Mobilitätsverhalten in Abhängigkeit der Siedlungsstruktur und Wohnzufriedenheit

Ein Vergleich von innerstädtischen Eigentumswohnungen und einem suburbanen Wohngebiet am Beispiel Leipzig


Diplomarbeit, 2007

110 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zielstellung und Forschungsfragen

3. Suburbanisierungsprozesse in den neuen Bundesländern seit 1989
3.1 Wohnsuburbanisierung in den neuen Bundesländern seit 1989
3.2 Bevölkerungs- und raumstrukturelle Veränderungen in Leipzig

4. Mobilität und Verkehr
4.1 Definitionen der arbeitsrelevanten Begriffe
4.2 Verkehrsmittelwahl und deren Einflussfaktoren
4.2.1 Merkmale der Fahrt
4.2.2 Soziodemographische Faktoren des Verkehrsnachfragers
4.2.3 Wahrgenommene Verkehrsmitteleigenschaften
4.3 Verkehrsentwicklung in Deutschland
4.4 Mobilität und Verkehr im siedlungsstrukturellen Kontext
4.4.1 Das Mobilitätsverhalten von Suburbaniten
4.4.2 Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung als Aspekte einer nachhaltigen Mobilität

5. Vorstellung und Vergleich der Untersuchungsgebiete
5.1 Das Stadthausprogramm der Stadt Leipzig
5.2 Der Wohnpark Engelsgrund/Gaswerksweg
5.3 Vergleich der Untersuchungsgebiete
5.4 Synthese

6. Befragung zum Mobilitätsverhalten in ausgewählten Stadtteilen
6.1 Auswahl der Stichprobe
6.2 Methodenkritik
6.3 Auswertung der Befragung
6.3.1 Soziodemographische Faktoren
6.3.2 Wohnstandortpräferenzen und Wohnzufriedenheit
6.3.3 Zusammenhänge Wohn- und Alltagsmobilität
6.3.4 Alltagsmobilität und Aktionsräume
6.3.5 Einzelne Aktivitäten im Überblick
6.3.6 Zusammenhänge zwischen Mobilitätstypen und soziodemo- graphischen Faktoren

7. Diskussion der Ergebnisse
7.1 Motorisierungsquote, Führerscheinbesitz und Pkw-Verfügbarkeit
7.2 Wohnstandortentscheidung und Wohnzufriedenheit
7.3 Mobilitäts- und Aktivitätsstandorttypen

8. Resümee

9. Literaturverzeichnis

Danksagung

Anlage 1: Fragebogen mit offiziellem Anschreiben

Anlage 2: Kreuztabelle – Frage 3/Anzahl Pkw

Anlage 3: Faktoren der Wohnstandortentscheidung/Engelsdorf – Stadt- häuser

Anlage 4: Mittelwertvergleiche Frage 10

Anlage 5: Faktoren der Wohnstandortentscheidung in Prozent aller möglichen Nennungen

Anlage 6: Die Wohnzufriedenheit in Abhängigkeit der Wohndauer und des Alters

Anlage 7: Verkehrsmittelnutzung verschiedener Verkehrsmittel vor und nach dem Umzug

Anlage 8: Kreuztabelle Mobilitätstypen/Aktivitätsstandorttypen – Stadthäuser und Engelsdorf

Anlage 9: Kreuztabelle Altersklassen/Mobilitätstypen – Engelsdorf und Stadthäuser

Anlage 10: Kreuztabelle Geschlecht/Mobilitätstypen – Engelsdorf und Stadthäuser

Anlage 11: Kreuztabelle Pkw-Verfügbarkeit/Mobilitätstypen – Engelsdorf und Stadthäuser

Anlage 12: Kreuztabelle Beschäftigungsverhältnis/Mobilitätstypen – Engelsdorf und Stadthäuser

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 3-1: Wanderungssalden der Stadt Leipzig mit den umliegenden Krei- sen* 1994-2005

Abbildung 4-1: Modal Split Deutschland 2002

Abbildung 4:-2: Modal Split Prognose Leipzig 2015

Abbildung 4:-3: Dichte und Mischung in ihrer Wirkung auf Entfernungen zu den nächsten Aktivitätsgelegenheiten

Abbildung 4:-4: Wirkung einer Nutzungsmischung und einer Erhöhung von Raumwiderständen auf die Zielwahl im Verkehr (schematisch)

Abbildung 5:-1: Geplante und realisierte Stadthäuser in Leipzig (Stand März 2006)

Abbildung 5:-2: Stadthäuser in der Hermannstraße (rechts) und Industriestraße (links)

Abbildung 5:-3: Typische Reihenhausbebauung des südlichen Bauabschnitts

Abbildung 5:-4: Das Wohngebiet Engelsgrund/Gaswerksweg (Bildmitte) und das Paunsdorf Center (linker oberer Bildrand) im Luftbild (2000)

Abbildung 6:-1: Altersgruppen/Stadthäuser und Engelsdorf

Abbildung 6:-2: Anzahl der Kinder je Haushalt/Stadthäuser und Engelsdorf

Abbildung 6:-3: Beschäftigungsverhältnisse/Stadthäuser und Engelsdorf

Abbildung 6:-4: Bruttoeinkommen je Haushalt (in %)

Abbildung 6:-5: Pkw-Ausstattung je Haushalt

Abbildung 6:-6: Pkw-Verfügbarkeit in Abhängigkeit des Geschlechts

Abbildung 6:-7: Faktoren der Wohnstandortwahl mit den größten Abweichungen in der Antwortkategorie sehr wichtig/wichtig

Abbildung 6:-8: Verkehrsmittelnutzung (täglich oder mehrmals täglich) vor und nach dem Umzug

Abbildung 6:-9: Aktivitätsstandorttypen im Vergleich der Untersuchungsgruppen

Abbildung 6:-10: Mobilitätstypen im Vergleich der Untersuchungsgruppen

Abbildung 6:-11: Standorte und Verkehrsmittel/Arbeit

Abbildung 6:-12: Standorte und Verkehrsmittel/Einkauf für den täglichen Bedarf

Abbildung 6:-13: Standorte und Verkehrsmittel/Erledigungen

Abbildung 6:-14: Standorte und Verkehrsmittel/Kinderbetreuung

Abbildung 6:-15: Standorte und Verkehrsmittel/Besuch Freunde und Verwandte

Abbildung 6:-16: Standorte und Verkehrsmittel/Kulturelle Veranstaltungen

Abbildung 7:-1: Pkw-Verfügbarkeit in Abhängigkeit der Erwerbstätigkeit

Tabellenverzeichnis

Tabelle 4-1: Verkehrsmittelwahl in Leipzig 1987 bis 2003

Tabelle 4:-2: SrV 2003 – Leipzig im Städtevergleich

Tabelle 4:-3: Motorisierungsentwicklung in Leipzig 1987 bis 2003

Tabelle 4:-4: Verkehrsmittelanteile (in %) von Leipzig im Vergleich zu anderen Großstädten

Tabelle 5:-1: Vergleich der Untersuchungsgebiete hinsichtlich ausgewählter statis- tischer Größen (Stand 31.12.2005)

Tabelle 5:-2: Anbindung an das Straßen- sowie ÖPNV-Netz im Vergleich der Un- tersuchungsgebiete

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Mobilität ist ein Synonym für unser heutiges Leben. Sie ist ein Kennzeichen der westlich industrialisierten Welt und ein positiv konnotiertes Wort. Im Gegensatz zum Verkehr, der aggregierten Folge von Mobilität. Die Mobilität erinnert an Bewegung und Freiheit, mit Verkehr assoziiert man das Gegenteil: Verkehrskollaps, Stau, Verkehrslärm, Luftver- schmutzung etc. In einer Zeit in der die Menschen immer beweglicher, gleichzeitig die Ressourcen knapper und die negativen Folgen des Verkehrs unübersehbar werden, sind Lösungen, die sowohl den Bedürfnissen der Menschen als auch der Nachhaltigkeit ge- recht werden, immer wichtiger.

Seit der deutschen Wiedervereinigung erlebte Leipzig einen tief greifenden Wandel. Dieser wirkte sich sowohl auf die Stadtstruktur als auch auf das Leben seiner Bewohner aus. Zwischen dem Jahr 1989 und 2000 verlor die Stadt durch Abwanderung ins Umland, in andere Bundesländer sowie einen rasanten Geburtenrückgang über 100.000 Einwoh- ner. Gleichzeitig vergrößerte sich die Gebietsfläche durch zahlreiche Eingemeindungen. Großflächiger Einzelhandel und Distributionsunternehmen siedelten sich in den neuen Gewerbeparks des Leipziger Umlands an. Im Zuge der Wohnsuburbanisierung entstan- den zahlreiche Wohnstandorte außerhalb der alten Bebauungsgrenzen. Die Folge ist eine zunehmend disperse Stadtstruktur. Im selben Moment weist die bis dahin geschlossene innerstädtische Bebauungsstruktur durch den abwanderungsbedingten Leerstand und den Stadtumbau immer mehr Brachflächen auf.

Neben den raumstrukturellen Veränderungen glich sich das Mobilitätsverhalten der Be- völkerung rasch den Entwicklungen in den alten Bundesländern an. Die Motorisierungs- rate und die täglich zurückgelegten Entfernungen stiegen beträchtlich, der motorisierte Individualverkehr gewann auf Kosten des ÖPNV (Öffentlicher Personennahverkehr) und des nMIV (Nichtmotorisierter Individualverkehr) zunehmend an Bedeutung. Die voran- schreitende Entmischung, der Verlust kleinteiliger Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten sowie die Verlagerung von Wohn-, Dienstleistungs- und Handelsfunktionen in den sub- urbanen Raum trugen mit dazu bei, dass das Verkehrsaufkommen in Leipzig stieg.

