Die deutsche Ostfront 1914 - 1918

Der Kampf des deutschen Kaiserheeres im Osten und die Folgen


Studienarbeit, 2008

44 Seiten, Note: 2

Hermann D. Janz (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die politische Situation bis zum Jahr 1914

3. Strategische Überlegungen in Deutschland bis 1914
3.1 Der Schlieffen-Plan
3.2 Strategische Überlegungen an der Ostfront

4. Der Krieg an der Ostfront
4.1 Kriegsziele
4.2 Das Kriegsjahr 1914
4.3 Das Kriegsjahr 1915
4.4 Das Kriegsjahr 1916
4.5 Das Kriegsjahr 1917
4.6.Der Friedensvertrag von Brest-Litowsk 1918

5. Die Zeit während der deutschen Besetzung

6. Fazit

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

1.Einleitung

Diese wissenschaftliche Arbeit innerhalb des Hauptseminars ,,Polen und das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg’’ soll die Thematik der deutschen Ostfront im Ersten Weltkrieg komplex darstellen und dem Leser veranschaulichen, welche Planungen und Ziele es vor dem Ausbruch des Weltkriegs gab, wie sich der Kriegsverlauf für die Soldaten des deutschen Feldheeres entwickelte und letztendlich wie man die Ereignisse der Ostfront und deren Folgen rückblickend beurteilen kann. Im Bezug auf das Seminarthema nimmt der Krieg an der deutschen Ostfront und dessen Nachwirkungen eine zentrale Rolle ein, da sowohl das Deutsche Reich als auch Polen von den Folgen des Krieges im Osten betroffen waren.

Im Kriegsjahr 1916 proklamierten Österreich-Ungarn und deutsche Kaiserreich das Königreich Polen, welches man in erste Linie als Maßnahme gegen Russland sehen muss. Mit dem Versailler Vertrag von 1919 musste das Deutsche Reich große Teile Westpreußens, Posens und Schlesiens an das nun international anerkannte Polen abtreten. Der Konflikt um diese Regionen sollte im Jahr 1939 mit dem Einmarsch der Wehrmacht und der Roten Armee seinen traurigen Höhepunkt erreichen, dessen Tragweite wir teilweise noch bis heute zu spüren bekommen. Als Einstieg beginnt diese Arbeit mit der politischen Situation und den strategischen Überlegungen in Deutschland bis zum Jahr 1914. Den Kern dieser Ausarbeitung stellt der konkrete Krieg an der deutschen Ostfront dar, mit Schwerpunkt auf den Kriegsjahren 1914 und 1915. Im Fazit werden dann abschließend Einzelaspekte hinterfragt und aus der Sicht des Autors beantwortet. Als Kernliteratur diente vor allem die Veröffentlichung von Gerhard P. Groß mit dem Titel ,,Die vergessene Front. Der Osten 1914/15’’. Außerhalb von lexikalischen Darstellungen wie in der ,,Enzyklopädie Erster Weltkrieg’’ oder Gesamtdarstellungen des Ersten Weltkriegs ist die Literaturlage über den Kampf des deutschen Kaiserheeres im Osten, zumindest im deutschsprachigen Raum, sehr dürftig. Groß veranschaulicht die Kriegsereignisse in den Jahren 1914 und 1915 sehr detailliert unter Einbeziehung verschiedener zeitgenössischer Quellen. Bei der Ausarbeitung dieser Arbeit nutzte ich selbst verschiedene Quellen, welche aus dem Nachlass meines Urgroßvaters Gottlieb J. stammten, der selbst Offizier des Kaiserheeres war und aus dem Kreis Ortelsburg in Ostpreußen kam. Zum Themengebiet Ostfront zog ich die Bücher ,,Der Krieg 1914-19 in Wort und Bild’’ von Armand von Ardenne und ,,Tannenberg’’ aus der Reihe ,,Schlachten des Weltkriegs’’ heran, welche auf Grund der kurzen zeitlichen Distanz zu den Ereignissen als Quelle dienen und eine zeitgenössische Sicht auf die Dinge liefern. Des weiteren wurden die Veröffentlichungen Erich Ludendorffs ,,Meine Kriegserinnerungen 1914-1918’’ und ,,Tannenberg’’ als Quellen benutzt.

