Inhaltsverzeichnis
Einleitung 3
1.Max Weber - Die Entstehung der okzidentalen Moderne
1.1. Gesellschaftliche und kulturelle Rationalisierung
1.2. Die methodische Lebensführung - protestantische Ethik
1.3. Rationalisierung der Weltbilder
1.4. Die Institutionalisierung zweckrationalen Handelns
2.Webers Gegenwartsdiagnose
2.1. Der Bedeutungsverlust der protestantischen Ethik
2.2. Sinn- und Freiheitsverlust
2.3. Webers Ausblick
3.Jürgen Habermas - Dezentrierung der Weltbilder
3.1. Weber und Habermas - Paradigmawechsel
3.2. Das mythische Weltbild
3.3. Die Versprachlichung der Weltbilder
3.4. Die Rationalisierung der Lebenswelt
3.5. Die Dezentrierung der Moderne als Evolutionstheorie der Moderne
4.Kommunikatives Handeln und Universalismus
4.1. Kommunikatives Handeln
4.2. Universalismus
Universelle Wahrheit
Universelle Moral
5.Weber und Habermas - Schlußbetrachtungen
5.1. Das kommunikative Handeln als soziale Integration
5.2. Sinn- und Freiheitsverlust bei Habermas
Literaturverzeichnis
Hinweis!
Alle Zitatangaben werden bei Erstnennung der Werke vollständig angegeben, danach in verkürzter Form. Wegen der Häufigkeit der Zitate aus Jürgen Habermas Theorie des kommunikativen Handelns habe ich es mir erlaubt, die Zitatstellen mit nur der Nennung des Bandes (I. oder II.) und der Seitenzahl anzugeben, wie dies auch in der Sekundärliteratur gängig ist.
Einleitung
Im Interesse von Max Weber wie von Jürgen Habermas lag bzw. liegt die Entstehungsgeschichte unserer okzidentalen Moderne, wobei sich Habermas mehr Augenmerk auf die im Prozeß der Modernisierung enstandenen Sozialpathologien richtet (I: 8) und seine Theorie auch als Versuch versteht, einen Ausweg darin zu finden. Genau darin besteht auch einer der größten Unterschiede in der Erklärung der okzidentalen Moderne als Rationalisierungsprozeß bei Weber und Habermas, kann doch ersterer keinen Ausweg aus seiner als skeptisch aufzufassenden Gegenwarts- diagnose der Moderne finden. Im Folgenden will ich nun jeweils getrennt den Prozeß der Entstehung des okzidentalen Rationalismus nachzeichnen, wobei mein Hauptaugenmerk auf die Dezentrierung der Weltbilder gerichtet ist. Deswegen werden wichtige Komponenten dieses Rationalisierungsprozesses wie die Veränderungen der Ethiken und des Rechts zu kurz kommen. Es wird deutlich werden, wo sich beide Autoren einig sind, denn Habermas reformuliert teilweise Webers Theorie der Rationalisierung, doch es wird auch klar erkenntlich, wo er über Weber hinausgeht und worin dieser Fortschritt besteht.
1. Max Weber - Die Entstehung der okzidentalen Moderne
1. 1. Gesellschaftliche und kulturelle Rationalisierung
Max Webers grundlegendes soziologische Interesse galt neben der Entfaltung einer verstehenden Soziologie der Frage warum sich außerhalb des europäischen/okzidentalen Kulturkreises "weder die wissenschaftliche noch die künstlerische noch die staatliche noch die wirtschaftliche Entwicklung in diejenigen Bahnen der Rationalisierung ein(lenken), welche dem Okzident eigen sind" (I: 225). Anders formuliert, Weber fragte sich, warum nur in der jüdisch-christlichen Tradition des Abendlandes jener Prozeß der Rationalisierung zu Ende gebracht wurde, der die Erscheinungen der okzidentalen Moderne hervorbrachte, wohnen doch allen Weltreligionen Rationalisierungs-potentiale inne (vgl. I: 277).
Max Weber begreift den Prozeß der Modernisierung, wie er sich seit dem Beginn der Neuzeit (Renaissance) darstellt als einen ineinander verschränkten Prozeß von einer Institutionalisierung von zweckrationalem Handeln in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und dem modernen Staatswesen und einer Ausdifferenzierung der drei kulturellen Wertsphären Wissenschaft, Kunst und Moral (I: 226) .
Wichtig für die Entstehung der kapitalistische Wirtschaftsordnung war die Trennung von Betrieb und Haushalt, praktisch also die Einführung der Lohnarbeit und damit die Verfügung von freien Arbeitskräften. Zudem sind eine rationale Buchführung, ökonomische Investitionsentscheidungen und die Nutzbarmachung von wissenschaftlichen Erkenntnissen, z.B. deren Umsetzung in bessere Verfahrenstechnik kennzeichnend für den Kapitalismus (ebd.).
Der moderne Staat zeichnet sich durch ein zentralisiertes und stetiges Steuersystem, eine zentral geführte ständige Militätmacht, monopolisierte Rechtssetzung und Gewaltanwendung sowie eine durchbürokratisierte und von professionellen Beamten durchgeführte Verwaltung aus (ebd.). Die Wichtigkeit dieser modernen Staatsführung besteht in der vollständigen Berechenbarkeit des Handelns. Recht und Steuersystem ruhen auf festen Gesetzen, sind somit der Willkür entzogen, und insbesondere letzteres kann in die Kalkulierung wirtschaftlichen Handelns einbezogen werden. Die Wichtigkeit der bürokratischen Verwaltung besteht eben in dieser Durchführung des berechenbaren Handeln des Staates.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß nach Weber in der Moderne sich das Ã-konomische und Politische aus der Gemeinschaft1 herausgelöst haben, und nun als Formen der Gesellschaft nebeneinander getrennt aber miteinander verbunden existieren (gesellschaftliche Rationalisierung). Getrennt insofern, daß nicht der politische Macht hat, der auch über wirtschaftliche Macht verfügt und umgedreht (im Idealfall); verbunden dadurch, daß die Politik die Rahmenbedingung geschaffen hat, und immer noch erhalten muß, die ein kapitalistisches Wirtschaften ermöglichen. Hängt doch nicht auch zuletzt die Machtsicherung und die Reproduktion des politischen Systems2 von dieser Wirtschaftsordnung ab. Als kulturelle Rationalisierung bezeichnet Weber die Befreiung der Wissenschaft und Technik, der Kunst, des Rechts und der Moral (bilden eine Wertsphäre ) von jeglichen religiösen Einschränkungen und Beschränkungen. Er nennt dies die Ausdifferenzierung dieser drei Wertsphären (I: 234). Von diesen Fesseln befreit folgt die Entwicklung und Ausdifferenzierung dieser drei Wertsphären einer jeweils spezifischen Eigenlogik, die mit fortschreitender Differenzierung immer prägnanter und reiner hervortritt und dabei Indifferenz gegenüber den Rationalitätsstandards und "Logiken" der anderen Wertsphären zeigt. Vorangetrieben wird diese weitere Ausdifferenzierung von Expertenkulturen (wie z.B. Wissenschaftler), die sich um die Wertmaßstäben bilden.3
Rationalisierung in der Wissenschaft und der Technik bedeutet die insbesondere von jeglicher religiösen Dogmatik uneingeschränkte Erweiterung und für die Technik auch die Anwendung des empirischen Wissens. Dies wurde im ständigen Wissenschafts- betrieb institutionalisiert. Weber sieht in der Wissenschaft so etwas wie den Motor der Rationalisierung (I: 231). Rationalisierung der Kunst (der ästhetischen Wertsphäre) bedeutet weniger die Institutionalisierung eines Kunstbetriebes mit der Kunstkritik als Vermittler zwischen Kunstproduzenten und -rezipienten. Sie setzt vielmehr an den Effekten an, "die eine bewußte Erfassung ästhetischer Eigenwerte für die Materialbeherrschung, d. h. für die Techniken der Kunstproduktion hat." (I: 230). Sie bezieht sich also auf die Technik der Wertverwirklichung und nicht auf die Werte selber (ebd.).
Und zuletzt "Rationalisierung nennt Weber nämlich auch die kognitive Verselbständigung von Recht und Moral, d. h. die Ablösung moralisch-praktischer Einsichten, ethischer und rechtlicher Doktrinen, Grundsätze, Maximen und Entscheidungsregeln von Weltbildern in die sie zunächst eingebettet waren." (I: 231 Hervorhebungen im Original). Das ergab die Bewußtmachung der internen Unterschiede zwischen dem was gelten soll und dem was gültig ist (theoretische und praktische Vernunft) (I: 248).
Das Recht entwickelte sich zur formalen Rechtssatzung (s. o.). Die von der Religion autonom gewordene Moral führte zur Entwicklung von religiös verankerten Gesinnungs- und Verantwortungsethiken, denen im Prozeß der Rationalisierung und der Entzauberung der Welt nach Weber entscheidende Bedeutung zukommt (s. u.).
1.2. Die methodische Lebensführung - die protestantische Ethik
"Der kulturellen Rationalisierung entspricht auf der Ebene des Persönlichkeitssystems [eine] methodische Lebensf ü hrung" (I: 234). Diese Lebensführung, als religiös verankerte, prinzipiengeleitete, um die Berufsarbeit zentrierte Ethik ist für Weber ein wichtiger Faktor für die Entstehung des modernen Kapitalismus. Dieser bedarf einer Lebensführung, die auf wirtschaftlichen Erfolg durch rationales Überlegen und Handeln abzielt, und dabei jegliche Verschwendungs- und Genußsucht, also das simple, "untätige" Verbrauchen des erwirtschafteten Gewinnes ablehnt. Das bedeutete also die im Persönlichkeitssystem verankerte "kognitiv-instrumentelle Einstellung zu innerweltlichen Vorgängen," (ebd.) und eine innerweltliche Askese, der alles Genießen und alle Verehrung des Kreatürlichen fernsteht, und die dadurch die Herausbildung eines für den modernen westlichen Kapitalismus konstitutiven Handlungstypen möglich machte: den Typ zweckrationalen Handelns4. Und diese Ethik fand Weber ausschließlich im Protestantismus bzw. in einigen seiner Teilströmungen (Pietisten, Methodisten) und am radikalsten bei den Calvinisten.