Eine Strategie der hiesigen Stadtplanung gegen eine weitere Abwanderung ins Umland ist das im Jahr 2002 initiierte „Stadthausprogramm“. Es zielt darauf ab, den Aufbau selbst genutzten Wohneigentums, vor allem in den innenstadtnahen Gründerzeitquartieren, zu fördern. Menschen, die ihren Traum vom Eigenheim möglicherweise im Umland erfüllt hätten, wird so die Möglichkeit gegeben, dies innerhalb der geschlossenen Bebauung zu verwirklichen. Der Abwanderung ins Umland wird entgegengewirkt, gleichzeitig werden die innerstädtischen Altbauquartiere gestärkt. Die durch den Stadtumbau geschaffenen Freiflächen werden so einer neuen Nutzung zugeführt.

Die Standorte bieten gegenüber der „Grünen Wiese“ den Vorteil einer vorhandenen Infrastruktur. In kurzer Entfernung finden sich Stadtteilzentren für die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs. Kindergärten und Schulen befinden sich in der Nachbar- schaft. Zudem besteht die Möglichkeit, über das dichte ÖPNV-Netz verschiedene Tätig- keitsorte im Stadtgebiet bequem zu erreichen.

2. Zielstellung und Forschungsfragen

Die zentrale Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit ist, ob das Stadthausprogramm einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Mobilität leisten kann.

Um diese Frage zu beantworten, wird das Mobilitätsverhalten, besonders die Verkehrs- mittelwahl, sowie die Aktionsräume der Bewohner der Stadthäuser und einer Ver- gleichsgruppe eines suburbanen Wohngebietes miteinander verglichen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie sich soziodemographische Faktoren der Verkehrsnachfrager und die Siedlungsstruktur auf das Mobilitätsverhalten und die Aktivitätsschwerpunkte auswirken. Zudem soll geklärt werden, ob bereits bei der Entscheidung für den zukünfti- gen Wohnstandort Präferenzen vorlagen, die auf ein bestimmtes Mobilitätsverhalten hindeuten.

Wechselwirkungen zwischen Siedlungsstruktur und Mobilitätsverhalten werden auf der Ebene von einzelnen Stadtteilen oder Wohnquartieren untersucht. Für die Teilhabe und Teilnahme wie auch für die physischen und psychisch-emotionalen Befindlichkeiten von Menschen haben Wohnquartiere eine zentrale Bedeutung. Sie bieten als „Hardware“ eine bestimmte Gelegenheitsstruktur, an der die Bewohner ihr Mobilitätsverhalten aus- richten. Unter Gelegenheiten werden hier Möglichkeiten der Aktivitätsausübung ver- standen, z.B. Einkaufsgelegenheiten, Freizeiteinrichtungen, Schulen, Kindergärten sowie andere öffentliche Einrichtungen oder eventuell Arbeitsangebote. Darüber hinaus spielt das Verkehrsangebot, ÖPNV-Netze einschließlich der Haltestellen, Straßen etc. eine ent- scheidende Rolle. Finden die Bewohner eines Stadtquartiers eine ausreichende Gelegen- heitsstruktur oder Nutzungsmischung gepaart mit einer hohen Wohnumfeldqualität vor, besteht zumindest die Möglichkeit, dass sie einem Großteil ihrer Aktivitäten im eigenen Viertel nachgehen. Zudem können durch die räumliche Nähe von Gelegenheiten Ziele miteinander verknüpft werden. Unter diesen Bedingungen ist es möglich, die täglich zurückgelegten Entfernungen zu reduzieren, ohne die Anzahl der Aktivitäten zu mini- mieren. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die nun kürzeren Wege verstärkt durch Verkehrsmittel des Umweltverbundes (zu Fuß, Fahrrad, ÖPNV) zurückzulegen.

Aus diesen Überlegungen ergeben sich folgende relevante Forschungsfragen:

1. Zeigen die Stadthausbewohner, aufgrund der höheren Gelegenheitsdichte, die sie in den innenstadtnahen Stadtquartieren vorfinden, eine Orientierung auf den ei- genen Stadtteil?
2. Wenn dem so ist, zeitigt diese Orientierung einen Einfluss auf die Verkehrsmit- telwahl dahingehend, dass die Probanden häufiger den ÖPNV nutzen, zu Fuß ge- hen oder mit dem Fahrrad fahren (Umweltverbund)?
3. Weiterhin muss geklärt werden, ob sich die Bewohner in dem suburbanen Ver- gleichsgebiet gleich oder ähnlich verhalten. Oder zeigen sie aufgrund der gerin- geren Gelegenheitsdichte eine Orientierung auf andere Stadtteile und eine höhe- re Autonutzung, da die weiteren Wege mit dem Pkw leichter zu bewältigen sind?

Neben der Analyse der Auswirkungen soziodemographischer und siedlungsstruktureller Einflussgrößen auf das Mobilitätsverhalten werden die Präferenzen bei der Wohnstand- ortwahl der beiden Gruppen ausgewertet und miteinander verglichen. Mit der Wahl des Wohnstandortes entscheiden die Haushalte auch über die Ausmaße der Umweltbegren- zungen. So beeinflusst die Lage innerhalb des öffentlichen Verkehrsnetzes die Zugäng- lichkeit der potenziellen Tätigkeitsorte der Haushaltsmitglieder.

4. Gab es demzufolge vor dem letzten Umzug bestimmte Verhaltensdispositionen, vor allem hinsichtlich des Mobilitätsverhaltens, die durch die Wohnstandortent- scheidungen weiter manifestiert wurden? Die Ermittlung der Zufriedenheit mit der derzeitigen Wohnsituation soll zeigen inwieweit sich diese Wünsche erfüllt haben. Wurden diese Präferenzen erfüllt, d.h. schlagen sie sich in einer höheren Zufriedenheit mit dem eigenen Wohngebiet nieder?

Für die Beantwortung der Forschungsfragen sind eine Reihe von Daten hinsichtlich der soziodemographischen Eigenschaften und des Mobilitätsverhaltens der Bewohner der zwei Untersuchungsgruppen zu erheben. Dazu wird ein standardisierter Fragebogen entwickelt, der sowohl offene als auch geschlossene Fragen beinhaltet. Die Frageschwer- punkte unterteilen sich dabei wie folgt:

- Haushaltsfragen (Anzahl der Personen, Bruttoeinkommen, Fahrzeugausstattung, Fußwegeentfernung bis zu den nächsten Haltestellen des ÖPNV)
- Personenfragen (Alter, Geschlecht, Führerscheinbesitz, Berufstätigkeit)
- Fragen zu Wohnstandortpräferenzen und zur Wohnzufriedenheit
- Fragen zum Mobilitätsverhalten (Nutzungshäufigkeit bestimmter Verkehrsmittel) Die Daten werden auf Grundlage der deskriptiven Statistik ausgewertet und anschlie- ßend hinsichtlich der aufgestellten Forschungsfragen diskutiert.

3. Suburbanisierungsprozesse in den neuen Bundesländern seit 1989

„Ja, das möchste. Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn – aber abends zum Kino hast Du es nicht weit. Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit.“ Kurt Tucholsky „Das Ideal“ 1927

Die intraregionale Siedlungsentwicklung in den neuen Bundesländern wurde in den 1990er Jahren wesentlich durch die Wohn-, Einzelhandels- und Gewerbesuburbanisie- rung bestimmt. Sie stellt das zentrale Element raumstruktureller Dynamik in Ostdeutsch- land dar (DEUTSCHES INSTITUT FÜR URBANISTIK 2005 S. 66). Zugleich ist die Subur- banisierung einer der Hauptgründe für das steigende Verkehrsaufkommen in Leipzig (GATHER 2001 S. 11ff; STADT LEIPZIG/DEZERNAT FÜR STADTENTWICKLUNG UND BAU 2004 S. 9). Die Region Leipzig-Halle stellt hierbei das Gebiet mit der höchsten Sub- urbanisierungsdynamik Ostdeutschlands dar (HERFERT, RÖHL 2001 S. 153). Im nach- folgenden Kapitel werden die Grundzüge der Wohnsuburbanisierung in Ostdeutschland und speziell in Leipzig dargestellt (zum Überblick vgl. BRAKE, DANGSCHAT, HERFERT 2001).

Stadterweiterungen sind so alt wie die Städte selbst. Die seit Mitte des 20. Jahrhunderts in den Ländern Europas und Nordamerikas zu beobachtende kreisförmige Expansion der Städte ins Umland, wird mit dem Begriff der Suburbanisierung bezeichnet (BRAKE 2001a S. 15; BRUNOTTE, NIPPER 2002 S. 314). Es handelt sich hierbei um eine innerre- gionale Verlagerung (Stadt-Umland-Wanderung) von Nutzungen und Bevölkerungstei- len aus der Kernstadt in die Stadtrandbereiche. Mit zunehmender Verkehrserschließung und verbesserten Verkehrsmitteln vergrößern sich die Distanzen, so dass auch entfernter gelegene ländliche Gebiete mit in diesen Prozess eingeschlossen werden. Durch Subur- banisierung vergrößert sich zwar die Siedlungsfläche, gleichzeitig nimmt jedoch die Be- bauungs- sowie Bevölkerungsdichte auf die gesamte Fläche bezogen ab (HEINEBERG 2001 S. 40). Neben der Stadt-Umland-Wanderung erfährt der suburbane Raum zusätzli- che Wachstumsimpulse durch die Zuwanderung von Personen oder Unternehmen aus anderen Regionen. Der Wachstumsschwerpunkt wird dadurch von der Kernstadt in das städtische Umland verlagert, wodurch eine direkte Konkurrenzsituation zwischen den beiden Gebietseinheiten entsteht.

Es wird in Bevölkerungs-, Gewerbe- und Einzelhandelssuburbanisierung unterschieden. Die Bevölkerungs- oder Wohnsuburbanisierung geht einher mit einer interregionalen Dekonzentration der Bevölkerung. Bei Zunahme der Einwohnerzahlen im gesamten Verdichtungsraum erfährt die Kernstadt einen Einwohnerverlust, während der suburba- ne Raum Wanderungsgewinne verzeichnet. Die entstehenden räumlichen Strukturen sind Einfamilien- und Reihenhaussiedlungen die, als bauliche Erweiterungen der Um- landgemeinden, ringförmig um die Kernstadt entstehen. Dabei war eine Selektion ein- kommensstärkerer Bevölkerungsteile zugunsten des Umlandes von Beginn an mit der Suburbanisierung latent verbunden (BRAKE 2001a S. 21).

