Leseprobe
1. Einleitung
“[...] God made yeast, as well as dough, and loves fermentation just as dearly as he loves vegetation [...]” postulierte der amerikanische Philosoph Ralph Waldo Emerson im Jahr 18441. Tatsächlich sind es Myriaden von Lebensmitteln des täglichen Gebrauchs wie Brot, Wurst, Käse und Kaffee, welche auf der Herstellung oder Veredelung mit Hilfe von Bakterien, Zellkulturen, Pilzen und bestimmten Enzymen basieren, was Emerson resümieren lässt: „what a gift we have in fermentation, the common denominator between all these foodstuffs and many more besides“.2
Ich selbst bin nun seit nahezu einer Dekade professioneller Koch und bin in meiner täglichen Arbeit immer wieder mit den vielen Fragen rund um das Thema Fermentation konfrontiert. Selbstverständlich, Fermentationsprodukte wie Miso, schwarzer Knoblauch, Kimchi oder Sojasauce sind mir lange bekannt und ich verarbeite sie gewissenhaft. Doch was genau fermentiert wird und vor allem, welche Prozesse dabei eine Rolle spielen, diese Details entzogen sich bislang meiner Kenntnis. Und was ist eigentlich mit Sauerkraut, ein heimisches Fermentationsprodukt, das auch meiner Großmutter und wahrscheinlich vielen Generationen vor ihr schon wohlbekannt war? Gibt es Parallelen oder signifikante Unterschiede? Auch Bionade, eine moderne Form der Limonade, ist fermentiert. Unterliegen all diese Unterschiede ein- und demselben Prozess?
Fakt ist: Der Markt der fermentierten Produkte wächst stetig. Naturgemäß ist es im Rahmen dieser Hausarbeit daher nur möglich, eine Produktselektion herzunehmen, um einen exemplarischen Blick auf die funktionellen Überschneidungen, aber eben auch Abgrenzungen zwischen den einzelnen biochemischen Prozessen der Mikroorganismen im jeweiligen Substrat zu zeigen. Hiermit wird sich der erste Teil der Arbeit befassen. Im zweiten Abschnitt werden Vor-, beziehungsweise Nachteile von Fermentationsgütern beschrieben. Im Zuge dessen rückt auch die Leitfrage der vorliegenden Arbeit in den Fokus: Warum liegen fermentierte Lebensmittel derzeit so stark im Trend, Tendenz steigend, und warum genießen Fermentationsprodukte vor allem in der avantgardistischen Küche Europas „plötzlich“ besonders viel Aufmerksamkeit? Die Frage lässt sich auch noch weiter zuspitzen, wenn sie wie folgt formuliert wird: Wie ist es den fermentierten Lebensmitteln gelungen, die Schürze der altbackenen Hausfrau mitsamt ihrer faden Hausmannskost abzustreifen, um sich stattdessen im Gewand einer jungen experimentierfreudigen Generation von Köchen und Köchinnen neu zu präsentieren oder gar neu zu erfinden?
Um sich einer Beantwortung dieser Fragestellung zu nähern, wird zuerst ein grober Abriss über die Geschichte und die Vorgänge während der Fermentation selbst gegeben, um anschließend auf selektierte Produkte detaillierter eingehen zu können und schlussendlich eine Verbraucher Perspektive einzunehmen um die Ausgangsfrage argumentativ und sachgerecht beantworten zu können.
