Martin Heidegger - Die Frage nach der Technik


Ausarbeitung, 1999

13 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. KURZER BIOGRAPHISCHER ABRIß

2. DIE LEITMOTIVE IN HEIDEGGERS DENKEN

3. DIE FRAGE NACH DER TECHNIK
3.1. Die vier Formen von Ursache und das Verschulden
3.2. techne und aletheia
3.3. techne und Technik
3.4. Der Bestand
3.5. Das Ge -stell
3.6. Geschick und Freiheit
3.7. Die Gefahr und das Rettende

1. Kurzer biographischer Abriß

Martin Heidegger wurde am 26.9.1889 in Meßkirch geboren und starb am 26.5.1976 in Freiburg. Er gilt als Hauptvertreter der Existenzphilosphie.

Im Wintersemester 1909/10 nahm Heidegger sein Studium an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg auf. Schon bald entwickelte er ein großes Interesse an der Philosophie, wobei gerade die ,,Logischen Untersuchungen" des Begründers der Phänomenologie, Edmund Husserl, einen erheblichen Einfluß auf Heidegger ausübten.

Nach vier Semestern beendete Heidegger das Studium der Theologie und widmete sich ganz der Philosophie. Als Schüler Husserls übte er sich in der phänomenologischen Methode. Nach der Promotion im Jahre 1913 habilitiert Heidegger 1915 mit der Arbeit ,,Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus".

Bald schon eilt dem Privatdozenten Heidegger der Ruf eines großen Lehrers voraus. Das revolutionäre seiner Lehre war, daß er die Sache Husserls wirklich erreichte und die Vergangenheit und Tradition durch die Phänomenologie neu entdeckte. Es wurde nicht mehr nur über Platos Ideenlehre gesprochen; durch die phänomenologische Herangehensweise erkannten die Lernenden in den Schriften der griechischen Philosophen eine höchst gegenwärtige Problematik.1

1923 erfolgt die Berufung an die Universität Marburg. Im Jahre 1927 erscheint Heideggers wohl bedeutendes Werk: Sein und Zeit. Husserl, der in Heidegger zunächst den Fortsetzer seiner Lehre sah, war enttäuscht von dem Werk. Die sich in Sein und Zeit findende Phänomenologie war nicht im Sinne Husserls. In Heideggers Philosophie geschah ein Umbruch, auf den Husserl nicht gefaßt war. Das Werk Sein und Zeit nahm merklichen Einfluß auf die damalige Generation, obwohl es häufig auch mißverstanden wurde. 1928 wird Martin Heidegger nach Freiburg berufen. Ein großer Teil seiner Vorlesungen, Vorträge und Werke entstehen in der Abgeschiedenheit des Schwarzwaldes, wo er seit 1922 eine Hütte in Todtnauberg besitzt.

Im Jahre 1933 wird Heidegger zum Rektor der Albert-Ludwig-Universität gewählt. Dieses Amt legt er im Jahre 1934 wieder nieder.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird Heideggers Lehrberechtigung bis 1951 durch die Besatzungsmacht entzogen. Grund dafür ist sein umstrittenes Verhältnis zum nationalsozialistischen Regime.

1949 hält Heidegger vier Vorträge unter dem Titel Einblick in das was ist (Das Ding - Das Ge-stell - Die Gefahr - Die Kehre) im Bremer Club. Diese Vortragsreihe ist die Basis für den 1953 entstandenen Text ,, Die Frage nach der Technik".

2. Die Leitmotive in Heideggers Denken

Der Kern in Heideggers Denken ist doppelt2. Durch die ganze Philosophie Heideggers zieht sich gleichzeitig das Fragen nach dem Sein und das Fragen nach der aletheia. Der Begriff aletheia entspringt der griechischen Philosophie. Hier ist er ein Grundwort des Seinsverständnisses. Im griechischen Sinn ist der Umgang mit etwas Seiendem nur dann möglich, wenn er der Unverborgenheit entnommen ist. Vielmehr ist eine Aussage über etwas Seiendes nur realisierbar, sobald es schon unverborgen ist. Darum ist das Unverborgensein ein Zug des Seienden und ist in diesem Sinne die physis3. Der Mensch hat die Möglichkeit das Seiende Kraft seines logos in seiner Unverborgenheit wahrzunehmen.

