Zur strafrechtlichen Behandlung von Vorsatztaten deutscher Einsatzkräfte in Auslandseinsätzen


Bachelorarbeit, 2019

67 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Einleitung

Gutachten

A. Anwendung deutschen Strafrechts auf Auslandstaten
I. Territorialitätsgrundsatz
1. Völkerrechtliche Grundlagen
2. Die deutsche Rechtslage
3. § 5 StGB
II. Durchbrechungen des Territorialitätsgrundsatzes
1. Flaggenprinzip
2. Aktiver Personalitätsgrundsatz
3. Weltrechtsprinzip (WRP)
4. Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege
5. Exkurs: § 129 b Abs. 1 S. 2 StGB
III. Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs
1. Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs
2. Rechtliche Stellung des Internationalen Strafgerichtshofs
3. Voraussetzungen der Strafverfolgung – Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs
a) Zuständigkeit ratione personae
b) Zuständigkeit ratione temporis
c) Zuständigkeit ratione loci
d) Zuständigkeit ratione materiae
e) „Trigger mechanisms“
f) Grundsatz der Komplementarität
aa) Ausschluss internationaler Strafverfolgung
bb) Eingreifen internationaler Strafverfolgung – Anwendung des Komplementaritätsgrundsatzes
cc) Anwendung des Komplementaritätsgrundsatzes auf Deutschland
IV. Völkerstrafrecht
1. Begriff des Völkerstrafrechts
2. Aufgabe des Völkerstrafrechts
3. Zur straftheoretischen Begründung des Völkerstrafrechts
4. Völkerstrafrecht als Teil des Internationalen Strafrechts
5. Völkerrechtliche Zulässigkeit
6. Völkermord
7. Verbrechen gegen die Menschlichkeit
8. Aggression
9. Kriegsverbrechen
a) Kriegsverbrechen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten
b) Geschützte Interessen
c) Objektive Voraussetzungen eines bewaffneten Konflikts
d) Subjektive Voraussetzungen hinsichtlich des bewaffneten Konflikts
e) Der Zusammenhang der Einzeltat mit dem bewaffneten Konflikt
aa) Stellung des Täters
bb) Handlungen von Privatpersonen
cc) Motivation des Täters
f) Innere Tatseite
aa) Kenntnis des Täters vom Konflikt
bb) Wilfulness im Kriegsvölkerstrafrecht
g) Subjektiver Tatbestand
10. Zuständigkeit des GBA
V. Strafgesetzbuch
1. Sperrwirkung des Völkerstrafgesetzbuchs
2. Anwendbarkeit des Strafgesetzbuchs
a) Grundsätzliche Geltung 26 b) § 3 ff. StGB
aa) § 5 Nr. 12 StGB
bb) § 6 Nr. 9 StGB
cc) § 7 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB
dd) § 1a WStG
c) Geltung des StGB im bewaffneten Konflikt
aa) Rechtfertigungslösung
3. Schutzbereichsauslegung bei Auslandsbezug
4. Kenntnisnahme deutscher Ermittlungsbehörden von Auslandsstraftaten
5. Verfolgungspflichten bei Auslandsstraftaten
a) Verfassungsrechtliche Verfolgungspflicht
6. Verfolgungsübernahme
7. Unmittelbares Tätigwerden deutscher Behörden im Ausland
VI. Wehrstrafgesetz
1. Sperrwirkung des Völkerstrafgesetzbuchs
2. Sperrwirkung des Strafgesetzbuchs
3. Anwendungsbereich des Wehrstrafgesetzes
a) Persönlicher Anwendungsbereich
b) Sachlicher Anwendungsbereich
aa) Auslandstaten
c) Wehrstrafrechtliche Modifikationen
VII. Soldatengesetz

B. Begrenzung strafrechtlicher Behandlung durch Prinzipien und Normen des internationalen und nationalen Rechts
I. Tatbestandbegrenzende Normen
1. Hoheitliches Handeln
2. Sozial adäquates Handeln
3. Völkerrechtskonforme Schädigungshandlung
II. Subjektive Tatseite
III. Materielle Rechtfertigungs- und Strafausschlussgründe
1. Internationale Vorgaben
a) Mandat des UN-Sicherheitsrates
b) Völkerrechtskonforme Schädigungshandlung
2. Internationale und nationale Rechtfertigungs- und Strafausschlussgründe
a) Handeln auf Befehl
aa) Theorien zur Wirkung des Handelns auf Befehl
(1) Respondeat-Superior
(2) Absolute Liability
(3) Manifest Illegality Principle
(4) Fazit
bb) Vorliegen eines militärischen Befehls
cc) Rechtsmäßigkeit von Befehlen
dd) Verbindlichkeit von Befehlen
ee) Rechtfertigung durch Handeln auf Befehl
(1) Rechtmäßiger, verbindlicher Befehl
(2) Rechtswidriger, unverbindlicher Befehl
(3) Rechtswidriger, verbindlicher Befehl
b) Rules of Engagement/ Taschenkarte
c) Notwehr
d) Nothilfe, § 32 Abs. 2 Alt. 2 StGB
aa) Nothilfe im Auslandseinsatz
e) Notstand
f) Irrtümer
g) Unzurechnungsfähigkeit
h) Ungeschriebene Strafausschlussgründe
i) Sonstige Strafausschlussgründe
aa) Keine Immunitäten
bb) Unverjährbarkeit
j) Beteiligung mehrerer
k) Vorgesetztenverantwortlichkeit
l) Gesetzt über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch die Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen (UZwGBw)
3. Allgemein anwendbare Rechtfertigungsgründe bei der Anwendung militärischer Gewalt
4. Subjektives Rechtfertigungselement
IV. Schuld
1. Erlaubnistatbestandsirrtum
2. Verbotsirrtum, § 17 StGB
3. Handeln auf Befehl
4. Entschuldigender Notstand, § 35 StGB
5. Anwendbare Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe

Abkürzungsverzeichnis

Abs. Absatz

a.E. am Ende

Art. Artikel

AT Allgemeiner Teil

BBG Bundesbeamtengesetz

bzw. beziehungsweise

d.h. das heißt

ETBI Erlaubnistatbestandsirrtum

EU Europäische Union

EuRhÜbk Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen

EUTS EU-Truppenstatut

evtl. eventuell

GBA Generalbundesanwalt beim

Bundesgerichtshof

GG Grundgesetz

GVG Gerichtsverfassungsgesetz

Hs. Halbsatz

IGH Internationaler Gerichtshof

IMT International Military Tribunal

IRG Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen

ISAF International Security Assistance Force

IStGH Internationaler Strafgerichtshof

i.V.m. in Verbindung mit

JStGH Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien

lit. (lat. littera) Buchstabe

Nr. Nummer

NS Nationalsozialismus

NTS NATO-Truppenstatut

preuß. preußisch

Rdnr./ Rn. Randnummer

ROE Rules of Engagement

RStGB Reichsstrafgesetzbuch

S. Satz

SG Soldatengesetz

SOFA Status of Forces Agreement

sog. so genannt

StGB Strafgesetzbuch

StPO Strafprozessordnung

SVN Charta der Vereinten Nationen

UZwGBw Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch die Soldaten der Bundes- wehr und zivile Wachpersonen

VStGB Völkerstrafgesetzbuch

VN Vereinte Nationen

WDO Wehrdisziplinarordnung

WRP Weltrechtsprinzip

WStG Wehrstrafgesetz

z.B. zum Beispiel

ZP I GK Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I)

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

„Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“ Carl von Clausewitz, Vom Kriege