Den Grund dafür sieht Weber in der Gottesvorstellung des Protestantismus und ich möchte dies hier anhand der Prädestinationslehre von Calvin nachzeichnen. Der Gott der Protestanten war der Welt weit entrückt. Weder durch Magie oder irgendeine Form des Götterzwanges war er zu beeinflussen - genausowenig offenbarte er sich durch die Lehren der Pfarrer oder ähnliches. Gottes Handeln war nicht einzusehen. Besondere Bedeutung gewann dieses Detail bei der Frage des "Gnadenstandes"5 bzw. der Heilsgewißheit. Nach Calvin war nur ein Teil der Menschheit zur Erlösung bestimmt. Dieser Entschluß war vor der Geburt des Einzelnen längst festgelegt. Er war für den Menschen unerkenntlich und unveränderlich; er stand für alle Zeiten fest. Dieses Schicksal warf den religiösen Menschen in eine unerhörte innere Einsamkeit, aus der ihn auch nicht der Pfarrer heraushelfen konnte6. Abhilfe konnte, nur die aktive Weltbeherrschung bringen. Aus diesem Grund konnte der Protestant nicht einfach seine Hände in den Schoß legen. Die Welt war von Gott zur Mehrung seines Ruhmes und seiner Herrlichkeit erschaffen worden. Den Menschen hatte er als Verwalter eingesetzt, der sich die Welt untertan machen und sie kultivieren sollte. Schon allein dieser Grundsatz veranlaßte den Protestanten dazu, rational und zweckorientiert mit der Welt umzugehen und auf die Mehrung empirischen Wissens zu achten.
Viel entscheidender sollte allerdings ein zweiter Aspekt werden. War zwar die Antwort auf die Frage der eigenen Heilsgewißheit unergründlich, so ließ dies wenigstens die Möglichkeit offen, zu erschließen, ob man im eigenen Handeln Gottes Willen verwirklichte, was sich am Erfolg zeigen sollte, oder ob man in diesem Sinne von Gott verlassen war. Der Mensch mußte sich im Leben bewähren, "um seines Gnadenstandes gewiß zu werden und zu bleiben. Als Gegenstand dieser aktiven Bewährung werden die Ordnungen der Welt für den Asketen, der in sie gestellt ist, zum ,Beruf`, den es rational zu ,erfüllen` gilt." (Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft: S. 329). Calvin baute also die bei Luther zuerst aufgetretene, aber viel zu schwach gehaltene Idee des Berufes aus. Der Calvinist sollte Berufsmensch sein. Seine gesamte Lebensführung sollte darauf eingestellt sein, sinn- und zweckvoll, rational also, die Welt zu verändern, Gottes Ruhm zu mehren durch Steigerung des individuellen wie nationalen Wohlstandes. Es ist zu sehen, der materielle Gütererwerb war nicht mehr - wie noch im Katholizismus - verpönt, er war nun ausdrücklich erwünscht. Er wurde nicht nur legalisiert, sondern sogar als gottgewollt angesehen7. Damit hatte sich die rationale, religiös verankerte Lebensführung herausgebildet. Sie verband den rationalen Erfüllung der beruflichen Pflichten mit der wertrational verankerten innerweltlichen Askese und prägte damit entscheidend den "Geist des Kapitalismus" und das Berufsmenschentum.8
Doch darf Weber nicht so verstanden werden, als wenn der protestantische Glaube die Ursache des modernen okzidentalen Kapitalismus sei (vgl. Loo/Reijen, Modernisierung: S.58). Weber ging es nur darum zu zeigen, daß die moderne Wirtschaftsordnung eigentlich zutiefst religiöse Wurzeln besitzt. Doch will er damit den modernen okzidentalen Kapitalismus nicht monokausal erklären. Für ihn ist der Kapitalismus unter anderem eine nichtintendierte Folge der Prädestinationslehre des Calvinismus.
1. 3.Die Rationalisierung der Weltbilder
Der Prozeß der Entwicklung und Etablierung der protestantischen Ethik als methodisch- rationale Lebensweise wurde vorbereitet und begleitet von einer Rationalisierung der Weltbilder, die Weber als "Entzauberung der Welt" (vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft S. 308) bezeichnete. Damit beschreibt er die Wandlungen und Veränderungen, welche die Weltbilder insbesondere im Okzident ausgehend vom animistischen oder magischen Weltbild bis hin zu unserem modernen von den Naturwissenschaften geprägten Weltbild durchlaufen haben. Als Ursache dafür angenommen wird ein "innerer Rationalisierungszwang" religiöser Weltbilder9. Diese haben sich um das Theodizeeproblem und den "andauernden Versuch seiner ,rationalen Lösung` zentriert" (ebd. S. 52). Damit wohnt der Antrieb zur Rationalisierung und in Endkonsequenz zur Zerstörung der religiösen Weltbilder den (allen) Religionen selbst inne und Weber interessiert sich, wie schon gesehen dafür, warum nur im Okzident sich dieses Rationalitätspotential bis in seine letzte Konsequenz entfalten konnte.
Ausgangsbasis von Webers Analyse ist das magische Weltbild. Dies stellt die Welt als einen Zaubergarten dar: Sie ist voller Geister, Götter und Dämonen, die alle belebten und unbelebten Dinge beseelen und "durch nichts motiviert . . . alles machen" können. (Kieser, Organisationstheorien: S. 40). Die einzige Möglichkeit der Menschen sich diesen Wesen zu erwehren oder Einfluß auf sie auszuüben ist der Zauber, der Götterzwang. Ich möchte hier nicht auf die Art der religiösen Vergemeinschaftung unter einem solchen Weltbild eingehen 10, doch möchte ich festhalten, daß dies keine alltägliche, sondern nur durch charismatische Führer (Medizinmänner, Schamanen, Druiden etc.) ausführbare Magie war. Daraus ergibt sich, daß das magische Weltbild eine Weltbeherrschung im Sinne des Protestantismus verhinderte. Jeder Eingriff in die Welt konnte irgend einen Gott oder Dämon erzürnen und die schlimmsten Konsequenzen nach sich ziehen. Ein solches Weltbild ist monistisch (vgl. ebd. S. 41), denn sie unterscheiden nicht zwischen Natürlichem und Übernatürlichem.
Dazu einen Fortschritt stellen dualistische Weltbilder dar, die diese Trennung vollziehen. Deren Herausbildung wird eingeleitet durch die Ordnung und Hierachisierung der zuvor unübersichtlichen Götterwelt im Pantheon. Diese "Hierachisierung entfernt die . . . Götter mehr und mehr von der Welt, bewirkt deren partielle Entzauberung" (ebd.). Ein solches Weltbild stand der Weltbeherrschung schon nicht mehr so ablehnend gegenüber. Ein unbeseelter Baum ließ sich nunmal leichter fällen als ein beseelter.
Die Ordnung der Götterwelt ging weiter von Statten und gipfelte in der Etablierung des Monotheismus in drei der großen Weltreligionen. Doch ein solches religiös-dualistisches Weltbild ist "jedoch nicht unbedingt mit der Entwicklung eines Strebens nach Weltbeherrschung verbunden." (ebd.). Es kann auch zu einer mystischen Kontemplation nach dem Vorbild des Hinduismus kommen. Der entscheidende Einfluß zur Entwicklung des modernen abendländischen Weltbildes war die Tatsache, daß die jüdische Religion extrem magiefeindlich war, eine Eigenschaft, die sie dem Christentum sozusagen mitgab. Jahwe war ein Gott des Handelns und zudem furchtbar und unnahbar. Damit konnte die jüdische Prophetie nicht wie die indische auf das Jenseits verweisen, gab den Gläubigen also keine Möglichkeit der Weltflucht, vielmehr forderte sie zum aktiven Handeln auf (ebd. S. 42f.). Alles Göttliche war damit weit ins Jenseits entrückt, die Natur entseelt und der Gläubige auf das Diesseits ausgerichtet. Nur der Katholizismus stellte noch eine bedeutende Unterbrechung in diesem Prozeß der Entzauberung der Welt dar. Der Priester war nun der Vermittler zwischen Gott und dem einfachen Menschen, und er besaß auch die Möglichkeit über die Beichte dem Menschen seine Unschuld wiederzugeben. "Man konnte sich in Ruhe und Bußfertigkeit an ihn wenden, er spendete Sühne, Gnadenhoffnung, Gewißheit der Vergebung und gewährte damit die Entlastung von jener ungeheuren Spannung, in welcher zu leben das unentrinnbare und durch nichts zu lindernde Schicksal des Calvinisten war" (Max Weber in: Kieser, S. 42, Hervorhebungen im Original). Diese Art der "Gnadenökonomie" verhinderte, daß die ungewisse und im Protestantismus unbeantwortbare Frage der Heilsgewißheit zum Motor einer Rationalisierung der Lebensführung hat werden können. Erst mit der Reformation kam der Rationalisierungsprozeß wieder in Schwung.
1. 4. Die Institutionalisierung zweckrationalen Handelns
Weber ist am meisten daran interessiert, wie sich der durch die protestantische Ethik herausbildende Typ des Handelns und des Umgangs mit der Welt, das zweckrationale Handeln, welches heute so charakteristisch für den modernen westlichen Kapitalismus ist, in den gesellschaftlichen Strukturen institutionalisieren konnte (I: 238).
Wie schon gesehen entwickelt sich der zweckrationale Typ des Handelns über die Rationalisierung der Lebensführung im Protestantismus. In engem Verbund mit der wertrationalen Ausübung der Berufsarbeit fand er Einzug in die Berufswelt, die wirtschaftliche Produktion. Über die ebenfalls beschriebene Rationalisierung von Wissenschaft und Recht als Befreiung der beiden Wertsphären aus den Beschränkungen religiöser Weltbilder, zog die Zweckrationalität auch in die Institutionalisierungen dieser Wertsphären, den Wissenschaftsbetrieb und in das Rechtssystem bzw. den rechtlichen Ordnungen für die kapitalistischen Wirtschaft und den bürokratischen Staat ein. Es läßt sich also sagen: "dem okzidentalen Rationalismus geht eine religiöse Rationalisierung voraus." (I: 238).
