinder (Vgl. Valtin et al. 2010, S. 58f.)

Des Weiteren konnte PISA 2000 feststellen, dass Jugendliche über ein geringes Maß an Lesefreude verfügen. Darüber hinaus gab ein großer Anteil der Schülerinnen und Schüler an, nicht zum Vergnügen zu lesen (vgl. Lenhard 2019, S.51). Dies hatte zur Folge, dass die Jugendlichen im internationalen Ver­gleich den viertletzten Platz belegten. IGLU 2006 konnte im Vergleich zum Jahr 2001 bessere Ergeb­nisse hinsichtlich der Lesemotivation belegen: 58% der Grundschulkinder lesen fast täglich und dies auch zum Vergnügen.

Insgesamt ist zu erkennen, dass die Lesemotivation bereits im Grundschulalter abnimmt, was sowohl Jungen als auch Mädchen betrifft. Aus diesem Grund ist es die Aufgabe der Lehrkraft diese frühzeitig zu fördern, sodass eine stabile Lesemotivation entstehen kann.

2.3 Wechselwirkung der beiden Begrifflichkeiten

In Hinblick auf den nachgewiesenen Zusammenhang der Leseleistung und der unterschiedlich ausge­prägten Motivation (vgl. Valtin et al. 2010, S. 58f.) ist es nun von Bedeutung die Wechselwirkung von Lesekompetenz und Lesemotivation zu beleuchten.

Lenhard (2019) nimmt an, dass es nicht nur eine einseitige Wirkung der Lesemotivation auf die Lese­kompetenz gibt, sondern dass die Lesemotivation umgekehrt auch von der Lesekompetenz abhängt: Je leichter es einem Kind fällt einen Text zu lesen, desto stärker empfindet es seine eigene Kompetenz, was zur Folge hat, dass er in Zukunft motivierter ist einen Text zu lesen (vgl. Artelt, Naumann, Schnei­der 2010, S.75). In diesem Zusammenhang ist die Menge des Gelesenen nicht entscheidend, sondern die Tiefe der Verarbeitung des Gelesenen und die Unterstützung der Lehrkraft bzw. ihre Rückmeldun­gen. Angesichts dessen ist es sinnvoll, motivationssteigernde Maßnahmen mit leistungssteigernden Maßnahmen zu kombinieren, sodass eine langfristige Motivation erzielt werden kann (vgl. Lenhard 2019, S.126). Somit stehen hier Lesemotivation und Lesekompetenz in Zusammenhang. Möller und Schiefele (2004) können ebenfalls einer Wechselwirkung zwischen Lesekompetenz und Lesemotiva­tion zustimmen, wobei hier eine vielfach positive Korrelation zwischen der intrinsischen Lesemotiva­tion und der Leseleistung vorliegt. Eine negative Korrelation konnte zwischen der extrinsischen Lese­motivation und der Leseleistung festgestellt werden (vgl. Wang & Guthrie 2004). Dies ist darauf zu­rückzuführen, dass extrinsisch motivierte Schülerinnen und Schüler kein tieferes Textverständnis er­langen können und es versäumen kognitive Strategien einzusetzen. Daraus lässt sich schließen, dass der Grad an intrinsischer Motivation das Verstehen des Textes bedingt und der Grad an extrinsischer Motivation die Leseleistung widerspiegelt. Je stärker ein Kind extrinsisch motiviert ist, desto schlechter ist seine Leseleistung und je stärker in Kind intrinsisch motiviert ist, desto besser wird er den Text ver­stehen (vgl. Wang & Guthrie 2004). Ein wesentlicher Einflussfaktor auf die Lesekompetenz ist die Menge an dem Gelesenen, wodurch festgestellt werden konnte, dass ein positiver Zusammenhang zwischen der intrinsischen Motivation und der Lesemenge herrscht. Ein negativer Zusammenhang be­steht zwischen der Lesemenge und der extrinsischen Motivation (vgl. Wang & Guthrie 2004).

Letztlich ist zwischen Lesekompetenz und Lesemotivation eine wechselseitige Beziehung zu erkennen, wobei sich die beiden Komponenten gegenseitig positiv beeinflussen (vgl. Artelt, Naumann & Schnei­der 2010).

