Habermas: Ausdifferenzierung der Lebenswelt


Referat (Ausarbeitung), 2001

6 Seiten


Leseprobe


Habermas - Ausdifferenzierung der Lebenswelt

Aufgabenstellung:

(3) Welche Entwicklungsprozesse in den abendländischen Gesellschaften waren Voraussetzung für die Mediatisierung der Lebenswelt? Erläutern sie dabei den Medienbegriff!

In seinem Werk „Die Theorie des kommunikativen Handelns“ geht Habermas unter anderem darauf ein, welche Entwicklungsprozesse in der abendländischen Gesellschaft Voraussetzung für die Mediatisierung der Lebenswelt waren.

Voraussetzung für die Mediatisierung ist laut Habermas die soziale Evolution, die sich als Differenzierungsprozeß darstellt. Diese Differenzierung ist dadurch gekennzeichnet, dass sich System und Lebenswelt voneinander entfernen, d.h. distanzieren und sich damit auch differenzieren. Vormals hat die Lebenswelt nur eine Art Umwelt zum System ansich dargestellt, d.h. das Institutionensystem war lediglich von Komponenten wie Kultur und Persönlichkeit umgeben. Jedoch ist die Lebenswelt notwendig für den Erhalt und Fortbestand des Systems.

System und Lebenswelt differenzieren sich, indem die Komplexität des Systems und die Rationalität der Lebenswelt wächst.

Ein Beispiel dazu wäre die Ausdifferenzierung der Berufe. Berufsgruppen spezialisieren sich in eine bestimmte Richtung und stellen neue Berufe dar1.

Auf der Analyseebene der Differenzierung bildet sich nun die Entkopplung von System und Lebenswelt. Die Lebenswelt ist mit einem wenig differenziertem Gesellschaftssystem koextensiv, wird aber immer mehr zu einem Subsystem neben anderen herabgesetzt. Dabei lösen sich systemische Mechanismen immer weiter von den sozialen Strukturen ab, über die sich die soziale Integration vollzogen hat.

Moderne Gesellschaften erreichen eine Ebene der Systemdifferenzierung, auf der autonom gewordene Organisationen über entsprachlichte Kommunikationsmedien miteinander in Verbindung stehen. Hier läßt sich eine Mediatisierung bereits erkennen.

Diese systemischen Mechanismen steuern einen von Normen und Werten weitgehend abgehängten sozialen Verkehr, nämlich jene Subsysteme zweckrationalen Handelns- Die Wirtschaft und Verwaltung.

Dennoch bleibt die Gesellschaft ein Subsystem, welches den Bestand des Gesellschaftssystems im Ganzen definiert. Diese systemischen Mechanismen bedürfen einer Verankerung in der Lebenswelt- sie müssen institutionalisiert werden. Bei einem geringen Grad von Differenzierung bestehen noch enge Zusammenhänge zwischen System und sozialer Integration, die sich jedoch mit der stärkeren Ausdifferenzierung auflösen.

Im Folgenden möchte ich die von Jürgen Habermas beschriebene Differenzierung vertiefen. Habermas zufolge löst sich das kommunikative Handeln mit fortschreitender Motiv- und Wertgeneralisierung mehr und mehr von konkreten und überlieferten normativen Verhaltensmustern. Mit Motiv- und Wertgeneralisierung entsteht Raum für Subsysteme zweckrationalen Handelns (z.B. in der Ökonomie und im öffentlichem Recht). Die Wertgeneralisierung ist also die Entbindung des Rationalitätsprinzips aus dem kommunikativen Handeln. Damit wird die Lebenswelt rationalisiert.

Mit der Entkopplung von kommunikativen Handeln geht die Bürde sozialer Integration immer stärker auf die sprachlichen Konsensbildungsprozesse über. Die allgemeinen Strukturen des verständigungsorientierten Handelns werden durch die Umpolung der Handlungskoordinierung auf den Verständigungsmechanismus (Medium) stärker hervor gehoben.