3.1 Wohnsuburbanisierung in den neuen Bundesländern seit 1989

Die Wohnsuburbanisierung in den neuen Ländern setzte 1992/93 ein und büßte nach einem kurzzeitigen Boom bereits ab 1998 wieder stark an Dynamik ein (ARING, HER- FERT 2001 S. 48). Zu beobachten war sie vor allem in den Groß- und Mittelstädten, teil- weise aber auch in Kleinstädten (Ebenda). Nach der ersten Wanderungswelle 1989/90 in die alten Bundesländer, stellte die Wohnsuburbanisierung den zweiten großen Substanz- verlust an Einwohnern für die ostdeutschen Städte dar (ARING, HERFERT 2001 S. 45). Den deutlichsten Rückgang an Einwohnerzahlen weisen die Großstädte auf.

Ein wesentliches Merkmal der Wohnsuburbanisierung in den neuen Ländern ist, dass dieser Prozess in einem Umfeld der demographischen Schrumpfung stattfand. Somit hebt sich diese Entwicklung signifikant von bisherigen Modellvorstellungen zur Stadt/Stadtregionsentwicklung ab (HERFERT 1997 S. 18). Die „klassische Suburbanisie- rung“ ist gekennzeichnet durch ein stärkeres Wachstum der Bevölkerung des Umlandes als die der Kernstadt, jedoch bei einer insgesamt wachsenden Stadtregion. Letzteres trifft für die Großstadtregionen der neuen Länder generell nicht zu. Durch die Abwanderung in die alten Bundesländer und aufgrund der negativen Bevölkerungsentwicklung (Sterbe- fallüberschuss) verlief die Bevölkerungsentwicklung der Stadtregionen in den neuen Ländern bis zum Ende der 1990er Jahre durchweg negativ (ARING, HERFERT 2001 S. 45). Somit ist die Suburbanisierung in Ostdeutschland mehr als eine „Umverteilung von den Kernstädten in das Umland“ zu betrachten (DEUTSCHES INSTITUT FÜR UR- BANISTIK 2004 S. 25). Interregionale Wanderungsbewegungen, die häufig mit einem Wechsel des Arbeitsplatzes verbunden sind, spielten auf der quantitativen Seite der Wohnsuburbanisierung, bedingt durch die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in den ost- deutschen Großstadtregionen, kaum eine Rolle (ARING, HERFERT 2001 S. 48).

Die Ursachen der Wohnsuburbanisierung sind vielfältig. So bestand nach 40 Jahren zu- meist staatlichem Wohnungsbau eine besonders hohe Nachfrage an privatem Wohnei- gentum (BRAKE et al. 2001 S. 8). In den durch die gründerzeitliche Bebauung geprägten Innenstädten konnte diese Nachfrage nicht erfüllt werden. Die Gebäudesubstanz befand sich größtenteils in einem maroden Zustand, gepaart mit sehr schlechten Wohnstan- dards (Etagen-WC, Ofenheizung). Die zügige Sanierung verzögerte sich oft durch unge- klärte Eigentumsansprüche. Als weiterer Motor stellten sich die neuen politischen Rah- menbedingungen heraus. Hierzu zählen einmalige steuerliche Vergünstigungen für In- vestoren, die völlige Restrukturierung des Verwaltungsapparates mit dem damit verbun- denen zeitweiligen Fehlen raumplanerischer Einflussnahme und dem Grundsatz „Rück- gabe vor Entschädigung“ bei Restitutionsansprüchen (HEYDENREICH 2000 S. 27). Der durch die Politik geschaffene Rahmen wird als eine der Hauptursachen für die hoch dy- namischen Suburbanisierungsprozesse angesehen (HERFERT 2002 S. 13; HERFERT, RÖHL 2001 S. 154; INSTITUT FÜR URBANISTIK 2004 S. 26).

Da die Sonderabschreibungen und steuerlichen Vergünstigungen in vollem Umfang hauptsächlich von finanzstarken Kapitalanlegern ausgeschöpft werden konnten, entstan- den als Folge im Umland der Großstädte zwei- bis viergeschossige Mehrfamilienhäuser, in denen die Bewohner zur Miete und nicht im eigenen Wohneigentum wohnen. Die klassische Vorstellung von Einfamilien- und Reihenhaussiedlungen im Umland von Großstädten trifft in den neuen Ländern nur auf ländliche Regionen zu (ARING, HER- FERT 2001 S. 52). Der neu entstandene suburbane Mietwohnungsmarkt wurde infolge der fehlenden innerstädtischen Alternativen bis Mitte der 1990er Jahre von den Woh- nungssuchenden angenommen. Mit dem Wegfall der steuerlichen Sonderabschreibun- gen 1998 und aufgrund geringer bis fehlender Nachfrage ist er jedoch regelrecht weg- gebrochen (Ebenda S. 53). Durch die Steuervergünstigungen wurde hier „am Markt vor- bei gebaut“ (HERFERT, RÖHL 2001 S. 151). Denn die Mietwohnungen stehen im Wider- spruch zum Wunsch, eigenes Wohneigentum zu erwerben. Dieses Bestreben wird jedoch von den Betroffenen als Hauptgrund für den Umzug aus der Kernstadt ins Umland ge- nannt (HERFERT 1997 S. 24; ARING, HERFERT 2001 S. 54). Als Folge kommt es in den neuen Wohnsiedlungen in Mehrgeschossbauweise und in unattraktiver Lage bereits zu erhöhter Fluktuation und Leerständen.

Ebenfalls konträr zu den klassischen suburbanen Strukturen sind die Merkmale der neu- en Haushalte im Mietwohnsektor. Es überwiegen kinderlose, vielfach finanziell gut ge- stellte Haushalte mit einem Durchschnittsalter von 30 bis 35 Jahren (ARING, HERFERT 2001 S. 53; HERFERT 1998 S. 772). In einigen Wohnsiedlungen mit einem höheren An- teil interregionaler Zuzüge gehören dieser Kategorie fast zwei Drittel aller Haushalte an (ARING, HERFERT 2001 S. 53). Ansonsten findet sich eine breit gestreute Struktur nach Alter und Einkommen. Der Grund für den Zuzug vor allem gut gestellter Bevölkerungs- gruppen ist in den fehlenden Wohnungsangeboten in den Altbaubeständen bis in die Mitte der 1990er Jahre zu suchen.

Im neuen Eigentumsmarkt finden sich die klassischen Suburbaniten: Haushalte mit Kin- dern, wenn auch zumeist in der Konsolidierungsphase (HERFERT, RÖHL 2001 S. 153).

Trotz der dynamischen Suburbanisierungsprozesse liegt der Suburbanisierungsgrad der Bevölkerung in den ostdeutschen Stadtregionen heute nur unwesentlich höher als in den 1970er Jahren in der DDR (ARING, HERFERT 2001 S. 45). Mit dem Wegfall der steuerli- chen Sonderabschreibungen im Wohnungsneubau 1997 bzw. 1998 erfolgte bereits ein deutlicher Nachfrageverlust nach Mietwohnungen im Umland. Auch der suburbane Ei- genheimbau ist seit Ende der 1990er Jahre stark rückläufig. Unter den Gesichtspunkten der wachsenden suburbanen Infrastrukturkosten (z.B. Wegfall der Pendlerpauschale), einem breit gefächerten Wohnungsangebot in den Kernstädten, der Nivellierung der Mietkosten zwischen Stadt und Umland, dem zunehmenden Leerstand und damit ein- hergehenden Attraktivitätsverlust der suburbanen Wohnstandorte sowie der auch im Umland einsetzenden demographischen Schrumpfung gewinnen die städtischen Woh- nungsmärkte wieder an Bedeutung (HERFERT 2002a S. 339). Dieser Trend dürfte sich bei der Internalisierung der Kosten für das Wohnen im „Grünen“ weiter verstärken.

3.2 Bevölkerungs- und raumstrukturelle Veränderungen in Leipzig

Nach dem Strukturwandel im Zuge der deutschen Wiedervereinigung durchlief Leipzig verschiedene Veränderungsprozesse, die die Situation bis heute prägen.

Die im vorherigen Kapitel dargestellten Suburbanisierungsprozesse liefen im gleichen Maße auch im Umland von Leipzig ab. Dabei stellte die Region Leipzig-Halle das Gebiet mit der höchsten Suburbanisierungsdynamik Ostdeutschlands dar (HERFERT, RÖHL 2001 S. 153). Die Entwicklungsschwerpunkte der Wohnsuburbanisierung lagen insbe- sondere im landschaftlich attraktiven Ostraum (Muldentalkreis) und in den heute zum Stadtgebiet zählenden Stadtteilen Paunsdorf/Heiterblick sowie Engelsdorf und Mölkau. Im Zuge der Stadt-Umland-Wanderung verlor Leipzig zwischen 1994 und 2001 fast 50 Tsd. Einwohner an sein direktes Umland. Erst seit dem Jahr 2002 ist ein leicht positives Wanderungssaldo erkennbar (HERFERT 2002 S. 14) (vgl. Abb. 3-1). Heute ist die Stadt- region geprägt von einer Vielzahl so genannter Wohnparks im Umland sowie zahlrei- cher Einkaufszentren auf der „Grünen Wiese“, die in ihrer Gesamtheit für die Region bei weitem überdimensioniert sind (FRIEDRICHS 1996 S. 403; MEYER, PÜTZ 1997 S. 493).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3-1: Wanderungssalden der Stadt Leipzig mit den umliegenden Kreisen* 1994-2005

*Delitzsch, Leipziger-Land, Muldentalkreis und Saalekreis

(Quelle: STADT LEIPZIG/AMT FÜR STATISTIK UND WAHLEN 1995, 1996, 1997, 1998, 1999, 2000, 2001, 2002, 2003, 2004, 2005, 2006/Eigene Darstellung)

War das Stadtumland von einer Expansion der Bebauung geprägt, setzte in der Innen- stadt ein zunehmender Schrumpfungsprozess ein. Im Jahr 1990 umfasste der Woh- nungsbestand 258 Tsd. Wohneinheiten von denen 16 % für Wohnzwecke gar nicht oder nur bedingt nutzbar waren (STADT LEIPZIG/DEZERNAT STADTENTWICKLUNG UND BAU 2000 S. 21). Aus diesem Grund kam es zu Beginn der 1990er Jahre zu einer tempo- rären Wohnungsknappheit. Mit steigenden Bevölkerungsverlusten verkehrte sich die Knappheit in Leerstand. Bis Mitte der 1990er büßten vor allem die Gründerzeitquartiere an Einwohnern ein. Die Wanderungsverluste betrugen innerhalb von fünf Jahren (1995- 1999) je nach Stadtteil 10 bis 30 % (STADT LEIPZIG/DEZERNAT FÜR STADTENTWICK- LUNG UND BAU 2000 S. 21). Ab Ende der 1990er Jahre waren zunehmend Großwohn- siedlungen sowie die sich durch dichte Bebauung und geringe Wohnqualität auszeich- nenden Quartiere im Osten und Westen der Stadt (Lindenau, Volkmarsdorf, Neustadt- Neuschönefeld) betroffen. Der Wohnungsleerstand betrug zum Beginn des neuen Jahr- zehnts 60 Tsd. Wohneinheiten oder 19 % des Bestandes und trat in allen Stadtgebieten sowie in allen Mietsegmenten auf (Ebenda S. 29). Als Folge dessen ist der Leipziger Wohnungsmarkt ein Mietermarkt, der durch eine hohe Wohnmobilität der Bevölkerung geprägt ist (HERFERT, RÖHL 2001 S. 153).

