Warum fiel Thomas Morus in Ungnade?


Seminararbeit, 2000

9 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Berufliche Karriere und Aufstieg zum Lordkanzler

3. Der Fall des Thomas Morus
3.1. Differenzen mit König Heinrich VIII.
3.2. Anklage
3.3. Hinrichtung

4. Zusammenfassung und Schluss

5. Quellen- und Literaturverzeichnis
5.1. Quellenverzeichnis
5.2. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

2000 Jahre Christentum, das sind 2000 Jahre Geschichte der Menschheit, eine Geschichte mit Höhen und Tiefen, mit fatalen Irrungen und gesellschaftlichen Meilensteinen, eine Geschichte von Völkern und Ländern, aber auch von einzelnen Personen. Eine herausragende Persönlichkeit gerade der englischen Kirchengeschichte soll in dieser Arbeit untersucht werden: Thomas Morus.

An dem Mann, der am Scheideweg der anglikanischen und römischen Kirche im 16. Jahrhundert in Erscheinung trat, teilen sich auch die Ansichten und Meinungen in der Forschung. Für die einen ein "Jäger des häretischen Übels"1, für die anderen eine Lichtgestalt, die sich während der reformatorischen Strömungen, ausgelöst durch die Thesen Martin Luthers, ganz dem göttlichen Glauben verschrieb und nicht den König, sondern den Papst als oberste Vertretung Gottes auf Erden ansah und für diese Haltung den Märtyrertod erlitt. Und es ist auch eine streitbare Frage, wie man diesen Mann in seiner Gesamtheit beurteilen muss. Als gelehrter Humanist machte er eine herausragende Karriere, die ihn an den Hof Heinrichs VIII. führte und ihm internationales2 Ansehen verschaffte, wenige Jahre später trennte das Schisma auch ihn von der Gunst seines einstigen Herren des Königs. Wie kam es nun dazu, dass dem steilen Aufstieg ein schneller Fall folgte, der ihn vor den Scharfrichter brachte? Welche Differenzen erwuchsen zwischen Thomas Morus und Heinrich VIII.?

Diese Arbeit untersucht diesen Abschnitt der englischen Geschichte, um Streitpunkte aufzuzeigen, die letztlich zu Morus´ Hinrichtung führten. Unterstützt werden die Feststellungen u.a. durch die Schriften von Morus-Biographen wie Berglar, Chambers und Marius, aber auch immer fundierte werdende Internet-Artikel der Enzyclopedia Britannica und einzelner Beiträge zu Thomas Morus sollen einer genauen Beurteilung der damaligen Differenzen dienlich sein. Die dünn gesäten Quellen aus den "Letters and Papers" sollen die Arbeit ergänzen.

Nach einer Beschreibung des beruflichen Aufstiegs, beschäftigt sich der Hauptteil mit der Entfernung von Heinrich VIII. und Morus Tod, gefolgt von einer kurzen Zusammenfassung, die die Arbeit beschließt.

