Das Militär als Vetomacht unter Fujimori


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

29 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Enklavendemokratie als demokratischer Defekt

3. Landeskunde Perus

4. Das Militär als Vetomacht
4.1. Das Militär und der Antiguerillakampf (1980 – 1989)
4.2. Die zivil-militärischen Beziehungen unter Fujimori
4.2.1. Die Stärkung der Rolle des Militärs
4.2.2. Politisierung des Militärs
4.2.2.1 System der Ringe
4.2.2.2. System der Kooptation
4.3. Korruption im Militär und dessen Beteiligung am Kokaingeschäft
4.4. Menschenrechtsverletzungen durch das Militär
4.4.1. Der Fall Barrios Altos
4.4.2. Der Fall La Cantuta
4.4.3. Der Fall Robles
4.5. Die Militärjustiz
4.6. Die Generalamnestie für Menschenrechtsverbrechen

5. Fazit

Bibliographie

1. Einleitung

Statistisch gesehen ist die sicherste Ausbildung, um Präsident Perus zu werden, die zum Offizier. Seit Perus Unabhängigkeit 1821 hat das Land 72 Präsidenten kommen und gehen sehen. Drei Befreiungsarmeen konnten ihren Anführer zum Präsidenten machen, zweimal ist ein Anführer ziviler Revolten zum Präsident geworden. Nicht weniger als 26 Mal haben es Militärs als Anführer eines Putsches zum Präsidenten Perus geschafft. Aber selbst bei gelegentlich abgehaltenen verfassungsmäßigen Wahlen bevorzugten die Peruaner militärische Führung gegenüber der durch Zivilisten. Von den 72 Präsidenten waren 51 Offiziere davon wiederum 34 Generäle. Statistisch gesehen sollte man sich auch besser von der Armee zum Offizier ausbilden lassen, da die Marine nur ein einziges Mal einen Konteradmiral als Präsident stellen konnte[1]. Militärregierungen sind, wie sich daraus ersieht, eine Konstante in Perus Politik geworden, ein Land mit einer langen Geschichte an Militärputschen und Militärpräsidenten. Daher ist es um so verwunderlicher, daß die Phase ziviler Präsidenten jetzt schon seit 21 Jahren anhält. Die Frage, die sich allerdings stellt ist, ob das Militär noch immer die Fäden im Hintergrund zieht und wie weit sein Einfluß reicht.

Die momentane Lage läßt sich nach Fujimoris überraschendem Rücktritt letztes Jahr und den nach demokratischen Prinzipien verlaufenen Präsidentschaftswahlen Mitte dieses Jahres nur schwer einschätzen. So gab es zwar bereits unter dem Interimspräsidenten Paniagua Säuberungen der Militärspitze von montesinos- und fujimoritreuen Offizieren, wie weit der Einfluß des Militärs dadurch aber zurückgedrängt wurde, läßt sich noch schwer abschätzen. Daher beschränkt sich diese Arbeit auf die Rolle, die das Militär unter den Präsidentschaften Fujimoris gespielt hat.

Zum Phänomen, wie ein bis dahin in der Öffentlichkeit unbekannter Agrarökonom ohne eine Parteibasis zum Präsidenten werden konnte und seine Macht, wenn auch mit Hilfe des Militärs und des Geheimdienstes, festigen konnte, gibt es erstaunlich viel Literatur. Umfassende Werke sind in englischer Sprache erschienen, wobei Autoren wie Mauceri und Cameron mit ihren US-Veröffentlichungen wichtige Werke publiziert haben. (State Under Siege, Democracy and Authoritarism in Peru, The Peruvian Labyrinth). Aber auch deutschsprachige Literatur ist vorhanden. Die vom Hamburger Institut für Iberoamerikakunde herausgegebene Zeitschriftenreihe Lateinamerika, Analysen-Daten-Dokumentation hat die Geschehnisse in Peru über die Jahre gut dokumentiert. Den militärisch – zivilen Beziehungen sind dabei in beinahe jedem Buch Kapitel gewidmet.