Um den durch Leerstand, Verfall der Gebäudesubstanz und sozialen Abstieg der betref- fenden Stadtviertel und den damit verbundenen negativen Auswirkungen entgegenzu- treten, nimmt die Stadt an verschiedenen Städtebauprogrammen des Bundes („Stadt- umbau Ost“, „Soziale Stadt“) teil und ist Initiator eigener Förderprogramme („Neue Gründerzeit“, Stadthausprogramm). Allen gemeinsam ist, dass sie die Wettbewerbsfä- higkeit der innerstädtischen Altbauquartiere gegenüber der „Grünen Wiese“ erhöhen wollen. Dabei gelten die Grundsätze, soviel wie möglich der alten Gebäudestruktur zu erhalten und den Stadtumbau (Abriss) so weit zu betreiben, wie für die Steigerung der Wohnumfeldqualität und die Konsolidierung des Wohnungsmarktes notwendig ist (STADT LEIPZIG/DEZERNAT STADTENTWICKLUNG UND BAU 2000 S. 7ff).

Die jüngsten innerstädtischen Entwicklungen in Leipzig lassen sich unter den Begriffen der „perforierten Stadt“ sowie der „bipolaren Stadtentwicklung“ zusammenfassen (LÜDTKE-DALDRUP 2003 S. 56ff; HEINIG, WEIGEL 2007 S. 46). Hinter der „perforierten Stadt“ steht die Entwicklung der im direkten Wortsinn Durchlöcherung der Stadtstruk- tur. Durch Kriegszerstörungen, über längere Perioden ausbleibender Wirtschaftskraft, die plötzliche Aufgabe alter Nutzungs- und Eigentumsverhältnisse sowie den Stadtumbau entstehen zusehends „Lücken“ in der geschlossenen Bebauungsstruktur. Die „bipolare Stadtentwicklung“ steht für Schrumpfungs- und Wachstumsprozesse, die innerhalb der Stadt gleichzeitig auftreten. Besonders deutlich wird dies in der unterschiedlichen demo- graphischen Entwicklung der Leipziger Ortsteile. Die innerstädtischen Altbauquartiere entlang des Leipziger Auwaldes zeigen deutliche Wanderungsgewinne. Dagegen sind in vielen Ortsteilen im Übergang zum Stadtrand, die durch einfache Gründerzeitbestände, Wohnanlagen der 1920er und 1930er Jahre sowie Großsiedlungen gekennzeichnet sind, die Bevölkerungszahlen weiterhin rückläufig (HEINIG, WEIGEL 2007 S. 46).

Die weitere Entwicklung von Leipzig hängt vor allem von der zukünftigen Bevölkerungs- situation ab. Betrug die Einwohnerzahl 1989 noch 530 Tausend, verlor die Stadt inner- halb von nur zehn Jahren fast 100.000 Einwohner (HERFERT, RÖHL 2001 S. 152). Durch zahlreiche Eingemeindungen im Jahr 1999 stieg die Einwohnerzahl wieder auf 489 Tsd. an. Drei Hauptursachen sind verantwortlich für den drastischen Bevölkerungsrückgang:

- Vor allem zu Beginn der 1990er Jahre wirkt sich die Abwanderung von Men- schen in die alten Bundesländer aufgrund der besseren wirtschaftlichen Situation negativ aus.
- Bis zum Ende der 1990er Jahre kam es zusätzlich zu einer sehr ausgeprägten Stadt-Umland Wanderung mit einer massiven Abwanderung in die Umlandkrei- se.
- Darüber hinaus sanken die Geburtenzahlen von 5954 Lebendgeborenen 1989 auf nur noch 2376 im Jahr 1995 bei leicht sinkender Anzahl der Sterbefälle (1989/7069 und 1995/5955).

Die Bevölkerungszahlen weisen seit den Jahren 1999/2000 einen positiven Trend auf. Die Wanderungssalden mit den alten Bundesländern und dem Umland sind ausgegli- chen bis leicht positiv. Vor allem aus anderen ostdeutschen Regionen weist Leipzig Wanderungsgewinne auf. Der Saldo aus Geburten- und Sterbefällen ist immer noch ne- gativ. Die Wanderungsgewinne gleichen jedoch deutlich den Sterbefallüberschuss aus, wodurch die Einwohnerzahl 2005 wieder über die 500 Tsd. Marke gelangte.

In der aktuellen Bevölkerungsschätzung für Leipzig wird mit einer mittleren Bevölke- rungszahl von 528. Tsd. für das Jahr 2025 ausgegangen (STADT LEIPZIG/AMT FÜR STA- TISTIK UND WAHLEN 2005a S. 15). Der derzeitige Sterbefallüberschuss wird demnach noch weiter steigen. Die zukünftige demographische Entwicklung entscheidet sich daher durch die Fernzuwanderung aus anderen Teilen Deutschlands. Diese wiederum ist hauptsächlich von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung und der Attraktivität der Leipziger Universität abhängig (PFEIFFER, PORSCH 2004 S. 19ff). Bestehen bei den vor- ausgesagten Bevölkerungszahlen noch Unsicherheiten, gibt es hinsichtlich künftiger gra- vierender Änderungen in der Bevölkerungsstruktur keine Zweifel. So wird der Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerung von 21 % (2004) auf 23,8 % (2025) ansteigen (STADT LEIPZIG/AMT FÜR STATISTIK UND WAHLEN 2005a S. 17). Der Rückgang der Bevölkerung im erwerbstätigen Alter (15 bis unter 65 Jahre) von derzeit 69 % auf 64 % im Jahr 2025 wäre noch stärker, wenn die gegenwärtigen Zuwanderungsraten mit einem deutlichen Gewinn bei den 18 bis 25-Jährigen künftig nicht andauern würden (Ebenda).

4. Mobilität und Verkehr

„Everything in life is somewhere else, and you get there in a car.”

E.B. White, One Man’s Meat 1958

Der zweite Teil des Theoriebereichs dieser Arbeit beschäftigt sich mit dem Themen- komplex Mobilität und Verkehr. Dazu wird zunächst ein definitorischer Überblick zu den wichtigsten Begriffen gegeben. Anschließend richtet sich der Fokus auf die Ver- kehrsentwicklung der letzten Jahre in Deutschland. Den Abschluss bildet ein Überblick über die Zusammenhänge von Siedlungsstruktur und Mobilitätsverhalten.

4.1 Definitionen der arbeitsrelevanten Begriffe

Will man sich den beiden Begriffen Verkehr und Mobilität definitorisch nähern, so bietet sich als erstes die unterschiedliche Konnotation an, welche beiden Wörtern zu Eigen ist. Verkehr wird häufig negativ konnotiert. Verkehrskollaps, Verkehrsinfarkt oder Ver- kehrschaos sind nur einige Beispiele dafür. Im Gegensatz dazu steht das Wort Mobilität, abgeleitet vom lateinischen „mobilitas“ für Beweglichkeit, Gewandtheit und Schnellig- keit. Wir verbinden damit auch heute noch Flexibilität, Dynamik und nicht zuletzt Frei- heit im Bezug auf einen individuellen Lebensstil. Über die einfache Bedeutungszuschrei- bung hinaus gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen im wissenschaftlichen Diskurs, die nicht immer eine klare Abgrenzung zwischen den Begriffen zulassen. Nach- folgend werden einige gängige Definitionsvarianten vorgestellt.

Mobilität wird als Potenzial eine Bewegung auszuüben oder als die Befähigung zur Be- weglichkeit verstanden. Somit ist sie eine Funktion aus der Erreichbarkeit von Zielen als „Angebote“ und aus der individuellen Lebenssituation oder Beweglichkeit auf der Nach- frageseite (LANZENDORF, SCHEINER 2004 S. 14). Einen ähnlichen Erklärungsansatz gibt ZEMLIN, der unter Mobilität das „Maß für die durch gesellschaftliche Rahmenbe- dingungen wie durch individuelle materielle und geistige Ressourcen beeinflussten Mög- lichkeiten zur Fortbewegung“ versteht (ZEMLIN 2005 S. 14). ZÄNGLER wiederum be- zieht in seiner Definition nicht nur die möglichen, sondern zusätzlich die tatsächlichen Ortsveränderungen mit ein (ZÄNGLER 2000 S. 21). In diesem Zusammenhang sprechen einige Autoren von realisierter Mobilität und Mobilität als Potenzial (BECKMANN et al. 2006 S. 7; KARG, ZÄNGLER 2004 S. 113). Ob als Potenzial oder tatsächliche Bewegung gesehen, schließt Mobilität sowohl soziale als auch räumliche Komponenten ein. Soziale Mobilität bezeichnet die Beweglichkeit und Bewegung von Personen, Gruppen oder Kol- lektiven in der Gesellschaft. Sie wird unterschieden in eine vertikale (sozialer Auf- und Abstieg) sowie eine horizontale Richtung (z.B. Berufswechsel). Die räumliche Mobilität wird in einen kurzfristigen sowie einen langfristigen Bereich unterteilt. Ersterer bezeich- net das kurzfristige Mobilitätsverhalten oder die Alltagsmobilität. Wanderungen und Umzüge werden der langfristigen Mobilität zugeordnet (BECKMANN et al. 2006 S. 8).