2. Berufliche Karriere und Aufstieg zum Lordkanzler

Thomas Morus, geboren 1478, wuchs erst bei seinen Eltern, seit seinem zwölften Lebensjahr dann in Oxford im Haushalt des Erzbischofs von Canterbury, James Morton, auf. Diese örtliche Zweiteilung war auch mit einem gesellschaftlichen Unterschied verbunden und übte starken Einfluss auf Morus´ spätere Berufswahl und somit auch auf sein Schicksal aus. Der Vater, selbst ein Justizbeamter, wollte seinen Sohn als Nachfolger dieses Berufsstandes in der dritten Generation sehen. Im Hause von Morton erfuhr er aber auch eine ganz andere Seite seines Lebens, die eines Geistlichen im Dienste der Kirche. Zwar folgte er dem Willen seiner Eltern und studierte ab 1494 Logik und Recht in London, doch seine inneren Kämpfe, welches nun seine wahre Bestimmung sei, waren damit nicht abgeschlossen. Welt oder Kloster, diese Frage stellte sich Morus und sie war Hauptbestandteil eines Entwicklungs- und Reifeprozesses, an dessen Ende die Entscheidung für den Staat stand, manifestiert durch seine erste Heirat und das parlamentarische Debüt im Jahre 15043. Neben die juristische Tätigkeit trat aber u.a. durch Erasmus von Rotterdam auch die Beschäftigung mit dem Humanismus, eine Richtung, die bei den Eltern wiederum nicht auf Zustimmung stieß und mit dem Entzug von finanziellen Mitteln beantwortet wurde, denn von den "philologischen und philosophischen Bildungsgelüsten" hielt sein Vater nichts4. Morus blieb bei der eingeschlagenen Laufbahn als Jurist und konnte aufgrund seiner Redegewandtheit viele Klienten binden, was sich auch auf sein Einkommen positiv auswirkte5. 1510 wurde er Untersheriff von London und dank seiner ausgezeichneten Arbeit wurde er nicht nur Hoffnungsträger der Armen, sondern auch König Heinrich VIII. schenkte ihm seine Aufmerksamkeit. Ab dem Jahre 1515 wird er erst vereinzelt, dann immer häufiger in die Dienste des Königs berufen. Er vertrat englische Kaufleute als "Sprecher Londons"6, verhandelte mit ausländischen Botschaftern und reiste im Auftrag des Königs ins Ausland, um wirtschaftliche Verhandlungen zu führen. Diese Ausweitung seiner Tätigkeiten zwang Morus, 1518 als Untersheriff abzudanken und sich ganz als Justitiar und königlicher Berater am Hof zu engagieren.

Zu gleicher Zeit erreichten die reformatorischen Strömungen auf dem Festland unter Martin Luther mit dem Thesenanschlag in Wittenberg ihren vorläufigen Höhepunkt. Thomas Morus, ein treuer Christ und Diener des Königs, startete zu Beginn 1520er Jahre eine von Heinrich VIII. gestützte offensive Kampagne gegen Luther ("Responsio ad Lutherum") und unter Morus´ Mithilfe erlangte der König den Titel "Defensor fidei" als Folge seiner Schrift "Verteidigung der Sieben Sakramente". Morus war also ein Freund der römisch-katholischen Lehre und verfolgte die, die sich abspalten wollten als Häretiker und brachte sie auf das Schafott8. Um so unverständlicher erscheint demnach sein Wandel vom geistlich geprägten Anwalt der Armen zum Inquisitor der englischen Krone.

Jedoch äußerten sich auch in seinen Schriften erste Anzeichen einer nahenden Veränderung des bisherigen Systems der einen katholischen Kirche9. Für eine Abspaltung der englischen Kirche stand er jedoch nicht, sondern er war sich über die notwendigen Veränderungen in Kirche und Staat bewusst, legte sie auch 1516 in seinem literarischen Hauptwerk "Utopia" dar, wusste aber um das Machbare und hing nicht blind einem Idealismus nach10. So konnte er auch nicht dem Wunsch des Königs entsprechen, ihm in seinen Ansichten zu folgen, was die Abspaltung der englischen Kirche von Rom betraf. Vielmehr stand er in der "Großen Sache des Königs" (Kings Great Matter) eher auf Seiten Roms, was die Scheidung der königlichen Ehe mit Katharina von Aragon und der Heirat Anne Boleyns anging. Mit diesem Sachverhalt und den Differenzen wird sich der anschließende Hauptteil beschäftigen.

Die Spannungen am Hof erhöhten sich seit 1527, als Heinrich VIII. auf der Suche nach einem ihn in seiner Meinung stützenden Ratgeber suchte, ihn aber nicht fand. Eine erste Folge dieses Problems war die Ablösung Wolseys als Lordkanzler im Jahre 1529. Als Nachfolger im Amt hatte sich Morus durch seine beschriebene steile Karriere und guten Beziehungen zum König empfohlen, doch auch er sollte den Wünschen des Königs nicht entsprechen können. Nun aber war er am Höhepunkt seines Lebens angelangt: vom Anwalt und Richter war er nun zum Beamten der Krone und Regierungschef aufgestiegen11. Dies wurde von vielen sicherlich als Gipfelpunkt seiner Laufbahn angesehen, für ihn war es nur der letzte in einer Reihe von Schicksalsschlägen12, denn nach Abschluss dieser Ära als Lordkanzler stand kurze Zeit später seine Hinrichtung.

