Jugend und Jugendkulturen


Diplomarbeit, 2003

102 Seiten, Note: 1


Leseprobe


I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

A Einleitung

B Jugend und Jugendkulturen der 50er und 60er Jahre und der Gegenwart
1 Begriffsbestimmungen
1.1 Der Jugendbegriff
1.2 Der Kulturbegriff
1.3 Die Begriffe `Szene´ und ´Clique´
1.4 Der Begriff `Gleichaltrigengruppe´ bzw. `Peergroup´ bzw. `Peers´
1.5 Die Begriffe ´Jugendkultur(en)´, ´Subkultur´ und ´Jugendsubkultur´
1.5.1 Der Jugendkulturbegriff
1.5.2 Der Subkulturbegriff
1.5.3 Der Jugendsubkulturbegriff
1.5.4 Persönliche Stellungnahme und Zusammenfassung
2 Jugend und Jugendkulturen der 50er Jahre
2.1 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Hintergründe
2.1.1 Kampf zweier Kulturen, Konsumrausch und Beginn der `Kommerziellen Jugendkultur´
2.1.2 Kleidungskämpfe, Mediatisierung, stilistische Frei- räume und Charakter der Jugend
2.1.3 Schmutz und Schund
2.2 Die `Halbstarken`
2.2.1 Der Begriff `Halbstarker`
2.2.2 Historische Vorläufer
2.2.3 Erscheinungsbild, Filme und Musik
2.2.4 Krawalle und Randale
2.2.5 Soziale Herkunft und Altersstruktur der ´Halbstar- ken`
2.2.6 Deutungen und Bewertungen der Rebellion
2.2.7 Das Ende der `Halbstarken`
2.3 Die `Teenager´
2.3.1 `Teenager´ als Produkt
2.3.2 Verbündete der Jugendlichen
2.3.3 Vom „folk devil“ zum ´Teenager´?
2.4 Die ´Existentialisten`
3 Jugend und Jugendkulturen der 60er Jahre
3.1 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Hintergründe
3.1.1 Gesellschaftliche und politische Situation der 60er Jahre
3.1.2 Emanzipation und Sexuelle Revolution
3.2 Die ´Beat´-Kultur
3.2.1 Entstehung des ´Beat´
3.2.2 Der `Beat´ als Massenbewegung
3.2.2.1 Der gemeinsame Aufstieg der Beatles und der `Beat´- Musik
3.2.2.2 Reaktionen der Erwachsenengesellschaft
3.2.2.3 Die ´Beat´-Musik als Katalysator für ein neues Le- bensgefühl
3.2.3 Das Ende der `Beat´-Ära
3.3 Die Studentenproteste
3.3.1 Schwabinger Jugend- und Studentenkrawalle
3.3.2 Vorboten und politische Hintergründe bzw. Rahmenbe- dingungen der Studentenproteste
3.3.3 Entwicklung und Verlauf der Studentenbewegung
3.3.4 Deutungen und Bewertungen der Revolte
3.3.5 Auswirkungen der Rebellion
3.4 Die ´Hippie´-Kultur
4 Jugend und Jugendkulturen der Gegenwart
4.1 Die ´Techno´-Kultur
4.1.1 Die Musik
4.1.2 Raves, Clubs, Paraden und Parties
4.1.3 Wertorientierung: „Love, peace, unity and happy- ness“
4.1.4 ´Techno´ und Drogen
4.1.5 Stil und Mode
4.1.6 Das Tanzen als Weg zum Glück
4.1.7 Deutungen und Bewertungen der `Techno´-Bewegung
4.2 Die (rechte) ´Skinhead´-Bewegung
4.2.1 Wurzeln der `Skinhead´-Bewegung
4.2.2 Soziale Herkunft und Wertorientierung der (rechten) ´Skins`
4.2.3 Entstehungsbedingungen für die Bildung rechtsorien- tierter ´Skinhead´-Gruppen und Gründe für rechts- extremistische Gewalt
4.2.4 Deutungen und Bewertungen der (rechten) ´Skinhead´- Gruppen
4.3 Die ´Rap/HipHop´-Kultur

C Abschließende Erörterung: Versuch einer Beleuch- tung des Wandels von Jugend und Jugendkulturen
1 Wertewandel
2 Wandel der Bedeutung von Peergroups und Jugendkulturen
3 Strukturwandel der Jugendphase
4 Individualisierung, Pluralisierung, Differenzierung, Kommerzialisierung und Mediatisierung
5 Ausblick

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

Erklärung

„Diese heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird nie wieder so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten!“

A EINLEITUNG

Ein babylonischer Kulturkritiker soll dies vor ca. 5000 Jahren gesagt haben. Dieses Zitat läßt unschwer erkennen, daß die Ju- gend an sich schon vor vielen tausend Jahren ein brisantes Thema war und Anlaß zu heftigsten Diskussionen gegeben hat. Daß diese Brisanz bis zur heutigen Zeit keineswegs an Bedeutung verloren sondern sogar zugenommen hat, ist nicht verwunderlich. Dies be- legen einerseits die jüngsten Erkenntnisse, daß jugendliche Peergroups mittlerweile schon fast der Familie und Schule den Rang als wichtigste Sozialisationsinstanzen abgelaufen haben, und andererseits der höchst ambivalente und mannigfaltige Cha- rakter einer gegenwärtigen Jugend, die sich in eine kaum mehr ü- berschaubare Artenvielfalt von Jugendkulturen mit jeweils eige- nen Norm- und Wertvorstellungen, Kleidung und Sprache ausdiffe- renziert und pluralisiert hat.

In den nun folgenden Kapiteln meiner Diplomarbeit werde ich mich diesen Ausdifferenzierungen und Pluralisierungen von Jugend wid- men. Ich werde zum einen bedeutende, aktuelle Jugendkulturen, deren gesellschaftliche Entstehungsbedingungen und die Wesens- merkmale bzw. die Gemeinsamkeiten der jeweiligen Mitglieder im Denken und Handeln zu erkunden versuchen. Zum anderen werde ich zeitlich einen Schritt zurück zu den historisch-gesellschaftli- chen Ursprüngen gehen und die Jugend bzw. einige wichtige Ju- gendkulturen der 50er und 60er Jahre, deren Ausgangspunkte, An- reger bzw. Auslöser (Medienkultur, USA, England usw.) und ge- sellschaftliche bzw. kulturelle Trends beleuchten. Dies halte

ich für unbedingt notwendig, da der heutige Charakter der Jugend

und die Artenvielfalt von unterschiedlichsten Jugendkulturen ih- ren Ausgangspunkt in den 50er bzw. 60er Jahren mit dem Einsetzen der vielschichtigen Modernisierung haben (d.h. Mediatisierung, Kommerzialisierung usw.). Zudem ist in diesen beiden Dekaden der Ursprung für wesentliche Elemente unserer heutigen Vorstellung von Jugend zu finden, d.h. erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts beginnt die ´Realgeschichte´ von der Jugend, die mit dem gegen- wärtigen Bedeutungsinhalt übereinstimmt.2

Im letzten Kapitel meiner Arbeit werde ich auf die Wandlungs- und Veränderungsprozesse, die sich im Laufe der vergangenen 50 Jahre innerhalb der Jugend bzw. der Jugendkulturen vollzogen ha- ben, nachzuzeichnen versuchen, denn die Jugend bzw. Jugendkultu- ren der Gegenwart unterscheiden sich, obgleich (oder gerade weil) sie ihren Ursprung in den 50er und 60er Jahren haben, mittlerweile in vielen Aspekten deutlich von der Jugend bzw. den Jugendkulturen der 50er und 60er Jahre.

