Die Entwicklung der deutschen Sprache


Facharbeit (Schule), 2000

40 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Vorwort

II. Die indogermanische Sprachfamilie
1. Sprachen und Sprachfamilien
2. Sprachen der indogermanischen Sprachfamilie
3. Wörter aus der Zeit des Indogermanischen oder Indoeuropäischen

III. Die germanische Sprachgruppe
1. Die Gliederung des Germanischen und des Deutschen
2. Die erste oder germanische Lautverschiebung
3. Die Festlegung des indogermanischen Wortakzents auf die erste Silbe des Wortes
4. Die Einteilung des Deutschen
5. Das älteste germanische Literaturdenkmal Die Bibel
6. Der Wortschatz des Germanischen Indogermanisches Erbgut und indogermanische Neuerungen
7. Lehnwörter

IV. Das Althochdeutsche
1. Die Bedeutung des Wortes „deutsch“
2. Die Merkmale des Althochdeutschen
3. Merkmale der zweiten Lautverschiebung
4. Vokale des Althochdeutschen
5. Der Formbestand
6. Althochdeutsche Sprachprobe

V. Das Mittelhochdeutsche
1. Allgemeine Charakteristik
2. Fremde Einflüsse
3. Anfänge einer Literatursprache
4. Lautveränderungen vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen

VI. Vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen
1. Sprachgut aus dem Mittelalter
2. Der Bedeutungswandel der Wörter
3. Lehn- und Fremdwörter aus spätmittelhochdeutscher und frühneuhochdeutscher Zeit (14. bis 16. Jahrhundert)

VII. Die deutsche Mundart
1. Einleitende Bemerkung
2. Die Hauptgruppen der deutschen Mundarten
3. Besonderheiten der Mundarten

VIII. Das Neuhochdeutsche
1. Die Entstehung der deutschen Nationalsprache
2. Luthers sprachschöpferische Leistung
3. Das Fremdwort in der Zeit des Humanismus und des Barocks
4. Die Reformbestrebung der Sprachgesellschaften
5. Förderung der Nationalsprache
6. Das Fremdwort in der deutschen Sprache seit den Befreiungskriegen

IX. Die Sprache der Gegenwart
1. Rechtschreibung und Aussprache
2. Änderung des Wortschatzes
3. Neue Redensarten
4. Klammerformen
5. Abkürzungswörter
6. Modewörter
7. Das Fremdwort in der Gegenwart
8. Verbale Neubildungen
9. Der Satzbau und die Satzlänge

X. Schlussbemerkung

Quellennachweis

Zitatnachweis

Eidesstattliche Erklärung

Anzahl der Wörter: 10.415

I. Vorwort

Durch die Sprache drückt der Mensch seine Vorstellungen, Begriffe und Gedanken, seine Gefühle und Willensregungen aus. Der Gedankenaustausch der Menschen untereinander wird erst durch die Sprache möglich. Sie ist das wichtigste Verständigungsmittel der Menschen. Zusammen mit dem Denken ist die Sprache typisch für den Menschen und ist mit der Entwicklung des Denkens entstanden.

Die Sprache, eigentlich ihr Wortbestand, befindet sich im Zustand einer fast ununterbrochenen Veränderung. Das ständige Wachstum der Industrie und Landwirtschaft, des Handels und Verkehrs, der Technik und Wissenschaft erfordert von der Sprache die Ergänzung ihres Wortbestandes durch neue Wörter und Ausdrücke, deren sie für ihr Wirken bedürfen. Die Sprache, die diese Bedürfnisse unmittelbar widerspiegelt, ergänzt ihren Wortbestand durch neue Wörter und vervollständigt ihren grammatikalischen Bau.

Daraus folgt, dass die Entwicklung der Sprache eines Volkes mit dessen gesellschaftlicher Entwicklung untrennbar verbunden ist. Mit seinem Fortschritt in der Lebens- und Denkweise wird der Ausdruck in der deutlich aussprechenden menschlichen Rede reicher und klarer. Immer aber ist sie ein von ihm unablösbarer Bestandteil seines Wesens.

Solange ein Volk besteht, zeigt sich seine Sprache sehr widerstandsfähig gegen gewaltsames Aufsaugen durch andere Sprachen, gegen die Angleichung eines Lautes an einen benachbarten.

Uns stehen eine Menge von Kommunikationsformen zur Verfügung, wie zum Beispiel Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Radio und Fernsehen, doch keine dieser bietet jedoch so breite Anwendungsmöglichkeiten in der gesellschaftlichen Praxis wie die Sprache.

Sie stellt eine überaus exakte Verständigungsmöglichkeit innerhalb aller Lebensbereiche dar. Ohne sie kann es kein gemeinsames Wirken in der Gesellschaft geben.

Inhalt und Form sprachlicher Mitteilungen werden durch ihren Zweck bestimmt. Jede sprachliche Mitteilung muß so gestaltet sein, dass der Hörer oder Leser richtig und möglichst genau verstehen kann, was der Sprecher oder Schreiber zum Ausdruck bringen will. Dies spielt eine bedeutsame Rolle beim gemeinsamen Wirken im Arbeitsbereich und bei der Mitgestaltung des gesellschaftlichen Lebens durch den einzelnen. Er muss in der Lage sein, sachkundig zu informieren, seine Eindrücke angemessen wiederzugeben, seine Meinung und seinen Standpunkt überzeugend zu vertreten.

Die Sprache dient also vorrangig der Verständigung, der Kommunikation und deshalb spricht man von der kommunikativen Funktion der Sprache.

II. Die indogermanische Sprachfamilie

1. Sprachen und Sprachfamilien

Wenn man wissen möchte welche Stellung die deutsche Sprache unter den Sprachen der ganzen Welt hat, muss man die Beziehung der deutschen Sprache zu anderen Sprachen nachforschen.

Man kann nicht genau sagen wie viele Sprachen es auf der Erde gibt. Die Ursache dafür ist, dass man nicht immer scharfe Grenzen zwischen Sprache und Mundart ziehen kann. Als Mundart bezeichnet man eine natürlich gewachsene, lokal begrenzte und vorwiegend mündlich gebrauchte Form der Sprache. Die Zahl der heute bekannten Sprachen liegt etwa bei 3000. Bei vielen dieser Sprachen entdeckte man verwandtschaftliche Beziehungen. Die Sprachwissenschaft hat die eng verbundenen Sprachen zu Sprachfamilien und Sprachstämmen vereinigt.

Die wichtigsten erforschten Sprachfamilien:

„1. die indogermanische Familie, die in der Gegenwart die weiteste Ver- breitung hat und die in ihren Zusammenhängen am besten erforscht ist;
2. die hamito-semitische Familie (Arabisch, Hebräisch);
3. die finno-ugrische Familie (Finnisch, Ungarisch);
4. die altaische Familie (türkische und mongolische Sprachen, Koreanisch, Japanisch);
5. die indo-chinesische Familie (Chinesisch, Tibetanisch, Birmanisch, Siamesisch, Annamitisch);
6. die drawidische Familie (im südlichen Indien);
7. die kaukasische Familie (Georgisch oder Grusinisch);
8. die austronesische Familie (Malaisch, Javanisch und eine Reihe von Sprachen Ozeaniens).

Hierzu kommen noch die Sprachfamilien der Neger, die Indianersprachen, die der Australier, der Papua und anderer Völker Ozeaniens, ferner die Sprachen der Völker in den arktischen Gebieten Asiens und Amerikas. Diese unvollständige Zusammenstellung soll lediglich hinweisen auf die bestehende Vielfalt.“(1 )

2. Sprachen der indogermanischen Sprachfamilie

Die indogermanische Sprachfamilie ist eine der größten Sprachfamilien.

Ein Drittel bis ein Viertel des heutigen Wortschatzes stammt aus dem Indogermanischen. Sie entwickelte sich etwa im 5./4. Jahrtausend vor unser Zeit. Aus dieser Sprache haben sich alle heutigen lebenden europäischen Sprachen gebildet. Ausnahmen sind Finnisch und Ungarisch. Zusätzlich zu den europäischen Sprachen haben sich auch die Sprachen Indisch, Iranisch und Armenisch aus ihr entwickelt.

Entstanden ist die indogermanische Sprache aus Dialekten von Stämmen und Völkerschaften. Diese Stämme und Völkerschaften standen unter enger räumlicher Berührung. Die Dialekte dieser Stämme hatten einen gemeinsamen grundlegenden Wortschatz und grammatischen Bau.

Es wird oft von einer sogenannten „Ursprache“ gesprochen, doch Wissenschaftler fanden heraus, dass es sie nicht gegeben haben kann. Es wurde erforscht, dass eine Reihe von Erscheinungen, die zu verschiedenen, nicht näher bestimmten Zeitpunkten gegolten haben. Nach Beendigung der nachbarlichen Berührung, machte sich die Sprachentwicklung der losgelösten Teile völlig selbstständig. Die indogermanische Sprachfamilie umschließt eine große Gruppe von Sprachen. Auch diese Gruppen werden nochmals in Gruppen geteilt:

„1. Indisch. Seine älteste uns bekannte Form, das Altindische (ai.), reicht bis ins zweite Jahrtausend zurück. Die älteste Stufe, das Vedische , ist die Sprache alter Götter- und Heldendichtungen. Das etwas jüngere Sanskrit spielt seit dem 4. Jahrhundert v. u. Z. in der indischen Literatur eine ähnliche Rolle wie das Latein als Gelehrtensprache des Mittelalters.

Von den zahlreichen neuindischen Dialekten ist das Hindustani zur allgemeinen Verkehrssprache geworden. Zum Neuindischen gehört auch die Sprache der Zigeuner.

2. Iranisch. Es ist überliefert seit ungefähr dem 7. Jahrhundert v.u.Z. (Avestisch). Noch heute gesprochene iranische Sprachen sind u. a. das Neupersische, das Afghanische, das Ossetische (im mittleren Kaukasus).

3. Armenisch. Es wird im Süden des Kaukasus gesprochen. Die ältesten Quellen stammen aus dem 5. Jahrhundert.

4. Griechisch, die älteste in Europa bezeugte idg. Sprache, bekannt aus Quellen seit dem 8. Jahrhundert v.u. Z .

5. Albanisch. Es ist erst seit dem 17. Jahrhundert überliefert.

6. Romanisch. Es umfasst neun Sprachen, die sich alle organisch aus dem den römischen Provinzen gesprochenen Lateinischen entwickelt haben. In ihnen lebt dieses als einzige der italischen Sprachen weiter. Die ältesten lateinischen Quellen stammen aus dem 6. Jahrhundert v. u. Z. Die wichtigsten romanischen Sprachen sind:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

7. Keltisch, fortlebend u. a. im Irischen, Walisischen und Bretonischen (in der Bretagne).

8. Germanisch. Über seine Gliederung siehe den nächsten Abschnitt III. / 1.

9. Baltisch, erst aus neuerer Zeit überliefert; es weist aber vielerlei Altertüm- lichkeiten auf.

Zum Baltischen gehören das Litauische, das Lettische und das im 17. Jahrhundert ausgestorbene Altpreußische.

