Wortbedeutungswandel am Beispiel von Heinrich Heines Atta Troll. Ein Sommernachtstraum


Seminararbeit, 1996

27 Seiten, Note: 2


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

I. Einleitung

II. Heinrich Heine und das Versepos "Atta Troll"
a) Heinrich Heine - ein biographischer Abriß
b) "Atta Troll. Ein Sommernachtstraum" - Inhalt, Bedeutung und Form

III. Analyse an Auszügen aus "Atta Troll"
Exkurs: Die Französisierung der deutschen Sprache und des kulturellen Lebens

IV. Zusammenfassung

V. Literaturverzeichnis

I. EINLEITUNG

Die menschliche Sprache ist kein in sich geschlossenes, vollendetes und unveränderbares Zeichen- und Kommunikationssystem, sondern ein durch den Menschen lebendig gehaltener Organismus, der der Veränderung unterliegt, der erweitert und verringert, der moduliert werden kann und wird. Sprache ist dynamisch und sie ist, seit es sie gibt, einem ständigem Wandel unterworfen: Worte ändern sich im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte. Es verändert sich ihr Laut, ihre Lautgruppe, ihre Formen der Wortbeugung und -bildung ebenso wie sich ihr Sprachkörper und schließlich auch ihre Inhalte, Vorstellungen und Begriffe ändern. Genauso kommt es aber auch zu Neuschöpfungen von Worten, einhergehend mit dem 'Sterben' stetig weniger in Anspruch genommener, veralteter Wörter und schließlich 'toten' Begriffen, die aus dem gegenwärtigen Sprachgebrauch und -verständnis herausgedrängt worden sind, deren Bedeutungssinn abhanden gekommen ist.

Worte, die diesem 'Schicksal' nicht unterliegen, erfahren meistens dennoch einen Wandel im Bild-, Sinn- oder Wertgehalt als auch in ihrer Morphologie. Diese vorliegende Arbeit möchte sich vornehmlich mit dem Wandel der Wortbedeutung befassen. So kann die Bedeutung eines Wortes sich in verschiedene Richtungen verschieben und entwickeln: Der Sinngehalt kann erweitert, verengt, verbessert, verschlechtert oder verhüllt (Euphemismus) werden. Darüber hinaus kann dem Wort eine Bedeutungsübertragung (Metapher) als auch eine Bezeichnungsvertauschung (Metonymie) widerfahren.

In vorliegender Arbeit soll das Phänomen des Wortbedeutungswandels anhand eines literarischen Textes aus dem 19.Jh. veranschaulicht werden, indem dort verwendete Wörter - die mit unserem heutigen Sprachgebrauch nicht mehr ohne weiteres verstanden werden können oder die zumindestens nicht mehr in der aktiven Sprachanwendung benutzt werden - auf ihren Ursprung und ihren Wandel hin analysiert werden. Außerdem soll so die Aussage des literarischen Textes, insofern diese von betroffenen Wörtern abhängig ist, geklärt und verständlich gemacht, sprich: in unsere Gegenwartssprache übersetzt werden. Hierfür sollen Auszüge aus Heinrich Heines 1841 verfaßtem Versepos "Atta Troll. Ein Sommernachtstraum" als Grundlage dienen. Anhand der Analyse auf veraltete oder 'tote' Wörter soll verdeutlicht werden, inwieweit sich Heines Sprache zur heutigen geändert hat, wie sehr sein Ausdruck und damit seine Wortwahl sich in den letzten 150 Jahren gewandelt haben, ob sie veraltet oder gar unverständlich geworden sind. Interessant ist auch die Frage, ob gewandelte Worte eher ab- oder aufgewertet worden sind, welche Entwicklung häufiger auftritt.