Eine einfache Definition von Verkehr gibt LESER, der in ihm „ die Bewegung zwischen Standorten zum Zwecke der Raumüberwindung von Personen, Gütern und Nachrich- ten“ sieht (LESER 19997 S. 947). Auch LANZENDORF und SCHEINER bezeichnen ihn als eine „Ortsveränderung von Personen, Gütern, Nachrichten und Energie, also die Bewe- gung zwischen zwei Orten“ (LANZENDORF, SCHEINER 2004 S. 13). Für ZEMLIN stellt Verkehr eine notwendige physische Aktivität zur Distanzüberwindung dar (ZEMLIN 2005 S. 10). Für HAUTZINGER wiederum ist Verkehr das Aggregat aus vielen Ortsver- änderungen, während Mobilität sich nur auf die individuelle Fortbewegung bezieht (HAUTZINGER et al. 1994 S. 13). Auch KARG und ZÄNGLER legen den Schwerpunkt der Definition auf eine räumliche Komponente sowie eine Mengenbezeichnung. Ihrer Mei- nung nach ist Verkehr „der messbare Durchfluss von transportierten Einheiten (z.B. Verkehrsmittel) auf einem bestimmten Verkehrsweg in einer bestimmten Zeit“ (KARG, ZÄNGLER 2004 S. 113).

Verkehr wird somit räumlich definiert, während Mobilität nicht durch den Raum, son- dern mit einzelnen Individuen verknüpft ist. Unschärfen zwischen den Definitionen er- geben sich dort, wo Mobilität sowohl eine potenzielle als auch eine tatsächliche Bewe- gung einschließt. Deshalb sind im Rahmen dieser Arbeit zwei Unterscheidungsmerkmale wesentlich:

- Mobilität steht für potenzielle und tatsächliche Bewegungen im sozialen wie auch räumlichen Kontext, während Verkehr nur die tatsächlichen Bewegungen (Orts- veränderungen) einschließt.
- Mobilität wird auf Individuen bezogen. Dagegen ist Verkehr ein kollektiver Vor- gang.

Der im Folgenden verwendete Begriff Verkehr bezieht sich ausschließlich auf den Perso- nenverkehr. Der Güterverkehr spielt in dieser Untersuchung keine Rolle.

Das in dieser Untersuchung besonders interessierende Mobilitätsverhalten beschreibt ZÄNGLER als „alle Handlungen von Personen im Rahmen ihre Mobilität“ (ZÄNGLER 2000 S. 154). Für SCHELLHASE drückt sich das Mobilitätsverhalten „ in der Anzahl und Länge der tatsächlich zurückgelegten Wege und den hierfür genutzten Verkehrsmit- teln…(und)…der Verkehrsintensität der Lebens- und Wirtschaftsweise von Individuen“ aus (SCHELLHASE 2000 S. 20). ZEMLIN definiert es als „die Nutzung eines Verkehrsmit- tels durch ein Individuum“ (ZEMLIN 2005 S. 14).

Das Mobilitätsverhalten wird mit Hilfe des Modal Split und den Kennziffern Mobilitäts- rate (Anzahl der zurückgelegten Wege), Mobilitätsstreckenbudget (Anzahl der zurückge- legten Kilometer je Person und Zeiteinheit ) und Mobilitätszeitbudget (Anzahl der benö- tigten Wegestunden je Person und Zeiteinheit) zu beschreiben versucht. Der Modal Split ist die Aufteilung des Verkehrsaufkommens bzw. der Verkehrsleistung auf die unter- schiedlichen Verkehrsmittel und resultiert aus dem Verkehrsmittelwahlverhalten (ZEM- LIN 2005 S. 14).

Eine ganze Reihe wichtiger Bedürfnisse, z.B. nach Erhaltung oder Verbesserung der Le- bensqualität, nach Erholung oder sozialen Kontakten, könnten Menschen ohne Fortbe- wegung nicht realisieren. Eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben wäre damit ausge- schlossen. Mobilitätsverhalten ist also notwendig, um überleben zu können (KALWITZKI 1994 S. 16). Um diesen Bedürfnissen nachgehen zu können, bedienen sich die „mobilen“ Menschen verschiedener Fortbewegungsarten oder Verkehrsmittel. Auf die Prozesse der Verkehrsmittelwahl und die bestimmenden Einflussfaktoren wird im nächsten Abschnitt ausführlicher eingegangen.

4.2 Verkehrsmittelwahl und deren Einflussfaktoren

Eine zentrale Größe des Mobilitätsverhaltens ist die individuelle Entscheidung über das zur Überwindung eines Weges genutzte Verkehrsmittel. Unter Verkehrsmittel werden hier alle Mittel der Ortsveränderung verstanden (HELD 1982 S. 47). Die am häufigsten benutzten Verkehrsmittel sind der Pkw, die öffentlichen Verkehrsmittel (Bus, Straßen- bahn, S-Bahn), das Fahrrad oder das Laufen zu Fuß. Die Verkehrsmittelwahl „beschreibt den psychischen Prozess des individuellen Wahlverhaltens des einzelnen Verkehrsteil- nehmers, der aus verschiedenen Verkehrsmitteln eines zur Überwindung eines Weges auswählt“ (ZEMLIN 2005 S. 14). Die Verkehrsmittelwahl einzelner Individuen führt letzt- lich in seiner aggregierten Form zur Aufteilung des Verkehrsaufkommens.

Im Leben des einzelnen Menschen stellt die Wahl des Verkehrsmittels nur ein unbedeu- tendes Entscheidungsproblem dar. Im Durchschnitt ist ein Individuum eine Stunde am Tag mobil (GORR 1998 S. 88). Die restlichen 23 Stunden ist es „immobil“ und setzt sich in dieser Zeit mit der Lösung anderer Probleme auseinander. Trotz dieser scheinbaren Trivialität der Verkehrsmittelwahl als Entscheidungsproblem hängt diese von verschie- denen Faktoren und komplexen Zusammenhängen ab. Im Laufe der Modellbildungen haben sich eine ganze Reihe von Faktoren gefunden, die sich auf die Verkehrsmittelwahl auswirken. Es lassen sich grundsätzlich drei Einflussgrößen feststellen:

- Merkmale der Fahrt
- Soziale und psychologische Merkmale des Verkehrsnachfragers
- Die wahrgenommenen Verkehrsmitteleigenschaften

4.2.1 Merkmale der Fahrt

Unter den Merkmalen der Fahrt werden der Fahrtzweck, die Wegelänge, der Zeitraum der Fahrt, die Zahl der Teilnehmer und die Wegekette verstanden (GRONAU 2005 S. 35).

Der Fahrtzweck gibt an, aufgrund welcher Daseinsfunktion die Fahrt ausgelöst wird. Die Wegelänge wirkt sich insofern auf das Verkehrsmittel aus, dass Fahrten bis zu einem Kilometer dem nMIV (Fahrrad, zu Fuß) vorbehalten sind. Erst bei größeren Entfernun- gen zum Zielort steigt der Anteil des MIV und des ÖPNV. Ab zehn km nimmt der Pkw eine dominierende Stellung ein.

Auch der Zeitraum der Fahrt wirkt sich stark auf das Verhalten des Verkehrsteilnehmers aus. So spielt werktags der Ausbildungs- und Berufsverkehr eine wesentliche Rolle, wäh- rend am Wochenende der Versorgungs- und Freizeitverkehr vorherrschend ist. Diese unterschiedlichen Fahrtzwecke spiegeln sich im Modal Split wieder, der sich am Wo- chenende deutlich zugunsten des MIV verschiebt. Die Jahreszeit und die dadurch be- dingten Witterungseinflüsse sind ebenso entscheidend. So geht der Anteil des nMIV im Winter aufgrund der schlechten Witterung deutlich zurück.

4.2.2 Soziodemographische Faktoren des Verkehrsnachfragers

Die soziodemographischen und psychologischen Merkmale müssen unterteilt werden in solche der Einzelperson und den Merkmalen des Haushaltes, in dem sie wohnt. Zu den individuellen Eigenschaften zählen Alter, Geschlecht, Berufstätigkeit, Führerscheinbesitz, Pkw-Verfügbarkeit und das Beschäftigungsverhältnis.

Beim Geschlecht herrscht die Annahme, dass sich das Mobilitätsverhalten zwischen Frauen und Männern tendenziell angleicht. So lag 1991 die Autoverfügbarkeit in Ost- deutschland bei 64 % (Männer) und 12 % (Frauen). In den Alten Bundesländern lagen die Werte zur selben Zeit bei 74 % (Männer) und 27 % (Frauen). Sieben Jahre später betrugen die Werte für Gesamtdeutschland 69 % und 37 % (WÄCHTER 2002 S. 24). Der Unterschied könnte in der geringeren Erwerbstätigkeit bei Frauen liegen. Zudem besitzt mit 81 % immer noch ein geringerer Anteil von Frauen einen Pkw-Führerschein als dies bei Männern mit 93 % der Fall ist (BMVBS 2004 S. 23). Da hier mit einer langsamen An- gleichung zwischen den Geschlechtern gerechnet wird, geht man von einer Zunahme des MIV aus (BMVBS 2001 S. 20). Uneinigkeit besteht in der Forschung hinsichtlich der Stär- ke des Einflusses des Geschlechts. BRÜDERL und PREISENDÖRFER zeigen anhand einer empirischen Erhebung, dass die Wahl des Verkehrsmittels für den Weg zur Arbeit vor allem durch Bequemlichkeit und den Zeitaufwand determiniert sind. Von den soziode- mographischen Merkmalen ist lediglich die Autoverfügbarkeit von Belang (BRÜDERL, PREISENDÖRFER 1995 S. 71ff). In einer Studie von BALDERJAHN wird jedoch der Ein- fluss des Merkmals Geschlecht nachgewiesen. Frauen nutzen demnach häufiger den ÖPNV für den Arbeitsweg (BALDERJAHN 1993). Auch ELLINGHAUS und STEINBRE- CHER kommen zu einem ähnlichen Schluss. Bei ihrer Erhebung über die Verkehrsmit- telnutzung bei Fahrten in das Zentrum von Großstädten stellte sich heraus, dass Männer vergleichsweise häufiger den Pkw benutzen (ELLINGHAUS, STEINBRECHER 1995 S. 154ff).