Einmal im modernen Staatswesen und in der Wirtschaft etabliert, ist die zweckrationale Handlungsorientierung aus diesen Systemen nicht mehr zu vertreiben. Im Gegenteil, führte der Rationalisierungsprozeß bisher zur Institutionalisierung des zweckrationalen Handelns, so sorgte er nun dafür, daß sich das ökonomische wie das administrative Handeln immer mehr hin zu einer reinen Form der Zweckrationalität entwickelt.
In den Persönlichkeitssystemen war das zweckrationale Handelns mittels der wertrationalen Verankerung der rastlosen Berufsarbeit und der daran gebundenen innerweltlichen Askese institutionalisiert. Da das gesamte Leben auf die Ausübung des Berufes ausgerichtet war, wurden auch alle Lebensbereiche durchrationalisiert. Die Sozialisation diente zur Reproduktion dieser rational-methodischen Lebensführung.
2. Max Webers Zeitdiagnose
2. 1. Bedeutungsverlust der protestantischen Ethik
Die Institutionalisierung des zweckrationalen Handelns im System des modernen okzidentalen Kapitalismus und des modernen Staates gelang nur durch die wertrationale Verankerung eben dieses Handlungstypus. Doch als sich die Systeme der Wirtschaft und der Politik etabliert hatten, und ihre Entstehung irreversible geworden war 11, löste sich das zweckrationale Handeln von der wertrationalen Fundierung und reproduzierte sich über die Institutionalisierung als utilitaristische Handlungsorientierungen (I: 364), womit der moralische Aspekt des zweckrationalen Handelns verloren gegangen war. Schluchter spricht von einer Entethisierung bzw. ethischer Neutralisierung weiter Teile sozialer Ordnungen (W. Schluchter, Die Entstehung des modernen Rationalismus S. 131f.). Das bedeutet nicht, daß kein Regelungsbedarf mehr bestand, und damit die religiös verankerte Regelung überflüssig geworden ist. Im Gegenteil, der Bedarf der Regelung hat zugenommen, doch geschieht dies zunehmend über das formale Recht und die Bürokratie (ebd.).
Die Ursache für diese Wandlung liegt gleichfalls im universalgeschichtlichen Entzauberungsprozeß der Welt. Dieser schuf dahingehend die Grundlage für den modernen Rationalismus, daß sich über die Entmystifizierung und Entnaturalisierung der Welt, der Verbannung von allem Göttlichen weit ins Jenseits die protestantische Ethik hat herausbilden können. Aber natürlich endete der Prozeß der Rationalisierung nicht mit der Etablierung dieser Berufsethik, sondern schritt weiter fort und zerstörte somit im Laufe der Zeit die Strukturen, die die protestantische Ethik hervorbrachten. Wurden im Laufe dieser Entwicklung animistische, polytheistische Welt- und Gottvorstellungen zugunsten des Monotheismus geändert, und erstere nicht mehr akzeptiert, so stand nun die Existenz des Göttlichen allgemein zu Debatte und wurde als eine Legitimierung von Wertvorstellungen und Ethiken entwertet. Die protestantische Ethik ruhte auf den Schultern der Prädestinationslehre des Calvinismus und sie verlor in dem Zuge an Bedeutung, indem der Calvinismus und das Christentum allgemein an Bedeutung verlor.
Doch wie schon erwähnt war die Berufsethik schon gar nicht mehr vonnöten. Die Strukturen des modernen okzidentalen Rationalismus reproduzierten sich selbst, und der Entzauberungsprozeß trieb die kulturelle Rationalisierung weiter voran.
2. 2. Sinn- und Freiheitsverlust
Unbestreitbar hat uns diese Moderne viele nützliche Dinge beschert, die ich hier nicht aufzählen möchte und die auch Weber nie geleugnet hat. Dennoch hat er eine ambivalente Einstellung gegenüber der Moderne und deren negative Aspekte äußern sich in zwei zentralen Thesen:
1) individueller Sinnverlust durch die Ausdifferenzierung der kulturellen Wertsphären Wissenschaft, Kunst und Recht/Moral.
2) individueller Freiheitsverlust durch die Verselbständigung der Subsysteme zweckrationalen Handelns und der davon begleiteten Bürokratisierung (I: 333).
1) Der Sinnverlust ist unmittelbar verursacht durch die Zerstörung der einheitlichen metaphysisch- religiösen Weltbilder, (ebd. S. 333ff.) welche die Welt noch als einheitliche und sinnvoll gestaltete Ordnung darstellen, und damit einem menschlichen Bedürfnis entgegenkommen. Durch den Prozeß der Entzauberung der Welt geht diese Funktion verloren, ohne daß sich ein funktionales Äquivalent anbieten würde. Die Wertsphären der Wahrheit, der normativen Richtigkeit und des Ästhetischen treten auseinander, differenzieren sich gemäß ihrer Eigenlogik anhand diesen drei Geltungsansprüchen mit wachsender Indifferenz den anderen gegenüber. So wird in allen Bereichen empirisches Wissen gesammelt, daß sich nicht mehr durch einen einheitlichen übergeordneten Rahmen integrieren läßt. Es entsteht ein Polytheismus der Wert- und Lebensordnungen (I: 338), die im Grunde unvereinbar sind. Es liegt nun am Menschen, sich zu entscheiden, welche Werte und Lebensordnungen er wählt. Eine ist so gut wie die andere, da rational nicht mehr zu begründen (I: 244). Der Mensch muß den Sinn, der in der Natur, in der Welt, in seinem Leben stecken muß, selbst finden, sich sein Sinngebäude selbst aufbauen. Doch der herrschende Polytheismus der Werte macht eine Letzbegründung, eine letzte Entscheidung über Wahrheit und Unwahrheit von Werten und Ansichten unmöglich, es bleibt Glaubenssache, und damit unsicher und zweifelhaft (ebd.).
2) (vgl. I: 345ff.) Der moderne Kapitalismus hat von Beginn an des gesatzten in einer bürokratischen Verwaltung durchgesetzten Rechtes bedurft. Und die Bürokratie sollte es auch sein, die über das moderne Recht die Beziehungen des Wirtschaftssystems zu allen anderen Systemen (nach der Theorie der funktionalen Differenzierung) regelt, und somit für systemische Integration sorgt. Sie ist deshalb für die Moderne unverzichtbar. Doch in ihrem Bestreben die ihr zugedachten Funktion zu erfüllen, dehnte sie sich auf immer weitere Bereiche des menschlichen Lebens, und dann insbesondere des sozialen Lebens aus. Der Lebensweg des Menschen ist zunehmend durch einen geplanten Weg durch die Institutionen (Schule, Militär, Universität) vorgezeichnet, dem man auch folgen sollte, wenn man ein erfolgreiches Leben führen wollte; gleichzeitig geschah eine Disziplinierung des einfachen Volkes, um den Bestand des Kapitalismus zu sichern. Beispielhaft dafür ist die Einführung einer Arbeitsdisziplin, also einer zwangsweise vollzogenen Institutionalisierung zweckrationalen Handelns in privaten Lebensstilen.
Durch diese Ausweitung der Bürokratie und der institutionellen Erfassung des Menschen wurden die Möglichkeiten einer individuellen, kreativen Gestaltung des Lebensweges immer begrenzter. Die moderne Gesellschaft wird gleichsam zum "stählernen Gehäuse" (I: 342). Der Zerfall der einheitlichen Weltbilder, und damit auch der Zerfall einer grundlegenden sinnstiftenden Ordnung machte es in der Moderne auch unmöglich den Gehalt der Ziele kritisch zu prüfen, die sich nun dank besserer Technik usw. effizienter erreichen ließen (Loo/Reijen S. 129).
Zusammenfassend läßt sich also sagen: "die moderne Welt stellt sich für Weber als Gipfelpunkt von Rationalität und Irrationalität dar: Der ungeahnten Fähigkeiten, zielstrebig und effizient vorzugehen, steht die Unfähigkeit gegenüber, die Ziele selbst anhand bestimmter fundamentaler und übergreifender Werte kritisch zu prüfen. In der modernen Gesellschaft werden moralische Probleme zumeist auf die Frage der Handlungseffektivität reduziert: Im Mittelpunkt steht dann nicht die Frage, ob etwas ,gut` oder ,schlecht` ist, sondern ob das Handeln für das angegebene Ziel, für das zu lösende Problem effektiv ist."(ebd.). Die Moral läßt sich manchmal so weit reduzieren, daß gut ist, was funktioniert (ebd.).
2. 3. Webers Ausblick
Weber zeichnet in seiner Zeitdiagnose kein düsteres, aber doch zumindestens ein skeptisches Bild der modernen Gesellschaft. Er hat bedeutende Sozialpathologien identifiziert, weiß aber selber nicht so recht, ob es einen Weg der Besserung gibt, bzw. geben kann.
Völlig ausgeschlossen ist für ihn eine Regression auf ein vormodernes Stadium. Der Prozeß der Modernisierung nach Weber ist ein "irreversibler Vorgang", der nicht hintergangen werden kann (Kneer, Pathologien der Moderne: S. 22f., Fn. 32). Die Errungenschaften der Moderne zurückzugeben ist erstens nicht wünschenswert und zweitens nicht praktikabel, denn eine Auslöschung der modernen Bewußtseinsstrukturen wie sie sich mit der Rationalisierung im Protestantismus und in der Aufklärung herausgebildet haben, ist überhaupt undenkbar. Der Sinn- und Freiheitsverlust in der modernen Gesellschaft, ist der Preis, den die Menschheit für die Errungenschaften der Moderne zu zahlen hat. Eine Versöhnung unter Bedingungen der Modernität hält Weber für ausgeschlossen (ebd.). Der Prozeß der Rationalisierung wird weitergehen, doch wie weiß Weber auch nicht zu sagen "und ob am Ende dieser ungeheuerlichen Entwicklung ganz neue Prophetien oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen werden, oder aber - wenn keines von beiden - mechanisierte Versteinerung, mit einer Art von krampfhaftem Sichwichtignehmen verbrämt. Dann allerdings könnte für die ,letzten Menschen` dieser Kulturentwicklung das Wort zur Wahrheit werden: ,Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz`: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben." (Max Weber in I: 338).