2.Die politische Situation bis zum Jahr 1914

Um den Weg der Großmächte zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs umfassend darzustellen bedarf es eines Rückblickes zu den Anfängen der Bündnispolitik um das Jahr 1880. Signifikant für die in dieser Zeit entstehenden Bündnissysteme ist der Fakt, dass sich die imperialistischen Aktivitäten der Mächte in zunehmenden Maße zum Auslöser und Gegenstand neuer Koalitionen entwickelten und in Folge gleichermaßen zur Festigung der Gegensätze in Europa selbst beitrugen.[1]

Die in den Jahren 1873 und 1881 zwischen den Souveränen Deutschlands, Russlands und Österreich-Ungarns abgeschlossenen Verträge, der deutsch-österreichische Zweibund des Jahres 1897 und auch der 1882 zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien geschlossene Dreibund waren die ersten bedeutenden Bündnisse dieser Zeit und in ihren Absichten noch auf das gesamte Europa ausgerichtet. Für den seit 1871 amtierenden ersten deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck, auf dessen Initiative diese Abkommen zustande kamen, hatte die Sicherung des noch jungen deutschen Nationalstaates im Zentrum Europas höchste Priorität. Damit ging einher, dass eine Allianz zwischen Frankreich und Russland unter allen Umständen verhindert werden musste.[2] So diente ebenfalls die nach der ,,Krieg-in-Sicht’’ Krise des Jahres 1875[3] entwickelte und mit der Bündnispolitik kongruente Strategie Bismarcks dazu, ,,die Interessen der übrigen Großmächte gegeneinander zu lenken und die Spannungen insgesamt von der Mitte an die Peripherie Europas zu dirigieren, später dann auch die sich aus dem imperialistischen Ausgreifen der Großmächte ergebenden Gegensätze zwischen ihren in Afrika und Asien auszunutzen.’’[4]

Dieser strategische Weg konnte nur erfolgreich sein, solange man Spannungen mit den Bündnispartnern aus dem Weg ging und selbst nicht in weltpolitischen Fragen intervenierte. Doch bereits unter Bismarck wurde in beiden Richtungen ein Kurs eingeschlagen, welcher mit dem ursprünglichen diplomatischen Konzept schwer vereinbar war und nach 1890 zu einer zunehmenden Entfremdung insbesondere Großbritanniens und Russlands vom Deutschen Reich führte. Die Regierung des deutschen Kaisers sah darin eine Gefährdung der eigenen Sicherheit innerhalb Europas. Das sich die Konsequenzen dieser Politik erst nach dem Rücktritt Bismarcks, also ab dem Jahr 1890 in aller Deutlichkeit zeigten, hatte in erster Linie zwei Gründe: Auf der einen Seite bestimmte bis zu diesem Zeitpunkt mit Otto von Bismarck ein Staatsmann die deutsche Außenpolitik, der selbst in problematischen Situationen das für die Sicherung des Reiches wichtige Bündnissystem weitgehend im Gleichgewicht hielt. Die Bündnispolitik wurde während seiner Amtszeit nur so weit den äußeren Umständen angepasst, wie das ursprüngliche diplomatische Konzept es zuließ. Kaiser Wilhelm II.[5] und Bismarcks Nachfolger, Leo von Caprivi[6], wollten das Bismarcksche System nicht weiter fortführen, waren aber nicht in der Lage ein angemessenes neues zu entwerfen. Damit verlor die deutsche Außenpolitik auch den für die anderen Staaten so wichtigen Faktor der Berechenbarkeit[7]. Der zweite Grund, welcher jedoch mit dem ersten eng verbunden ist, war die seit 1897 intensivierte Kolonialpolitik des Deutschen Reiches, womit es in den außereuropäischen Konkurrenzkampf der Mächte einstieg. Bereits seit 1884 hatte das deutsche Kaiserreich Besitz von Kolonien in Afrika ergriffen, die aber in der Politik nur eine untergeordnete Rolle spielten. Unter Wilhelm II. bekam der deutsche Expansionsgedanke eine weitaus höhere Priorität, da man fortan einen ,,Platz an der Sonne’’[8] verlangte und zusätzlich in China mit dem Gebiet Kiautschou Herrschaftsterritorien begründete. Fatalerweise verzichtete Kaiser Wilhelm II. darauf, eine Absicherung durch Bündnisverträge oder ähnlichen Abkommen mit den Nachbarstaaten zu treffen.[9]