Für Heidegger ist die aletheia nichts eigens Gedachtes. Sie ist als ein Gesichtskreis zu verstehen, der dem Menschen das Seiende zugänglich macht. Heidegger übersetzt aletheia auch als Wahrheit. Die Wahrheit ist also vom menschlichen Vernehmen abhängig.

3. Die Frage nach der Technik

Heidegger steht in seinem Werk Sein und Zeit der Phänomenologie sehr nahe. Nach der gängigen Meinung verliert sich der späte Heidegger dagegen scheinbar in poetisierenden Gedankenkonstrukten, die nichts mehr mit dem strengen Duktus der Phänomenologie zu tun haben. Nach Meinung von Walter Biemel ist jedoch der späte Heidegger nicht weniger phänomenologisch als der frühe. Seine Philosophie übersteigt aber das, was wir als Phänomenologie kennen.4

Der Sinn des Textes ,,Die Frage nach der Technik" liegt nicht darin, die Technik zu verherrlichen oder zu dämonisieren, sondern vielmehr in der Offenlegung eines Sachverhalts und in der Darstellung des Verhältnisses des Menschen zur Technik5. Allgemein gesagt, geht es um das Wesen der Technik, wie es Heidegger schon zu Beginn von ,,Die Frage nach der Technik" darstellt.

,,Die Technik ist nicht das gleiche wie das Wesen der Technik. Wenn wir das Wesen des Baumes suchen, m ü ssen wir gewahr werden, da ß jenes, was jeden Baum als Baum durchwaltet, nicht selber ein Baum ist, der sich zwischen den ü brigen B ä umen antreffen l äß t." 6

Heidegger meint nun, daß der Mensch nie sein Verhältnis zur Technik erkennen wird, solange er nicht nach dem Wesen der Technik fragt. Der Mensch bleibt blind gegenüber dem Wesen der Technik, wenn er sie als etwas neutrales begreift. Nach Ansicht Heideggers wird dieser Einstellung viel zu sehr gehuldigt.

Heidegger stellt zwei gängige Auffassungen von Technik dar:

- Technik ist ein Mittel für Zwecke
- Technik ist ein Tun des Menschen

Nach Heidegger gehören diese beiden Auffassungen zusammen. In diesem Sinne wird Technik als ein Instrument verstanden. Sie ist diesbezüglich ein Mittel zum Zweck:

,,Auch das Kraftwerk ist mit seinen Turbinen und Generatoren ein von Menschen gefertigtes Mittel zu einem von Menschen gesetzten Zweck." 7

Heidegger sagt, die Vorstellung der Technik als ein Instrument sei unheimlich richtig. Er weist jedoch auf das Problem hin, daß diese Vorstellung jede Bemühung verhindert, den Menschen in den richtigen Bezug zur Technik zu stellen. Die gängige Auffassung ist zwar unheimlich richtig, Heidegger fragt jedoch nach dem Wahren (dem Wesen der Technik) und zeigt somit einen Weg vom Richtigen zum Wahren auf8. Um diesen Weg gehen zu können, muß zunächst der Begriff des Instrumentalen geklärt werden.

3.1. Die vier Formen von Ursache und das Verschulden

Das Instrumentale beruht immer auf einem Mittel und einem Zweck. Ein Mittel dient dazu, etwas zu erreichen. Was eine Wirkung nach sich zieht, nennt man Ursache. Der Zweck aus dem sich die Mittel bestimmen, ist Ursache.

,,Wo Zwecke verfolgt, Mittel verwendet werden, wo das Instrumentale herrscht, da waltet Urs ä chlichkeit, Kausalit ä t." 9

In diesem Zusammenhang erläutert Heidegger die gängige Lehre der vier Ursachen und hinterfragt sie. Folgende Ursachen sind traditionell bekannt:

- causa materialis: der Stoff woraus etwas hergestellt ist
- causa formalis: die Form und Gestalt in der etwas erscheint
- causa finalis: der Zweck durch den die Sache Form und Stoff erhält
- causa efficiens: die Wirkursache, was die Sache bewirkt

Die Ursache wird in der dargestellten Auffassung als das Bewirkende beschrieben. Wirken heißt in diesem Zusammenhang Erzielen von Erfolg und Effekten. Dabei bestimmt die causa efficiens in maßgeblicher Weise alle Kausalität. Das geht so weit, daß die causa finalis überhaupt nicht mehr zur Kausalität gerechnet wird.