Jeder, der von dieser Arbeit einen zeitlichen Querschnitt vom Phänomen Jugend bzw. Jugendkultur im 20. Jahrhundert erwartet hat, wird jetzt natürlich etwas enttäuscht sein. Ich bin aber der Meinung, daß ein solcher Querschnitt in Bezug auf Vollstän- digkeit und absolute Korrektheit schon allein wegen des einge- schränkten Umfangs einer Diplomarbeit unmöglich ist. Ich glaube sogar, daß man selbst für wenige Jahrzehnte - so wie das bei meiner Arbeit ist - ja sogar für ein einzelnes Jahrzehnt oder eine einzelne Jugendkultur Jahre der Recherche bräuchte, um An- spruch auf Vollständigkeit der gewonnen Erkenntnisse erheben zu können. Und selbst dann wird man kaum annehmen können, nun alles über die Jugendlichen (die es an sich ja gar nicht gibt: Wer sind ´die´ Jugendlichen?) z.B. der 50er Jahre erfaßt zu haben.

-Was aber macht das ganze Thema Jugend bzw. Jugendkultur so schwer und komplex?-

Mit Sicherheit die vielen geschichtlichen Vorgänge, die Jugend so wie sie z.B. heute ist, oder vielleicht gestern noch war, erst ´möglich´ gemacht haben oder diese wenigstens begünstigt

haben. So ist es natürlich falsch zu sagen:

„Heute beginnen die 50er bzw. 60er Jahre - die Jugend ebenso - ein Neuanfang für alle Beteiligten - vergeßt alles andere!“

Es gibt stets ein ´Vorher´ und ein ´Danach´ welches beachtet werden muß, will man verstehen wie sich Jugendkultur im Laufe der Zeit entwickelt hat. Selbstverständlich ist das einem Ju- gendlichen an sich egal, wenn man ihm erzählen sollte, daß z.B. die Erfindungen und der Einsatz der Massenmedien in den 50er Jahren als Grundlage maßgeblichen Einfluß auf sein heutiges Er- scheinungs- und Darstellungsbild in der Gesellschaft haben. Auch wenn die Zusammenhänge oft verschwommen erscheinen mögen, so sind es doch immer wieder in der Vergangenheit gesetzte Mark- steine, die eine nachfolgende Jugendkultur beeinflussen können. Demzufolge ist es für eine Arbeit zu diesem Thema unumgänglich, die Vorgänge, die sich auf die Entwicklung von Jugendkultur aus- gewirkt haben könnten, zu realisieren und auch darauf einzuge- hen.

Ein weiteres Problem bei der Ausführung einer solchen Arbeit sind auch die vielen Ausnahmen, die es schon fast unmöglich ma- chen von ´einer Jugend´ oder ´den Jugendlichen´ zu reden. Denn es wird immer wieder Menschen geben, die von sich zu Recht be- haupten können:

„Also so war das bei mir aber überhaupt nicht - das habe ich an- ders erlebt!“

Je mehr man sich mit ´Jugend´ auseinandersetzt, um so komplexer scheinen die Zusammenhänge zu sein, die zu ihren jeweils aktuel-

len Erscheinungsbildern geführt haben.

B JUGEND UND JUGENDKULTUREN DER 50ER UND 60ER JAHRE UND DER GEGENWART

1 BEGRIFFSBESTIMMUNGEN

Im Rahmen einer Diplomarbeit zu ´Jugend´ und ´Jugendkultur´ er- achte ich es für notwendig, zu Anfang Schlüsselbegriffe wie

´Jugend´ und ´Jugendkultur´, aber auch weitere Begriffe, die

im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Thematik stehen, zu klären, und - falls dies zu ihrem korrekten Verständnis beiträgt

- in den historischen Kontext einzuordnen.

1.1 Der Jugendbegriff

Es ist schwer zu beschreiben, wer oder was ´Jugend´ ist. Es gibt weder ´den ´ Jugendlichen noch ´die ´ ´Jugend´. Es gibt verschie- dene Möglichkeiten Jugendliche einzuteilen (z.B. nach Alter, Reife oder Persönlichkeit). Es gibt aber keinen Prototypen eines Jugendlichen. Jugendliche sind Teil sozialer Netze (Familie, Freunde usw.) und Teil der Gesellschaft. Sie verändern sich und werden verändert. Jeder Jugendliche ist also ein einmaliges In- dividuum. Leider läßt es sich nicht vermeiden (wie im folgenden und während meiner gesamten Diplomarbeit), wenn man über mehrere Jugendliche schreibt, diese starr einzuteilen. Man versucht im- mer, einen größtmöglichen gemeinsamen Nenner als Basis zu fin- den.

Den Begriff ´Jugend´ verbindet man normalerweise mit einer be- stimmten Altersgruppe. Doch eine genaue Festlegung bereitet Schwierigkeiten. Soziologen sind sich über genaue Altersangaben uneinig. In den 50ern wurden 15- bis 20-jährige als Jugendliche bezeichnet. In den 90ern wurde der Begriff Jugend von dem Be- griff „Twentysomethings“ abgelöst. Im Laufe der Jahrzehnte zeichnete sich ein deutlicher Trend ab: die Altersspanne des Be- griffes ´Jugend´ scheint immer größer zu werden. In der deut- schen Gesetzgebung gelten 14- bis 17-jährige als Jugendliche, 18- bis 21-jährige als Heranwachsende.3

Der Begriff ´Jugend´ kann aber auch als Lebensphase gesehen wer- den. Hierbei soll der Begriff aber nicht durch eine Festlegung einer Altersspanne bestimmt werden. Besser ist es, den Begriff durch eine doppelt negative Abgrenzung von den beiden angrenzen- den Lebensphasen zu definieren. ´Jugend´ ist also eine Über- gangsphase, in der man nicht mehr Kind, aber auch noch nicht Er- wachsener ist. Hierbei ist noch zu klären, wie die Statusüber- gänge vonstatten gehen. Der Übergang vom Kind zum Jugendlichen zeichnet sich beim Eintreten der Geschlechtsreife ab, der Über- gang vom Jugendlichen zum Erwachsenen ist von der Aufnahme einer dauerhaften Berufstätigkeit und der Heirat gekennzeichnet. Da Beruf und Heirat zeitlich auseinanderfallen können, wird mit

„jungen Erwachsenen“ für die unverheirateten Berufstätigen und die Verheirateten ohne Beruf eine weitere Kategorie eingeführt.

