Produkthaftung nach dem Arzneimittelgesetz


Seminararbeit, 1999

15 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Geschichtliche Entwicklung des Arzneimittelgesetzes
2.1 Das Arzneimittelgesetz von 1961
2.2 Das Arzneimittelgesetz von 1976

3 Gefährdungshaftung für Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz 1976
3.1 Die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen des § 84 Satz 1 AMG
3.2 Die speziellen Haftungsvoraussetzungen des § 84 Satz 2 AMG
3.2.1 Bestimmungsgemäßer Gebrauch des Arzneimittels
3.2.2 Schädliche Wirkungen, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen
3.2.3 Schädliche Wirkungen, die ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder Herstellung haben
3.2.4 Haftung für Instruktionsfehler nach § 84 Satz 2 Nr. 2 AMG

4 Haftungsschuldner, Umfang der Erssatzpflicht, Verjährung
4.1 Haftungsschuldner
4.2 Umfang der Ersatzpflicht
4.3 Verjährung der Schadensersatzansprüche

5 Beweisfragen

6 Zusammenfassung und Folgerungen Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Das Arzneimittelgesetz, das aus verschiedenen Bestimmungen aus dem Bereich des Arzneimittelwesens im Jahre 1961 gebildet und im Jahre 1976 wegen schwerwiegender Mängel erweitert wurde, bietet dem Verbraucher die Möglichkeit Schadensersatz durch dessen § 84 aufgrund der Gefährdungshaftung für Arzneimittel zu erhalten.

Im ersten Teil meiner Hausarbeit gebe ich einen kurzen Überblick über die Entstehungsgeschichte des Arzneimittelgesetzes und dessen wichtigste Änderungen im Arzneimittelgesetz von 1976. Die Gefährdungshaftung für Arzneimittel und deren Voraussetzungen sind im § 84 Satz 1 und Satz 2 AMG verankert. § 84 Satz 1 AMG beinhaltet die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen. § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG zeigt die speziellen Haftungsvoraussetzungen wie den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Arzneimittels, schädliche Wirkungen, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen und schädliche Wirkungen, die ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder Herstellung haben. Und schließlich der § 84 Satz 2 Nr. 2 AMG, der die Haftung für Instruktionsfehler erläutert.

Da dies das Thema meiner Hausarbeit, die Haftung nach dem Arzneimittelgesetz, ist, gehe ich auf die eben genannten Punkte besonders ein.

Weiter befasse ich mich mit dem Haftungsschuldner, dem Umfang der Ersatzpflicht sowie dessen Verjährung. Danach erläutere ich in kurzen Worten, wie die Möglichkeiten des Beweises eines Fehlers eines Arzneimittels seitens des Geschädigten aussehen.

Am Schluß fasse ich die Vor- und Nachteile der Haftung durch das Arzneimittelgesetz gegenüber der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz und nach Deliktsrecht zusammen und gehe kurz auf die Häufigkeit der Anwendung des Arzneimittelgesetzes bezüglich der Haftung ein.

2 Geschichtliche Entwicklung des Arzneimittelgesetzes

Bis zum Jahre 1961 gab es in Deutschland für den Verkehr mit Arzneimitteln keine umfassende gesetzliche Regelung. Es bestanden lediglich vereinzelt Bestimmungen, die über den gesamten Bereich des Arzneimittelwesens verstreut waren. Jedermann war es gestattet, Arzneimittel herzustellen und in den Verkehr zu bringen. Als ab Mitte der 50-iger Jahre sich das Schwergewicht der Herstellung von Arzneimitteln mehr und mehr von den Apotheken auf die Industrie verlagerte, wurde es im Interesse der Arzneimittelsicherheit erforderlich, eine umfassende Regelung des Arzneimittelwesens zu schaffen.1

2.1 Das Arzneimittelgesetz von 1961

Ziel dieses ersten Arzneimittelgesetzes war es, die Herstellung von Arzneimitteln außerhalb der Apotheken an bestimmte betriebliche Voraussetzungen zu binden. Es sollte gewährleistet werden, daß industriell hergestellte Arzneimittel registriert wurden und somit überwacht werden konnten. Weiterhin sollte die Abgabe von Arzneimitteln außerhalb der Apotheken, die Rezeptpflicht, die Arzneitaxe, das Deutsche Arzneibuch sowie eine Regelung über Sera und Impfstoffe geregelt werden.2

