Wertewandel und der Arbeitskraftunternehmer - Stimmen die gewandelten Wertorientierungen mit dem Idealtypus der neuen Grundform der Ware Arbeitskraft überein?


Hausarbeit, 2004

40 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung:

Einleitung

1 Wandel der Wertorientierungen
1.1 Definition Werte
1.2 Postmaterialismus
1.3 Von Pflicht –und Akzeptanzwerten zu Selbstentfaltungswerten
1.4 Die Renaissance traditioneller Werte
1.5 Verknüpfung von Leistung und Genuss
1.6 Ansprüche an Arbeit
1.7 Interessenkonflikte zwischen Individuum und Organisation
1.8 Die Ursachen des Wertewandels

2 Der Arbeitskraftunternehmer
2.1 Beginn und Ursachen des Wandels
2.2 Formen von Arbeit mit erweiterter Autonomie
2.3 Die drei Merkmale des Arbeitskraftunternehmers
2.4 Anmerkungen zum Arbeitskraftunternehmer

3 Wertewandel und Arbeitskraftunternehmer
3.1 Der Wertewandel als Ursache für den Arbeitskraftunternehmer
3.2 Ursachen für die neue Form von Arbeitskraft, die unabhängig vom Wertewandel sind
3.3 Übereinstimmungen zwischen den „neuen“ Werten und dem Arbeitskraftunternehmer
3.4 Differenzen zwischen Wertewandel und dem Arbeitskraftunternehmer
3.5 Gewinner und Verlierer

4 (Gesellschaftstheoretischer) Schluss

Anhang: Abbildungen 1-10

Literatur

Einleitung

Zwischen dem Wertewandel, der in den 60er Jahren einsetzte, und der Debatte um den Arbeitskraftunternehmer, der für eine neue Form von Arbeitskraft steht, scheint es einige Überschneidungen zu geben. Vokabeln wie „Selbstverwirklichung“, „Eigenverantwortung“ und „Autonomie“ tauchen in beiden Kontexten auf. Grund genug, diese Überschneidungen hier einer eingehenderen Untersuchung zu unterziehen.

Dabei werden zunächst die Forschungen zum Wertewandel zusammengefasst. Besonders auf die Entwicklung von Werten, die einen direkten Bezug zum Feld der Arbeit haben, wird explizit eingegangen. Auch auf die Ursachen des Wertewandels wird eingegangen. Der zweite Teil geht auf den Arbeitskraftunternehmer ein, wie er von seinen „Erfindern“ Voß und Pongratz dargestellt wurde. Nicht behandelt wird dabei Empirie zur Verbreitung des Arbeitskraftunternehmers; auch Kritik an dem Konzept von Voß und Pongratz findet hier nur in dem Maße statt, wie es die Fragestellung erfordert, da es hier nur um den Arbeitskraftunternehmer als neuen gesellschaftlichen Idealtypus gehen soll und darum, wie dieser Idealtypus zum Wertewandel passt. Anschließend geht es im dritten Teil um die zentrale Frage, worin der Wertewandel mit dem Konzept des Arbeitskraftunternehmers Übereinstimmungen hat und worin nicht. Dabei wird zunächst auf die Frage eingegangen, welche der beiden Entwicklungen zuerst dagewesen ist und welche Ursachen beide hatten, die unabhängig voneinander waren. Anschließend werden Übereinstimmungen und Differenzen zwischen beiden Gebieten aufgezeigt. Die Gewinner und Verlierer des Wandels werden danach untersucht. Zum Schluss werden noch ein paar gesellschaftstheoretische Erklärungsansätze herangezogen.

1. Wandel der Wertorientierungen

1.1 Definition Werte

Werte sind Orientierungspunkte unseres Handelns. Sie sind Auffasungen von Wünschenswertem und beeinflussen unser Handeln. Handlungsrelevant werden Werte in Entscheidungssituationen. Unser Handeln bzw. unser Verhalten hängt jedoch nicht nur davon ab, was uns als wünschenswert erscheint (also von unseren Werten), sondern auch von individuellem Können, sozialem Dürfen und situativer Ermöglichung (Rosenstiel 1993, S 48). Eine bildhafte Darstellung kann die Bedeutung von Werten verdeutlichen. Stellt man sich Seerosen auf der Oberfläche eines Teiches als das beobachtbare Verhalten vor, so steht das Wasser darunter, welches die Seerosen durch Strömungen bewegt, für Normen, welche das Verhalten beeinflussen. Normen sind Anforderungen und Erwartungen, aber auch ein Rahmen für das Verhalten. Die Wurzeln der Seerosen auf dem Teichgrund stehen für Werte. Diese sind „...durch Erziehung, Erfahrung, Ausbildung etc. im Laufe des Lebens fest verwurzelte Annahmen über das, was richtig und falsch, erstrebenswert, etc. ist“ (Czichos nach Einsiedler 1993, S.116). „Werte wirken auf das Verhalten von Menschen nicht unmittelbar und direkt, sie wirken vielmehr mittelbar und indirekt“ (Einsiedler ebd.).

Der Wandel von Werten ist viel und mit unterschiedlichen Ansichten diskutiert worden. Rosenstiel spricht bevorzugt von einem Wandel der Wertorientierungen, da keine Werte verschwunden seien, sondern sie sich nur in ihrer Priorität verschoben hätten (Rosenstiel 1995, S. 9).

1.2 Postmaterialismus

Einer der bekanntesten Analytiker des Wertewandels ist Ronald Ingleheart. Berühmtheit erlangte vor allem sein Werk „The Silent Revolution“ von 1977. Hierin vertritt Ingleheart die These einer tendenziellen Verschiebung von materialistischen zu postmaterialistischen Werten, die sich auch in der Zukunft fortsetzen wird. Er begründet diesen Wandel zum einen mit der Sozialisationshypothese, wonach die Werte in den prägenden Jahren der Jugend festgelegt werden und sich danach kaum noch ändern. Durch den sozio-ökonomischen Wandel und den Wohlstand, in welchem die Nachkriegsgeneration des Westens aufwuchs, verschoben sich auch die Bedürfnisse dieser jüngeren Kohorte. Damit kommt die Mangelhypothese ins Spiel, die auf der Bedürfnispyramide von Maslow basiert. Danach treten immer die Bedürfnisse in den Vordergrund, die knapp sind (oder scheinen). Mit dem Wirtschaftswunder stieg das Wohlstandsniveau und das Aufkommen des Wohlfahrtsstaates sorgte zudem für ein Gefühl der existenziellen Sicherheit: „Der Kuchen war größer als jemals zuvor und wurde auch gerechter und berechenbarer verteilt. Viele Menschen wuchsen zum ersten Mal in der Geschichte mit dem Gefühl auf, dass man selbstverständlich überlebt“ (Ingleheart 1998, S. 52). Damit setzte ein „intergenerationeller Wertewandel“ ein und Selbstverwirklichung und Lebensqualität wurde Priorität gegenüber ökonomischer und physischer Sicherheit eingeräumt. Zwischen den wirtschaftlichen Veränderungen und ihren politischen Auswirkungen liegt allerdings immer ein gewisser Zeitraum, in welchem die Alterskohorte, die unter den neuen Umständen aufwächst, erwachsen wird. Neben den ökonomischen Veränderungen spielt auch das zunehmende gesellschaftliche Bildungsniveau eine Rolle für den Wertewandel.

Ingleheart hält Maslows Bedürfnispyramide im Detail für nicht stichhaltig, übernimmt aber eine gröbere Unterscheidung zwischen materiellen, physiologischen und nichtphysiologischen Bedürfnissen. In Abbildung 1 wird die Übertragung von Maslows Motiven auf politische Werte gezeigt. Für den Bereich der Arbeit dürften vor allem die Werte „Ideen statt Geld“, „freie Meinungsäußerung“ und „mehr Mitbestimmung“ als postmaterielle (also nach der Theorie wichtiger gewordene) Werte auf der einen Seite und auf der anderen Seite die (nach der Theorie in der Bedeutung abgenommenen) Werte „wirtschaftliche Stabilität“ und „Wirtschaftswachstum“ eine Rolle spielen. Im ökonomischen Sektor führt die Werteverschiebung dazu, dass subjektives Wohlbefinden und Lebensqualität gegenüber Wirtschaftswachstum und ökonomischer Leistungsvermögen stärkere Bedeutung erlangen. Im Bereich der Arbeitsmotivation spielt das Interesse an interessanten und sinnvollen Tätigkeiten jetzt eine größere Rolle im Verhältnis zu Einkommenssteigerung und Arbeitsplatzsicherheit. Es wird mehr Wert auf kollegialere und partizipatorische Managmentstile gelegt, zugleich nimmt die Akzeptanz von freiem Kapitalismus und Marktwirtschaft (im Verhältnis zum Staat als Problemlöser) zu; hierarchische Autoritätsmuster werden zunehmend abgelehnt, während individuelle Autonomie als wichtiger erachtet wird (Ingleheart 1998, S. 69).

Inglehearts Analysen basieren auf einem empirischen Fragenkatalog, welcher die Beantworter in „Postmaterialisten“, „Materialisten“ und „Mischtypen“ einteilt. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung des Anteils der Postmaterialisten in sechs westeuropäischen Ländern von 1970 bis 1994. Langfristig und von Schwankungen abgesehen nimmt der Anteil der Postmaterialisten in diesen Gesellschaften zu. Diese Trends werden auch für Länder aus anderen Kulturen wie Südkorea oder Türkei festgestellt, allerdings nicht bei Ländern mit geringem Einkommen, was Inglehearts Thesen zu belegen scheint.

Inglehearts Thesen sind vielfach kritisiert worden. Die Kritik betrifft vor allem seine Methodologie und das eindimensionale Verständnis von Wertewandel, welches sich auf die Unterscheidung von Materialisten und Postmaterialisten beschränkt. Ferner wird Ingleheart für seine evolutionistische Zukunftsgewissheit kritisiert, nach welcher sich der Trend immer weiter Richtung Postmaterialismus fortsetzen wird. Scheuch merkt an, dass das Aufwachsen unter fehlender Knappheit wie bei den Hippies nichts neues sei, nur der Umfang sei neu (Scheuch 2003, S.20). Bei Rosenstiel heißt es: „Obwohl Inglehearts Arbeiten heftig kritisiert wurden, u.a. weil die Debatten auf individuellem Niveau nicht reliabel sind, weil die Methode der Zwangswahl notwendigerweise zu Überpointierungen und Verzerrungen führen muss und eine eindimensionale Betrachtung aufzwingt, konnten auf aggregiertem Niveau(z.B. im Ländervergleich) Verhaltenskorrelate des Indikators nachgewiesen werden“ (Rosenstiel 1995, S. 14).