Was bei den Römern causa heißt und wir als Kausalität verstehen, findet sich bei den Griechen als Verschulden, des Schuldseins-an.

Heidegger verdeutlicht die vier Weisen des Verschuldens am Beispiel des Silberschmieds:

Das Silber ist das Material aus dem eine Opferschale besteht. Deshalb hat das Silber Mitschuld an der Sache. Die Schale schuldet also dem Silber das, woraus sie besteht. Die Schale schuldet weiterhin ihre Erscheinung der Form und des Aussehens. Das maßgebliche und umgrenzende ist die Verwendungsweise der vorliegenden Opferschale, das Vollendende. Auch der Silberschmied ist mitschuld an der Existenz der Opferschale. Seine Mitschuld beruht jedoch nicht rein auf seiner Rolle als Verfertiger im Sinne eines Effekt des Machens, also nicht als causa efficiens. Hier erwähnt nun Heidegger, daß die Lehre Aristoteles die vierte Kausalität in diesem Sinne gar nicht kennt.

Der Schmied versammelt die ersten drei Weisen des Verschuldens und bringt sie ins Spiel. Seine Schuld an der Schale beruht im Hervorbringen der Opferschale unter Einbezug der oben genannten drei Weisen.

Heidegger weist ausdrücklich auf den ursprünglichen Sinn von Verschulden hin, was nichts mit der moralischen Verfehlung oder einer bestimmten Art des Bewirkens zu tun hat. Verschulden heißt, das Vor- und Bereitliegen einer Sache. Die vier Weisen des Verschuldens bringen also etwas ins Erscheinen; etwas noch nicht Anwesendes gelangt ins Anwesen. Diese Veranlassung heißt bei den Griechen poiesis. Dabei gilt nicht nur das menschliche Tun als poiesis, sondern auch Natur ist poiesis, weil sie von sich aus etwas in die Anwesenheit bringt (der Unterschied zum Menschen besteht darin, daß die Natur an sich selbst und in ihr selbst hervorbringt).

Das Hervorbringen ist ein Prozeß, bei dem etwas aus der Verborgenheit in die Unverborgenheit gelangt. Diesen Vorgang versteht Heidegger als das Entbergen (griechisch: aletheia; latein: veritas TM Wahrheit)

Hier gelangt Heidegger an den Punkt, an dem er den Zusammenhang zwischen Technik und aletheia, dem Entbergen, verdeutlicht. Das Her- vor-bringen, welches immer auf das Entbergen basiert, bekommt seinen Ausdruck durch die vier Weisen der Veranlassung - die Kausalität. In den Bereich der Kausalität gehört wiederum Zweck und Mittel, also das Instrumentale, welches ein Grundzug der Technik ist.

,,Die Technik ist also nicht blo ß ein Mittel. Die Technik ist eine Weise des Entbergens. Achten wir darauf, dann ö ffnet sich uns ein ganz anderer Bereich f ü r das Wesen der Technik. Es ist der Bereich der Entbergung, d.h. der Wahrheit". 10

3.2. techne und aletheia

Bei der Klärung des Begriffs Technik macht Heidegger darauf aufmerksam, daß der griechische Ursprung techne zum einen die Bedeutung für ein handwerkliches Tun und Können hat. Zum anderen ist er auch der Name für die hohe Kunst und die schönen Künste. Die techne ist eine Weise des Her-vor-bringens, sie ist etwas poietisches. Weiterhin geht techne schon seit Platon mit episteme (Erkenntnis) einher. Beide Begriffe bedeuten das Sichauskennen.

