Jesus von Nazareth


Facharbeit (Schule), 2000

7 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Zur Epoche „Biedermeier“
2.1 Der Mann im Biedermeier
2.2 Die Frau im Biedermeier
2.3 Die Homosexualität im Biedermeier

3 Zur Frauenrolle in „Brigitta“
3.1 Brigitta in der Vergangenheit
3.2 Brigitta in der Gegenwart

4 Zur impliziten Homosexualität in „Brigitta“
4.1 Bei Stephan
4.2 Beim Ich-Erzähler
4.3 Die „außergewöhnliche“ Freundschaft zwischen Stephan und dem Ich-Erzähler

5 Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Typisch männlich, typisch weiblich - Zuweisungen, die nach wie vor in der heutigen Ge­sellschaft gängig sind und bestimmte Verhaltensweisen, Charakterzüge, Berufe, Kleidungs­stile und Weiteres dem biologischen Geschlecht zuschreiben. Im Laufe der Geschichte ent­standen Geschlechterrollen, die sich gesellschaftlich sowie normativ etablierten. Daraus folgten geschlechtsbedingte Ungleichheiten, die sich vor allem im sozialen Leben und in der Wirtschaft zeigten. Zeitgleich nahmen Geschlechterrollen Einfluss auf die Sexualnorm, denn jede Realität, die der traditionellen Geschlechternorm widersprach, konnte von der Gesellschaft als Normverstoß verachtet werden und womöglich zu Diskriminierung führen. Diesbezüglich waren insbesondere Frauen und Mitglieder der „LGBTQIA*-Community“1 benachteiligt. In Folge der industriellen Revolution kam es zu einem positiveren Umgang mit Geschlechternormen. Nichtsdestotrotz wurden auch in dieser Zeit, wozu der Bieder­meier (1815-1848) gehört, solche genderbasierte Normverstöße missbilligt.

Genderbasierte Normverstöße finden Anwendung in Adalbert Stifters Erzählung „Brigitta“, die 1844 veröffentlicht wurde. Die Erzählung handelt von der außergewöhnlichen Liebe zwischen der hässlichen Brigitta und dem schönen Stephan, deren Züge nicht mit den tra­ditionellen Geschlechternormen ihrer Zeit im Einklang stehen. Beide besitzen Eigenschaf­ten, die dem jeweils anderen Geschlecht zugeordnet werden. Zudem lassen sich hinsicht­lich der Sexualnorm implizite homosexuelle Andeutungen bei Stephan sowie dem Ich-Er­zähler ausfindig machen. Das Ziel dieser Arbeit ist es, diese genderbasierten Normverstöße ausfindig zu machen und darauf aufmerksam zu machen, denn Stifter baut hiermit bewusst eine Thematik ein, die seinerzeit mit Verachtung begegnet wurde. Vor der Werkanalyse werden zunächst die traditionell männlichen (Kap. 2.1) und weiblichen Geschlechternor- men (Kap. 2.2) vorgestellt, um eine Übersicht über die Umstände zur Zeit des Biedermei­ers zu schaffen. Hierfür wird auch über die damalige Sicht über Homosexualität aufgeklärt (Kap. 2.3). Folgend wird Brigitta auf die vorgestellten Geschlechternormen (Kap. 3) sowie Stephan und der Ich-Erzähler auf ihre implizite Homosexualität untersucht (Kap. 4). Zum Schluss folgt ein Resümee der Ergebnisse und ein Ausblick auf die heutige Zeit (Kap. 5).

2 Zur Epoche „Biedermeier“

Während des Biedermeiers können die gesellschaftlich etablierten Geschlechterrollen als ambivalent sowie komplementär beschrieben werden. Die Gesellschaft, vor allem im Bürgertum, war geprägt von der Dominanz des Mannes und der Unterordnung der Frau:

Die Frau erschien als passiv, empfangend, sorgend, gehorsam, phantasie­begabt, der Mann als aktiv, schaffend, befehlend, vernunftbegabt - und zwar aufgrund derjeweiligen körperlichen Konstitution und der biologi­schen Rolle des Empfangens und des Zeugens.2

Besonders deutlich zeigte sich die unterschiedliche Stellung beider Geschlechter in der pa­triarchalischen Familienordnung. Zahlreiche Literatur betont hierbei, dass diese Art der Diskrepanz beider Geschlechter grundsätzlich von Natur aus gegeben war.3 Im Folgenden werden diese im Biedermeier vorherrschenden Geschlechterrollen näher untersucht.