1.3 Von Pflicht –und Akzeptanzwerten zu Selbstentfaltungswerten

Rosenstiel hält folgende zentrale Tendenzen des Wandels fest:

- Säkularisierung fast aller Lebensbereiche
- Abwendung von der Arbeit als einer Pflicht
- Unterstreichung des Wertes der Freizeit
- Ablehnung von Bindung, Unterordnung und Verpflichtung
- Betonung des eigenen (hedonistischen) Lebensgenusses
- Erhöhung der Ansprüche in bezug auf eigene Selbstverwirklichungschancen
- Bejahung der Gleichheit und Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern
- Betonung der eigenen Gesundheit
- Hochschätzung einer ungefährdeten und bewahrten Natur
- Skepsis gegenüber den Werten der Industrialisierung, wie z.B. Gewinn, Wirtschaftswachtum und technischem Fortschritt (Rosenstiel 1995, S.10)

Oft genannt wird in der Wertewandelsdebatte Klages‘ Begriff vom Wandel von Pflicht –und Akzeptanzwerten hin zu Selbstentfaltungswerten. Dieser Wandel begann in in der ersten Hälfte der 60er Jahre und setzte sich nach kurzem Abflauen in der zweiten Hälfte der 70er Jahre weiter fort. Abbildung drei zeigt, welche Werte damit genauer gemeint sind. Darauf wird später noch einzugehen sein, denn einige der sogenannten Selbstentfaltungswerte spiegeln Schlagworte wider, die im Hinblick auf den Arbeitskraftunternehmernternehmer und allgemeiner auf Anforderungen in der modernen oft Arbeitswelt wiederzufinden sind. Es wird sich allerdings auch noch herausstellen, dass einige der traditionellen Werte nach wie vor eine große Rolle bei der Erwerbsarbeit spielen. Abbildung vier verdeutlicht nochmal anhand des Wandels der Erziehungswerte von 1951 bis 1989, wie sehr Selbstständigkeit gegenüber Gehorsam an Bedeutung gewann, was als die Hauptrichtung des Wandels bezeichnet werden kann. Klages spricht auch von einem „Wertewandelsschub“, was die Plötzlichkeit des einsetzenden Wandels in den späten 60er Jahren unterstreichen soll. Der Wandel von Pflicht –und Akzeptanzwerten hin zu Selbstentfaltungswerten wird von Klages als „Megatrend“ bezeichnet, welcher sich auf der Mikroebene in vielen individuellen Nuancierungen wiederfindet. So teilt Klages die Menschen in vier verschiedene Typen ein, welche jeweils ähnliche Einstellungen untereinander haben. Diese vier Typen sind in Abbildung fünf zu sehen und unterscheiden sich in ihrer jeweiligen Ausprägung ihrer Pflicht –und Akzeptanzwerte bzw. ihrer Selbstentfaltungswerte. Auf sie wird später nochmal eingegangen werden.

1.4 Die Renaissance traditioneller Werte

Noelle-Neumann interpretierte den Wertewandel Ende der 70er Jahre als Verfall der bürgerlichen Tugenden und der Arbeitsethik. Folgendes Zitat verdeutlicht das: „Der hohe Wert von Arbeit, von Leistung; Überzeugung, dass sich Anstrengung lohnt; Glaube an Aufstieg und Gerechtigkeit des Aufstiegs; Bejahung von Unterschieden zwischen den Menschen und ihrer Lage; Bejahung des Wettbewerbs; Sparsamkeit als Fähigkeit, kurzfristige Befriedigung zugunsten langfristiger zurückzustellen; Respekt vor Besitz; Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung; Anerkennung von Normen, von Sitte und Anstand...“, bei all diesen Werten lässt sich „das rasche Absinken der Zahl der Menschen, die diese jeweiligen Werte unterstützen...“, feststellen (Noelle-Neumann nach Rosenstiel 1995, S.15). Diese recht einseitig negative Interpretation wird jedoch in ihrer Eindeutigkeit kaum geteilt. Aktuellere Analysen der Werthaltungen in Deutschland, auch von Noelle-Neumann selbst, stellen vielmehr gegenläufige Trends und das Wiedererstarken einiger traditionellen Werte fest. Zunächst tut sich in den späten 60er Jahren eine Generationskluft auf. Eine Umfrage des Allensbach Institutes verdeutlicht dies. 1967 und 1972 wurde gefragt, welche von 15 Erziehungszielen für die Kinder als wichtig erachtet werden. Die Antworten unterschieden sich zwischen diesen beiden Befragungszeitpunkten erheblich und vor allem bei den Jüngeren war ein Wandel feststellbar. Höflichkeit, gutes Benehmen und eine Arbeit ordentlich und gewissenhaft zu machen rückten als Werte in den Hintergrund. Weiterhin wurde gefragt, bei welchen von fünf Werten es Übereinstimmung mit den eigenen Eltern gibt. Es ging um die Bereiche Religion, Politik, Moral, Menschen und Sexualität. Die Übereinstimmung nahm immer weiter ab, ein Trend, der sich auch in den 80er Jahren noch fortsetzte. Ein Generationskonflikt ist immer ein Anzeichen für den Wandel von Werten. Mitte der 90er Jahre ist der Höhepunkt des Wertewandels überschritten und traditionelle Tugenden gewinnen wieder an Bedeutsamkeit. Abbildung sechs verdeutlicht diese Entwicklung. Eine andere Frage des Allensbacher Institutes lautete: „Welche Stunden sind Ihnen ganz allgemein am liebsten: die Stunden während der Arbeit oder die Stunden, während Sie nicht arbeiten, oder mögen Sie beide gern?“ Abbildung sieben macht auch hier eine Trendumkehr in den 90er Jahren sichtbar und zeigt, dass die Arbeitszeit gegenüber der Freizeit wieder an Beliebtheit zugenommen hat. Auch die Kluft zwischen den Generationen bricht Ende der 90er Jahre zusammen, was ein Anzeichen für das Abflauen des Wandels ist. Mehr Bedeutung haben also aktuell Werte wie Arbeit, Ehrgeiz, sich durchsetzen, den Horizont erweitern und technisches Verständnis erlangen erhalten. Die Renaissance einiger traditioneller Werte bedeutet jedoch keine Wiederkehr der 50er Jahre, denn neben Leistung spielt auch weiterhin der Lebensgenuss eine wichtige Rolle. Es scheint vielmehr eine Verknüpfung von Leistung und Genuss stattzufinden, was Klages als Wertsynthese bezechnet (Noelle-Neumann 2001).

Die Shell Jugendstudie Kommt zu ähnlichen Ergebnissen, wonach Leistung und Sicherheit bei den Jugendlichen wieder mehr Bedeutung zukommt, während zugleich „neue“ Werte wie Toleranz, Kreativität und Genussfreude weiterhin stark geschätzt werden. „Junge Leute entwickeln somit ein neues, unbefangenes Verhältnis zu den sogenannten deutschen Sekundärtugenden, allerdings haben sie diese „altbürgerlichen“ Werte von ihrem „Staub“ befreit“ (Shell Jugendstudie 2002).

1.5 Verknüpfung von Leistung und Genuss

Arbeit ist weiterhin wichtig für die meisten Menschen, Leistungsbereitschaft wird jedoch heutzutage stärker an Bedingungen geknüpft. Zudem haben andere Bereiche wie die Freizeit neben der Arbeit an Bedeutung gewonnen und es wird versucht, eine Balance zwischen den verschiedenen Lebensbereichen zu erhalten. Es geht weniger darum, das Leben entweder als Aufgabe im Sinne von Verpflichtung und Fleiß oder als reinen Genuss zu begreifen, sondern beides zu verknüpfen. Die zunehmende Bedeutung von Selbstentfaltungswerten führt zunächst zu höheren Ansprüchen an die Erwerbsarbeit. Die Tätigkeit soll nun zunehmend interessant, abwechslungsreich, verantwortungsvoll und schöpferisch sein. Anerkennung, persönliche Entfaltungsmöglichkeiten, Mitbestimmung und selbstständige Gestaltung werden in Relation zum Lohn als Motivatoren wichtiger. Diesen Trend belegt auch Abbildung acht: Aufstieg, Verdienst und Einkommen haben an Bedeutung gegenüber nichtmateriellen Werten verloren. Abbildung neun zeigt, dass den Arbeitsinhalten auch im Verhältnis zur Sicherheit des Arbeitsplatzes mehr Bedeutung beigemessen wird (und dies trotz der aktuell weitaus angespannteren Situation auf dem Arbeitsmarkt als zuvor). Selbstverwirklichung oder Selbstentfaltung ist nicht mit Genusssucht und Faulheit im Sinne von blankem Hedonismus gleichzusetzen, sie kann auch in der Arbeit Erfüllung finden. Daraus folgt: „Wenn die Arbeitsinhalte etwas für die individuelle Selbstverwirklichung hergeben, dann schmälert Wertewandel keineswegs die berufliche Leistungsbereitschaft“ (Brock 1992, S.358). Leistung erfolgt nicht mehr so sehr aus Tradition oder um einer Norm gerecht zu werden, sondern eher um Bedürfnisse zu befriedigen. Für Arbeitsplätze, bei welchen Pflicht –und Akzeptanzwerte eine große Rolle spielen, also meist unqualifizierte Arbeitsplätze, bedeutet dies eine noch stärkere Abwertung als zuvor. Eine These ist, dass die Arbeitsrealität den gestiegenen Ansprüchen nicht mehr genügt oder noch weniger genügt als etwa in den 50er Jahren (Eine andere Interpretation wäre, aus gestiegener Unzufriedenheit über den Arbeitsplatz auf objektiv schlechtere Bedingungen bei der Arbeit zu schließen; dies erscheint jedoch unrealistisch und wird durch Umfragen auch widerlegt. Danach ist die Arbeit verantwortungsvoller, sauberer, interessanter und komfortabler geworden, wenn auch nicht seelisch weniger belastend (Strümpel und Pawlowsky 1993, S. 42)). Dadurch entstehen zunehmend (zumindest in den 80er Jahren) negative Bedutungszumessungen für die Arbeit, eben auch, weil sie jetzt noch stärker mit der Freizeit konkurrieren muss, die eine Aufwertung erfahren hat. Selbstverwirklichung findet eben nicht nur am Arbeitsplatz statt. Dennoch wird in einer Umfrage unter Jugendlichen aus den 80er Jahren deutlich, dass Arbeit für über 90% von ihnen immer noch eine wichtige Rolle spielt –nur gibt es immer weniger, die die Arbeit als das einzige Zentrum in ihrem Leben sehen (siehe Abbildung zehn). Neben der größeren Bedeutung der Freizeit spielt die berufliche Realität eine Rolle dafür, dass Arbeit kritischer beurteilt wird. Die Diskrepanz zwischen den Werten und der beruflichen Realität hat sich durch den Wertewandel noch vergrößert (Brock 1992, S.356).