Schon nach kurzer Zeit zeigten sich Schwächen und Mängel des Arzneimittelgesetzes von 1961. Diese bestanden einmal in der Tatsache, daß nur sogenannte Arzneimittelspezialitäten der Registrierungspflicht unterlagen, nicht jedoch die fabrikmäßig hergestellten Arzneimittel, die ohne besondere Bezeichnung auf den Markt gebracht werden konnten. Außerdem wurde eine Prüfung auf Wirksamkeit und Gefährlichkeit nicht vorgeschrieben. Dies hatte einige schwerwiegende Fälle von Arzneimittelschäden, u. a. durch das Schlafmittel Contergan und den Appetitzügler Menocil zur Folge. Insbesondere die Contergan-Katastrophe hat gezeigt, daß allein die Registrierung neuer Arzneimittel nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes von 1961 nicht genügte, um Gesundheitsschäden durch die Anwendung zu vermeiden.

Im Hinblick auf die international anerkannten Standards bei der Herstellung und Kontrolle von Arzneimitteln, die beim Export eingehalten werden mußten, war eine Angleichung an diese nötig, um den internationalen Anschluß zu finden und den beachtlichen Exportumfang halten zu können.3

2.2 Das Arzneimittelgesetz von 1976

Nach einem langwierigen und umfangreichen Gesetzgebungsverfahren wurde im Juni 1976 das zweite Arzneimittelgesetz verabschiedet. Es trat am 1. Januar 1978 in Kraft.

Die wichtigsten Änderungen zum Arzneimittelgesetz von 1961 waren:

- Einführung einer Zulassungspflicht für alle Fertigarzneimittel, die an die Vorlage von Nachweisen für die vom Hersteller behauptete therapeutische Wirksamkeit, für die toxikologische Unbedenklichkeit und für die Qualität gebunden war.
- Einführung einer Offenlegungspflicht, die die Beschriftung von Behältnissen und der Packungsbeilagen der Arzneimittel regelt.
- Einführung detaillierter Regelungen über die klinische Erprobung von Arzneimitteln.
- Automatische Verschreibungspflicht für Arzneimittel, die Stoffe enthalten, deren Wirkungen und Zubereitungen in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannt sind.
- Einführung eines Systems von Beobachtungen, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken.
- Bestimmungen über die Prüfung von Arzneimitteln.
- Spezielle Haftungsregelungen für Arzneimittelschäden.4

Die Arzneimittelsicherheit basiert demnach auf den gesetzlich geforderten Kriterien: Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel. Da jedoch grundsätzlich Gefahren, die von einem Arzneimittel ausgehen, nicht auszuschließen sind, bleibt eine unvermeidbare Kluft zwischen dem Wunsch nach absolut sicheren Arzneimitteln einerseits und dessen Verwirklichung andererseits bestehen. Mit dem im Arzneimittelgesetz festgelegten Normen sollten allerdings die ,Restrisiken` reduziert und durch präventive Maßnahmen kalkulierbar werden.5

3 Gefährdungshaftung für Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz 1976

Die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes treten dann in Kraft, wenn die Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes nach seinem § 15 Abs. 1 nicht anzuwenden sind. D.h. wenn infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, jemand getötet oder sein Körper oder seine Gesundheit verletzt wird.6

Liegen diese Voraussetzungen vor, richtet sich die Haftung ausschließlich nach den sonstigen Vorschriften, d.h. im Falle von Arzneimittelschäden kommt in erster Linie eine Haftung nach dem Arzneimittelgesetz in Betracht, daneben die auf BGB § 823 gestützte herkömmliche Produkthaftung, in Ausnahmefällen auch eine Haftung nach Vertragsrecht.7

Das Arzneimittelgesetz regelt die Haftung für Arzneimittelschäden in seinen §§ 84 bis 94a.