3. Der Fall des Thomas Morus

3.1. Differenzen mit Heinrich VIII.

Nach seiner Ernennung zum Lordkanzler im Jahre 1529 gelang Morus eine positive Führung seines Amtes, in einer Zeit, die von großen Veränderungen geprägt sein sollte. Er eröffnete die sogenannte Große Sitzungsperiode des englischen Parlaments, die noch bis 1536 dauerte. Doch es kamen zwei entscheidende Dinge hinzu, die ein Loslösen von diesem Amt zur Folge hatten: zum einen erkrankte Morus schwer und seine körperliche Gebrechen erschwerten ihm eine gelungene Arbeit als Lordkanzler. Zum anderen sah er sich außer Stande, die Ehepolitik Heinrichs VIII. mitzutragen. In beiden genannten Fällen geriet Morus in einen Zwiespalt und musste sich seiner Meinung nach entweder für oder gegen eine bestimmte Richtung entscheiden, um seine Glaubwürdigkeit vor dem englischen Volk, vor allem aber vor sich selbst und vor Gott nicht zu verlieren. Was seine Krankheiten betrifft, rieten die Ärzte ihm zur Amtsniederlegung und auch er war der Meinung, dass die Amtsniederlegung ein Muss sei, wenn er sein Amt nicht schlecht erfüllen wollte oder gar Leben und Amt gleichzeitig verlieren wollte.13

Der andere Punkt war seine grundsätzliche Ansicht über die Ehefrage des englischen Herrschers. Hier ging es nicht einfach nur darum, ob Heinrich VIII. geschieden werden könnte, sondern ob er ein Junggeselle sei, der mit der Frau seines Bruders, Arthur, der 1509 starb, in einem blutschänderischen Verhältnis, fälschlich Ehe genannt, lebe.14 Anhand Morus´ präziser aber auch doppeldeutiger Aussagen in dieser Sache, zeigte sich auch für Nicht-Engländer Morus` die fast gegensätzliche Haltung zu Heinrich VIII.15 So zeichnete sich ein Bruch schon relativ schnell nach Amtsantritt ab, der mit dem Rücktritt einen Tag nach Verabschiedung der "Submission of the Clergy" (1532) durch das Unterhaus ausgedehnt wurde. Mit diesem Gesetz erkannte nämlich der englische Klerus Heinrich VIII. nicht nur als König, sondern von nun an auch als Oberhaupt der Kirche an und nicht mehr den Papst in Rom. Dem Gesetzestext war als eine Art moral-theologische Absicherung vor Gott die Phrase "so weit dies das Gesetz Gottes erlaubt" beigefügt, was für Morus diesen Schritt trotzdem nicht ausreichend genug rechtfertigte.

Einen Tag später trat er als Lordkanzler zurück.

Von nun an wandelten sich Mores Ansichten noch kollosaler. War er in den 1520er Jahren noch ein Verfolger der Häretiker und Luther-Anhänger und richtete sie mit der gesamten Macht des Gesetzes, so verfiel er gerade in dem so drastischen Verfall der katholischen Kirche in England und auch aufgrund seiner Krankheit, die ihm wenig Hoffnung auf Linderung versprach, mehr und mehr inneren und göttlichen Werten, die ihn in seiner Ansicht und in seinem Handeln bestärkten. Und es war gerade die Hoffnungslosigkeit, die Morus weder den König, noch die von ihm möglicherweise ausgehenden Strafen gegen ihn fürchten ließen und ihn bis zur seiner Hinrichtung standhaft bleiben ließen.

Für Morus war die Zeit nach seinem Rücktritt ein "Wartestand auf den Tod" und in tiefem Gottvertrauen war dieser Abgang von der öffentlichen Bühne ohne Verbitterung und Resignation abgelaufen16.

Und eben diese gesundheitliche Lage diente ihm anfänglich als ausreichende Begründung seiner Entscheidung, zurückzutreten. Erst später bekannte er sich offen zu einer anderen Geisteshaltung, die ihn das Amt quasi aus Gewissensgründen nicht mehr erfüllen ließen, denn er sah die Abspaltung von Rom als einen nicht ausreichend begründeten Schritt und stellte die Abspalter, den englischen Klerus, inoffiziell auf die Stufe der Häretiker. In einem Brief an Erasmus von Rotterdam wird diese Haltung deutlich, denn nach seinem Rücktritt sprach er von schändlichen Häretikern, die er hasse. Im gleichen Schriftwechsel lässt Morus auch seine nicht vorhanden Furcht vor Strafe erkennen, denn für ihn sei die Hauptsache, dass er Gott gefalle, und dass er sich nicht um das schere, was die Menschen sagen17.