1.6 Ansprüche an Arbeit

Baethge spricht von der „zunehmenden Subjektivierung der Arbeit“ und meint damit ebenso die gestiegenen Ansprüche an Arbeit. Es geht um Spaß, selbstverantwortliches Handeln und die Entfaltung eigener Qualifikationen. „Man will innerlich an der Arbeit beteiligt sein, sich als Person in sie einbringen können und über sie eine Bestätigung eigener Kompetenzen erfahren“ (Baethge 1991, S.7). Die ganze Person soll in der Arbeit eingebracht werden können, nicht nur eine berufliche Rolle. Zugleich soll einen die Arbeit nicht auffressen. Höhere Ansprüche an Arbeit als Subjektivierung bedeutet eine „Heterogenisierung der Ansprüche: Worin Selbstdarstellung gesucht und Selbstbestätigung gefunden wird, variiert nach individuellen Neigungen, Fähigkeiten und Interessen und ist mit abhängig von sozialen Kontexten und Tätigkeitsbereichen“ (ebd. S.11). Die Identifikation erfolgt stärker über die Tätigkeit als über die Organisation, was sich in einem labileren Verhältnis zu ihr ausdrückt. Dadurch sind die Unternehmen auch gezwungen, stärker auf die Bedürfnisse der Beschäftigten einzugehen. Baethge überlegt, ob die zunehmenden Ansprüche an die Erwerbsarbeit welche sind, die in der privaten Lebenswelt keine Befriedigung finden. So fragt er sich auch, ob etwa das Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung in der privaten (kolonialisierten nach Habermas) Lebenswelt überhaupt befriedigt wird und die Erwerbsarbeit in dieser Hinsicht nicht mehr Möglichkeiten bietet.

1.7 Interessenkonflikte zwischen Individuum und Organisation

Rosenstiel weist darauf hin, dass die gestiegenen Ansprüche an Arbeit die Kluft zwischen Individuum und Organisation vergrößern. Organisationen sind Symbol und Objektivation von Pflicht –und Akzeptanzwerten. Sie erfordern Unterordnung, Anpassung und ein sich-fügen in standartisierte Formen und Abläufe und liegen damit gerade nicht auf einer Linie mit den neuen Werten wie Autonomie und Selbstbestimmung, sondern stimmen vielmehr mit den traditionellen Pflicht –und Akzeptanzwerten wie Disziplin, Unterordnung, Pünktlichkeit und Fügsamkeit überein. Zudem sind Organisationen statisch und träge und bilden „geronnene Werte“ und „erstarrte Strukturen“ ab. Während sich also ab den späten 60er Jahren die gesellschaftlichen Werte sich mit einem Schub zu wandeln begannen, blieben die Organisationen zunächst gemäß ihrer Natur unveränderlich. Dieser Umstand verschärft den Konflikt zwischen den neuen, oben angesprochenen Interessen des Individuums und denen der Organisation. Dies trifft insbesondere auf höher Gebildete zu, also potentielle Führungskräfte, von welchen eine Identifikation mit der Organisation besonders erwartet wird. Identifikation meint, zu den Zielen der Organisation ja sagen zu können. Andernfalls tritt eine Identitätskrise ein, was zu Ausstieg oder Resignation führen kann. Aus Sicht der Organisation gibt es vier Wege, diese Krise zu vermeiden: das Individuum kann sich selber ausselektieren bzw. von der Organisation ausselektiert werden, wenn die Kluft zueinander zu groß erscheint; weiter können die Mitglieder der Organisation den Zielen selbiger gemäß sozialisiert werden; und schließlich bleibt noch die Möglichkeit der Organisationsentwicklung, also die Strukturen der Organisation auf die Werte und Ziele der jetzigen und zukünftigen Mitglieder abzustimmen und zu ändern. Rosenstiel rät den Unternehmen, nicht nur zu selektieren und zu sozialisieren, sondern auch das eigene Wertsystem anzupassen, damit kritisches aber auch kreatives Mitarbeiterpotential nicht ausgeschlossen wird (Rosenstiel 1992, S.333; Rosenstiel 1995, S.22).

Ein Beispiel dafür ist die wertorientierte Personalarbeit bei BMW. Ziel dabei ist es, die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens mit den Bedürfnissen der Mitarbeiter abzustimmen. Wenn die Werte der Mitarbeiter besser getroffen werden, können diese sich stärker mit dem Unternehmen identifizieren und sind damit motivierter und leistungsbereiter und insofern bietet dieser Weg dem Unternehmen Vorteile. Das Programm basiert auf der oben beschriebenen Annahme, dass die Menschen nicht fauler geworden sind, sondern die Ansprüche an Arbeit gestiegen sind. Neben den Strukturen des Unternehmens soll dabei auch das Bewusstsein der Mitarbeiter geändert werden. Bei manchen Werten wie Leistungsorientierung werden auch Strategien gegen den (damaligen) gesellschaftlichen Wertewandeltrend gefahren (Bihl 1995, S.37). Dieser Fall ist ein Beispiel dafür, wie gesellschaftlicher Wandel einen Wandel im Unternehmen auslösen kann (wenn auch grundlegende Prinzipien wie Wirtschaftlichkeit dabei die gleichen bleiben).

1.8 Die Ursachen des Wertewandels

Für den Wertewandel gibt es verschiedene strukturelle Ursachen:

- Zunächst einmal ist er aus der natürlichen Reproduktion abgeleitet: „Alles verschiebt sich stetig in eine Richtung, weil immer wieder die Jungen nachrücken“, oder, anders ausgedrückt: „Die Biologie ist die Basis des Kulturwandels“ (Meulemann 2001, S. 346).
- Wenn grundlegende Bedürfnisse nach Nahrung und Unterkunft befriedigt sind, rücken „höhere“ Bedürfnisse in den Vordergrund. Auf dieser These von Maslow basieren Inglehearts Aussagen. Durch Wirtschaftswunder und Wohlfahrtsstaat sind diese Bedürfnisse physiologischer Art und nach Sicherheit befriedigt.
- Ein Aufwachsen im Wohlstand prägt andere Werteinstellungen als ein Aufwachsen im Mangel. Dabei ist die Prägung in Kindheit und Jugend von besonderer Bedeutung. Dies entspricht der Sozialisationshypothese nach Ingleheart.
- Eine längere Bildungsdauer bedeutet, dass weniger Zeit des Lebens (und zwar von den besonders prägenden jungen Jahren) im Betrieb verbracht wird und lebensweltliche Einflüsse der Gesellschaft länger einwirken, während die Prägung durch die Arbeitswelt später einsetzt. Die Phase der bürgerlichen Adoleszenz wird verlängert. Diese bietet mehr Spielräume zum experimentieren und irren als es das Erwerbsleben vermag.
- Zugleich bedeutet die Bildungsexpansion auch, dass mehr Bildungsinhalte vermittelt werden. Dies führt zu einer verstärkten Individualisierung und zu höheren Ansprüchen.
- Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der eigenen Eltern bzw. des eigenen Landes führte zu einer Abwendung von Werten der älteren Generation. Die Weitergabe von Werten an die Kinder sollte unterbrochen werden, damit sich die Vergangenheit nicht wiederholte. Dies zielte vor allem gegen autoritäre Erziehung und Gehorsam.
- Der Wohlstand führt zu der Erkenntnis, dass „Geld allein auch nicht glücklich macht“. Neue Ziele rücken in den Vordergrund.
- Es wird deutlich, dass Modernisierung, Massenkonsum und Wirtschaftswachstum auch Nebenwirkungen haben, wie Umweltprobleme, Gesundheitsrisiken und unschöne Städte. Damit wächst eine skeptische Einstellung gegenüber Technik und Wirtschaftswachstum als Problemlösern.
- Die Welt der Freizeit hat heute mehr Abwechslung zu bieten als vor 40 Jahren. Vor allem den Medien wird mehr Zeit gewidmet. Dies verursacht eine Aufwertung der Freizeit.
- In der Arbeitswelt haben komplexere Tätigkeiten zugenommen. Was bedeutet, dass sich nicht nur die Ansprüche an Arbeit gewandelt haben, sondern auch die Anforderungen gestiegen sind. Eine andere Frage ist es, ob erst die Ansprüche oder erst die Anforderungen da waren oder ob beide unabhängig voneinander zugenommen haben und sich nun wechselseitig beeinflussen.
- Frauen sind stärker an der Erwerbsarbeit beteiligt. Dieser Punkt ist auch eine Folge des ersten Wertewandelsschubs, wirkt aber auch zurück auf die Gesellschaft (Baethge 1991, S.19; Fürstenberg 1993, S.20, S.12; Rosenstiel 1995)

2. Der Arbeitskraftunternehmer

Nach Voß und Pongratz wandelt sich die Grundform der Ware Arbeitskraft. Demnach wird der fordistische verberuflichte Arbeitnehmer durch den sogenannten Arbeitskraftunternehmer ersetzt. Geschichtlich betrachtet machte Arbeitskraft demnach folgende drei Idealtypen durch:

1) proletarisierter Lohnarbeiter der Frühindustrialisierung
2) verberuflichter Arbeitnehmer des Fordismus
3) verbetrieblichter Arbeitskraftunternehmer des Postfordismus

Dies sind typische Grundformen von Arbeitskraft für verschiedene Entwicklungsphasen des Kapitalismus, welche durch jeweils unterschiedliche Logiken der Nutzung von Arbeitskraft gekennzeichnet sind. Die Merkmale des ersten Typen sind:

- geringe Qualifikation
- keine Disziplin am Arbeitsplatz
- nur physische Leistungsfähigkeit
- die Arbeitskraft wird oft brachial zur Arbeit genötigt
- niedrige Produktivität, daher starke Venutzung der Arbeitskraft: lange Arbeitszeiten, nicht dauerhaft an einem Arbeitsplatz
- geringer Lohn, täglich gefährdet durch Entlassung
- keine soziale Sicherheit
- kurzer Zeithorizont: keine langfristigen Planungen
- kaum etablierte Interessenvertretung
- Freizeit ist beschränkt auf Erholung und Reproduktion, für welche die Frauen zuständig sind

Dagegen ist der verberuflichte Arbeitnehmer des Fordismus folgendermaßen gekennzeichnet:

- Beruf: standartisierte und systematisch entwickelte Fachqualifikationen sowie statuszuweisende Schablone
- sekundäre Arbeitstugenden: rudimentäre innere Disziplinierung Arbeitskraft (z.B. Pünktlichkeit)
- nur begrenzte Berufs –oder Betriebswechsel, feste Karriereschritte
- Arbeitsintensivierung (mehr Arbeit pro Person pro Zeiteinheit)
- dafür: Arbeitszeitverkürzung
- sozialer Schutz für Arbeitskraft, abgefedertes Arbeitslosigkeitsrisiko
- Lohnsteigerung und stärkere Konsumfähigkeit
- Trennung von „Arbeit“ und „Leben“: die Arbeit ist der Beruf, welcher biografisch relativ kontinuierlich verläuft, das Leben ist die Freizeit, in welcher der „Lebensgenuß“ stattfinden kann (Voß und Pongratz 1998, S.150)

Der Arbeitskraftunternehmer als dritte Form der Ware Arbeitskraft zeichnet sich durch zunehmend flexibilisierte Arbeitsverhältnisse und Entgrenzung des betrieblichen Zugriffs auf Arbeitskraft und des Abbaus institutioneller Regelungen aus. Er steht für eine neue Strategie zur betrieblichen Nutzung von Arbeitskraft, in welcher die Eigenverantwortung der Beschäftigten erweitert wird. Im folgenden soll noch detaillierter auf die Eigenschaften und Merkmale des Arbeitskraftunternehmers eingegangen werden.

2.1 Beginn und Ursachen des Wandels:

Ab Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre setzte in den Unternehmen ein Wandel ein. Es wurde jetzt mehr Wert auf Identifikation zum Unternehmen gelegt. Die Tätigkeiten wurden angereichert, es fand eine Reprofessionalisierung statt. Führung fand stärker über Zielvorgaben als über direkte Anweisung und ständige Kontrolle statt. Die Arbeitszeit wurde flexibilisiert und dereguliert. Ging es in der Debatte um Arbeitszeit bis Ende der 70er Jahre um die Dauer, so rückten jetzt Lage und Verteilung in den Vordergrund. Dies war zwar nur für Männer neu, fand daher aber mehr Beachtung. Den Unternehmen ging es um eine effizientere Organisation, auf Seiten der Beschäftigten spielten veränderte Lebensverhältnisse, individuellere Interessen und eine größere Zeitsouveränität eine Rolle für den Wunsch nach flexibilisierter Arbeitszeit.

Vor allem ab den 90er Jahren begannen sich die Arbeitsstrukturen generell zu deregulieren. Die internationalen Märkte hatten sich geändert und die alten, tayloristischen Strukturen waren jetzt plötzlich hinderlich. Die Ziele der betrieblichen Reorganisation lauteten Kostensenkung, Produktivitätssteigerung, Qualitätssteigerung und Innovation. Die Eigenverantwortung der Arbeitskraft sollte erweitert werden, um sie besser als Ressource nutzen zu können. Diese fremdorganisierte Selbstorganisation bedeutet für die Arbeitskraft mehr Freiräume aber auch mehr Leistungsdruck. Dieser Wandel geht jedoch nicht nur von den Unternehmen aus, sondern auch vom gesellschaftlichen Kultur –und Wertewandel (dazu später mehr) und von einer zunehmend neoliberalen Wirtschafts- und Arbeitspolitik des Staates.

2.2 Formen von Arbeit mit erweiterter Autonomie

Es gibt verschiedene Formen von Arbeit mit erweiterter Autonomie. In gruppenbezogenen Arbeitsformen muss als Gruppe eine Lösung gefunden werden. Dabei wird ein Gruppendruck ausgeübt, der dem des Vorgesetzten in nichts nachstehen muss. In der Projektorganisation bleiben Hierarchien bestehen, es wird jedoch abteilungsübergreifend und mit erweiterten Handlungsspielräumen gearbeitet. Tele(heim)arbeit bedeutet außerbetriebliche Arbeit mit dem Ziel der Kostenreduktion und Motivationssteigerung. Das Leitbild der Cost–and Profit–Center-Modelle ist der Unternehmer im Unternehmen, ökonomische Eigenverantwortung wird auch auf die mittlere Führungsebene verlagert. Daneben gibt es noch die formell selbstständigen Formen selbstorganisierter Arbeit, die weder ökonomisch noch weisungsmäßig direkt von betrieblichen Arbeitgebern abhängig sind (Voß und Pongratz 1998, S. 135).

2.3 Die drei Merkmale des Arbeitskraftunternehmers

Die drei Merkmale des Arbeitskraftunternehmers, wie ihn Voß und Pongratz definieren, sind:

1) Selbst-Kontrolle
2) Selbst-Ökonomisierung
3) Selbst-Rationalisierung

Zu 1) Selbst-Kontrolle:

Beim Transformationsproblem geht es um die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass die Arbeitskraft Leistung erbringt. Dieses Problem entsteht, da das Unternehmen die Arbeitskraft kauft, nicht die Arbeitsleistung. Die Arbeitskraft muss also erst in Leistung „transformiert“ werden. Um dies sicherzustellen, erfolgt im Taylorismus eine rigide betriebliche Kontrolle und Steuerung. Dieses System ist jedoch unflexibel, teuer (durch die stetige Kontrolle), unproduktiv und es nutzt die Potentiale der Arbeitskräfte nicht. Daher gibt es seit den 80er und 90er Jahren einen Trend weg von der engen Kontrolle der Leistung. Diese wird nun vom Betrieb auf den Mitarbeiter externalisiert. Die Arbeitskraft muss die eigene Leistung nun selber kontrollieren. Ziel ist es, Freiräume zu schaffen, die Selbstorganisation zu fördern und die betriebliche Steuerung zu reduzieren. Die Steuerung durch den Betrieb erfolgt nun indirekt statt direkt, etwa über Zielvorgaben. Das Unternehmen spart dabei Kosten und nutzt die Fähigkeiten der Mitarbeiter wie Kreativität, Begeisterungsfähigkeit und Leistungswille besser. Dies bedeutet, dass eine Kernfunktion des kapitalistischen Unternehmens, die Kontrolle der Leistung, an die Arbeitskräfte abgegeben wird. Die Arbeitskraft wird damit aufgewertet, denn ihre Leistungskontrolle ist bereits bei ihrer Selektion „inklusive“ und die direkte Kontrolle kann entfallen. Für die Arbeitskräfte bedeutet dies auf der einen Seite mehr Handlungsspielräume, auf der anderen Seite aber auch mehr Leistungsdruck.

Dabei gibt es verschiedene Dimensionen der zunehmend selbstkontrollierten Steuerung oder auch Entgrenzung von Arbeit. Zeitlich nimmt die Flexibilität und die Anforderung, Arbeitszeit selber aktiv zu gestalten, zu. Räumlich wächst die örtliche Ungebundenheit in Form etwa von Teleheimarbeit aber auch von zunehmender alltäglicher Mobilität. Sozialorganisatorisch spielen Gruppenarbeit und Projektarbeit, bei welchen die Beteiligten ihre eigene Leistung selber steuern und kontrollieren, eine wichtigere Rolle. Fachlich und qualifikatorisch findet mit dem Ende des Berufs eine sachliche Entgrenzung statt. Dabei wird bei der ständigen Anpassung der fachlichen Qualifikation Eigeninitiative erwartet. Sinn und Motivation müssen jetzt eigenständig erzeugt werden. Auch bei den technisch oder medial immer komplexeren Systemen wird eine immer stärkere Eigenleistung vorausgesetzt, nicht nur hinsichtlich der Anpassung an sie sondern auch in Bezug auf die Ausstattung mit ihnen zu Hause. Zusammenfassend seien nochmals Voß und Pongratz zitiert: „Betriebe versuchen zunehmend in all diesen Dimensionen durch erweiterte Externalisierung der Transformationsfunktion auf die Arbeitenden Kontrollaufwand zu reduzieren und neue Leistungspotentiale zu erschließen“ (Voß und Pongratz 1998, S.141).

Jurczyk und Voß schauen auf die Zeiten des Arbeitskraftunternehmers und stellen Entgrenzungen fest (Dabei weisen sie darauf hin, dass es vor allem für Frauen das Abweichen von den Normalarbeitsverhältnissen schon länger nicht unüblich gewesen ist, dass es auch Gegentrends zur Entgrenzung wie Retaylorisierung gibt, dass Entgrenzung nicht Strukturlosigkeit sondern die Verlagerung von Grenzen bedeutet und dass Entgrenzungen eventuell nur eine Übergangsphase darstellen). Diese Entgrenzungen beschreiben sie dann jeweils für die drei Merkmale des Arbeitskraftunternehmers. So wandeln sich die Arbeitszeiten mit zunehmender Selbstkontrolle. Bisher war die betriebliche Fremdkontrolle der Arbeitszeit starr, festgelegt und kontrolliert hinsichtlich Anfang, Ende, Lage, Dauer und Unterbrechungen sowie ihrer Reichweite (Arbeits-Tag, -Woche, -Jahr und Lebensarbeitszeit). Jetzt wird die Arbeitszeit aktiv durch die Arbeitskraft gestaltet. Die Umstellung von Zeitorientierung auf Ergebnisorientierung stellt neue Anforderung ans Zeithandeln. Die neuen Grenzen sind nun Zeiträume für die Erledigung von Ziele (etwa der Auftrag eines Kunden bis zu einem bestimmten Datum). Zeit wird dereguliert hinsichtlich Tag, Woche, Jahr und Lebensarbeitszeit.