Und da Heinrich Heine immer wieder als 'Vorläufer der Moderne' eingeordnet wird, stellt sich die weitere Frage nach der wirklichen Modernität seiner Sprache. Schließlich soll bei der Textanalyse darauf geachtet werden, ob sich an Heines Wortwahl Einflüsse von historischen Perioden auf den Wortwandel nachweisen lassen. So sind die gravierenden Ursachen des Wortwandels auf große historische Ereignisse und Umwälzungen - sowohl in evolutionärer als auch in revolutionärer, sprich: gesteuerter Weise - zurückzuführen. Beispielsweise hat die jahrhundertelange französische Vorherrschaft im neuzeitlichen Europa erheblichen Einfluß auf die deutsche Sprache gehabt, ebenso wie die wirtschaftliche Hegemonie Italiens im Mittelalter oder die jahrhundertelange Verbreitung des Lateins durch die katholische Kirche. Weitere historische Ursachen für den Wortwandel sind die Reformation mit ihrer deutschen Übersetzung der Bibel, die Entdeckung des menschlichen Innenlebens und des Individuums seit Renaissance und Humanismus als auch die Entstehung der Wissenschaften samt ihrer eigenen Sprachen seit der aufklärerischen Epoche. Nicht vergessen werden darf der Einfluß der neuzeitlichen Dichtung auf die Sprache, der Neuprägungen mit sich brachte - z.B durch die in der Romantik populär gewordenen Volksmärchen - sowie natürlich auch die sprachliche Revolution durch die modernen Zivilisationsformen und deren Fachsprachen aus Naturwissenschaften, Verwaltungsbürokratie und ganz besonders durch die Technisierung und Industrialisierung. Dazu gesellen sich der Fremdworteinfluß samt der damit einhergehenden gelenkten Fremdwortverdeutschung sowie die Sprachlenkung durch Sprachgesellschaften und gesellschaftlich einflußreichen Gruppen.

(Vgl. Tschirch, Fritz: Geschichte der deutschen Sprache, 2. T. Entwicklungen und Wandlungen der deutschen Sprachgestalt von Hochmittelalter bis zur Gegenwart. 2. Aufl. Berlin 1975)

Vor der möglichen Beantwortung dieser sich stellenden Fragen durch die Textanalyse soll der Dichter Heinrich Heine und sein Versepos "Atta Troll" kurz vorgestellt werden.

II. HEINRICH HEINE UND DAS VERSEPOS "ATTA TROLL"

a) Heinrich Heine - ein biographischer Abriß

Heinrich Heine gilt als der bedeutendste (politische) Lyriker der revolutionären deutschen Demokratiebewegung und des Vormärzes. 1797 wurde er als Sohn eines kleinen jüdischen Kaufmannes in Düsseldorf geboren, begann 1810 eine kaufmännische Ausbildung, bis er 1819 schließlich an der Universität Bonn Jura studierte, wobei er freilich eher die Literaturvorlesungen besuchte. Bald schon wurde er lyrisch tätig und wandte sich mit seinen Werken gegen das restaurative Metternich-System in Deutschland. Auf Druck der reaktionären Mächte - die ihn verfolgten - mußte er 1831 nach Paris ins Exil gehen, wo er fortan als Dichter und Publizist tätig war (so auch als Korrespondent der Augsburger "Allgemeinen Zeitung"). 1835 hatte der Deutsche Bundestag dann sogar Heines Schriften verboten.

Literarisch ging Heine anfangs von der Romantik und vom Volksliedhaften aus - 1827 hatte er sein sehr erfolgreiches "Buch der Lieder" veröffentlicht, das ihn schon damals sehr populär machte -, mit der er sich aber schon bald kritisch auseinandersetzte und distanzierte, um sich - auch unter Einfluß seines Freundes Karl Marx und der utopisch-kommunistischen Ideen der Saint-Simonisten - für die freiheitlich-demokratischen und liberalen Ideen einzusetzen. Dies tat er mit seinen unerbittlich ironischen, aber auch spielerisch-provokanten Schriften. Philosophisch war Heine dem Sensualismus verbunden, womit er zum Materialismus und Atheismus tendierte. Dabei mündete Heines Sensualismus in der Forderung nach materieller und sozialer Befreiung des Volkes.