,,Das Erkennen gibt Aufschlu ß . Als aufschlie ß endes ist es ein Entbergen" 11

Die techne ist also eine Weise des Entbergens. Im Vorgang des Entbergens wird etwas hervorgebracht was sich nicht selbst hervorbringen kann und noch nicht vorliegt. Dies gilt sowohl für ein Haus, ein Schiff oder eine Opferschale. Unter dem Einbezug der vier Weisen der Veranlassung wird das Her- vor-zu-bringende auf eine bestimmte Art (diese wird von den vier Weisen bestimmt) entborgen. Wichtig ist hier nicht das Machen und Hantieren mit Mitteln, sondern das Entbergen selbst. Techne ist also ein Her-vor-bringen. Somit beweist Heidegger, das scho n in der griechischen Philosophie ein Zusammenhang zwischen techne und aletheia gesehen wurde.

3.3. techne und Technik

Im nächsten Schritt nimmt Heidegger den möglichen Einwand auf, daß diese Art der Bestimmung des Begriffes techne nur gültig im griechischen Bereich, jedoch nicht auf die heutige Kraft-Maschinen- Technik im Zusammenhang mit der neuzeitlichen Naturwissenschaft anzuwenden sei.

Heidegger stellt folgende zwei Fragen:

1. Gilt für die neuzeitliche Technik der Zusammenhang zwischen aletheia und techne?
2. Was ist das eigenwesentliche der neuzeitlichen Technik?

Die erste Frage bejaht Heidegger ohne einen Zweifel: für ihn ist die moderne Technik ebenfalls ein Entbergen. Um den Zusammenhang der modernen Technik mit aletheia zu verstehen, muß die zweite Frage betrachtet werden. Diese zweite Frage impliziert gleichzeitig die Frage nach dem Verhältnis des von der Technik geprägten Menschen zum Gegebenen.12 Das Her-vor-bringen der modernen Technik hat nichts zu tun mit der poiesis. Das Entbergen der modernen Technik ist vielmehr ein Herausfordern an die Natur: Landstriche werden zur Förderung von Erzen und Rohstoffen herausgefordert, der neuzeitliche Ackerbau zeigt sich als ,,motorisierte Ern ä hrungsindustrie". Der Rheinstrom dient als Energielieferant. Durch das Bestellen der Energie, erscheint auch plötzlich der Rhein als etwas Bestelltes.

,,Das Wasserkraftwerk ist nicht in den Rheinstrom gebaut wie die alte Holzbr ü cke, die seit Jahrhunderten Ufer mit Ufer verbindet. Vielmehr ist der Strom in das Kraftwerk verbaut. Er ist, was er jetzt als Strom ist, n ä mlich Wasserdrucklieferant, aus dem Wesen des Kraftwerks.(...) Aber der Rhein bleibt doch, wird man entgegnen, Strom der Landschaft. Mag sein, aber wie? Nicht anders denn als bestellbares Objekt der Besichtigung durch eine Reisegesellschaft, die eine Urlaubsindustrie dorthin bestellt hat." 13

Es geht immer um den größtmöglichen Nutzen bei möglichst geringem Aufwand. Das Entbergen das der modernen Technik inhärent ist, ,, (...) hat den Charakter des Stellens im Sinne der Herausforderung." 14 Das Erschließen der Energie und deren Umformung, Speicherung, Verteilung und Umschaltung sind Weisen des Entbergens. Alles wird so bestellt, damit es bestellbar ist. Alles muß zur Stelle sein, damit es der Mensch bestellen kann. In der technischen Haltung wird alles im Hinblick auf die Verfügbarkeit und Bestellbarkeit präsent - alles wird zum Bestand.

3.4. Der Bestand

Hier bemerkt Biemel, daß das Zum- Bestand-werden des Seienden eine neue Epoche markiert. In der vorangegangenen Epoche wurde das Gegenüber als Gegenstand verstanden, da der Mensch der Neuzeit sich als Subjekt und das Andere als Objekt sah. Heute ist das Gegenüber Bestand und nicht Gegenstand. Heidegger geht so weit, den Menschen selbst als Bestand zu bezeichnen. Der Mensch, der die Natur bestellt, ist selbst herausgefordert, er ist bestellt. So ist beispielsweise der Förster von der Holzindustrie bestellt, den Wald zu bestellen. Anschaulich verdeutlicht dies auch der Begriff ,,Menschenmaterial" im Produktionsprozeß15.