3 Geschlechterspezifisches Leseverhalten von Jungen und Mädchen

Das Leseverhalten von Jungen und Mädchen unterscheidet sich hinsichtlich verschiedener Faktoren. In diesem Kapitel wird auf das geschlechterspezifische Leseverhalten von Jungen und Mädchen näher eingegangen. Zunächst bekommt der Leser bzw. die Leserin einen Einblick in die Lesemotivation der beiden Geschlechter. Aufgrund der differenzierten Motivationen wird im Anschluss die geschlechter- sensible Förderung genauer erläutert, welche dazu führen soll, eine möglichst hohe Lesemotivation bei Jungen und Mädchen zu erreichen.

3.1 Lesemotivation bei Jungen und Mädchen

Wie bereits zuvor erwähnt, ist schon ab der zweiten Jahrgangsstufe zu erkennen, dass die Lesemotiva­tion bei Schülerinnen und Schülern abnimmt. Jedoch muss hier zwischen den Geschlechtern unter­schieden werden: Mädchen haben in der Regel eine stabilere und stärkere Lesemotivation als Jungen, wobei die Lesemotivation schließlich gleichstark im Laufe der Zeit abnimmt (vgl. Sasse, Valtin 2011, S.9). Beim Leserverhalten von Mädchen und Jungen kann zwischen verschiedenen Faktoren unter­schieden werden, welche sich wechselseitig beeinflussen (vgl. zusammenfassend Böck 2007): erkenn­bar ist, dass sich Mädchen mehr Zeit nehmen um selbstbestimmt zu lesen als Jungen, dies ist vor allem bei erzählender Literatur der Fall. Auch hinsichtlich der Freude beim Lesen zeigen sich Unterschiede, denn Jungen stehen dem Lesen eher distanziert gegenüber, während Mädchen sich besser mit dem Lesen identifizieren können. Auch die Präferenzen für ein Lesemedium decken sich nicht, Mädchen lesen erzählende Literatur deutlich frequentierter als Jungen, denn die interessieren sich primär für Sachbücher und Comics, was Mädchen wiederum nicht besonders oft zur Hand nehmen. Zeitschriften, Internetseiten und Zeitungen werden von beiden Geschlechtern gleichermaßen oft gelesen, wobei sich wiederum die Themengebiete unterscheiden, welche mit den traditionellen Vorlieben von Jungen und Mädchen übereinstimmen. Die Präferenzen für die Modi der Kommunikation weichen ebenso vonei­nander ab, denn Mädchen bevorzugen Medien, bei denen Sprache und Schrift als verbal kommuni­zierte Modi im Mittelpunkt stehen. Jungen hingegen präferieren Medien, bei denen die Informationen und Inhalte über einen visuellen Modus vermittelt werden, womit zum Beispiel Bildschirme gemeint sind. Auch hinsichtlich der Genres haben sowohl Mädchen als auch Jungen ihre Vorlieben. Mädchen lesen häufiger narrative Texte, in denen Beziehungen im Mittelpunkt der Handlung stehen. Jungen bevorzugen informationsorientierte Texte, da sie ein besonderes Interesse für Sachthemen mitbrin­gen. Emotionale Themen werden bei Jungen im Kontext von anderen Welten gelesen, wobei Emotio­nen ein stückweit „verkleidet“ sind, was zum Beispiel bei Science-Fiction Büchern der Fall sein kann. Auch Bauanleitungen zeigen bei Jungen eine hohe Motivation. Jedoch sind sowohl Bauanleitungen als auch Comics schwierig in den Unterricht zu integrieren, letzteres schon eher. Zu diesen Genres werden passende Lesestrategien von beiden Geschlechtern verwendet. Kontinuierliches Lesen wird bei konti­nuierlichen Texten verwendet und selektives oder punktuelles Lesen wird bei nicht-kontinuierlichen Texten angewendet. Laut Böck und Weish (2002) hat der Grad der Bildung Auswirkung auf die ge- schlechterspezifischen Unterschiede, denn „je höher die Bildung, umso geringer sind die traditionellen geschlechterspezifischen Unterschiede und umso eher nähern sich die Mädchen und Jungen ihren Le­segewohnheiten- und -präferenzen aneinander an“.