Diese Definition von ´Jugend´ hat aber auch Schwachpunkte. Mit der Geschlechtsreife wird ein Merkmal verwendet, ohne daß ge- klärt wird, auf welche Weise es soziale Relevanz hat. Die Grenz- ziehung zwischen Jugend- und Erwachsenenalter wird ebenso kriti- siert. Dieses Modell ist an der männlichen Normalbiographie aus- gerichtet. Es bleibt unberücksichtigt, daß viele Frauen - in der Vergangenheit noch mehr als heute - keinen Erwerbsberuf aufneh- men bzw. diesen bei Familienbildung wieder aufgeben. Ebenso kann man anführen, daß die Heirat in der Gegenwart ihre kulturelle Selbstverständlichkeit verloren hat und daher wohl kaum noch für eine Definition des Begriffes herangezogen werden darf. Deswei- teren wird übersehen, daß heute ein Hin- und Herwechseln zwi- schen Bildungs- und Berufssystem keine Seltenheit mehr dar- stellt.4

In meinen letzten Gedanken zur Bedeutung des Wortes ´Jugend´ möchte ich noch die historischen Wurzeln aufgreifen:

Die ´Jugend´ als eigenständige Lebensphase zwischen Kindheit und Erwachsenenstatus entdeckte man um 1890. Der Begriff erlangte erst in dieser Zeit gesellschaftliche Bedeutung und wurde zu- gleich sogar als gesellschaftliche Herausforderung verstanden. Im Extremfall galt ´Jugend´ als Chiffre für einen Mythos. Napo- leons Wort „Wer die Jugend hat, hat die Zukunft“ bestimmte in

erheblichem Ausmaße die Diskussionen um die Zukunftsperspektiven

des Wilhelminischen Deutschlands. Kurz gesagt: Die ´Jugend´ galt Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts als die gesell- schaftliche Kraft, von der eine geistige, soziale und national- völkische Erneuerung ausgehen sollte. Andererseits glaubte man aber auch, daß von der Jugend - insbesondere von der Arbeiterju- gend - eine erhebliche Gefahr für das Gesellschaftssystem aus- ginge. Man schrieb ihr insbesondere Radikalismus zu.5

Der Ursprung des Begriffes ´Jugend` reicht aber viel weiter zu- rück. Bereits Aristoteles6 sagte über die Jugend:

„Die Jugendlichen sind ihrem Charakter nach zu Begierde disponiert (...). Und sie sind so dis-

poniert, daß sie von den leiblichen Begierden am ehesten der Geschlechtslust anhängen und da- rin unbeherrschbar sind (...). Aber hinsichtlich ihrer Begierde sind sie leicht wandelbar und zum Überdruß geneigt .

(...) Ferner sind sie hitzig und jähzornig und bereit, ihrem Zorn zu folgen. Auch sind sie Sklaven ihres Zorns, denn aufgrund ihres Ehrgeizes können sie es nicht ertragen, gering geachtet zu wer- den, sondern sie geraten in Empörung, wenn sie sich ungerecht behandelt glauben. (...) Auch sind sie ehrgeizig oder mehr noch siegessüchtig; denn die Jugend trachtet nach Überlegen-sein (...).

(...) Ferner sind sie nicht schlecht gesinnt, sondern gutmütig, weil sie noch nicht viel Schlechtig- keit gesehen haben. Auch sind sie leichtgläubig, weil sie noch nicht häufig getäuscht worden sind.

(...) Sie sind leicht zu täuschen; denn sie (die Jugend, Anm. d. Verf.) ist leicht zu Hoffnung ge- neigt. (...) Ferner lieben sie mehr als die anderen Lebensalter ihre Freunde und Genossen, weil das Zusammenleben ihnen Freude bereitet und sie noch nichts nach dem Nutzen beurteilen (...). Alle ihre Fehler aber liegen (...) im Bereich des Übermaßes und der übertriebenen Heftigkeit; denn alles tun sie im Übermaß: Sie lieben nämlich im Übermaß, sie hassen im Übermaß und al- les andere in gleicher Weise. Auch glauben sie, alles zu wissen, und nehmen die Haltung des Beteuerns ein (...).

Auch sind sie zum Mitleid disponiert, weil sie alle für besser und rechtschaffender halten, als sie es wirklich sind ; denn sie messen ihre Mitmenschen nach der eigenen Unschuld.(...) Ferner lie- ben sie das Lachen, und daher sind sie auch disponiert für den Spaß; denn Spaß ist gebildeter Übermut. (...)“7

1.2 Der Kulturbegriff

Prof. Laszlo A. Vaskovics beschreibt ´Kultur` folgendermaßen:

„Die Menschen verfügen nicht mehr in dem Ausmaß über Instinkte, wie dies bei den Tieren der Fall ist. Unsere Handlungen und Ver- haltensweisen sind auf der einen Seite weniger instinktgesi- chert, auf der anderen weniger instinktfixiert, und darin bes-

teht der Vorteil unserer Instinktarmut. Denn die anthropologi- schen Anlagen des Menschen bieten unendlich viele Möglichkeiten für die soziale Gestaltung individuellen Verhaltens. Seit es Menschen gibt, versuchen diese, die aus dieser biologischen Of- fenheit resultierenden Belastungen (durch ständig erforderliche situative Entscheidungen) durch das Einführen, Verbindlichma- chen, Tradieren von Regeln zu kompensieren. Soziologen sprechen in diesem Zusammenhang von Verhaltensmustern, Rollen, Instituti- onen, je nach Komplexitätsgrad solcher sozialer Regelsysteme. Die Summe gesellschaftlicher Regelsysteme in ihrer Verwobenheit, inklusive der darin enthaltenen Normen und Werte, versteht die Soziologie unter dem Begriff ´Kultur´. Oder anders ausgedrückt:

´Kultur´ läßt sich definieren als gesamte Konfiguration von Ver- haltensmustern, Rollen, Institutionen, die den Angehörigen einer Gesellschaft gemeinsam sind.“8 .