Andererseits wird der Mensch niemals zum bloßen Bestand, da er ins Bestellen gestellt ist. Da der Mensch selbst die Technik betreibt, ,, nimmt er am Bestellen als einer Weise des Entbergens teil" 16 Biemel verdeutlicht die Radikalisierung des heutigen Zustandes mit dem Begriff Können im Unterschied zum Wissen. Durch das Bestellen des Bestands steht nicht mehr das Wissensmäßige, sondern das Könnenmäßige im Vordergrund. Können ist zwar nicht ohne das Wissen möglich, das Können wird jedoch zum Kriterium des Wissens. Können bedeutet Mächtigsein und zeigt sich in der Verfügungsgewalt über den Bestand17.

3.5. Das Ge-stell

Der Mensch ist Herausgefordert, das Wirkliche als Bestand zu bestellen, es so zu nehmen und zu nutzen, wie es sich zeigt. Diese Herausforderung versammelt den Menschen im Vorgang des Bestellens. Der herausfordernde Anspruch, der den Menschen im Bestellen des Sichentbergenden (der Bestand, die Wirklichkeit) einigt und versammelt, nennt Heidegger das Ge-stell.

Heidegger gebraucht diesen Begriff nicht im Sinne von Gerüst, Apparatur oder Gerätschaft. Ge-stell ist bei Heidegger ganz und gar ungegenständlich.

,,Ge-stell hei ß t das Versammelnde jenes Stellen, das den Menschen stellt, d.h. herausfordert, das Wirkliche in der Weise des Bestellens als Bestand zu entbergen. Ge-stell hei ß t die Weise des Entbergens, die im Wesen der modernen Technik waltet und selber nichts Technisches ist." 18

Im Unterschied zum Begriff Ge-stell fallen so gegenständliche Begriffe wie z.B. Gestänge, Geschiebe und Gerüste in den dinglichen Bereich der Montage. Diese wiederum ist ein Bestandteil der technischen Arbeit. Dieser Bereich entspricht lediglich der Herausforderung des Ge-stells, er ist nicht mit ihm gleichzustellen. Ge-stell ist als das Wesen der Technik zu verstehen.

Innerhalb des Ge-stelles geschieht die Unverborgenheit. Es geschieht, indem der Mensch durch die Technik das Wirkliche als Bestand entbirgt.

Das Entbergen des Bestands steht in engem Zusammenhang mit der neuzeitlichen Wissenschaft. Durch sie zeigt sich die Wirklichkeit als ein berechenbarer Kräftezusammenhang. Diese Sichtweise fordert den Menschen zum Entbergen und Bestellen des Bestandes heraus. Die neuzeitliche Naturwissenschaft ist nicht nur die Basis der Technik, sie hat vielmehr das Wesen (also das Ge-stell) der heutigen Technik geprägt. Heidegger bezeichnet deshalb auch die neuzeitliche Physik als Vorbote des Ge-stells.19 Das Ge-stell ist nichts Dingliches und nichts Technisches. ,, Es ist die Weise, nach der sich das Wirkliche als Bestand entbirgt" 20 . Das besondere an diesem Entbergen ist, daß es einerseits nicht jenseits des Menschen geschieht, aber auch nicht nur durch ihn. Der Mensch ist herausgefordert das Wirkliche als Bestand zu entbergen. Dadurch steht er zwangsläufig im Wesensbereich des Ge-stells. Er gehört zum Entbergen dazu, hat aber auch keinen gewichtigen Einfluß darauf, er ist nicht der Meister des Ge-stells.