Die IGLU-Studie im Jahr 2006 konnte feststellen, dass eine hohe Lesefreude am Ende der vierten Jahr­gangsstufe bei beiden Geschlechtern vorhanden ist. Dennoch gaben 9% der Mädchen und sogar 19% der Jungen an, außerhalb ihrer Schule niemals zu ihrem Vergnügen zu lesen. Auch PISA konnte ermit­teln, dass der Anteil an männlichen Jugendlichen, die nur lesen, wenn sie müssen mit 52% in Deutsch­land etwas höher ist als in anderen vergleichbaren Ländern, wo der Anteil bei 46% liegt. Eine wichtige durch PISA erworbene Erkenntnis ist, dass „bei vergleichbarer Freude am Lesen [...] also keine signifi­kanten Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen zu erwarten [sind]. Diese Befunde wei­sen darauf hin, dass die Geschlechterdifferenzen im Bereich Lesen zumindest zum Teil durch Unter­schiede in motivationalen Merkmalen vermittelt sind" (Deutsches PISA-Konsortium 2003, S. 265).

Andrea Berschti-Kaufmann (2017) bemerkt hinsichtlich der Genres, dass sowohl Mädchen als auch Jungen an Abenteuerliteratur interessiert sind, da hier eine Faszination von spannenden Geschichten erfahren werden kann. Ebenso betont sie, dass sowohl Jungen als auch Mädchen die Identifikation mit dem eigenen Geschlecht leichter fällt, was wiederum die Leseerfahrung eines Lesers deutlich intensi­viert (vgl. Berschti-Kaufmann 2017, S. 24). Kinder benötigen während des Leseprozesses Helden bzw. Heldinnen, mit denen sie sich identifizieren können oder denen sie sich möglichst nahe fühlen können, auch hier fällt die Identifikation mit dem eigenen Geschlecht leichter. Was eine intensive Leseerfah­rung weiter stärkt ist die Betroffenheit von dem Gelesenen und das Mittendrinsein in dem Gelesenen. Berschti-Kaufmann betont ebenso, dass „die meisten Kinder [.] ganz offensichtlich die Wiederholung eines erwarteten Geschichtenablaufs [brauchen], die ihnen die serienproduzierte Literatur Band für Band liefert“. Bringen Bücher, Texte und Geschichten eine gewisse Vorhersagbarkeit mit sich, so wird das Durchhalten während eines langen Textes erleichtert (vgl. Berschti-Kaufmann 2017, S.26).

3.2 Gendersensible Förderung der Lesemotivation

Hinsichtlich der unterschiedlichen Interessen von Mädchen und Jungen im Bereich des Lesens, ist eine gendersensible Förderung in Hinblick auf die Lesemotivation von Vorteil. Bei einer gendersensiblen Förderung werden die unterschiedlichen Orientierungen in Hinblick auf das Lesen von Jungen und Mädchen berücksichtigt. Gendersensible Förderung kennzeichnet sich dadurch, dass sie versucht An­gebote bereitzustellen, die diese unterschiedlichen Präferenzen von Jungen und Mädchen aufgreifen, um somit beide Geschlechter mit den ausgewählten Lesestoffen anzusprechen (vgl. Sasse und Valtin 2011, S. 83). Ebenso ist ein Merkmal der gendersensiblen Förderung, dass sie traditionelle Vorstellun­gen von weiblichen und männlichen Leseverhalten in Frage stellt und darüber hinaus versucht, diese aufzubrechen, um die Denk- und Handlungsspielräume zu vergrößern. Des Weiteren setzt sie sich mit Rollenbildern von Jungen und Mädchen, wie auch die der Pädagogen und Pädagoginnen auseinander (vgl. Sasse und Valtin 2011, S.83). Es ist von Bedeutung, die unterschiedlichen Potentiale des Lesens und der Lesemedien aufzugreifen, diese sind nicht konkret festgelegt, sondern können immer wieder verändert werden und mittels verschiedener Lesemedien variieren. Die Grundlage dieser Förderung liegt in dem geschlechtersensiblen Blick, welcher sowohl auf die Lesegewohnheiten und die Bedingun­gen gerichtet sein sollte als auch auf die Erfahrungen der Lesesozialisation eines Lesers (vgl. Sasse und Valtin 2011, S.85). Es sollte darauf geachtet werden, dass die Faktoren, in denen sich die Geschlechter letztendlich unterscheiden, nicht zu sehr in den Vordergrund gerückt werden, sodass Ähnlichkeiten möglicherweise in den Hintergrund fallen (vgl. Hurrelmann und Groeben 2004). Dies hat zur Folge, dass man die Geschlechterstereotypen verfestigt (vgl. Faulstich-Wieland, Weber und Willems 2004). Geschlechtersensible Förderung der Lesemotivation verfolgt nicht das Ziel, Mädchen und Jungen in ihrem Leseverhalten aneinander anzupassen. Es geht vielmehr darum, die traditionellen Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit aufzubrechen, zu erweitern und die Wahl- und Gestaltungsmöglichkei­ten im Leseunterricht beider Geschlechter zu vergrößern und neu zu erschaffen. Dies setzt jedoch vo­raus, dass sowohl die Unterschiede als auch die Ähnlichkeiten ernstgenommen werden und darüber hinaus beiden Geschlechtern selbst wahrnehmbar gemacht werden (vgl. Sasse und Valtin 2011, S.85f). Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern sollten Handlungsalternativen entwickelt werden, die daraufhin angeboten werden. Da Jungen dem Lesen oftmals distanzierter gegenüberstehen, ist es wichtig, dass sie vermehrt Maßnahmen der Lesemotivation und Lesekompetenzförderung brauchen, die auf sie abgestimmt sind (vgl. Sasse und Valtin 2011, S. 85). Dies soll jedoch nicht heißen, dass Mäd­chen keine Aufmerksamkeit bekommen sollen. Mädchen präferieren narrativ ausgerichtete Textgen­res, was bedeutet, dass ihnen das faktenorientierte und diskontinuierliche Lesen ein stückweit fehlt, was allerdings in vielen Berufsfeldern gefordert wird. Demzufolge ist es von Bedeutung, dass Mädchen in diesem Textgenre gefördert werden, da hier eine distanziertere Haltung zum Text gefordert ist, was sie bislang nur wenig genutzt haben, da narrative Texte verbundenes und identifikatorisches Lesen verlangen (vgl. Sasse und Valtin 2011, S. 85).