Das Alter des Verkehrsnachfragers kann sich in verschiedener Art und Weise auf das Mobilitätsverhalten auswirken. So stellt der Erwerb des Führerscheins im Alter von 18 Jahren einen entscheidenden Einschnitt im mobilen Leben des Verkehrsteilnehmers dar. Der Anteil des MIV nimmt von da an stetig zu, bis dieser in der Altersklasse der 35 bis 45- Jährigen den maximalen Anteil erreicht. Erst ab der Altersklasse der über 60-Jährigen nimmt dessen Anteil deutlich ab. Dieser Umstand deckt sich mit den klassischen Lebens- zyklusvorstellungen. Nach der Familiengründung expandieren Haushalte durch das Kinderkriegen bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Kinder ausziehen. Kinder führen dabei insofern zu einer höheren Pkw-Benutzung der Eltern, indem diese ihre Schösslinge zur Schule, den Kindergarten oder zu Freizeitbeschäftigungen bringen bzw. abholen.

Einigkeit herrscht darüber, dass der Autobesitz bzw. die uneingeschränkte Verfügbar- keit zu einer stärkeren Nutzung desselbigen führt. „Wer ein Auto besitzt, wird es in der Regel auch benutzen“ (FOPPA, TANNER 1995 S. 28). Zu dem gleichen Ergebnis kommt BALDERJAHN, dessen Untersuchungen zeigen, dass die Nutzung des ÖPNV mit der An- zahl der Pkw in einem Haushalt korreliert. Je mehr Autos zur Verfügung stehen, desto geringer ist die Nutzungswahrscheinlichkeit des ÖPNV (BALDERJAHN 1993). Dement- sprechend wird angenommen, dass der Autobesitz die Wahrscheinlichkeit verringert, dass andere Verkehrsmittel überhaupt genutzt werden. Zwar werden sie wahrgenom- men, jedoch ohne wirklich in Betracht gezogen zu werden. Ausgeblendet wird häufig, dass der Autobesitz seinerseits eine Entscheidung darstellt, die unter dem Einfluss von Alter, Geschlecht, Einwohnerzahl einer Stadt oder Erwerbstätigkeit getroffen wurde. Allerdings ist dies in einem längeren Zeitraum als das alltägliche Mobilitätsverhalten geschehen (LANZENDORF, SCHEINER 2004 S. 27).

Neben den Merkmalen des einzelnen Verkehrsnachfragers spielen ebenso die Merkmale des Haushaltes in dem er wohnt eine Rolle. So sind die Größe, die Anzahl und das Alter der zusammenlebenden Personen von Bedeutung. Auch die Menge der Berufstätigen ist in diesem Zusammenhang wichtig. Haushalte mit mehreren Erwerbstätigen haben in der Regel ein höheres Einkommen und können so über mehrere Pkw verfügen. Zudem be- sitzen Doppelverdiener in der Regel längere Wegeketten, die ein höheres Mobilitätsbe- dürfnis schaffen, welches über den MIV abgewickelt wird.

4.2.3 Wahrgenommene Verkehrsmitteleigenschaften

Unter die wahrgenommenen Verkehrsmitteleigenschaften fallen die Kosten für die Ver- kehrsmittelnutzung, der Zeitbedarf sowie Qualitätsfaktoren der Verkehrsmittel (KEU- CHEL 1994 S. 48ff). Problematisch bei diesen Faktoren ist zum einen, dass sie sich in wis- senschaftlichen Untersuchungen schwer operationalisieren lassen. Zum anderen sind sie stark von der subjektiven Wahrnehmung des einzelnen Verkehrsnachfragers abhängig.

Die Kosten der Verkehrsmittelnutzung hängen grundsätzlich vom gewählten Verkehrs- mittel ab. Dabei werden jedoch die Kosten der Pkw-Nutzung im Vergleich zu anderen Verkehrsalternativen oft falsch eingeschätzt (PRIEWASSER 2000 S. 99). Mitunter ist da- von auszugehen, dass mit vollzogener Autoanschaffung das reale Kosten-Nutzen-Denken bei Pkw-Fahrern nur noch eine untergeordnete Rolle spielt (GEISLER 1994 S. 79). Der Grund hierfür liegt zum einen darin, dass nicht alle Belastungen wie Anschaffungs- oder Instandhaltungskosten beachtet werden. So sind die durchschnittlichen Kilometerkosten eines Pkw mit rund 32 Cent etwa zwei- bis viermal so hoch wie im öffentlichen Verkehr (je nach Tarifart zwischen 7 und 15 Cent) (GRONAU 2005 S. 38). Zum zweiten erschwe- ren es die unterschiedlichen Kostenstrukturen zwischen Pkw- und ÖPNV-Nutzung dem Einzelnen, sich eine adäquate Meinung zu bilden.

Der Faktor Zeitbedarf spielt eine gewichtige Rolle bei der Entscheidung pro oder contra öffentliche Verkehrsmittel. Wesentlich ist dabei, dass sich zwar in den letzten Jahren die durchschnittliche Zahl der täglichen Wege und Aktivitäten nicht verändert hat. Die Ent- fernungen zu den einzelnen Aktivitätszielen haben sich jedoch stark vergrößert. Folglich wird, um bei einem knappen individuellen Zeitbudget Verluste zu vermeiden, ein Aus- gleich in höherer Transportgeschwindigkeit gesucht. Somit wird der, zur Überwindung einer bestimmten Entfernung erforderliche, Zeitaufwand zu einem zentralen Qualitäts- kriterium für die Wahl eines Verkehrsmittels. Genauso wie bei den Kosten ist der Zeit- aufwand stark von der subjektiven Wahrnehmung geprägt. Viele Autofahrer schätzen die Fahrzeit im ÖPNV deutlich höher ein, als sie tatsächlich ist. Gleichzeitig schätzen sie die Reisezeit im eigenen Pkw vielfach zu niedrig. Auch die Passivität, zu der man im ÖPNV gezwungen ist, führt zu einem verstärkten Zeitempfinden, welches sich bei Un- pünktlichkeit noch verstärkt. Verschiedene Untersuchungen belegen, dass je größer der Zeitnachteil im Falle der ÖPNV-Nutzung ist, desto niedriger die Neigung, mit öffentli- chen Verkehrsmitteln zu fahren (WÄCHTER 2000 S. 32).

Als letzter Faktor der Verkehrsmittelwahl sollen hier qualitative Merkmale von Ver- kehrssystemen Erwähnung finden. So sind die häufigsten Gründe für ein Umsteigen auf die öffentlichen Verkehrsmittel mehr Bequemlichkeit bzw. weniger Stress bei der Fahrt. Einigen empirischen Befunden zufolge nimmt die Bequemlichkeit bei der Verkehrsmit- telwahl einen gleich hohen Stellenwert wie der Faktor Zeit ein (PRIEWASSER 2000 S. 97).

Im umgekehrten Fall sind es die negativen Qualitätseinschätzungen des ÖPNV (Umstei- gen, Wartezeiten, schlechte Verbindung, niedriger Komfort), die Verkehrsteilnehmer zum MIV bewegen.

Die hier angesprochenen Faktoren sind bei weitem noch nicht alle diskutierten Einfluss- faktoren. Zusammenfassend lässt sich jedoch feststellen, „dass die klassischen Determi- nanten (Alter, Erwerbstätigkeit, Pkw-Verfügbarkeit) sich immer noch als die wichtigsten erweisen“ (LANZENDORF, SCHEINER 2004 S. 32).

4.3 Verkehrsentwicklung in Deutschland

Bis zum Ende der 1920er Jahre wurde der städtische Verkehr vom nicht-motorisierten Individualverkehr und den öffentlichen Verkehrsmittels geprägt. Nur ein geringer Teil der Bevölkerung konnte sich zu dieser Zeit ein Auto leisten. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die Weichen hin zu einer „Pkw-orientierten“ Entwick- lung gestellt. In der Zeit des Wirtschaftswunders entwickelte sich der Pkw durch die stei- genden Nettolöhne einerseits und der Kosten sparenden Massenproduktion andererseits zum Massenfortbewegungsmittel. Das Auto wurde zum Symbol des Wohlstandes und der persönlichen Freiheit. Mit der Massenmotorisierung war zugleich ein Grundpfeiler der Suburbanisierung gelegt (AHUIS 1994 S. 46). Eine breite Mittelschicht war nun in der Lage, das Wohnen am Stadtrand und das Auto zu finanzieren (PEZ 1998 S. 20). Diese Entwicklung führte zu einem steigenden Verkehrsaufkommen. Im ÖPNV sanken zu die- ser Zeit erstmals die absoluten Fahrgastzahlen (ZEMLIN 2005 S. 19). Ein Umdenken auf breiter Front begann in den 1970er Jahren, da das Scheitern des Leitbildes der autoge- rechten Stadt erkannt wurde und das Umweltbewusstsein der Bevölkerung zunahm (KOPPER 2002 S. 65). Der Ausbau der Infrastruktur für den Autoverkehr und den ÖPNV trieb man nun zumeist in gleichem Maße an.