2. Fermentation als natürlicher Prozess
Im kulinarischen Dreieck von Claude Lévi-Strauss vollendet das Kochen die kulturelle Transformation des Rohen, „so wie die Fäulnis seine natürliche Transformation ist.“3 Vorerst ungeachtet dem Kultur-Natur Trias Strauss‘, bringt Spitzenkoch und Connaisseur Thomas Bühner es noch prägnanter auf den Punkt : „Alles ist fermentiert“.4 Damit hat er auch nahezu uneingeschränkt Recht, denn worüber man sich zum Einstieg dieser Hausarbeit Klarheit verschaffen sollte, ist, das wir in einer Welt voller Mikroorganismen leben; de facto stellen diese mit ca. 70 Prozent den größten Anteil an Biomasse, sprich aktiver Materie, dar, oder, um es auf die größtmögliche Einfachheit herunter zu brechen: Leben ist nicht steril. Es finden also permanent inhärente mikrobiologische dynamische Prozesse und Interaktionen auf und in unseren Lebensmitteln statt. Besonders interessant ist nun, dass diese Prozesse inzwischen in ihrer Stofflichkeit materiell-molekular nachweisbar und damit eben auch gewissermaßen ponderabel und kultivierbar sind5. Fermentation ist somit aus meiner Sicht als eine Art intentionelle und kontrollierte Umwandlung von Stoffen durch Bakterien und Enzyme anzusehen, indem das Substrat (Lebens- und Genussmittel) auch immanent einer aromatischen - und teilweise textuellen - Veränderung unterliegt. Die Rolle des Menschen liegt hierbei lediglich in seiner Funktion als Kontrolleur und Beobachter der optimalen physikalischen, biologischen und thermalen Bedingungen, um eben ein möglichst günstiges Milieu für die erwünschten Mikroorganismen zu schaffen - und es gleichzeitig den unerwünschten Mikroorganismen besonders schwierig zu machen, in diesem Milieu zu überleben. Wie sich später deutlich zeugen wird, sind diese zweifellos komplexen biochemischen Vorgänge in der Regel keine autonomen Systeme, sondern vielmehr von einer Vielzahl äußerer Faktoren mitbestimmt. Veraltet scheint hierbei die lediglich reine Assoziierung auf anaerobe Prozesse, weshalb man in der modernen Biotechnologie auch aerobe Prozesse miteinbezieht.6 Kehren wir nun mit diesem biotechnologischen Blick im Kopf zum kulinarischen Dreieck von Strauss zurück: Bei der Betrachtung der bewusst veränderten Molekularstrukturen der Rohstoffe durch einerseits die Veränderung der Temperaturbedingen beim Kochen und andererseits die Veränderung bei intentionell geschaffenen molekularen Fermentationsvorgängen durch Wechselwirkungen von Enzymen, dann wird die Grenzziehung zwischen Kultur und Natur schon an dieser Stelle signifikant diffuser und brüchiger. Nichtsdestotrotz bleibt der natürliche Charakter der Fermentation konstant erhalten und so waren die ersten Produkte höchstwahrscheinlich eher zufällig fermentiert; bekannte Beispiele hierfür sind sonnengetrocknete oder gesalzene Lebensmittel, deren praktischen Nutzen man schnell erkannte, da sie deutlich langsamer den pathogenen Fäulnisprozessen unterlagen. Die Herstellung alkoholischer Getränke - mitsamt ihren Nebeneffekten, also auch den Rauschzuständen - wurde schon lange praktiziert, bevor man von einem Hefepilz und seinen Möglichkeiten überhaupt etwas wusste. So ist in einem Vortrag der Harvard University von einem im Iran gefundenen Krug mit Weinresten aus etwa dem Jahre 6.000 v. Chr. die Rede7. Aus dieser Sicht ist Fermentation wahrscheinlich die älteste Biotechnologie der Welt und fällt auch historisch in die Phase vor und während der Sesshaftwerdung des Menschen und lässt sich erstmals um 4.000 v. Chr. als organisierte Aktivität beschreiben.8 Der Vollständigkeit halber wird mit dieser Fußnote ein historischer Überblick über die wesentlichen Erkenntnisse in der Entstehungsgeschichte der Mikrobiologie gegeben.9
3. Unterscheidung von Fermentationsprozessen
Es lassen sich bei fermentativen Prozessen grundsätzlich zwei Arten unterscheiden:
1. Fermentation ausgelöst durch die Zugabe von Starterkulturen (selektierte Organismen)
2. Die natürliche Nutzung der endogenen Mikroflora der Lebensmittel bei der Spontanfermentation.
Erstere werden meist in der groß-industriellen Lebensmittelherstellung eingesetzt und mithilfe spezieller Verfahren kontinuierlich optimiert. Dabei handelt es sich in der Regel um definierte Reinzuchtkulturen von Mikroorganismen oder von Mischungen verschiedener Stämme, die mit Blick auf ihre charakteristischen Eigenschaften selektiert wurden. Hierbei ist besonders ihre technologische Wirksamkeit von immenser Bedeutung, sprich, sie müssen einen Wachstumsvorteil gegenüber unerwünschten Mikroorganismen haben, was wiederum voraussetzt, dass sie unter den jeweils gegebenen Bedingungen vermehrungsfähig sind. Die zu fermentierenden Lebensmittel werden dabei einer direkten Behandlung unterzogen, sprich, die Starterkulturen werden direkt in die jeweilige Nahrung geimpft, was rasch zu einer Vermehrung der injizierten Mikroorganismen führt, wodurch der fermentative Prozess dann unter bestimmten Rahmenbedingungen beschleunigt oder sogar überhaupt erst initiiert wird. Die Applikation von Starterkulturen kann auch dann eingesetzt werden, wenn nur Teilaspekte beeinflusst werden sollen, also zum Beispiel, um Geruch, Haltbarkeit oder Geschmack an das erwünschte Endprodukt anzupassen. In den Vereinigten Staaten müssen Starterkulturen den Status „GRAS“ (Generally Recognised as Safe) aufweisen, während es in Europa keine spezifische rechtliche Regelung mikrobieller Kulturen für Lebensmittel gibt. Allerdings müssen sie hier den gesetzlichen Ansprüchen der Basisverordnung (EG) 178/2002, beziehungsweise in Deutschland dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) entsprechen, also für ihren bestimmungsmäßigen Gebrauch sicher sein, was allein der Verantwortung des Inverkehrbringers obliegt. Dem Gebrauch von Starterkulturen ist die Spontanfermentation entgegengesetzt, hierbei wirken nur Mikroorganismen mit, welche über die immanente Mikroflora der Rohware oder den Umgebungsbedingungen in den Gärstock gelangen. Man könnte diese Art der Fermentation als die „natürlichere“ bezeichnen, da hierbei keine gezielte Zugabe selektierter Mikroorganismen nötig ist. Meist sind es traditionelle und regionale Produkte, die ihren Wert eben auch über ihren individuellen Charakter ausmachen wie Sauerkraut, Sauerteigbrot oder etliche spontan vergorene Biere der Belgier wie zum Beispiel das „Lambic“ oder die in Deutschland bekannte „Berliner Weiße“. Da bei Spontanfermentationen jedoch auch die Wahrscheinlichkeit von Fehlproduktion und damit einhergehend auch die Gefahr wirtschaftlicher Verluste deutlich höher ist, setzt man heute besonders in groß industrieller Hinsicht auf definierte, bewusst bestimmte Starterkulturen, welche wirtschaftliche Verluste vermeiden, eine hygienische Sicherheit garantieren sowie einen standardisierten Geschmack in serieller Produktion gewährleisten sollen. Eine Art Mischform beider Fermentationsarten stellt zum Beispiel das Anfrischen von Sauerteig dar. Hierbei wird altes, bereits fermentiertes Substrat zur Beimpfung von neuen Fermentationsansätzen verwendet. Man könnte diese Methode quasi als eine Art alt-neu Beimpfung bezeichnen.