Die Wertgeneralisierung ist also notwendig, um das Rationalitätspotential vom kommunikativen Handeln zu lösen. Zugleich bedeutet dies die Trennung von erfolgs (strategisch)- und verständigungsorientierten Handeln. Und erst wenn sich strategisches Handeln ausdifferenziert hat, kann die Handlungskoordinierung auf entsprachlichte Kommunikationsmedien umgestellt werden. Ich möchte diese Entwicklung mit einem Beispiel etwas illustrieren und bildhafter machen: Auf einem Markplatz in einer vorchristlichen Gesellschaft war man auf ein Ziel aus, nämlich die Hühner loszuwerden. Dies könnte über zahllose Gespräche geschehen. A sprach mit B einen Tauschhandel aus und oberste Maxime dieses Gesprächs war es, einen gemeinsamen Nenner zu finden, mit denen beide Parteien zufrieden wären. Man handelte verständigungsorientiert. A wurde 5 Hühner los und bekam dafür 1 Lamm von B und führte dabei noch angeregt Konversation mit B. In modernen Gesellschaften ist das Ziel der Verkauf. Ein gewisser Preis ist von vornherein fest geschrieben und an dem läßt sich auch durch Gespräche nicht mehr rütteln. 5 Eier kosten nunmal 1,29 DM. Daran ist nichts zu ändern und bezahlt wird mit Geld. A will Eier gegen Geld tauschen und B Geld gegen Eier. Es findet kein Gespräch mehr statt, welches in vorchristlichen Gesellschaften nach gewissen Normen ablief (nicht lügen, Sachlichkeit bewahren, u.a.). Die Kommunikation läuft nun nicht mehr über Sprache und hat als Ziel nicht mehr die Verständigung, sondern die Kommunikation läuft über ein entsprachlichtes Kommunikationsmedium ab; in diesem Fall über Geld.

Ich denke, dieses Beispiel hat recht gut die Entkopplung des erfolgsorientiertem vom verständigungorientiertem Handeln gezeigt. Auch der Begriff „Medium“ wurde erwähnt. Dazu nun mehr.

Im Zuge der Differenzierung zwischen verständigungsorientierten und erfolgsorientierten Handeln bilden sich 2 Entlastungsmechanismen und zwar in Form von Kommunikationsmedien. Sie ersetzen oder kondensieren sprachliche Verständigung. Am Ansehen und am Einfluß setzt die Medienbildung an. Ansehen und Einfluß sind interdepentisch: Ansehen verschafft Einfluß und Einfluß erhöht das Ansehen. Man kann es trotzdem in Bezug auf die Quellen analytisch auseinander halten. Ansehen stützt sich auf Persönlichkeitsattribute wie physische Stärke, körperliche Attraktivität, technisch-praktische Fähigkeiten, intellektuelle Fähigkeiten und Zurechnungsfähigkeit. Diese Zurechnungsfähigkeit setzt sich laut Habermas wieder rum zusammen aus Willensstärke, Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit. Dies alles sind Tugenden eines an Geltungsansprüchen orientierten Handelns. Einfluß ist auf der anderen Seite die Verfügung von Ressourcen.

Basis und Wissen sind die beiden Basisquellen für den Einfluß. In den Quellen von Ansehen und Einfluß ist eine Differenzierung auf den Linien empirisch motivierter Bindung2 und rational motivierten Vertrauens3 angelegt.

Nun kann das Problem der Entlastung von Kommunikationsaufwand und Dissensrisiken auf einer nächst höheren Stufe so gelöst werden, dass Ansehen und Einfluß nicht mehr nur Konsens- und Folgebereitschaften induzieren, sondern das sie selber generalisiert werden. Dadurch bilden sich aus Ansehen und Einfluß Steuerungsmedien. Wie man nun sehen kann ist eine bestimmte Art oder Variante der Differenzierung grundlegend für die Medienbildung. Diese Differenzierung ist eine Trennung der empirisch motivierten Bindung von den Formen des rational motivierten Vertrauens.

Auch Macht und Geld sind Medien. Laut Parsons AGIL-Schema ist Macht das Medium der Politik und Geld das Medium der Ökonomie. Diese beiden Medien setzen an empirisch motivierten Bindungen an, während sich generalisierte Formen der Kommunikation, wie die fachliche Reputation, sich grundsätzlich auf rational motiviertes Vertrauen stützt. Ein wachsender Rationalitätsdruck, dem eine problematische Lebenswelt auf den Verständigungsmechanismus ausübt, erhöht den Verständigungsbedarf und damit nehmen der Integrationsaufwand und das Dissensrisiko zu. Diese Anforderungen und Gefahren können durch Kommunikationsmedien abgefangen werden.

Die Umstellung der Handlungskoordinierung von Sprache auf Medien bedeutet eine Abkoppelung der Interaktion von seiner lebensweltlichen Umwelt.

Der lebensweltliche Kontext wird entwertet bzw. für eine Handlungskoordinierung nicht weiter benötigt, denn Medien ersetzen sprachliche Kommunikation durch symbolische Generalisierung von Schädigungen und Entschädigungen.

Die Umstellung des Handelns auf Steuerungsmedien erscheint aus der Lebensweltperspektive sowohl als eine Entlastung von Kommunikationsaufwand wie auch als eine Konditionierung von Entscheidungen in erweiterten Kontingenzspielräume. Man spricht hier nun von einer „Technisierung der Lebenswelt“4.