Ausserdem wandelt sich die Mikrozeit des Arbeitshandelns. Wurden die Arbeitsschritte bisher detailliert vorstrukturiert, so wechseln die Zeitmodi beim Arbeitshandeln nun ständig zwischen schnell und langsam, zwischen Planung und spontanem Handeln. Eine flexible Reaktion auf Unvorhergesehenes wird normal. Aus „Zeit einhalten“ und unausweichlichem Zeithandeln wird Aktives Zeithandeln (Jurczyk und Voß 2000, S.168).

Zu 2) Selbst-Ökonomisierung:

Das Verhältnis zur eigenen Arbeitskraft wandelt sich von passiver Verausgabung zu aktiver Selbstvermarktung. Beim Taylorismus hatte es nur punktuelle Vermarktungen der eigenen Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt gegeben, zu Beginn und bei einem Arbeitsplatzwechsel. Der Arbeitskraftunternehmer ist dagegen ein kontinuierlich strategisch handelnder Akteur. Die eigene Arbeitskraft muss kontinuierlich verkauft, vermarktet und entwickelt werden – innerbetrieblich und auf dem externen Markt (Voß und Pongratz 1998, S. 142).

Selbstökonomisierung in Bezug auf Zeit bedeutet, dass Zeit verstärkt zur Beurteilung und Steigerung der Effizienz der Arbeitskraft eingesetzt wird. Auch bisher ist zeitökonomisches Handeln wichtig gewesen, etwa als Pünktlichkeit und in der Maxime Zeit ist Geld. Jetzt wird jedoch das gesamte erwerbsbezogene Handeln der Betroffenen nach Effizienz beurteilt. Fand Bildung bisher meist am Anfang des Lebens statt, erfolgt sie jetzt lebenslang, entgrenzt und zeitlich verdichtet. Erholung muss jetzt zeitlich gemanagt werden, abängig davon, wann es bei der Arbeit passt. Die Vermarktung der eigenen Arbeitskraft erfolgt jetzt wie erwähnt ständig. Dabei gilt es, jede Sekunde zu nutzen, sich zu optimieren und generell ein verstärktes Kostenbewusstsein für jede Tätigkeit anzuwenden. Zeitökonomie wird individualisiert fund die Arbeitskraft betreibt eine Rationalisierung des eigenen gesamten Handelns. Was angemessene Zeitökonomie ist, ist unberechenbar. Ausserdem wird sie entgrenzt, denn sie wird das ganze Leben lang betrieben und betrifft alle Aspekte der Ökonomie der Arbeitskraft: Vermarktung, Verkauf, Entwicklung und Erholung.

Zusätzlich wird der gesamte Lebenslauf bzw. die Biographie ökonomisch betrachtet und alle Zeit wird Kapital. Neben zeitlicher Planung muss auch Flexibilität für Ungewissheiten Raum gelassen werden. Zeitkompetenz wird ein eigenständiges Vermarktungsargument. Hatte es bisher noch zeitliche Rahmen für die Verwertung von Arbeitskraft gegeben, wird die wirtschaftliche Verwertung des Lebens Arbeitender jetzt schrankenlos intensiviert (Jurczyk und Voß 2000, S.175).

Zu 3) Selbst-Rationalisierung

Die Lebensführung des Arbeitskraftunternehmers wird verbetrieblicht. Alle Lebensbereiche, der gesamte Alltag sind von erweiterter Ökonomisierung betroffen. Der gesamte Lebenszusammenhang wird systematisch organisiert bei Nutzung aller individueller Ressourcen. Ein individuelles „Portfolio“ von existenzsichernden Arbeitskrafttivitäten wird erstellt. Der Arbeitskraftunternehmer ist ein eigener Betrieb (Voß und Pongratz 1998, S.143).

Bezogen auf Zeit bedeutet Selbstrationalisierung, dass die Trennung von „Arbeit“ und „Leben“ wegen den flexibleren Arbeitszeiten aktiv neu organisiert werden muss. Das Zeithandeln hinsichtlich der Koordination von Alltag, Leben und Arbeit wird verkompliziert. Zeit dient nun als zentrales Medium zur Durchgestaltung des gesamten Lebens. Zeitkompetenz bedeutet, einen Mittelweg zwischen Planung und auf-sich-zukommen zu finden. Die Alltags –und Lebenszeiten müssen reflexiv gestaltet werden. Flexibilität meint Planung und Offenheit, Unvorgesehenes wird Normalität. Es wird also nicht alles zweckrational beim Zeithandeln (Jurczyk und Voß 2000, S.183).

2.4 Anmerkungen zum Arbeitskraftunternehmer

Zu den obigen Auslegungen gibt es einige Einschränkungen und Anmerkungen zu machen. Eine zunehmende Selbstorganisation der Arbeit bedeutet mehr Spielräume, nicht aber, dass das Unternehmen ein herrschaftsfreier Raum wäre. Die Selbst-Kontrolle erfolgt innerhalb der nach wie vor bestehenden betrieblichen Kontrolle. Arbeitskraft wird weiterhin ausgebeutet, nun aber stärker in der Form der Selbstausbeutung, denn niemand holt mehr aus dem Menschen heraus als er selbst. Die Potentiale des Mitarbeiters wie Lernbereitschaft, Phantasie, Kooperation und Kreativität werden so viel stärker genutzt, der Zugriff auf die Arbeitsperson als ganze wird total. Der Interessenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit ist nicht beendet, sondern nur verlagert. Fand er im Taylorismus noch zwischen den kollektiv organisierten Arbeitspersonen auf der einen und der Organisation auf der anderen Seite statt, so findet er jetzt innerhalb der Arbeitsperson statt, da sie die betriebliche Kontrolle verinnerlicht hat. Nicht behandelt haben Voß und Pongratz die Empirie zu der Frage, wie stark der Arbeitskraftunternehmer in der Realität verbreitet ist. Dazu bemerkt Voß, dass dies auch nicht ihre Absicht gewesen ist, da der Arbeitskraftunternehmer eher einen gesellschaftlichen Idealtypus darstelle: „Die Thesen zielen zudem nicht primär auf eine zunehmende empirische Verbreitung des Typus (bzw. seiner Merkmale), sondern insbesondere auf einen neuen gesellschaftlichen Leittypus von Arbeitskraft. Die Vermutung ist, dass sich aktuell ein Kulturwandel im gesellschaftlichen Verständnis dessen vollzieht, was menschliches Arbeitsvermögen überhaupt ist...“ (Voß 2001, S.22). In reiner Form tritt der Arbeitskraftunternehmer nur bei bestimmten Gruppen auf, allerdings zunehmend.

3. Wertewandel und Arbeitskraftunternehmer

Die Frage nach den Übereinstimmungen zwischen Wertewandel und dem neuen Typus von Arbeitskraft ist auch eine Frage danach, was Ursache und was Folge ist, was sich gegenseitig bedingt und was Ursachen hat, die außerhalb der hier behandelten zwei Themenblöcke liegen.

3.1 Der Wertewandel als Ursache für den Arbeitskraftunternehmer

Zunächst einmal gibt es für den Wertewandelsschub ab dem Ende der 60er Jahre eine Reihe von Ursachen, die unabhängig von der Arbeitswelt sind. Diese sind bereits weiter oben angesprochen worden, etwa das Aufwachsen im Wohlstand, die Bildungsexpansion oder die Abgrenzung von der belasteten Vergangenheit der Elterngeneration. Zu diesem Wandel der Wertorientierungen gab es in den 70er Jahren noch kaum Entsprechungen im Arbeitssystem, auch wenn die Schlagwörter der „Humanisierung des Arbeitslebens“ bzw. der „Demokratisierung des Arbeitslebens“ die Runde machten; Gruppenarbeit wurde von Gewerkschaften wie Arbeitgebern abgelehnt. Allerdings wurde 1976 das Mitbestimmungsgesetz verabschiedet. Organisationen sind, wie bereits erwähnt (S.9) träge und verkörpern geronnene Werte und sind demnach nicht in der Lage, sich reflexartig an neue Werte anzupassen – wenn das denn überhaupt von den Organisationen gewollt wird, welche Pflicht –und Akzeptanzwerten von ihrer Art her näher stehen als Selbstentfaltungswerten. Ebenso bereits erwähnt worden sind die zunehmenden Ansprüche an Arbeit (Subjektivierung, Einbringung der ganzen Person) und die Thesen, wonach die Arbeitsmoral nicht abgenommen habe, sondern die Erbringung von Leistung nun stärker an Bedingungen geknüpft wird, die wiederum mit höheren Ansprüchen an Arbeitsinhalte zu tun haben, die von den Organisationen nicht erfüllt werden/wurden. Das Beispiel der werorientierten Personalarbeit bei BMW ist ein Indiz für den Einfluss gewandelter Wertorientierungen auf Unternehmen (allerdings wird etwa beim Wert „Leistungsorientierung“ dem damaligen Trend versucht gegenzusteuern, der Einfluss ist nicht total). Es hat also unabhängig vom Geschehen in Organisationen einen Wertewandel gegeben, der sich (später) auf die Organisationen auswirkte.