10. Slawisch. Es wird in drei Gruppen eingeteilt :

a) Südslawisch (Bulgarisch, Serbo-Kroatisch, Slowenisch);
b) Ostslawisch (Russisch, Ukrainisch, Belorussisch);
c) Westslawisch (Tschechisch, Slowakisch, Polnisch und Sorbisch).

Am frühesten überliefert (seit dem 9. Jahrhundert) ist das Bulgarische.

Anmerkung: Die wichtigsten nicht-indogermanischen Sprachen Europas sind das Ungarische, das Finnische, das Estnische, das Türkische und Baskische. Im Baskischen lebt eine der alteuropäischen Sprachen weiter, die vor der indogermanischen Völkerbewegung in den Ländern um das Mittelmeer gesprochen wurden.“(2 )

3. Wörter aus der Zeit des Indogermanischen oder Indoeuropäischen

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III. Die germanische Sprachgruppe

Die germanische Sprache ist die anschließende Etappe an das Indogermanische. Ihre Geschichte reicht bis zu 2500 Jahre zurück. Während ihrer Zeit kommt es zu vielfältigen Veränderungen seit der indogermanischen Sprachstufe.

1. Die Gliederung des Germanischen und des Deutschen

Die germanische Sprache ist in drei deutlich voneinander abhebenden Hauptzweige gespalten:

die Nordgermanen im südlichen Skandinavien und auf den dänischen Inseln, die Ostgermanen zwischen Elbe bzw. Oder und Weichsel, die Westgermanen zwischen Elbe und Rhein.

Die schriftliche Überlieferung tritt am frühesten um 350 bei den Ostgermanen (bei den Goten) ein. Im 8. und 9. Jahrhundert folgten dann die Westgermanen. Im Norden trat erst um 1000 die ersten schriftlichen Überlieferungen auf, abgesehen von der Runeninschrift.

Am frühesten kamen die Westgermanen in Berührung mit der griechisch-römischen Welt. Aus den Stammesverbänden der Westgermanen haben sich die westgermanische Stämme gebildet. Diese Stämme haben sich deutlich in zwei Gruppen gespalten:

Die erste Gruppe ist die anglo-friesische Gruppe. Ein großer Teil von ihr wanderte im 5.Jahrhundert nach Britannien ab. Aus ihm entstand im Verlauf der Geschichte die englische Nation. Doch zurück bleiben die Friesen.

Die zweite Gruppe nennt man deutsche Gruppe. Sie besteht aus den folgenden deutschen Stämme.

a) die niederdeutschen Stämme: bestehend aus den Niederfranken und die Niedersachsen,
b) die mitteldeutschen Stämme: zu ihnen gehören die Rhein- und Mitttelfranken,
c) die oberdeutschen Stämme: zu ihnen zählen die Ostfranken, die Bayern und die Alemannen, zu denen auch die Langobaden in Italien gehören.

Das Ostgermanische ist im größeren Umfang nur aus dem Gotischen bekannt und ist nach Abschluß der germanischen Völkerwanderung mit dem Untergang der Vandalen, der Burgunder und der Goten ausgestorben.

Das Nordgermanische entwickelte bis 1500 mehrere Nationalsprachen. Zu diesen Nationalsprachen gehören auch das Norwegische, das Isländische, das Dänische und das Schwedische.

Die wichtigsten Kennzeichen des Germanischen:

1. die erste oder auch germanische Lautverschiebung (siehe III. / 2.)
2. die Festlegung des indogermanisch frei wechselnden Wortakzents (siehe III. / 3. )
3. doppelte (starke und schwache) Deklination der Adjektive
4. Vereinfachung der Konjugation auf zwei Tempora (Präsens und Präteritum)

2. Die erste oder germanische Lautverschiebung

Am meisten Aufmerksamkeit erregt die Erscheinung der Veränderung der harten Verschlusslaute (werden auch Tenues genannt). Die harte Verschlußlaute sind p, t, k und die werden zu den Reibelauten (Spiranten) f, th, h bzw. ch.

Zum Vergleich für die indogermanische Lautstufe wird das Lateinische und das Griechische verwendet:

Für die germanische Lautstufe wird das Gotische und das Englische angewendet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die erste Lautverschiebung war um 500 v. Chr. und wird auch als „Grimmsches Gesetz“ bezeichnet. Bei dieser Lautverschiebung wandelten sich nicht nur p, t, k zu f, th, und h bzw. ch, sondern auch d, g zu t, k und f, h zu b, g. Dadurch erfolgte die Abspaltung der germanischen Sprache von den übrigen indogermanischen Sprachen.

3. Die Festlegung des indogermanischen Wortakzents auf die erste Silbe des Wortes

Die indogermanische Sprache enthielt ursprünglich einen freien Akzent und deshalb konnten in verschiedene Flexionsformen desselben Wortes der Hauptton auf verschiedenen Silben liegen. (Beispiel: lat. Roma, Romani, Romanorum) Als Flexion bezeichnet man die Beugung eines Wortes.

Das Germanische legt den Akzent auf die erste Silbe des Wortes. Oft ist es die Stammsilbe. Diese Entwicklung erfolgte nach der Verschiebung der indogermanischen Tenues zu Spiranten.

Durch das germanische Erneuerte war die Stabreimdichtung möglich. Ein Stabreim oder auch Alliteration verlangt, dass mindestens zwei Wörter eines Verses mit dem gleichen Konsonanten oder mit Vokalen beginnen. Durch das Festlegen des Haupttons auf die Anfangssilbe wurden die folgenden Silben immer tonschwächer, bis sie schließlich ganz untergingen. Davon sind vor allem die Flexionsendungen betroffen.

Es fanden noch weitere Lautänderungen statt. So wechselten r mit s, g mit h und b mit f. Auch dieses ist noch im Neuhochdeutschen sichtbar.

Zum Beispiel:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

4. Die Einteilung des Deutschen

Die deutsche Gruppe wurde durch die zweite (hochdeutsche) Lautverschiebung in zwei Teile gespalten. Im Ober- und Mitteldeutschen tritt die zweite Lautverschiebung erst im 5. Jahrhundert ein. Sie schwächt von Süden nach Norden allmählich ab. Nur das Niederdeutsche bleibt beim alten Lautstand der Konsonanten.

Zeitlich gesehen entsteht die folgende Reihenfolge:

1. als Althochdeutsch (ahd.) bezeichnet man die Sprache vom Einsetzen der schriftlichen Überlieferung im 8. Und 9. Jahrhundert bis etwa 1050,
2. als Mittelhochdeutsch (mhd.) die Sprache von 1050 bis 1500, und
3. als Neuhochdeutsch (nhd.) die Sprache seit1500.

Zuweilen nennt man die Sprache von 1500 bis 1700 auch Frühneuhochdeutsch. Das Niederdeutsche ist als Altsächsisch (as.) bewiesen, und zwar durch Sprachdenkmäler aus der Zeit um 1000. Von 1300 bis 1500 war die Blütezeit der mittelniederdeutschen (mnd.) Schrift- und Verkehrssprache. Später geht das Niederdeutsche als Schriftsprache allmählich zugrunde, lebt aber in der Gegenwart als Plattdeutsch weiter. „Plattdeutsch“ darf nicht als Bezeichnung einer Sprache niederen Ranges gegenüber dem Hochdeutschen verstanden werden.

5. Das älteste germanische Literaturdenkmal Die Bibel

Das älteste germanische Literaturdenkmal größeren Umfangs sind die noch erhaltenen Bruchstücke der Bibelübersetzung des Gotenbischofs Wulfila. Er wurde 311 geboren und starb vermutlich um 383. Seine Übersetzung ist in den berühmten Codex argenteus überliefert worden. Als Codex argenteus wird die Handschrift der gotischen Bibelübersetzung des Ulfilas (Gulfilas Wulfila) in Silber- und Goldschrift bezeichnet. Ulfilas hat für seine Zwecke ein eigenes gotisches Alphabet geschaffen, das er dann an die Bedürfnisse der gotischen Sprache anpaßte. Dieses tat er durch das Hinzufügen von Zeichen aus der Runenreihe und dem lateinischen Alphabet.

Anfang der Texte des gotischen und althochdeutschen Vaterunsers und die neuhochdeutsche Übersetzung:

„Got.: Atta unsar, þu in himinam, weihnai

Ahd.: Fater unsêr, thû in himilom bist, giuuîhit sî

Nhd.: Vater unser, du in den Himmeln bist, geheiligt sei

namo þein, qimai þiudinassus þeins, wairþai wilja

namo thîn, quaême rîchi thîn, uuerdhe uuileo

Name dein, komme Reich dein, werde Wille

þeins, swe in himina jah ana aírþai.

thîn, sama in himile endi in erthu.

dein, gleichwie in dem Himmel und auf der Erde.

hlaif unsarana þana sinteinan gif uns himma daga.

broot unseraz emezzîgas gib uns hiutu.

Brot unseres beständiges gib uns heute.

[got. ai vor r ist als ä, ei als langes i und þ wie engl. th zu sprechen.]“ (3 )

Die Kenntnisse der gotischen Sprache aus so frühen Zeiten haben einen unschätzbaren Wert für die Erforschung der Geschichte der germanischen Sprache.

6. Der Wortschatz des Germanischen Indogermanisches Erbgut und germanische Neuerungen

Ein knappes Viertel unseres grundlegenden Wortschatzes reicht bis in das Indogermanische zurück. Dieser Teil des Wortschatzes zeigt sich für Ableitungen fruchtbar. Diese Wörter sind indogermanische Erbwörter. Diese Wortstämme sind in verschiedenen Sprachen wiederzufinden. Beim genaueren Hinsehen, kann ein Wort manches über die gesellschaftlichen Verhältnisse der Völkerschaften dieser Sprachgruppe aussagen. Sie betrieben Jagd, Ackerbau und Weidewirtschaft und darauf aufmerksam machen uns Wörter wie:

aus dem Ackerbau und der Viehzucht: Garten, Acker, Schaf, Rind, Hund, Schwein, Stute

Bäume und Tiere: Buche, Birke, Fichte, Wolf, Hirsch, Fuchs

Es herrschte Sippenordnung und das zeigen die Verwandschaftsbezeichnungen Vater, Mutter, Bruder, Schwester und Neffe. Verben, Pronomen und Zahlwörter aus der indogermanischen Zeit wären zum Beispiel: bauen, binden, essen, flechten, steigen, fahren, wollen; ich, er, sie und die Zahlwörter von eins bis zehn, hundert, viel u.a..