1.3 Die Begriffe `Szene´ und `Clique´

Wenn man heute über die ´ Szene´ spricht, meint man in der Regel etwas anderes als in den 70er oder 80er Jahren. In dieser Zeit verband man den Begriff oft mit Querdenkerei und Untergrund. In den 90er Jahren entstanden überall dort ´Szenen`, wo Menschen freiwillig gemeinsame Interessen, Wertvorstellungen und Frei- zeitaktivitäten entwickelten, die gleichen Freizeitaktivitäten schätzten oder an den gleichen Konsumartikeln Gefallen fanden. Die Strukturen der Gesellschaft wurden aufgeweicht und neue ge- schaffen. In den 90er Jahren definierte Schulze den Begriff wie folgt: „Eine Szene ist ein Netzwerk von Publika, das aus drei Arten der Ähnlichkeit entsteht: partielle Identität von Perso- nen, von Orten und Inhalten. Eine Szene hat ihr Stammpublikum, ihre festen Lokalitäten und ihr typisches Erlebnisangebot.“9 Jeder kann sich also entsprechend seiner Hobbies, Interessen und Meinungen einer oder mehrerer der scharf abgegrenzten `Szenen´ zugehörig fühlen. Diese Abgrenzung bewirkt ein gewisses Maß an Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der `Szene´. Dieses Gefühl wird oft noch durch eigene Publikationen verstärkt.10 Für die

kleine und überschaubare `Szene´ der Liebhaber des sog.

„Independent- bzw. Alternative-Pop“ erscheinen beispielshalber nun schon seit geraumer Zeit mehrere Zeitschriften und diverse

´Fanzines´11.

Klaus Farin fügt dieser Definition von `Szene` noch eine weitere Charakteristik hinzu: „Szenen können auch rein virtuelle Begeg- nungsstätten sein, siehe etwa die Computer-/Internet-Szenen.“12 Auch die Werbung und die verschiedenen Musiksender haben sich mittlerweile den jeweiligen `Szenen` geöffnet und bieten spezi- fische Werbe- bzw. Sendeformate an.13

Für den Begriff ´Clique` gibt es mehrere Bedeutungen. Vorwiegend wird der Begriff aber für jene Gruppen verwendet, die sich deut- lich nach außen abgrenzen und in ihrem Inneren ein Wir-Gefühl produzieren. Im allgemeinen Sprachgebrauch betont der Begriff oft die negativen Seiten des Gruppenverhaltens. In der pädagogi- schen Fachliteratur wird der Begriff aber mittlerweile mit posi- tiven Aspekten verbunden. Er steht für Gruppen, deren Bindungen eher locker und informell sind. Gerade bei Jugendlichen, welche sich vermehrt in ´Cliquen´ aufhalten, ist dieses Verhalten zu beobachten.14

F. Stimmer betont in seiner Definition des Wortes `Clique´ deren wichtige Rolle in der Sozialisation von Jugendlichen.15 Aktuelle Umfrageergebnisse unterstreichen die Tragweite Stimmers Aussage für die Gegenwart und nahe Zukunft: Nur noch ca. 40 Prozent der Jugendlichen suchen den Kontakt zu Gleichaltrigen in Sportverei- nen, kirchlichen oder politischen Jugendverbänden, der Schüler- vertretung, der Gewerkschaftsjugend oder - vor allem im ländli- chen Raum - bei der freiwilligen Feuerwehr. Cliquen haben die Funktion, die Heranwachsenden von den Anforderungen der Erwach- senenwelt, der Schule bzw. des Arbeitsplatzes oder von anderen Streßfaktoren - zumindest für kurze Zeit - abzuschirmen. Sie er- möglichen, daß die Jugendlichen sich allen Kontrollmöglichkeiten

entziehen können und bilden sozusagen eine kollektive Identität

heraus. Leider stellen ´Cliquen´ aber kein Paradies ohne Sorgen dar. So gibt es zum einen oft zu wenig Treffpunkte, wo die

`Cliquen` ihre Zeit verbringen können. In vielen Fällen müssen Bushaltestellen, Bahnhofsanlagen oder andere Verkehrsknotenpunk- te herhalten. Jugendclubs können leider oftmals nicht weiterhel- fen, da diese oft in der Hand einer einzigen `Clique´ sind. Des- weiteren kann der Konformitätsdruck innerhalb von `Cliquen´ zu sog. „Persönlichkeitsverstümmelungen“ führen. Mit anderen Wor- ten: Viele Jugendliche entwickeln kein Selbstbewußtsein, weil sie sich anpassen müssen, um in einer bestimmten Gruppe aner- kannt zu werden.16

Die Trennung zwischen den Begriffen `Szene´und `Clique` fällt nicht immer leicht. Ein wesentlicher Unterschied ist aber auszu- machen: Die ´Clique´ fußt als zwischenmenschliche Basis der

´Szene´-Aktivitäten auf direkten, körperlichen Begegnungen, die

`Szene` wiederum kann aber auch, wie bereits erwähnt, eine rein virtuelle Begegnungsstätte sein.17

1.4 Der Begriff `Gleichaltrigengruppe´ bzw. `Peergroup´ bzw.

`Peers´

-Kurze Definition-

Der Begriff verweist darauf, daß es für Individuen im Jugendal- ter charakteristisch ist, sich mit Gleichgesinnten und Gleich- altrigen zu Gruppen zusammenzuschließen. Diese Neigung ist sozu- sagen die Basis für die Bildung von Jugendkulturen. `Peergroup` ist der englische Begriff für ´Gleichaltrigengruppe´. Oft spricht man auch von `Peers´, den jugendlichen Gleichaltrigen.18 Die `Peergroup` setzt den in der Familie eingeleiteten Sozial- isationsprozeß fort. Es werden erweiterte Möglichkeiten sozialer Orientierung - bei gleichzeitiger Auflösung des kindlichen Ab- hängigkeitsverhältnisses von der Familie - vermittelt. Oft ist dabei eine Unterwerfung des Individuums unter die gruppenspezi- fischen Normen und Regeln der `Peergroup´ festzustellen.19

-Funktionen und Hintergründe-

Achim Schröder und Ulrike Leonhardt haben sich in

„Jugendkulturen und Adoleszenz“ eingehender mit der `Peergroup´ beschäftigt. Sie berichten, daß die quantitative Bedeutung der Gleichaltrigengruppen unter Jugendlichen beständig wächst: Mäd- chen gaben in den 60er Jahren noch an, daß `Peers´ für sie kaum eine Rolle spielten. Mittlerweile ist die `Peergroup´ für Mäd- chen genauso wichtig, wie dies für Jungen gilt. Schröder und Le- onhardt suchen außerdem nach Gründen für die Bildung von