Die Entfremdung des Deutsches Reiches von Großbritannien und Russland begann jedoch bereits in der Bismarckzeit. Den Anstoß für eine nachhaltige Verstimmung des Zarenreiches gab die Einführung deutscher Schutzzölle im Jahr 1879 und deren Erhöhung in den Jahren 1885 und 1887, wodurch besonders der russische Getreideexport stark geschwächt wurde. Nach dem Lombardoverbot vom November 1887 war die russische Regierung gezwungen, ihren Bedarf an Krediten an der französischen Börse zu decken. In diesen Geschehnissen liegt der für das Deutsche Reich unheilvolle Ursprung der späteren militärischen und politischen Annäherung Russlands an Frankreich. Das diese Entwicklung zwischen den beiden deutschen Nachbarstaaten zu diesem Zeitpunkt keinen ratifizierten Abschluss fand, lag vor allem an der Entschlusskraft Bismarcks. Der Reichskanzler wollte die in Folge der Balkankrise der Jahre 1885 bis 1887 entstandenen Spannungen zwischen dem deutschen Kaiserreich und Russland, die durch die deutsche Zoll- und Finanzpolitik noch verstärkt wurden, nicht in einer kriegerischen Auseinandersetzung gipfeln lassen, sondern entschärfen. Dies gelang ihm durch den Abschluss des sogenannten Rückversicherungsvertrags am 18.Juni 1887, womit zwischen den beiden Großmächten ein rein defensives Abkommen geschlossen wurde, dass beide Staaten zur wohlwollenden Neutralität verpflichtete, wenn einer der Vertragspartner im Krieg mit einer dritten Macht steht. In Verbindung mit dem Zweibundvertrag konnte es als Ersatz für das 1887 nicht verlängerte Dreikaiserbündnis[10] betrachtet werden. Die Nachfolger Bismarcks weigerten sich jedoch im Jahr 1890 das geheime Neutralitätsabkommen zu verlängern und unterstützten dadurch jene Kräfte in Russland, die bereits seit den 70er Jahren auf eine Anlehnung des Zarenreiches an Frankreich drängten. Schon August 1892 kamen die militärischen Führungsriegen beider Staaten überein, sich im Falle eines deutschen Angriffs auf eine der vertragsschließenden Parteien militärisch zu unterstützen. Durch einen Notenwechsel vom Dezember 1893 und Januar 1894 wurde diese Allianz politisch rechtskräftig.

In gleicher Weise ist die Hinwendung Englands zu seinen weltpolitischen Gegnern Frankreich und Russland als Folge der deutschen Außenpolitik unter Kaiser Wilhelm II. zu sehen. Zwar berührte die mit französischer Absicherung ausgeübte deutsche Kolonialpolitik in den Jahren 1884/85 ebenso englische Interessen, so wollte Bismarck es in letzter Konsequenz nicht auf einen Konflikt mit der Seemacht ankommen lassen. Belege hierfür sind der mit Bismarcks Unterstützung geschlossene sogenannte Orientdreibund von 1887 zwischen England, Italien und Österreich-Ungarn, sein Schreiben an den britischen Premierminister Salisbury vom November 1887 und sein Bündnisangebot an England vom Januar 1889.[11]

Unterzeichneten beide Staaten im Juli 1890 den Helgoland-Sansibar-Vertrag[12], schlug man dessen ungeachtet von deutscher Seite fortan einen aggressiveren außenpolitischen Kurs gegenüber der Insel ein mit dem Ziel eines verpflichtenden Bündnisses oder der politischer Isolierung Großbritanniens. Durch eine Politik der ,,kleinen Schritte’’, wie es der deutsche Botschafter in London, Paul Graf von Hatzfeldt, im April 1898 ausdrückte, wollte man über mehrere kolonialpolitische Vereinbarungen schließlich zu einem umfassenden Abkommen gelangen.[13] Nach teilweise heftigen Auseinandersetzungen, die aus den unterschiedlichen Vorstellungen der beiden Mächte resultierten, kam es zum Scheitern dieser Politik und zu einer fatalen Entwicklung für das Deutsche Reich. In welcher Weise Übereinkommen in der Kolonialpolitik bestimmend für die Situation in Europa sein konnten, zeigte sich mit den Kontrakten, die Großbritannien mit Frankreich und Russland schloss. Schon am 8.April 1904 legten England und Frankreich ihre kolonialen Rivalitäten mit dem Abschluss eines umfassenden Vertragswerkes nieder.[14]