3. Jürgen Habermas - Die Dezentrierung der Weltbilder
3. 1. Weber und Habermas - Paradigmawechsel
Die Rekonstruktion von Max Webers Theorie der Entstehung des modernen okzidentalen Kapitalismus und der modernen westlichen Gesellschaft nimmt einen breiten Raum in der Theorie des kommunikativen Handelns (TkH) ein. Habermas nutzt zum einen Webers Typologie der Handlungsorientierung, um im Kontrast zu ihr sein Konzept der kommunikativen Rationalität und damit auch des kommunikativen Handelns zu entwickeln.
Er behält Webers Dichotomisierung in gesellschaftliche Subsysteme zweckrationalen Handelns (System) und die Welt der kulturellen Wertsphären (Lebenswelt) bei, und reformuliert mit seiner These der "Kolonialisierung der Lebenswelt" 12 Webers Zeitdiagnose, der Versachlichung, Verrechtlichung und Verbürokratisierung von Beziehungen im sozialen Bereich. Durch seine erweiterte und auf dem kommunikatonstheoretischen Paradigma (vgl. Kneer, Pathologien der Moderne, S. 38f.) ruhende Handlungstheorie kann Habermas über Weber hinausgehen und zeigen, daß die Dominanz der Zweckrationalität in fast allen Bereichen des Lebens keine funktional notwendige Entwicklung gewesen ist, daß es Alternativen gab und gibt. die Aufgabe des Paradigmas der Subjekt- bzw.
Bewußtseinsphilosophie sah Habermas als nötig an, weil sich damit immer nur die Beziehung zwischen einem Aktor und der objektiven Welt der leblosen Dinge beschreiben läßt, und es damit auch allein teleologisches, auf Veränderung dieser objektiven Welt gerichtetes Handeln als Handlungsbegriff zuläßt, was wiederum nur in die Richtung der Zweckrationalität rationalisiert werden kann. Dadurch kommt die Engführung in Webers Handlungstheorie zustande (Kneer, Pathologien der Moderne, S. 39f.). Durch den Wechsel auf das Paradigma der Verständigung nimmt Habermas die intersubjektive Welt in Blick und kann damit einen "angemessenen Realitätsbegriff gewinnen, der ,den kognitiv- instrumentellen Verkürzungen der Vernunft widersteht`: [die] kommunikative Vernunft" (ebd. S. 41). Diese wird in Richtung rational zustande gekommener Verständigung rationalisiert. Das Prinzip des Konsens eignet sich aus dem Grunde dafür, da Verständigung als Telos der Sprache innewohnt (Habermas, Entgegnung, S. 347) und sich dieses in der Sprache angelegte Rationalitätspotential im Laufe der Rationalisierung der Lebenswelt immer weiter entfaltet und die Alternative zum zweckrationalen Handeln hervorbringen kann. Diese Alternative ist das kommunikative Handeln, welches menschliches Handeln in der Orientierung an rational erzielten Einverständnissen in der Interaktion mit andere Menschen beschreibt und damit einen Integrationsmechanismus für die Lebenswelt darstellt. Habermas zeigt also, daß es beim Sinn- und Freiheitsverlust nicht bleiben muß. Dennoch stellt Webers Theorie der Rationalisierung "nach wie vor den aussichtsreichsten Ansatz für die Erklärung der Sozialpathologien, die im Gefolge der kapitalistischen Modernisierung auftreten" dar (II: 449).
3. 2. Das mythische Weltbild
In Max Webers Darstellung des Entwicklungsprozesses der Moderne wird Rationalität von ihm nach und nach mit Zweckrationalität gleichgesetzt (Groh, "Spuren der Vernunft in der Geschichte": S. 465). Und zwar meiner Meinung nach im gleichen Tempo, wie die wertrationale Verankerung des zweckrationalen Berufshandelns zerbröckelt, und sich in eine utilitaristisch geprägte Einstellung umwandelt. Der Entzauberungsprozeß der Welt ließ sozusagen nur eine Rationalitätsform "überleben", und zwar die, die sich für die Lösung praktischer Probleme der Bedürfnisbefriedigung am funktionalsten darstellte.
Habermas geht es nun nicht darum, diesen Prozeß zu leugnen bzw. umzudeuten. Aber wenn er das kommunikative Handeln als Mechanismus der Sozialintegration entwickeln will, dann muß er "zeigen, daß es in diesem Prozeß Alternativen gegeben hat, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht in Richtung auf die Entwicklung kommunikativer Rationalität, sondern in Richtung auf die Entwicklung von Zweckrationalität realisiert worden sind" (ebd. S. 465f.). Ansatzpunkt für Habermas ist dabei der Prozeß der Entzauberung der Welt bzw. der Dezentrierung der Weltbilder (I: 107). Diese Begriffsbezeichnung übernimmt Habermas von Jean Piagets kognitive Entwicklungstheorie der "Dezentrierung eines egozentrisch geprägten Weltverständnisses" (I: 106). Dazu zeichnet er zuerst die Strukturen eines nichtdezentrierten, mystischen Weltbildes nach.
In Mythen sind reichhaltige Informationen über die belebte und unbelebte Welt der Erscheinungen enthalten (I: 76), wissenschaftliche Erkenntnisse aus allen Bereichen, würden wir heute sagen. Doch sind diese Erscheinungen so organisiert, daß sie allen anderen Erscheinungen in den wichtigsten Aspekten ähnlich sind oder im starken Kontrast zu ihnen stehen. "Durch diese Ähnlichkeits- und Kontratsbeziehungen fügt sich die Mannigfaltigkeit der Beobachtung zu einer Totalität zusammen" (ebd.). Diese Einheitlichkeit ist in höchsten Maße sinnstiftend. Alle Erscheinungen werden als durch Dämonen oder Götter hervorgerufen angesehen, denen man schutzlos und machtlos ausgeliefert ist. Die gleichen Wesen sollen auch den soziokulturellen Bereich bestimmen. Dies stellt eine "Konfusion von Natur und Kultur . . . eine Vermischung von zwei Objektbereichen" dar (I: 79), dem der objektiven und der sozialen Welt. Diese mangelnde Differenzierung der Außenwelt führt auch dazu, daß sich keine Innenwelt oder Subjektivität ausbilden kann, denn "erst in dem Maße wie sich das formale Konzept einer Außenwelt . . . ausbildet, kann sich der Komplementärbegriff der Innenwelt oder der Subjektivität ergeben, der alles zugerechnet wird, was der Außenwelt nicht inkorporiert werden kann und wozu der Einzelne einen privilegierten Zugang hat" (I: 83). Die Mitglieder archaischer Gesellschaften besitzen aus diesem Grund auch eine stark am kollektiven Wissen orientierte Identität (ebd.).
Eine solche Differenzierung ist für kommunikatives Handeln unbedingte Voraussetzung, denn nur wenn man sich seiner selbst bewußt ist, und auch den anderen als Subjekt wahrnimmt und sich an seine Stelle denken kann, ist wirkliche Verständigung erst möglich (I: 106).
Eine weitere wichtige Unterscheidung wird in mythischen Weltbildern nicht vollzogen, und zwar die zwischen Sprache und Welt (I: 81). Es wird nicht unterschieden zwischen der Sprache als Kommunikationsmedium und dem Inhalt dessen, was mittels dieses Mediums ausgesagt wird. Das durch Sprache konstituierte Weltbild wird nicht von der Weltordnung an sich unterschieden. Es wird nicht als Interpretation der Welt begriffen (ebd.) und ist damit auch aus sich heraus nicht zu kritisieren, nicht zu transzendieren.
3. 3. Versprachlichung der Weltbilder
Die Dezentrierung der Weltbilder bei Habermas entspricht dem, was Max Weber als kulturelle Rationalisierung formuliert hat. Die Differenzierung der "Wertsphären" von Wissenschaft, Moral/Recht und Kunst wird als Ergebnis eines universalgeschichtlichen Entzauberungsprozeß angesehen, " der die Religion als ,Siegel` auf die ,Totalität eines sittlichen Lebenszusammenhanges` zerbricht" 13 Es ist eine wechselseitige Verselbständigung der Wertsphären (ebd. S. 88), die dahingehen charakterisiert werden kann, daß die "in religiösen und metaphysischen Weltbildern ausgedrückte substantielle Vernunft in drei Momente auseinander tritt" (ebd.). Habermas bezeichnet diese drei Momente als die kognitiv- instrumentelle Vernunft (Wissenschaft), moralisch-evaluative Vernunft (Moral) und ästhetisch-expressive Vernunft (Kunst) (vgl. I: 234). Nach dem Auseinandertreten dieser drei Bestandteile der kulturellen Überlieferung vollzieht sich die weitere Entzauberung der Welt anhand von drei universalen Geltungsansprüchen (I: 71), an denen sich das Handeln in diesen Wertsphären (alleinig) orientiert. So gehört zur Wissenschaft der Anspruch auf Wahrheit einer Erkenntnis; zur Moral/Recht die normative Richtigkeit eine Handlung anhand geltender Normen; sowie Ästhetik und Authentizität in der Kunst. Nichts anderes ist auch mit der Entfaltung einer jeweiligen Eigenlogik der Sphären gemeint (I: 234). In der Wertsphäre der Wissenschaft interessiert nicht, ob eine wissenschaftliche Erkenntnis ästhetisch ist, es geht einzig und allein darum, ob sie wahr und damit weiter zu verwerten ist, oder sich als falsch erweist und vergessen werden kann. Umgedreht kann es einem Kunstwerk völlig gleichgültig sein, ob sein Inhalt den Maßstäben wissenschaftlicher, empirisch geltender Wahrheit entspricht. Diese Trennung kann so scharf aber auch nur zwischen den beiden Sphären der Kunst und der Wissenschaft gezogen werden, denn beide werden von dem Maßstab der Moralität beeinflußt bzw. teilweise auch beschränkt, was insbesondere in der Gentechnik und bei Horror- und Pornofilmen leicht zu verdeutlichen ist.