Abschließend lässt sich also festhalten, dass Fermentationsvorgänge durch undefinierte Kulturen (z.B. Flora Danica bei Milchprodukten, Reinzuchtsauer bei der alt-neu Beimpfung oder Spontangärung beim Sauerkraut) oder exakt definierte Kulturen (Einzelstammkulturen, Mehrstammkulturen oder Mehrstamm-Mischkulturen) eingeleitet werden können. Da erstere einem kontinuierlichen Wandel unterliegen, weil Stämme naturgemäß verschwinden oder mutieren können, zeichnen sich solche Fermentationsprodukte durch einen hohen Grad an Individualität aus und beinhalten meist eine stark regionale Verknüpfung. Ein weitaus höheres Maß an Kontrolle während des Fermentationsablaufs erlauben die definierten Kulturen, was zum Beispiel bei der zeitlich exakt koordinierten Käseherstellung eminent ist. Neben den ökonomischen Vorteilen bei dieser Methode (geschmacklicher, haptischer und optischer Standard, Reduktion hygienischer Risiken, zeitliche Prozessoptimierung) lassen sich bereits vorhandene und definierte Kulturen auch weiter gentechnisch modifizieren, um sie so noch zweckgerichteter anwenden zu können und schaffen teilweise auch einen Zugang zu neuen Produkten, welche sich eben nicht durch spontane Fermentation erzeugen ließen (Kumys und Kefir sind konkrete Produktbeispiele, welche bei einer Spontanfermentation unter europäischen Bedingungen überhaupt nicht entstehen könnten).
4. Fermentation am konkreten Beispiel
Wie bereits einleitend erwähnt, wird dieser Abschnitt aufgrund der breiten und wachsenden Palette an fermentierter Lebensmittel nur einen stark selektierenden Blick auf einzelne Fermentationsprodukte werfen können. Zwangsläufig werden Fermentationsprodukte der alkoholischen Gärung (z.B. Wein und Bier) und jene aus tierischem Substrat (z.B. Käse, Joghurt oder Wurst) nur eine unwesentliche Rolle spielen. Stattdessen soll der Fokus auf pflanzliche Rohstoffe und deren Fermentationsvorgänge gelenkt werden, um anhand einzelner, exemplarischer Produkte einen groben Überblick über die Fermentation von Lebensmitteln vegetabilen Ursprungs zu erhalten. Hierbei lässt sich vorab die Tendenz erkennen, dass pflanzliche Rohstoffe im Okzident vor allem mit Bakterien und Hefen vergoren werden, während vornehmlich im asiatischen Raum neben den genannten Mikroorganismen auch Schimmelpilze eine tragende Säule bei Fermentationsprodukten pflanzlichen Ursprungs sind, wie zum Beispiel Koji, der für die Misoherstellung nötig ist. Neben den nun bereits besprochenen Distinktionsmerkmalen der verschiedenen Fermentationsverfahren liegt natürlich der wesentlichste Unterschied im Fermentationsgut selbst, dem sogenannten Substrat. Im Falle vom Sauerkraut, das gelegentlich auch als Sauerkohl bezeichnet wird, handelt es sich dabei um vom Strunk befreiten Weißkohl (Brassica oleracae). Die Qualität des Endproduktes hängt in starkem Maße vom verwendeten Rohmaterial ab und so stellen langsam wachsende, gesunde, voll ausgereifte und nicht geplatzte Kohlsorten mit festen Köpfen und dünnen Blattrippen das beste Substrat dar10. Natürliche Säuerung als ein Konservierungsverfahren für Gemüse ist schon sehr lange bekannt und wurde wahrscheinlich aus asiatischen Ländern nach Europa übertragen. So ist bereits beim Bau der großen Mauer in China im 3.Jahrhundert v. Chr. von saurem Kohl die Rede, welcher von dort durch Mongolen und Tataren nach Europa gekommen ist11. Da jedoch bereits frühe Steinzeitmenschen den fermentierten Mageninhalt von erlegtem Getier aßen und in ihm auch nachfolgend Nahrungsmittel aufbewahrten, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit auch leicht nachsäuerten, geht die geschichtliche Datierung hier wahrscheinlich sehr viel weiter