Die ,,Entente Cordiale’’[15] regelte die Interessensphären in Neufundland, West- und Zentralafrika, Ägypten, Marokko, Siam, Madagaskar und die Neuen Hebriden.[16]

Am 31.August 1907 wurde das Abkommen für Großbritannien durch eine Konvention ergänzt, die das Vereinigte Königreich mit Russland abschloss und die Einflusszonen in Persien, Afghanistan und Tibet absteckte. Die entstandene ,,Tripel Entente’’ wurde im Deutschen Reich als Instrument der Einkreisung und Isolierung wahrgenommen.

Die neue, vertraglich abgesicherte Mächtekonstellation führte im Zusammenhang mit der sogenannte Bosnischen Annexionskrise bereits am 6.Oktober 1908 zu einer kriegerischen Auseinandersetzung, welche fast ein weltumfassendes Ausmaß angenommen hätte. Nach der Annexion der türkischen Provinzen Bosnien und Herzegowina durch Österreich-Ungarn kam es zu massiven Spannungen zwischen der Doppelmonarchie, der Türkei und vor allem Serbien. Russland unterstütze in dieser Situation die Balkanstaaten, insbesondere Serbien und schlug damit einen Konfrontationskurs gegenüber Österreich-Ungarn ein, der beide Staaten an den Rand eines Kriegsausbruchs brachte. Dass das Zarenreich im März 1909 sich von Serbien abkehrte und die Annexion anerkannte lag substantiell an der Haltung des deutschen Kaiserreiches, welches im Falle eines Krieges vorbehaltlos an der Seite Wiens stehen würde.[17]

Die Isolierung des Deutschen Reiches, die mit dem Antagonismus gegenüber England einhergegangen ist, hatte noch eine weitere essentielle Ursache: das Flottenwettrüsten.

Die Entscheidung über den Aufbau einer deutschen Schlachtflotte fiel in den gleichen Zeitraum wie der deutsche Expansionsdrang, also in die Jahre 1897/98 und ist ebenfalls ein Resultat des neuen politischen Kurses Kaiser Wilhelms II. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass für den Staatssekretär des Reichsmarineamtes, Admiral von Tirpitz[18], der das deutsche Flottenprogramm maßgeblich konzipierte, die Vorstellung, dass eine erfolgreiche Kolonialmacht gleichzeitig Seemacht sein müsse, nur eine untergeordnete Rolle spielte.[19]

Die beiden deutschen Flottengesetze, die am 28.März 1898 beziehungsweise am 12.Juni 1900 dank des Übereinkommens der bürgerlichen und konservativen Kräfte den Reichstag passierten, waren in erster Linie als politisches Druckmittel gegen England vorgesehen. Dies drückte sich zum einen in der Idee aus, dass das Deutsche Reich ohne eine eigene starke Flotte nicht bündnisfähig sei.

Die Absichten gegen England zeigten sich gleichermaßen in der sogenannten Risikotheorie, nach der den Worten Tirpitz zufolge ,, ein Krieg auch für den seemächtigsten Gegner mit derartigen Gefahren verbunden’’ sein müsse, dass seine ,,eigene Machtstellung in Frage gestellt’’ werde.[20]

In Großbritannien wurden die deutschen Flottenpläne und die Art und Weise wie diese in der Öffentlichkeit präsentiert wurden mit Interesse, jedoch zugleich mit wachsender Besorgnis zur Kenntnis genommen. Die englische Regierung reagierte darauf mit der Planung und dem Bau neuer ,,Dreadnought’’ Großkampfschiffe[21], die auf Grund ihrer enormen Feuerkraft und Manövrierfähigkeit vom Jahr 1906 an die neue Bewertungsgrundlage für die Einschätzung der Seestärke der einzelnen Staaten darstellte. Dieser technische Fortschritt, der mit dem ,,Dreadnought’’ Sprung eingeleitet wurde, war gleicherweise die Initialzündung für das Wettrüsten der Großmächte auf See. Der Reichstag akzeptierte in den Folgejahren drei Flottengesetznovellen[22] und ratifizierte damit den intensiven Ausbau der kaiserlichen Marineflotte auf Dreadnought-Basis. Im Jahr des Kriegsausbruchs waren auf britischer Seite 34[23] und auf deutscher Seite 22[24] Großkampfschiffe fertiggestellt.[25]