3.1 Die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen des § 84 Satz 1 AMG

Grundvoraussetzung des § 84 AMG ist, daß durch ein von der Haftungsregelung erfaßtes Arzneimittel ein Mensch getötet oder sein Körper oder seine Gesundheit nicht unerheblich verletzt wurde. Im Falle der Tötung schützt § 84 AMG in gleicher Weise und gleichem Umfang wie § 823 Abs. 1 BGB. Bei Körperverletzung entsteht ein Schadensersatzanspruch jedoch nur, wenn die Verletzung nicht unerheblich ist. In diesen Fällen steht dem Geschädigten höchstens ein Anspruch nach den allgemeinen Vorschriften zu, gewöhnlich also nur bei Verschulden des Herstellers.8

Als unerheblich wird eine Verletzung angesehen, die nicht der ärztlichen Versorgung bedarf bzw. keine erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens darstellt. So werden beispielsweise eine vorübergehende Hautirritation, Schweißausbrüche oder eine leichte Magenverstimmung als unerhebliche Verletzungen anzusehen sein.

Eine weitere allgemeine Haftungsvoraussetzung ist, daß das Arzneimittel im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes in Verkehr gebracht worden sein muß. Seit dem 3.10.1990 gehören auch die neuen Bundesländer dazu. Entscheidend ist der Ort der Abgabe des Arzneimittels und nicht der der Einnahme oder wo der Schaden entstanden ist. Ist er im Ausland eingetreten, so kann der Verletzte wählen, ob er deutsches Recht (d.h. nach AMG) oder das betreffende ausländische Recht in Anspruch nehmen will. Ist allerdings ein in der Bundesrepublik hergestelltes fehlerhaftes Arzneimittel im Ausland abgegeben worden, kann der Verbraucher zwar auch zwischen mehreren Gerichtsständen wählen, es tritt allerdings die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz in Kraft, da das Arzneimittel nicht im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde.9

Schließlich muß das schadenverursachende Arzneimittel der Pflicht zur Zulassung unterliegen oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden sein (was bisher für Arzneimittel zum Gebrauch bei Menschen nicht geschehen ist), um eine Haftung nach dem Arzneimittelgesetz auszulösen. Der Zulassungspflicht unterliegen nur Fertigarzneimittel, das sind Arzneimittel, die im voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden.

Folglich sind Arzneimittel, die nicht der Zulassungspflicht unterliegen von der Haftung ausgeschlossen. Hierzu zählen einige homöopathische Arzneimittel, in der Apotheke hergestellte Arzneimittel, Arzneimittel zur klinischen Prüfung bei Menschen, sowie ärztliche und zahnärztliche Instrumente zur einmaligen Anwendung, Verbandstoffe, chirurgisches Nahtmaterial und schließlich Diagnostika und Desinfektionsmittel, die nicht zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind.10

Für alle vorgenannten Arzneimittel kommen die Haftungsvorschriften des Produkthaftungsgesetzes zur Anwendung.

3.2 Die speziellen Haftungsvoraussetzungen des § 84 Satz 2 AMG

Nach § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG besteht die Ersatzpflicht nur, wenn das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßen Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen und ihr Ursache im Bereich der Entwicklung oder der Herstellung haben.

Nach § 84 Satz 2 Nr. 2 AMG ist der pharmazeutische Unternehmer zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung oder Gebrauchsinformation eingetreten ist. Er beinhaltet eine Schadenensersatzpflicht für die sogenannten Instruktionsfehler.

3.2.1 Bestimmungsgemäßer Gebrauch des Arzneimittels

Unter ,,bestimmungsgemäßem Gebrauch" ist die Anwendung eines Arzneimittels im Rahmen der Angaben des pharmazeutischen Unternehmers auf den Behältnissen und äußeren Umhüllungen gem. AMG § 10, in den Packungsbeilagen (AMG § 11) und ggf. in der Fachinformation (AMG § 11a) zu verstehen. Bestimmungswidrig ist die Falschanwendung durch den Arzt oder den Patienten, der suchtbedingte Fehlgebrauch, die Anwendung in Selbstmordabsicht. Bestimmungswidrig ist auch ein naheliegender Fehlgebrauch; jedoch kommt eine Haftung des pharmazeutischen Unternehmers sowohl nach AMG § 84 Satz 2 Nr. 2 als auch insbesondere nach Deliktsrecht in Betracht, wenn er in der Gebrauchsinformation nicht deutlich vor dem Fehlgebrauch warnt.11