1836 hatte der Dichter sich vollends von den Romantikern abgewendet, in denen er jetzt lediglich spießbürgerliche Naturschwärmer sah: In seinem Werk "Die romantische Schule" rechnete Heine scharf mit den reaktionären Romantikern ab, indem er ihnen Flucht ins Mittelalter und in andere Traumwelten vorwarf. Heine trat für eine Verquickung von Politik und Kunst ein, ohne dabei aber die Freiheit der Kunst aufzugeben.. Allerdings überwarf er sich in den 1830ern immer mehr mit den Liberalen und Demokraten, besonders mit den kleinbürgerlich-radikalen. So attackierte er Ludwig Börne scharf in seiner Denkschrift von 1840. Auch das Versepos "Atta Troll" war gegen die kleinbürgerliche Opposition und ihre dann doch zu sehr im politischen Dienste stehende Poesie gerichtet. 1844 übte er mit seinem zweiten Versepos "Deutschland. Ein Wintermärchen" spöttische Kritik an den deutschen Zuständen - von der Kleinstaaterei, der Idee von Kaiser und Reich, am Preußentum bis hin zum philisterhaften Bürgertum.

Von 1848 an mußte Heine bis zu seinem Tode am 17. Februar 1856 im Bett, der "Matratzengruft", in Paris verbringen. Er litt an einer Rückenmarkserkrankung, die ihn mehr und mehr lähmte. Trotz der schweren Krankheit blieb er weiterhin lyrisch tätig und unterstützte ununterbrochen, aber eigenwillig die demokratische Opposition in Deutschland. Abschließend läßt sich sagen, daß es Heine in vielen seiner Werke gelungen ist, die volksliedhaften, klassischen und romantischen Traditionen deutscher Literatur zu verbinden und weiterzuentwickeln - auch und gerade durch seine Annahme und Anprangerung zeitgenössischer gesellschaftspolitischer Probleme und der Verkündung neuer humaner Ideen.

(Vgl. Windfuhr, Manfred: Heinrich Heine. Revolution und Reflexion. Stuttgart 1969/ Würffel, Stefan Bodo: Heinrich Heine. München 1989)

b) "Atta Troll. Ein Sommernachtstraum" - Inhalt, Bedeutung und Form

Das Versepos "Atta Troll" hatte Heinrich Heine 1841 nach einem Aufenthalt im Pyrenäenbad Cauterets verfaßt; 1843 wurde es erstmals in Heinrich Laubes "Zeitung der eleganten Welt" veröffentlicht, und für die Buchausgabe von 1847 war es vom Autor nochmal umgearbeitet und deutlich erweitert worden.

"Atta Troll" ist die Geschichte vom gleichnamigen deutschen Bären, der in Spanien in Gefangenschaft geraten ist und nun sein Leben - gemeinsam mit seiner Frau Mumma - als Tanzbär in Ketten auf dem Marktplatz von Cauterets verbringt. Die beiden Bären sind in der Hand eines zwielichtigen Bärenführers. Der stolze Atta Troll besinnt sich aber bald wieder darauf, einstmals ein "Fürst der Wildnis" gewesen zu sein, reißt sich von den Ketten los und kann in die Pyrenäen zu seinen Kindern flüchten. Die Mumma jedoch bleibt in Gefangenschaft. Zu Hause in der Höhle bei seinen Kindern ist Atta Troll krank vor Sehnsucht und Mitleid für seine Frau. So beginnt er, verbittert und haßerfüllt gegen die Menschheit zu wettern und breitet den Kindern seine politischen Maxime und Vorstellungen aus: ein Surrogat aus "...republikanische(n), burschenschaftliche(n), nationalliberale(n) und religiöse(n) Ideen" (Windfuhr, Manfred; S. 221). Ganz besonders vehement vertritt Atta Troll die Gleichheit, die "strenge Gleichheit aller Säugetiere...". Aber er ist auch für körperliche Ertüchtigung mittels Turnen und für einen absoluten Glauben an Gott (in Form eines Eisbären). Während Atta Troll so über seine Weltverbesserungsvorschläge schwadroniert und träumt, sind ein Bärenjäger - hier in Form des lyrischen Ichs - sowie die alte Hexe Uraka und deren untoter Sohn Laskaro dem Bären auf der Spur. Uraka lockt den Bären schließlich aus seinem Versteck, indem sie das Gebrumm der Mumma imitiert und der davon betörte und liebestrunke Atta Troll darauf hereinfällt: Laskaro erschießt den Bären. Unter dem Jubel von 33 Frauen wird Atta Troll zurück nach Cauterets getragen und seine Haut verkauft. Mumma, die Bärengattin, hingegen ist in Gefangenschaft geblieben, hat sich opportunistisch mit der Realität abgefunden und endet schließlich im sicheren, aber unfreien zoologischen Park von Paris.