Mit dem Wettrüsten ging gleichermaßen eine weitere Verschärfung und krisenhafte Zuspitzung der internationalen Beziehungen einher, insbesondere zwischen dem Deutschen Reich und England. Die zweite Marokkokrise[26] realisierte nicht nur den englischen Politikern, sondern auch der breiten britischen Öffentlichkeit die ,,deutsche Gefahr’’ und war der erste Höhepunkt jener Entwicklung, die durch die Rüstungspolitik Wilhelms II. ausgelöst wurde. Politiker, Diplomaten und Publizisten auf beiden Seiten des Ärmelkanals setzten zunächst alles daran diese schwere internationale Krise nicht in einer kriegerischen Auseinandersetzung ausarten zu lassen. Insbesondere unter Reichskanzler von Bethmann-Hollweg[27] versuchte man wieder eine Versöhnung zu bewirken, scheiterte jedoch an den unterschiedlichen Vorstellungen bezüglich des von England geforderten Flottenabkommens und des von deutscher Seite beanspruchten Neutralitätsabkommens. Spätestens nach den Verhandlungen des britischen Kriegsministers Richard Haldane mit Kaiser Wilhelm II. und Alfred von Tirpitz vom 8. bis 11.Februar 1912 in Berlin zeigte sich, das es vorerst zu keiner Annäherung zwischen den beiden in rivalisierenden Staaten kommen würde.[28]

Logischerweise versuchte man nun eine Verständigung in Fragen herbeizuführen, denen von beiden Staaten eine hohe Priorität beigemessen wurde, jedoch nicht so vorbelastet waren wie das Flotten- oder Neutralitätsabkommen. Anhand dieser Fragen sollte die tatsächliche Kompromiss- und Verständigungsbereitschaft bemessen werden. Die Absicht der Verhandlungsführer war nicht nur die Lösung der diskutierten Probleme, sondern vordergründig durch eine erfolgreiche Zusammenarbeit in den ,,peripheren Fragen’’ das gegenseitige Misstrauen abzubauen und sich später in den kritischen Fragen zu einigen. Um dies zu erreichen musste das Gleichgewicht der Mächte dort wiederhergestellt werden, wo es anfangs zerrüttet wurde, nämlich in den Kolonialgebieten. Auf der Londoner Botschafterkonferenz kam es zu einer Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Reich und England, die sich noch bis zum Jahr 1912 fortsetzte und zwei abgeschlossene Verträge hervorbrachte[29]: Der erste Kontrakt war eine Erneuerung eines Abkommens über eine eventuelle Aufteilung der portugiesischen Kolonien in Afrika und wurde am 20.Oktober 1913 geschlossen. Die zweite schriftliche Übereinkunft der Kolonialmächte vom 15.Juni 1914 regelte das gegenseitige Verhalten im Orient verbunden mit der Bagdadbahnfrage. Das diese beiden Verträge zustande kamen, insbesondere der zweite, lag maßgeblich an der großen Kompromissbereitschaft der deutschen Seite.[30]

Das Kaiserreich bemühte sich genauso mit Frankreich und Russland in Fragen imperialistischer Art politisch zu akklimatisieren. Mit Frankreich unterzeichnete man am 4.November 1911 den Marokko-Kongo-Vertrag[31] und vermittelte ein Abkommen zwischen der Banque Impériale Ottomane und der Deutschen Bank über Eisenbahnbauten im Osmanischen Reich, das am 15.Februar 1914 paraphiert wurde. Mit Russland wurde am 19.August 1911 das sogenannte Potsdamer Abkommen unterzeichnet, welches Fragen bezüglich der Bagdadbahn und Persien regelte. Trotzdem gab es weiterhin Spannungen zwischen dem Deutschen Reich und Russland, insbesondere im Bezug auf den Nahen Osten. Dies offenbarte sich zwei Jahre später in der Ernennung Otto Liman von Sanders[32] zum Chef der deutschen Militärmission in Konstantinopel.[33]