2.1 Der Mann im Biedermeier

Die männliche Dominanz trat sowohl in der Gesellschaft als auch in ihrer Rolle im Famili­enleben hervor und war rechtlich etabliert: „Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gesell­schaft; und sein Entschluß [sic!] giebt [sic!] in gemeinschaftlichen Angelegenheiten den Ausschlag.“4 In diesem Kontext fungierte der Mann als Oberhaupt bzw. Haushaltsvorstand der Familie und war zuständig für die Versorgung sowie für den Lebensunterhalt. „Alle Abhängigkeitsverhältnisse im Haus sind auf den Hausherrn bezogen, der als der leitende Kopf aus ihnen überhaupt erst ein Ganzes schafft.“5 Entsprechend fielen auch die Frau und ihre Besitztümer unter die Herrschaft des Mannes. Über eine Erwerbstätigkeit der Frau, die eine andere Rolle einnahm (siehe Kap. 2.2), entschied letztlich auch der Mann und nicht die Frau selbst. Zeitgleich war er als Oberhaupt in der Pflicht, Verantwortung für seine Frau und ihre Taten zu übernehmen.6 7 Demnach verfügte er über die Bevormundung der da­mit entmündigten Frau. Seine stereotypische Rolle wird als ..bread-winner ' bezeichnet, bei der er Erwerbstätigkeiten verfolgen und sich beruflich frei entfalten konnte. Somit war sein Platz im öffentlichen Leben innerhalb der Gesellschaft. Darunter beschäftigten sich Männer primär in politischen, ökonomischen, industriellen oder bürokratischen Berufen, wobei das Privileg der beruflichen Entfaltung weitestgehend nur ihnen zustand.8

Im Gegensatz zu vorherigen Epochen wurde der Bund der Ehe im Biedermeier auf Basis von Liebe, Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit eingegangen, sodass sowohl Männer als auch Frauen die Gattin/den Gatten freier wählen konnten. Nichtsdestotrotz galt die Grün­dung einer Familie „zur Privatsache jedes Privatmannes“9. Außerdem lag die finale Ent­scheidungsmacht hinsichtlich der Ehe und des Familienlebens in der Hand des Mannes.

Als typische Verhaltensmerkmale „fällt vor allem die Betonung von ,Stärke‘, ,Mut‘, ,Tap- ferkeit‘ und ,Herzhaftigkeit‘ auf - Charaktereigenschaften, die einen Mann nach vollende­tem Jünglingsalter kennzeichnen soll[t]en.“10 Ein Mann war stets erhaben, entschlossen, mutig und furchtlos. Hierbei war das Zeigen von Emotionen und Gefühlen ein Merkmal, das nicht mit dem Mann verbunden wurde und die Abgrenzung zur Frau formte.11 Neben diesen Eigenschaften gehörten sein männlicher Verstand und seine Rationalität zu den prä­genden Merkmalen, die ihn von der Frau unterschieden, denn nur Männern waren öffentli­che Bildung ab der weiterführenden Schule sowie der Zutritt zu Universitäten gewährt.12