Im folgenden Teil soll die theoretische Grundlage der Arbeit kurz herausgearbeitet werden. Croissants und Thierys Definition der Enklavendemokratie soll klar werden, um im anschließenden Hauptteil zu untersuchen, ob es Anzeichen für eine solche Enklavendemokratie unter Fujimori gegeben hat. Des weiteren gehe ich auf die zivil-militärischen Beziehungen ein, auf das Ausmaß an Korruption innerhalb des Militärs und die von ihm begangenen Menschenrechtsverletzungen. Sowohl Korruption als auch Menschenrechtsverletzungen sowie deren Verfolgung eignen sich gut als Indikator, um festzustellen, wie sehr das Militär an den verfassungsmäßigen Rahmen gebunden ist, oder anders ausgedrückt, ob und wieviel Freiheiten es außerhalb des konstitutionellen Rahmens genießt und damit eine Demokratieenklave darstellt.

2. Enklavendemokratie als demokratischer Defekt

Grundlage für die Untersuchung soll das Modell der embedded democracy von Croissant und Thiery sein[2]. Deren Modell legt fünf Kriterien fest, nach denen sich Demokratie bestimmt:

(1) einem offenen und kompetitiven Herrschaftszugang,
(2) einer pluralistisch strukturierten öffentlichen Arena,
(3) Inanspruchnahme des Herrschaftsmonopols durch verfahrenslegitimierte Autoritäten,
(4) pluralistische Herrschaftsstruktur sowie
(5) definierte und garantierte Grenzen des Herrschaftsanspruchs[3]

Croissants und Thierys Modell ist eine Erweiterung der bereits bestehenden Demokratiedefinition Dahls, der Demokratie als „contestation open to participation“ versteht. Dieser Begriff würde aber nur die oben genannten Punkte (1) und (2) abdecken, nämlich die vertikale Legitimitäts- und Kontrollfunktion. Die Dimension der effektiven Herrschaftsgewalt (3) sowie die des Verfassungs- und Rechtsstaat (4) und (5) werden nicht von seiner Definition erfaßt und sind daher von Croissant und Thiery hinzugefügt worden. Damit können nun auch liberale von rechtsstaatlichen und defekten Demokratien differenziert werden[4].

Hervorzuheben ist Punkt (3), auf die sich diese Arbeit konzentrieren soll, nämlich die Inanspruchnahme des Herrschaftsmonopols durch verfahrenslegitimierte Autoritäten oder die effektive Herrschaftsgewalt, denn konkret bedeutet „effektive Herrschaftsgewalt“, daß die demokratisch gewählten Vertreter ein ausreichendes Maß an Regierungsgewalt besitzen und nicht durch demokratisch nicht legitimierte Institutionen in ihrer Verfügungsgewalt eingeschränkt werden (sogenannte Vetomächte). Namentlich ist hier an Militär, Geheimdienst oder auch religiöse Instanzen zu denken[5], die sich entweder Freiräume schaffen, in denen sie keiner Kontrolle durch demokratisch legitimierte Instanzen unterliegen oder aber sogar diese Instanzen so beeinflussen, daß diese nicht mehr ihre eigentlichen politischen Interessen durchsetzen können.

Wenn man auf einer Skala auf der einen Seite eine ideale demokratische Ordnung und auf der anderen Seite eine totalitäre Ordnung als das andere Extrem markiert, befindet sich dazwischen eine weite Grauzone. Um einzelne Regime aus dieser Grauzone bewerten zu können und entweder einer noch funktionierenden aber nicht vollständigen Demokratie (defekte Demokratie) oder aber bereits dem Autoritarismus zuzuordnen, bedarf es einer genauen Definition dessen, bis zu welchem Grad es sich noch um eine defekte Demokratie handelt. Von Croissant und Thiery wird sie definiert als „Herrschaftssystem, das sich durch das Vorhandensein eines bedeutsamen und wirkungsvollen Wahlregimes zur Regelung des Herrschaftszugangs als definierendes Merkmal von Demokratie auszeichnet, aber durch signifikante Störungen in der Funktionslogik der übrigen Teilregime die komplementären Stützen verlieren, die in einer funktionierenden Demokratie zur notwendigen Sicherung von Freiheit, Gleichheit und Kontrolle notwendig sind“[6]

Je nachdem, welche der drei oben genannten Demokratiedimensionen nun beschädigt ist, kann man das jeweilige System typisieren. In dem Fall, der im Folgenden genauer untersucht werden soll, daß die effektive Herrschaftsgewalt eingeschränkt ist, spricht man von einer Enklavendemokratie. Die Vetomächte entziehen sich per Verfassung oder aber auf außerkonstitutionellem Weg dem Zugriff demokratischer Instanzen[7].