Diese kulturelle Rationalisierung führt insbesondere im Bereich der Wissenschaften zu einer immer schnelleren Anhäufung von immer mehr und immer differenzierterem empirischen Wissen. Und diese Wissensakkumulation bewirkt im Laufe der Zeit die Trennung von Natur und Kultur (I: 80). Die Magie ist verschwunden und alles Göttliche wurde ins Jenseits verbannt. Alle Naturerscheinungen werden allmählich als von der Natur selbst verursacht und bestimmten Naturgesetzen folgend angesehen. Gott wird nur noch die Rolle des ursprünglichen Schöpfers dieser Gesetze zugedacht (Loo/ Reijen: S. 125).
Ebenso wird erkannt, daß die Gesellschaft und Kultur einzig Folge von menschlichem Handeln und Denken ist. Diese Trennung der Objektbereiche bedeutet also eine "Desozialisierung der Natur und eine Denaturalisierung der Gesellschaft" (I: 80). Dadurch haben sich formale Konzepte der objektiven und sozialen Welt herausgebildet, die nun, da die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind auch die Ausdifferenzierung einer differenzierten Innenwelt, Subjektivität ermöglichen. 14.
In diesem Prozeß der Rationalisierung kommt es nicht zuletzt auch zu einer Trennung von Sprache und Welt. Das sprachlich artikulierte Weltbild wird nun als Interpretation einer objektiv gegebenen Weltordnung verstanden. Es ist somit transzendent und kann kritisiert und auch revidiert werden. Doch nicht als Ganzes, denn formale Strukturen des modernen Weltbildes sind zurückgetreten und sind in das bei jeder Kommunikation implizit vorausgesetzte Hintergrundwissen der Lebenswelt verschwunden. Zur Diskussion stehen demnach nicht die Strukturen sondern vielmehr die Inhalte des modernen Weltverständnisses. So läßt sich beispielsweise innerhalb der Physik unterschiedliche Ansicht über die Entstehung des Universums sein, und man kann darüber diskutieren und die einzelnen Theorien gegeneinander abwiegen. Nicht zur Disposition steht aber, daß die Erklärung für die Entstehung des Universums innerhalb der Physik oder allgemein der modernen empirischen Naturwissenschaften zu suchen und zu finden sein wird und nicht innerhalb der Philosophie oder der Religion. Das ist die Voraussetzung, die gemacht werden muß.
Die Grundlagen für diese Reflexivität, die das moderne Weltbild auszeichnet liegen darin selbst und in seinen Träger, den modernen Bewußtseinsstrukturen, begründet. Weltbilder sind in höchstem Maße sinnstiftend, geben Identität und sind damit Grundlagen der Vergesellschaftung (I: 100). Und sie können nicht kritisiert oder revidiert werden, ohne eben diese Funktionen massiv zu gefährden (ebd.). Das unreflexive Dogma eines mythischen Weltbildes ergibt sich aus seiner Struktur. Es "webt alle Erscheinungen zu einem einzigen Netz von Korrespondenzen zusammen, aber seine Interpretationen dringen nicht durch die Oberfläche des anschaulich Erfaßbaren hindurch" (I: 77). Es ist zugleich "rund und hohl" (ebd.). Einen Teil eines solchen Weltbildes zu kritisieren, in Frage zu stellen würde bedeuten, einen Baustein aus diesem geschlossenen Gebäude herauszunehmen, ohne eine glaubhafte und damit funktional äquivalente Alternative anbieten zu können. Das Selbstverständnis der Mitglieder archaischer Gesellschaften wäre extrem gefährdet, und darum schließt sich die Reflexion hier von selbst aus, was natürlich nicht bedeutet, daß das mythische Weltbild unwandelbar starr ist. Doch reflexiver Umgang mit der Realität kann nicht sein Prinzip sein. Veränderungen geschehen am ehesten über die Prophetie, wo charismatische Persönlichkeiten mit einer zumeist von Gott offenbarten neuen Ordnung eine Alternative zur bestehenden anbieten. Hier wird eine komplette Ordnung durch eine komplett neue ersetzt, und nicht sukzessive durch Erkenntnisfortschritt.
Das moderne Weltverständnis hat nicht weniger die Funktion, der Welt Sinn zu verleihen und Identität für den Einzelnen wie sozialer Gruppen zu stiften. Doch haften diesen Funktionen nicht mehr an den sprachlich ausgedrückten konkreten Inhalten unseres okzidentalen Weltverständnisses, sondern an den vorhin beschriebenen formalen Strukturen, die wir in unserem Alltag ständig voraussetzen, und derer wir uns selten bewußt sind. Gefüllt wird dieses formale Konstrukt durch die empirischen Wissenschaften, die gleichzeitig zeigen können, was empirisch als wahr gilt und für den Fall, daß über ein Problem bisher nur Hypothesen bestehen, die letztlich noch nicht bewiesen sind, auch Pluralität aushalten. Deswegen sind die Inhalte unseres Weltverständnis grundsätzlich immer diskutierbar und das Weltbild als solches ständig veränderbar, da es in sich Mechanismen besitzt, um festzustellen, was objektiv wahr ist.
Hier kann jetzt leicht der Eindruck entstanden sein, daß es sich auch bei unserem modernen okzidentalen Weltverständnis um ein integriertes Weltbild handelt, was definitiv nicht der Fall ist. Es ist ein dezentriertes Weltbild, was streng in die einzelnen Realitätsbereiche (objektive, soziale, und subjektive Welt) und in die drei Wertsphären Wissenschaft, Moral/Recht und Kunst unterteilt ist. Die grundlegende Kritisierbarkeit und Revidierbarkeit habe ich nur am Beispiel der wissenschaftlichen Erkenntnis aufgezeigt. Die Pluralität in der Moderne kommt im Begriff des "Wertepluralismus" allerdings noch viel besser zum Ausdruck.
Zusammenfassend läßt sich also sagen: "In der okzidentalen Moderne sind die einheitlichen Weltbilder zerfallen und es haben sich abstrakte, von allen Inhalten losgelöste, formale Weltkonzepte herausgebildet, die einen reflexiven Umgang der Kommunikationsteilnehmer mit der Wirklichkeit erlauben. Die Akteure können Geltungsfragen thematisieren, sie können die mit ihren Sprechhandlungen erhobenen Ansprüche auf rationale Geltung gegebenenfalls argumentativ begründen oder kritisieren, ohne von vornherein an eine inhaltlich vorgegebene Weltsicht gebunden zu sein" (Kneer, Pathologien der Moderne: S. 66).
Versprachlicht ist das Weltverständnis insofern, als daß seine Inhalte nur als Interpretationen der Weltordnung angesehen werden (Trennung von Sprache und Welt) und grundsätzlich über Argumentation und Verständigung anhand der universalen Geltungsansprüche nur zu Inhalten des Weltverständnisses werden können.
3. 4. Rationalisierung der Lebenswelt
Habermas bezeichnet diese Versprachlichung, die Dezentrierung der Weltbilder auch als Rationalisierung der Lebenswelt (Kneer, Pathologien der Moderne: S. 66). Als Lebenswelt bezeichnet Habermas den Horizont, in dem wir unser Leben führen, und somit auch als kommunikativ Handelnde auftreten können. Sie umfaßt den Alltag wie die Ãffentlichkeit. Sie dient als Quelle für Situationsdefinitionen, die als unproblematisch vorausgesetzt werden und sie ist der Ort, wo problematische Geltungsansprüche diskutiert und eingelöst und damit in das wieder unproblematische Hintergrundwissen der Lebenswelt eingebaut wird (vgl. dazu die vorläufige Einführung des Begriffes I: 107). Die Lebenswelt wird also zur Domäne der Verständigung (J. Berger, Gibt es ein nachmodernes Gesellschaftsstadium ? S. 88). In ihr entfaltet sich das in der Sprache angelegte Vernunftspotential, in ihr wird der Prozeß der Entzauberung der Welt, der Rationalisierung der Lebenswelt weiter vorangetrieben, indem bisher als unproblematisch angesehenes, durch Traditionen und Konventionen festgelegtes Hintergrundwissen nach und nach reflektiert und kritisch überprüft wird. Wieder in das Hintergrundwissen eingelagert wird nur, was sich über einen gemeinschaftlichen, ungezwungenen Konsens als geltend durchgesetzt hat. Diese Versprachlichung alles bisher unbefragt, unreflektiert und teilweise dogmatisch Geltenden, (kommunikatives Handeln), geht um so besser, je weiter die Entzauberung der Welt fortgeschritten ist, je weiter die Wertsphären unversöhnlich auseinander getreten sind, und damit die Grundlagen für Tradition und Konvention zerstört haben, denn "je weiter das Weltbild, das den kulturellen Wissensvorrat bereitstellt, dezentriert ist, um so weniger ist der Verständigungsbedarf im vornherein durch eine kritikfeste interpretierte Lebenswelt gedeckt; und je mehr dieser Bedarf durch die Interpretationsleistungen selbst, d. h. über ein riskantes, weil rational motiviertes Einverständnis befriedigt werden muß, um so häufiger dürfen wir rationale Handlungsorientierung erwarten (I: 107f.).
Die Rationalisierung der Lebenswelt, die vollständige Entzauberung der Welt von allem Magischem und Religiösem, das Aufkommen und die Etablierung des modernen Weltverständnisses sind also unbedingte Voraussetzung des kommunikativen Handelns.
Doch bevor ich darauf näher eingehen werde, möchte ich noch Habermas Vorstellung vom Vollzug dieses Entwicklungsprozesses der Rationalisierung darstellen.