Die auf Carl von Clausewitz zurückgehende Definition des Krieges als Durchsetzung eines politischen Willens mit Mitteln der Gewalt ist kein historisches Auslaufmodell, sondern noch heute ein Garant zur Begründung des internationalen Terrorismus und transnationaler Konflikte, die das 21. Jahrhundert in hohem Maße bestimmen werden. Seit mehr als zwanzig Jahren sammelt das deutsche Militär bei Einsätzen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland Erfahrungen. Polizei und private Sicherheitskräfte leisten in Kriegs- und Krisengebieten umfassende Unterstützung. Dass diese Einsatzkräfte in Auslandseinsätzen vor besonderen Herausforderungen stehen und durch ihren risikobehafteten Auftrag und Handeln in hochkomplexen, unübersichtlichen Einsatzlagen und extremen Gefahrensituationen in strafrechtlich relevante Gemengelage verwickelt werden können, spiegelt sich in der Diskrepanz zwischen einsatzbedingtem Handeln und juristischem Vorgehen wieder. Indes werden Einsatzkräfte in trügerische Schlamassel verstrickt, in denen terroristische Netzwerke Kinder rekrutieren und als Schutzschild benutzen. Mitunter geraten Einsatzkräfte im Nebel des Krieges in Verlegenheit, wen es zu vertreiben und wen es zu schützen gilt. Dabei stehen Einsatzkräfte mit Sorgen, Ängsten und Bedürfnissen heute neuen Herausforderungen von Terror, Guerillakrieg, Hinterhalten, Feuerüberfällen, Gefechten und menschenverachtender Skrupellosigkeit gegenüber. Dies schließt die Gefährdung der Gesundheit mit ein und verlangt in letzter Konsequenz den Einsatz des eigenes Lebens sowie im Kampf auch zu töten. Die Einbindung in eine hierarchische Organisation mit klaren Über- und Unterordnungsverhältnissen, das militärisch unabdingbare Prinzip von Befehl und Gehorsam sowie eine sehr weit reichende Treuepflicht, die auch den Einsatz des eigenen Lebens verlangt, kennzeichnen den soldatischen Dienst. Darüber hinaus haben Soldaten Verfügungsgewalt über Waffen und Machtmittel mit erheblichem Zerstörungspotential einschließlich der Befugnis und Verpflichtung, diese unter bestimmten Voraussetzungen einzusetzen.

Die Auftragserfüllung im politisch legitimierten Einsatz nimmt demgegenüber Konsequenzen in Kauf, wie die Gefährdung der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder die Belastung, gegebenenfalls töten zu müssen, beziehungsweise die Verantwortung, Befehle zu geben, bei denen Töten oder der Verlust von eigenen Kräften nicht ausgeschlossen werden können. Hierzu addieren sich permanent extreme körperliche Belastungen und die spezifischen Stressfaktoren durch die Konfrontation mit Tod, Verwundung, Zerstörung, Leid, Elend, Chaos, Terrorakte und lang anhaltende Kampfsituationen, gepaart mit räumlicher Enge und fehlender Privatsphäre durch das Feldlagerleben, respektive das Leben an Bord von Schiffen, 24-Stunden-Dienste, ausufernde Bürokratie, mangelhafte Ausrüstung, lange Familientrennungen, extreme Klima- und Umweltbedingungen oder interkulturelle Konflikte. Aufgrund der asymmetrischen Kriegsführung terroristischer Akteure ist die Bedrohung jedoch nicht allein auf die Kampfsituation beschränkt, sondern ein Anschlag kann jederzeit an jedem Ort erfolgen. Je nach Einsatzgebiet kommen diffuse Bedrohungen durch Raketenangriffe, Mörsereinschläge, Scharfschützen, Minen, versteckte Sprengfallen (Improvised Explosive Device, IED) oder heimtückische Selbstmordattentate hinzu, die den enormen psychischen Belastungsdruck der Einsatzkräfte verstärken. Zudem zehrt bei Temperaturen von über 40 Grad Celsius das Zusatzgewicht von 30 Kilogramm und mehr an den Kräften und schränkt die Beweglichkeit der Einsatzkräfte ein. Indes teilen die verschiedenen Einsatzkräfte die Erfahrung einer fehlenden öffentlichen Wahrnehmung und Wertschätzung für weltweite Hilfeleistungen und nehmen das freundliche Desinteresse der Bevölkerung in der Heimat zur Kenntnis.

Erst als die Debatte über das durch den damaligen PRT-Kommandeur angeordnete Bombardement zweier entführter Tanklaster Anfang September 2009 bei Kundus durch das von der Bundesanwaltschaft eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren in den Fokus der deutschen Bevölkerung geriet und sich auch der Verteidigungsausschuss als parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit den Vorgängen um die Luftangriffe auf die Tanklaster befasste, korrigierte sich der Blick auf die Einsatzrealität und es schärfte sich das Bewusstsein der Öffentlichkeit über die strafrechtliche Tragweite von einsatzbedingten Handlungen deutscher Einsatzkräfte.

Einen materiellen Zusammenhang stellt der Münchner Schriftsteller und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach in seinem kontrovers diskutierten Theaterstück und gleichnamigen Fernsehfilm „Terror“ (Erscheinungsdatum 12. Oktober 2016) her, indem er den Zuschauer mit einem Dilemma konfrontiert: Darf man Menschenleben opfern, um andere zu retten? Es ist ein Szenario, wie es seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in der Politik immer wieder diskutiert wurde. Die Anklage: Mord in 164 Fällen. Der junge Kampfpilot und Luftwaffenmajor Lars Koch hat einen von Islamisten entführten Airbus, der Kurs auf die Münchner Allianzarena genommen hat, abgeschossen und damit gegen seine Befehle verstoßen. Kein Passagier überlebte, der Airbus aber ist statt in das mit 70.000 Menschen vollbesetzte Stadion auf einen Kartoffelacker gekracht. Koch, der auf einem Fliegerhorst in Wittmundhafen stationiert ist und den Vorwurf einräumt, hat also 164 Menschen geopfert, um 70.000 zu retten.

Ferdinand von Schirach legt seinem Stück eine Verfassungsklage von dem liberalen Bürgerrechtler Gerhart Baum, der von 1978 bis 1982 Innenminister unter Bundeskanzler Helmut Schmidt war, zugrunde, in der ein Abschuss einer gekaperten Linienmaschine durch die Bundeswehr vom Bundesverfassungs-gericht verboten wird. Im Kern geht es in dem Kammerspiel „Terror“ um die Frage: Darf sich ein Soldat über das Gesetz und seine Befehle stellen, wenn er sein Handeln als moralisch geboten sieht?

Der fiktive Charakter Koch entschied sich, den verfassungsrechtlichen Grundsatz, dass Leben nicht mit Leben aufgewogen werden dürfe, außer Acht zu lassen. Er hielt die Leben von 164 Menschen für weniger wert als die von 70.000. Damit verstieß er gegen die ersten beiden Artikel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Sie garantieren die Würde des Menschen und seine körperliche Unversehrtheit. Demgegenüber lässt Schirach seinen Protagonisten mit einer vor allem im englischen Recht verbreiteten Auffassung argumentieren. Demzufolge seinen die Passagiere an Bord des Airbus ohnehin dem Tod geweiht gewesen, wohingegen die Menschen im Fußballstadion dies nicht gewesen seien. Der Soldat wägt Leben mit Leben ab und entscheidet sich in einer Situation, in der es so oder so Opfer gegeben hätte, für das kleinere Übel. Das Publikum hat sich sowohl im Theater als auch vor dem Fernsehschirm, stets eine klare Meinung gebildet und sich hinter den Soldaten gestellt. Von den 168.000 Theaterbesuchern plädierten 60 Prozent für Freispruch. Bei den Fernsehzuschauern waren es sogar 87 Prozent.

In der Tat ist die Tötung der Passagiere mit Ausnahme der Terroristen rechtswidrig. Das Grundgesetz verbietet dem Staat ausdrücklich, bei der Entscheidung über Menschenleben kleinere gegen größere Übel abzuwägen und das Bundesverfassungsgericht hat die entsprechende Passage des von der Bundesregierung im Jahr 2005 erlassenen Luftsicherheitsgesetzes mit der Begründung gekippt, dass Leben nicht mit Leben aufgewogen werden darf. Demnach hat der Bundesverteidigungsminister nicht das Recht, einen Abschuss zu befehlen. Für den Soldaten Lars Koch gilt indes der Paragraph 35 des Strafgesetzbuches: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld.“ Die Argumentation vieler Zuschauer zielt genau auf diesen Punkt ab. Dies mag auch am Zeitgeist liegen, zumal der Film „Terror“ zu einer Zeit gezeigt wurde, als die Terrorangst der Deutschen sehr hoch war. Soweit zu einem fiktiven innerdeutschen Szenario.