Heines "Atta Troll" ist eine Allegorie in Form der bekannten Fabel vom Tanzbären. Das Versepos war eine scharfe Kritik auf die sog. Tendenzpoesie, d.h. an den damaligen Trend im liberal-demokratischen Lager, die korrekte Gesinnung zum alleinigen Maßstab von Literatur und Kunst zu machen. Es ist eine klare Absage an die bedingungslose Instrumentalisierung der Kunst für die Politik. Der Bär Atta Troll steht stellvertretend für diese kleinbürgerlich nationaldemokratisch gesinnte Opposition, er verkörpert den politischen Dichter - wie z.B. Freiligrath -, aber auch Liberale wie Börne und die deutschtümelnden Schwabendichter und reaktionären Romantiker. Da Atta Troll auch als Prediger radikaler Gleichheit auftritt, scheint Heine ebenso mit den Frühkommunisten abzurechnen. Dabei darf aber nicht mißverstanden werden, daß Heine nun ins konservative Lager gewechselt war. Vielmehr kritisierte er als Liberaler und Demokrat die Entartung, die blinde Radikalisierung des liberaldemokratischen Gedankenguts durch die kleinbürgerliche Engstirnigkeit und Schwärmerei. Ihm waren die Utopien der Opposition zu vage, zu entstellt, zu kleinkariert und zu wirklichkeitsfremd.

Aber Heine bekämpfte - trotz aller Kritik - auch weiterhin die Hauptgegner: den Absolutismus und das Kapitalbürgertum, das den liberalen Gedanken vereinnahmt und auf den "Irrweg des Nationalliberalismus" (Windfuhr, Manfred; S.220) gebracht hatte. Und so ist der Bärenführer Sinnbild für die politische Reaktion, die den verblendeten und schwärmenden Revolutionsdemokraten Atta Troll fest im Griff hat. Und so haben letztendlich die 33 deutschen Feudalstaaten - hier symbolisiert durch die 33 jubelnden Frauen - den Demokraten erledigt.

Hauptsächlich war das Versepos jedoch eine Kampfansage an die Tendenzpoesie, an den damaligen Zeitgeist, der Gesinnung und Talent als unvereinbar gegenüberstellte, wobei Talent nichts mehr, die richtige politische Gesinnung dagegen alles galt. Wer über korrekte Gesinnung verfügte, hatte Charakter; wer künstlerisches Talent besaß, machte sich der Charakterlosigkeit verdächtig. Heine kämpfte für die Freiheit der Kunst und gegen die Unterjochung selbiger durch die Politik, egal, ob nun durch den Liberalismus oder durch die Reaktion. Dazu Heine selbst: "...ich bin für die Autonomie der Kunst; weder der Religion, noch der Politik soll sie als Magd dienen, sie ist sich selber letzter Zweck, wie die Welt selbst" (z.n. Würffel, Stefan Bodo; S.107).

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Details

Titel
Wortbedeutungswandel am Beispiel von Heinrich Heines Atta Troll. Ein Sommernachtstraum
Hochschule
Universität Lüneburg  (Fachbereich 3 (Kulturwissenschaften))
Veranstaltung
Sprachgeschichte und Wortbedeutungswandel
Note
2
Autor
Jahr
1996
Seiten
27
Katalognummer
V11124
ISBN (eBook)
9783638173742
ISBN (Buch)
9783638641739
Dateigröße
554 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wortbedeutungswandel, Beispiel, Heinrich, Heines, Atta, Troll, Sommernachtstraum, Sprachgeschichte, Wortbedeutungswandel
Arbeit zitieren
Kulturwissenschaftler M.A. Adrian Flasche (Autor:in), 1996, Wortbedeutungswandel am Beispiel von Heinrich Heines Atta Troll. Ein Sommernachtstraum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11124

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