In den letzten 30 Jahren lässt sich die Entwicklung im Personenverkehr wie folgt charak- terisieren:

- Ein relativ konstantes Verkehrsaufkommen pro Person
- Ein relativ konstantes Reisezeitbudget pro Person
- Eine Verlagerung der Verkehrsmittelnutzung des MIV auf Kosten des nMIV
- Eine Ausdehnung der Aktionsräume sowie eine zunehmende Reisegeschwindig- keit
- Eine steigende Motorisierung (SCHMITZ 2001 S. 169ff)

Verliefen diese Prozesse vor der Wiedervereinigung noch getrennt und in unterschiedli- chem Tempo, erfolgte seit 1989/90 eine rasante Angleichung der Verkehrsentwicklung sowie des Mobilitätsverhaltens. Im Zuge der verkehrlichen Modernisierung sowie der generellen wirtschaftlichen Transformation kam es in den neuen Bundesländern zu ei- nem ausgeprägten Anstieg des Straßengüterverkehrs sowie einem Wachstum der allge- meinen Verkehrsleistung im Personenverkehr von rund 25 % (GATHER 2001 S. 3). In den Prognosen des Bundesverkehrswegeplans 2003 bis 2015 wird im Wesentlichen mit einer Fortsetzung der bisherigen Verkehrsentwicklung gerechnet (LANZENDORF, SCHEINER 2004 S. 12).

Das aktuelle deutsche Mobilitätspanel (MOP) und die KONTIV liefern Daten über die vorherig beschriebenen Verkehrsentwicklungen seit 1976. Der Anteil der mobilen Per- sonen stieg demnach nur leicht von 90 % (1976 Alte Bundesländer) auf 91 % (2002 ge- samtes Bundesgebiet). Im gleichen Zeitraum wuchs die Anzahl der täglich mit einem Verkehrsmittel zurückgelegten Wege von 3,09 auf 3,44 (+ 11,3 %) an. Das Reisezeitbud- get änderte sich von 1:08 h auf 1:17 h pro Tag (+13,2 %). Am deutlichsten fällt die Ver- änderung bei den Wegelängen aus. So stieg die Durchschnittswegelänge von 8,7 auf 11,1 km an. Legte ein Verkehrsteilnehmer 1976 am Tag 26,9 km zurück, waren es 2002 be- reits 38,1 km (+41,6 %) (BMVBS 2004).

Die gleiche Anzahl der Wege deutet auf ein gleich bleibendes Mobilitätsbedürfnis der Bevölkerung hin. Die Zunahme der Distanzen ist eine der Hauptgründe für das gestiege- ne Verkehrsaufkommen der letzten Jahrzehnte. Die Distanzzunahme hat ihrerseits ver- schiedene Gründe. So nahmen die Raumwiderstände bei konstantem Reisezeitbudget aufgrund höherer Geschwindigkeiten (steigende Motorisierung, Ausbau der Verkehrs- infrastruktur) und sinkender Transportkosten (steigender Wohlstand) stetig ab (HOLZ- RAU et al. 1994 S. 20). Parallel dazu differenzieren sich die räumlichen Strukturen zu- nehmend aus. Entmischung, Konzentration und steigender Flächenverbrauch kenn- zeichnen die Siedlungsentwicklung seit den 1970er Jahren (Ebenda). Mit der Verlage- rung von Daseinsfunktionen (Wohnen, Arbeiten, Freizeit) aus den innerstädtischen Be- reichen an Stadtrandgebiete vollzieht sich eine räumliche Konzentration ehemals klein- räumlich verteilter Versorgungseinrichtungen (BECKMANN et al. 2006 S. 8). Als Folge dieser Entwicklung ist eine kleinräumliche Erreichbarkeit – etwa auf der Ebene des Quartiers – heute nur noch für wenige Funktionen (z.B. Waren des täglichen Bedarfs) und in bestimmten Siedlungstypen (z.B. Kernstadt) gewährleistet. Erschwerend kommt hinzu, dass die neu entstandenen Siedlungsstrukturen vor allem dort den motorisierten Individualverkehr begünstigen, wo die Konzentration von Versorgungs- und Freizeitein- richtungen sowie Arbeitsplätzen in dispersen Lagen in den Randgebieten der Städte er- folgt, die mit dem ÖPNV kaum wirtschaftlich bedienbar sind (BECKMANN et al. 2006 S. 9). Neben den siedlungsstrukturellen Veränderungen wandeln sich ebenso die Verhal- tensmuster der Bevölkerung und differenzieren sich zunehmend aus. Steigende Wohn- raumansprüche, Spezialisierung in Arbeit und Ausbildung, unterschiedliche Freizeitakti- vitäten und Konsumgewohnheiten korrespondieren mit der Veränderung der räumli- chen Strukturen und führen ebenso zu einem stetigen Verkehrswachstum (HOLZ-RAU et al. 1994 S. 20).

Die Siedlungsstruktur und das Mobilitätsverhalten bilden dabei einen dynamischen Pro- zess, in dem die Verkehrsmöglichkeiten die langfristigen Standortentscheidungen über Wohnen und Arbeiten sowie die Ansprüche an die Gelegenheiten für die alltäglichen Aktivitäten prägen. Auf diese Weise verändern die Verkehrsmöglichkeiten die Raum- struktur. Gleichzeitig wirken die Raumstrukturen auf das Verkehrsverhalten zurück. (HOLZ-RAU et al. 1994 S. 21).

Die Steigerung des Verkehrsaufkommens ging mit einer wachsenden Motorisierung und der Dominanz des motorisierten Individualverkehrs einher. Seit Ende der 1950er Jahre betrug die jährliche Zunahme an neuen Personenkraftwagen durchschnittlich ca. 850 Tsd. (LÖTSCHER et al. 2000 S. 62). Der Pkw-Bestand der DDR blieb weit unter dem der BRD. Mit der Wiedervereinigung stieg die Zahl der Pkw in den neuen Ländern jedoch drastisch an. Im Jahr 2005 waren in Deutschland insgesamt 46,09 Mio. Pkw zugelassen. Auf 1000 Einwohner kamen 2005 demnach im Bundesdurchschnitt 559 Personenkraft- wagen (STATISTISCHES BUNDESAMT 2007).

Der Modal Split für Deutschland im Jahr 2004 zeigt deutlich die dominierende Stellung des MIV mit über 50 %. Der ÖPNV nimmt mit nur 9 % den vierten Platz ein. Beachtlich ist der Anteil des nMIV, der ein Drittel auf sich vereinigt (vgl. Abb. 4-1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4-1: Modal Split Deutschland 2002 (Quelle: BMVBS 2004 S. 62/Eigene Darstellung)

Für das Jahr 2015 wird mit einem weiteren Wachstum des Personen- und Güterverkehrs gerechnet (BMVBS 2001 S. III). Der Anteil des MIV wird weiter steigen, ebenso die Mo- torisierungsquote. Es wird davon ausgegangen, dass der gesamte Pkw-Bestand von 41,4 Mio. (1999) auf 49,8 Mio. (2015) steigt. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung nimmt die Pkw-Dichte von 504 (1999) auf 597 (2015) Pkw je 1000 Einwohner zu (Ebenda S. VI). Die Bestandsausweitung hat ihre Ursachen zum einen in steigenden verfügbaren Einkom- men. Zum anderen ist er auf Personengruppen zurückzuführen, deren Motorisierungs- grad aktuell unterdurchschnittlich ausgeprägt ist. Die Hauptgründe für die Zunahme der Mobilität sind ebenso das steigende verfügbare Einkommen und die Individualmotori- sierung sowie der steigende Prozentsatz erwerbstätiger Frauen (BMVBS 2001 S. VII). An- gesichts der derzeitigen ökonomischen Veränderungen (z.B. Klimawandel, Ölpreisstei- gerung, Maut) sind aber auch andere Entwicklungen denkbar.

Die Entwicklung in Leipzig nach dem politischen Umbruch war zum einen durch ein starkes Verkehrswachstum trotz Bevölkerungsrückgangs sowie einer zunehmenden Mo- torisierung geprägt. Allein in den Jahren 1990 bis 1994 stieg das Verkehrsaufkommen um 68 % (GEISLER S. 8). Einhergehend mit der steigenden Motorisierung verschob sich der Modal Split zuungunsten des ÖPNV und des Fußgängeranteils hin zum MIV (GEIS- LER 1997 S. 77ff). Lag das Verhältnis ÖPNV: MIV 1987 noch bei 60:40 verschob es sich bis zum Jahr 2003 auf 28:72 (STADT LEIPZIG/AMT FÜR VERKEHRSPLANUNG 2004 S. 8).

Tab. 4-1: Verkehrsmittelwahl in Leipzig 1987 bis 2003

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: STADT LEIPZIG/AMT FÜR VERKEHRSPLANUNG 2004/Eigene Darstellung)

Das starke Verkehrswachstum hat verschiedene Ursachen. Der massive Strukturwandel der 1990er Jahre war begleitet von einem Abbau wohnungsnaher Arbeitsplätze in den inneren Stadtgebieten. Neue Betriebe siedelten sich eher in den Stadtrandgebieten an. Der Schwerpunkt des Wohnungsbaus lag ebenfalls im Stadtumland. Neue großflächige Einzelhandelsunternehmen siedelten sich vorrangig in Bereichen mit einem sehr guten Anschluss an das überörtliche Verkehrsnetz an (STADT LEIPZIG/DEZERNAT STADT- ENTWICKLUNG UND BAU 2004 S. 9). Als Folge dieser Entwicklung sinkt die kleinräum- liche Erreichbarkeit – etwa auf der Ebene des Quartiers. Erschwerend kommt hinzu, dass die neu entstandenen Siedlungsstrukturen vor allem den motorisierten Individualver- kehr begünstigen, jedoch mit dem ÖPNV kaum wirtschaftlich bedienbar sind. Insgesamt führten Konzentration und Verlagerung zu einer umfangreichen Entflechtung der zu DDR-Zeiten noch bestehenden großen räumlichen Nähe der Daseinsgrundfunktionen „Wohnen“ einerseits sowie „Arbeit“ und „Erholung/Versorgung“ andererseits (GATHER 2001 S. 12).

Neben siedlungsstrukturellen Veränderungen spiegeln sich im Verkehrswachstum auch veränderte Bedingungen für die Verkehrsnachfrager wieder. So konnte der private Nachfrageüberhang an Pkw nach der Wiedervereinigung erfüllt werden. Zudem führten andere Freizeit- und Konsummuster zu einer Verlängerung der zurückgelegten Wege, die wiederum zum Verkehrswachstum beitrugen (STADT LEIPZIG/DEZERNAT STADT- ENTWICKLUNG UND BAU 2004 S. 9).