4 Das Lesetagebuch als handlungs- und produktionsorientiertes Ver­fahren zur Motivierung von Schülerinnen und Schülern hinsichtlich ihrer Lesemotivation

Das Lesetagebuch ist bekannt dafür, dass es Schülerinnen und Schüler hinsichtlich ihrer Lesemotivation fördern kann. Dieses Kapitel widmet sich dieser Methode, welche in den handlungs- und produktions­orientierten Literaturunterricht eingebettet werden kann.

4.1 Theoretische Grundlagen des handlungs- und produktionsorientierten Literatur­unterrichts

Zunächst soll eine theoretische Grundlage des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunter­richts geschaffen werden, wobei die Herkunft und der Stellenwert der Konzeption erläutert und an­schließend seine Merkmale und Funktionen aufgezeigt werden.

4.1.1 Herkunft des handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts und der Stellenwert heute

Ein produktiver Umgang mit Literatur findet bereits im Rhetorikunterricht in der Antike seinen Ur­sprung, hier wurden zunächst Fabeln verfasst, was als Übung dafür galt, um anschließend Reden ver­fassen zu können (vgl. Ludwig 1988, S. 13-15). Auch das Verfassen von poetischen Texten nach be­stimmten Vorgaben war zunächst in den Schulen verbreitet, ging dann allerdings im Laufe des 19. Jahr­hunderts zurück, weil neuere genieästhetische Vorstellungen literarischer Kreativität im Widerspruch zur Regelpoetik standen (vgl. Spinner 2013, S. 319). Dies hatte zur Folge, dass der Literaturunterricht schließlich auf die Rezeption von Texten beschränkt wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts, zu Zeiten der Reformpädagogik, wurden die schöpferischen Tätigkeiten für Kinder und Jugendliche in Anspruch ge­nommen. Die Verfahren, welche zu der Zeit entwickelt wurden, werden heute noch im handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht berücksichtigt. Jedoch wurden damals primär schreib- und nicht literaturdidaktische Ziele im Sinne des Aufsatzunterrichts verfolgt, welcher sich von gewissen Mustern und der damit verbundenen Bindung lösen sollte (vgl. Vorst 2007, S. 42-51).

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Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Lesemotivation bei Jungen und Mädchen. Kann das Lesetagebuch die Lesemotivation beider Geschlechter fördern?
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Note
1,3
Jahr
2020
Seiten
66
Katalognummer
V937693
ISBN (eBook)
9783346307781
Sprache
Deutsch
Schlagworte
lesemotivation, jungen, mädchen, kann, lesetagebuch, geschlechter
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Lesemotivation bei Jungen und Mädchen. Kann das Lesetagebuch die Lesemotivation beider Geschlechter fördern?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/937693

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