zurück. Die ersten schriftlichen Überlieferungen über das Einlegen von Salzkohl in getrockneten Ölkrügen unter Sauerstoffausschluss stammen aus der Römerzeit und sind von PLINIUS dem Älteren (23/24-79 n. Chr.) überliefert worden (?). Kohl war zudem nicht nur als Nahrungspflanze beliebt, sondern wurde ebenso früh in Klöstern als Arzneipflanze wertgeschätzt. Insbesondere der ernährungsphysiologische Wert des Sauerkrauts, der sich vor allem darin begründet, dass Sauerkraut einen sehr hohen Vitamin-C Gehalt aufweist, was es wirksam gegen die Ascorbinsäure-Mangelkrankheit Skorbut macht, verschaffte dem Sauerkraut nicht nur unter Seefahrern erhöhte Aufmerksamkeit. Der britische Marinearzt James Lind - und damit auch sein Kapitän James Cook - erkannten das Potenzial als Vitamin-C Quelle wohl mit als erste, ohne jedoch den substanziellen Hintergrund zu kennen (heute weiß man, dass die fehlende Ascorbinsäure den Aufbau von Kollagen verhindert, welcher als essentieller Eiweißstoff das Bindegewebe im menschlichen Körper stützt), weshalb auf seinen Expeditionen zahlreiche konservierte und fermentierte Lebensmittel wie Sauerkraut oder eingezuckerte Zitronen Platz im Rumpfe des Schiffen fanden. Äußerst bemerkenswert ist an dieser Stelle meiner Meinung nach, dass das Sauerkraut trotz der erheblichen Klimadifferenzen innerhalb Cooks dreijähriger Reise (1775-1778) und den im Vergleich zu heute relativ unhygienischen Bedingungen, die wohl an Deck geherrscht haben müssen, genieß- und haltbar blieb.
[...]
1 Emerson, Ralph Waldo: Essays; Second Series.1844.
2 Vgl.Bamforth, Charles W.: Food, Fermentation and Micro-organisms. Blackwell Science, Oxford. 2005.
3 Strauss, Claude Lévi: Mythologica 1, Das Rohe und das Gekochte.
4 Journal Culinaire, No.17: Fermentation: Kultur und Wissenschaft des Essens, Hrsg: Wurzer-Berger, Martin; Vilgis, Thomas, Edition Wurzer & Vilgis, Einleitung, S.6, 2017.
5 Diese Aussage ist jedoch in Bezug zu einem Zitat aus dem Buch von Matthews, Kniel und Montville; Food Microbiology; An Introduction, S.3 zu setzen: „Food microbiologists still study only that microbes that we can see under the microscope and grow on agar media in petri dishes. Experts suggest that only 1% of all the bacteria in the biosphere can be detected by cultural methods”.
6 Fuchs, G; H.-G. Schlegel. 2007. Allgemeine Mikrobiologie. 8. Auflage.Thieme Verlag, Stuttgart.
7 Adams, Jody: Fermentation, an Ancient Trend, Science and Cooking Public Lecture Series 2014
8 Kniel und Montville; Food Microbiology; An Introduction, S.5:” Fermenting food became an organized activity around 4000 B.C.E.”
9 1665 veröffentlichte Robert Hooke mit Micrographia das erste illustrierte Buch mit strukturellen Detailaufnahmen der Pilzkultur Mucor. 1676 Antoine Leeuwenhoek Kleinstlebewesen in Teichgewässern nach und untersucht diese, was sich durchaus als Meilenstein der Mikrobiologie beschreiben lässt. Nichtsdestotrotz brauchte es weitere zwei Jahrhunderte bis Lazzaro Spallanzani im Laufe des 18.Jahrhunderts nachwies das Mikroben existieren und fermentative Prozesse verursachen. Er zeigte, dass gekochtes Fleisch im luftdicht verpackten Zustand nicht schimmelte. Etwa ein weiteres Jahrhundert später fand Pasteur einen geeigneten Weg Spallanzanis Experiment mithilfe von Flaschen mit einem schwanenhalsartigen ausgezogenen Hals umzugestalten, sodass das jeweilige Substrat so Zugang zur Luft hatte, aber dennoch nicht schimmelte. Er fand zudem heraus das sich mit Entfernung vom Meeresspiegel eine Abnahme der mikrobiologischen Prozesse ergab. Daraus ließ sich erstens schließen das Mikroorganismen in der Luft maßgeblich am Verderb von Lebensmitteln beteiligt, aber eben auch