3.2.2 Schädliche Wirkungen, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen

Bei Arzneimitteln sind in aller Regel erwünschte Hauptwirkung und unerwünschte Nebenwirkung untrennbar miteinander verbunden. Deshalb verlangt auch die Gefährdungshaftung nach § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG keine absolute Unschädlichkeit oder

Ungefährlichkeit der Arzneimittel. Sie setzt vielmehr voraus, daß von Arzneimitteln ausgehende schädliche Wirkungen über das Maß medizinischer Vertretbarkeit hinausgehen müssen.12

Die Haftungsbeschränkung erscheint zum ersten Mal in § 5 AMG bei der Definition des bedenklichen Arzneimittels. Es ist verboten, solche bedenklichen Arzneimittel in den Verkehr zu bringen. Geschieht dies doch, ist die Gefährdungshaftung angebracht.13

Bei der Vertretbarkeit von schädlichen Wirkungen spielt vor allem der therapeutische Nutzen, die Häufigkeit und Schwere der auftretenden Nebenwirkungen eine Rolle. Es ist also denkbar, daß ein Arzneimittel erhebliche schädliche Wirkungen hat, ohne daß diese im konkreten Fall unvertretbar wären.14 Beispiele für die Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen sind u. a. die schweren Nebenwirkungen der Chemotherapie beim Karzinom sowie der Eintritt eines anaphylaktischen Schocks bei einem Antibiotikum, wenn die Indikation erheblich ist. In solchen Fällen stehen dem Geschädigten Ansprüche weder nach dem Arzneimittelgesetz noch nach dem Produkthaftungsgesetz zu. Nicht vertretbar sind etwa folgende Wirkungen: Der Eintritt von Sehstörungen bei Kopfschmerzmitteln oder der Verlust der Hörfähigkeit nach Vergabe eines Antibiotikums bei geringerer Indikation oder Gleichgewichtsstörungen nach einem Schlafmittel.15

Fraglich ist, auf welchen Zeitpunkt es bei der Feststellung der Unvertretbarkeit ankommt, insbesondere in bezug auf schädliche Wirkungen, die erst nach dem Inverkehrbringen eines Arzneimittels bekannt werden. Die gleiche Frage stellt sich, wenn erst nach dem Inverkehrbringen eines Arzneimittels weniger gefährliche Arzneimittel erhältlich sind, oder andere, weniger gefährliche Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen.

Der Zeitpunkt der Beurteilung entscheidet darüber, ob es sich bei § 84 Satz 2 AMG um eine Gefährdungshaftung oder eine Verschuldenshaftung handelt. Das AMG gibt keine Antwort auf diese Frage.

Bei der Beurteilung der Vertretbarkeit spielen produktimmanente Eigenschaften (Wirksamkeit, schädliche Wirkungen) und außerhalb des Produkts liegende Umstände (Vorhandensein weniger riskanter Therapien) eine Rolle. Während der pharmazeutische Unternehmer im Rahmen der Gefährdungshaftung für alle produktimmanenten Risiken einzustehen hat, also auch für schädliche Wirkungen, die erst nach dem Inverkehrbringen der betreffenden Packung bekannt werden, ist es nicht Sinn der Gefährdungshaftung, den pharmazeutischen Unternehmer auch dann haften zu lassen, wenn sich die Unvertretbarkeit aus einer nachträglichen Änderung außerhalb des Produkts liegender Umstände ergibt, wenn also z.B. nach dem Inverkehrbringen des Arzneimittels neue, weniger gefährliche Arzneimittel oder Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen. Das erst nach dem Inverkehrbringen des Arzneimittels erlangte Wissen um schädliche Eigenschaften des Arzneimittels oder um neue, weniger riskante Therapien muß auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens zurückprojeziert werden; hätten die schädlichen Wirkungen in jenem Zeitpunkt in Kauf genommen werden müssen, weil eine weniger gefährliche Therapie nicht zur Verfügung stand, so war die Anwendung des Arzneimittels vertretbar.16

3.2.3 Schädliche Wirkungen, die ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder Herstellung haben

§ 84 Satz 2 Nr. 1 AMG setzt weiterhin voraus, daß die Ursache der durch das Arzneimittel bedingten Schädigung im Bereich der Entwicklung oder der Herstellung liegt. Das Arzneimittelgesetz knüpft damit an die von Rechtsprechung und Literatur vorgenommene Einteilung der Fehlerarten bei der bürgerlichen Produzentenhaftung an. Als im Bereich der Entwicklung oder Herstellung liegende Fehler kommen Entwicklungs-, Konstruktions- und Fabrikationsfehler in Betracht.