Als am 28.Juni 1914 der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin von süd-slawischen Attentätern in Sarajewo ermordet wurden, fanden die Versuche einer Entspannungspolitik zwischen den europäischen Mächten ein jähes Ende. Das die Anfänge der wiederaufgenommenen Bündnispolitik nicht die Julikrise lösten, hatte vor allem drei Gründe: Als erstes zeigten sich in dieser Situation die Folgen der bereits seit der Annexionskrise[34] eingeschlagenen Politik des Deutschen Reiches gegenüber Österreich-Ungarn, welche die Entscheidungsgewalt fast vollständig dem schwächeren Partner überließ. Mit dem sogenannten ,,Blankoscheck’’ vom 5./6. Juli 1914 versicherte Wilhelm II. im Namen des Kaiserreiches „im Einklang mit seinen Bündnisverpflichtungen und seiner alten Freundschaft treu an der Seite Österreich-Ungarns’’ zu stehen. Diese Vollmacht mit der Österreich-Ungarn die absolute Bündnistreue des Reiches zugesichert wurde, war ein Produkt der vergangenen politischen Entwicklung zwischen den engverbundenen Nachbarstaaten.[35]

Der zweite Grund für den späteren Kriegsausbruch war das noch nicht gefestigte Verhältnis zwischen England und dem Deutschen Reich. Zwar verbesserte sich die Lage in den Jahren vor Kriegsausbruch, vergleicht man sie mit der Entwicklung zwischen Mitte der 1890er Jahre bis 1911, konnten die diplomatischen Bemühungen nicht eine Krise, wie sie jetzt im Juli und August 1914 auftrat bewältigen.

Letztendlich ausschlaggebend war der Konflikt zwischen England und dem Deutschen Reich in den zentralen Fragen, welches eine Absage Wilhelms II. an das bestehende Entente System bedingte. Der Prozess des Wettrüstens wurde nicht eingedämmt, sondern sogar nach 1911 weiter ausgebaut.[36]

Zu den Hintergründen, die zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führten, müssen zusätzlich die getroffenen Absprachen der Militärs bezüglich des Handelns bei Kriegsfall erwähnt werden, die ohne Wissen der Parlamente geführt worden sind. Der preußische Generalstabschef Moltke gab bereits im Januar 1909 gegenüber dem Chef des österreichischen Generalstabs, Conrad von Hötzendorf, eine Zusage, dass wenn im Zuge eines österreichischen Einmarschs in Serbein ein ,,aktives Einschreiten Russlands’’ ausgelöst wird, ,,der Casus Foederis für Deutschland gegeben’’[37] sei.[38]

Am 20. Juli 1911 legte eine Militärkonvention zwischen Großbritannien und Frankreich die Stärke und Einsatzformen eines englischen Expeditionskorps in Frankreich für den Fall eines deutsch-französischen Krieges fest. Frankreich und Russland ergänzten am 16.Juni 1912 ihre Militärkonvention von 1892 um eine Marinekonvention, die neben der Zusammenarbeit der Landarmeen auch ein gemeinsames Agieren auf See festlegte. Ab dem 7.Juni 1914 gab es zudem Verhandlungen über eine englisch-russische Militärkonvention.

Mit der versicherten Bündnistreue des Deutschen Reiches im Hintergrund stellte Österreich-Ungarn am 23.Juli 1914 ein Ultimatum an Serbien, welches auf 48 Stunden befristet war. Die serbische Regierung ging weitgehend auf die gestellten Forderungen ein, jedoch nicht auf jene Punkte, welche nach ihrer Ansicht eine Beschränkung der serbischen Souveränität darstellten. Die Teilmobilmachung der serbischen Streitkräfte brachte Österreich schließlich zur Kriegserklärung an Serbien am 28.Juli. Von Deutschland und Österreich-Ungarn einkalkuliert befahl Russland am 29.Juli die Teil- und am 28.Juli die Generalmobilmachung seiner Truppen. Am 1.August 1914 kam es zur Generalmobilmachung und Kriegserklärung des Deutschen Reiches an Russland und damit auch an das mit diesem verbündete Frankreich[39].

[...]


[1] Schöllgen, Gregor, Das Zeitalter des Imperialismus, München 2000, S.67.

[2] Schöllgen, Gregor, Das Zeitalter des Imperialismus, München 2000, S.67.