Die Fälle, daß die vertikale Legitimations- und Kontrolldimension beschädigt ist (exklusive Demokratie) oder aber die des liberalen Rechts- und Verfassungsstaates (illiberale Demokratie), vernachlässige ich zum großen Teil. Das Kapitel über die Militärjustiz und über die Generalamnestie behandeln selbstverständlich auch die Beschädigung des Rechts- und Verfassungsstaates, sie sollen aber primär dazu dienen, die enormen Freiräume, die sich das Militär bis hin zur eigenen Gerichtsbarkeit schaffen konnte, zu demonstrieren.

3. Landeskunde Perus

Von der Fläche her ist Peru Südamerikas drittgrößter Staat nach Brasilien und Argentinien. Gemessen an seiner Bevölkerung von knapp 25 Millionen Einwohnern ist es das viertgrößte Land des Kontinents (nach Brasilen, Argentinien und Kolumbien).

Geographisch läßt sich das Land in drei Hauptzonen einteilen. Entlang der Pazifikküste zieht sich zwischen Pazifik und den Anden ein schmaler dicht besiedelter Streifen, in dem auch Perus Hauptstadt Lima liegt. Das Vorandengebiet zeichnet sich durch seine Aridität aus. Gen Osten schließt sich das dünn besiedelte ebenfalls aride Andenhochland an. Der sogenannte Altiplano erreicht bis zu fünftausend Meter Höhe. Das fruchtbare Andenvorland (montaña) schließt sich östlich an und endet im humiden und kaum besiedelten weiten Amazonasbecken (selva).

Perus Bevölkerung ist indigen geprägt und setzt sich zu gut 54% aus Indianern, 32% Mestizen und zu 12% aus Weißen zusammen. Neben Spanisch als Staatssprache sind die Indianersprachen Quechua und Aymará Landessprache. Der römisch-katholische Glauben ist mit Abstand der wichtigste in Peru, fast 95% der Bevölkerung bekennen sich zu ihm. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt von US $ 2.600 pro Einwohner nimmt Peru im südamerikanischen Vergleich einen der hinteren Plätze ein. Laut dem Instituto Nacional de Estatistica e Información (INEI) sind knapp 40 % der peruanischen Bevölkerung von Armut betroffen, 15% sogar von extremer Armut, welche schwerpunktmäßig in den Hochlandzonen und unter der indigenen Bevölkerung auftritt[8]. Ähnlich verhält es sich mit der Ausprägung des Analphabetismus. Durchschnittlich können 12% der Bevölkerung weder lesen noch schreiben, schwerpunktmäßig ist der Analphabetismus aber wiederum in den ländlichen Regionen unter der indigenen Bevölkerung anzutreffen.