Demgegenüber ist der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ein strafrechtlich relevantes Verhalten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Ziel der nachstehenden Ausarbeitung soll es sein, die strafrechtliche Behandlung von Vorsatztaten deutscher Einsatzkräfte im Auslandseinsatz, im Rahmen der formalen Vorgaben, möglichst umfassend darzustellen. Dazu soll zunächst überblicksartig der Komplex der völker- und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Anwendung deutschen Strafrechts auf Auslandstaten dargestellt und die Frage beantwortet werden, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen deutsche Staatsbürger in Auslandseinsätzen dem deutschen Strafrecht unterliegen. Auf dieser Basis folgt eine substantiierte Auseinandersetzung mit der strafrechtlichen Behandlung von Vorsatztaten in Auslandseinsätzen. Hierbei werden die spezifischen Problematiken hinsichtlich der Begründung, Begrenzung und dem Ausschluss strafrechtlicher Behandlung unter Bezugnahme auf nationale und internationale Normen erörtert. Insofern soll eine abstrakte Darstellung geschaffen werden, nach welchen strafbarkeits-begründenden und strafbarkeitsbegrenzenden Normen deutsche Einsatzkräfte einer Strafverfolgung zugeführt oder aufgrund der Einbindung in internationale Strukturen, respektive eines nationalen hoheitlichen Auftrages, von einer strafrechtlichen Behandlung freigestellt werden.

Gutachten

A. Anwendung deutschen Strafrechts auf Auslandstaten

I. Territorialitätsgrundsatz

1. Völkerrechtliche Grundlagen

Der Territorialitätsgrundsatz- oder Gebietsgrundsatz knüpft an den Tatort an und weist damit demjenigen Staat die Strafgewalt über alle auf seinem Hoheitsgebiet begangenen Taten zu, der die Gebietshoheit ausübt. Der Grundsatz ist Ausdruck der inneren Souveränität des Tatortstaates, auf die Staatsangehörigkeit des Täters kommt es nicht an. Der Grundsatz ist wegen der Nähe des Tatortstaates zur Tat kriminalpolitisch sinnvoll und völkerrechtlich anerkannt.1

2. Die deutsche Rechtslage

Das Territorialitätsprinzip hat sich im deutschen Strafrecht in der Mitte des 19. Jh. durchgesetzt (§ 4 Abs. 1 preuß. StGB v. 1851, § 3 RStG v. 1871) und galt bis zur NS-Geltungsbereichsverordnung vom 6. Mai 1940, mit der das aktive Personalitätsprinzip zum Regelprinzip des Strafanwendungsrechts erhoben wurde. Erst mit § 3 des 1975 in Kraft getretenen neuen AT des StGB wurde das Territorialitätsprinzip wieder zum – völkerrechtskonformen – Grund und Ausgangsprinzip des deutschen Strafanwendungsrechts gemacht.2

3. § 5 StGB

Über § 5 StGB findet das deutsche Strafrecht punktuell auf Auslandstaten Anwendung, soweit nach Ansicht des Gesetzgebers das Territorialitätsprinzip dem Schutz wichtiger Rechtsgüter der Allgemeinheit bzw. einzelner Staatsbürger nicht gerecht wird oder es eine missbräuchliche Verlegung des Tatorts in das Ausland zu verhindern gilt. Damit wird die in § 3 StGB zum Ausdruck kommende grundsätzliche Selbstbeschränkung des deutschen Strafrechts auf Inlandstaten relativiert. Das deutsche Strafrecht gilt deshalb für die aufgelisteten Tatbestände – nicht jedoch für solche Delikte, die tateinheitlich damit verwirklicht werden – auch dann, wenn die Tat keinerlei territorialen Bezug zu Deutschland aufweist und ohne Rücksicht auf das Tatortstrafrecht. Das deutsche Strafrecht kann hier also Sachverhalte erfassen, die am Tatort weder unter Strafe stehen, noch dort irgendein Rechtsgut gefährden.3

II. Durchbrechungen des Territorialitätsgrundsatzes

Das Territorialitätsprinzip bildet den Ausgangspunkt der Bestimmung nationaler Strafgewalt, da es an das Hoheitsgebiet des Tatortes anknüpft und damit Jurisdiktionskonflikte vermieden werden. Hingegen gilt es zu beachten, dass weitere strafanwendungsrechtliche Grundsätze das Territorialitätsprinzip durchbrechen können. Diese unterscheiden sich in erster Linie dadurch, dass sie für im jeweiligen Ausland begangene Taten gelten und die Strafgewalt beanspruchen.

1. Flaggenprinzip

Nach dem Flaggengrundsatz steht die Hoheitsgewalt über Schiffe, Luftfahrzeuge und Weltraumfahrzeuge dem Staat zu, dessen Flagge sie führen oder in dem sie registriert sind. Der Flaggenstaat übt damit auch die Strafgewalt über die auf dem Schiff oder im Flugzeug begangenen Straftaten aus, unabhängig davon, wo es sich zum Tatzeitpunkt befindet und welche Staatsangehörigkeit die Täter haben. Durch § 4 ist der völkerrechtlich anerkannte Flaggengrundsatz kodifiziert. Es ist daher völlig gleichgültig, an welcher Stelle im Ausland sich das Fahrzeug befindet, ob auf einem ausländischen Flughafen, im ausländischen Küstenmeer oder auf hoher See. Die Vorschrift schließt damit eine Strafverfolgungslücke, die auf staatenlosem Gebiet, insbesondere auf hoher See und dem darüber liegenden Luftraum auftreten kann. Die Vorschrift macht zudem die Feststellung des Tatortes bei Schiffen und Flugzeugen überflüssig und vermeidet damit schwierige Abgrenzungsprobleme, vor allem bei schneller Durchquerung mehrerer Lufthoheitsgebiete durch Flugzeuge.4

2. Aktiver Personalitätsgrundsatz

Beim aktiven Personalitätsgrundsatz knüpft die Strafgewalt – unabhängig vom Tatort – an die Staatsangehörigkeit des Täters an. Der damit verbundenen extraterritorialen Anwendung des inländischen Strafrechts auf Auslandstaten der eigenen Staatsangehörigen liegt der völkerrechtliche Grundsatz der Personalhoheit über die eigenen Staatsangehörigen zugrunde. Der Grundsatz ist völkerrechtlich anerkannt und auch im ausländischen Recht verbreitet, wobei ein praktisches Bedürfnis nach ihm insbesondere in solchen Rechtssystemen besteht, die die Auslieferung eigener Staatsangehöriger verbieten, also insbesondere in denen des kontinentaleuropäischen Rechtskreises, dem auch die meisten lateinamerikanischen Rechtsordnungen angehören. Begeht also ein Deutscher außerhalb der EU eine Straftat, könnte er sich der Strafverfolgung entziehen, indem er nach Deutschland zurückreist und sich auf Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG beruft.5

3. Weltrechtsprinzip (WRP)

Weltrechtsgrundsatz bzw. Weltrechtsprinzip erlauben die weltweite Verfolgung extraterritorialer Taten unabhängig von Tatort und Staatsangehörigkeit von Täter bzw. Opfer. Das Weltrechtsprinzip verzichtet nicht nur auf das Erfordernis einer identischen Tatortnorm, sondern schließt überhaupt jede Möglichkeit der Einflussnahme des Tatortstaates aus. Der aburteilende Staat übt seine Strafgewalt nicht stellvertretend für den Tatortstaat, sondern originär aus.6 Somit wird der Verfolgerstaat nicht nur im eigenen, sondern im Interesse der Staaten-gemeinschaft als Ganzer tätig, da er damit das gemeinsame Sicherheitsinteresse aller Staaten verteidigt.

4. Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege

Der Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege füllt in erster Linie die Verfolgungslücke aus, die daraus entstehen können, dass ein Straftäter sich durch Flucht in einen anderen Staat einer Bestrafung entzieht. In einem solchen Fall kann die Strafverfolgung daran scheitern, dass der Täter vom Ergreifungsstaat aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht an den Tatortstaat ausgeliefert werden kann. Eine Verfolgung im Tatortstaat ist damit ausgeschlossen. Und eine Bestrafung im Ergreifungsstaat wäre mangels legitimierenden inländischen Anknüpfungspunkts nicht möglich, wenn Täter und Opfer Ausländer sind. Deshalb verzichtet der Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege auf einen solchen Anknüpfungspunkt. Um tatsächlich stellvertretend Strafgewalt im Namen des eigentlich berechtigten Staates auszuüben, ist dessen Einverständnis einzuholen. Der Tatortstaat muss seine originäre Strafgewalt auf den Ergreifungsstaat übertragen, diesen die Ausübung derivativer Strafgewalt rechtlich erst ermöglichen. Unter diesen Voraussetzungen scheidet auch eine Verletzung des Nichteinmischungsgrundsatzes aus: Wenn der originär zuständige Staat damit einverstanden ist, dass ein anderer Staat stellvertretend für ihn die Strafgewalt ausübt, schließt sein Einverständnis einen Eingriff in seine Hoheitsrechte aus. Statt eines inländischen Anknüpfungspunktes begründet also das Einverständnis des eigentlich zuständigen Staates die ausländische Strafgewalt.7

5. Exkurs: § 129 b Abs. 1 S. 2 StGB

Durch § 129 b Abs. 1 S. 2 StGB soll die Strafbarkeit auf Fälle begrenzt werden, in denen die Tat „durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet.“ Diese Regelung wurde vom Gesetzgeber nicht hinreichend mit den §§ 3-9 StGB abgestimmt. Die 1. Variante (Tätigkeit im Inland) bringt gegenüber §§ 3, 9 nicht Neues, verleitet aber zu dem Umkehrschluss, dass Taten im Hinblick auf Vereinigungen innerhalb der EU (S.1) unabhängig von den §§ 3 ff. stets zu verfolgen seien. Die 2. Variante (Täter Deutscher) geht hingegen über § 7 Abs. 2 Nr. 1 weit hinaus, weil auf eine identische Tatortnorm verzichtet wird; das ist völkerrechtswidrig. Die 3. Variante (Opfer Deutscher) ist insofern verunglückt, als ein Organisationsdelikt als solches keine „Opfer“ hat, sondern nur die von der Organisation begangenen Delikte; zudem ist diese Variante vor dem Hintergrund der §§ 3, 7 Abs. 1 überflüssig. Die 4. Variante (Täter im Inland) ist bedenklich, weil der Ergreifungsort kein geeigneter Anknüpfungspunkt zur Begründung der Strafgewalt ist. Die 5. Variante (Opfer im Inland) erfasst lediglich – lässt man den bereits § 3 unterfallenden Bereich der Verletzung des Opfers im Inland außer Acht – das nach der Tat ins Inland eingereiste Opfer; ein völkerrechtlicher Anknüpfungspunkt ist dafür nicht ersichtlich. Statt einer Begrenzung wird also das Gegenteil erreicht, nämlich eine Aushebelung des allgemeinen Strafanwendungsrechts und eine völkerrechtlich bedenkliche Ausdehnung des deutschen Strafrechts auf Auslandssachverhalte.8

III. Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs

Das IStGH-Statut ist eine zentrale Rechtsquelle des Völkerstrafrechts. Es handelt sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, für den die allgemeinen Auslegungsregeln gelten. Die Vorschriften des Statuts werden ergänzt durch die Verbrechenselemente und die IStGH-Verfahrensregeln. Die Verbrechenselemente präzisieren die Verbrechenstatbestände der Art. 6 bis 8. Sie sind Hilfsmittel bei der Auslegung und Anwendung der Verbrechenstatbestände durch den Internationalen Strafgerichtshof („ shall assist the Court in the interpretation and application of articles 6, 7 and 8 “, Art. 9 Abs. 1 Satz 1). Die IStGH-Verfahrensregeln ergänzen und präzisieren die im Statut selbst enthaltenen Verfahrensregeln. Die Verfahrensregeln binden den Gerichtshof und alle Vertragsstaaten. Soweit Verbrechenselemente oder Bestimmungen der Verfahrensregeln einer Regelung des Statuts widersprechen, treten sie zurück. Das IStGH-Statut bestätigt und präzisiert über weite Strecken das nach Völkergewohnheitsrecht geltende Strafrecht. Teilweise geht das Statut aber über die bloße Abbildung und Systematisierung des Gewohnheitsstrafrechts hinaus und leistet insofern einen eigenständigen Beitrag zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts. Andererseits bleibt das Statut teilweise auch hinter dem Stand des Völkergewohnheitsrechts zurück, so vor allem bei der Kriminalisierung verbotener Kampfmittel in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten.9

1. Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs

Der Internationale Strafgerichtshof wurde 1998 gegründet, um die Täter von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu verfolgen (Rome Statute of the International Criminal Court, Article 1 The Court: „ It shall be a permanent institution an shall have the power to exercise its jurisdiction over persons for the most serious crimes of international concern, as reffered to in this Statute, and shall be complementary to national criminal jurisdictions.“10 ).

2. Rechtliche Stellung des Internationalen Strafgerichtshofs

Der IStGH ist anders als der Internationale Gerichtshof (IGH) kein Haupt-, und anders als JStGH und RStGH auch kein Nebenorgan der VN. Vielmehr ist der IStGH selbst ein Völkerrechtssubjekt (Art. 4 Abs. 1), das mit den VN durch das Relationship Agreement verbunden ist. Der IStGH ist somit eine internationale Organisation in einer neuartigen, d.h. justizförmigen Ausprägung.11

3. Voraussetzungen der Strafverfolgung – Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs

a) Zuständigkeit ratione personae

Die Zuständigkeit des IStGH ratione personae war die umstrittenste Frage der gesamten Verhandlungen. Zuletzt standen sich im Wesentlichen drei Lösungsmöglichkeiten gegenüber. Zum einen das insbesondere von Deutschland vertretene Modell automatischer und universeller Zuständigkeit des IStGH. Ein zweites Modell – zuweilen Gerichtshofmodell „ á la carte “ genannt – ging in Anlehnung an Art. 22 Entwurf IStGH-Statut 1994 (Rdnr. 4) dahin, die Ausübung der Zuständigkeit von einer deliktsspezifischen Unterwerfungserklärung („ opt-in -Variante“) bzw. dem Fehlen einer Deliktsausschlusserklärung („ opt-out -Variante“) eines oder mehrerer von dem jeweiligen Strafverfahren in besonderer Weise betroffener Staaten abhängig zu machen. Das lange von Frankreich favorisierte restriktivste dritte Modell - „ State-consent-regime “ genannt – bestand darin, jedes einzelne Strafverfahren von staatlicher Zustimmung abhängig zu machen, wobei für die Zustimmung wieder die von dem jeweiligen Strafverfahren besonders betroffenen Staaten in Betracht kamen. Der am Ende gefundene Kompromiss ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Art. 5 und 12. Der IStGH ist nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 für die dort aufgezählten Kernverbrechen automatisch zuständig. Diese Zuständigkeit kann er jedoch nach Art. 12 grundsätzlich nur ausüben, sofern entweder der Tatortstaat oder der Heimatstaat des möglichen Täters das Statut ratifiziert haben (Absatz 2) oder die Zuständigkeitsausübung durch den IStGH durch gesonderte Erklärung akzeptiert haben (Absatz 3). Dabei ist zu beachten, dass eine Erklärung nach Art. 12 Abs. 3 entsprechend der Interpretation dieser Norm durch Regel 44 Abs. 2 nicht auf ein einzelnes Verbrechen beschränkt werden kann, sondern sich auf eine „Situation“ („ situation “) beziehen muss. Einem Nichtvertragsstaat wird hierdurch ein „ pick and choose “ bei der Zuständigkeitsbegründung des IStGH verwehrt.12

b) Zuständigkeit ratione temporis

Nach Hinterlegung der 60. Ratifikationsurkunde am 11. April 2002 ist das IStGH-Statut gemäß seinem Art. 126 am 1.7.2002 in Kraft getreten.13 Die Zuständigkeit des IStGH ratione temporis ist nach Art. 11 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des IStGH-Statuts begrenzt. Soweit es gemäß Art. 12 Abs. 2 für die Ausübung der Zuständigkeit darauf ankommt, ob die Tat auf dem Territorium eines Vertragsstaates oder durch den Angehörigen eines Vertragsstaates begangen worden ist, kommt es in zeitlicher Hinsicht nach Art. 11 Abs. 2 auf das Inkrafttreten des IStGH-Statuts für den betreffenden Staat an. Diese Begrenzung der zeitlichen Zuständigkeit ist durch das Rückwirkungsverbot insofern nicht geboten, als die Kernverbrechen des IStGH-Statuts völkergewohnheitrechtlich gelten.14

c) Zuständigkeit ratione loci

Die Zuständigkeit ratione loci kann über das Gebiet auf dem sich die Tathandlung ereignet hat begründet werden. Insoweit können in Den Haag alle Verbrechen verfolgt werden, die auf dem Staatsgebiet eines Vertragsstaates begangen werden, unabhängig von der Nationalität der Täter und ob deren Heimatland Mitgliedstaat ist.