War dies erst der persönliche Bruch mit der neuen "Kollektiv-Ansicht" über die englische Kirche, kam der Bruch mit dem König im Jahre 1533, als Morus der Krönungszeremonie von Heinrichs zweiter Frau, Anne Boleyn, fern blieb. Von diesem Zeitpunkt an konnte der ehemalige Lordkanzler nicht mehr mit einer Besserung seiner Lage vor dem König und den Gerichten rechnen. Sicherlich hätte Morus wiederrufen können, doch er war so von seiner Meinung überzeugt und hatte sich so intensiv mit Gott im Reinen befunden, dass ein solcher Widerruf für ihn nicht in Frage kam und es bleibt weiter fraglich, ob der König nicht auch einen Rückzug Morus` von seinen Ansichten als Königstreue honoriert hätte und ihm nicht eher Verwirrung und Anstiftung zur Spaltung des Klerus und des Volkes vorgeworfen hätte. Denn wie noch zu erkennen sein wird, wurden Recht und Gesetz willkürlich ausgelegt, je nach dem was man dem Angeklagten beweisen wollte.

Und diese Taktik äußerte sich bei der Verhörung und Anklage Morus´ am deutlichsten. Der König war über sein Fernbleiben erbost und wollte ihm Verrat vorwerfen, man musste nur noch einen ausreichenden rechtlichen Vorwand haben, um Morus vor Gericht zu bringen. Und diesen fand man in der "Nonne von Kent", einer Frau, die aufgrund ihrer Wahnvorhersagen über den Tod des Königs in Ungnade fiel und hingerichtet wurde. Morus warf man einen engen Kontakt zu dieser Person vor, was Grund genug war, ihn zu verhören. Die Verhöre wurden von einer königlichen Kommission unter Cromwell durchgeführt und gleich zu Beginn kam man auf das eigentliche Thema der Anklage zu sprechen und ließ die Sache mit der Nonne außen vor: man verlangte von Thomas Morus, den Eid auf die Suprematsakte zu leisten, die den König als oberstes Haupt der englischen Kirche festlegte.

Und mögen die Anklagepunkte noch so mannigfaltig gewesen sein, mag Morus im Laufe der Zeit vieles vorgeworfen worden sein, Hauptpunkt war und blieb der Eid auf die Suprematsakte, alles andere wurde nur als Hilfsmittel verwand, um Morus zu einer klaren und unmissverständlichen Aussage zu bewegen, entweder den Eid zu leisten oder solch eine präzise Aussage gegen das Supremat zu leisten, dass es zu einer Verurteilung als Ketzer und Häretiker reichen würde. Und weder das eine noch das andere war leicht für die Kommission, denn wäre Morus nicht durch seine brillante Prozessführung und seine Klugheit vor Gericht als Anwalt aufgefallen, hätte Heinrich VIII. ihn wohl kaum an den Hof geholt. Diese juristische Schlagfertigkeit nutze Morus, um der Kommission die Anklage zu erschweren und um dem König seine tiefe Verbundenheit zu zeigen, eben ausschließlich durch Erklärung der Wahrheit18.