Ob die schädlichen Wirkungen bei der Entwicklung oder Herstellung bekannt oder voraussehbar waren, ist unerheblich. Unter Entwicklungsfehlern versteht am diejenigen schädlichen Eigenschaften einer Ware, die im Zeitpunkt des Inverkehrbringens auch bei Anwendung jeder gebotenen Sorgfalt nicht erkennbar waren. Nach der im Deliktsrecht verankerten verschuldensabhängigen Produzentenhaftung wird deshalb für Entwicklungsfehler nicht gehaftet, sofern dem Hersteller der Entschuldensnachweis gelingt. Mit der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung des Arzneimittelgesetzes ist dem pharmazeutischen Unternehmer diese Entlastungsmöglichkeit nach § 84 AMG genommen. Im Hinblick auf den Contergan-Fall sollte die Gefährdungshaftung des Arzneimittelgesetzes eine Ersatzpflicht des pharmazeutischen Unternehmers schaffen.17

Konstruktionsfehler stehen am Anfang der Produktherstellung und haften deshalb der gesamten Fabrikationsserie an. Bei Arzneimitteln sind sie insbesondere denkbar als Rezeptfehler, d.h. als Fehler in der vorgesehenen Zusammensetzung als auch als Fehler durch Verwendung nicht geeigneter Rohstoffe. Ein Konstruktionsfehler liegt z. B. vor, wenn ein Abführmittel unter Verwendung von Phenolisatin hergestellt wird, ein Stoff, dessen leberschädigende Wirkung in einer Vielzahl von Publikationen unwidersprochen dargelegt wurde. Fabrikationsfehler entstehen bei der Herstellung selbst. Sie haften deshalb nur den einzelnen Produkten an. Wird etwa bei der maschinellen Abfüllung eines Impfstoffes auf Grund eines - nicht erkennbaren - Maschinenversagens eine zu geringe Menge Impfstoff in einzelne Ampullen gefüllt, liegt ein Fabrikationsfehler vor.18

3.2.4 Haftung für Instruktionsfehler nach § 84 Satz 2 Nr. 2 AMG

Die bei der Produzentenhaftung anerkannte Kategorie des Instruktionsfehlers erscheint auch im Arzneimittelrecht. Entscheidend ist, daß eine nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechende Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation vorgelegen hat und der Schaden darauf beruht.19

§ 84 Satz 2 Nr. 2 AMG beinhaltet die Schadensersatzpflicht für die sogenannten Instruktionsfehler.

Der Unternehmer ist dazu verpflichtet durch laufende Überprüfung seine Haftungsrisiken zu minimieren. Dies gilt auch für die Haftung nach AMG § 84 Satz 2 Nr. 1, weil Kennzeichnungen und Informationen den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Arzneimittels festlegen.

Außerdem ist auch eine Haftung für ein unwirksames Arzneimittel denkbar, da die therapeutische Wirksamkeit nach § 25 Abs. Nr. 4 AMG Zulassungsvoraussetzung ist. Sie kann dennoch fehlen, z. B. infolge eines Fabrikationsfehlers, einer unrichtigen Gebrauchsinformation, oder wenn die Krankheitserreger, die mit dem Medikament bekämpft werden sollen, resistent werden. Eine Haftung kommt auch dann in Betracht, wenn der den Verwender des Arzneimittels, der auf die Wirksamkeit vertraut, von einer anderen Therapie abgehalten wird, die den Schaden beseitigen oder verhindern würde. Im Rahmen des AMG § 84 Satz 2 Nr.2 tritt in diesen Fällen die Haftung des pharmazeutischen Unternehmers ein.20