2.2 Die Frau im Biedermeier

Im Biedermeier war die Rolle der Frau fest in der Gesellschaft verankert. Gegenüber dem Mann, der sich der Außenwelt frei hingab, war die Funktion der Frau innerhalb des Hauses und auf die Familie beschränkt.13 Diesbezüglich übernahm sie pflichtgemäß die Rolle der liebevollen und fürsorglichen Mutter sowie der treuen und hingebenden Hausfrau, die den Haushalt pflegte und sich um den Nachwuchs kümmerte.14 „Putzen des Hauses, Betreuung und Erziehung der Kinder, Kochen und Backen, Einmachen und Konservieren, das waren die Tätigkeiten, die die Hausfrau von morgens bis abends beschäftigten.“15 Damit waren Frauen sowohl von der politischen als auch von der gesellschaftlichen Teilhabe isoliert. Bereits im Kindesalter begann ihre Erziehung zur stereotypischen Frau als Mutter und Hausfrau. Ihre Wissensvermittlung beschränkte sich lediglich auf elementares Wissen und ihre Bildungslaufbahn hörte vor der weiterführenden Schule auf, sodass Frauen der Besuch einer Universitäten verwehrt wurde.16 Wenn sie in diesem Alter (circa mit 14 Jahren) nicht heirateten, war es üblich, dass sich alleinstehende Frauen auf ihre zukünftige Frauenrolle vorbereiteten. Sie ließen sie sich dafür u.a. als Dienstmädchen einstellen, um vorweg Er­fahrungen bezüglich Haushalt und Kinderbetreuung zu erwerben.17 Innerhalb der Ehe hatte sich die Frau mit ihrer eigenen Existenz inklusive ihrer Bedürfnisse und Meinungen voll­ständig an den Mann auszurichten. Hierbei wurde von ihrer ,,substantielle[n] Be­stimmung"18 gesprochen, die sie gegenüber ihrem Mann einzuhalten hatte. Dazu gehörte es auch, dass sie den Mann seelisch von seinen alltäglichen Problemen zu entlasten hatte und ihm die notwendige Erholung bot, um seine Arbeitsfähigkeit aufrecht zu erhalten.19

Um Männer ohne Reibungs- und Zeitverlust in den Funktionskreislauf jener Systeme einbeziehen zu können, übertrug man ihre emotionale und soziale Reproduktion an Frauen, die ihr Leben ganz in den Dienst ihrer Männer zu stellen hatten.20

Die Frau im Biedermeier zeichnete sich durch ihre „weibliche Scham, Schwäche und Schönheit“21 aus. Zeitgleich wurde hiermit ihre „Schutzbedürftigkeit“22 verbunden, die sich erst durch ein Abhängigkeitsverhältnis zum Mann - zunächst durch den Vater und dann durch den Gatten - auflösen konnte. Dabei konnte die Ehe als „ein Schutzverhältnis (eine ,Rechtswohltat‘) zugunsten der Frau als des schwächeren Partners“23 gedeutet werden, bei der jedoch die Frau durch dieses Verhältnis vom Mann abhängig wurde. Mit der Übernah­me der rechtlichen Bevormundung des Mannes folgte die Unmündigkeit der Frau. Ihre Un­mündigkeit war teilweise der eines minderjährigen Knaben gleichgesetzt.24

Zusammenfassend kann festgehalten werden: „Frauen hatten keine öffentlichen Räume, keine Berufsmöglichkeiten, keine Möglichkeit politischer Partizipation, kein Wahlrecht [und] keinen Zugang zur Universität.“25 Demnach wurden sie von der Außenwelt ausge­schlossen, sodass sie „ihr Wesen nur innerhalb der Familie entfalten“26 konnten. Ihr Platz war lediglich im Haus angesiedelt, bei dem sie sich um den Haushalt, die Kinder und das Wohlergehen ihres Mannes zu kümmern hatte. Dementsprechend glich sie einer „Tro­phäe“27, die der Mann besaß und nur wegen ihrer äußeren Schönheit der Außenwelt präsen­tiert wurde. Sie lebte somit im Schatten ihres Mannes und „[i]hr weiblicher Geschlechts­charakter fungierte gleichsam als ein naturalisierter Unterwerfungsvertrag“28.