[3] Die Krieg-in-Sicht-Krise war eine diplomatische Krise im Anschluss an den Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871. Frankreich war nach dem Abzug der Besatzungstruppen 1873 überraschend schnell wieder erstarkt und begann mit der Wiederaufrüstung. Dies weckte bei Otto von Bismarck Befürchtungen vor einer Revanche für die Annexion von Elsass und Lothringen.

[4] Zitat Bismarcks, in: Schöllgen, Gregor, Das Zeitalter des Imperialismus, München 2000, S.67.

[5] Wilhelm II., mit vollem Namen Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen, geboren 27. Januar 1859 in Berlin, Sohn Kaiser Friedrichs III., entstammte der Dynastie der Hohenzollern und war von 1888 bis 1918 Deutscher Kaiser und König von Preußen

[6] Georg Leo von Caprivi de Caprera de Montecuccoli, geboren 24. Februar 1831 in Charlottenburg (bei Berlin), gestorben 6. Februar 1899. Er war ein preußischer General der Infanterie und Staatsmann, der Otto von Bismarck als Reichskanzler des Deutschen Kaiserreichs von 1890 bis 1894 nachfolgte.

[7] Schöllgen, Gregor, Das Zeitalter des Imperialismus, München 2000, S.68.

[8] Äußerung von Bülows

[9] Schöllgen, Gregor, Das Zeitalter des Imperialismus, München 2000, S.68.

[10] Das Dreikaiserbündnis wurde 1881 auf Initiative Bismarcks zwischen Österreich-Ungarn, Russland und dem Deutschen Reich abgeschlossen. Es sollte den Bündnispartnern Neutralität beim Angriff von Seiten einer vierten Macht sichern sowie die gegenseitigen Interessen auf dem Balkan anerkennen. Das Dreikaiserbündnis scheiterte trotz einer Verlängerung des Abkommens 1884 an den Gegensätzen zwischen Österreich-Ungarn und Russland anlässlich der so genannten Battenbergaffäre

[11] Schöllgen, Gregor, Das Zeitalter des Imperialismus, München 2000, S.69.

[12] Der Vertrag zwischen Deutschland und England über die Kolonien und Helgoland vom 1. Juli 1890 regelte die Beziehungen zwischen Gebiets- und Hoheitsansprüchen des Deutschen Reiches und Großbritannien im kolonialisierten Afrika.

[13] Schöllgen, Gregor, Das Zeitalter des Imperialismus, München 2000, S.71.

[14] Die Rivalität entstand mit der britischen Okkupation Ägyptens und wurde bereits durch die Verträge über Siam (1896) und den Sudan (1899) entschärft

[15] Französisch: ,,herzliches Einverständnis’’

[16] Schöllgen, Gregor, Das Zeitalter des Imperialismus, München 2000, S.74.

[17] Schöllgen, Gregor, Das Zeitalter des Imperialismus, München 2000, S.76.

[18] Alfred Peter Friedrich Tirpitz, ab 1900 von Tirpitz, geb. 19. März 1849 in Küstrin Er war ein deutscher Großadmiral und Nachfolger des Staatssekretärs des Reichsmarineamts Friedrich von Hollmann.

[19] Schöllgen, Gregor, Das Zeitalter des Imperialismus, München 2000, S.79.

[20] Zitat von Tirpitz, in: Schöllgen, Gregor, Das Zeitalter des Imperialismus, München 2000, S.79.

[21] das erste Dreadnought Kampfschiff wurde im Herbst 1905 auf Stapel gelegt

[22] die erste am 19.Mai 1906, die zweite am 27.März 1908 und die dritte am 21.Mai 1912

[23] Baubeginn 1905

[24] Baubeginn 1907

[25] Dieses Potential vergrößerte sich auch durch den in anderen Staaten seit 1905 betriebenen Flottenausbau: So hatten im Jahr 1914 die USA 10, Russland, Frankreich und Japan je 4 und Italien und Österreich-Ungarn je 3 Großkampfschiffe des neuen Typs in Dienst gestellt

[26] Die zweite Marokkokrise, auch als Panthersprung nach Agadir bekannt, wurde 1911 durch die Entsendung des deutschen Kriegsschiffs SMS Panther nach Agadir ausgelöst, nachdem französische Truppen Fès und Rabat besetzt hatten. Die am 1. Juli 1911 eingetroffene Panther wurde nach wenigen Tagen durch zwei andere deutsche Kriegsschiffe (SMS Berlin, SMS Eber) ersetzt. Ziel der deutschen Aktion war die Abtretung von Kolonial-Gebieten Frankreichs an Deutschland als Gegenleistung für die Akzeptanz der französischen Herrschaft über Marokko in Folge der ersten Marokkokrise. Drohgebärden wie die Entsendung der Panther sollten dieser Forderung Nachdruck verleihen