Doch der König war nicht durch diese Treue zu beeindrucken, nein, für ihn waren diese Äußerungen Hohn und Unwahrheit, denn dem König kam es nur darauf an seinen Machthunger zu stillen und Bestätigung zu bekommen, was nur durch eine Anerkennung seiner Person als Oberhaupt der Kirche zu erreichen war. Heinrichs Anspruch auf die "Doppelkrone" von Kirche und Welt war Ausdruck einer neuen Auffassung von Selbstgerechtigkeit und Machtanspruch, er stellte alles Legitimierende zwischen seinen und Gottes Willen und so war es für ihn unbegreiflich, dass sich jemand auch nur wagen konnte, sich ihm und seinen Wünschen zu widersetzen. Es ging nicht nur um persönliche Ehre, sondern um Staatsräson und der Staat war Heinrich19. Für Thomas Morus musste nach seinem schlagfertigen Verstand nach zu urteilen diese Haltung des Königs bekannt gewesen sein, doch richtig fassbar schien solch kalte Machtgier für ihn nicht. Er wandte sich an den König und appellierte an sein Versprechen, dass Heinrich ihm in einer Notlage helfen würde, und diese Notlage waren die Anklage und die Verhöre wegen des Supremats20. Morus war auf der einen Seite äußerst intelligent, brillant vor Gericht und listig in seiner Argumentation. Dass er aber nicht gemerkt hat, dass gerade diese List den Anschein von Überheblichkeit gegenüber dem König machte und dass er sich so immer weiter schuldig machte, ja dass er glaubte der König selbst würde ihn aus dieser Lage befreien, das grenzt an Naivität einerseits, auf der anderen Seite mag die gesundheitliche Lage, die intensive Beziehung zu Gott und die Tatsache, dass Morus sich schon für verloren sah, allein der Gesundheit wegen, all das mag ihn dazu veranlasst haben, alles auf eine Karte zu setzen, in dem Bewusstsein, alles zu riskieren, weil ohnehin schon alles verloren ist. Ausschlaggebend war für ihn nur sein reines Gewissen gegenüber Gott.

3.2. Anklage

So kam es, dass Thomas Morus im Tower gefangen genommen wurde und sich harten Vorwürfen stellen musste21. Die Anklage war alles in allem nicht zu halten. Morus wurde wegen der Verteidigung der Sieben Sakramente, der Schrift von 1521 gegen Luther, des Verrats angeklagt. Es verschlug ihm die Sprache und er konnte nicht glauben, wie haltlos die Kommission das Gesetz durchsetzen wollte, an ihm, der er ein stürmischer Verteidiger des Glaubens, gerade in der Zeit um 1521 gewesen war. Morus wehrte sich "mit Händen und Füßen" - verbaler Art - gegen diese für ihn lächerlichen Anschuldigungen, er appellierte immer wieder an den gesunden Menschenverstand der Kommission und brachte in langen Briefen dem König seine Meinung näher22.

Und Morus hatte Erfolg: er wurde von der Hochverräter-Liste gestrichen, weil seine Argumentation gegen die Anklagepunkte eine Verurteilung auf dieser Basis unmöglich machten. Nur war er jetzt nicht gerettet, sondern gefährdeter als vorher, denn der König musste Morus einen Etappensieg zugestehen. Morus musste erst recht vernichtet werden und so überlegte man auf Seiten des Königs neue Taktiken und lud ihn vor die königliche Untersuchungskommission unter der Leitung von Cromwell. Ziel war es, eine endgültige Antwort von Morus zu erfahren, in Sachen Supremat.

Das Gesetz wurde aber wiederum ausgelegt, wie man es brauchte, um Morus vor den Scharfrichter zu bringen. Die Anklage wegen übler Rede über den König, was die Nicht- Anerkennung des Supremats faktisch war, konnte nur gültig sein, wenn der Angeklagte dies in böser Absicht getan hatte ("malisciously"). Doch wurde dieser Anklagegrund und Bestandteil des eigentlichen Gesetzestextes für nichtig erklärt. Daraus ergibt sich, dass von nun an jede Rede gegen den König, sei es in böser oder in guter (?) Absicht, strafbar war und die Todesstrafe zur Folge hatte. Auch dies eine Neuerung im Zuge der Loslösung von Rom, eine Neuerung, die Heinrich VIII. unangefochten an der Spitze von Staat und Kirche sehen wollte. Morus sah in der ganzen Angelegenheit eine ausweglose und nach den Begründungen der Obrigkeit zu urteilen, lächerliche Situation, fast grotesk, wenn es nicht um sein Leben gegangen wäre23.

Morus war sich seiner Sache sicher, eine Tatsache, die auch Kritik hervorrief. Einerseits natürlich bei seinen Angehörigen, die ihn in zahlreichen Briefen dazu drängten, den Eid zu leisten, auf der anderen Seite äußert sich Kritik in der Form, dass der große Humanist Morus seine eigene Humanität betrogen habe, da er nicht kämpfte und sich einfach der Welt auslieferte24. Außerdem verband man mit einer möglichen Ablegung des Eides durch Morus eine Art Kettenreaktion, d.h., wenn er sich unterwarf, würde er als Vorbild für noch einige andere "Regimekritiker" gelten, was dem König zugute gekommen wäre. Dieser wiederum scheint dies erkannt zu haben, drehte aber auch in dieser Angelegenheit den Spieß um und verfuhr mit aller Härte, um ebenfalls ein Vorbild aus Morus Anklage und Tod zu machen, um ein Exempel gegen weitere Angriffe von Kritikern zu statuieren. Man fragt sich so also, ob Morus nicht generell verloren war, seit er es wagte, 1532 aus Gewissensgründen einen Tag nach Verabschiedung der "Submission of the Clergy" zurückzutreten.