2.3 Die Homosexualität im Biedermeier

Hinsichtlich der stereotypischen Eigenschaften von Frauen und Männern „betrachtete man [...] den Mann als den von Natur aus aktiven ,Kämpfer‘, während der Frau der passive Part zufiel.“29 Wie in Kapitel 2.1 und 2.2 gezeigt wurde, waren diese stereotypischen Rollenzu­weisungen in der Gesellschaft sowie im Familienleben fest verankert und sorgten für ein harmonisches Leben zwischen den Geschlechtern. Diese naturgegebene Harmonie wurde dann gestört, wenn die Geschlechter ihre vorgesehenen Rollen nicht erfüllten. Zu dieser Dissonanz gehörten auch die homosexuellen Neigungen von Männern.30 Dabei gab es zu der Zeit die Bezeichnung homosexuell an sich noch nicht. Stattdessen wurde der Sexualakt zwischen Männern der Sodomie - dem sexuellen Missbrauch von Tieren - gleichgesetzt und als solcher bezeichnet.31 Diese Männer wurden von der Gesellschaft missachtet, unab­hängig davon, ob es sich um praktizierten homosexuellen Geschlechtsverkehr, um homoe­rotische nicht-sexuelle Verhältnisse oder um homosexuelle Phantasien handelte. Neben der gesellschaftlichen Missachtung existierte ebenso ein gesetzlicher Erlass, der solche Nei­gungen bei Männern rechtlich missbilligte: „Sodomiterey [sic!], und andere unnatürliche Laster dieser Art, werden dem Ehebrüche [sic!] gleich geachtet.“32

Es gilt zu erwähnen, dass während des Biedermeiers, im Gegensatz zu der vorherigen und nachfolgenden Zeit, die Homosexualität in der Gesellschaft nicht als Krankheit gesehen wurde.33 Der homosexuelle Sexualakt zwischen Männern widersprach der eigentlichen, vom Christentum vorgesehenen Funktion: der Fortpflanzung. Dazu handelte es sich um au­ßerehelichen Geschlechtsverkehr, der gegen die Prinzipien des Christentums sprach und als Unzucht galt.34 Jedoch war die gesellschaftliche Verachtung aus diesem Grund kaum noch auffindbar, sodass weitestgehend nur Angehörige der (katholischen) Kirche diese Meinung teilten.35 Die entscheidende Ursache für die Missachtung lag darin, dass homosexuelle Männer „als ,effeminierte‘ Männer ihre wahre Natur - eben die männliche - ver­leugneten.“36 Somit wurde ihr Verhalten, Auftreten und ihre Lebensweise als nicht-männ­lich bzw. als weiblich37 gewertet, wodurch sie der stereotypischen Männerrolle (vgl. Kap. 2.1) nicht entsprachen. Um dieser Verachtung und den rechtlichen Konsequenzen zu ent­kommen sowie ein öffentliches Leben als Mann in der Gesellschaft führen zu können, wur­de von einem öffentlichen Outing abgesehen, homosexuelle Neigungen und Derartiges ver­heimlicht oder sogar ganz unterdrückt.38 „Im Biedermeier muß [sic!] verschwiegen, ca- moufliert und chiffriert werden, [...] um den Weg ins Soziale nicht zu erschweren.“39

3 Zur Frauenrolle in „Brigitta“

In Anbetracht der Frauenrolle wird die gleichnamige Protagonistin Brigitta analysiert, die in vielerlei Hinsicht „zu den außergewöhnlichsten Frauenfiguren im Kosmos der Stifter­sehen Texte“40 gehört. Um ihre Außergewöhnlichkeit näher zu betrachten, wird überprüft, inwiefern Brigitta der stereotypischen Biedermeierfrau (vgl. Kap. 2.2) gerecht wird und diese verkörpert. Für eine vollständige Analyse wird sich zunächst mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt. Dazu zählt die Zeit von ihrer Kindheit bis hin zur Ehe mit Stephan. Hiernach wird Brigitta nach ihrer Scheidung sowie nach der Wiedervereinigung mit Ste­phan thematisiert, um abschließend ihre finale Identität zu analysieren.

