Kunst und Kunstpolitik in der DDR

Das Arbeiterbild im Wandel


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

40 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Arbeits- und Arbeiterdarstellungen
2.1. Vorchristliche Zeit
2.2. Christlich motivierte Arbeiterdarstellungen
2.3. Weltlich und politisch motivierte Arbeiterdarstellungen

3. Verortung des Sozialistischen Realismus
3.1. Realismus
3.1.1.Exkurs über den französischen Realismus: Proudhon und Courbet
3.2. Realismus in der Zeit nach Marx
3.3. Sozialistischer Realismus

4. Kunst und Kunstpolitik in der SBZ/DDR
4.1. Geschichtlicher Überblick und Periodisierung
4.1.1. Nach 1945 – Die Zeit der Überwindung des Nationalsozialismus
4.1.2. Nach 1949 - Die Zeit des Übergangs hin zum Sozialismus
4.1.3. Der Bitterfelder Weg
4.1.4 1960er und 1970er Jahre - Die entwickelte sozialistische Gesellschaft
4.1.5. Ab Ende der 1970er bis 1989 – Neue Vielfalt

5. Diskussion einzelner Werke
5.1. Der Arbeiter als Revolutionär – Oskar Nerlinger
5.2. Bitterfelder Weg
5.2.1. Harald Metzke: „Polytechnischer Unterricht“
5.2.2. Heinrich Witz: „Der neue Anfang“
5.3. Der sozialistische Mensch- Willi Sitte: „Arbeitertiptychon“
5.4. Der Kumpel von nebenan - Bernhard Heisig: „Brigadier“
5.5. Skepsis - Uwe Pfeiffer: „Feierabend“
5.6. Ein „Nichtrealist “ - Sighard Gille: „Brigadefeier“

6. Fazit

7. Literatur

8. Anhang: Abbildungen

1. Einleitung

„An dem Arbeits- und Arbeiterbild – dem neuen Historienbild – entzündeten sich [in der DDR ] nicht nur die kunsttheoretischen Auseinandersetzungen. Vielmehr war es zugleich das bevorzugte Feld innerhalb der visuellen Kultur, wo die Zielvorstellungen und Semantiken entwickelt und im Streit zwischen der Partei [... ] auf der einen Seite und den Künstlern [... ] auf der anderen Seite getestet, ausgehandelt und durchgesetzt wurden.“[1]

Das Arbeiterbild ist in keiner Stilrichtung und in keiner Kunstströmung so dominant, wie im Realismus und explizit im Sozialistischen Realismus. Die DDR, die im Sinne des Marxismus-Leninismus den Sozialistischen Realismus zur kulturpolitischen Doktrin erklärte, hat in ihrem 40jährigen Bestehen eine Vielzahl von Künstlern hervorgebracht, und fast jeder von Ihnen hat sich, mehr oder weniger intensiv, mit der Darstellung von Arbeitern beschäftigt.

Insofern lässt sich ein Wandel in der Kunst der DDR am Arbeiterbild leicht verfolgen. Eher besteht eine Schwierigkeit darin, sich zu beschränken und relevante Bilder auszuwählen, um eine kurze aber dennoch umfassende Beschreibung einzelner kunstpolitischer Phasen der DDR zu leisten. Ich werde mich in dieser Arbeit weitgehend auf die Malerei der DDR und auf einige wenige Künstler und deren Werke konzentrieren, die stellvertretend für die einzelnen Phasen diskutiert werden sollen.

Zunächst jedoch wird ein kurzer Überblick über die Darstellung von Arbeit und Arbeiter und ihrer Bedeutung in den verschiedenen Zeitaltern gegeben. Hierauf folgt eine Einführung in die Genese des Realismusbegriffs. Wichtig ist dabei vor allem, dass es sich weder beim Realismus, noch beim Sozialistischen Realismus um eine Stilbeschreibung handelt, sondern um eine politisch-ideologisch motivierte Kunstströmung, eng mit dem Proletariat und dem Klassenkampf verknüpft, die in den sozialistischen Ländern zum Transportmittel marxistisch-leninistischer oder auch stalinistischer Ideologeme gemacht wurde.

Auf die Einführung in den Realismusbegriff und seine Geschichte folgt dann eine kunstgeschichtliche Abhandlung über die SBZ/DDR von 1945 bis 1989. Hierbei wird eine Phaseneinteilung unternommen und bestimmte typische Merkmale, Themen und Trends der bildenden Kunst und der Arbeiterdarstellung der DDR zu einer bestimmten Zeit herausgearbeitet. Diese Trends und Themen werden im letzten Teil der Arbeit, in dem einzelne Werke kurz diskutiert werden, wieder aufgegriffen und in ihrem bildlichen Ausdruck vorgestellt.