[27] Theobald Theodor Friedrich Alfred von Bethmann Hollweg, geb. 29. November 1856 in Hohenfinow, Provinz Brandenburg; gest. 2. Januar 1921 in Hohenfinow. Er war ein deutscher Politiker. Seine Karriere begann als Verwaltungsbeamter und gipfelte in seiner Amtszeit als Reichskanzler von 1909 bis 1917

[28] Schöllgen, Gregor, Das Zeitalter des Imperialismus, München 2000, S.80.

[29] Die Verträge wurden allerdings nur paraphiert und nicht mehr unterschrieben

[30] Schöllgen, Gregor, Das Zeitalter des Imperialismus, München 2000, S.81.

[31] Mit dem sogenannten Marokko-Kongo-Abkommen erkannte das Deutsche Reich die französische Vorherrschaft über Marokko an. Die Unterzeichnung des Marokko-Kongo-Vertrags am 4. November 1911 in Berlin beendete die Zweite Marokkokrise. Im Gegenzug trat Frankreich Teile des französischen Kongo und Französisch-Äquatorialafrikas, das so genannte Neukamerun, an das Deutsche Reich ab.

[32] Otto Viktor Karl Liman von Sanders , geb. 17. Februar 1855 in Stolp, Pommern; gest. 22. August 1929 in München. Von Sanders war ein deutscher General und türkischer Marschall

[33] am 27.November 1913

[34] Als Bosnische Annexionskrise bezeichnet man die Krise, welche auf die Annexion der bis dahin völkerrechtlich zum Osmanischen Reich gehörigen Gebiete von Bosnien und Herzegowina durch Österreich-Ungarn im Jahr 1908 folgte.

[35] Herzfeld, Hans, Erster Weltkrieg und Friede von Versailles, in Propyläen Weltgeschichte, Band 9: Das zwanzigste Jahrhundert, Frankfurt am Main 1960, S.78.

[36] Bereits um die Jahrhundertwende waren jährlich in Russland 335 000, in Deutschland 280 000, in Frankreich 250 000, in Österreich-Ungarn 103 000 und in Italien 100 000 Rekruten eingezogen worden. In den Jahren 1912 und 1913 führten dann insbesondere das österreichische Wehrgesetz, die russische Heeresreorganisation, die deutsche Wehrvorlage und die Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit in Frankreich zu einer erheblichen Verstärkung des militärischen Potentials in Europa. Selbst in Großbritannien war es durch das Wehrgesetz des Jahre 1907 zu einem Ausbau des Heeres gekommen.

[37] Der Bündnisfall (lat. Casus Foederis - casus: der Fall, foedus: das Bündnis) bezeichnet in der diplomatischen Sprache den Begriff, der eine Lage kennzeichnet, in der eine von einem Staat aufgrund eines militärischen Beistandsvertrages eingegangene Verpflichtung wirksam wird, in einen Krieg einzutreten, den der jeweilige Bündnispartner führt, bzw. einen Krieg zum Schutze dieses Partners zu beginnen.

[38] Schöllgen, Gregor, Das Zeitalter des Imperialismus, München 2000, S.82.

Herzfeld, Hans, Erster Weltkrieg und Friede von Versailles, in Propyläen Weltgeschichte, Band 9: Das zwanzigste Jahrhundert, Frankfurt am Main 1960, S.78.

[39] 3. August

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Die deutsche Ostfront 1914 - 1918
Untertitel
Der Kampf des deutschen Kaiserheeres im Osten und die Folgen
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Polen und das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg
Note
2
Autor
Jahr
2008
Seiten
44
Katalognummer
V118205
ISBN (eBook)
9783640213429
ISBN (Buch)
9783640213450
Dateigröße
605 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ostfront, Polen, Deutsche, Reich, Ersten, Weltkrieg
Arbeit zitieren
Hermann D. Janz (Autor:in), 2008, Die deutsche Ostfront 1914 - 1918, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118205

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