3.1 Brigitta in der Vergangenheit

Brigittas Kindheit wird im dritten Kapitel „Steppenvergangenheit“ nacherzählt. Schon zu Beginn erfahren die Leser*innen, dass sie bereits bei ihrer Geburt den gesellschaftlichen Vorstellungen nicht entspricht. Anstelle der weiblichen Schönheit besitzt sie ein „nicht an- genehmefs] verdüstertefs] Gesichtchen“, dessen äußere Erscheinung so wirkt, „als hätte es ein Dämon angehaucht.“41 Ihre Hässlichkeit sorgt dafür, dass sie keine emotionale Zunei­gung und Nähe von ihrer Mutter erhält. Ihre Kindheit ist stark von familiärer Vernachlässi­gung geprägt, die in Forschungsliteratur mehrfach als Ursache für ihre persönliche Ent­wicklung sowie für das spätere Scheitern der Ehe mit Stephan gedeutet werden.42 Diesbe­züglich stellen ihre zwei Schwestern den Gegenpol zu ihr dar, die als „zwei kleine schöne Engel“43 betitelt werden und somit die gesellschaftlichen Vorstellungen von weiblicher Schönheit erfüllen. Die Nähe, die Brigitta verweigert wird, erhalten stattdessen beide Schwestern im vollen Maße und sie muss dabei zusehen.44 Brigittas fehlende mütterliche Bindung scheint dafür zu sorgen, dass sie sich eine Realität mit eigenen Maßstäben bildet, dadurch den Kontakt zur Außenwelt verwehrt und emotional unerreichbar wird. Das lässt sich daran erkennen, dass sie beim häuslichen Unterricht unaufmerksam ist45 und die Annä­herungen der Familie abblockt, u.a. indem sie „auf die Schwestern schlug“46. Aufgrund des dadurch resultierenden Mangels an sozialen Kontakten wächst sie in ihrer eigenen Welt al­leine auf, ohne zu lernen, wie sie mit zwischenmenschlichen Beziehungen umzugehen hat.47 Derweil geben auch die Eltern es auf, zu Brigitta Kontakt aufzunehmen und sie erzie­hen zu wollen: „Die anderen bekam Verhaltensregeln und Lob, sie nicht einmal Tadel.“48

Die Ablehnung der Familie weitet sich in ihrer Jugend soweit aus, dass sie sich bewusst ge­gen die gesellschaftlichen Geschlechtertraditionen stellt. Indessen sind ihre Schwestern „weich und schön, sie bloß schlank und stark“49. Den Fertigkeiten, die adlige Frauen im Biedermeier zu erwerben hatten, wie u.a. das Tanzen und Musizieren (vgl. Kap. 2.2), wid­met sie sich nicht. Stattdessen geht sie Tätigkeiten nach (darunter das Reiten, das Spielen mit Steinen sowie das Lesen von Landkarten und Büchern des Vaters)50, die nach gesell­schaftlichen Normen ihrer Geschlechtszugehörigkeit nicht vorgesehen sind. Gleichfalls zeigt sie ein Desinteresse daran, sich optisch hübsch zu machen. Wogegen die Kleider ihrer Schwestern „mannigfach geändert [werden], bis sie passten“51, nimmt sie ihre einfach hin. Darüber hinaus werden ihre Kleider aufgrund der von ihr nachgegangenen Tätigkeiten stets schmutzig. Sie scheint keinen Wert auf diese Kleider zu legen, denn sie setzt sich „oft mit dem schönsten Kleide auf de[n] Rasen des Gartens“52. Brigitta besitzt dementsprechend mehrere Eigenschaften, die dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden bzw. dem weiblichen Geschlecht widersprechen. Dabei werden solche u.a. auch explizit im Werk als männliche Eigenschaft benannt.53 Überdies strahlt sie eine gewisse Wildheit aus, die so­wohl implizit, u.a. durch das sich Widersetzen gegenüber der Familie und der gesellschaft­lichen Normen, als auch explizit54 im Werk vorkommt. Wildheit gehörte nicht zu den Ei­genschaften, die der empfindlichen, schwachen und schutzbedürftigen Biedermeierfrau zu­geschrieben wurde - sie kennzeichneten eher den Mann. Es fällt auf, dass Brigitta die tra­ditionellen Geschlechternormen nicht nur ignoriert, sondern sich zusätzlich gegenüber die­se bewusst auflehnt und ihren eigenen Maßstäben treu bleibt.