Die Veränderung der sozialen Ordnung kann auch bei den Germanen in den Veränderungen im Wortschatz zu erkennen sein. Einzelne alte Wortstämme sind nach und nach verloren gegangen und Neuerungen kamen hinzu. Das lässt uns erkennen, dass eine Entwicklung eines neuen, fortgeschritteneren Wirtschaftssystem und die Ausbildung einer Klasse geschiedener Gesellschaft vorliegt. Dadurch entstehen eine Reihe von neuen Wörtern in der Viehzucht und im Getreideanbau. Dazu gehören Wörter wie Beeren, Fleisch, Leder, Wachs, Schaf, Schinken u.a.. Diese Wörter gehörten ausschließlich den Germanen gemeinsam an.

Wörter die auf die Haltung von Geflügel im Haushalt schließen sind Hahn, Huhn, Henne, Taube. Der Steinbau war noch nicht bekannt, aber es wurden Ausdrücke wie Bohle, Brett, Wand, Fach und Sparren verwendet.

Die Verhältnisse der Gesellschaft haben einen großen Einfluss auf die Ausdrücke im Kriegswesen. Das beweisen Wörter wie Waffe, Helm, Schild. Auf die Rechtspflege und Teilung in Klassen und Berufe bezeugen die Wörter für Dieb, Ding, Sache, schwören, Volk; Adel, König, Herzog, Schmied. Mit der Seefahrt und dem Fischfang waren die Germanen vertraut und deshalb kamen die Namen der Himmelsrichtungen zum Vorschein.

7. Lehnwörter

Der Wortbestand ergänzt sich auch aus anderen Sprachen. Es werden Wörter einer anderen Sprache in die eigene Sprache aufgenommen, die sich dann an die aufnehmende Sprache anpassen. Diese Wörter werden als Lehnwörter bezeichnet. Die deutsche Sprache erhielt schon in germanischer Frühzeit solches Lehngut.

Eine alte nachbarliche Berührung hat sich zwischen den Germanen und Kelten gebildet. Dadurch kam es zu einer Reihe von Entlehnungen. Es ist aber nicht immer feststellbar, ob die Entlehnung aus dem Keltischen in das Germanische oder umgekehrt kam, so bei den Wörtern Eid, Erbe, Geisel und frei. Wahrscheinlich aus dem Keltischen stammen Amt, Reich und welsch (bedeutet fremdländisch). Bei Eisen handelt es sich vermutlich um eine Entlehnung aus dem Illyrischen.

Eine große Anzahl von lateinischen Wörtern flossen in das Germanische und besonders in das Deutsche ein. Über 600 Wörter gelangten vom Lateinischen in das Germanische. Dies ist dadurch erkennbar, dass sie von der hochdeutschen (zweiten) Lautverschiebung mit erfasst worden sind. Ein Beispiel dafür ist lat. palum : hd. Pfahl. Die Entlehnung erstreckte sich auf vielfach verschiedenen Lebensgebieten. Die Überlegenheit der römischen Kultur wird durch Wörter aus: dem Militärwesen: Straße (strata), Wall (vallum), Meile (milia), Pfeil (pilum) der Rechtsprechung und Verwaltung: Kaiser (caesar), Kette (catena) dem Handel: Kaufmann (caupo), Markt (mercatus), Kiste (cista) dem Bauwesen: Ziegel (tegula), Mauer (murus), Keller (cellarium) gezeigt. Diese Wörter machen sichtbar, dass die Germanen erst durch die Römer mit dem Steinbau bekannt gemacht wurden.

Die Fachausdrücke, die sich auf den Bau mit Holz beziehen, sind germanischen Ursprungs. Zum Beispiel: Wand von winden, Zimmer von zimmern, Brett, Fach. Der Garten- und Obstbau, besonders der Weinbau, waren den Germanen vor dem Zusammentreffen mit den Römer unbekannt gewesen. Mit der Aufnahme dieser Zweige der Produktion wurden auch die entsprechenden Wörter übernommen: Sichel, Frucht, Kohl, Rettich, Kümmel, Senf; Kirsche, Pflaume, Pflanze, Pfirsich; Wein, Winzer, Trichter, Spund, Bottich, Flasche. Schließlich gab es auch in der Haushaltung zahlreiche Neuerungen: Küche, kochen, Kessel, Schüssel, Pfanne, Spiegel.

Von den Römer lernten die Germanen auch das Pferd als Zugtier kennen und dadurch trat das aus älterem romanischen paraveredus entstandene Wort Pferd neben die bereits vorhandenen Wörter Ross und Mähre.

Das Lehngut wird vor allem durch Kaufleute, Soldaten und Marketender (Feldwirte für die Soldaten) vermittelt. Durch das Eindringen des Christentums kamen eine große Menge an Lehngut aus der Sprache der Kirche in Lehre, Kultübung und Organisationen hinzu. Die christlichen Lehnwörter sind zum Teil aus voralthochdeutscher Zeit: Priester (pesbyter), Kloster (claustrum), Dom (domus).

Die wichtigsten Wörter aus der weltlichen und geistlichen Bildung sind Schreiben(scribere), Tafel (tabula), Schule (schola), Zettel (schedula), Brief (breve) und Tinte (tincta).

Hinzu kommen eine Reihe von sogenannten Lehnübersetzungen aus dem Griechischen und dem Lateinischen. Dabei wird das fremde Wort Bestandteil um Bestandteil in die deutsche Sprache übersetzt. Dadurch wird ein neues Wort aus dem einheimischen Sprachmaterial geschaffen:

Ge-wisse (con-scientia), Ge-vatter (com-pater), Ge-meinde (com-munio)

Die Entlehnungen gehören in eine Zeit nach der zweiten Lautverschiebung genauso wie:

Butter (butyrum), Tiegel (tegula), Pappel (populus), Zwiebel (cepula), Mantel (mantellum), Pelz (pellicia), Seide (seta), Schuster (sutor), falsch (falsus) und viele mehr.

IV. Das Althochdeutsche

Das Althochdeutsche ist die älteste Stufe des Hochdeutschen. Die deutsche Sprache vollzog sich in vier Entwicklungsperioden: Althochdeutsch und Altsächsisch bzw. Altniederdeutsch (750/1100), Mittelhochdeutsch (siehe V.) und Mittelniederdeutsch (1100/1350), Frühneuhochdeutsch (1350/1600), Neuhochdeutsch (siehe VIII.) und Neuniederdeutsch (Plattdeutsch) seit 1600.

1. Die Bedeutung des Wortes „deutsch“

Über die Etymologie des Wortes „deutsch/Deutsch“ gab es lange Zeit nach keine genaueren Informationen. Die Etymologie ist die Wissenschaft von der Herkunft und Veränderung der Wörter einer Sprache. Doch heute weiß man schon genaueres über die Geschichte des Wortes:

Die erste belegte Form taucht im Jahre 786 in einen lateinisch abgefassten Bericht des päpstlichen Nuntius Georg von Ostia auf. Er besuchte zwei Kirchenversammlungen in England, wo mehrere Beschlüsse gefasst wurden. Ostia schrieb über diese Beschlüsse, dass sie tam latine quam theodisce (d.h. sowohl in Latein als auch in der Volkssprache) verlesen wurden, damit jeder sie verstehen konnte. Der Kaiser Karl der Große empfiehlt den Geistlichen im Jahre 813, dass sie nicht nur lateinisch predigen sollten, sondern auch in der romanischen oder in der germanischen Volkssprache: in rusticam Romanam linguam aut Theodiscam. Theodiscus ist die latinisierte Form des deutschen Wortes „diutisc“ und heißt soviel wie in der Art des Volkes, dem Volke eigen oder volksmäßig. Es wurden erst 200 Jahre nach dem Auftreten dieser Form Belege für die entsprechende deutsche Form diutisc gefunden. Abgeleitet sind diese Formen von dem deutschen Wort diot, das „Volk“ bedeutet.

„Im Überblick sieht die Entwicklung so aus:

8.-11. Jahrhundert: diutisc (neben: theodiscus)

11.-13. Jahrhundert: diutsch (neben: tiutsch und tiusch)

13.-17. Jahrhundert: deudsch/Deudsch (neben: teutsch/Teutsch)

ab 17. Jahrhundert: deutsch/Deutsch“(4 )

Mit dem Ausdruck „theodiscus“ haben die romanisierten Franken in Frankreich seit dem 8. Jahrhundert die Sprache der ostrheinischen Stämme bezeichnet. Dieses war erst nur eine rein sprachliche Bezeichnung, entwickelte sich aber zu einer Bezeichnung für die Volksart und schließlich noch zu einer Bezeichnung für die politische Zusammengehörigkeit. So wird letztlich das Wort „deutsch“ zu einem Volksnamen. Das ist der einzige Fall unter den Namen der Völker, dass sich ein Volk nach seiner Muttersprache nennt.

2. Die Merkmale des Althochdeutschen Die zweite Lautverschiebung im allgemeinen

Noch heute ist Deutschland sprachlich in ein niederdeutsches (oder auch plattdeutsches) und hochdeutsches Sprachgebiet aufgeteilt. Der Grund für diese Aufgliederung ist die zweite oder hochdeutsche Lautverschiebung. Sie fand etwa im 5. Jahrhundert, rund 1000 Jahre nach der ersten Lautverschiebung statt. Die zweite Lautverschiebung ist im Laufe von mehreren Jahrhunderten von Süddeutschland noch Norden vorgedrungen. Dadurch teilt sie Deutschland in ein südliches und ein nördliches Sprachgebiet. Berlin liegt in ein „Vorstoßgebiet“ des Hochdeutschen, gehört aber noch in einigen lautlichen Erscheinungen (ik, dat) zum Niederdeutschen. Der Lautstand des Niederdeutschen ist älter als der des Hochdeutschen. Am weitesten geht die Verschiebung der Konsonanten in Süddeutschland.