2. Arbeits- und Arbeiterdarstellungen

Arbeit ist die Grundlage der menschlichen Existenz. Indem der Mensch arbeitet, sichert er seine Grundbedürfnisse und dadurch auch den Fortbestand seiner Gattung.[2]

Letztlich hat die menschliche Arbeit drei Dimensionen: Arbeit bietet dem Menschen einen Zugang zur Welt. Durch die Kultivierung der Natur schafft sich der Mensch in der Welt einen festen Platz. Arbeit dient auch der Organisation innerhalb einer sozialen Gruppe. Durch die Ausübung einer bestimmten, für die gesamte Gruppe notwendigen, Tätigkeit erhält der Mensch seine spezifische soziale Position innerhalb der Gruppe. Und schließlich hat Arbeit einen anthropologischen Aspekt; Sie beansprucht den Menschen physisch und formt seinen Körper ebenso wie seine Körperwahrnehmung.

Die alltägliche menschliche Tätigkeit findet ihren Ausdruck schon früh in bildnerischen Darstellungen, wobei sich dieser Ausdruck, parallel mit der Entwicklung der Arbeit und ihren konkreten historischen Ausformungen, im Laufe der Jahrtausende stark veränderte. Über Art, Motivation und Funktion von Arbeit in der bildnerisch-künstlerischen Darstellung soll im Folgenden ein kurzer Überblick gegeben werden.

2.1. Vorchristliche Zeit

Bereits aus der frühen Höhlen- und Felsmalerei, sind uns erste Darstellungen von alltäglichen menschlichen Tätigkeiten (Jagdszenen, Sammeln, Feuer anzünden) bekannt. In Ägypten wurden Grabbeigaben gefunden, etwa um 2.000 Jahre vor Christus, welche die Menschen bei ihrem zu Lebzeiten vollbrachten Handwerk zeigen. Und in vorderasiatischen Gefilden dienen Abbildungen von arbeitenden Menschen ab circa 1.400 vor Christus der Darstellung der politischen Macht der Herrscher.[3] Darstellungen von Bau- oder Bergarbeitern und allerlei handwerklichen Berufen gab es seit dem Beginn der Sklavenhaltergesellschaft; hin und wieder gar Darstellungen geistiger Arbeit.[4] In der frühen Antike, in der den Bürgern der Polis Arbeit fremd war und die Muße einen hohen Stellenwert einnahm, war die Arbeit der Bürger die lustvolle Beschäftigung, die schwere körperliche Arbeit hingegen blieb den Sklaven überlassen. Darstellung von Arbeit bildet hier noch kein eigenes Genre. Eingebettet in mythische Darstellungen sind aber Jagdszenen (Artemisdarstellungen) und andere, durchaus lebensnotwendige, Tätigkeiten abgebildet.[5] Im Hellenismus werden Arbeitsdarstellungen und wieder häufiger.[6] In der römischen Zeit Sind Arbeitsdarstellungen stark poetisiert vor allem auf Grabmählern zu finden. Es sind Darstellungen der Tätigkeiten, welche die Verstorbenen zu ihren Lebzeiten vollbrachten oder Firmenzeichen der Stätten, in welchen die Verstorbenen gearbeitet hatten.[7] In der feudalistischen Gesellschaft Chinas waren handwerkliche Themen[8] in Wandteppichen und auch in der Malerei ein gängiger Topos. Sie sind Ausdruck einer hohen Kultiviertheit und dienen in Tempeln als Schmuck.[9]

2.2. Christlich motivirte Arbeiterdarstellungen

Religiös motivierte Arbeitsdarstellungen gab es bereits in der römischen Zeit. Mit dem Aufkommen des Christentums veränderte sich aber die Konnotation von Arbeit. Die Vertreibung aus dem Paradies veranlasste die christlich geprägte Welt Arbeit als eine dem Menschen auferlegte Strafe oder Buße zu sehen. Gleichzeitig wird mit ihr eine Art Heilsversprechen verknüpft. Eine von Gott auferlegte Aufgabe[10] soll durch die mühsame körperliche Tätigkeit erfüllt und somit der Weg zurück zum Paradies geschaffen werden.

Eine sehr verbreitete Form der Arbeitsdarstellung der christlichen Kunst sind die Monatsbilder. Vor allem ländliche Tätigkeiten werden entsprechend den Jahreszeiten den Tierkreiszeichen zugeordnet. Hier vermischen sich antike und christliche Vorstellungen.[11]

Im Mittelalter werden Darstellungen von Adam und Eva, Adam bei der Feldarbeit, Eva beim Spinnen, häufiger. Diese Darstellungen schreiben zugleich die hierarchische Ordnung und die Rollenbilder von Mann und Frau fest. Außerdem werden den verschiedenen Handwerken und ihren Gilden heilige Schutzpatrone zugeordnet, die in den Gildezeichen, aber auch in den Kirchen, mit typischen Attributen wieder auftauchen.