4 Haftungsschuldner, Umfang der Ersatzpflicht, Verjährung

4.1 Haftungsschuldner

Ersatzpflichtig nach § 84 Satz 1 AMG ist der pharmazeutische Unternehmer. Pharmazeutischer Unternehmer ist nach § 4 Abs. 18 AMG derjenige, der Arzneimittel unter seinem Namen in den Verkehr bringt. Inverkehrbringen ist gemäß § 4 Abs. 17 AMG definiert als das Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere. Daraus ergibt sich, daß der Begriff des pharmazeutischen Unternehmers nicht mit dem des Herstellers identisch ist. Für die Haftung nach § 84 AMG kommt es somit allein darauf an, wer ein Arzneimittel unter seinem Namen in den Verkehr bringt, z. B. Großhändler und Apotheken.21

Der Name oder die Firma oder die Anschrift des pharmazeutischen Unternehmers müssen auf den Behältnissen und etwaigen äußeren Umhüllungen angegeben werden. Es können die Namen mehrerer pharmazeutischer Unternehmer angegeben sein, die dann alle - gesamtschuldnerisch - haften.22

4.2 Umfang der Ersatzpflicht

Der Umfang der Ersatzpflicht ist in den §§ 86 - 89 AMG geregelt.

Die Haftung nach dem Arzneimittelgesetz ist sowohl für den Einzelfall als auch für Serienschäden begrenzt. Im Falle der Tötung oder Verletzung eines Menschen wird bis zu einem Kapitalbetrag von DM 500.000,-- oder einem Rentenbetrag von jährlich DM 30.000,-- gehaftet; bei der Tötung oder Verletzung mehrerer Menschen durch das gleiche Arzneimittel ist die Haftung auf einen Kapitalbetrag von DM 200 Mio. oder einen Rentenbetrag von jährlich DM 12 Mio. beschränkt. Der pharmazeutische Unternehmer hat, gewöhnlich durch Abschluß einer Haftpflichtversicherung, dafür vorzusorgen, daß er seinen gesetzlichen Haftungsverpflichtungen nachkommen kann, und zwar in Höhe von DM 200 Mio. für jedes von ihm in den Verkehr gebrachte, zum Gebrauch bei Menschen bestimmte Arzneimittel, das der Pflicht zur Zulassung unterliegt.

Aufgrund des erheblichen Versicherungsrisikos schlossen sich viele Erst- und Rückversicherer zum sogenannten Pharmapool zusammen und brachten DM 190 Mio. ein. Bei einem Großschadensfall ist daher ein Erstversicherer nur mit einem Risiko von DM 10 Mio. je Arzneimittel belastet. Eine Leistungspflicht des Pharmapools besteht nur hinsichtlich des über DM 10 Mio. hinausgehenden Betrages. Der Pharmapool wurde bisher noch nie in Anspruch genommen.23

Unberührt davon bleiben andere gesetzliche Haftungsbestimmungen. Von Interesse für den Geschädigten ist insbesondere die traditionelle verschuldensabhängige Produkthaftung, auf die er einen Schmerzensgeldanspruch geltend machen kann, den das Arzneimittelgesetz nicht gewährt, nach dem er auch einen über das Limit des AMG von DM 500.000,-- hinausgehenden Schaden ersetzt verlangen kann.24

4.3 Verjährung der Schadensersatzansprüche

Der Schadensersatzanspruch des § 84 AMG verjährt in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Geschädigte seinen Schaden erkannt und dem pharmazeutischen Unternehmer mitgeteilt hat. Wenn ihm dieser nicht bekannt ist, beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre von dem schädigenden Ereignis an. D. h. die Frist von drei Jahren beginnt erst zu laufen, wenn der Betroffene nicht nur einen Verdacht schöpft, sondern konkret die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 84 AMG kennt.25

5 Beweisfragen

Die Darlegungs- und gegebenenfalls die Beweislast für die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen des § 84 Satz 1 AMG liegen beim Geschädigten. Für den Nachweis, daß das fehlerhafte Arzneimittel Ursache des Schadens ist, kommen in vielen Fällen die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung. Wenn die Fehlerhaftigkeit eines Arzneimittels feststeht, kann das Gericht davon ausgehen, daß nach typischen Geschehensabläufen und daraus abgeleiteter Lebenserfahrung der eingetretene Schaden auf die Arzneimittelanwendung zurückzuführen ist. Somit ist der Kausalitätsnachweis mit Hilfe des Anscheinsbeweises als erbracht anzusehen. Der pharmazeutische Unternehmer kann diesen Anscheinsbeweis nur erschüttern, indem er die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs durch Vollbeweis nachweist.26

Stützt der Geschädigte seinen Schadenersatzanspruch auf § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG, so hat er darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, daß das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft unvertretbare Nebenwirkungen hervorruft und er das Arzneimittel bestimmungsgemäß verwendet hat.