3. Merkmale der zweiten Lautverschiebung

„ 1.Die Verschiebung betrifft vor allem die stimmlosen (harten) Verschlußlaute (Tenues) p, t, k

p wird a) im Inlaut und Auslaut nach Vokalen zu ff (teilweise auch zu f vereinfacht), b) im Anlaut und inlautend nach Konsonanten (l, m, r und in der Verdopplung) zu pf, das nach l und r im weiteren Verlauf zu f wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

t wird a) im In- und Anlaut nach Vokalen zu zz (gesprochen ss), teilweise zu z (gesprochen s) vereinfacht,

b) im Anlaut und Inlaut nach Konsonanten (l, n, r und in der Verdopplung) zu tz (auch z geschrieben).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

k wird im In- und Auslaut nach Vokalen zu hh (gesprochen ch wie in ach und ich)

Beispiel: got. brikan, engl. break : ahd. brehhan (nhd. brechen).“(5 )

2. Die stimmhaften Verschlußlaute (Mediae) b, d, g werden nur im oberdeutschen Gebiet zu p, t, k.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten(6 )

„Übersichtstabelle zur hochdeutschen Lautverschiebung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3. Im gesamten deutschen Sprachgebiet - also auch im Niederdeutschen - erfolgte nach den anderen Lautverschiebungsvorgängen noch der Wandel von

þ>d got. þreis, engl. three : nhd. drei

got. broþar, engl. brother : ahd. bruoder, nhd. Bruder

(þ ist wie englisch th zu sprechen)

4. Vokale des Althochdeutschen

Die althochdeutsche Sprache ist reich an volltönenden Vokalen auch in unbetonten Silben.

1. Der i-Umlaut

Wenn ein a in der Stammsilbe vorhanden ist, wird dieses durch ein folgendes i oder j zu e verändert. Das den Umlaut verursachende i ist in der Zukunft meist verschwunden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dieses durch Umlaut entstandene e wurde in der heutigen Zeit durch einäersetzt. Die Erkennbarkeit der Beziehung zum a ist die Voraussetzung für den Wandel von e zu ä.

Beispiele: war - wäre, Bach - Bäche, lang - länger

Ausnahmen sind: Heer, Kerker, Erbe

Auch o, u, ou, au werden mit in die Umlautung hinzugenommen.

Aus o wird ö, aus u wird ü, aus uo wird üe und aus ou (= au) entsteht öu (eu). Beispiele aus dem Neuhochdeutschen: Loch - Löcher,

Fuß - Füße,

Haut - Häute.

2. Andere Veränderungen

Unter dem Einfluß des Vokals der folgenden Silbe treten noch andere Veränderungen des Stammsilbenvokals auf. Dadurch kommt es zum Wechsel des Stammvokals in Wortstämmen wie:

geworden - wurde, leuchten - Licht, Erde - irdisch, Berg - Gebirge, geben - du gibst, helfen - du hilfst, vor - für, Gold - gülden

5. Der Formenbestand

Durch die Endungen, die schon im 11. Jahrhundert zu unbetontem e abgeschwächt wurden, kann gesehen werden, wie klangvoll die althochdeutschen Formen gewesen sind.

Einige Beispiele:

ackar (Acker), bîna (Biene), hôhî (Höhe), nemumês (wir nehmen), enti (Ende), hano (Hahn), herza (Herz), wortum (den Worten)

Die Zahlen von eins bis vier werden dekliniert und dabei werden die drei Geschlechter unterschieden.

6. Althochdeutsche Sprachprobe

Das Hildebrandslied:

Das Hildebrandslied ist eines der ältesten Denkmäler der deutschen Literatur und das einzige althochdeutsche Beispiel eines germanischen Heldenliedes. Es wurde etwa um 800 von zwei Mönchen auf die Umschlagseite einer theologischen Handschrift von einer Vorlage abgeschrieben. In diesem Lied handelt es sich um einen Zweikampf des aus der Verbannung heimkehrenden Hildebrands mit seinem ihn nicht erkennenden Sohn Hadubrand. Die Handschrift ist vermutlich in Fulda entstanden und befindet sich heute in Kassel.

Ein Ausschnitt aus dem Hildebrandslied:

Ik gihôrzta dat seggen,

Ich hörte das sagen,

dat sih urhêttun aenôn muotîn

dass sich Herausforderer einzeln begegneten

Hiltibrant enti Hadubrant untar heriun tuêm

Hildebrand und Hadubrand zwischen Heeren zweien

sunufatarungo iro saro rihtun,

Sohn und Vater ihre Rüstung richteten,

garutun sê iro gûdhamun, gurtun sih iro suert ana,

machten zurecht sich ihre Kampfgewänder, gürteten sich ihre Schwester an,

helidos ubar hringâ, dô sie tô dero hiltiu ritun.

die Helden über die Panzerringe, als sie zu diesem Kampf ritten.

V. Das Mittelhochdeutsche

Das Mittelhochdeutsche ist die deutsche Sprache des Hochmittelalters und Spätmittelalters (zwischen 1100 und 1350) und ist die Sprache der höfischen Dichtung.

1. Allgemeine Charakteristik

Das Mittelhochdeutsche unterscheidet sich am deutlichsten von der althochdeutschen Sprache durch die allmähliche immer weiter fortschreitende Abschwächung der unbetonten Silben. Besonders der kurzen Endvokale, die zu e abgeschwächt werden und vielfach immer weniger werden.

Auch wird das althochdeutsche sk zum mittelhochdeutschem sch.

Beispiele: skuld : schuld, skirban : schrîben (nhd. schreiben)

2. Fremde Einflüsse

Entscheidend für die Bereicherung der Sprache ist die im letzem Viertel des 12. Jahrhundert enge Berührung zwischen deutschem und französischem Rittertum. Dadurch kam es zu einer deutsch ritterlich-höfischen Kultur, die die Sprache verfeinert und den Satzbau komplizierter gestaltet. Auch die Vorherrschaft des Hauptsatzes wird abgelöst durch schwierige Satzgefüge. Eine große Anzahl von Modewörter der höfischen Gesellschaft strömen ein und darunter sind Wörter, die zum dauernden Besitz unserer Sprache geworden sind: Palast, Turm, Turnier, Abenteuer

Die Niederlande spielte dabei eine wichtige Rolle als Vermittler. Eine Reihe von Lehnwörter stammen aus dem Niederländischen. An Stelle des alleingültigen Du in der Anrede tritt das etwas „feinere“ Ihr. Aus dem Französischen werden die Endungen auf -ie für Substantive und -ieren für Verben übernommen (turnieren, später häufig an deutsche Wortstämme angehängt: buchstabieren, halbieren).

3. Anfänge einer Literatursprache

Auf oberdeutscher, schwäbischer Grundlage bildete sich eine Literatursprache heraus. Die Dichter bedienten sich ihrer ohne die straffe Regelung zu erstreben. Sie bemühten sich solche Wörter zu vermeiden, die nur in ihrer Mundart greifbar waren. Manches bis dahin gebrauchte Wort verschwand allmählich aus der Dichtersprache. Der Grund dafür war, es galt als altmodisch. Nur Spielleute verwendeten diese Worte weiterhin, aber in abnehmenden Maße. Teilweise sind sie wiederbelebt worden.

4. Lautveränderungen vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen

Schon zur mittelhochdeutschen Zeit waren Ansätze zu verschiedenen Lautübergängen sichtbar. Dazu gehört die Diphthongierung. Diphthongierung ist die Umwandlung eines einfachen Lautes in einen Doppellaut und das auffallendste Unterscheidungsmerkmal zwischen Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch. Sie war schon um 1100 im Bayrisch-Österreichischen bekannt. Es werden die langen Vokalen i, û, iu (sprich lang ü) zu ei, au, eu (äu):

mhd. mîn : nhd. mein

mhd. wîp : nhd. Weib

mhd. hûs : nhd. Haus

mhd. liute : nhd. Leute.

(sprich: lüte)

Dieser Lautwandel fand bald eine Widerspiegelung im Schriftbild und breitete sich nach Norden aus. Dadurch ist der Lautwandel heute im größten Teil des oberund mitteldeutschen Sprachgebiet durchgeführt. Er hat heute noch für die Schriftsprache eine allgemeine Gültigkeit.

Weiter nach Süden wirkte genau das Gegenteil. Es wurden die alten Diphthonge monophthongiert. Als Diphthong bezeichnet man einen Doppellaut, zum Beispiel au und ei.

Beispiele: mhd. verliësen : nhd. verlieren

mhd. muot : nhd. Mut

mhd. güëte : nhd. Güte

Die kurzen betonten Vokale des Mittelhochdeutschen werden im Neuhochdeutschen gedehnt:

mhd. edel : nhd. edel

mhd. vil : nhd. viel

mhd. sagen : nhd. sagen.

Von dieser Hauptregel gibt es natürlich auch zahlreiche Abweichungen.

Anlautendes s vor l, m, n, w, p und t wurde zu sch (zum Beispiel mhd: smecken, slâf, snîden, swaere, sprechen, stein).

VI. Vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen

1. Sprachgut aus dem Mittelalter

Bis heute ist eine große Menge von dem Sprachgut aus dieser Zeit noch erhalten. Die Sprache wandelte sich im Laufe ihrer Entwicklung in folgenden Punkten:

a) in ihrem Lautstand
b) in ihren grammatischen und stilistischen Formen
c) und am stärksten in ihrem Wortbestand.

Alte Wörter werden ungebräuchlich oder sterben aus. Andernfalls bleiben einzelne Wortzusammensetzungen und Ableitungen von sonst abgestorbenen Wortstämmen als Überreste stehen. Dadurch, das bei manchen Worten die Wortstämme in anderen Zusammensetzungen abgestorben sind, sind sie in ihrer ursprünglichen Beziehung nicht mehr zu erkennen.

Beispiele: Bräutigam zu ahd. gomo, Mann

frohlocken zu got. laikjan, hüpfen;

Heirat zu heuern, anwerben;

erdrosseln zu mhd. drozze, Kehle;

Maulwurf zu ags. mula, Hügel;

Unbill zu mhd. unbilede, Unrecht und zu billîch, recht;

Elfenbein zu mhd. helphant, Elefant und mhd. bein, Knochen;

Auch in Redewendungen befindet sich viel altes Sprachgut aus mittelhochdeutscher Zeit. Oft sind stab- oder endreimende Verbindungen in den Redewendungen vorhanden.

einige Beispiele: Angst und Bange, dann und wann, ganz und gar, unter Dach und Fach, Lug und Trug, über Stock und Stein

Neben einzelnen Wörtern und festen Wortverbindungen stehen die vielen bildlichen Redensarten. Ihnen liegen sinnliche Vorgänge aus dem Leben des Mittelalters zu Grunde. Der Ursprung solcher Redensarten sind kaum noch nachvollziehbar. Der Grund dafür ist die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Der Sinn der Redensarten ergibt sich aus den Sitten und Gewohnheiten der Menschen jener Zeit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Auch im Berufsleben einzelner Stände gab es manche Wendungen. Ihr sinnlicher Gehalt ist zum Teil heute noch verständlich, wie leeres Stroh dreschen oder über einen Leisten schlagen.