d) Zuständigkeit ratione materiae

Die Zuständigkeit ratione materiae des IStGH erstreckt sich nur auf die schwersten Verbrechen, die die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren (Präambel) Art. 1 S. 2 IStGH-S. Dadurch ist der IStGH für den Schutz des Friedens, der Sicherheit und des Wohls der Welt (Präambel IStGH-S) als höchste Rechtsgüter der Staatengemeinschaft zuständig. Daneben werden durch die Pönalisierung der Kernverbrechen zwar auch individuelle Rechtsgüter geschützt, dies ist allerdings eher als mittelbarer Reflex und nicht als Hauptintention zu werten. Die vier Kernverbrechen entsprechen dabei weitgehend den Tatbeständen, die schon in den Kriegsverbrechertribunalen von Nürnberg verhandelt worden sind. Anders als bisher wurden die Tatbestände aber bereits im Statut genauer definiert, sodass sie größtenteils nicht der Ausfüllung durch Völkergewohnheitsrecht bedürfen. Zusätzlich können Elements of Crime als Auslegungshilfe für die Tatbestände der Kernverbrechen herangezogen werden. Diese stellen aber keine bindende Interpretation dar („ shall assist “), sondern sind der Auslegung zugänglich und stehen hierarchisch unter dem IStGH-S. Vor dem IStGH zur Anklage gebracht werden können als Kernverbrechen das Verbrechen des Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen (Art. 5 Abs. 1 IStGH-S). Für Kriegsverbrechen besteht für die Vertragsstaaten allerdings die Möglichkeit, nach Art. 124 IStGH-S ein opt-out von der Gerichtsbarkeit für sieben Jahre in Anspruch zu nehmen, was bislang allerdings noch keiner der Staaten genutzt hat.15 Seit dem 2. Januar 2017 können durch die Änderungen der neu eingeführten Artikel 8 bis 15 auch Aggressionsverbrechen zur Aburteilung an den IStGH herangetragen werden.

e) „Trigger mechanisms“

Ist der Verdacht der Begehung eines Kriegsverbrechens gegeben, so gibt es drei trigger mechanisms, um Ermittlungen des IStGH auszulösen: Ein Vertragsstaat des Rom-Statuts kann dem Gerichtshof eine Situation unterbreiten, die den Verdacht der Begehung von Kriegsverbrechen stützt (Art. 13 lit. a, 14 IStGH-S), der UN-Sicherheitsrat eine ebensolche Situation an den Gerichtshof als Maßnahme nach Art. 41 UNC überweisen oder der Ankläger nach Genehmigung durch Vorverfahrenskammer des IStGH selbständig Ermittlungen vornehmen (Art. 13 lit c, 15 IStGH-S, sog. proprio motu -Ermittlungen). Im Rahmen der Staatenbeschwerde (Art. 13 lit a, 14 IStGH-S) ist auch die Selbstanzeige (self-referral) durch einen Staat inzwischen als zulässig anerkannt. Auf die Prüfung der Komplementarität kann in einem solchen Fall verzichtet werden. Während der Ankläger spezifische Untersuchungen in Bezug auf einzelne Verbrechen („ crimes “) vornehmen kann, sind sowohl die Vertragsstaaten als auch der UN-Sicherheitsrat nur in der Lage, dem Gerichtshof bestimmte Situationen („ situations “) zu unterbreiten. Dies soll verhindern, dass nur bestimmte Taten oder Taten bestimmter Personen an den IStGH verwiesen werden und so bereits im Rahmen der Auslösung der Ermittlungen eine Beschränkung des Verhandlungsstoffes und des IStGH stattfindet.16

f) Grundsatz der Komplementarität

IStGH- und nationale Strafgerichtsbarkeit stehen nach dem Statut in einem Verhältnis sog. Komplementarität (zehnte Präambelerwägung). Dahinter verbirgt sich ein im Zusammenspiel mit den verschiedenen Auslösemechanismen recht komplex geratenes Normengeflecht, mit dem die Strafgerichtsbarkeit derjenigen Staaten gesichert werden soll, die die Verbrechen des Statuts ernsthaft verfolgen – und zwar auch und gerade dann, wenn ihre eigenen Staatsangehörigen beschuldigt werden. Das Komplementaritätsprinzip wird in den Art. 17 bis 19 i.V.m. Regeln 51 bis 62 im Einzelnen entfaltet. Dabei liegt die Entscheidung darüber, ob der jeweilige Staat ernsthaft verfolgt oder nicht, gemäß Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 beim IStGH.17

aa) Ausschluss internationaler Strafverfolgung

Ein Tätigwerden des IStGH ist nicht zulässig, wenn ein Nationalstaat bereits Ermittlungen durchgeführt hat, ein Verfahren mit einem Urteilsspruch abgeschlossen hat (Art. 17 Abs. 1 lit. a-c IStGH-S) oder die Sache nicht schwerwiegend genug ist (Art. 17 Abs. 1 lit. d IStGH-S). Mit dieser differenzierten Kompetenzaufteilung zwischen nationaler und internationaler Strafgerichtsbarkeit sollen die Souveränität der Vertragsstaaten soweit wie möglich gewahrt bleiben, die Ressourcen des IStGH geschont und die Strafverfolgung durch die bessere Erreichbarkeit von Beweismitteln und Tätern auf nationaler Ebene vereinfacht werden.18

bb) Eingreifen internationaler Strafverfolgung unter Anwendung des Komplementaritätsgrundsatzes

Die Subsidiarität der Strafverfolgung durch den IStGH gilt allerdings dann nicht, wenn der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen, Art. 17 Abs. 1 lit. a, b, IStGH-S. Die Ausnahmen sind in Art. 17 Abs. 2, 3 IStGH-S abschließend aufgeführt.19

cc) Anwendung des Komplementaritätsgrundsatzes auf Deutschland

Der deutsche Gesetzgeber entschloss sich nach Transformierung des IStGH-S zur Schaffung eines eigenständigen Gesetzes, dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), das am 30. Juni 2002 in Kraft trat. Klarzustellen ist, dass eine solche Umsetzungspflicht durch das IStGH-S nicht vorgeschrieben ist, bei einer Nicht-Umsetzung oder einer ungenügenden Umsetzung für die Vertragsstaaten aber die Gefahr besteht, dass man ihnen den Willen zur Strafverfolgung (Art. 17 Abs. 2 IStGH-S) oder die Möglichkeit der ernsthaften Strafverfolgung (Art. 17 Abs. 3 IStGH-S) abspricht und der IStGH das nationale Verfahren an sich zieht. Da sich die Regelungen des VStGB weitgehend am IStGH-S orientieren und Deutschland selbst bei Abweichungen durch Auslegung dem telos des IStGH-S gerecht werden dürfte, ist davon auszugehen, dass die Bundesrepublik ihrer Intention bei der Gesetzgebung zum VStGB, jederzeit die Verfolgung von Völkerrechts-verbrechen national vorzunehmen, gerecht werden kann. Eine Auslösung der Reservezuständigkeit des IStGH ist damit nur schwer vorstellbar. Eine weitere ausführliche Darstellung der Regelung des IStGH-S erübrigt sich damit, da die strafrechtliche Aburteilung – z.B. von Soldaten – sich somit vorrangig nach nationalen Straftatbeständen richtet.20