[...]


1 Hierzu zählen schwule (gay), lesbische (lesbian), bisexuelle (bisexual), transsexuelle (transgender), ho­mosexuelle bzw. sich nicht als heterosexuell identifizierende (queer), intersexuelle (intersexed) und ase- xuelle (asexual) Menschen sowie alle weiteren Geschlechtsidentitäten (*) (vgl. Anja Kühne: „Was be­deutet eigentlich...? Das Queer-Lexikon“. https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/was-be- deutet-eigentlich-das-queer-lexikon/11827704.html (03.11.2020)).

2 Barbara Stollberg-Rilinger: Europa im Jahrhundert der Aufklärung. Stuttgart 2000. S. 160.

3 u.a. Friederike Küster: „Von der Moderne zur Spätmodeme: Die bürgerliche Familie im Wandel“. In: Claudia Mahs et al. (Hg.): Betonen - Ignorieren - Gegensteuern? Zum pädagogischen Umgang mit Ge- schlechtstypiken. Weinheim 2015. S. 45-60, hier: S. 47 und Ute Frevert: „Mann und Weib, und Weib und Mann" Geschlechter-Differenzen in derModerne. München 1995. S.185.

4 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, II, 1, § 184. opinioiuris.de/quelle/1623 (13.10.2020).

5 Otto Brunner: „Das ,Ganze Haus‘ und die alteuropäische ,Ökonomik“‘. In: Otto Brunner (Hg.).: Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte. 2. Aufl., Göttingen 1968. S. 102-127, hier: S. 112.

6 Vgl. Ursula Vogel: „Patriachaie Herrschaft, bürgerliches Recht, bürgerliche Utopie. Eigentumsrechte der Frauen in Deutschland und England“. In: Jürgen Kocka (Hg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert. Band III: Verbürgerlichung, RechtundPolitik. Göttingen 1995. S. 134-166, hier: S. 142ff.

7 Küster: „Von der Moderne zur Spätmodeme“, S. 46.

8 Küster: „Von der Moderne zur Spätmoderne”. S.51 und Vogel: „Patriachaie Herrschaft, bürgerliches Recht, bürgerliche Utopie“, S. 138.

9 Küster: „Von der Moderne zur Spätmodeme“, S. 46.

10 Frevert: „Mann und Weib, und Weib und Mann", S.30. In Anlehnung an: Johann Georg Krünitz: Ökono­misch-technologische Encyklopädie, oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirt­schaft. Brunn 1806. S. 723f.

11 Vgl. Frevert: „Mann und Weib, und Weib undMann", S. 185.

12 Vgl. Küster: „Von der Moderne zur Spätmodeme“, S. 48; Marita Metz-Becker: „Adlige und bürgerliche Frauen vor 1871. Auf dem Weg zur Elite“. In: Günther Schulz (Hg.): Frauen auf dem Weg zur Elite. Bü- dinger Forschungen zur Sozialgeschichte 1998. München 2000. S. 41-60, hier: S. 42 und Ute Frevert/ Heinz-Gerhard Haupt: „Einführung. Der Mensch des 19. Jahrhunderts“. In: Ute Frevert/Heinz-Gerhard Haupt (Hg.): DerMensch der 19. Jahrhunderts. Frankfurtu.a. 1999. S. 9-18, hier: S. 15.

13 Die Ungleichheit zwischen Mann und Frau war vor allem im Bürgertum sichtbar. Im bäuerlichen Volk waren beispielsweise beide Geschlechter eher gleichgestellt, da Frauen bei der Arbeit auf dem Land aus - helfen mussten (vgl. Günter Häntzschel: Bildung und Kultur bürgerlicher Frauen 1850-1918: eine Quel­lendokumentation aus Anstandsbüchern und Lebenshilfen für Mädchen und Frauen als Beitrag zur -weib­lichen literarischen Sozialisation. Tübingen 1986. S. 3).