3.2 Ursachen für die neue Form von Arbeitskraft, die unabhängig vom Wertewandel sind

Der Wertewandel ist jedoch nicht der alleinige Grund für den Wandel der Arbeitsorganisation. Zunächst ist bereits im eben erwähnten Zitat von Voß von ökonomischen Erfordernissen die Rede, auf die an dieser Stelle eingegangen werden soll. Ebenso bereits Erwähnung fand die Internationalisierung der Märkte, die die tayloristischen Strukturen zu unflexibel machte. Komplexe technische Neuerungen sorgten für eine Reprofessionalisierung, da die Zerlegung der Arbeit in kleinste Teile bei den neuen, komplexen Technik nur wenig Sinn machte und vielmehr Facharbeiter benötigt wurden, die sich in Teams um die Anlagen kümmerten. Mehr Verantwortung und höhere Qualifikationsanforderungen wirken auch zurück auf Selbstbewusstsein, Ansprüche an Arbeit und Werte. Dieser Typ von Facharbeiter wird bei Schumann als Systemregulierer bezeichnet und wird von Baethge als derjenige aufgegriffen, der Spaß, selbstverantwortliches Handeln und Entfaltungsmöglichkeiten für die eigenen Qualifikationen in der Arbeit sucht. In diesem Fall könnte man davon sprechen, dass neue, komplexere Technik und höhere Ansprüche an Arbeit bzw. allgemeiner gesprochen der Wertewandel zumindest teilweise zusammenpassen (unabhängig davon, was nun was verursachte). Die Komplexität der Arbeitswelt nimmt zu (mit Ausnahmen), damit ist Spezialistenwissen gefragt. Das wiederum bedeutet, dass die Aufgabe der Führung weniger in Anweisung und Kontrolle bestehen (können), sondern in der Koordination der Spezialisten. Anders ausgedrückt: „Der Punkt ist erreicht, wo die auf Arbeitsteilung und bürokratischer Organisation beruhende Rationalität der Moderne ins Kontraproduktive umschlägt“ (Vester 1993, S.112). Im postfordistischen Kapitalismus spielt vor allem Flexibilität eine große Rolle, weiterhin „entstehen völlig neue Produktionsbereiche, neue Finanzierungstechniken, neue Märkte, und vor allem wird das Umschlagstempo von Innovation in Technik, Organisation und Kommerzialisierung erhöht“ (Vester 1993, S.114). „In der postfordistischen Wirtschaft wird die „economics of scale“ durch die „economics of scope“ verdrängt. Es gilt, nicht möglichst viel vom selben zu produzieren, sondern viel verschiedenes herzustellen, eine breite Produktpalette anzubieten und auf individuelle Wünsche rasch und flexibel zu reagieren. Da das die Kapazitäten der größten und flexibelsten Unternehmen übersteigt, ist nicht die Zentrierung im durch und durch organisierten Unternehmen der richtige Weg. Vielmehr müssen Funktionen und Verantwortlichkeiten dezentriert werden“ (ebd. S.117). Unternehmen sind also gezwungen, auf äußere Veränderungen zu reagieren und ihre Organisation umzustellen. Diese Neuerungen entwickelten sich also nicht aus gewandelten Wertorientierungen, beeinflussen diese jedoch höchstwahrscheinlich. Für die Beschäftigten beinhaltet dieser Wandel mehr Flexibilität, mehr Verantwortung und komplexere Tätigkeiten, die mehr Bildung und Wissen voraussetzen – zumindest gilt dies für den höherqualifizierten Bereich. Damit kommt die neue Arbeitswelt zum einen den Selbstentfaltungswerten (siehe Abbildung drei), genauer den Werten „Autonomie“, „Abwechslung“, auch „Spannung“ und vielleicht auch „Selbstverwirklichung“, entgegen, zum anderen werden höhere Anforderungen an die Beschäftigten gestellt, die einen höheren Druck bedeuten. Die Werte „Fleiß“ und „Leistung“ haben offensichtlich immer noch Bedeutung.

3.3 Übereinstimmungen zwischen den „neuen“ Werten und dem Arbeitskraftunternehmer

Doch zurück zum Arbeitskraftunternehmer. Inwiefern stimmt dieser Idealtypus mit den „neuen“ Werten überein, wo liegen die Grenzen dieses Vergleichs?

Die Erkenntnisse der Wertewandelsforschung stimmen nicht komplett überein. Zum Teil muss auch danach unterschieden werden, von wann eine Untersuchung stammt, ob aus den 80er Jahren oder aus diesem Jahrtausend. Übereinstimmend mit dem neuen Idealtypus des Arbeitskraftunternehmers sind folgende Entwicklungen:

- Selbstverwirklichung kommt mehr Bedeutung zu. Dies gilt nicht nur für den Bereich der Arbeit und führt somit auch dazu, dass andere Lebensbereiche in stärkere Konkurrenz zur Arbeit treten. Doch auch und gerade in der Arbeit wird nach Selbstverwirklichung gestrebt. Dies passt zum Arbeitskraftunternehmer, welcher die Einbringung der ganzen Persönlichkeit mit all ihren Ressourcen wie etwa auch Kreativität erfordert. Größere Handlungsspielräume sind förderlich für Selbstverwirklichung (Umgekehrt bedeutet dies, dass Arbeit, die solche Möglichkeiten nicht bietet, noch stärker abgewertet wird).
- Nach Ingleheart (S.3) spielen interessante Arbeitsinhalte, Partizipation und individuelle Autonomie jetzt eine größere Rolle, während hierarchische Autoritätsmuster zunehmend abgelehnt werden. Diese Punkte kann der Arbeitskraftunternehmer durchweg besser erfüllen als der fordistische Arbeitnehmer. Hierachien werden beim Modell des Arbeitskraftunternehmers verflacht und die Autonomie des Einzelnen vergrößert.
- Arbeit wird weniger als Pflicht betrachtet und der Lebensgenuss spielt eine wichtigere Rolle. Die aktuelleren Untersuchungen haben dazu ergeben, dass Leistung wieder wichtiger wird. Dies bedeutet, dass die Arbeitsmoral nicht verfallen ist, sondern dass Leistung und Genuss vernüpft werden. Ein idealtypischer Arbeitskraftunternehmer würde die hohen Leistungserfordernisse nicht erfüllen können, wenn er bei der Arbeit nicht auch so etwas wie Genuss, Abenteuer, Spannung und Abwechslung erleben könnte. Überspitzt gesagt wird Leistung genossen. Anders gesagt, wird aus einem Bedürfnis heraus und nicht aus Pflicht heraus etwas geleistet. Dies führt wieder zu den höheren Ansprüchen an Arbeit. Der aktuelle Bedeutungszuwachs für Leistung als Wert könnte allerdings auch durch den aktuellen strukturellen Hintergrund verursacht sein, der sich von dem der 70er Jahre durch die erhöhte Arbeitslosigkeit verändert hat; zugleich könnten die höheren Anforderungen der Arbeitswelt sich auf die Werte auswirken. Doch dies ist an dieser Stelle nur Spekulation.
- Neben Leistung haben nach Noelle-Neumann (S.6) auch Arbeit, Ehrgeiz, sich durchsetzen, den Horizont erweitern und technisches Verständnis erlangen aktuell größere Bedeutung erfahren. Für diese Werte gilt das gleiche wie für Leistung, sie sind vermutlich aus den strukturellen Veränderungen ab den 90er Jahren entstanden. Wie auch immer, sie passen zum Arbeitskraftunternehmer.
- Die Arbeit soll gemäß den neuen Werten interessant, abwechslungsreich, verantwortungsvoll und schöpferisch sein und Anerkennung, persönliche Entfaltungsmöglichkeiten, Mitbestimmung und selbstständige Gestaltung bringen. Demgegenüber haben Aufstieg, Verdienst und Sicherheit des Arbeitsplatzes an Wert verloren (S.7). All diese Punkte stimmen mit dem Arbeitskraftunternehmer überein, der durch erweiterte Handlungsspielräume (Autonomie, Eigenständigkeit), Kreativität, Flexibilität (Abwechslung), Lernbereitschaft und Phantasie gekennzeichnet ist.

Das Erstarken der Selbstentfaltungswerte (Abbildung drei) drückt sich in höheren Ansprüchen an die Arbeit aus. Schaut man sich diese individualistischen, hedonistischen und idealistischen Werte an, so passen sie eindeutig besser zum Arbeitskraftunternehmer als die Werte auf der linken Spalte der Abbildung drei. Letztere wiederum passen besser zum verberuflichten Arbeitnehmer des Fordismus. Ganz reibungslos gehen kultureller und ökonomischer Wandel jedoch nicht Hand in Hand.

3.4 Differenzen zwischen Wertewandel und dem Arbeitskraftunternehmer

Wie bereits angesprochen, gab es beim Wertewandel verschiedene Phasen. Die neuesten Entwicklungen passen besser zum Arbeitskraftunternehmer als die „neuen“ Werte, die ab Ende der 60er Jahre einsetzten. Dies gilt besonders für Werte wie Leistung und Ehrgeiz, welche mit dem Wertewandelsschub an Bedeutung verloren und heute wieder wichtiger geworden sind, für die Arbeitswelt jedoch nie an Bedeutung verloren haben und heute mehr denn je Geltung haben.

Ein zentraler Reibungspunkt zwischen neuen Werten und neuer Arbeit liegt in den Organisationen begründet. Weiter oben (S.9) wurde bereits angesprochen, dass Organisationen Unterordnung, Anpassung und ein sich-einfügen erfordern und somit gerade für Pflicht –und Akzeptanzwerte stehen. An dieser Stelle soll nun nicht untersucht werden, inwieweit Unternehmen von heute tatsächlich flachere Hierarchien, die Anreicherung von Tätigkeiten oder allgemeiner postfordistische Organisationskonzepte umsetzen. Bestimmte Eigenheiten von Organisationen, die im Widerspruch zu den neuen Werten stehen, sind jedoch unabhängig von irgendwelchen Trends an sie gebunden. Es geht hier um eine kritische Betrachtung des „Intrapreneurs“, des Unternehmers im Unternehmen. An dieser Stelle werden damit zugleich auch Widersprüche des Idealtypus des Arbeitskraftunternehmers deutlich.