`Peers´: Ab der Pubertät ist ein besonderes Faible, nämlich die Suche nach Gleichaltrigen, zu erkennen. Heranwachsende stehen während der Pubertät unter dem Druck, sich auf der einen Seite von den Eltern ablösen zu müssen bzw. zu wollen, auf der anderen Seite verfügen sie aber noch nicht über eine ausreichende Stabi- lität und Selbständigkeit. Sie übertragen gewissermaßen einen Teil ihrer Zuneigung, ihres Interesses und Bewunderung für die Eltern auf die Gleichaltrigen. Mit ihnen teilen sie die gleichen Wünsche nach Liebe, Sexualität und Selbständigkeit. Ebenso haben sie Gefühle wie Scham und Verunsicherung gemein, die aufgrund der neuen Situation hervorgerufen werden. Sie identifizieren sich miteinander und fühlen sich untereinander besser verstan- den. Schröder und Leonhardt suchen desweiteren nach Funktionen der Gleichaltrigengruppen: `Peer´-Beziehungen sind eine wichtige Voraussetzung für Liebesbeziehungen. Sie erlauben, neue Rollen zu erproben und mit gesellschaftlichen Herausforderungen zu ex- perimentieren. Beim Überwinden der Scham gegenüber dem anderen Geschlecht und beim Aufbau der Geschlechtsrolle spielen sie auch eine wesentliche Rolle. `Peergroups´ haben gerade ab dem 15ten Lebensjahr - u.a. durch Statuskämpfe innerhalb der Gruppe - gro- ßen Anteil bei der Herausbildung der beruflichen und sozialen I- dentität, sind maßgebend für moralische und normative Maßstäbe. Es wird sogar vermutet, daß dieser Einfluß größere Bedeutung hat als der Einfluß der Erwachsenen.20

subkultur´

Es fällt schwer, die Begriffe ´Jugendkultur´, ´Jugendsubkultur´ und ´Subkultur´ getrennt voneinander zu klären. Einzelne Begrif- fe wurden von einigen Autoren mit verschiedenen, von einander abweichenden Bedeutungen belegt. Viele Autoren sehen in den drei Begriffen wiederum nur eine Bedeutung. Ebenfalls ist deutlich zu sehen, daß sich im Lauf der Jahre der Bedeutungsrahmen und die Verwendungshäufigkeit verändert haben. Einige der drei Begriffe sind mittlerweile schlechthin `out` geworden und werden kaum noch benützt.

1.5.1 Der Jugendkulturbegriff

- Kurze Definition -

Baacke spricht von einer `Jugendkultur´ als Teilkultur der Ge- sellschaft, wenn die Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Weltan- schauung, der Aktivität, der Kleidung, der symbolischen Handlun- gen, der Sprache und anderer Elemente eines Lebensstils zu einem Zugehörigkeitsgefühl führen, das nicht ortsgebunden ist. Die Zugehörigen verfügen über ähnliche Deutungsmuster, die wie ein soziokulturelles Orientierungssystem wirken.21 Hierbei spielt

v.a. die ´Peergroup´ eine wichtige Rolle, welche ein wesentli- cher Faktor bei der Sozialisation/Integration der Heranwachsen- den ist. Tobias Faix ist der Ansicht, daß `Jugendkulturen´ als Antwort auf die gesellschaftlichen Probleme der jeweiligen Zeit zu verstehen sind. Er stützt diese These durch die Beobachtung der `Jugendkulturen` in den letzten 50 Jahren. „So wie sich die Gesellschaft verändert, sich weiter entwickelt, so wird die Ju- gend von dieser Veränderung geprägt und beeinflußt. Es entstehen einzelne Bewegungen, die meistens Vorreiter aus Film oder Musik haben, denen die breite Masse im braven kommerzialisierten Ab- stand folgt.“22 Schröder und Leonhardt greifen diesen Gedanken auch auf und spinnen ihn sogar ein bißchen weiter: „Auf die Wechselwirkung zwischen der Gesellschaft und den jugendkulturel- len Ausdrucksweisen muß besonders hingewiesen werden, weil sie

und Haltung der Jugendlichen teilweise als Erfüllung von Aufträ- gen ansehen, die ihnen die Gesellschaft erteilt hat.“23

-Ursprung und Entwicklung des Begriffes-

Erstmals wurde der Begriff Jugendkultur von Gustav Wyneken (1875-1964) als Gegenbegriff zur ´Alterskultur´ der bürgerlich- wilhelminischen Lebensweise um die Jahrhundertwende gebraucht. Wyneken verstand die Zeit der Jugend als das Lebensalter der größten Offenheit für hohe ethische Werte, für ideales Streben nach Selbst- und Weltvervollkommnung. Geist und Jugend ergänzen einander und können sich so von Systemzwängen befreien, d.h. die Jugend kommt nur durch geistige Beschäftigung und geistige Fun- dierung zu sich selbst und kann dadurch die geistige Welt mit ihren engstirnigen Bürokraten und Pädagogen verändern. Aus die- ser Ansicht heraus entwickelte Wyneken ein Schulprogramm, in dem der Lehrer ein geistiger Führer und ein Freund ist. Er gründete die Schulgemeinde Wickersdorf. Dies war ein Schulinternat, das aus dem vorherrschenden preußischen Schulwesen herausfiel, und in dem er sein Schulprogramm zu verwirklichen suchte. Wyneken verstand die Schule als Ort, an dem die Jugend erst wirklich zu Jugend werden kann. Er wendete sich also gegen die Familie, de- ren Beitrag zur geistigen Jugendbildung er gering schätzte und gegen die gängigen Schulen. Wynekens Projekt kann als eine radi- kale Kritik an der herrschenden pädagogischen und gesellschaft- lichen Praxis gesehen werden. Sein politischer Anspruch geht da- hin, daß Jugend das geistige Fundament ist für eine kultur- und gesellschaftspolitische Auseinandersetzung über das Recht und die Formen von Selbstverwirklichung in einer brüchig gewordenen Gesellschaftsordnung.24 Wenn man Wynekens Absicht beim Gebrauch des Ausdrucks `Jugendkultur´ zusammenfassend rekapitulieren möchte, steht die Forderung und Betonung nach Eigenständigkeit der Jugend sowie eine Kritik an der `Kultur` als Ganzem im Vor- dergrund.25

In neuerer Zeit hat gerade Ulrich Herrmann darauf aufmerksam ge-

macht, daß Wynekens Projekt Schwächen hat. Er betont, daß es eine (zu) starke Schulbezogenheit aufweist, daß Wyneken sich nur um eine Legitimation seiner Schule bemüht hat.26

Wenn wir heute von `Jugendkultur´ sprechen, haben wir es eigent- lich mit einer Pluralisierung des Begriffes - nämlich den