IV. Völkerstrafrecht

1. Begriff des Völkerstrafrechts

Das Völkerstrafrecht umfasst alle Normen des Völkerrechts, die unmittelbar Strafbarkeit begründen, ausschließen oder in anderer Weise regeln. Die Zugehörigkeit eines Straftatbestandes zum Völkerstrafrecht hat danach drei Voraussetzungen: Die Norm muss erstens individuell vorwerfbares Unrecht beschreiben und als Rechtsfolge Strafe androhen. Zweitens muss die Norm Teil der Völkerrechtsordnung sein. Drittens muss die Strafbarkeit unabhängig von der Transformation des Tatbestandes in die staatliche Rechtsordnung bestehen. Völkerrechtsverbrechen sind die Kriegsverbrechen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Völkermord und das Aggressionsverbrechen. Diese so genannten Kernverbrechen (cores crimes) sind die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren; sie unterliegen der Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs. Durch die Ereignisse am 11. September 2001 hat vor allem die Frage, ob und unter welchen Umständen Terrorakte als Völkerrechtsverbrechen zu bewerten sind, neue Aktualität erhalten. Ungeachtet der mitunter erheblichen Dimension terroristischer Straftaten gilt nach wie vor, dass Terrorismus als solcher kein Völkerrechtsverbrechen ist. Bestrebungen, die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs auf terroristische Straftaten auszudehnen, fanden auf der Konferenz von Rom keine Mehrheit. Aber terroristische Straftaten werden häufig die Voraussetzungen von Völkerrechtsverbrechen erfüllen, etwa von Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen. Stets muss jedoch im Einzelfall das Vorliegen der Voraussetzungen eines Völkerrechtsverbrechens geprüft werden. Die Strafbarkeit ergibt sich unmittelbar aus dem Völkerrecht. Typischerweise beanspruchen die Normen des Völkerstrafrechts universelle Geltung; auch hierfür bilden die Kernverbrechen ein Beispiel. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts ist die regional beschränkte Geltung einer völkerstrafrechtlichen Norm theoretisch denkbar, aber praktisch bedeutungslos.21

2. Aufgabe des Völkerstrafrechts

Das Völkerstrafrecht schützt „den Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt“ als die höchsten Güter der Völkergemeinschaft. Mit dem Weltfrieden und der internationalen Sicherheit stehen zwei Interessen der Völkergemeinschaft im Zentrum des Völkerstrafrechts, die sich zugleich an der Spitze der Zielbestimmungen der Vereinten Nationen finden. Dem Völkerstrafrecht liegt dabei ein erweiterter Friedensbegriff zu Grunde. Der Angriff auf die fundamentalen Interessen der Völkergemeinschaft rückt die Straftat in eine internationale Dimension und macht sie zum Völkerrechtsverbrechen. Deshalb ist die Ahndung von Völkerrechtsverbrechen eine Aufgabe der Völkergemeinschaft, und aus diesem Grund durchbrechen die Normen des Völkerstrafrechts den Schutz der staatlichen Souveränität. So vermittelt der Bezug zu den Interessen der Völkergemeinschaft dem Völkerstrafrecht seine spezifische Legitimation.22

3. Zur straftheoretischen Begründung des Völkerstrafrechts

Während der Bezug zur Völkerrechtsordnung durch die angesprochene Betroffenheit der höchsten Interessen der Völkergemeinschaft hergestellt wird, bezieht das Völkerstrafrecht seine Legitimation als Strafrecht über das aus dem staatlichen Strafrecht im Wesentlichen übertragbare Strafzweckprogramm. Die Bestrafung von Völkerrechtsverbrechen ist ein Gebot elementarer Gerechtigkeit. Unverkennbar beansprucht der Gedanke des Schuldausgleichs seinen Platz. Im Vordergrund steht freilich die Präventionswirkung des Völkerstrafrechts. Es spricht vieles dafür, dass die praktizierte Straflosigkeit von Menschenrechts-verletzungen („ culture of impunity “) eine wichtige Ursache ihrer ständigen Neubegehung ist. Ganz in diesem Sinne erklärte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Zusammenhang mit der Errichtung des Jugoslawien-Strafgerichtshofs, die Verfolgung und Bestrafung der Schuldigen werde zur Verhinderung zukünftiger Menschenrechtsverletzungen beitragen. Auch das IStGH-Statut bekräftigt, dass die Bestrafung der für die Völkerrechtsverbrechen Verantwortlichen zur Verhütung solcher Verbrechen beisteuere. Die Bestrafung der schwersten Verbrechen gegen das Völkerrecht soll der Menschheit zum Bewusstsein bringen, dass das Völkerrecht Recht ist und auch schließlich gegenüber dem Rechtsbrecher durchgesetzt wird. Das Völkerstrafrecht vermag schließlich auch spezialpräventiv auf den einzelnen (potentiellen) Täter einzuwirken. So ist das Völkerstrafrecht aus der Perspektive einer herkömmlichen nationalen Strafzwecklehre in vollem Umfang legitimiert.23

4. Völkerstrafrecht als Teil des Internationalen Strafrechts

Das Völkerstrafrecht ist Teil des Internationalen Strafrechts. Internationales Strafrecht wird heute ganz überwiegend in einem weiten Sinne verstanden und bezeichnet alle Bereiche des Strafrechts, die Auslandsbezüge aufweisen. Unter dieser Sammelbezeichnung werden neben dem Völkerstrafrecht das supranationale Strafrecht, das Recht der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen sowie die Regeln über den Geltungs- und Anwendungsbereich des staatlichen Strafrechts zusammengefasst. Das Recht der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Strafrechts umfasst Regelungen zur grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung, insbesondere zur Auslieferung von Straftätern, zur Vollstreckungshilfe, zur Übertragung der Strafverfolgung und zur Rechtshilfe, d.h. zur gegenseitigen Unterstützung bei der Beweisaufnahme oder Untersuchungshandlungen. Mangels eigener Exekutivorgane sind vor allem die internationalen Strafgerichte auf die Kooperation der Staaten angewiesen (sog. vertikale Kooperation). Die Mehrzahl der praktischen Rechtshilfefälle betrifft aber die Zusammenarbeit zwischen Staaten (sog. horizontale Kooperation). Grundlage der Rechtshilfe sind dabei häufig zwischenstaatliche Vereinbarungen. Die für Deutschland wichtigsten sind die Europäischen Rechtshilfe-übereinkommen und das Europäische Auslieferungsübereinkommen. Subsidiär kommt das deutsche Gesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) zur Anwendung.24

5. Völkerrechtliche Zulässigkeit

Nicht unproblematisch ist die völkerrechtliche Zulässigkeit von Ermittlungs-handlungen auf fremdem Staatsgebiet. Nach dem völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Souveränitätsgrundsatz übt jeder Staat exklusiv die Hoheit über sein Staatsgebiet aus. Daraus folgt, dass es den Staaten grundsätzlich untersagt ist, Hoheitsakte jeder Art auf fremden Staatsgebiet zu setzen. Strafprozessuale Ermittlungshandlungen im Ausland verstoßen also gegen Völkerrecht und sind damit unzulässig, sofern der Aufnahmestaat sie nicht gestattet. Dem gegenüber steht der Grundsatz der Personalhoheit. Danach ist jeder Staat befugt, Gerichtsbarkeit über seine Militärangehörigen auszuüben, was insbesondere für die Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung Bedeutung hat. Als problematisch erweist sich aber, dass für die Verfolgung von Straftaten von Soldaten im Auslandseinsatz nach geltendem deutschen Recht Staatsanwaltschaft und Polizei und damit zivile Behörden zuständig sind. Diese sind jedoch nicht von den Truppenstationierungsabkommen umfasst. Grund hierfür ist, dass gerade die allgemeine Strafgerichtsbarkeit als Inbegriff staatlicher Souveränität betrachtet wird. Dass den Militärbehörden des Entsendestaates Ermittlungen gestattet werden, liegt darin begründet, dass diese Disziplinargewalt, die untrennbar mit der Stationierung des Militärs verbunden ist, ausüben. Toleriert der Aufnahmestaat zwar die Aufnahme der gesamten militärischen Infrastruktur, so findet dies bei den zivilen Strafverfolgungsbehörden seine Grenze. Eigenständige Ermittlungshandlungen deutscher Polizisten oder Staatsanwälte sind von der Erlaubnis durch Truppenstationierungsabkommen deshalb regelmäßig nicht umfasst. Zwar besteht die Möglichkeit sogenannter Ad-hoc-Bewilligungen, dass also der Aufnahmestaat den deutschen Strafverfolgungs-behörden im Einzelfall gestattet, Ermittlungen durchzuführen. Doch dürfte eine entsprechende Praxis aufgrund ihrer Unsicherheit kaum zu befriedigenden Ergebnissen und Rechtssicherheit führen. Auch aus völkerrechtlicher Sicht ist es den derzeit zur Strafverfolgung berufenen Behörden also nicht möglich, bei Auslandstaten von Soldaten im Einsatzland zu ermitteln.25