Selbststeuerung auf der einen Ebene kann zu Fremdsteuerung auf einer anderen Ebene führen. Mehr Macht für den Leiter eines Profitcenters führt dazu, dass die Mitarbeiter unter ihm in ihrer Macht beschnitten werden. Gruppenarbeit bedeutet nicht Herrschaftsfreiheit, oft unterdrücken sich Gruppenmitglieder gegenseitig. Allgemeiner gesagt funktioniert mehr Autonomie für den einen in der Organisation oft nicht ohne weniger davon für den anderen. Konsequent zuende gedacht müsste der Unternehmer im Unternehmen zur Beseitigung sämtlicher Hierarchien führen. Dies geschieht jedoch nicht. Die Stärkung des Marktprinzipes innerhalb der Organisation hat andere Folgen als wenn dies in der Gesellschaft geschieht: „Das Motto in Unternehmen ist eben nicht „Tut was ihr wollt, aber seid dabei profitabel“, sondern „Tut was ihr wollt, aber seid dabei profitabel und bleibt dabei innerhalb der (wechselnden) Zwecksetzung des Konzerns“ (Kühl 2000, S.823). Die Zwecke und Ziele kann sich auch der Arbeitskraftunternehmer nicht frei und autonom aussuchen, damit sind auch der Verwirklichung des Wertewandels in der Arbeitswelt Grenzen gesetzt. Weiterhin wird über den internen Markt eines Unternehmens im Gegensatz zu dem der Gesellschaft hierarchisch entschieden: „...durch die Konzeption des „Intrapreneurs“, des „Ein-Mann-Unternehmens“ oder der „Selbst-GmbH“ werden die Mitarbeiter nicht zu den neuen Machthabern im Unternehmen“ (Kühl 2000; S.824). Letzlich ist die Bedeutung von Pflicht –und Akzeptanzwerten im Unternehmen nach wie vor groß. Die Kreativität und das Engagement der Mitarbeiter sollen für das Unternehmen nutzbar gemacht werden, indem ihre Identifikation zum Unternehmen erhöht wird. Dies steht jedoch im Widerspruch dazu, dass sie austauschbar gehalten werden müssen, denn auf diesem Prinzip beruhen Organisationen. Die Mitarbeiter werden nicht zu selbstständigen Subunternehmern, was bedeutete, dass jede Leistung im Werkvertrag exakt umschrieben werden müsste. „Die „Unternehmer im Unternehmen“ werden – und das ist ein wichtiger Unterschied – im Gegensatz zu „wirklichen Unternehmern“ nicht Eigentümer an den für ihre Wertschöpfung relevanten Produktionsmittel“ (Kühl 2000, S.826). Der Arbeitsvertrag, der einen Generalgehorsam und damit für die Unternehmensseite Flexibilität bedeutet, wird durch Zielvereinbarungen angereichert. Dadurch bekommt der Mitarbeiter den Druck des Marktes wie die Konkurrenz im Unternehmen direkt zu spüren. Es entsteht der Eindruck, dass der Druck ausschließlich durch den anonymen Markt und nicht den Vorgesetzten bzw. das eigene Unternehmen entsteht. Die Fremdbestimmung der Arbeitskraft bleibt bestehen. „Das Entscheidende am Phänomen des Arbeitskraftunternehmers ist deshalb dessen subjektive Perspektive auf seine Arbeit, sein quasi-unternehmerischer Habitus und seine „Internalisierung des Marktes“. Dieser Habitus verwandelt die traditionellen Deutungsmuster proletarischer Ausbeutungserfahrung in ein Bewusstsein vermeintlicher Autonomie und Selbstverantwortlichkeit, das ein Erkennen der Widersprüche und Risiken kapitalistischer Verwertung von Arbeitskraft enorm erschwert“ (Peter 2003, S.74). An den Mitarbeiter werden paradoxe Verhaltensanforderungen zwischen Kooperation und Konkurrenz, zwischen Eigenständigkeit und Unterordnung unter die Ziele und Normen der Organisation gestellt (Kühl 2000). Innerhalb von gewissen Grenzen und Gebieten werden Werte wie Autonomie, Verantwortlichkeit und Eigenständigkeit also umgesetzt, die Grenzen und Gebiete werden aber nach wie vor von der Organisation fremdbestimmt. Diese Fremdbestimmung wird lediglich weniger offensichtlich.

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass sich unter den hier verwendeten Begrifflichkeiten verschiedenes verbergen kann. Man kann sich als umherziehender Künstler verwirklichen oder indem man eine Zielvorgabe gut erfüllt. Flexibilität kann Vorteile für den Mitarbeiter bieten, wenn es jedoch beispielsweise bedeutet, gezwungen zu sein, mit dem Unternehmen umzuziehen, um den Arbeitsplatz nicht zu verlieren, dann ist das zwar eine Abwechslung, aber deshalb noch lange keine wünschenswerte. Der Arbeitskraftunternehmer ist ambivalent und dementsprechend kann er auch nur teilweise mit dem Wertewandel übereinstimmen. Lebenslanges Lernen mag auch 1970 etwas Wünschenswertes gewesen sein, der Zwang, lebenslang zu Lernen, um nicht den Anschluss zu verlieren, verleiht dem Ganzen jedoch eine etwas andere Note. Die zunehmende Ökonomisierung, Rationalisierung und Reflexivität des gesamten Lebens entsprechen so nicht den „neuen“ Werten.

3.5 Gewinner und Verlierer

Es ist viel von Idealtypen und Leitbildern die Rede gewesen. Die Menschen haben den Wertewandel jedoch individuell in sehr unterschiedlichen Ausmaßen und Arten und Weisen vollzogen, und der Arbeitskraftunternehmer hat sich höchstens in bestimmten Bereichen vollständig durchgesetzt. Dementsprechend meistern unterschiedliche Gruppen den Wandel unterschiedlich gut.

Wie bereits erwähnt (S.5), hat Klages vier Typen gefunden, die sich in ihrer jeweiligen Ausprägung der Pflicht –und Akzeptanz bzw. der Selbstentfaltungswerte unterscheiden (Abbildung fünf). Als Überraschung galt die „Entdeckung“ der aktiven Realisten, die die traditionellen wie die neuen Werte in einer Synthese in sich vereinen. Ende der 80er Jahre wiederholte Klages die Untersuchungen und entdeckte den neuen Typus des „Hedomat“, des hedonistischen Materialisten. In einem neueren Aufsatz analysiert Klages nochmals diese fünf Typen und erfasst sie auch zahlenmäßig:

„Vorrangig traditionell orientierte Menschen (1999: 18 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren) halten sich eher ans Bewährte und lassen wenig Neigung zur Selbstständigkeit und Risikofreude erkennen. Vorrangig hedonistisch und materiell Orientierte (15 Prozent) sind zwar flexibel. Die Dominanz des Lustprinzips und Jagd nach schnellen Gewinnen lassen sie jedoch nicht selten die Grenzen des sozialen und legal Verträglichen austesten. Vorrangig idealistisch Eingestellte (17 Prozent) sind zwar verbale Fortschrittsbejaher, stehen jedoch wegen ihrer oft ideologisch geprägten Sichtweise der Realität der Modernisierung frustrationsanfällig gegenüber. „Perspektivenlos Resignierte“ (16 Prozent) sind die eigentlichen „Stiefkinder“ des gesellschaftlichen Wandels; Rückzug, Passivität und Apathie sind für sie typisch. Aktive Realisten können dagegen von ihrer mentalen Grundausstattung her am ehesten als hochgradig modernisierungstüchtige Menschen charakterisiert werden. Die Gruppe umfasste 1999 34 Prozent der Bevölkerung und stellte somit den zahlenmäßig stärksten Typus dar“ (Klages 2001, S.10).

Klages beschreibt, dass die Gruppe der aktiven Realisten weiter anwächst und setzt seine Hoffnungen in diesen Persönlichkeitstypen. Sein Leitbild ist das „mündige und eigenverantwortliche Mitglied der Bürger –oder Zivilgesellschaft“. Er betont die Wichtigkeit der Sozialisation, allerdings nicht nur in der Erziehung, sondern auch in späteren Lebensphasen, in welchen verantwortungsvolle Rollen einen Wechsel zum Typus des „aktiven Realisten“ ermöglichen sollen. Ebendessen Eigenschaften beschreibt er wie folgt:

„Menschen, die dieser Gruppe angehören, sind in der Lage, auf verschiedenartigste Herausforderungen „pragmatisch“ zu reagieren, gleichzeitig aber auch mit starker Erfolgsorientierung ein hohes Niveau an „rationaler“ Eigenaktivität und Eigenverantwortung zu erreichen. Sie sind auf eine konstruktiv-kritikfähige und flexible Weise institutionenorientiert und haben verhältnismäßig wenige Schwierigkeiten, sich in einer vom schnellen Wandel geprägten Gesellschaft zielbewusst und mit hoher Selbstsicherheit zu bewegen. Mit allen diesen Eigenschaften nähern sie sich am ehesten dem Sollprofil menschlicher Handlungsfähigkeiten unter den Bedingungen moderner Gesellschaften an“ (Klages 2001, S.10).

Dieses Leitbild passt gut zu dem des Arbeitskraftunternehmers: rational, aktiv, eigenverantwortlich, selbstsicher, flexibel und zudem institutionenorientiert. Hier geht der Wertewandel scheinbar wieder zusammen mit dem Arbeitskraftunternehmer. Die Gewinner sind die, für die der Wandel eher eine kreative Herausforderung erscheint, für die Verlierer bedeutet er Stress, Bedrohung und Überforderung. Der Wandel birgt Chancen und Risiken. Bisherige soziale Ungleichheiten werden verlängert. Wichtig für den Erfolg sind jetzt Persönlichkeit, soft skillls, die alltägliche Lebensorganisation und eine effiziente Biographie. Das klassische Bildungsideal der ganzheitlich entwickelten Persönlichkeit ist gefragt. Die Verlierer des Wandels sind „diejenigen, denen aufgrund ihrer beruflichen Lage oder betrieblichen Situation Formen des Arbeitskraftunternehmers da aufgezwungen werden, wo die Nachteile verringerter sozialer Regulierung bzw. der neuen Marktförmigkeit von Arbeit kumulieren und/oder denen die erforderlichen Qualifikationen zur Bewältigung der gestiegenen Selbstregulierungsanforderungen fehlen“(Voß und Pongratz 1998, S.154). Auch für die Gewinner birgt der Wandel jedoch nicht nur positive Seiten: „Die Chance der ökonomisch-organisatorischen Entgrenzung, sich auf allen Feldern selbst zu organisieren und erweitert zu reproduzieren (als Unternehmer, Manager, Techniker, Hausmann etc.), bezahlen die Befreiten mit Auslastungsrisiken, Einkommensrisiken und der Bereitschaft, die eigene Lebensführung unbeschränkt in Dienst zu nehmen. Entgrenzung durch Vermarktlichung erscheint damit zugleich als Entsicherung, als „Fragilisierung“ von Lebenslagen auch der vermeintlichen Rationalisierungsgewinner mit ihren vergleichsweise gutbezahlten Positionen und Arbeitsmarktchancen“ (Moldaschl und Sauer 2000, S.219).