4. Das Militär als Vetomacht

4.1. Das Militär und der Antiguerillakampf (1980 – 1989)

Während der ersten freien Präsidentschaftswahlen in Peru nach siebzehn Jahren im Jahr 1980 setzte der bewaffnete Guerillakampf des maoistischen Sendero Luminoso ein, der bis 1992 fast 30.000 Menschen das Leben kostete. Die in Lima ansässige peruanische Elite begegnete dem Problem zunächst mit einer erstaunlichen Ignoranz, so unterschätzte die Regierung anfänglich die Guerillaaktivitäten im Hochland Perus und tat sie als gewöhnliche Straftaten ab. Ihrer Meinung nach ging es hier bloß um persönlichen Profit und Stärkung individuellen Ansehens, oder aber sie tat die verübten Attentate als von ausländischen kommunistischen Agenten verübte Taten ab[9]. Die Regierung unter Präsident Belaúnde setzte zunächst vermehrt Polizeieinheiten in den betroffenen Regionen ein, wobei sowohl die Guardia Civil als auch die Guardia Republicana zum Einsatz kamen. Der Antiguerillakampf dieser Polizeieinheiten wurde erheblich erschwert zum einen aufgrund der aus unterschiedlichen Kommandostrukturen und Verantwortlichkeiten herrührenden internen Streitigkeiten und zum anderen aus einem Mangel an Training im Kampf gegen Guerillaeinheiten und unzureichender Ausrüstung für einen Antiguerillakampf. Erschwerend kam hinzu, daß der Polizei von Seiten der lokalen Bevölkerung großes Mißtrauen entgegengebracht wurde, da ihr der Ruf der Korruption und des Machtmißbrauchs vorauseilte[10].

Nachdem der Sendero Luminoso 1982 den Terror auch auf Lima ausweitete, wurde offensichtlich, daß das Problem bis dahin unterschätzt worden war, und Belaúnde erklärte über sieben Provinzen den Notstand. Verfassungsgemäß ging dies einher mit der Erweiterung der außerordentlichen Vollmachten der Sicherheitskräfte in den betreffenden Provinzen, einer Einschränkung der persönlichen Freiheiten und dem Einsetzten militärischer Kommandeure, die weder lokal gewählten Politikern noch dem Kongreß oder der Ziviljustiz unterstanden, sondern einzig und allein dem Militär. America´s Watch stellte daher 1984 fest, daß die Demokratie in den Notstandsgebieten „abgedankt“ hatte[11]. Bis 1990 wurden insgesamt ungefähr sechzig Provinzen zu Notstandsgebieten erklärt[12].

[...]


[1] vgl. Richard L. Millett, Peru: The State Under Siege, in: Beyond Praetorism: The Latin American Military in Transition, Richard L. Millett, Michael Gold-Biss (Hrsg.), Miami, 1996, S. 262f

[2] vgl. Croissant, Aurel, Thiery, Peter, Defekte Demokratie Konzepte, Operationalisierung, Messung, in: Demokratiemessung, Hans-Joachim Lauth,, Gert Pickel (Hrsg.), Wiesbaden, 2000, S.92

[3] vgl. ebd. S. 92

[4] vgl. ebd., S. 92ff

[5] vgl. ebd. S. 92ff

[6] Croissant, Aurel, Thiery, Peter, Defekte Demokratie Konzepte, Operationalisierung, Messung, in: Demokratiemessung, Hans-Joachim Lauth,, Gert Pickel (Hrsg.), Wiesbaden, S. 95

[7] vgl. ebd. S. 103

[8] vgl. http://www.inei.gob.pe

[9] vgl. Philip Mauceri, State Under Siege, Development and Policy Making in Peru, Boulder, 1996, S. 136

[10] vgl. ebd.

[11] Carlos Iván Degregori, Shining Path and Counterinsurgency Strategy Since the Arrest of Abimael Guzmán, in: Peru in Crisis, Dictatorship or Democracy?, Joseph S. Tulchin, Gary Bland (Hrsg.), Boulder, 1994, S. 82

[12] vgl. Philip Mauceri, State Under Siege, Development and Policy Making in Peru, Boulder, 1996, S. 137

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Das Militär als Vetomacht unter Fujimori
Hochschule
Universität Passau  (Lehrstuhl für Politikwissenschaft I)
Veranstaltung
Hauptseminar: Zwischen Volkssouveränität und diktatorischer Entartung: Defekte Demokratien als globales Problem
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
29
Katalognummer
V9817
ISBN (eBook)
9783638164276
Dateigröße
702 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Militär, Vetomacht, Fujimori, Hauptseminar, Zwischen, Volkssouveränität, Entartung, Defekte, Demokratien, Problem
Arbeit zitieren
Ulrich Dörmann (Autor:in), 2001, Das Militär als Vetomacht unter Fujimori, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9817

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