3. 5. Die Dezentrierung der Weltbilder als Evolutionstheorie der okzidentalen Moderne
Der Prozeß der Dezentrierung der Weltbilder "d.h. die systematische Veränderung der Weltbildstrukturen im Laufe der sozialen Evolution" (Kneer, Pathologien der Moderne, S. 66) ist "nicht allein psychologisch, ökonomisch oder soziologisch, also mit Hilfe externer Faktoren" zu erklären (I: 103), sondern er stellt auch einen "intern nachkonstruierbaren Wissenszuwachs" dar (ebd.). Die Rationalisierung von Weltbildern ist also auf Lernprozesse zurückzuführen, und die Abfolge der verschiedenen Weltsichten muß aus der Teilnehmerperspektive als nachvollziehbare Lernschritte nachkonstruierbar sein (ebd.). Zur Erklärung dieser Lernprozesse benutzt Habermas die Überlegungen von Jean Piaget, der die Ontogenese als "Dezentrierung eines egozentrisch geprägten Weltverständnisses" ansieht (I: 106). Durch "aktive Auseinandersetzung mit der äußeren Realität" (I: 105) lernt das Kind seine Umwelt "in die Welt der wahrnehmbaren und manipulierbaren Gegenstände einerseits, in die normativ geregelten interpersonalen Beziehungen andererseits" (ebd.) zu unterscheiden und dementsprechend auch eine Innenwelt aufzubauen. Damit tritt das vorher egozentrisch geprägte Weltbild, wo alle Erscheinungen scheinbar auf das Subjekt bezogen waren, in die einzelnen Realitätsbereiche auseinander.
Bei der Veränderung der Weltbildstrukturen könnte es sich um einen ähnlichen Vor- gang handeln. Denn die Rationalisierung dieser Strukturen ist durch "Veränderungen im System der Grundbegriffe charakterisiert" (I: 104). Diese Grundbegriffe einer Weltauslegung werden beim Übergang zu einer höheren Stufe "kategorial entwertet. Nicht dieser oder jener Grund überzeugt nicht mehr, die Art der Gründe ist es, die nicht mehr überzeugt" (ebd.). So konnte die Kirche den Verfall ihrer Akzeptanz nicht wirklich dadurch stoppen, daß sie sich in ihren Lehren den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen anpaßte (kopernikanisches Weltbild). Religiöse Weltdeutungen allgemein wurden weniger akzeptiert.
Das ist die innerpsychische, am Bewußtsein ansetzende Sicht auf den Prozeß der Entzauberung der Welt. Dennoch ist es ein kollektiver Lernprozeß (Kneer, Pathologien der Moderne, S. 68), er vollzieht sich also gerade im sozialen Bereich, in Interaktion und Kommunikation. Die Annahme, die Habermas hier stillschweigend zugrunde legt, ist, daß sich das von Piaget entwickelte Schema für die kognitive Entwicklung in der Ontogenese ohne fundamentale Schwierigkeiten auf die Phylogenese und damit auf den Prozeß der Entzauberung der Welt übertragen läßt 15. Dadurch läßt sich eben dieser Prozeß als moderne Evolutionstheorie des modernen okzidentalen Weltverständnisses bezeichnen.
4. Kommunikatives Handelnund Universalismus
4. 1. Kommunikatives Handeln
Habermas hat eine eigene Handlungstheorie entwickelt, deren Darstellung hier keinen Raum finden kann. Er hat drei Handlungsbegriffe entwickelt, die sich jeweils zum 3-Welten Konzept in Beziehung setzen und die drei universalen Geltungsansprüche repräsentieren. Diese drei Handlungsbegriffe sind teleologisches, normenreguliertes und dramaturgisches Handeln (siehe dazu I: 141ff.), zu denen sich die Geltungsansprüche auf objektive Wahrheit, normative Richtigkeit und subjektive Wahrhaftigkeit zuordnen lassen (vgl. I: 149). Jeder Handlungstypus steht in Beziehung zu einem der formalen Weltkonzepte, doch immer nur einzeln oder bestenfalls paarweise.
Die Sprache findet auch in allen drei Handlungstypen Einzug, allerdings "jeweils . . . einseitig konzipiert" (I: 142). Beim teleologischen Handeln ist die Sprache nur eines von mehreren Mitteln, um eigene Ziele zu verfolgen. Im normenregulierten Handeln erfüllt sie die Funktion der Normenüberlieferung, des Träger dieser Verständigung darüber und die Reproduktion dieses Konsens. Im dramaturgischen Handeln überwiegt der expressive Anteil der Sprache zum Zwecke der Selbstdarstellung (ebd.). Diese drei Handlungstypen stellen damit lediglich Grenzfälle des kommunikativen Handelns dar (I: 142).
"Allein das kommunikative Handeln setzt Sprache als ein Medium unverkürzter Verständigung voraus, wobei sich Sprecher und Hörer aus dem Horizont ihrer vorinterpretierten Lebenswelt gleichzeitig auf etwas in der objektiven, sozialen und subjektiven Welt beziehen, um gemeinsame Situationsdefinitionen auszuhandeln" (I: 142). Der Sprecher bezieht sich mit einer Aussage auf alle drei formalen Weltkonzepte, integriert sie in dem Sinne, daß er sie als für den Hörer gemeinsamen Interpretationsrahmen voraussetzt, innerhalb dessen Verständigung erzielt werden soll (I: 148). Dieser Konsens beruht dabei auf der intersubjektiven Anerkennung kritisierbarer Geltungsansprüche (I: 37). Allerdings sind diese Weltbezüge nicht mehr "geradehin" bzw. unmittelbar, sondern geschehen in reflexiver Weise (ebd.). Die eigene Äußerung wird an der Möglichkeit relativiert, daß andere deren Geltung bestreiten. Da jede Äußerung einen Geltungsanspruch auf Wahrheit, normative Richtigkeit bzw. subjektive Wahrhaftigkeit erhebt, sie sich damit auf drei Welten bezieht, machen sich die Zuhörer den Umstand zu nutzen, daß dieser Weltbezug zwischen Aktor und Welt grundsätzlich objektiv beurteilt werden kann (ebd.). Diese Beurteilungsfähigkeit motiviert jeden rational eingestellten Aktor zu einer Stellungnahme zu dem Geltungsanspruch. In der Alltagspraxis liegen diese Geltungsansprüche jeder Äußerung implizit inne (I: 151). Und ebenso implizit nimmt jeder Hörer zu diesem grundsätzlich kritisierbaren Geltungsanspruch mit Ja oder Nein Stellung (I: 387). Beide gründen ihre Aussagen bzw. Stellungnahmen auf potentielle Gründe (ebd.), die Akteure können ihre Meinungen unter geeigneten Umständen wenn nötig rational begründen (I: 37) und damit den von ihnen erhobenen Geltungsanspruch einlösen, falls er problematisch geworden sein sollte. Dabei wird auch den anderen Aktoren Rationalität zugesprochen, ihm das Recht zugeteilt, ebenfalls Geltungsansprüche zu erheben, bzw. rational zu ihnen Stellung zu nehmen.
Rationalität wird dem anderen Aktor als notwendige Bedingung unterstellt, denn "wenn wir von vornherein seine Unvernunft annehmen würden, wären sie [die Äußerungen] nicht einmal mehr ernsthaft zu prüfen" 16. Da die Geltungsansprüche auf Gründen beruhen, die man ebenso kritisieren kann, verweist diese Rationalität der kommunikativen Alltagspraxis "auf die Argumentationspraxis als die Berufungsinstanz, die es ermöglicht, kommunikatives Handeln mit anderen Mitteln fortzusetzen, wenn ein Dissens durch Alltagsroutinen nicht mehr aufgefangen werden kann und gleichwohl nicht durch den unvermittelten die den strategischen Einsatz von Gewalt entschieden werden soll (I: 37f.). Dem Diskurs fällt also die Rolle zu, nur im Fall problematischer Geltungsansprüche, die keine implizierte Geltung beanspruchen können, zu einer argumentativen Einigung zu führen. Dabei soll zum Schluß als Konsens gelten, was dem "zwanglosen Zwang" 17 des besseren Argumentes folgt, also frei von Machteinflüssen o.ä. zustande kommt. Auf diese Weise werden diese problematisch gewordenen Teile bzw. Situationen der Lebenswelt über einen Akt der Verständigung, der immer noch auf dem unproblematischen Teil des Hintergrundwissens der Lebenswelt ruht, wieder in die Lebenswelt integriert. Es kommen Situationsdefinitionen zu stande, deren Besonderheit ist, daß es eine gemeinsame intersubjektive Situationsdefinition ist, die auf Konsens beruht, da keiner der Interaktionsteilnehmer das Interpretationsmonopol hat (I: 150). Es darf nicht der Fehler begangen werden, kommunikatives Handeln mit sozialem Handeln und dieses somit mit Kommunikation oder Konversation gleichzusetzen (I: 151). Die "kommunikative Handlung geht nicht im . . . Akt der Verständigung auf" (I: 151)."Tatsächlich ist aber die sprachliche Verständigung nur der Mechanismus der Handlungskoordinierung, der die Handlungspläne und die Zwecktätigkeiten der Beteiligten zur Interaktion zusammenfügt" (I: 143) Kommunikatives Handeln ist also nicht allein ein Teil einer Handlungstypologie, sondern zum gleichen Teil auch ein Mechanismus der Handlungskoordination, die dann rational ist, wenn sich das Handeln an der intersubjektiven Verständigung orientiert, denn der Rationalität liegt das Motiv zur kommunikativen Verständigung in diesem Sinne inne (I: 30).