3.6. Geschick und Freiheit

Das versammelnde der Herausforderung läßt den Menschen im Wesensbereich des Ge-stells stehen, ohne daß er willentlich über es verfügen kann. Der Mensch befindet sich also immer auf dem Weg des Entbergens. Er ist geschickt. Heidegger hält es für unerläßlich, dieses Geschick zu überdenken. Erst das Geschick ermöglicht es dem Menschen nicht nur über den Umgang mit dem Seienden nachzudenken, sondern sich der Unverborgenheit zuzuwenden und nach ihr zu fragen. Man hatte in Heideggers bisheriger Ausführung den Eindruck, daß es sich bei dem Ge-stell um einen schicksalshaften Stand des Menschen im Verhältnis zur Technik handelt. Mit dem Gebrauch des Begriffs Ge-schick zeigt Heidegger jedoch einen Weg und eine Chance auf:

,,Immer durchwaltet den Menschen das Geschick der Entbergung. Aber es ist nie das Verh ä ngnis eines Zwanges. Denn der Mensch wird gerade erst frei, insofern er in den Bereich des Geschickes geh ö rt und so ein H ö render wird, nicht aber ein H ö riger." 21

Das Geschick des Menschen ist zu entbergen. Das Entbergen selbst sieht Heidegger in nächster Nähe zur Freiheit; das Entbergen kommt aus der Freiheit. Da das Wesen der Technik im Ge-stell beruht und dieses wiederum ein Geschick des Entbergens ist, so befindet sich der Mensch im Bereich der Freiheit. Die Technik ist dann nicht mehr das Schicksal unseres Zeitalters. Wendet sich der Mensch dem Wesen der Technik zu, so ,, finden wir uns unverhofft in einen befreienden Anspruch genommen". 22 Unverborgenheit gibt es nur für das Wesen, welches selbst offen ist und so Unverborgenheit austragen kann. 23

3.7. Die Gefahr und das Rettende

Heidegger spricht von der notwendigen Gefahr des Geschicks der Entbergung. Das Geschick läßt dem Menschen zwei Möglichkeiten: entweder er verbleibt mit seiner Blickrichtung auf dem, was er durch Bestellung entbirgt, oder er läßt sich auf das Wesen des Unverborgenen und dessen Unverborgenheit ein. Wendet sich der Mensch nur dem ersteren zu, so besteht die Gefahr, daß er alle Maße verliert. Die Berechenbarkeit des Anwesenden durch die Naturwissenschaft verstellt dem Menschen oft die Sicht auf das Wahre.

Die allerhöchste Gefahr zeigt sich in zweierlei Hinsicht. Wenn das Unverborgene nur noch als Bestand gilt und der Mensch diesen Bestand bestellt, steht der Mensch am Rande, selbst zum Bestand zu werden. Diesen Verlust seiner Stellung versucht nun der Mensch auszugleichen, indem er sich selbst über alles erhebt. Man könnte nun meinen, daß wenn sich der Mensch die Wirklichkeit in all ihren Bereichen zum Bestand macht, man dem Menschen auch überall begegnen müßte (und sei es in der Umweltverschmutzung). Heidegger verneint jedoch diese Möglichkeit:

,,Indessen begegnet der Mensch heute in Wahrheit gerade nirgends mehr sich selber, d.h. seinem Wesen." 24

Das Wesen des Menschen sieht Heidegger in dem Bezug zur Unverborgenheit. Es handelt sich hier um den Grundbezug25. Dieser Bezug ist jedoch bei der rein bestellenden Einstellung nicht zu sehen. Das Wesen des Menschen sieht Heidegger dagegen als ein in das Unverborgene hinausstehende. Der Mensch übernimmt die Unverborgenheit und verwahrt sie. Biemel stellt dar, daß diese Sicht des Menschen auf den heutigen Menschen befremdlich wirkt. Vielmehr würde der heutige Mensch eine Sichtweise verstehen, in der der Mensch als ein sich durch Arbeit produzierendes Wesen dargestellt wird, er im Grunde schon wieder Bestand ist. Die Unverborgenheit hat dagegen nichts mit dem Produkt eines menschlichen Tuns zu tun.

Im Wesen der Technik besteht für Heidegger sowohl die Gefahr, als auch das Rettende. Dem Blick auf das Ge-stell, dem Wesen der Technik gilt es sich zu öffnen, um sowohl die Gefahr wie auch das Rettende zu erkennen. Das Wesende beschreibt Heidegger als etwas, das währt, etwas, das während ist.26 Das Wesende der Technik ist das Ge-stell. Die Bedrohung wird für Heidegger wirklich, indem der Mensch möglicherweise nicht mehr in ein ursprüngliches Entbergen eintritt (sondern nur noch den Betsand stellt) und so nicht mehr die anfängliche Wahrheit erfahren kann27.