6. Völkermord

Das Verbrechen des Völkermordes das der RStGH als „ the crime of crimes “ bezeichnet hat, bezieht sein besonderes Gewicht aus dem die völkermörderische Gesamttat in Bezug nehmenden subjektiven Merkmale der Absicht, eine nationale, ethische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören.26 Der in Art. 6 des IStGH-Statuts geregelte Tatbestand des Völkermords kann nicht von einzelnen Einsatzkräften begangen werden. Daher wird dieser Tatbestand zur Begründung strafrechtlicher Individual-verantwortlichkeit hier nicht näher untersucht.

7. Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Mit Art. 7 hat das IStGH-Statut einen selbständigen Völkerstraftatbestand zur Ahndung von Verletzungen bestimmter international anerkannter Menschen-rechte, soweit diese Verletzungen sich in einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen eine Zivilbevölkerung richten, etabliert. Art. 7 Abs. 2 stellt klar, dass hinter dem Angriff gegen eine Zivilbevölkerung ein Kollektiv stehen muss. Dieses muss aber nicht notwendigerweise Staatsqualität aufweisen; vielmehr kommt nach dem Wortlaut der Begriffsbestimmung auch eine sonstige Organisation in Betracht. Die Rechtsprechung von JStGH und RStGH handelt entscheidungstragend ausschließlich von staatsähnlichen Organisationen mit faktischer Gebietskontrolle.27 Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit setzt ein Kollektiv voraus. Insofern wird dieser Tatbestand zur Begründung strafrechtlicher Individualverantwortlichkeit hier nicht weiter erörtert.

8. Aggression

Das Verbrechen des Angriffskrieges (war of aggression) wird in Art. 5 Abs. 1 d) als Völkerstraftat bezeichnet, die der Zuständigkeit des IStGH unterliegt. Das Verbrechen der Aggression kann nur durch ein Kollektiv begangen werden. Insoweit wird dieser Tatbestand zur Begründung strafrechtlicher Individual-verantwortlichkeit hier nicht näher begutachtet.

9. Kriegsverbrechen

Einen bedeutenden Anknüpfungspunkt könnte das Kriegsverbrechen bilden. Ein Kriegsverbrechen ist der unmittelbar nach Völkerrecht strafbare Verstoß gegen eine Regel des humanitären Völkerrechts. Das Kriegsvölkerstrafrecht erstreckt sich dabei nicht nur auf internationale bewaffnete Konflikte, sondern – als Bürgerkriegsvölkerstrafrecht – auch auf interne bewaffnete Konflikte, sofern diese eine gewisse Intensität und Dauer erreichen.28

a) Kriegsverbrechen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten

Besonders schwierige Fragen wirft die Kriminalisierung von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten auf. Bürgerkriege wurden traditionell als innerstaatliche Angelegenheten betrachtet, für die das Einmischungsverbot galt. In dem allen Genfer Abkommen von 1949 gemeinsamen Artikel 3 traf das Völkerrecht erstmals Regelungen für nichtinternationale bewaffnete Konflikte. Wegweisend war auch die Tadic´- Entscheidung der Rechtsmittelkammer des Jugoslawien-Strafgerichtshofs vom 2. Oktober 1995, wonach das Gericht entschied, dass Verletzungen des in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts nach Völkergewohnheitsrecht strafbar sein können. Dies ist folgerichtig, denn es leuchtet nicht ein, weshalb in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten andere Regeln für die Strafbarkeit von Verstößen gelten sollten als in internationalen Auseinandersetzungen. Im Übrigen beruft sich das Gericht auf die Grundsätze des Nürnberger Urteils: Verbrechen gegen das Völkerrecht werden von Menschen und nicht von Staaten begangen; nur durch die Bestrafung der Verantwortlichen kann dem Völkerrecht Geltung verschafft werden. In zahlreichen Rechtsordnungen sind Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht auch dann unter Strafe gestellt, wenn sie in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten begangen wurden. Deshalb gilt nicht nur im internationalen, sondern auch im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Wird in schwerwiegender Weise gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen, so macht sich der Täter nach Völkergewohnheitsrecht strafbar.29

b) Geschützte Interessen

Das Kriegsvölkerstrafrecht schützt fundamentale Rechtsgüter von Individuen in bewaffneten Konflikten. Besonders deutlich wird dies bei den Bestimmungen über schwere Verletzungen der Genfer Abkommen. Der geschützte Personenkreis ist in bewaffneten Konflikten besonderen Gefahren ausgesetzt; wenigstens die wichtigsten Rechtsgüter wie Würde, Leben und körperliche Unversehrtheit sollen unangetastet bleiben. Mithin werden Kampfmittel und Kampfmethoden auch deshalb verboten, weil sie geeignet sind, unnötiges Leid zu verursachen. Daneben schützt das Kriegsvölkerrecht auch überindividuelle Interessen. Wie die anderen Kerntatbestände des Völkerstrafrechts dient es dem Schutz des Weltfriedens. Diese Feststellung mag auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, ist doch der Frieden bereits verletzt, wenn es zu Kriegsverbrechen kommt. Dennoch ist es das Ziel des Kriegsvölkerstrafrechts, die Störung des Friedens und der Sicherheit der Menschheit zu begrenzen und den Friedensschluss und das Zusammenleben nach dem Ende des Konflikts zu erleichtern.30

c) Objektive Voraussetzungen eines bewaffneten Konflikts

Das Bestehen eines bewaffneten Konfliktes ist die übergeordnete Voraussetzung jedes Kriegsverbrechens. Die einzelnen Tathandlungen müssen hierzu in einem bestimmten Verhältnis stehen, damit sie als Völkerrechtsverbrechen bezeichnet werden können. Unter einem bewaffneten Konflikt ist – im internationalen Kontext – die Auseinandersetzung zwischen Staaten unter Einsatz bewaffneter Kräfte, im nicht-internationalen Kontext die Auseinandersetzung innerhalb eines Staates zwischen Regierungskräften und anderen bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen Gruppen untereinander zu verstehen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass interne Konflikte, solange sie auf innere Unruhen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten oder ähnliche Handlungen beschränkt bleiben, nicht die Gefährlichkeit eines internationalen Konflikts erreichen. Das humanitäre Völkerrecht greift deshalb nur dann ein, wenn diese Konflikte eine besondere Intensität und die gegnerischen Parteien einen gewissen Organisationsgrad aufweisen.31

d) Subjektive Voraussetzungen hinsichtlich des bewaffneten Konflikts

In subjektiver Hinsicht muss der Täter die Umstände kennen, aus denen sich das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts ergibt. Nicht notwendig ist, dass der Täter eine entsprechende Bewertung vornimmt bzw. den Konflikt völkerrechtlich korrekt als international oder nicht-international einordnet.32

e) Der Zusammenhang der Einzeltat mit dem bewaffneten Konflikt

Ein Kriegsverbrechen liegt nur dann vor, wenn die Tathandlung in einem funktionalen Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt steht, also ein Nexus zwischen der Tat und dem Konflikt vorliegt. Dazu hat der Jugoslawien-Strafgerichtshof festgestellt:

It is neccesary to conclude that the act, which could well be committed in the absence of a conflict, was perpetrated against the victim(s) concerned because of the conflict at issue.