Bildliche Redewendungen stammen auch aus dem Leben des Alltages, aus Sitte und Brauch. Hier nur mal zwei Beispiele genannt:

„Pech haben. Der Vogelfänger verwendet Pech oder Leimruten. Wer „auf den Leim geht“ oder sich hat „leimen lassen“ wie ein „Pechvogel“, hat Pech. Es kann auch ein Schüler infolge mangelnder Leistungen „hängen“ oder „klebenbleiben“. Wer auf eine Sache „erpicht“ ist, haftet so an ihr, daß er nicht von ihr loskommt.“(7 )

oder

„Jemanden einen Korb geben; durchfallen (Nichtbestehen einer Prüfung). Wollte eine Angebetete von einem Freier nichts wissen, so ließ sie einen Korb mit gelockerten Boden von ihrem Fenster herab, damit er beim Hinaufziehen „durchfiele“.“(8 )

kirchlichen Leben stammen:

am Hungertuch nagen (eigentlich: nähen; das Altartuch, das für die Fastenzeit aufgelegt wurde, hieß auch Hungertuch);

es geht wie am Schnürchen (nämlich des Rosenkranzes).

2. Der Bedeutungswandel der Wörter

Die Zahl der neugebildeten Wörter ist größer als die Zahl der untergegangenen und dadurch ist der Wortvorrat der Sprache vergrößert worden. Eine wichtige sprachliche Erscheinung ist der Bedeutungswandel. Es gibt einige Wörter, die seit Urzeiten ihre Bedeutung beibehalten haben. Dazu gehören: Vater, Sohn, Schwert, fragen und viele mehr. Natürlich gibt es auch zahlreiche Wörter, deren Sinn sich gewandelt hat. Nur mit Hilfe der Etymologie kann man den ursprünglichen Sinn feststellen. Die Etymologie befasst sich mit dem Ursprung und Geschichte der Wörter und Wortfamilie.

Für den Bedeutungswandel ergeben sich drei Möglichkeiten:

a) Bedeutungsverengung: Begriffsumfang wird kleiner:

b) Bedeutungserweiterung: Begriffsumfang wird größer

c) Bedeutungsverlagerung: Der Begriff geht von einer Sache auf eine ganz andere über.

Bedeutungsverengung

Das Wort Burg kommt entweder von bergen oder steht im Zusammenhang mit Berg. Anfangs war es eine Bezeichnung für jeden umzäunten Ort im Sinne von Stadt, aber dann bürgerte sich dafür im 11. Jahrhundert der Ausdruck Stadt ein. Das Wort Burg wird von da an nur auf die Ritterburg bezogen.

Das Wort Getreide stammt von dem althochdeutschen gitregidi (nhd. tragen) ab. Als Getreide bezeichnete man alles was getragen wird: So auch Kleidung, Gepäck und Lasten. Es war auch eine Bezeichnung für Ertrag, Einkünfte und Besitz. Später wurde das Wort Getreide für alles was die Erde trägt (Gras, Blumen), auch Nahrung, Lebensmittel und schließlich auch für Früchte eines Baumes benutzt. Seit dem 14. Jahrhundert ist es eine Bezeichnung nur für die angebauten Grasarten, deren Körnerfrüchte man erntet.

Bedeutungserweiterung

Zweck. Die Zwecke war ursprünglich der Holzpflock im Mittelpunkt einer Schießscheibe, also der Zielpunkt. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts hat es die übertragende Bedeutung: Endziel eines Streben (seinen Zweck erreichen), Absicht.

Das Wort Feder entstand von der Feder des Vogels über die Gänsefeder, die als Schreibgerät benutzt wurde, zur Stahlfeder. Sie wird wegen ihrer Elastizität in der Technik verwendet.

Die Linse der Hülsenfrucht wurde wegen der Ähnlichkeit der Form auf die Linse des Auges und die Linse in der Optik übertragen.

Die Sprache des Volkes ist reich an solchen Übertragungen.

Bedeutungsverlagerung

Nur wenn zwischen zwei Begriffen eine enge Beziehung vorhanden ist, kann es zu einer Verlagerung kommen.

Ekel ist ursprünglich Brechreiz gewesen, dann Abscheu vor etwas Widerwärtigem und bezeichnet nun einen widerlichen Menschen. Einwecken ist das Haltbar machen nach der Methode von Weck.

Die Litfaßsäulen sind zuerst von dem Buchdrucker Litfaß aufgestellt worden. Zum Wandel der Bedeutung des Wortes können allerlei Gründe führen. Zum absterben alter Wörter gibt es zwei wesentliche Gründe. Entweder sie haben keine Bedeutung mehr für eine neue Gesellschaft oder sie unterliegen im Wettbewerb mit anderen, sinnverwandten Wörtern. Ziemlich selten kommt es vor, dass ein Teil der alten Wörter auf neue Begriffe übertragen werden. Diese Begriffe haben oft nur einen ganz äußerlichen Zusammenhang. Der Grund dafür ist, dass nicht für jeden neuen Begriff auch ein neues Wort geschaffen werden kann.

3. Lehn- und Fremdwörter aus spätmittelhochdeutscher und frühneuhochdeutscher Zeit (14. bis 16. Jahrhundert)

Eine führende Rolle musste im späten Mittelalter das Rittertum abgeben. Seit Mitte des 13. Jahrhundert übernahm das Bürgertum, der Handel und das Gewerbe diese Rolle. Die Fachsprache des Kaufmanns bildete sich aus und es blieben nur wenige Wörter niederdeutschen Ursprungs in der Sprache des Kaufmanns erhalten. Zum Beispiel: Fracht, Makler, Stapel.

Durch die enge Beziehung zwischen süddeutschen Handelsstädten und oberitalienischen gelangten italienische Wörter in die Sprache:

Bank, Bankrott, Kasse, Konto, Muster und viele andere Wörter. Beeindruckend sind die Entlehnungen aus der slawischen Sprache. Eines der ältesten Lehnwörter aus dem Slawischen ist Zobel. Es gelangte durch den Pelzhandel der Karolinger (8. und 9. Jahrhundert) in die deutsche Sprache. Andere Entlehnungen gehören späterer Zeit an. Sie beziehen sich auf Gegenstände aus der Umwelt des Bauern. Die Ursache dafür ist das Nebeneinanderleben deutscher und slawischer Bevölkerung in den von den Deutschen seit dem 12. Jahrhundert besetzten Gebieten. Der Vermittler des neuen Wortgutes ist der Bauer und dies erklärt die Art des übernommenen Wortgutes. Es ist schwer zu sagen, wie lange diese Wörter in Gebrauch waren, bevor sie geschrieben worden. Denn bis diese sogenannte „Bauernsprache“ als würdig galt, verging viel mehr Zeit als bei den „feineren“ Wörtern aus der Sprache des Adels. Die wichtigsten slawischen Entlehnungen sind:

Baude (Rückentlehnung aus dem Tschechischen), Bemme (sorbisch), Grenze (altslawisch), Düse (tschechisch), Groschen (über das Tschechische aus dem Lateinische), Gurke (polnisch), Jauche (sorbisch), Peitsche (polnisch, sorbisch, tschechisch), Pistole (tschechisch), Preiselbeere (tschechisch), Quark (russisch, polnisch), Säbel (polnisch), Schmetterling (tschechisch), Zeisig (tschechisch), Zille (altslawisch).

Die Sprache der Bergleute hat sich von fremden Lehngut frei gehalten. Nur das Wort Kux wird um 1300 vom erzgebirgischen Bergbau aus dem Tschechischen entlehnt.

VII. Die deutsche Mundart

1. Einleitende Bemerkung

Als Mundart wird die Sprechweise einer bestimmten Gegend oder auch der Dialekt bezeichnet. Sie ist vor allem keine verdorbene Hochsprache. Schon vor dem Entstehen der Nationalsprache waren Mundarten Träger des Sprachlebens. Obwohl es auch schon Ansätze zu einer Literatursprache in mittelhochdeutscher Zeit gab, waren die Voraussetzungen für die Nationalsprache erst im 14. und 15. Jahrhundert geschaffen. Die Literatursprache blieb Angelegenheit der herrschenden, feudalen Klassen und das Volk hatte kein Anteil an ihr. Deshalb verblieb das Volk bei den Mundarten. Erst mit dem Entstehen weiträumiger Wirtschaftsgebiete, mit einer gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung, durch Freizügigkeit, durch Buchdruck und Schule konnte sich die Nationalsprache langsam bilden.

Eine der deutschen Mundarten, das Obersächsische, war mit die Grundlage für die Nationalsprache. Eine andere deutsche Mundart, das Niederfränkische, löste sich aus dem Verband des Deutschen, schon bevor die deutschen Stämme eine Nation waren. Der Anlass dafür war die eigene, selbstständige ökonomische Entwicklung ihres Verbreitungsgebiet. Dieses war schon im 14. Jahrhundert viel weiter fortgeschritten als irgendein anderes deutschsprachiges Gebiet. Das Niederfränkische wurde zur Grundlage einer eigenen Nationalsprache, das Niederländische.

Die Mundarten werden allmählich unterdrückt und sind kaum noch rein und unvermischt zu finden. Die sprachliche Entwicklung führt zu einer Angleichung der Mundarten an die Norm der Nationalsprache. Diese Angleichung ist aber unauf- haltsam.

2. Die Hauptgruppen der deutschen Mundarten

Die Forschung der sowjetischen Wissenschaftler und der deutschen Sprachwissenschafter zeigte, dass für die Abgrenzung der Mundarten und für die Festlegung ihrer Grenzen, vor allem die Grenzen feudaler Territorien, wichtig gewesen sind.

Hauptgruppen der dt. Mundarten seit dem Mittelalter:

I. Die niederdeutsche Hauptgruppe mit ihren zwei Untergruppen:

1. Niederfränkisch (Niederländisch, Flämisch);
2. Niedersächsisch (Plattdeutsch).

II. Die hochdeutsche Hauptgruppe mit ihren zwei Untergruppen:

1. Mitteldeutsch

a) Ostmitteldeutsch (Obersächsisch, Thüringisch);
b) Westmitteldeutsch (Mittel- und Rheinfränkisch).