14 Vgl. Josefin Bohn: „Figuren, Rollen und Geschlecht. Eine genderorientierte Figurenanalyse der Werke Brigitta, Zwei Schwestern und Der Nachsommer“. In: Gottwald Herwig/Manfred Mittermayer (Hg.): Jahrbuch desAdalbertStifterlnstitutes des Landes Österreich 23 (2006). S. 35-48, hier S. 38.

15 Ingeborg Weber-Kellermann: Frauenleben im 19. Jahrhundert. Empire und Romantik, Biedermeier, Gründerzeit. München 1988. S. 49.

16 Gleiches galt für adlige Frauen, deren Wissensvermittlung auf Fertigkeiten wie Lesen, Tanzen, Singen und Zeichnen basierte (vgl. Bohn: „Figuren, Rollenund Geschlecht“, S. 39).

17 Vgl. Frevert/Haupt: „Einführung. DerMenschdes 19. Jahrhunderts“, S. 14f.

18 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staats- wissenschaftim Grundrisse. Frankfurt 1973. S. 319.

19 Vgl. Küster: „Von der Moderne zur Spätmodeme“, S. 50.

20 Frevert: „Mann und Weib, und Weib undMann", S.185

21 Küster: „Von der Moderne zur Spätmodeme“, S. 48.

22 Vogel: „Patriachaie Herrschaft, bürgerliches Recht, bürgerliche Utopie“, S. 141.

23 Vogel: „Patriachaie Herrschaft, bürgerliches Recht, bürgerliche Utopie“, S. 144.

24 Vgl. ebd., S. 145.

25 Marita Metz-Becker: „Adlige und bürgerliche Frauen vor 1871“, S. 42.

26 Weber-Kellermann: Frauenleben im 19. Jahrhundert, S. 49

27 Bohn: „Figuren, Rollenund Geschlecht“, S. 38f.

28 Küster: „Von der Moderne zur Spätmodeme“, S. 48.

29 Helmut Blazek: Rosa Zeitenfür rosa Liebe: Geschichte der Homosexualität. Frankfurt 1996. S. 96.

30 Diese Arbeit fokussiert u.a. die implizite Homosexualität der männlichen Figuren in „Brigitta“, sodass andere „LGBTQIA+“-Mitglieder nicht behandelt werden. Dennoch soll auf diese Mitglieder aufmerksam gemacht werden, da sie ebenso im Biedermeier als dissonant und widernatürlich betrachtet wurden.

31 Vgl. Michel Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt 1983. S. 47.

32 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, II, 1, § 672. opinioiuris.de/quelle/1623 (13.10.2020).

33 Einige Ärzte bezeichnete die Homosexualität bei Männern als Knabenschändung bzw. Päderastie. Hier­bei wurde die Neigung von homosexuellen (älteren) Männer damit begründet, dass diese aufgrund ge­ringer Attraktivität oder unzureichender (genitaler) Beschaffenheit Frauen nicht ausreichend befriedigen konnten, sodass sie eine Abneigung gegen Frauen und eine Zuneigung gegenüber (jüngeren) Männern entwickelten. Diese Sicht auf die Homosexualität wurde zwar als Unzucht betrachtet, galt jedoch nicht als Krankheit (vgl. Joachim Campe:Andere Lieben. Homosexualität in der deutschen Literatur. Frankfurt am Main 1988. S. 171. zit. n. Ludwig Mente: Ausführliches Handbuch der gerichtlichen Medizin: für Gesetzgeber, Rechtsgelehrte,Ärzte und Wundärzte. Band 4. 1826 Leipzig).

34 Vgl. Isabel Virginia Hull: „>Sexualität< und bürgerliche Gesellschaft“. In: Ute Frevert (Hg.): Bürgerinnen undBürger. Göttingen 1988, S. 49-66, hier: S. 60f.