Für die Gewinnung von planungsrelevanten Verkehrsinformationen nimmt die Stadt Leipzig seit dem Jahr 1972 in regelmäßigen Abständen am System repräsentativer Ver- kehrsumfragen (SrV) der TU Dresden teil. Um einen vertiefenden Einblick in die derzei- tige Verkehrssituation in Leipzig geben zu können, werden im Folgenden kurz einige Ergebnisse der letzten Erhebung im Frühjahr 2003 wiedergegeben.

An der achten Fortschreibung beteiligten sich 34 deutsche Städte. Neben Großstädten wie Frankfurt/Main, Dresden, Chemnitz, Halle oder Potsdam nahmen auch Klein- und Mittelstädte wie Görlitz, Plauen, Göttingen oder Kamenz an der Untersuchung teil. Bei dieser Art der Umfrage werden Haushalts-, Personen- und Wegedaten zum Mobilitäts- verhalten abgefragt. Als Stichtag gilt ein so genannter mittlerer Werktag (Dienstag bis Donnerstag), der in Verkehrsmodellen als Berechnungsgrundlage genutzt wird. Der Stichprobenumfang in Leipzig im Jahr 2003 betrug 626 Haushalte mit 1.164 Personen (STADT LEIPZIG/AMT FÜR VERKEHRSPLANUNG 2004 S. 4).

Im Städtevergleich zeigt Leipzig keine Abweichungen zu den Mittelwerten aller beteilig- ten Städte (vgl. Tab. 4-2).

Tab. 4-2: SrV 2003 – Leipzig im Städtevergleich

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(Quelle: STADT LEIPZIG/AMT FÜR VERKEHRSPLANUNG 2004/Eigene Darstellung)

Während 2005 im Bundesdurchschnitt die Motorisierungsquote bei 559 Pkw je 1.000 Einwohner lag (STATISTISCHES BUNDESAMT 2007), ist in Leipzig erst ein Wert von 424 Pkw je 1000 Einwohner erreicht. Dabei schwankt die Motorisierungsquote erheblich zwischen den einzelnen Stadtteilen. In den 1999 eingemeindeten Ortsteilen liegt sie mit 471 Pkw je 1000 Einwohner um ein vielfaches höher als in den innerstädtischen Grün- derzeitquartieren, in denen keine Werte über 400 Pkw je 1000 Einwohner erreicht wer- den.

Tab. 4-3: Motorisierungsentwicklung in Leipzig 1987 bis 2003

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: STADT LEIPZIG/AMT FÜR VERKEHRSPLANUNG 2004/Eigene Darstellung)

Der hohe Anstieg der Motorisierungsquote zwischen den Jahren 1998 und 2003 (vgl. Tab. 4-3) ist größtenteils durch den hohen Pkw-Besatz der neuen Ortsteile erklärbar (STADT LEIPZIG/AMT FÜR VERKEHRSPLANUNG 2004 S. 10). Der Hauptgrund für die höhere Pkw-Ausstattung ist in deren peripherer Lage zum Zentrum zu suchen, die ein- hergeht mit längeren Wegen zu wichtigen Tätigkeitsorten. Hinzu kommt, dass der Anteil der MIV stärker nutzenden, hochmobilen Altersgruppen der 35 bis 55-Jährigen im ge- samten Stadtgebiet überproportional gestiegen ist (Ebenda S. 7).

Die für Leipzig ermittelten Verkehrsmittelanteile am Modal Split liegen im Vergleich mit denen anderer teilgenommener Großstädte im mittleren Bereich (vgl. Tab. 4-4).

Tab. 4-4: Verkehrsmittelanteile (in %) von Leipzig im Vergleich zu anderen Großstädten

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(Quelle: STADT LEIPZIG/AMT FÜR VERKEHRSPLANUNG 2004/Eigene Darstellung)

Neben der Fortschreibung der Untersuchung war für Leipzig von Interesse, welche Aus- wirkungen die erfolgten Eingemeindungen ehemaliger Umlandgemeinden im Jahr 1999 auf das Verkehrsgeschehen haben. Der in dieser Arbeit untersuchte Stadtteil Engelsdorf gehört ebenfalls mit zu den eingemeindeten Ortschaften.

Während die Motorisierungsquote im alten Stadtgebiet bei 403 Pkw je 1000 Einwohner lag, betrug er für die neuen Ortsteile 474 Pkw je 1000 Einwohner (Gesamtstadt 424). Die neuen Stadtteile weisen weiterhin ein anderes Verhältnis im Modal Split von ÖPNV: MIV (altes Stadtgebiet 29:71; neue Ortsteile 19:81) und UV: MIV (altes Stadtgebiet 58:42; neue Ortsteile 42:58) auf. Die Zahlen belegen, dass neben dem verbreiterten Pkw-Besitz, dieser auch intensiver genutzt wird. Des Weiteren weisen die neuen Ortsteile gegenüber dem alten Stadtgebiet einen höheren Anteil an Haushalten mit mehr als einem Pkw auf. Be- sitzen im alten Stadtgebiet nur 12 % der Haushalte mehr als einen Pkw, sind es in den neuen Ortsteilen 20 %.

Für die Zukunft wird von einem weiteren Anstieg des Verkehrsaufkommens um 15 % zwischen 2004 und 2015 ausgegangen (STADT LEIPZIG/DEZERNAT STADTENTWICK- LUNG UND BAU 2004 S. 9). Die Zunahme betrifft in besonderem Maße tangentiale We- gebeziehungen zwischen Stadtteilen und den neuen Wohn- und Arbeitsplatzgebieten, Einkaufs- und Freizeitzielen in der Peripherie (Ebenda S. 13). Durch den Bau des City- Tunnels soll der ÖPNV gestärkt werden. Planer und Gutachter erwarten einen Anstieg des ÖPNV-Anteils am Modal Split um 3 %. Im gleichen Maß soll der Anteil des MIV sin- ken (STADT LEIPZIG/DEZERNAT STADTENTWICKLUNG UND BAU 1998 S. 7).

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Abb. 4-2: Modal Split Prognose Leipzig 2015

(Quelle: STADT LEIPZIG/DEZERNAT STADTENTWICKLUNG UND BAU 2004/Eigene Darstellung)

4.4 Mobilität und Verkehr im siedlungsstrukturellen Kontext

Kommunikation, Verkehr und Warenaustausch sind konstituierende Elemente der Stadtentwicklung. Die Verkehrssysteme haben immer eine zentrale Rolle gespielt und insofern Funktionalität, Lebensqualität und Entwicklungsfähigkeit der Stadt in hohem Maße mitbestimmt (HESSE 2001 S. 97). Im jüngeren wissenschaftlichen Diskurs steht vor allem die Frage im Mittelpunkt, welche Auswirkungen die durch Suburbanisierung ent- standenen Siedlungsstrukturen auf die Mobilität der Bewohner der betreffenden Agglo- merationen haben (u.a. FREHN, WESBUER 2004; HESSE 2001/2001a; HOLZ-RAU, SCHEINER 2005; MOTZKUS 2001; SCHEINER 2005). Zudem wird diskutiert, welche Siedlungsstrukturen einer weiteren Steigerung des Verkehrsaufkommens Vorschub leis- ten und wie dieser Entwicklung durch Planungskonzepte entgegengewirkt werden kann (BMVBS 2006; FORSCHUNGSVERBUND LEBENSRAUM STADT 1994; GERTZ, HOLZ- RAU 1994; HESSE 1995; HOLZ-RAU 1997; HOLZ-RAU, KUTTER 1995).

Die zentrale Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit ist, ob das Stadthausprogramm einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Mobilität leisten kann. Dazu wird das Mobilitäts- verhalten von Bewohnern innerstädtischer Eigentumswohnungen mit dem der Bewoh- ner eines suburbanen Wohngebietes miteinander verglichen. Aufgrund dessen werden zunächst neuere Forschungsergebnisse zum Mobilitätsverhalten von Suburbaniten vor- gestellt. Anschließend ist zu klären, welche Aspekte der Begriff „nachhaltigere Mobilität“ beinhaltet und wie diese umgesetzt werden können.

Die zentrale Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit ist, ob das Stadthausprogramm einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Mobilität leisten kann. Dazu wird das Mobilitäts- verhalten von Bewohnern innerstädtischer Eigentumswohnungen mit dem der Bewoh- ner eines suburbanen Wohngebietes miteinander verglichen. Aufgrund dessen werden zunächst neuere Forschungsergebnisse zum Mobilitätsverhalten von Suburbaniten vor- gestellt. Anschließend ist zu klären, welche Aspekte der Begriff „nachhaltigere Mobilität“ beinhaltet und wie diese umgesetzt werden können.

Die zentrale Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit ist, ob das Stadthausprogramm einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Mobilität leisten kann. Dazu wird das Mobilitäts- verhalten von Bewohnern innerstädtischer Eigentumswohnungen mit dem der Bewoh- ner eines suburbanen Wohngebietes miteinander verglichen. Aufgrund dessen werden zunächst neuere Forschungsergebnisse zum Mobilitätsverhalten von Suburbaniten vor- gestellt. Anschließend ist zu klären, welche Aspekte der Begriff „nachhaltigere Mobilität“ beinhaltet und wie diese umgesetzt werden können.

Ende der Leseprobe aus 110 Seiten

Details

Titel
Mobilitätsverhalten in Abhängigkeit der Siedlungsstruktur und Wohnzufriedenheit
Untertitel
Ein Vergleich von innerstädtischen Eigentumswohnungen und einem suburbanen Wohngebiet am Beispiel Leipzig
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Geographie)
Note
1,5
Autor
Jahr
2007
Seiten
110
Katalognummer
V117349
ISBN (eBook)
9783640197316
ISBN (Buch)
9783640197422
Dateigröße
1916 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mobilitätsverhalten, Abhängigkeit, Siedlungsstruktur, Wohnzufriedenheit
Arbeit zitieren
Manuel Emmelmann (Autor:in), 2007, Mobilitätsverhalten in Abhängigkeit der Siedlungsstruktur und Wohnzufriedenheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117349

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