2. Oberdeutsch

a) Bayrisch (Nord- und Südbayrisch, Oberpfälzisch, Österreichisch);
b) Alemannisch (Schwäbisch, Niederalemannisch-Elsässisch, Hochalemannisch-Schweizer Deutsch);
c) Süd- und Ostfränkisch und Südthüringisch.“ (9 )

3. Besonderheiten der Mundarten

Jede dieser Mundarten zeigt landschaftliche und örtliche Besonderheiten. Die Grenzen der Mundarten werden weitgehend bestimmt durch die Grenzen der im Spätmittelalter entstanden kleineren feudalen Territorien. Der wesentliche Unterschied zwischen den Mundarten und der Nationalsprache ist, dass die Mundarten eine andere Lautgestalt haben.

Germanisches ai wird im Deutschen zu ei. Im Niederdeutschen meist langes e, teilweise langesäund langes a. Im Bayrischen dagegen wird ei zu oa. Germanisch st im Anlaut wird im Deutschen zu scht (geschrieben st). Im Niederdeutschen bleibt st.

Dadurch entstand für das Wort Stein viele verschiedene Formen in verschiedenen Mundarten:

im Norden: Stein, Stäin, Steen, Staan, Staän in der Mitte und im Süden: Schtain, Schtein, Schtoan, Schteen Viele Mundarten haben die gerundeten Vokaleöundüzu e und i entrundet. Dadurch entstanden Formen wie: beesen, miede, heite für böse, müde, heute. Das Niederdeutsche bewahrt die langen Vokale i, u, ü, die sonst zu ei, au, eu (äu) geworden sind, bei.

Die Besonderheiten der Mundarten ist der grammatikalische Bau und der grundlegende Wortschatz. Doch diese Besonderheiten verschwanden immer mehr. Die Formenbildung zeigt ein starkes Zurückdrängen des Genitivs, ein Abweichen von National- und Schriftsprache in der Form der Konjugation und in der Verwendung des Dativs und Akkusativs.

Die Wortbildung ist kennzeichnend für die gesprochene Sprache im Gegensatz zur geschriebenen. Sie bezieht sich auf einen Gegenstand und vermeidet nach Möglichkeit gedankliche Beziehungen. Die Mundarten favorisieren Ableitungen von Zusammensetzungen und Verkleinerungsformen. Selten sind abstrakte Formen auf -ung, -heit und -keit zu finden. Fremdwörter sind weitgehend, besonders in der Aussprache eingedeutscht. Diese Art der Veränderung von Wörtern wird „Volksetymologie“ genannt.

In der Satzbildung verwendet man einfache Hauptsätze, die meist durch „und“ gebunden sind.

Der Wortschatz ist reich mit Bezeichnungen von Gegenständen des täglichen Gebrauchs und von Pflanzen und Tieren.

Für das Wort „Korb“ werden viele verschiedene Ausdrücke verwendet. Zum Beispiel: „Kober“, „Kiepe“, „Bähnert“, „Krebe“, „Schwinge“, „Maschl“, „Kötze“, „Filwes“, „Krette“, „Zecker“ u.s.w.. Für das Wort Löwenzahn gibt es über hundert verschiedene Bezeichnungen.

VIII. Das Neuhochdeutsche

1. Die Entstehung der deutschen Nationalsprache

Im Mittelalter gab es nur Mundarten. Die durch die Dichter der mittelhochdeutschen Blütezeit angestrebte „Dichtersprache“ drang nicht in breite Volksschichten. Erst nach dem Entstehen ausgedehnter Wirtschaftsgebiete und Erstarken des Bürgertums konnte sich die Nationalsprache entwickeln. Denn damit entstanden die Voraussetzungen und die gesellschaftliche Notwendigkeit für sie.

Die Nationalsprache bildete sich im Laufe des 15. Jahrhundert aus vier Elementen: dem Sprachgebrauch der Kanzleien,

den Bedürfnissen des Buchdrucks,

der obersächsischen Mundart und

der Wirkung der Sprache Luthers.

Vorher gewann die Urkundensprache der süddeutschen Städte an Bedeutung, zumal hier die Urkunden schon seit dem 13. Jahrhundert in deutscher Sprache geschrieben wurden. Die erste Königsurkunde in deutscher Sprache stammt aus dem Jahre 1240. Die kaiserliche Kanzlei in Prag und andere fürstlichen Kanzleien verwendeten immer mehr die deutsche Sprache. Die Urkunden und Erlasse wurden nun nicht mehr in der lateinischen Sprache geschrieben. Der Buchdruck braucht die Möglichkeit einer weiten Verbreitung seiner Erzeugnisse.

Voraussetzung dafür war, dass seine Drucke in einen großen Gebiet sprachlich verstanden werden konnten. Man versuchte die mundartlichen Unterschiede auszugleichen. Das Obersächsische setzte sich unter den anderen Mundarten durch und war die Grundlage für die Nationalsprache.

Warum gerade die obersächsische Sprache? Wie kam es dazu?

Seit dem 10. Jahrhundert drang in das meißnische Gebiet drei Siedlerströme ein:

„ 1. ein niederdeutsch-niederrheinischer Siedlerstrom über Magdeburg-Leipzig,
2. ein mitteldeutscher über Erfurt-Leipzig zur oberen Oder,
3. einer aus dem Maingebiet über Bamberg in das Gebiet südlich und nördlich des Erzgebirges.

Die Mundartforschung hat festgestellt, wie in diesem ostmitteldeutschen Gebiet aus der Mischung dieser Siedler und ihrer Sprachformen ein einheitliches Sprachgebiet mit einer kolonialen Misch- und Ausgleichssprache entstand. Besonders durch die wachsende Macht des Kurfürstentums Sachsen-Wittenberg breitete sie sich nach Norden und Westen aus.

Da sich sowohl die kaiserliche Kanzlei als auch Luther hochdeutscher Sprachformen bedienten, wurden die hochdeutschen Mundarten als sprachlicher Ausgleich zwischen Süden, Mitte und Norden zur Grundlage einer Einheitssprache, der deutschen Nationalsprache.“(10 )

2. Luthers sprachschöpferische Leistung

Martin Luther bediente sich bei seiner Bibelübersetzung (1522 bis 1534) der Sprechweise des ostmitteldeutschen Sprachraums. Dies ist verständlich, denn Luther ist in Eisleben geboren und wirkte seit 1508 von Wittenberg aus. „Er erklärte selbst:

„Ich habe keine gewisse, sonderliche eigne Sprache im Deutschen, sondern gebrauche der gemeinen deutschen Sprache, daß mich beide Ober- und Niederländer verstehen mögen. Ich rede nach der sächsischen Kanzlei, welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland. Alle Reichsstädte, Fürstenhöfe schreiben nach der sächsischen und unseres Fürsten Kanzlei. Darum ist`s auch die gemeinste (d.h. allgemeinste) deutsche Sprache.““(11 ) Als gemeine Deutsch wird eine im Spätmittelalter ausgebildete Sprachform bezeichnet.

Die Luthersprache bedeutete einen sprachlichen Höhepunkt. Dies kam dadurch, weil Luther mit größter Sorgfalt übersetzte und sich an die Sprache des Volkes anlehnte.

Durch die Luthersche Bibelübersetzung kommt eine große Zahl mitteldeutscher Mundartwörter in die Schriftsprache. Auf Grund dieser Sache kommt es auch zur Verbreitung in Oberdeutschland. Solche Wörter sind Grenze (oberdeutsch Mark); Lippe (oberdeutsch Lefze), Ufer (oberdeutsch Gestade), Hügel (oberdeutsch Bühel).

Am Anfang der Lutherschen Übersetzung musste ein Wörterverzeichnis mit ungewohnten süddeutschen Ausdrücken mitgegeben werden. Aber bald wurden auch diese Ausdrücke allgemein verstanden. Der Beweis dafür ist, dass dieses Wortverzeichnis schon nach wenigen Jahrzehnten nicht mehr nötig, bis es sogar endgültig verschwand. Die Luthersche Sprache drang in Süddeutschland und in der Schweiz schon ab dem 16. Jahrhundert durch. Im Norden setzte sie sich erst ab dem 18. Jahrhundert durch.

Das Hochdeutsche in der obersächsische Form wurde Grundlage der deutschen Nationalsprache. Seitdem verlor das Plattdeutsche in Norddeutschland an Bedeutung. Einzelne Dichter (auch Fritz Reuter) versuchten eine einheitliche plattdeutsche Schriftsprache zu schaffen. Diese konnte aber nicht durchdringen.

3. Das Fremdwort in der Zeit des Humanismus und des Barocks

In der Zeit des Humanismus vermeidet Luther in der Bibelübersetzung das Fremdwort soweit es geht. In der Zeit, in der das Lateinische vorwiegend vorhanden war, nutzte Luther die deutsche Volkssprache.

In der Wirtschaft herrschten noch lange Zeit die griechische und vor allem auch die lateinische Sprache. Die Gelehrten schrieben lateinisch und auch die akademischen Vorlesungen wurden in der lateinischen Sprache gehalten. Dadurch drangen sehr viele Fremdwörter in unsere Sprache ein. Deshalb entstand eine große Lücke zwischen der Sprache des einfachen Mannes und der Bildungsschicht innerhalb der herrschenden Klasse.

Aus der Zeit des Humanismus stammen Wörter wie:

Universität, Fakultät, Professor, Doktor, Autor, Zensur, Exempel, Aula, Abiturient, Botanik, Zoologie usw.

Durch das Studium des römischen Rechts wurden unter anderen übernommen: Jura, Justiz, Prozess, appellieren, zitieren, Klient, Legalität.

In die Verwaltung gelangen:

Kontakt, Edikt, Formular, Fiskus, Datum, Interesse, Kommissar und andere.

Die Medizin machte fast nur von fremden Ausdrücken Gebrauch. Diese gingen zum Teil in das allgemeine Sprachgut ein. Ausdrücke wie Unwohlsein, Geschwulst, Erkältung wurden ersetzt durch Indisposition, Abszess und Katarrh. In der Grammatik und Mathematik wurden lateinische Ausdrücke benutzt. Viele italienische Bezeichnungen wurden in die Musik übernommen. Einige davon sind: Arie, Solo, Oper, Konzert, Duett, Melodie, Violine usw.

Es ging sogar soweit, dass die Gelehrten ihre deutschen Namen durch griechische oder lateinische ersetzten. Dabei wurde aus Schneider Sartorius, aus Bäcker Pistorius oder Cornelius, aus Weber Textor, aus Schmidt Faber, aus Bauer Agricola und aus Heinrich Henrici.

Im 16. Jahrhundert drangen französische Ausdrücke ein, die sich dann im 17. und 18. Jahrhundert vermehrten. Einige Ausdrücke sind: galant, nett, Mode, Kompliment, Kavalier und Malice.

Das Kriegswesen übernahm eine Menge von Ausdrücken aus fremden Sprachen. Dazu gehören Wörter wie: attackieren, avancieren, Corps, Bataillon, Leutnant, Adjutant, Quartier, Alarm usw.