steuerbar sind. Und letztendlich auch wenn man so will das „Leben von Leben kommt" und nicht einfach aus toter organischer Materie entstehen kann. Im Zuge veränderter Kriegsführungstaktiken, insbesondere der immensen Vergrößerung von Kriegsheeren war die Organisation von sterilem, lange haltbarem und nährstoffreichem Kriegsproviant ein großes Thema. Napoleon schrieb einen Preis über 12.000 Goldfranken für denjenigen aus dem es gelingen würde Lebensmittel länger haltbar zu machen. Nicolas Appert gewann diesen Preis "für die Kunst alle animalischen und vegetabilischen Substanzen in voller Frische zu erhalten" und entwickelte das Verfahren der Sterilisierung von Lebensmitteln anfänglich in Glasflaschen und später in korrisionsbeständige Blechdosen. Appert wurde stark beeinflusst von Spallanzanis Forschungsergebnissen, der ja bereits 1765 nachgewiesen hat, dass man die Entwicklung von Mikroben durch Erhitzen und luftdichtes Abschließen verhindern kann. Von einer systematischen Kenntnis oder gar mathematisch konsistenten Formulierungen zur Entstehung und Entwicklung der Mikroorganismen war man weit entfernt, obwohl man das Konservierungsprinzip bereits entdeckt hatte. Anfang des 20. Jahrhunderts leistete Robert Koch herausragende Arbeiten auf dem Bereich der Bakteriologie, Mikrobiologie und Infektionslehre. Er ist der erste dem es gelingt einen Krankheitserreger (den Erreger des Milzbrands Bacillus anthracis) zu isolieren und außerhalb des Organismus zu kultivieren, umso dessen Lebenszyklus zu beschreiben. Auch heute fast 150 Jahre später forscht man noch immer mithilfe von Petri Schalen, die Kochs Assistent Julius Richard Petri einführte, welche ebenso noch immer mit Agar als festem Nährmedium ausgekleidet sind um beispielsweise eine Quantifizierung von Mikroorganismen durchzuführen. Dier erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist bestimmt von der Entdeckung krankheitserregender pathogener Keime und ihrem vermehrten Aufkommen wie Salmonella bei Hühnereiern und warmblütigen Tieren, Clostridium botulinum bei undicht verschlossenen Konservendosen, Bacillus cereus in stärkehaltigen Lebensmitteln oder Staphylococcus aureus bei mangelnder Hygiene. Mit der Entschlüsselung der DNA-Doppelhelixstruktur durch James Watson und Francis Crick entsteht in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts ein völlig neues Verständnis vom Wirken der Mikroorganismen und es entsteht folglich der biologische Zweig der Molekulargenetik. Es lässt sich nun zum Beispiel viel konkreter erklären wie Bakterien Krankheiten im Körper verursachen können. Interessanterweise beginnt ungefähr in dieser Zeitspanne (um 1940) auch die flächendeckende Verbreitung von Kühlschränken in amerikanischen Haushalten und im Gegensatz zu den bisher üblichen „spezialisierten" Einzelkaufläden entstehen für Lebensmittel große Supermärkte, die ein breites und nahezu vollständiges Spektrum des Verzehr- und Genießbaren anbieten. Mit dem auf präventive Maßnahmen ausgerichtetem HACCP Konzept wird am Ende des 20.Jahrhunderts nun schlussendlich ein standardisiertes System für den sicheren Umgang und Gebrauch mit Lebensmitteln generiert, das den Konsumenten durch Vermeidung von Gefahren im Zusammenhang mit Lebensmitteln schützen soll. Im deutschen Recht wurde das HACCP- Konzept erstmals mit der Lebensmittelhygiene-Verordnung von 1998 verankert.
10 Vgl. Müller, Gunther: Mikrobiologie pflanzlicher Lebensmittel, 4.verb. Auflage, VEB Fachbuchverlag Leipzig, 1988, S.106.
11 Vgl. Journal Culinaire, No.17: Fermentation: Kultur und Wissenschaft des Essens, Herbert J.Buckenhüskes, Hrsg: Wurzer-Berger, Martin; Vilgis, Thomas, Edition Wurzer & Vilgis, S.11, 2017.