4. 2. Universalismus
Universeller Wahrheitsanspruch
Mit dem Bezug auf die objektive Welt, wird der Anspruch erhoben, daß man sich auf ein Objekt bezieht, was wirklich so und nicht anders in der objektiven für alle gleichermaßen zugänglichen Welt existiert. Für den Fall, daß von anderen Kommunikationsteilnehmern Zweifel an der Wahrheit meiner Aussage anmelden, muß ich sie mit guten Argumenten begründen und die anderen damit überzeugen können. Der Diskurs entscheidet in diesem Fall, ob meine Ansicht oder die der oder des anderen der Wahrheit entspricht. Auf jeden Fall soll und wird sie nach Habermas` Auffassung sich im Diskurs Geltung verschaffen, und somit Streitfragen begleichen und irgendeinen geäußerten Geltungsanspruch einlösen, da er wahr ist. Führt man den Diskurs nach den von Habermas aufgestellten Regeln ("herrschaftsfreier Diskurs"), so siegt am Ende immer die absolute Wahrheit, ungeachtet auf welche Seite sie sich damit stellt. Dieses Konzept wäre unhaltbar, würde Habermas einen relativistischen oder partikularistischen Wahrheitsbegriff in Betracht ziehen (I: 92). Eine Kontroverse zwischen zwei subjektiv für wahr gehaltenen Positionen wäre im Sinne Habermas nicht konsensfähig. Es muß demnach irgendwo eindeutig entschieden sein, was wahr ist, und was nicht. Für den Bereich der objektiven Welt übernehmen die Expertenkulturen der Naturwissenschaft die Aufgabe festzustellen, was ist, und was nicht ist. Damit nun auch in alltäglichen Kommunikationen dieses Wissen eingesetzt werden kann, um notfalls einen Diskurs entscheiden zu können, muß das Fachwissen der Expertenkulturen in die Alltagskommunikation rückvermittelt werden (J. Habermas, Entgegnung, S. 341). Wahrheit würde damit immer dem neuesten Stand der Forschung entsprechen und wäre meines Erachtens nur in der Zukunft anhand neuerer Erkenntnisse zu relativieren.
Was wir im Okzident als wahr erachten hat diese Eigenschaft nicht nur aufgrund unserer Sprache und kulturellen Überlieferung. Wahrheit ist also auch interkulturell nichts verschiedenes, sondern auch in dieser Beziehung universell. Denn "wenn eine Aussage wahr ist, verdient sie gleichviel in welcher Sprache sie formuliert ist, universelle Zustimmung" (I: 93), da "alle Sprachen die Möglichkeit [bieten], zwischen dem was wahr ist, und was wir für wahr halten, zu unterscheiden. In die Pragmatik jeden Sprachgebrauchs ist die Unterstellung einer gemeinsamen objektiven Welt eingebaut" 18.
Universelle Normen
Mit dem Bezug auf die soziale Welt wird der Geltungsanspruch auf normative Richtigkeit einer sozialen Norm, bzw. auf die Legitimität einer geregelten interpersonellen Beziehung erhoben. Im letzteren Fall ist Wahrheit von Falschheit sehr leicht zu unterscheiden, da sich eine soziale Beziehung als empirische Tatsache darstellt, die sich von den Beteiligten eindeutig bestimmen läßt. Viel schwieriger ist die Lage, wenn es um die universelle Geltung einer Norm bzw. der Moral. Hierin besteht sichtbar eine Analogie zu dem zuvor behandelten Problem, denn ein Geltungsanspruch auf normative Richtigkeit kann ebenfalls nicht eingelöst werden, wenn es mehrere geltende, sich auf ein Thema beziehende Norm- bzw. Moralvorstellungen gibt. Und eine Pluralität der Normen und Werte bzw. der Moral ist die logische Konsequenz aus der Ausdifferenzierung dieser Wertsphäre aus religiösen Weltbildern. Ihnen war damit die feste Grundlage genommen, die sich zur Orientierung eignete. In der Moderne sind auch sie der Reflexion ausgesetzt, und Weber stellt richtig fest, daß Wert- bzw. Moralinhalte sich nicht rational begründen lassen und somit die Wahl für ein bestimmtes Wertesystem auch nicht rational motiviert sein kann (I: 243).
Dennoch vermag es Habermas, einen Mechanismus der universellen Moral oder Norm anzugeben: "Jede gültige Norm muß der Bedingung genügen, daß die Folgen und Nebenwirkungen, die sich aus ihrer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung der Interessen jedes Einzelnen voraussichtlich ergeben, von allen Betroffenen zwanglos akzeptiert werden können" (Habermas in: Groh "Spuren der Vernunft in der Geschichte" S. 445). Dieser Ansatz entspricht der Verallgemeinerungsmöglichkeit meines eigenen Handelns (Horster, Habermas zur Einführung, S. 72) und ähnelt dem kategorischen Imperativ von Kant.
Die universelle Moral bzw. das was als Norm universelle Geltung erlangen soll, wird hier also auch im Diskurs über den freien Konsens bestimmt. Ein solcher Konsens ist allerdings nur möglich, wenn jeder seine egozentrische Perspektive überwindet und sich "solidarisch" in die Lage der anderen einfühlt (ebd.). Wie gezeigt wurde, ermöglicht das moderne Weltverständnis ein ebensolches reflexives, kontrolliertes Umgehen mit der eigenen Subjektivität, wie das Hineinversetzen in andere Personen.
Das bedeutet, daß Rücksicht genommen wird auf die Belange, Interessen und Nöte der Mitmenschen. Das Handeln wird so abgestimmt, daß niemand dessen Folgen subjektiv als zu negativ empfindet. Nur im Fall starker Interessenunterschiede müßte es zu einer
Verständigung im idealtypischen Sinne von Habermas kommen.
Das sind sicherlich sehr kritisierbare Positionen und Ansichten von Jürgen Habermas, doch möchte ich hier auf keine Form der Kritik eingehen. Es ging mir nur darum kurz aufzuzeigen, wie Habermas die Ansprüche auf universell gültige Wahrheit und Moral begründet, da diese Positionen der intuitiven Einstellung wie ich meine, eher entgegenlaufen, sich aber als Fragen fast zwangsläufig aus der Darstellung des kommunikativen Handelns ergeben.
5. Weber und Habermas - Schlußbetrachtungen
5. 1. Das kommunikative Handeln als soziale Integration
p>p>Wird dieses kommunikative Handeln, so wie es hier beschrieben ist, zur Alltagspraxis, zum beherrschenden Handlungstyp in sozialen Beziehungen, in der Lebenswelt, bleibt für andere pathologisch wirkende Handlungsorientierungen (kognitiv-instrumentelles Handeln) kein Raum, womit ein Mechanismus der Integration der Lebenswelt gefunden worden ist, der die Einheit der in den drei Wertsphären auseinandergetretenen Momente der Vernunft wieder herstellt, wenngleich auch nur durch die das Verfahren der Argumentation (Habermas, Entgegnung, S. 340). Dies ist Max Weber nicht gelungen. Er verharrte bei seiner Diagnose des Sinn- und Freiheitsverlust in der modernen okzidentalen Gesellschaft und wußte keinen Ausweg. Sein Handlungstypologie verweist nur auf vier Handlungstypen. Davon bezeichnen affektives und traditionales Handeln, solches Handeln, was "an der Grenze und oft jenseits dessen, was bewußt ,sinnhaft` orientiert ist" (Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft S. 12).
M. E. ist dies eine deutlich irrationale Komponente, was diese Handlungstypen nicht dafür eignet einen Mechanismus der Sozialintegration auszubilden. Zumal außerdem noch das traditionale Handeln im Laufe der Entzauberung der Welt und der Rationalisierung seiner Grundlagen beraubt wird, und damit stark an Bedeutung verliert. Ein ähnliches Schicksal erleidet das wertrationale Handeln. Es zählt zwar zu den rationalen, da "sinnhaft" orientierten (ebd.) Handlungsformen, und ist auch an der Entstehung und der Institutionalisierung des modernen okzidentalen Kapitalismus und Staates entscheidend beteiligt. Doch wie gesehen zerstört der weiterlaufende Prozeß der Rationalisierung und der Entzauberung der Welt auch die Grundlagen der wertrationalen Verankerung des zweckrationalen Handelns, daß sich nun losgelöst davon als utilitaristische Handlungsorientierung (I: 364) selbständig in den Institutionen der Moderne reproduziert. Der Typus des zweckrationalen Handelns dominiert damit in den meisten Bereichen des modernen okzidentalen Lebens, und vermag in dieser Stellung von den Rudimenten wertrationalen oder traditionalen Handelns nicht bedroht werden.
Auch das affektuelle Handeln unterliegt in seinen Äußerungsmöglichkeiten den Beschränkungen der von der Zweckrationalität bestimmten Welt. Das beinhaltet auch die Unterdrückung der Triebnatur, insofern sie sich den Anforderungen der Gesellschaft bzw. der Wirtschaft entgegenstellen. Dies geschah zuerst wertrational motiviert in der innerweltlichen Askese, um der quälenden Frage der Heilsgewißheit näherzukommen. Einmal im kapitalistischen System institutionalisiert, reproduzierte sie sich als Forderung an die Arbeiter dahingehend und von religiöser Grundlage gelöst, daß sie die Arbeitsdisziplin nicht beeinträchtigen durfte. Weber hat dies vielleicht ein wenig drastisch, aber dennoch zutreffend folgendermaßen bezeichnet: "Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, - wir m ü ssen es sein" (Max Weber in: Kieser, Organisationstheorien, S. 44, Hervorhebungen Max Weber ). Aus Webers Handlungstypologie ist die Zweckrationalität als eindeutiges Primat über alle anderen Handlungstypen hervorgegangen, weswegen Weber nichts bleibt, was er dieser überwuchernden Zweckrationalität entgegenstellen kann. Daraus resultiert seine skeptische Sicht auf die Zukunft der modernen Gesellschaft.
5. 2. Sinn- und Freiheitsverlust bei Habermas
Habermas hat durch den Wechsel von der Subjektphilosophie zur Kommunikationstheorie einen neuen Handlungsbegriff entwickelt, das kommunikative Handeln. Strukturell war dieser Handlungsbegriff schon in Webers Werk angelegt (vgl. I: 320), betrachtet doch auch er die kulturelle Rationalisierung, die zur Ausdifferenzierung der drei Wertsphären führt, und damit im Laufe dieses Prozesses das kommunikative Handeln möglich macht. Doch bleibt sein Interesse dann an der Institutionalisierung des zweckrationalen Handelns haften, die kulturelle Rationalisierung verliert er aus den Augen. Habermas geht da über Weber hinaus. Die Dezentrierung der Weltbilder zerstört das einheitliche Sinngefüge des religiös- metaphysischen Weltverständnisses. Es besteht in der okzidentalen Moderne das Bedürfnis, der Welt neuen Sinn zu verleihen, denn das Problem der Theodizee ist noch lange nicht gelöst. Im Gegenteil, in der Moderne ist es seiner bisherigen Lösung ersatzlos beraubt worden. Da Weber vom Subjekt ausgeht, bürdet er damit m. E. auch dem einsamen Einzelnen die Last auf, im inneren Dialog oder Diskurs, die Welt neu zu ordnen, sie in ein sinnvolles Gefüge zusammenzusetzten. Doch Weber glaubt nicht, daß der Einzelne darin Erfolg haben kann. Er sieht den modernen Menschen einem "Polytheismus miteinander ringender Glaubensmächte" gegenüber, "deren Unversöhnlichkeit in einem Pluralismus unvereinbarer Geltungsansprüche wurzelt" (I: 338). Seine These vom Sinnverlust gleicht damit einem nichtentrinnbaren Verhängnis, dem der moderne Mensch ausgeliefert ist (Preis der Moderne).