Die Tat muss also wegen des Konfliktes begangen worden sein. Der Jugoslawien-Strafgerichtshof hat dieses Erfordernis in verschiedenen Entscheidungen konkretisiert und befunden, die Tat müsse mit dem bewaffneten Konflikt in einem „offensichtlichen“ Zusammenhang stehen. Das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts müsse für die Fähigkeit des Täters, das Verbrechen zu begehen, für seine Entscheidung zur Tatbegehung, für die Art und Weise der Begehung oder für den Zweck der Tat von wesentlicher Bedeutung sein. Dies sei jedenfalls dann ohne weiteres zu bejahen, wenn die Tat im Rahmen eines Gefechts oder der Einnahme einer Ortschaft begangen worden ist. Besonders augenscheinlich wird der Zusammenhang bei Verstößen gegen Verbote von Kampfmitteln oder Kampfmethoden; hier hätte der Täter die Tat in Friedenszeiten häufig nicht oder nicht auf diese Weise begehen können. Nicht erforderlich ist, dass die Konfliktpartei die Handlungen angeordnet oder auch nur geduldet hat. Ebenfalls unerheblich ist, ob der Täter die Tat begangen hat, um damit den Zielen einer Konfliktpartei zu dienen, oder ob er persönliche Absichten verfolgte. Kriegsverbrechen können auch außerhalb der Gebiete begangen werden, in denen Kampfhandlungen stattfinden, sofern die Taten mit den Kampfhandlungen in einem „engen“ Zusammenhang stehen.33

aa) Stellung des Täters

Der funktionale Zusammenhang der Tat mit dem bewaffneten Konflikt kann sich insbesondere aus der Beziehung des Täters zur Konfliktpartei ergeben. Im Urteil vom 2. September 1998 hat der Ruanda-Strafgerichtshof hierzu ausgeführt: „ Hence, the Prosecutor will have to demonstrate to the Chamber and prove that Akayesu was either a member of the armed forces under the military command of either of the belligerent parties, or that he was legitimately mandated and expected, as a public official or agent or a person otherwise holding public authority or de facto representing the Government, to support fulfil the war efforts. Indeed, the Chamber recalls that Article 4 of the Statue also applies to civilians.“

Die Rechtsmittelkammer des Ruanda-Strafgerichtshofs hat klargestellt, dass die Position des Täters in der Verbindung zur kriegsführenden Partei zwar keine eigenständige Voraussetzung für die Annahme eines Kriegsverbrechens ist, die Verbindung zwischen Tat und Konflikt aber indiziert. Das bedeutet im Ergebnis, dass regelmäßig ein Zusammenhang der Tat mit dem bewaffneten Konflikt besteht, wenn die Tat einer Konfliktpartei zuzurechnen ist. Dies ist folgerichtig, denn das humanitäre Völkerrecht verpflichtet in erster Linie die Konfliktparteien. Dabei muss sich eine Konfliktpartei jedenfalls Taten von Angehörigen ihrer Streitkräfte zurechnen lassen. Dies ergibt sich bereits aus Art. 3 Satz 2 Haager Abkommen IV (1907). Das Gleiche gilt für Angehörige von Milizen und Freiwilligenkorps. Insoweit kann an bestehende Regelungen des humanitären Völkerrechts angeknüpft werden. Soweit der Ruanda-Strafgerichtshof auch das Verhalten von Personen zurechnet, die zwar nicht den Streitkräften angehören, aber für eine Partei kriegswichtige Aufgaben wahrnehmen, kann ebenfalls an Regelungen des humanitären Völkerrechts angeknüpft werden. Gemäß Art. 29 Genfer Abkommen IV sind die Konfliktparteien für das Verhalten ihrer „Beauftragten“ verantwortlich. Beauftragte im Sinne dieser Vorschrift sind nicht nur Angehörige der Streitkräfte und ähnlicher Organisationen, sondern auch Beamte, Richter und andere Personen, die im staatlichen Auftrag tätig sind. Begehen sie im Rahmen ihrer Tätigkeit Handlungen, die den Tatbestand eines Kriegsverbrechens erfüllen, ist der Zusammenhang ihrer Tat mit dem bewaffneten Konflikt ebenfalls zu bejahen, ohne dass es auf die Übereinstimmung der Tat mit der offiziellen Politik einer Konfliktpartei oder einen engen zeitlichen oder örtlichen Zusammenhang mit den Kampfhandlungen ankäme.34

bb) Handlungen von Privatpersonen

Die Stellung des Täters ist nicht der einzige Umstand, der den funktionalen Zusammenhang zwischen der Tat und dem bewaffneten Konflikt begründen kann. Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg ist anerkannt, dass auch Zivilisten Kriegsverbrechen begehen können. Ein funktionaler Zusammenhang besteht etwa dann, wenn die Tat von einer Konfliktpartei angeordnet oder geduldet worden ist. Denn dies zeigt, dass die Konfliktpartei derartige Handlungen zum Bestandteil ihrer Politik macht. Zu bedenken ist, dass eine Reihe von Vorschriften des humanitären Völkerrechts unmittelbar Individuen verpflichtet. Deshalb kann auch ohne Zurechenbarkeit der Tat zu einer Konfliktpartei im Einzelfall ein funktionaler Zusammenhang zwischen der Tat und dem Konflikt bestehen. Dies ist in der Rechtsprechung des Ruanda-Strafgerichtshofs ausdrücklich anerkannt. Das bloße Ausnutzen von Kriegsverhältnissen durch Private zur Begehung einer Straftat genügt dagegen nicht.35

[...]


1 Ambos (2011), § 3 Rn. 4.

2 Ambos (2011), § 3 Rn. 9.

3 Satzger (2013), § 5 Rn. 64.

4 Ambos (2011), § 3 Rn. 26 ff.

5 Ambos (2011), § 3 Rn. 39.

6 Ambos (2011), § 3 Rn. 92.

7 Ambos (2011), § 3 Rn. 117 ff.

8 Ambos (2011), § 3 Rn. 131.

9 Werle (2007), Rn. 151 f.

10 Schabas (2004), S. 382.

11 Grützner/Pötz (2005), Vor III 26 Rn. 79.

12 Grützner/Pötz (2005), Vor III 26 Rn. 11.

13 Grützner/Pötz (2005), Vor III 26 Rn. 8.

14 Grützner/Pötz (2005), Vor III 26 Rn. 17.

15 Bettendorf (2015), S. 118 f.

16 Bettendorf (2015), S. 134 ff.

17 Grützner/Pötz (2005), Vor III 26 Rn. 22 f.

18 Bettendorf (2015), S. 138.

19 Bettendorf (2015), S. 138.

20 Bettendorf (2015), S. 142.

21 Werle (2007), Rn. 81 ff.

22 Werle (2007), Rn. 86 ff.

23 Werle (2007), Rn. 84 ff.

24 Werle (2007), Rn. 117 ff.

25 Stam (2014) S. 76 ff.

26 Grützner/Pötz (2005), Vor III 26 Rn. 34.

27 Grützner/Pötz (2005), Vor III 26 Rn. 35 f.

28 Werle (2007), Rn. 900.

29 Werle (2007), Rn. 900.

30 Werle (2007), Rn. 944.

31 Satzger (2013), § 16 Rn. 61.

32 Satzger (2013), § 16 Rn. 65.

33 Werle (2007), Rn. 971 f.

34 Werle (2007), Rn. 973 ff.

35 Werle (2007), Rn. 976 f.

Ende der Leseprobe aus 67 Seiten

Details

Titel
Zur strafrechtlichen Behandlung von Vorsatztaten deutscher Einsatzkräfte in Auslandseinsätzen
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Lehrstuhl für Strafrecht, Strafrechtsgeschichte und Rechtsphilosophie)
Veranstaltung
Bachelorarbeit
Note
2,3
Autor
Jahr
2019
Seiten
67
Katalognummer
V938359
ISBN (eBook)
9783346269836
ISBN (Buch)
9783346269843
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jura, Rechtswissenschaften, Bachelor of Laws, LL.B., Bachelorarbeit
Arbeit zitieren
Marcel A. Englbrecht (Autor:in), 2019, Zur strafrechtlichen Behandlung von Vorsatztaten deutscher Einsatzkräfte in Auslandseinsätzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/938359

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