Theodor Fontane - ,,Der Stechlin"
Er war das Beste was wir sein können, ein Mann und ein Kind.
1899, ein Jahr nach dem Tod Fontanes am 20.9.1898, erscheint sein letztes großes Werk, das auch sein Bedeutendstes werden sollte.
Der Stechlin,ein See in Mecklenburg und gleichzeitig der Name der Hauptperson Dubslav v. Stechlin, wird zur treibenden Kraft und zum tragenden Symbol dieses Alterswerkes. Wenn es irgendwo in der Welt brodelt, heißt es im 1.Kapitel,dann brodelt auch der Stechlin und wenn es etwas Großes gibt, dann steigt ein roter Hahn auf und kräht laut in die Lande hinein.
Dieser See ist ebenein richtiger Revolutionär.
Es ist ein Roman mit teilweise autobiographischem Charakter, in dem Fontane gleichzeitig seine Skepsis und seine Hoffnung gegenüber den vielen neuen Tendenzen und Entwicklungen auf gesellschaftlicher, politischer und kultureller Ebene mit nachsichtiger Altersweisheit ausbreitet. Es ist somit ein Roman der den gesellschaftspolitischen Umbruch, kurz vor dem Eintritt in das zwanzigste Jahrhundert dokumentiert.
An einemwunderschönen Herbsttagbeginnt die Geschichte des Major a.D., derseinem ganzen Wesen nach hinter alles ein Fragezeichen machteund der eineso recht aus dem Herzen kommende Humanitätbesaß. Der Witwer Dubslav von Stechlin und sein Sohn Woldemar stehen für den märkischen Adel, der einerseits konservativ eingestellt zu ein scheint, auf der anderen Seite dem Neuen durchaus seine Berechtigung und seine Notwendigkeit zuerkennt. Sie vertreten das Junkertum und Dubslav nennt sich selber einenechten alten Junker.Woldemar erscheint als Anpasser ohne Format, der seinem Vater, der ein echtes Ruppiner Original ist, nicht ebenbürtig ist. Ein Faktotum für sich ist der alte Kammerdiener Engelke, der gleichzeitig über die Jahre zu DubslavsVertrautenwurde. Von den verwirrend vielen Charakteren dieses 459 seitigen Romans seien hier nur einige erwähnt. Die Schwester Dubslavs, die noch älter ist und den bezeichnenden Namen Adelheid trägt. Sie ist Fontanes Paradebeispiel für den verkrusteten und konsevativistischen Adel, der allen liberalen und neuen Gedanken entsagt.
Die jugendlichen Freunde Woldemars : Assessor von Rex und Hauptmann von Czako lernen wir am Anfang des Romans kennen. In Rex wird die Überheblichkeit und Besserwisserei der Jugend und des Adels glänzend entlarvt und in Czako die bedauerte Erkenntnis, daß der Name und nicht die Art, das Verhalten oder Wesen eines Menschen, jemanden zu einem etablierten Adeligen machen. Fontane stellt sie alle in seiner üblichen Meisterschaft, mit Hilfe des Dialoges also über das Gespräch dar. Hierzu lädt sich sein zweites Ich, der alte Dubslav, immer passende Gäste als Gesprächspartner ein, wobei er sich als exzellenter Gastgeber ausweist, denn :so bloß ich das geht doch nicht.
Eine besondere Rolle kommt bezeichnenderweise dem liberalen Pastor Lorenzen zu, der lange mit der Erziehung Woldemars betraut worden war und von MelusineAusnahmemenschgenannt wird. Mit seinen erstaunlich modernen Ansichten sorgt er für intensive Diskussionen, deswegen er auch von Dubslav so hoch geschätzt wird.
Die weltläufige Diplomatenfamilie Barby, die nach langem Aufenthalt in England nun in Berlin lebt, steht der Einstellung Dubslavs zwar in einigen Bereichen entgegen, findet jedoch dessen Sympathie. Was aber auch an den zweifellos vorhandenen - übrigens auch äußerlichen - Gemeinsamkeiten mit dem alten Graf Barby liegt. Die zwei unterschiedlichen Schwestern, mit ihren ebenso unterschiedlichen Namen, Melusine (altfranzösisch) und Armgard (altdeutsch), ziehen Woldemar in ihren Bann. Der schon lange auf die Verheiratung seines Sohnes wartende Vater, freut sich über diese neue Bekanntschaft. Melusine ist die ältere und von außen betrachtet auch die Interessantere der beiden ungleichen Schwestern. Sie war bereits mit dem italienischen Grafen Ghiberti verheiratet, hielt es jedoch nicht lange bei ihm aus und ließ sich scheiden. Ein zu der damaligen Zeit noch sehr kritisch zu betrachtender, unmoralischer und einer Adligen nicht angemessener Vorgang, der besonders von der altmodischen Adelheid mit Argwohn gesehen wird. Diefeststehende, schlichteArmgard ist es letztlich für die sich der hausbackene Woldemar entscheidet. Die Hochzeit wird auf Wunsch Armgards in der Berliner Garnisonskirche begangen, worin sie ihre Christlichkeit und Einstellung gegenüber dem preußischen Militär repräsentiert sieht.
Die frisch Vermählten erhalten während ihrer Flitterwochen in Italien die traurige Nachricht vom Tode des schon längere Zeit kränkelnden Dubslavs.