Im Dreißigjährigen-Krieg und in der Folgezeit kam es zum Verlust an sprachlich- nationalem Selbstbewusstsein. Dieses war die Folge der deutschen Zersplitterung. Damals kamen französische Festungsbaumeister ins Land. Adlige, Kaufleute und Studenten reisten ins Ausland. In Deutschland kam es zu einer Sprachmengerei, das heißt zu einer starken sprachlichen Überforderung. Sie war so stark, dass man die Ausdrucksweise der „Gebildeten“ kaum noch als Deutsch bezeichnen konnte. Diese Überfremdung schritt bis ins 18. Jahrhundert weiter fort.

4. Die Reformbestrebung der Sprachgesellschaften

Man kämpfte gegen die Fremdwörter schon seit der Eindeutschung dieser Wörter zu Lehnwörtern und seit der volkstümlichen Umdeutung von Fremdwörtern. (=Volksetymologie) Das Fremdwort wurde vor allem von vaterländisch gesinnten Männer in den Sprachgesellschaften des 17. Jahrhundert bekämpft. Diese Gesellschaften trugen Namen wie zum Beispiel „Fruchtbringende Gesellschaft“. Sie wurde 1617 in Weimar gegründet und wurde fortgeführt als „Palmenorden“ (Anhalt-Köthen), „Aufrichtige Tannengesellschaft“ (Straßburg), „Deutsch gesinnte Genossenschaft“ (Hamburg), „Pegnitzschäfer“ (Nürnberg) und andere. Sie regten zu sprachwissenschaftlichen Arbeiten an. Die Aufgabe der Sprachgesellschaften ist Übertragung von Fremdwörter ins Deutsche. Wir erhielten von ihnen eine große Zahl von ausgezeichneten Übersetzungen, von denen heute noch etwa 125 gebräuchlich sind:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zum Schmunzeln bringen uns Wörter wie:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese Wörter stammen aus längst eingebürgerten Lehnwörtern. Im 18.

Jahrhundert brachten Gelehrte und Dichter schöne Verdeutschungen wie Sternwarte (Observatorium), Stelldichein (Rendezvous), folgerecht (konsequent), abgezogener (abstrakter) Begriff, Kunststraße (Chaussee), Lehrgang (Kursus).

5. Förderung der Nationalsprache durch die Gelehrten und die Klassiker

Genauso wichtig wie die Verdeutschung der Fremdwörter ist die erste Vorlesung in der deutschen Sprache. Sie wurde um 1687 von Christian Thomasius an der Leipziger Universität gehalten. In der Philosophie kam die deutsche Sprache mit Hilfe von dem Philosophen und Mathematiker Christian Wolff. Der Sprachforscher Adelung versuchte eine feste Regelung des Sprachgebrauchs einzuführen. Sein Hauptwerk war das „Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen

Mundart“. Es war fast ein Jahrhundert lang ein entscheidendes Nachschlagewerk und auch Goethe benutzte es. Es spielte für das Ende 18. und Anfang 19. Jahrhundert eine ähnliche Rolle wie der heutige „Duden“. Zu der Reinhaltung unser Sprache und der Bereicherung des Wortschatzes trugen unsere Klassiker bei. Lessing und Herder kämpften gegen die Sprachmengerei anderer Schriftsteller. Goethe und Wieland beseitigten Fremdwörter in späteren Auflagen ihrer Werke. Die Klassiker haben nicht nur bei der Beseitigung überflüssiger Fremdwörter geholfen, sondern auch bei der Weiterentwicklung der deutschen Nationalsprache. Die Wörter ähneln, ahnen, Christbaum, Rätsel, Weltliteratur, die Goethe gern und häufig verwendete, setzten sich durch. Von Jean Paul wurden anschauliche Wortbilder wie Doppelgänger, Ehehälfte, Flegeljahre, neureich zur Geltung gebracht. Die Gründe dafür sind der ausgewogene Gebrauch, der Gehalt und die treffende Bildhaftigkeit dieser Wörter gewesen. Am meisten haben die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm für die deutsche Sprache beigetragen. Ihre Forschungen und Arbeiten haben den Grund gelegt, auf dem noch heute alle Wissenschaft von der deutschen Sprache baut.

6. Das Fremdwort in der deutschen Sprache seit den Befreiungskriegen

Durch die ökonomischen, politischen, wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen kommt es gleichzeitig zur Entwicklung der Sprache. Die Sprache braucht immer neue Wörter für die neuen Begriffe und Dinge. Besonders im 19. Jahrhundert vergrößerte sich der Wortschatz. Viele dieser neuen Wörter stammen aus dem Griechischen und Lateinischen. Die meisten Wörter werden nicht nur in der deutschen Sprache genutzt, sondern international. Diese Wörter werden als Internationalismen bezeichnet und lauten in den Sprachen, in die sie übernommen wurden, ähnlich oder gleich. Gebräuchlich wurden Wörter wie Lokomotive, Motor, Turbine, Maschine, Radio, Elektrizität, die Fachausdrücke der Chemie, der Medizin und vieler anderer Wissenschaftszweige.

Im 19. Jahrhundert machte sich der starke Einfluss Englands bemerkbar. Auch das führte wieder zur Nachäfferei des Fremden, genauso wie schon im 17. Jahrhundert alles Französische nachgeäfft wurde. Durch den Einfluss des englischen Gesellschaftsleben, des Handels, der Industrie, die Sprache der Seeleute und des Sports gelangten eine große Menge an Wortmaterial ins Deutsche. Über Hundert von ihnen sind heute noch im Deutschen vertreten. Am Anfang des 19. Jahrhundert waren es sogar ein Dutzend. Heute findet man Wörter wie Tunnel, Tennis, boxen, Trainer, fair, Rekord, Looping, Fußball, Streik, Tank, Scheck, Keks, Schlips, Sketch wieder. Mit dem Einströmen solchen Wortguts erkannte man eine wichtige Aufgabe: die Beseitigung überflüssiger Fremdwörter. Manche solcher Fremdwörter gehen ohne Probleme in die deutsche Grammatik und in den Lehnwortschatz ein. Zum Beispiel: Puffer, Tender, Tunnel, Schi, Renntier. Die unnötigen Fremdwörter wurden beseitigt. Mit einem guten Beispiel gingen die Behörden voran. Das Postwesen setzte an Stelle der Ausdrücke Kuvert, Poste restante, rekommandieren, Expressbote die Bezeichnungen Umschlag, postlagernd, Einschreiben, Eilbote.

Bei der Eisenbahn verzichtete man auf die Wörter Perron, Billet, Coupé, Barriere, Condukteur, kupieren und ersetzten sie durch Bahnsteig, Fahrkarte, Abteil, Schranke, Schaffner, lochen oder knipsen. Das Rechtswesen verzichtete auf die Fremdwörter Kontrakt, Appellation, Expropriation, Delikt, Delinquent und setzte dafür Vertrag, Berufung, Enteignung, Vergehen, Angeklagter.

IX. Die Sprache der Gegenwart

1. Rechtschreibung und Aussprache

Im Laufe des 19. Jahrhundert hat sich die äußere Form der Schriftsprache kaum verändert. Dies ist vor allem bei Drucken um dem 18. Jahrhundert zuerkennen. An der Regelung der Rechtschreibung von 1991 wurden nur noch Einzelheiten verändert. Sie stellte für das ganze deutsche Sprachgebiet verbindliche Regeln auf. Die weitere, aber nicht so große Veränderung kam durch die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. Schon seit dem Beginn des Schuljahres 1996/97 ist es möglich, in den Schulen die neue Rechtschreibung zu lehren. Noch bis ins Jahre 2004/05 wird die alte Rechtschreibung nicht falsch angesehen, gilt aber als überholt.

Auch die einheitliche Regelung einer verbindlichen Aussprache ist in dem Buch „Deutsche Bühnenaussprache“ von Theodor Sub zusammengefasst. Sie stellt die Grundlage für mundartfreie Aussprache, die sogenannte Hochsprache dar.

2. Änderung des Wortschatzes

Eine sehr starke Änderung ist im Wortschatz und im Wortgebrauch, die sich im

19. und 20. Jahrhundert herausgebildet haben, wiederzuerkennen. Die Fremdwörter wurden oft durch Verdeutschungen abgelöst.

Neben Automobil (1893) tritt seit 1900 die Verdeutschung Kraftwagen. Hieraus bildeten sich die Wörter tanken, parken, bereifen, Fernlaster usw.

Die Wörter Aeroplan und Route wurden durch Flugzeug und Flugstrecke ersetzt. Unser Jahrhundert setzte neue Wörter zusammen oder schuf Kunstwörter wie Vistra, Perlon, Somolana, Igelit und Buna.

Auch die Entwicklung der Rundfunktechnik bringt seit 1924 neue Wörter mit sich. Natürlich das Wort Rundfunk, das sich dann als Verdeutschung für Radio durchsetzte. Später kamen dann Wörter wie Sendung, Sender, Empfänger, Antenne, Gleichrichter, Sperrkreis, entstören, rückkoppeln hinzu. Diese Wörter gingen in den allgemeinen Sprachgebrauch über. Auch Wörter aus der technischen Fachsprache wurden in die Umgangssprache aufgenommen und konnten in übertragener Bedeutung verwendet werden. Dazu gehören Wörter wie auslösen, ausschalten, Spannung und Entspannung, Belastungsprobe, toter Punkt, Leerlauf, Spätzündung, Kurzschluss.

Die neue Gesellschaftsordnung brachte eine Menge von Fremdwörtern und eine Fülle von neuen deutschen Wörtern mit sich.

3. Neue Redensarten

Zusätzlich zu den alten bildlichen Redensarten treten neue hinzu. Sie sind zum Teil in die heutige Schriftsprache eingegangen. Zum anderen Teil gehören sie der Umgangssprache an. Der Grund dafür war der zu kräftige Ausdruck. Es gab aber auch Redensarten, die zur Goethezeit völlig rat- und verständnislos waren. „Solche Redensarten sind:

auf das tote Gleis schieben = auf die lange Bank schieben;

unter die Lupe nehmen = auf den Zahn fühlen;

eine lange Leitung haben = das Pulver nicht erfunden haben;

dazu Wendungen wie:

den Anschluß verpassen, Zeitlupentempo, jemanden ausboxen oder überrunden, am laufenden Band usw.“(12 )

4. Klammerformen

Viele der Neubildungen sind zusammengesetzt aus mehreren Wörtern oder Fremdwörtern. Sie sind dem Sprecher nicht geläufig und dadurch für den alltäglichen Gebrauch unbequem. Aus diesem Grund fand man Interesse sie zu kürzen. Die älteste Weise um zu kürzen, ist ein Teil des Wortes wegzulassen. So entstehen die sogenannten Klammerformen. Einige Beispiele dafür sind:

Öl(baum)zweig, Schlacht(vieh)hof, (Violon)cello, (Eisen)bahn. Diese Wortbildungsweise ist sehr alt. Das zeigen Wörter wie Fleisch(hau)er und Heidel(beer)berg. Aber sie sind heute noch beliebt und lebendiger denn je. In unserem Jahrhundert bildeten sich Wörter wie Kraft(fahr)rad, Auto(mobil), (Omni-)bus, Lok(omotive), Akku(mulator), Foto(grafie), Füll(federhalt)er. Durch diese Wortbildungen entstanden echte Neuwörter, die in die gepflegte Sprache eingehen.