35 Vgl.: Iliija Dürhammer: GeheimeBotschaften: HomoerotischeSubkulturen imSchubert-Kreis, bei Hugo von Hofmannsthal und Thomas Bernhard.. Wien (u.a.) 2006. S. 15.

36 Blazek: Rosa Zeitenfür rosa Liebe, S. 95.

37 Das schloss ebenso den homosexuellen Sexualakt bei Männer ein, da sich beim heterosexuellen Se­xualakt nur die Frau dem Mann „sehnsüchtig hingebend“ bzw. unterwerfend verhielt, wogegen das bei Homosexuellen auch auf die Männer zutraf (vgl. Campe: Andere Lieben, S. 162).

38 Vgl. Dürhammer: GeheimeBotschaften, S. 15ff.

39 Ebd.: GeheimeBotschaften, S. 17.

40 Sabine Schmidt: Das domestizierte Subjekt. Subjektkonstitution und Genderdiskurs in ausgewählten WerkenAdalbertStifters. St. Ingbert2004. S. 159.

41 Adalbert Stifter: Brigitta. Ditzingen 2003. S. 37.

42 Vgl. u.a. Gerda von Petrikovits: „Zur Entstehung von der Novelle >Brigitta<“. In: VASILO 14 (1965). S. 93-104, hier: S. 103 und Rudolf Wildbolz: Adalbert Stifter. Langeweile und Faszination. Stuttgart u.a. 1976. S. 47.

43 Stifter: Brigitta, S. 37.

44 „[...] [WJenn die Mutter wohl manchmal gleichsam aus verzweiflungsvoller Brünstigkeit die anderen Kinder herzte, sah sie nicht das starre schwarze Auge Brigittas, das sich hinheftete, als verstünde das winzige Kind schon die Kränkung“ (ebd.).

45 Vgl. Stifter: „Brigitta“, S. 38.

46 Stifter: Brigitta, S. 38.

47 Vgl. 'Wüdbol/'.AdalbertStifter, S. 50.

48 Stifter: Brigitta, S. 38.

49 Ebd.

50 Vgl. ebd.,S.38f.

51 Ebd.,S.38.

52 Ebd.,S.39.

53 Exemplarisch: „In ihrem Körper war fast Manneskraft [...], wie sie gerne tat, Hand an knechtliche Arbeit legte“ (ebd., S. 38); „[...] aber sie ritt gut und kühn, wie ein Mann“ (ebd., S. 39).

54 Exemplarisch: „[...] verdrehte sie oft die großen wilden Augen, wie Knaben tun“ (ebd., S. 37); „[...] Pa- piere, auf denen seltsame wilde Dinge gekennzeichnet waren, die von ihr sein mussten“ (ebd., S. 38).

Ende der Leseprobe aus 7 Seiten

Details

Titel
Jesus von Nazareth
Autor
Jahr
2000
Seiten
7
Katalognummer
V97967
ISBN (eBook)
9783638964180
Dateigröße
403 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit spezifiert sich auf die in der Gesellschaft beschrieben wird.
Schlagworte
Herbert Braun über Jesus von Nazareth und Zeloten
Arbeit zitieren
Christina Steinmüller (Autor:in), 2000, Jesus von Nazareth, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97967

Kommentare

  • Gast am 23.2.2003

    Jesus von Nazareth.

    Hallo,
    ich bin mir sicher , dass deine Hausarbeit wirklich gut ist für ihren Zweck.
    Was mich aber enorm stört ist der Titel,denn es geht zwar um Jesus aber wohl eher im Bezug auf die Evangelien und nicht über Jesus selbst(sofern man überhaupt etwas über ihn sagen kann).
    Und da ich nach Daten suche (wann,wo,wer), ist wegen des Titels deiner Arbeit,meine Bewertung eben dieser sehr schlecht ausgefallen.
    Es ist eine Unverschämtheit das durch solche kleinen Fehler im Internet nicht wirklich viel Informatives gefunden werden kann.
    Ich wünsche dir alles Gute,
    m.f.G.
    Silke Zimmermann

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Titel: Jesus von Nazareth



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