Fontane selbst nannte seinenStechlinmehrmals, auch in Briefen an Freunde, einen politischen Roman. In der Tat nimmt die Politik in den diversen Gesprächen und Diskussionen eine evident bedeutsame Position ein. Deutlich wird dieser Aspekt besonders in dem Kapitel ,,Wahl in Rheinsberg Wutz", in dem der Junker als Kandidat fürdie staatserhaltende Partei,der Konser- vativen, gegen dierevolutionärenSozialdemokraten um Torgelew ihren aussichtsreichen Kandidaten antritt. In der Wahlniederlage der Konservativen findet der Umwälzungsprozeß der in Deutschland vor sich ging, seinen symbolischen Niederschlag. Fontanes Enttäuschung über die nachgewiesenen eigenen Wahlniederlagen früherer Jahre wurde hier literarisch verarbeitet.
Diese bloße Wahlniederlage ist jedoch auch als eine Niederlage für den nichtsahnenden Adel, besser : das Junkertum zu sehen, denn hier ist ein zentrales Thema dieses Werkes anzusetzen. Die Schärfe der Satire trifft alle erwähnten Adelsgesellschaften : Der Landadel, der in der Domina Adelheid besonders stark zum Ausdruck kommt, Offiziersadel, Adel des Damenstifts sowie den weltläufigen Diplomatenadel. Die Adelsparodie findet ihren humoristischen Höhepunkt in Zusammenhang mit der Oberförstersgattin, geborene Prinzessin Ermyntraut Ippe-Büchsenstein, die zum siebten Malträchtiggeworden ist. Dieser, natürlich mit Ausnahmen, starre und einfälltige Adel gehört zum Alten, das dem Neuen wird weichen müssen. Es ist demnach auch ein Zeitroman, weil es einem die Vergänglichkeit der Zustände immer wieder vor Augen führt. Fontane stellt sich dabei als hoffender Reformer heraus, wenn er Dubslav sagen läßt:eine neue Zeit bricht an. Ich glaube eine bessere und eine glücklichere. Dieserevolutionären Diskursebereiten dem Erzähler eine besondere Freude. Er beweist darüberhinaus eine bemerkenswerte Souveränität, wie er sich beispielsweise über die prüden Vorurteile seiner Umgebung hinwegsetzt, um mit Hilfe der kleinen Agnes seine Schwester zu verscheuchen, um ungestört sterben zu können.
Ich meine das, was sie jetzt das Parlamentarische nennen.
Darüberhinaus haben wir es jedoch auch mit einem Roman der Sprache zu tun. Die Kritik, oder vielmehr das sich lustig machen, an der Sprache und hier nun besonders an den neuen Begriffen, Fremdworten und Anglizismen, taucht sehr häufig in den unzähligen Gesprächen auf. Auffällig ist hierbei die immer wiederkehrende Verwendung französischer Redewendungen und Worte, die in jenen Kreisen damals Mode waren und vom Autor aufs Korn genommen werden. Auch vor der neuen Technik macht Fontanes humorvolle Kritik nicht halt, so erkennt er den Nutzen der Telegraphie zwar an, bedauert dabei aber den Verlust an Sprachkultur.
Neben dem märkischen Land mit seiner konservativen Rückständigkeit und der gleichzeitigen Sehnsucht nach Teilhabe am Weltgeschehen (der rote Hahn aus dem Stechlin-See ist ein glücklich gewähltes Motiv), spielt auch das England-Motiv eine wichtige Rolle. Fontane, der selber mehrmals England besuchte, stellt die Internationalität und das Weltstadtflair Londons, der Zurückgezogenheit und dem beschaulichen Leben Ruppins entgegen. Die Familie Barby verkörpert diese Weltoffenheit und steht damit auch für die neue Zeit, die Fontane mit seinem Gespür für zukünftige Entwicklungen, visionär vorrausahnt. So sieht er den Luftkrieg der späteren beiden Weltkriege vorher, das baldige Erscheinen Japans und Chinas als zukünftige Weltmächte auf der Welttribüne, sowie eben auch die zunehmende Internationalisierung.
Der auktoriale Erzähler bleibt während des Romans im Hintergrund, er kommentiert zwar und mischt sich ein, tritt aber mehr als Arrangeur denn als reiner Vermittler zwischen Romaninhalt und Leser auf. Der Ruhm und das Außergewöhnliche dieses Romans liegen im Gesprächs-Stil, der sich durch eine unbezwingliche Heiterkeit auszeichnet und als einim Sprechen entfaltetes Sein(Julius Petersen) die Romanhandlung trägt. Die Ereignisse und Veränderungen der Welt kurz vor der Jahrhundertwende, sind von dem Schriftsteller mit seinem wachen Geist nicht nur erkannt, sondern teilweise weitergedacht und entwickelt worden. Aus seiner sicheren und erhabenen Position als Achtzigjähriger, dessen erfülltes Leben zu Ende geht, besitzt er die nötige Distanz um sich im Plauderton über die Probleme der Menscheit auszulassen.
Man kann sagen, daß Fontane in diesem Vermächtnis seine eigenen ganz persönlichen Probleme und Erfahrungen bewußt mit eingebacht hat. Diese läßt er von mehreren Charakteren artikulieren, so daß aus fast jeder Person Fontane selber spricht. Die zwiespältige, freundlich-feindliche Auseinandersetzung mit Preußen, welches Fontanes ureigenste Sache ist, wird durch Dubslav, Woldemar, den Superintendenten Koseleger, der sich besonders über die preußische Baukunst lustig macht, aber bei den MenschenLoyalität bis auf die Knochenentdeckt zu haben glaubt, und überdeutlich durch Adelheit, Domina des Kloster Wutz, die für das märkische Land mit seinen Einwohnern eintritt:drin es nie Heilige gegeben, drin man aber auch keine Ketzer verbrannt. (Was jedoch zu bezweifeln ist)
- Arbeit zitieren
- Daniel Wülbern (Autor:in), 2000, Fontane, Theodor - Der Stechlin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99677