Er selbst hielt sich während des gesamten Prozesses äußerst zurück und wandte diese Form der Beteiligung in ein Argument für sich um25. Wieder und wieder mußten die Kommission und der König einen listigen Morus erleben, der Prozess verlief keinesfalls im Sinne der Anklage. Die Chancen für Morus, wenn er sie denn genutzt wissen wollte, sanken mehr und mehr, eines seiner letzen Argument war, da "keine böse Absicht vorliege, könne auch keine Beleidigung gegen den König ausgesprochen worden sein"26.

Die Kommission scheint der durchhaltenden rechtlichen Selbstverteidigung Morus´ überdrüssig geworden zu sein und sprach ihn, ohne ihm erneut die Möglichkeit der Stellungnahme zu geben, was vor dem Schuldspruch zu erwarten gewesen wäre, schuldig, wegen übler und bösartiger Nachrede und Beleidigung des Königs.

Doch nun lief Morus zu Hochform auf, lud er allen Verdruss über die Rechtssprechung und die fadenscheinigen Argumente der Anklage ab, sagte endlich seine wahre Meinung, zeigte des Richtern, dass er nun von seinem Recht der Äußerung Gebrauch machte und dass sie sich schämen sollten, ihm dieses Recht nicht von sich aus zuzugestehen, denn er war sich seines Todes ja sicher, erhoffte nach dem Schuldspruch keinerlei Rettung mehr, war in Gedanken sicherlich schon mehr tot als lebendig. Er sprach von der Unrechtmäßigkeit, von Anmaßung und einer Sünde des Königs, sich mutwillig aus Machthunger von Rom zu trennen, nur damit es seinen Plänen dient. Nach der Verurteilung begab sich Morus wieder in den Tower und erwartete seine Hinrichtung.

3.3. Hinrichtung

Thomas Morus wurde am 6. Juli 1535 geköpft, eine Strafe, die nur bei Männern seines Standes verhängt wurde, andere hätten damit rechnen müssen, bei lebendigem Leib die Eingeweide entrissen zu bekommen. Er starb als wahrer Diener Gottes und als Bekenner der einen göttlichen Obrigkeit, die sich kein weltlicher Fürst aneignen dürfe. Seine letzten Worte waren, dass er der gute Diener des Königs sei und immer gewesen ist, aber dass er zuerst ein Diener Gottes sei. Und auch vor dem Scharfrichter verlor er nicht seinen Humor und seine listige Art, als er darum bat, nicht seinen Bart mit dem Schwert durchzutrennen, denn dieser habe ja kein Verbrechen begangen.

Die Nachricht von seinen Tod wurde überall in Europa mit Entsetzen vernommen und bedauert, vor allem bei den Humanisten, die in Morus einen tapferen Streiter für eine neue Denkweise sahen und nun verloren hatten, sich nun wieder geschwächt (englischen Humanisten) einem erstarkten König ausgeliefert sahen. Man sah in Morus keineswegs einen Häretiker und Verräter, allenfalls einen stoischen Verteidiger des Glaubens, eben einen Menschen, der nicht zu Unrecht eine große Karriere im Dienste des Königs und der Kirche gemacht hatte, der aber zu Unrecht sterben musste, damit Heinrich VIII. ohne Kompromisse seinen eingeschlagenen Kurs fortführen konnte. Bleibt noch anzumerken, dass Papst Clemens VII. zwischen Einführung des Supremats und der Hinrichtung Morus´ starb und die Probleme in die Hände seines Nachfolgers übergab. Wie wäre die Geschichte wohl verlaufen, wenn Clemens des Wünschen des Königs nachgegeben hätte?