`Jugendkulturen´ - zu tun; Wyneken hatte allerdings noch eine bestimmte Jugendkultur im Auge. Desweiteren kann man heute davon ausgehen, daß die Schule bei der Vermittlung und Bildung von Kultur kaum eine Rolle (mehr) spielt. Die Jugend orientiert sich mehr an den Maßstäben und Materialien, die außerhalb der Schule und der Familie gemacht werden. Die Jugendlichen erhalten gerade hier wichtige Impulse für ihre Lebensgestaltung. Der Grund dafür ist, daß die `Kultur` in den heutigen `Jugendkulturen´ nicht mehr nur Bestand an Traditionen und geistigen Bildungsgütern ist, sondern vorrangig die Schaffung von Stilen über Medien. 27

1.5.2 Der Subkulturbegriff

-Definition(en)-

F. Stimmer definiert im Lexikon der SA und SP den Begriff wie folgt: „Subkultur ist die allgemeine Bezeichnung für eine von der Gesamtkultur der Gesellschaft abweichende Kultur einer Teil- gruppe, die sich durch ihr Normen- und Wertsystem, ihre speziel- le Struktur sowie ihre Lebens- und Verhaltensweise von der Ge- samtgesellschaft unterscheidet. Der Grad dieser Unterscheidung reicht dabei von bloßen Modifikationen bis zur strikten Gegenpo- sition.“28

Wenn man sich nur Stimmers Wort vor Augen führt, scheint die De- finition von `Subkultur´ schlüssig und eindeutig zu sein. Schaut man sich aber auch nur wenige der unzähligen Fachbücher über

`Subkultur(en)´ an, muß man diese Meinung schnell revidieren. Günther Cremer hat in seiner Literaturdokumentation „Jugendliche Subkulturen“ den Versuch unternommen, gängige Auffassungen des Begriffes `Subkultur´ kurz zusammenzutragen und den historischen Ursprung des Begriffes zu klären. Im folgenden möchte ich mich seiner Worte sinngemäß bedienen:

Es gibt nicht nur eine Definition von `Subkultur`. Je nachdem wie man den Begriff ausdehnt oder einengt, ändert sich das Spek- trum der erfaßten Erscheinungen. Gerade im Kontext mit Jugend wurde der Begriff vor allem in der Vergangenheit mehrdeutig be- stimmt. Einige Autoren z.B. verstehen den Begriff als eine eige- ne Teilkultur (´Jugendkultur´) der gesamtgesellschaftlichen Kul- tur. Andere fassen darunter nur spezielle besonders auffallende (meist delinquente) „Abweichungsformen“ Jugendlicher. Unklar bleibt beim letztgenannten, wie groß der Grad der Abweichung sein muß, um von einer `Subkultur´ sprechen zu können. Die All- tagssprache gebraucht den Begriff mittlerweile für eine große Palette abweichender Verhaltensweisen bzw. kultureller Aus- drucksformen Jugendlicher und Erwachsener.

-Ursprung des Begriffes-

Der Begriff und die Idee der Subkultur entstammen der angelsäch- sischen Soziologie und Kulturanthropologie und wurden in den 30er und 40er Jahren in die wissenschaftliche Diskussion und Li- teratur eingeführt. Die wissenschaftliche Literatur, in der von Subkultur zu lesen ist, ist mittlerweile kaum überschaubar. Im Rahmen einer überschaubaren Darstellung ist es ausgeschlossen, auf das ganze Spektrum der Begriffsauffassung ´Subkultur´ einzu- gehen. Es lassen sich aber eindeutig einige Problemkreise he- rausstellen, bei denen das Konzept der Subkultur angewendet wird: Bei der Erklärung der Jugenddelinquenz, der Analyse der Armut in den Industrienationen und Ländern der Dritten Welt, der Beschreibung/Analyse von Normen und Eigenleben von Gruppen mit bestimmten Eigenschaften (z.B. Minderheiten) und zur Erklärung zeitgenössischer Formen der Werte und Lebensstile der Jugend. Im Kontext der Jugenddelinquenz in den 20er, 30er und 40er Jahren spielt das Erklärungsmodell ´Subkultur´ eine besondere Rolle. Das kriminalsoziologische ´Subkulturen- konzept´ ist hierbei vielleicht die bekannteste Theorie innerhalb der

`Subkulturdiskussion´ und stellt gewissermaßen den historischen Ursprung des Begriffes `Subkultur´ dar. Die beiden Autoren Wil- liam F. Whyte und Albert K. Cohen haben mit „Delinquent Boys“ und „Street Corner Society“ wegweisende Werke beim kriminalsozi-

ologischen Subkulturansatz geschaffen.29 In ihren Büchern führ- ten sie eine neue Sichtweise in die Beschreibung abweichenden Verhalten ein. Sie behaupteten, daß abweichendes Verhalten nicht regellos ist. Es folgt bestimmten Regeln und Gesetzen. Cohen kommt zu dem Schluß, daß abweichendes Verhalten (hier der ju- gendlichen Delinquenten) als ´subkultureller´ Gegenentwurf zu den Normen und Traditionen der Gesellschaft zu verstehen ist. Jugendliche aus der Unterschicht können sich in der mittel- schichtorientierten Welt nicht so verwirklichen, wie dies die gesellschaftlichen Normen verlangen. Die Jugendlichen bilden ei- gene kulturelle Systeme, verschreiben sich Zielen, welche sie selbst kontrollieren können und vermögen somit ihre Statusprob- leme zumindest teilweise zu lösen. Sie beziehen Ansehen daraus, daß sie Ziele und Werte verletzen, um deren Versagung willen sie in ihr Statusdilemma geraten waren. Eine zweite Richtung in der Entwicklung des Subkulturkonzepts, welche nicht den Ausgang bei delinquentem Verhalten hat, darf nicht unerwähnt bleiben. Sie hat mehr oder weniger tolerierte Formen kultureller Differenzie- rung im Mittelpunkt. Gordon definiert die ´Subkultur´ als Teil einer nationalen Kultur, bestehend aus einer Kombination einzel- ner Faktoren wie Klassenlage, ethnische Herkunft, Religion bzw. ländliches oder städtisches Wohnen und religiöse Bindung, die im Zusammenwirken eine funktionale Einheit mit einem umfassenden Einfluß auf das beteiligte Individuum bilden. Dieses Konzept wird zumeist bei sozial diskriminierten und isolierten Minder- heiten angewendet. Desweiteren ist zu beachten, daß der Ansatz von Gordon gerade für die kulturellen Differenzierungen eines Einwanderungslandes entworfen wurde.30