Weiterhin hat er darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, daß die Ursache der schädlichen Wirkung des Arzneimittels im Bereich der Entwicklung oder der Herstellung liegt.

Daß dies nicht so einfach ist, soll das folgende Beispiel erläutern: OLG Celle VersR 85, 148: Nach Einnahme eines Gichtmittels traten ein Exanthem und ein Ausfall aller Körperhaare ein. Die Klage auf Schmerzensgeld gerichtet, wurde abgewiesen. Bislang seien lediglich zwei Fälle bekannt geworden, in denen nach der Behandlung Haarausfall aufgetreten sei. Das reiche weder zu einer Haftung wegen mangelndenen Hinweises, noch sonst für eine Produzentenhaftung aus. Es fehle auch an einem konkreten Anhaltspunkt für einen kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme des Medikaments und dem Haarausfall.27

Will der Geschädigte Schadensersatzanspruch aufgrund der Verletzung der Instruktionspflicht des pharmazeutischen Unternehmers nach § 84 Satz 2 Nr. 2 AMG haben, so hat er darzulegen, daß die Gebrauchsinformation nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprach. Auch dieser Beweis wird im allgemeinen nur mit Hilfe von Sachverständigen zu führen sein.28

Auch hierfür ein Beispiel:

Franz. Kassationshof v. 8.4.86 J.C.P.1986 II 20721: Der Patient litt an Angina pectoris. Nach chirurgischen Eingriffen wurde er mit Cordarone und Pexid behandelt. In der Folge traten Geh- und Sprachstörungen auf. Nach Absetzen der Medikamente erholte sich der Patient, jedoch kehrten die Angina pectoris-Anfälle wieder. Die Störungen hatte die Kombination beider Medikamente verursacht. Eine Haftung wegen Verletzung einer Hinweispflicht lehnte das Gericht ab, weil die Unverträglichkeit der Medikamente erst mit diesem Fall bekannt geworden sei.29

6 Zusammenfassung und Folgerungen

Zusammenfassend kann man sagen, daß die Haftung nach dem Arzneimittelgesetz für den Verbraucher gegenüber der nach dem Produkthaftungsgesetz wesentliche Vorteile bietet. Hierzu gehören die Haftung für Entwicklungsrisiken, die Verjährungsfrist bis zu 30 Jahren, insbesondere aber die Sicherheit, daß er seine Ansprüche wegen der bestehenden Verpflichtung zur Deckungsvorsorge auf jeden Fall realisieren kann. Eine Deckungsvorsorgeverpflichtung enthält das Produkthaftungsgesetz nicht und es steht zu befürchten, daß bei Serienschäden die Herstellerhaftung des Produkthaftungsgesetzes gelegentlich ins Leere gehen wird.

Nachteilig für den Verbraucher ist die Beschränkung der Ersatzpflicht nach dem Arzneimittelgesetz auf DM 500.000,-- im Einzelfall. Der Geschädigte hat allerdings in vielen Fällen die Möglichkeit, seinen weitergehenden Schaden nach den Grundsätzen der traditionellen Produkthaftung geltend zu machen, wobei ihm bei Fortführung der jetzigen Rechtsprechung zugute kommt, daß nicht er ein Verschulden des Herstellers, sondern der Hersteller sein Nichtverschulden in bezug auf den Arzneimittelfehler beweisen muß. In vielen Fällen wird der Geschädigte ohnehin diesen Weg einschlagen, um einen Schmerzensgeldanspruch durchzusetzen, den weder das Arzneimittelgesetz noch das Produkthaftungsgesetz gewährt.