Jürgen Habermas meint gerade, daß die drei Geltungsansprüche gar nicht so "unversöhnlichen" sind, denn "gerade auf der formalen Ebene der Argumentation ist die Einheit der Rationalität in der Mannigfaltigkeit der eigensinnig rationalisierten Wertsphären gesichert (ebd.). Er verlagert den Prozeß der Sinnfindung in die intersubjektiv geteilte Lebenswelt, wo nicht die Intelligenz bzw. das Wissen des Einzelnen der Sinnfindung Grenzen setzt, sondern diese bis zur letzten Konsequenz, bis zum gemeinschaftlichen, rational motivierten Konsens fortgesetzt werden kann. Dieser sprachlichen, auf Verständigung orientierten Integration der Lebenswelt steht dabei die entsprachlichte Systemintegration gegenüber 19. Die Entsprachlichung der Systemintegration wird dabei zu einer Bedingung für das Funktionieren des kommunikativen Handelns, denn würden beide Lebensbereiche durch Kommunikation integriert, wäre das ein unaushaltbares Maß an Komplexitätssteigerung für den Einzelnen. Deshalb will Habermas die Systemwelt über "sprachlose" Medien wie Macht und Geld integriert sehen, also konsenslos. Dafür soll der Bereich der Lebenswelt der verständigungsorientierten Integration durch das kommunikative Handeln vollständig überlassen sein (ebd.).
Durch diese Konzeption seiner Theorie des kommunikativen Handelns gelingt es Habermas am Ende auch Webers These vom Freiheitsverlust zurückzuweisen. Dies bedeutet ja das "Eindringen von Formen ökonomischer und admin istrativer Rationalität in Bereiche, deren Reproduktion sich über sprachliche Verständigung vollzieht" (ebd. S. 262). Wie soeben gesehen, ist es die Aufgabe des kommunikativen Handelns als Mechanismus der Sozialintegration genau dieses Eindringen der Systemintegration in die Lebenswelt entgegenzutreten und somit einen Schritt zu tun, die Sozialpathologien der Moderne zu beheben. Dies läßt Habermas die Zukunft der okzidentalen Moderne am Ende positiver und hoffnungsvoller betrachten, als es Weber getan hat.
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in: ders. (Hrsg.) Soziale Welt Sonderband 4
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J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen
5. Auflage 1972, Studienausgabe
[...]
1 im Sinne von F. Tönnies vgl. J. Berger, Gibt es ein nachmodernes Gesellschaftsstadium? in: Soziale Welt Sonderband 4 Die Moderne - Kontinuitäten und Zäsuren, Verlag Otto Schwartz & Co. Göttingen S. 88
2 Luhmann in: U. Schimank, Theorien gesellschaftlicher Differenzierung, Leske & Budrich 1996, S. 173
3 vgl. J. Habermas, Entgegnung in: Honneth/Joas, Kommunikatives Handeln, Suhrkamp Frankfurt/Main 1986 S. 340f.
4 "Zweckrational handelt, wer sein Handeln nach Zweck, Mitteln und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke, wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen möglichen Zwecke gegeneinander rational abwägt: also weder affektuell . . . noch traditional handelt." ( Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Mohr Tübingen 1972: S. 13; Hervorhebungen weggelassen)
5 G. Kiss, Einführung in die soziologischen Theorien, Westdeutscher Verlag, Opladen 1977 S. 142
6 Loo/Reijen, Modernisierung, dtv München 1992, S.57
7 vgl. G. Kiss, Einführung in die soziologischen Theorien II: S. 143.
8 Kieser, Organisationstheorien, S.44
9 W. Schluchter, Die Entstehungsgeschichte des modernen Rationalismus, Suhrkamp Frankfurt/Main 1998 S. 51
10 siehe dazu Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft Kapitel: Religionssoziologie S. 245- 382
11 vgl. G. Kneer, Pathologien der Moderne, Westdeutscher Verlag Opladen, 1990 S. 28
12 (Habermas TkH II: Zweite Zwischenbetrachtung S. 171ff. vgl. auch J. Berger, Die Versprachlichung des Sakralen und die Entsprachlichung der Ã-konomie, in: Honneth/ Joas, Kommunikatives Handeln, S. 256ff.)
13 J. Berger, Gibt es ein nachmodernes Gesellschaftsstadium? S. 87f.
14 Das Konzept der 3-Welten übernimmt Habermas in abgeänderter Form von Karl R. Popper, siehe TkH I. Kap. 3 S. 114f.
15 siehe dazu: B. Freitag, Theorie des kommunikativen Handelns und Genetische Psychologie, in KZfSS Heft 3/83, S. 555- 575
16 W.Reese-Schäfer, Jürgen Habermas, Campus Verlag Frankfurt/ Main 1991, S. 29f.
17 H. Dubiel, Kritische Theorie der Gesellschaft, Juventa Verlag München 1992 S. 104
18 Habermas in: D. Horster, Habermas zur Einführung, Junius Hamburg 1995, S. 61
Häufig gestellte Fragen
Was ist das Hauptthema dieses Textes?
Dieser Text analysiert die Theorien von Max Weber und Jürgen Habermas zur Entstehung und Entwicklung der okzidentalen Moderne, insbesondere im Hinblick auf Rationalisierungsprozesse und die Dezentrierung von Weltbildern.
Welche Rolle spielt Max Weber in diesem Text?
Der Text untersucht Webers Analyse der gesellschaftlichen und kulturellen Rationalisierung, die protestantische Ethik als Faktor für die Entstehung des Kapitalismus, die Rationalisierung der Weltbilder (Entzauberung der Welt) und die Institutionalisierung zweckrationalen Handelns. Auch Webers Gegenwartsdiagnose der Moderne, einschließlich Sinn- und Freiheitsverlust, wird behandelt.
Was ist Webers Konzept der "Entzauberung der Welt"?
Weber beschreibt damit den Wandel von animistischen und magischen Weltbildern hin zu einem von der Wissenschaft geprägten Weltbild, in dem religiöse Erklärungen an Bedeutung verlieren.
Wie unterscheidet sich Habermas' Ansatz von dem Webers?
Habermas reformuliert Webers Rationalisierungstheorie, legt aber mehr Wert auf die Sozialpathologien, die im Modernisierungsprozess entstanden sind. Er sieht auch Möglichkeiten für eine Lösung dieser Probleme durch kommunikatives Handeln und eine dezentrierte Lebenswelt.
Was versteht Habermas unter "kommunikativem Handeln"?
Kommunikatives Handeln ist ein Handlungsmodell, das auf rational erzielten Einverständnissen in der Interaktion zwischen Menschen basiert und eine Grundlage für soziale Integration darstellt.
Was bedeutet "Dezentrierung der Weltbilder" nach Habermas?
Habermas übernimmt diesen Begriff von Jean Piaget und beschreibt damit einen Prozess, in dem Weltbilder nicht mehr als einheitliche, metaphysisch-religiöse Ordnungen betrachtet werden, sondern als interpretierbare und kritisierbare Konstruktionen.
Was sind die drei "Wertsphären" nach Weber, die im Text erwähnt werden?
Die drei Wertsphären sind Wissenschaft, Kunst und Moral/Recht. Weber beschreibt, wie sich diese Sphären im Zuge der Rationalisierung von religiösen Einschränkungen befreien und jeweils einer eigenen Logik folgen.
Welche Rolle spielt die protestantische Ethik bei Weber?
Weber argumentiert, dass die protestantische Ethik, insbesondere der Calvinismus, eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Kapitalismus spielte, da sie eine rationale, auf beruflichen Erfolg ausgerichtete Lebensführung förderte.
Was ist der "Universalismus" bei Habermas?
Habermas glaubt, dass es universelle Geltungsansprüche auf Wahrheit und Moral gibt, die durch rationalen Diskurs ermittelt werden können.
Was ist die "Kolonialisierung der Lebenswelt" bei Habermas?
Diese These beschreibt, wie die Logik des Systems (zweckrationales Handeln, Bürokratie) in die Lebenswelt (soziale Beziehungen, Kommunikation) eindringt und diese verzerrt.
Wie bewertet Weber die moderne Gesellschaft?
Weber hat eine ambivalente Haltung. Er erkennt die Errungenschaften der Moderne an, kritisiert aber auch den Sinn- und Freiheitsverlust, der mit der Rationalisierung und Bürokratisierung einhergeht.
Was ist das "stählerne Gehäuse" bei Weber?
Das "stählerne Gehäuse" ist ein Bild für die zunehmende Bürokratisierung und Institutionalisierung des Lebens, die die individuelle Freiheit einschränkt.
Was ist die "Versprachlichung der Weltbilder" bei Habermas?
Damit meint Habermas, dass die Inhalte unserer Weltauffassung als Interpretationen der Weltordnung verstanden werden und grundsätzlich über Argumentation und Verständigung zu Inhalten des Weltverständnisses werden können.
Was sind die Konsequenzen der Rationalisierung nach Weber?
Nach Weber resultiert die Rationalisierung der Lebenswelt nicht unbedingt in mehr Freiheit. So, auch wenn das Individuum nicht mehr dazu gezwungen ist, ein "Berufsmensch" zu sein, wird es trotzdem erwartet.
- Arbeit zitieren
- Ingo Blaich (Autor:in), 1999, Der Prozeß der Rationalisierung und die Entzauberung der Welt bei Max Weber und Jürgen Habermas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96390