4. Zusammenfassung und Schluß

Die Ansichten über Thomas Morus sind sicherlich so geteilt wie auch sein Leben selbst, und dies in vielerlei Hinsicht. Erst der grandiose Aufstieg vom Anwalt zum Vertreter des Königs, dann die tragische Zeit der Entfernung von ihm, abschließend mit seiner Hinrichtung. Andererseits die Entwicklung vom brutalen Jäger aller Andersdenkenden unter Heinrich VIII., dann die tiefe Reue und das Bewusstsein, wie groß der seelische Abstand zu Gott in dieser gottlosen Zeit geworden war. Diese Überzeugung, einzig und allein Gott dienen zu müssen, um Heil zu erlangen, ließ Morus die letzten vier Jahre seines Lebens vom Rücktritt bis zum Tod ertragen, ermöglichte es ihm "frohen Mutes" nicht den König als Oberhaupt anzuerkennen und damit der Gesamtkirche in Rom "behilflich" zu sein.

In strenger Konkurrenz zu Morus´ noblen An- und Absichten stand jedoch der machtbesessene König, der nur soweit Güte offenbarte, solange es ihn in seiner Macht bestärkte und der gefühllos und gleichgültig selbst den engsten Beratern und Freunden gegenüber wurde, wenn auch nur der Hauch von Opposition zu spüren war. Morus Widerstand war groß, wenn auch berechtigt und nachvollziehbar, und genauso wie abweichende Lehren viele Menschen zu Tode brachten, die mit dem "frühen" Morus in Kontakt kamen, so brachte auch eine abweichende Lehre ihn selbst vor den Scharfrichter. Nur ging es nicht gegen dieselbe Lehre, sondern nun war mit der Einrichtung der anglikanischen Kirche ein neuer Maßstab gesetzt worden und selbst die fromme Besonnenheit auf die ewige (römisch-) katholische Auslegung der Schrift und des klerikalen Lebens eines Thomas Morus, hielten den Willen des Königs nicht auf, eine neue Kirche zu Gründen, noch die, die einst mit dem König für die Kirche Roms warben und kämpften, auch unter den neuen Umständen zu schützen. So wurden aus Mitstreitern Ketzer, und Thomas Morus musste als Verräter sterben.

Erst im letzten Jahrhundert zollte die katholische Kirche dieser Morus´schen Treue Tribut, nämlich durch die Heiligsprechung eines Mannes, der einst Kirchengegner selbst zu Tode brachte. Doch eben dieses Doppelleben des Thomas Morus macht ihn interessant und unverständlich zugleich und ist nur dadurch zu erklären, dass er immer Gott gefallen wollte, ob dies nun durch die Vernichtung von Abtrünnigen oder durch das bis zum Tode währende Festhalten an der einen Lehre sei. "Ich danke, dass der Kampf gewonnen ist". Diese Worte kurz vor der Hinrichtung erscheinen als Aufatmen, nun nicht mehr mit den Folgen einer einstigen Doppelmoral belastet zu sein, nicht mehr einem Herrscher genehm zu sein und nicht mehr gegen irdische Windmühlen zu kämpfen, sondern dorthin zu gelangen, wo Erlösung und Milderung bevorsteht, die mit den weltlichen Irrungen, persönlich wie kollektiv, nichts mehr zu tun haben: zu Gott.

5. Quellen- und Literaturverzeichnis

5.1. Quellenverzeichnis

- James Gairdner (Hrsg.): Letters and Papers, Foreign and Domestic of the Reign of Henry VIII. Bdd. 5-7. Vaduz 1965.

(zitiert als: Letters and Papers)

- Karlheinz Schmidthuis (Hrsg.): Die Briefe des heiligen Thomas More aus dem Gefängnisse.

4. Auflage. Freiburg 1951. (= Zeugen des Wortes).

(zitiert als Schmidthuis)

5.2. Literaturverzeichnis

- Peter Berglar: Die Stunde des Thomas Morus. Einer gegen die Macht. Freiburg und Olten 1978.

(zitiert als: Berglar)

- R.W. Chambers: Thomas More. Ein Staatsmann Heinrichs VIII. München und Kempten 1947.

(zitiert als: Chambers)

- Richard Marius: Thomas Morus. Zürich 1987.

(zitiert als: Marius)

- James Wood: Sir Thomas More: A Man for one Season. In: Ders.: The Broken Estate: Essays on Literature and Belief. New York 1999. S.3-15.