Heidegger denkt die Unverborgenheit als etwas gewährendes. Die Unverborgenheit gewährt die Offenheit, in sie ist der Mensch geschichtlich gestellt, sie macht ihm Seiendes auf bestimmte Weise zugänglich28.

Wie schon oben gezeigt, kommt im Ge-stell eine gewisse Art der Unverborgenheit zum Tragen. Da die Unverborgenheit aber auch gewährt, bietet sich dem Menschen hier die Chance: der Mensch kann im Bezug zur Wahrheit gedacht werden, der Wesens-Verlust (das pure Bestellen des Bestands) kann überwunden werden. Eine Möglichkeit in der Überwindung des Wesens-Verlust sieht Heidegger in der Kunst. Wie oben schon gezeigt ist techne auch das Hervorbringen des Wahren in das Schöne. Techne im ursprünglichen Sinn war ein vielfältiges Entbergen und kein artistisches Kulturschaffen. Sie war ein her-vor- bringendes Entbergen.29

,,Diesen Namen erhielt zuletzt jenes Entbergen als Eigennamen, das alle Kunst des Sch ö nen durchwaltet, die Poesie, das Dichterische." 30

Das Dichterische bedeutet Entbergung des Wahren. Heidegger mißt der Kunst deshalb einen so hohen Rang zu, da sie mit dem Wesen der Technik verwandt aber auch grundverschieden ist:

,,Weil das Wesen der Technik nichts Technisches ist, darum mu ß die wesentliche Besinnung auf die Technik und die entscheidende Auseinandersetzung mit ihr in einem Bereich geschehen, der einerseits mit dem Wesen der Technik verwandt und andererseits von ihm doch grundverschieden ist." 31

Zum Schluß stellt Heidegger nochmals fest, daß im Moment das Wesende der Technik vor lauter Technik noch nicht erfahren werden kann, genauso wie wir das Wesen der Kunst (das ursprüngliche Entbergen) vor lauter Ästhetik nicht mehr bewahren. Um so mehr jedoch das Wesen der Technik bedacht wird, um so geheimnisvoller stellt sich uns das Wesen der Kunst dar.

,,Je mehr wir uns der Gefahr n ä hern, um so heller beginnen die Wege ins Rettende zu leuchten, um so fragender werden wir. Denn das Fragen ist die Fr ö mmigkeit des Denkens." 32

[...]


1 Biemel, Walter: Martin Heidegger. Hamburg: Rowohlt 1973 (=rororo bildmonographien). S.10 ff

2 Ebd. S.35

3 Ebd. S.35

4 Ebd. S. 111

5 Ebd S.115

6 Heidegger S. 14

7 Ebd. S. 18

8 Biemel, a.a.O., S. 111

9 Heidegger, a.a.O. S. 20

10 Ebd. S. 34

11 Ebd. S. 34

12 Biemel, a.a.O. S. 114

13 Heidegger, a.a.O. S. 42

14 Ebd S. 42

15 Ebd. S.48

16 Ebd. S.48

17 Biemel, a.a.O. S.115

18 Heidegger, a.a.O. S. 54

19 Ebd. S.58

20 Ebd. S.64

21 Ebd. S.66

22 Ebd. S.68

23 Biemel, a.a.O. S.119

24 Heidegger, a.a.O. S.74

25 Biemel, a.a.O. S.121

26 Heidegger, a.a.O. S.84

27 Biemel, a.a.O. S.121

28 Ebd. S.122

29 Heidegger, a.a.O. S.96

30 Ebd. S. 96

31 Ebd. S.98

32 Ebd. S.100

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Martin Heidegger - Die Frage nach der Technik
Hochschule
Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau
Veranstaltung
Theoretische Grundlagen der Ökosoziologie
Autor
Jahr
1999
Seiten
13
Katalognummer
V99807
ISBN (eBook)
9783638982443
Dateigröße
466 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Martin, Heidegger, Frage, Technik, Theoretische, Grundlagen
Arbeit zitieren
Bernd Schüssele (Autor:in), 1999, Martin Heidegger - Die Frage nach der Technik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99807

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