Medien sind zwiespältig: auf der einen Seite bedürfen sie keiner Rückkoppelung an die Lebenswelt , sind aber auf der anderen Seite dennoch von der Rationalisierung der Lebenswelt abhämgig.

In dem Habermas-Text läßt sich ein Beispiel finden, welches ganz trivial die Mediatisierung darstellt. In den modernen Gesellschaften entfaltete eine alte Erfindung erst ihre ganze Bedeutung ; auch ihre Bedeutung für die Politik und die Kultur. Die Druckpresse, mit welcher man nun Bücher drucken konnte, schränkte das kommunikative Handeln ein. Mit dem Buchdruck und dem Buch ansich wurde die Sprache zur Schrift differenziert und in jenem festgesetzt. Im 20. Jahrhundert ist diese Entwicklung und Einschränkung mit der Einführung elektronischer Mittel der Massenkommnunikation noch einmal verschärft worden.

Je mehr die sprachliche Konsensbildung durch Medien entlastet wird, um so komplexer werden die Netze mediengesteuerter Interaktionen.

Über Medien werden neue Subsysteme ausdifferenziert und mit diesen Subsystemen schaffen sich die systemischen Mechanismen ihre eigenen, normfreien über die Lebenswelt hinausragenden Sozialstrukturen. Jedoch kommt es zur Institutionalisierung der Medien. Geld wird beispielsweise über Institute des bürgerlichen Privatrechts wie Eigentum und Vertrag institutionalisiert, Macht hingegen über öffentlichrechtliche Organisationen (Ämter).

Es besteht jedoch eine Differenzierung zwischen Geld und Macht. Macht bedarf nicht nur wie Geld eine Form von Deckung (Barren, Münzen bzw. Zwangsmittel), bedarf nicht nur einer rechtlichen Norminierung, Macht bedarf noch einer weiteren Vertrauensgrundlage, der Legitimation.

Aber Macht als Medium hängt eher mit normierten Aufforderungen als mit einfachen Imperativen zusammen. Dies läßt Macht für die Rolle eines Steuerungsmediums, das vom Aufwand und Risiko sprachlicher Konsensbildung entlastet werden soll, weniger geeignet erscheinen als Geld, da Geld keiner Legitimation bedarf.

Aus einem „Macht-Geld-als-Medium-Vergleich“ ,der von Habermas überleht wurde, leitet er Bedingungen für eine optimale Institutionalisierung von Medien ab. Unter anderem darf durch die normative Verankerung (allgemeine Anerkennung) der Medien kein neuer Kommunikationsaufwand entstehen, dürfen keine weiteren Dissensrisiken verursacht werden.

Zusammenfassend in Bezug auf die Mediatisierung läßt sich sagen, dass eine fortschreitend rationalisierte Lebenswelt in Modernisierungsprozessen ihre formal organisierten Handlungsbereiche wie Ökonomie und Staatsverwaltung immer komplexer werden läßt.

Diese durch Medien ausdifferenzierten Subsysteme werden zugleich entkoppelt und in Abhängigkeit gebracht. Medien sind unantastbar und bewegen sich im normfreiem Raum. Sie 5 ermöglichen den Umgang mit den von ihnen ausdifferenzierten Subsystemen ohne das sprachliche Kommunikation benötigt wird.

Im fortschreitenden Prozeß kommt es zur Institutionalisierung der Medien. Trotz allem stehen sie noch immer in Abhängigkeit zur Lebenswelt.

Laut Parsons besitzen die Medien jedoch eine Schwäche, sie versagen in Bereichen der kulturellen Reproduktion, der sozialen Integration und der Sozialisation. Medien können handlungskoordinierende Mechanismen der Verständigung in diesen Funktionen nicht ersetzen. Nur Handlungsbereiche, die politische und ökonomische Funktionen erfüllen, können auf Steuerungsmedien umgestellt werden.

[...]


1 vgl. Peter M. Blau: „Struktur und soziales System“ 1978

2 eine empirisch motivierte Bindung ensteht durch den Anreiz bzw. durch die Abschreckung von physischer Stärke, körperlicher Anziehungskraft

3 rational motiviertes Vertrauen: Vertrauen, welches durch begründetes Einverständnis motiviert wird

4 Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, vgl. Seite 273

Ende der Leseprobe aus 6 Seiten

Details

Titel
Habermas: Ausdifferenzierung der Lebenswelt
Autor
Jahr
2001
Seiten
6
Katalognummer
V105167
ISBN (eBook)
9783640034642
Dateigröße
333 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Habermas, Ausdifferenzierung, Lebenswelt
Arbeit zitieren
M. Rocks (Autor:in), 2001, Habermas: Ausdifferenzierung der Lebenswelt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105167

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