(zitiert als: Wood) = www.luminarium.org/renlit/wood.htm

- Sir Thomas More. In: New Catholic Enzyclopedia 9. S.1136-1141. (zitiert als: New Catholic Enzyclopedia)

[...]


1 Vgl.James Wood: Sir Thomas More: A Man for one Season. In: Ders: The Broken Estate: Essays on Literature and Belief. New York 1999. S.3. = www.luminarium.org/renlit/wood.htm

2 Den damaligen Gegebenheiten entsprechend meint "international" hauptsächlich den europäischen Raum.

3 Vgl. Peter Berglar: Die Stunde des Thomas Morus. Einer gegen die Macht. Freiburg und Olten 1978. S. 18. (zitiert als: Berglar)

4 Ebd. S. 21.

5 Vgl. Sir Thomas More. In: New Catholic Encyclopedia 9. S. 1137. (zitiert als: New Catholic Encyclopedia)

6 Vgl. R.W. Chambers: Thomas More. Ein Staatsmann Heinrichs VIII. München und Kempten 1947. S. 204. (zitiert als: Chambers) Seine engen Kontakte zu Heinrich VIII. erkannten auch die Parlamentarier im Unterhaus und wählten Morus 1523 zu ihrem Sprecher, als "Sprachrohr der Gemeinen gegenüber dem Monarchen"7.

7 Ebd. S. 241.

8 Vgl. James Wood: Sir Thomas More. A Man for one Season. In: Ders.: The Broken Estate: Essays on Literature and Belief. New York 1999. S. 6. (zitiert als: Wood) - "More was no different from most of his contemporaries in supporting burning [...] a man of the people defending popular tradition".

9 Abgesehen von der Abspaltung der orthodoxen Kirche im 11. Jahrhundert.

10 Vgl. New Catholic Encyclopedia. S. 1137.

11 Berglar. S. 31.

12 Vgl. Chambers. S. 187.

13 Vgl. Berglar. S. 156.

14 Chambers. S. 275.

15 Ebd. S. 301.

16 Dazu: Berglar. S. 156f.

17 Vgl. James Gairdner (Hrsg.): Letters and Papers, Foreign and Domestic of the Reign of Henry VIII. Bd. 6. No. 303. Vaduz 1965. (zitiert als: Letters and Papers)

18 Vgl. Letters and Papers 7. No. 265.

19 Vgl. Berglar. S. 253f.

20 Letters and Papers 6. No. 288. und - Richard Marius: Thomas Morus. Zürich 1987. S. 551. (zitiert als: Marius)

21 Dazu Berglar, S. 276: "...dass nie ein Diener an seinen Herrn so schändlich und nie ein Untertan an seinem Fürste so verräterisch gehandelt habe wie er."

22 Letters and Papers 6. No. 288.: "The King declared he did not wish More to do or say anything but as his conscience served him." - "Begs him to inform the King of his true faithful mind."- "There never was nor ever shall be any further fault found in him, than that he cannot in everything think the same way that other men of more wisdom and deeper learning do..."

23 Dazu Chambers. S. 394. "Ich will mich nicht mit solchen Dingen befassen, denn ich bin fest entschlossen nur Gott zu dienen."

24 Vgl.. Wood. S. 10. und www.d-holliday.com/tmore/bio.htm und Karlheinz Schmidthuis (Hrsg.): Die Briefe des heiligen Thomas More aus dem Gefängnisse. 4. Auflage. Freiburg 1951. (= Zeugen des Wortes).

25 Vgl. Chambers. S. 207. Morus: "Er habe doch nur geschwiegen und bedeutet Schweigen nicht Zustimmmung?"

26 Ebd. S. 407.

Ende der Leseprobe aus 9 Seiten

Details

Titel
Warum fiel Thomas Morus in Ungnade?
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Veranstaltung
Proseminar: Heinrich VIII
Note
2,3
Autor
Jahr
2000
Seiten
9
Katalognummer
V98287
ISBN (eBook)
9783638967389
Dateigröße
392 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Warum, Thomas, Morus, Ungnade, Proseminar, Heinrich, VIII
Arbeit zitieren
Stefan Hartung (Autor:in), 2000, Warum fiel Thomas Morus in Ungnade?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98287

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