-Subkultur und Soziologie-

Da sich der Begriff `Subkultur´ gerade innerhalb der Jugendsozi- ologie besonderer Beliebtheit erfreut, möchte ich im folgenden noch etwas darauf eingehen. Robert Bell veröffentlichte 1961 seinen Aufsatz „The Adolescent Society“, der Diskussionen anreg- te.31 Er verstand unter `Subkultur´ (er verwendete dafür den Be-

griff `Teilkultur´) „relativ kohärente Systeme, die innerhalb des Gesamtsystems unserer nationalen Kultur eine Welt für sich darstellen (...). Solche Subkulturen entwickeln strukturelle und funktionale Eigenheiten, die ihre Mitglieder in einem gewissen Grad von der übrigen Gesellschaft unterscheiden“.32 Er wollte da- rauf hinweisen, daß jugendliche Subkulturen einer Entwicklungs- phase entsprechen, durch die der Jugendliche hindurchgeht und der er wieder entwächst.33

Die deutsche Jugendsoziologie griff diese Theorie z.B. in der Person von Tenbruck auf. Er vertrat die Theorie der

`Teilkultur´, die als modifizierte und reduzierte Ausprägung ei- ner Theorie von `Subkultur´ zu verstehen ist: „(Die Jugend) muß ihre eigenen Werte, Haltungen, Sitten und Normen entwickeln. Sie rückt damit in den Rang einer Teilkultur auf. Gerade in der strukturellen Unabhängigkeit verfällt der Jugendliche der poten- tiell einheitlichen Gruppe, die Jugend heute darstellt“.34

Gerade in den 60er Jahren brach ein Streit unter Jugendsoziolo- gen darüber aus, ob es es eine autonome `Subkultur` gibt oder nicht. Trotzdem läßt sich aber ein einheitliches Bild erkennen, das die Subkulturtheoretiker zeichneten: Aufgrund der Herausbil- dung der modernen Industriegesellschaft verliert die Familie ihr Monopol bei der Erziehung bzw. der Sozialisation der Heranwach- senden. Werte, die in der Familie erlernt werden, stimmen nun nicht mehr mit den Werten der modernen Gesellschaft überein. Aufgrund eines raschen sozialen Wandels lassen sich Status und Rolle der Heranwachsenden nicht mehr so leicht definieren. Des- weiteren entstehen Konflikte zwischen den Jugendlichen und den Erwachsenen. Unter diesen Voraussetzungen erhält die `Peer- Group´ mehr Bedeutung für die Sozialisation der Jugendlichen. Veränderungen in den Bereichen Schule, Ausbildung usw. bewirken zudem, daß Jugendliche mehr Zeit in ihrer `Peer-Group´ verbrin- gen. Die Vielfalt und das Spektrum der Jugendbeziehungen wach- sen. Daneben werden Freizeitangebote auf Jugendliche zugeschnit- ten. Die steigende Kaufkraft der Jugend läßt einen eigenen Markt entstehen. Die Jugendlichen schaffen sich so ein eigenes Bezugs-

system, an dem sie sich orientieren und wodurch sie sich abgren- zen können. Die Jugendkultur wird so mächtig, daß sich selbst Erwachsene daran orientieren.35

Es ließe sich sicherlich noch über weitere wichtige Ansätze in- nerhalb der `Subkulturdiskussion´, z.B. über die Studien des Center for Contemporary Cultural Studies (CCCS)36, die Ausführun- gen von Hartmut Grieße37, das `Subkultur´-Modell von Schwendtner38 usw. berichten. Da ich aber in meiner Arbeit keinen Schwerpunkt auf einen Bereich, welcher die Blütezeit in den 60er, 70er und 80er Jahren hatte und damit sowohl begrifflich als auch als Ge- genstand wissenschaftlicher Forschung relativ ´out´ ist, legen will, beschränke ich mich auf eine (zugegebenermaßen unvollstän- dige) Auswahl.39

1.5.3 Der Jugendsubkulturbegriff

Da der Begriff `Jugendsubkultur´ zu einem Teil aus dem Begriff

`Subkultur´ besteht, welcher - wie bereits gesagt - im Laufe der Zeit nie eindeutig bestimmt war, ist es folglich auch nicht leicht, den Begriff `Jugendsubkultur´ zu bestimmen. Wenn man sich aber alle Bestimmungsversuche vor Augen führt, kann man mit gutem Gewissen zu einem Konsens kommen. Baacke und Ferchhoff formulieren diesen wie folgt:

„Der Begriff ´Jugendsubkultur ´ betont den Unterschied zwischen der herrschenden Kultur und jenen jugendkulturellen Strömungen, die sich explizit von der Normalität absetzen, abweichendes Ver- halten praktizieren und von ´unten´ her Widerstand und Verände- rung in Gang setzen. Da sich widerständische Elemente in den heutigen Jugendkulturen nur noch in Teilen finden lassen und die jeweiligen Stile aus immer wieder anderen Elementen zusammenge- setzt werden, verwenden die meisten Autoren das ´ sub ´ nicht mehr.“40

1.5.4 Persönliche Stellungnahme und Zusammenfassung

Aus den am Ende des Punktes `der Jugendsubkulturbegriff´ genann- ten Gründen werde ich ab jetzt nur noch den Begriff

`Jugendkultur(en)´ gebrauchen, d.h. wann immer ich im weiteren Verlauf meiner Arbeit von einer Gruppierung von jungen Menschen spreche, verwende ich ausschließlich den Begriff

`Jugendkultur(en)´.

Da die zuletzt aufgeführten Begriffsbestimmungsversuche (`Ju- gendkultur(en)´, `Subkultur´ und ´Jugendsubkultur´) sehr aus- führlich waren und ich gerade den Bedeutungsrahmen des Begriffes

´Jugendkultur` als wesentlich für den weiteren Verlauf meiner Diplomarbeit erachte, möchte ich ihn nochmals zusammenfassen:

Jugendkulturen können betrachtet werden als

(1) Tendenz einer Deinstitutionalisierung, Entritualisierung und Wahlfreiheit;
(2) gruppentypische Syndrome von Werten und Normen, die sich von den dominierenden (Haupt-)Kulturen unterscheiden lassen;
(3) Ausnahme von der Regel; als Norm- und Regelverletzung;
(4) Widerstandsbewegungen gegen gesellschaftliche Zumutun- gen; als Absetzbewegungen;
(5) Seismograph oder Katalysator gesellschaftlicher Proble- me; als problemlösende Bewegung;
(6) Ausdruck und Zurschaustellung eigener Lebensformen,
-erfahrungen und -gefühlen;
(7) geschlossene Einheit an den Rändern der ´dominanten´ Kultur;
(8)(kulturindustriell mitproduzierte) Kommunikationsgemein- schaft, die als Medien der sozialen Zuordnung jeweils sti- listische identitätssichernde Vereinheitlichungen nach innen und zugleich Abgrenzungen nach außen durch Kleidung, musika- lische Vorlieben, Körperhaltungen, Sprachstile, Moden usw. symbolisch ausdrücken können;
(9) innovatorische Speerspitze des sozialen (Werte)Wandels;
(10) kompensatorische, ´entpädagogisierende´ und unorganisiert spontane (Protest)Bewegung;
(11) postmoderne Diskursabsetzbewegungen;
(12) und schließlich als situationsbezogene Aneignung von