Angesichts der geringen Zahl der Vergleichsabschlüsse bzw. der niedrigen

Vergleichssummen - der Pharmapool wurde noch nie in Anspruch genommen -, spricht einiges dafür, daß Arzneimittelgeschädigte ihnen zustehende Ansprüche wegen des nur schwer zu führenden Kausalitätsnachweises regelmäßig nicht durchsetzen können.

Literaturverzeichnis

Beyer, Christian: Grenzen der Arneimittelhaftung, München 1989.

Däubler, Wolfgang: Das Zivilrecht 2, Ein Leitfaden durch das BGB, Hamburg 1997. Deutsch, Dr.jur. Erwin: Arztrecht und Arzneimittelrecht, Berlin Heidelberg 1983.

Kullmann, Dr.jur. H. J.: Produkthaftungsgesetz, Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ProdHaftG), Kommentar, Berlin 1990.

Kretschmer...-: Produkthaftung in der Unternehmenspraxis, Stuttgart 1992.

Marinero, Hazel G.S.: Arzneimittelhaftung in den USA und Deutschland, Frankfurt am Main 1982.

Stapel, Ute: Die Arzneimittelgesetze 1961 und 1976, Stuttgart 1988.

Vogeler, Michael: Das Verhältnis von Arzthaftung und Arzneimittelhaftung, Hannover 1983.

[...]


1 Vgl. Deutsch, E.: Arztrecht und Arzneimittelrecht. Berlin Heidelberg 1983. S. 247.

2 Vgl. Vogeler, M.: Das Verhältnis von Arzthaftung und Arzneimittelhaftung. Hannover 1983. S. 101.

3 Vgl. ebenda. S. 103.

4 Vgl. Marinero, H.G.S.: Arzneimittelhaftung in den USA und Deutschland. Frankfurt am Main 1982. S. 266 f.

5 Vgl. Stapel, U.: Die Arzneimittelgesetze 1961 und 1976. Stuttgart 1988. S. 339.

6 Vgl. Kullmann, Dr.jur. H.J.: Produkthaftungsgesetz, Kommentar. Berlin 1990. S. 139.

7 Vgl. Kretschmer...-: Produkthaftung in der Unternehmenspraxis. Stuttgart 1992. S. 104

8 Vgl. Vogeler, M.: a.a.O.. S. 108.

9 Vgl. Kretschmer...-: a.a.O.. S. 109.

10 Vgl. ebenda. S. 107 f.

11 Vgl. ebenda. S. 111.

12 Vgl. Vogeler, M.: a.a.O.. S. 116.

13 Vgl. Deutsch, E.: a.a.O.. S. 422.

14 Vgl. Kretschmer...-: a.a.O.. S. 111.

15 Vgl. Deutsch, E.: a.a.O.. S. 423.

16 Vgl. Kretschmer...-: a.a.O.. S. 112.

17 Vgl. Vogeler, M.: a.a.O.. S. 122.

18 Vgl. ebenda, S. 123.

19 Vgl. Deutsch, E.: a.a.O.. S. 425.

20 Vgl. Kretschmer...-: a.a.O.. S. 113.

21 Vogeler, M.: a.a.O.. S. 108.

22 Vgl. Kretschmer...-: a.a.O.. S. 113.

23 Vgl. Beyer, Chr.: Grenzen der Arzneimittelhaftung. München 1989. S. 341 f.

24 Vgl. Kretschmer...-: a.a.O.. S. 114.

25 Vgl. Däubler, W.: Das Zivilrecht 2. Hamburg 1997. S. 451.

26 Vgl. Vogeler, M.: a.a.O.. S. 130.

27 Vgl. Deutsch, E.: a.a.O.. S. 424.

28 Vgl. Vogeler, M.: a.a.O.. S. 132.

29 Vgl. Deutsch, E.: a.a.O.. S: 428.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Produkthaftung nach dem Arzneimittelgesetz
Veranstaltung
Grundlagen des Zivilrechts
Note
1,5
Autor
Jahr
1999
Seiten
15
Katalognummer
V97692
ISBN (eBook)
9783638961448
Dateigröße
422 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Produkthaftung, Arzneimittelgesetz, Grundlagen, Zivilrechts
Arbeit zitieren
Judith Krause (Autor:in), 1999, Produkthaftung nach dem Arzneimittelgesetz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97692

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