5. Abkürzungswörter

Auf Wortzusammensetzungen reagieren die Sprachbenutzer durch Abkürzungen verschiedener Art. Sie werden auch als Akü-Wörter bezeichnet, sind aber mit größter Vorsicht zu benutzen. Das älteste Wort ist D-Zug und heißt Durchgangswagenzug. Es folgten dann die Namen von Ausstellungen [Iba (Internationale Baufach-Ausstellung), Ila (Internationale Luftfahrt-Ausstellung) und andere] und von industriellen und Handelsunternehmungen und Bezeichnungen für ihre Erzeugnisse [Fewa, Pebeco].

Die weitere Entwicklung führte dahin, dass für Wörter nur noch aus dem sprachlichen und lautlichen Zusammenhang herausgelöste Buchstaben stehen. Erst begann es mit den einfachen Abkürzungen wie USA, AEG, BGB, DKW und führte dann über LKW und PKW zu den zahllosen Bildungen der Gegenwarts- sprache wie DIN, TAN, VEB, DHZ, HO, MTS. Die Buchstabenwörter entsprechen praktischen Bedürfnissen der Umgangs- und Alltagssprache. Schlecht ist es, wenn sie in solcher Menge auftreten, dass sie nicht mehr verständlich sind. Sie sollten nur mit größter Zurückhaltung genutzt werden, vor allem im Alltag. In der Sprache der Literatur sind sie sehr selten zu finden. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, aber nur sehr wenige.

6. Modewörter

Modewörter sind Wörter die plötzlich auftauchen. Sie sind zunächst nur im engen Kreise vorhanden, breiten sich aber allmählich aus. Wenn sie dann durch übermäßigen Gebrauch abgenutzt sind, verschwinden sie wieder. Die Modewörter gehen nur selten in den dauernden Gebrauch über. Für das Aufkommen und der Verbreitung ist der Sprachgebrauch in den großen Städten von Wichtigkeit. Nennenswerte Modewörter aus der Literatur von 1900 sind: sich auswirken, aufzeigen, kolossal, kosmisch, Lebensgefühl, Zeitgeist, Übermensch und die zahllosen Wörter auf -ismus. Sie werden nur weil sie in der Mode sind „nachgeplappert“. Dem Sprecher ist die Bedeutung in den meisten Fällen oft nicht bewusst.

Wenn man das Wort Modewörter gehört hat, dachte man an restlos, ganz groß, prima, blendend, verheerend, glatt, todsicher, Steigerungen mit selten (selten schön usw.), zwangsläufig, fabelhaft, voll und ganz und hundertprozentig. Beliebte Redensarten sind: Moment mal, das geht in Ordnung, und das war der Zweck der Übung, jede Menge, eine Wolke, Sense.

Von Ausrufen seien nur noch genannt: ausgerechnet!, ausgeschlossen!, allerhand!, Mensch!, Gemacht!.

Derartig Modeausdrücke nehmen dem Sprecher die Aufgabe ab, eine eigene sprachliche Prägung zu finden. Wer aber sprachlich verantwortlich und selbstständig denken kann, vermeidet so gut es geht die Modewörter.

7. Das Fremdwort in der Gegenwart

Die neue gesellschaftliche Entwicklung hat eine Menge neuer Begriffe sichtbar werden lassen und den Wortschatz bereichert. Neue Wörter sind aus einem neuen politischen Bewusstsein heraus notwendig geworden. Andere alte Wörter haben einen neuen Bedeutungsgehalt gewonnen. Beispiele hierfür sind: Kollektiv, Kader, Aktivist, qualifizieren, Funktionär, Aggressor, operativ, Brigade Zirkel, Pionier.

Einige Fremdwörter wurden durch deutsche Bezeichnungen ersetzt. Manche Entlehnungen sind geglückt, aber es gibt auch welche die nicht geglückt sind. Diese haben sich aber oft von selbst erledigt. Derjenigen, der Fremdwörter benutzen will, muss ein verantwortungsbewusstes Denken besitzen. Wenn man sie nur halb oder gar nicht versteht, sollten sie lieber nicht verwendet werden. Beim Gebrauch von Fremdwörter ist es wichtig, dass man sie richtig ausspricht, richtig liest und vor allem keine Buchstaben oder Silben unterschlägt oder sogar hinzugiebt. Zwei bekannte sind „Iniative“ und „Intrigie“, die „Initiative“ und „Intrige“ heißen müssen.

Manchen Wörtern sieht der Laie nicht mehr an, dass sie ursprünglich aus einer fremden Sprache entlehnt worden sind, denn sie sind inzwischen an die im Deutschen übliche Aussprache und Schreibung angepasst. Oft können nur Sprachwissenschaftler den verschlungenen Weg von Entlehnungen verfolgen.

8. Verbale Neubildungen

Die sprachlichen Neubildungen beschränken sich nicht nur auf die Dinge, sondern auch auf das Tun, das mit diesen Dingen in Beziehung steht. Dadurch kommt es zur Bildung von neuen Verben, die oft durch Vor- oder Nachsilben unterstützt werden:

„be-: einen Flußlauf begradigen, ein Feld berieseln, eine Schallplatte (ein Tonband) bespielen oder besprechen, ein Fahrzeug bereifen, eine Fläche begrünen;

ent-: eine Frucht entölen, Stadtteile enttrümmern, eine Anlage entseuchen, einen Konzern entflechten;

ver-: verflechten, vergesellschaften, verknappen, verschwelen, verschrotten, verstädtern, verzuckern;

zer-: zerreden, zerspanen.“(13 )

9. Der Satzbau und die Satzlänge

Der Satzbau hat sich im 19. und 20. Jahrhundert kaum verändert. Zumindest nicht in der Umgangssprache. Das zeigt der Vergleich von der heutigen Sprache mit der Sprache in Briefen von und um 1800, die ohne literarische Absichten entstanden sind. Der Satzbau in der Sprache der Dichtung und der Wissenschaft hat sich aber geändert. Das um 1800 noch starke Einwirken des lateinischen Satz- und Periodenbau ließ schrittweise nach.

Heute steht der zweite Teil des Prädikates häufig vor dem attributiven Nebensatz. Dadurch kann es vom Bezugswort getrennt werden. Aus der Sprache des Redners wird in den schriftlichen Ausdruck die Neigung erworben, dieses Prädikatsteil nicht unbedingt ans Ende des Satzes zu plazieren. Statistische Untersuchungen haben ergeben, dass in der neueren Zeit eine Tendenz zu kürzeren Sätzen besteht. Im 18. und 19. Jahrhundert waren Sätze mit insgesamt 25 bis 35 Wörtern die häufigsten. Wie es heute aussieht, zeigt die folgende Grafik.

X. Schlussbemerkung

Der Weg durch die Geschichte der deutschen Sprache hat gezeigt, wie eng diese mit dem Wesen und Werden der Nation zusammengehörig ist. Ihre Wandlungen spiegeln die Wandlungen in der gesellschaftlichen Entwicklung der Bevölkerung wider. Seitdem sie sich zur einheitlichen Nationalsprache herangebildet hat, wird sie mit dem Fortschreiten des gemeinsamen Denkens immer mehr zum Gurt, der alle Teile der Nation umschnürt.

Diese Erkenntnis fordert alle auf, die Nationalsprache zu schützen und zu pflegen. Das ist heute in erhöhtem Maße nötig.

BEWAHRE DIE NATIONALSPRACHE!!!

Quellenverzeichnis

- Meyers Universal Lexikon Band 1 bis Band 4 VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1978

- Meyers Jugendlexikon 6. AUFLAGE VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1976

- Meyers großes Handlexikon17., aktualisierte Auflage Meyers Lexikonverlag 1994

- Das große Data Becker Lexikon 1999 Data Becker Software

- Bendel-Klostermann Sprachschlüssel, Sprachbuch 8. Schuljahr Ausgabe A/B für Gymnasien und Realschulen, Ernst Klett Verlag

- Dieter Nerius Untersuchung zu einer Reform der deutschen Orthographie, Akademie-Verlag Berlin 1975

- Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin 1982 2. Auflage Ausgabe 1982

- Die deutsche Sprache

Lehr- und Übungsbuch für Fachschulen und Erwachsenenbildung Fachbuchverlag Leipzig 1955

- Wege zur Sprache, Sprachbuch für Gymnasien 10. Schuljahr 1989 Schroedel Schulbuchverlag GmbH, Hannover

- Das neue Kinder Lexikon in Farbe, 1990 Bechtermünz Verlag GmbH

Zitatnachweis

[...]


(1 ) Die deutsche Sprache Lehr- und Übungsbuch für Fachschulen und Erwachsenenbildung Fachbuchverlag Leipzig 1955 Seite 274

(2 ) ebd. Seite 275 bis 276

(3 ) ebd. Seite279

(4 ) Wege zur Sprache, Sprachbuch für Gymnasien 10. Schuljahr 1989 Schroedel Schulbuchverlag GmbH, Hannover Seite 62

(5 ) Die deutsche Sprache Lehr- und Übungsbuch für Fachschulen und Erwachsenenbildung Fachbuchverlag Leipzig 1955 Seite 283 bis 284

(6 ) ebd. Seite 284

(7 ) ebd. Seite 290 bis 291

(8 ) ebd. Seite 291

(9 ) ebd. Seite 296

(10 ) ebd. Seite298 bis 299

(11 ) ebd. Seite 299

(12 ) ebd. Seite 306

(13 ) ebd. Seite 307

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Die Entwicklung der deutschen Sprache
Note
1
Autor
Jahr
2000
Seiten
40
Katalognummer
V99793
ISBN (eBook)
9783638982306
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
sehr informativ und ausführlich
Schlagworte
Entwicklung, Sprache
Arbeit zitieren
Peggy Martin (Autor:in), 2000, Die Entwicklung der deutschen Sprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99793

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