Sozialräumen, in denen jugendliche Bezirksgefühle und ihre Ziele und Stile ausgebildet werden können.41

Wenn man aber nur heutige Jugendkulturen betrachtet, also die klassischen Jugendkulturkonzepte außer Acht läßt, sind besonders folgende Merkmale zu nennen:

Heutige Jugendkulturen

(1) sind schulfern(er);
(2) sind freizeitbezogen;
(3) haben die Familie nicht (mehr) als Bezugspunkt;
(4) zeigen Kontinuitätsbrüche, d.h. Jugendkulturen scheinen nicht (mehr) an eine bestimmte Lebensphase (Jugend) gebunden zu sein, sie sind vielmehr Ausdruck eines Lebensgefühls von Schnelligkeit, Plötzlichkeit und Intensität;
(5) zeigen kaum (mehr) widerständische Elemente;
(6) werden von Medien/Massenmedien getragen;
(7) sind Absetzbewegungen auf kultureller Ebene;
(8) verstehen die Kultur nicht (mehr) als traditionelles Gut.42

2 JUGEND UND JUGENDKULTUREN DER 50ER JAHRE

2.1 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Hintergründe

Die 50er Jahre waren ein Zeitraum, in dem gerade ein Wort den Ton angab: Korrektheit. Dies war eine Anforderung, die wahrlich zentralen Stellenwert hatte. Zunächst ging es darum, die Anar- chie der unmittelbaren Nachkriegsjahre, der Trümmer-, Schwarz- markt- und Plünderzeit, zu beenden. Es ging aber noch um viel mehr. Die fast besessene Konzentration auf Ordnung, Anstand und Sauberkeit sollte den ´Irrtum´ der jüngsten Vergangenheit, näm- lich den Nationalismus, in einem sicheren Abstand halten. Das Besinnen auf alte Tugenden, das peinliche Achten auf Regeln und Verhaltensnormen sollten symbolischen Schutz bieten. Nicht schlecht auffallen, nicht unkorrekt aussehen: wie es draußen aussieht, sieht´s im Innern aus. In dieser Sichtweise war der Nationalismus ´nur´ ein unkontrollierter Ausbruch gewesen.43 Wer- ner Lindner formuliert in „Jugendprotest seit den 50er Jahren“ diesen Gedanken wie folgt: „Die Verbrechen des Dritten Reiches und die je eigenen Verstrickungen darin wurden insofern nicht aufgearbeitet, sondern in der Disziplinierung und Unterwerfung unter die Gesetze des Wiederaufbaus verdrängt.“ Lindner läßt auf den nächsten Seiten erkennen, was diese „Disziplinierung“ und

„Unterwerfung“ für die Menschen dieser Zeit bedeutete: Eine zwanghafte Orientierung an der „Korrektheit“.44

[...]


1 Babylonischer Kulturkritiker in T. Faix, 1997

2 vgl. D. Baacke, 1999 bzw. J. Zinnecker, 1987 bzw. V. Brand, 1993

3 vgl. T. Faix, 1997, S. 21,22

4 vgl. F. Stimmer, 1998, S. 258,259

5 vgl. J. Reulecke in W. Bucher u.a., 1986, S. 21ff.

6 griechischer Philosoph, (348-322 v. Chr.), (aus F. Stimmer, 1998)

7 aus Seminarmaterial der pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, Ju- gendsoziologie, Prof. Dr. Quesel

8 in K. Farin, 2001, S. 18

9 in T. Faix, 1997, S. 45ff.

10 vgl. T. Faix, 1997, S. 45ff.

11 Zusammengesetzt aus „Fan“ und „Magazin“. Sie sind nicht professionell erstellt und für Mitglieder bestimmter Szenen. Sie sind nicht kommerziell. Es gibt sie v. a. in den Bereichen (Pop-)Musik, Kunst, Literatur, Film und Fußball. (in T. Faix, 1997)

12 vgl. K. Farin, 2001, S. 19

13 vgl. T. Faix. 1997, S. 46

14 vgl. A. Schröder/U. Leonhardt, 1998, S.17,18

15 vgl. F. Stimmer, 1998 , S. 100

16 vgl. K. Farin, 2001, S. 89-91

17 vgl. K. Farin, 2001, S. 19

18 vgl. A. Schröder/U. Leonhardt, 1998, S. 18

19 vgl. F. Stimmer, 1998, S. 364

20 vgl. A. Schröder/U. Leonhardt, 1998, S. 23,24

21 vgl. D. Baacke in A. Schröder/U. Leonhardt, 1998, S. 17

22 T. Faix, 1997, S. 29,30

23 A. Schröder/U. Leonhardt, 1998, S. 53,54

24 vgl. D. Baacke, 1999, S. 141ff. bzw. H. Biebighäuser in P. U. Hein, 1984, S. 54-64

25 vgl. R. Roth/D. Rucht, 2000, S. 39

26 vgl. D. Baacke, 1999, S. 141ff.

27 vgl. D. Baacke, 1999, S.141ff.

28 F. Stimmer, 1998, S. 502

29 in G. Cremer, 1984, S. 7ff.

30 vgl. G. Cremer, 1984, S. 7ff.

31 vgl. G. Cremer, 1998, S. 10

32 R. Roth/D. Rucht, 2000, S. 41

33 vgl. G. Cremer, 1984, S. 10

34 Tenbruck in G. Cremer, 1984, S. 10

35 vgl. G. Cremer, 1984, S. 11

36 in W. Ferchhoff, 1990 bzw. K. Farin, 2001

37 in G. Cremer, 1984

38 in K. Farin, 2001 bzw. R. Roth/D. Rucht, 2000

39 vgl. K. Farin, 2001, S. 18

40 Baacke/Ferchhoff in Schröder/Leonhardt, 1998, S. 17

41 Punkt 1-12: vgl. W. Ferchhoff, 1995

42 Punkt 1-8: vgl. D. Baacke, 1999, S. 145.ff. bzw. Baacke/Ferchhoff in Schröder/Leonhardt, 1998, S. 17

Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
Jugend und Jugendkulturen
Hochschule
Hochschule Coburg (FH)  (Fachbereich Sozialwesen)
Note
1
Autor
Jahr
2003
Seiten
102
Katalognummer
V11197
ISBN (eBook)
9783638174220
Dateigröße
891 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jugend Jugendkultur
Arbeit zitieren
Jakob Kandlbinder (Autor:in), 2003, Jugend und Jugendkulturen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11197

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