4 (Gesellschaftstheoretischer) Schluss

Zwischen Wertewandel und dem neuen Idealtypus von Arbeitskraft gibt es ganz offensichtlich einige Übereinstimmungen. Darauf weist auch Voß hin: „Vielmehr ist ganz offensichtlich, dass die Herausbildung eines neuen Leitbildes von Arbeitskraft in eine homologe gesamtgesellschaftliche Entwicklung eingebunden ist. Die populären Thesen zur Individualisierung und zum Wertewandel in der Gesellschaft verweisen z.B. auf erstaunliche Parallelentwicklungen von soziokulturellen Erscheinungen und einem möglichen Wandel von Arbeitskraft...(Es kann) von einer funktionalen Verknüpfung von Kulturwandel und den ökonomischen Erfordernissen einer neuen Stufe kapitalistischer Ökonomie gesprochen werden“ (Voß 2001, S.22). Auch anderswo finden sich Hinweise auf einen kulturellen Wandel, der Hand in Hand geht mit den Entwicklungen in der Arbeitswelt: „So haben sich im Zuge des sog. Wertewandels die Arbeitsansprüche von Arbeitnehmern in Richtung von Selbstbestimmung und Sinnbezug entwickelt und konvergieren damit mit neuen Betriebskonzepten“ (Voß und Pongratz 1998, S.135). Weiterhin ist an gleicher Stelle die Rede von einer „oft beträchtlichen individuellen Akzeptanz flexibilisierter Arbeitsbeziehungen“.

Der Arbeitskraftunternehmer steht für ein idealtypisches Beispiel des Wandels der Gesellschaft überhaupt. Nach Elias sind Verhaltensstandarts abhängig von den gesellschaftlichen Erfordernissen bzw. spiegeln die Persönlichkeitsstrukturen die gesellschaftliche Entwicklungsstufe wider. Die gesellschaftliche/ökonomische Notwendigkeit der Selbstkontrolle (etwa von Leistung) spiegelt sich in Selbst-Disziplinierung, Selbst-Kultivierung und Selbst-Rationalisierung der Persönlichkeiten wider. Die Regulierung und Stabilisierung von Gesellschaft findet in subjektivierter Form statt. Aus gesellschaftlichen Notwendigkeiten wird eine ansozialisierte Selbstkontrollapparatur. Spezifischer ausgedrückt: Aus den Fremdzwängen des Taylorismus werden die Selbstzwänge des Arbeitskraftunternehmers. Die Kontrolle wird verinnerlicht. Fand im Taylorismus Vergesellschaftung in Lohnarbeit noch durch Protest, gemeinsame Leidenserfahrungen und Zusammengehörigkeit statt, erodiert diese Form der Vergesellschaftung nun durch die neuen Beschäftigungsverhältnisse. Gemeinsame Rollenidentitäten werden durch persönliche ersetzt und damit heterogener und schwerer politisierbar. Somit ist der Arbeitskraftunternehmer auch ein Symbol für die Individualisierungstheorie. Aus einer passiven wird eine aktive Lebensführung, es entstehen neue Spielräume und neue Anforderungen. Das „neue“ Bildungsideal ist wie bereits erwähnt die ganzheitlich entwickelte Persönlichkeit, die fähig zur Selbststeuerung ist und den Berufsfunktionalismus ersetzt, also ein bürgerliches Modell von Person und Arbeitskraft darstellt.

Hier ist von Parallelentwicklungen die Rede und nicht davon, ob sich zuerst die Kultur (die Werte) und dann die Ökonomie (die Form der Ware Arbeitskraft) geändert haben oder umgekehrt. Vielleicht ist die Beantwortung dieser Frage an dieser Stelle auch gar nicht so wichtig. Es ist auch schon darauf eingegangen worden, dass die Ursachen des Wertewandelschubs ab Ende der 60er Jahre zunächst unabhängig von betrieblichen Entwicklungen waren, genauso wie es für den Wandel der Unternehmensorganisation auch (und vermutlich vor allem) Gründe gab, die nicht mit dem Wertewandel zusammenhingen (wie die komplexere Technik). Ganz zufällig sind die Überschneidungen zwischen der kulturellen und der ökonomischen Entwicklung aber höchstwahrscheinlich nicht entstanden, so wie die eben beschriebenen Theorien es auch auslegen. Vor allem die allerneueste Entwicklung der „Renaissance traditioneller Werte“ könnte eine Folge derjenigen in den Betrieben sein.

Selbstentfaltungswerte haben heute eine größere Bedeutung in den Unternehmen als etwa in den 60er oder 70er Jahren. Doch ihre Realisierung bleibt den ökonomischen Zielen und den Gesetzmäßigkeiten der Organisation im Kapitalismus untergeordnet und damit ambivalent und widersprüchlich. Zudem sind höhere Freiheitsgrade selten nur einseitig positiv, sondern bedeuten immer auch eine Herausforderung, die für viele zu einer Überforderung wird. Auch verschwinden die alten Zwänge nicht einfach, sondern sie werden durch neue ersetzt, was den Begriff Freiheit wieder etwas relativiert. Vielleicht trifft es der folgende Satz: Es gibt mehr Freiheiten für denjenigen, der sich stärkeren Zwängen unterwirft.

Bleibt noch die Frage, ob die negativen oder die positiven Entwicklungen überwiegen. Dies ist nicht für die Gesellschaft als ganzes zu beantworten, da die Konsequenzen individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Auch innerhalb der „Gewinner“, der „aktiven Realisten“, „Systemregulierer“ oder Arbeitskraftunternehmer sind die Folgen zwiespältig.

Anhang: Abbildungen 1-10

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: „Die Ableitung politischer Werte aus der Motivpyramide von Maslow“ (von Rosenstiel 1993)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 (Ingleheart 1998)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: „von Pflicht- und Akzeptanzwerten zu Selbstentfaltungswerten“ (Klages nach Rosenstiel 1993)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: „Gewandelte Erziehungswerte“ (Klages nach Rosenstiel 1995)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: „Die vier Grundtypen im zweidimensionalen Wertmodell“ (Klages nach Rosenstiel 1995)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: „Erziehungsziele in Westdeutschland: die traditionellen Tugenden gewinnen wieder an Bedeutung“ (Noelle-Neumann 2001)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: „Seit den sechziger Jahren mochten die jungen Generationen in Westdeutschland die Arbeit immer weniger. Trendumkehr in den neunziger Jahren (Berufstätige unter 30 Jahren)“ (Noelle-Neumann 2001)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8: „Gewandelte Ansprüche an die Berufsarbeit“ (von Rosenstiel 1992)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 9 (Noelle-Neumann 2002)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 10: „Jeder Mensch hat seine eigene Auffassung darüber, was die Arbeit für sein Leben bedeutet. Können Sie mir sagen, welche von diesen Ansichten ihrer Auffassung von der Arbeit am nächsten kommt?“ (Allerbeck/Hoag nach Brock 1992)

Literatur:

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Ingleheart, R. 1998. Modernisierung und Postmodernisierung: kultureller, wirtschaftlicher und politischer Wandel in 43 Gesellschaften. Campus Verlag, Frankfurt/Main.

Jurczyk, K.; Voß, Günter G. 2000. Entgrenzte Arbeitszeit – Reflexive Alltagszeit. Die Zeiten des Arbeitskraftunternehmers. In: Hildebrandt, E. (Hg.): Reflexive Lebensführung. Zu den sozialökologischen Folgen flexibler Arbeit. S.150-205. Sigma, Berlin.

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Moldaschl, M.; Sauer, D. 2000. Internalisierung des Marktes – Zur neuen Dialektik von Kooperation und Herrschaft. In: Minssen, H. (Hg.): Begrenzte Entgrenzungen. S.205-224. R.Bohn Verlag, Berlin.

Noelle-Neumann, E.; Köcher, R. (Hg.) 2002. Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1998-2002. Band 11. Verlag für Demoskopie, Allensbach am Bodensee.

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Rosenstiel, L. v. 1995. Einführung. In: Bihl, G.: Wertorientierte Personalarbeit. Strategie und Umsetzung in einem neuen Automobilwerk. C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München.

Rosenstiel, L.v. 1993. Wandel in der Karrieremotivation – Neuorientierungen in den 90er Jahren. In: Rosenstiel, L.v.; Djarrahzadeh, M.; Einsiedler, H.; Streich, Richard K. (Hg.): Wertewandel. Herausforderungen für die Unternehmenspolitik in den 90er Jahren. Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart.

Rosenstiel, L.v. 1992. Wertkonflikte beim Berufseinstieg. Eine Längsschnittstudie an Hochschulabsolventen. In: Klages, H.; Hippler, H.-J.; Herbert, W.: Werte und Wertewandel. Ergebnisse und Methoden einer Forschungstradition. Campus, Frankfurt/New York.

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Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Wertewandel und der Arbeitskraftunternehmer - Stimmen die gewandelten Wertorientierungen mit dem Idealtypus der neuen Grundform der Ware Arbeitskraft überein?
Hochschule
Universität Bremen
Veranstaltung
Arbeiten in High-Tech-Unternehmen
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
40
Katalognummer
V111607
ISBN (eBook)
9783640096558
ISBN (Buch)
9783640117413
Dateigröße
2169 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wertewandel, Arbeitskraftunternehmer, Wertorientierungen, Idealtypus, Ware, Arbeitskraft, High-Tech-Unternehmen, Arbeitssoziologie, Postfordismus, Arbeitsorganisation
Arbeit zitieren
Oskar Marg (Autor:in), 2004, Wertewandel und der Arbeitskraftunternehmer - Stimmen die gewandelten Wertorientierungen mit dem Idealtypus der neuen Grundform der Ware Arbeitskraft überein?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111607

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