„Trotz ihrer religiösen Motivierung und hierdurch vorgenommenen thematischen und motivlichen Eingrenzung ist aus den zahllosen und verschiedensten Bildgattungen zuzurechnenden mittelalterlichen Arbeitsdarstellungen eine kultur- wie kunstgeschichtliche aufschlussreiche Übersicht über die in diesen Jahrhunderten übliche Form der Landarbeit und Handwerkstätigkeit zu gewinnen.“[12] Im Laufe der Zeit verändert sich die Darstellung der Arbeit erheblich. Immer mehr Aufmerksamkeit richtet sich auf die genaue Beobachtung der Tätigkeiten und einer möglichst wirklichkeitsnahen Darstellung. Mit dem Erstarken des Bürgertums in der frühindustriellen Zeit wurde die Kunst immer stärker von Wirklichkeit und Erkenntnissuche durchdrungen und religiöse Darstellungen traten vor den Darstellungen des alltäglichen Lebens immer mehr in den Hintergrund.

2.3. weltliche und politisch motivierte Arbeiterdarstellungen

Wie hier bereits erläutert wurde, gab es Darstellungen arbeitender Menschern bereits seit den Anfängen der Kunst, doch wird allgemein der Arbeiter erst seit den Anfängen der industriellen Revolution und der Lohnarbeit als solcher definiert. Im Frühkapitalismus dominierten Darstellungen von Webern, Bergarbeitern und Bauarbeitern. Die Arbeiterschaft als Klasse wird aber erstmals im frühen 19. Jahrhundert in England bildnerisch umgesetzt.[13] Um 1848 wurde die Schwere der Lohnarbeit thematisch dominierend. So unter anderen bei den Realisten Gustave Courbet („Steinklopfer“, 1849), und Honoré Daumier („Die Wäscherin“, um 1860). Nach dem Ersten Weltkrieg wurden dann die schwierigen Existenzbedingungen des Arbeiters nach Inflation und Weltwirtschaftskrise kritischer thematisiert.[14] Mit dem Aufbau sozialistischer Staaten nimmt die Darstellung des zukunftsoptimistischen Arbeiters zu. Nach 1945 stand der Arbeiter als antifaschistischer Kämpfer im Mittelpunkt. Das Bild wandelte sich dann hin zum produktiven, sozialistischen Arbeiter. Die Darstellung des Arbeiters ist nirgends so häufig zu finden wie im Sozialistischen Realismus.[15]

3. Verortung des Sozialistischen Realismus

„Sozialistischer Realismus bedeutet eine wirklichkeitsgetreue Wiedergabe des Zusammenlebens der Menschen vom sozialistischen Standpunkt aus, mit den Mitteln der Kunst. Die Wiedergabe ist von der Art, dass Einsichten in das soziale Getriebe gewährt und sozialistische Impulse erzeugt werden. Ein Großteil des Vergnügens, das jede Kunst zu verschaffen hat, ist beim sozialistischen Realismus das Vergnügen an der Meisterungsmöglichkeit des Schicksals durch die Gesellschaft.“[16]

Naturalismus, Realismus, proletarisch-revolutionäre Kunst, Sozialistische Kunst, Neuer Realismus, marxistisch-leninistische Kunst und Sozialistischer Realismus: Wie lassen sich die einzelnen Strömungen und Stile begleitet von jeweils aktuellen Ideen, Ideologien und kunst- und kulturtheoretischen Fundierungen benennen, zuordnen und definieren? Um eine Diskussion über das Arbeiterbild in der DDR zu ermöglichen soll zunächst die Geschichte und die konkrete historische Ausformung des Sozialistischen Realismus in der DDR geklärt werden.

Die sozialistische Kunst ist eng verbunden mit der politischen Bewegung und der Ideologie der Arbeiterklasse. Entsprechend der historischen Bedingungen des Proletariats hat sie sich häufig gewandelt. So unterscheidet man die sozialistische Kunst um 1830 bis circa 1870, die Zeit der Pariser Kommune, von der des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die Zeit der II. Internationale. Es folgen die Phasen der proletarisch-revolutionären Kunst nach 1917/18, der sozialistischen Kunst Russlands unter Stalin, der antifaschistischen Kunst des Widerstandes vor und während des zweiten Weltkriegs und schließlich die Phase der Kunst in den sozialistischen Ländern zur Zeit des kalten Krieges.

3.3. Realismus

Zum einen bezeichnet Realismus eine besondere Art der künstlerischen Darstellung von Wirklichkeit. Hier ist eine Unterscheidung zwischen Realismus und Naturalismus schwierig. Zum anderen bezeichnet „Realismus“ aber auch ein Programm, eine künstlerische und kunsttheoretische Methode. Vor allem im sozialistischen bzw. marxistisch-leninistischem Realismus wird der Realismus zur zentralen Kategorie erhoben.

Der Realismus erscheint „als wertender Begriff, dem selektiv eine Geschichte legitimierend zugeordnet wird.“[17] Entstanden ist der Begriff in der Renaissance und im Barock aus dem Diskurs über Fragen der Naturnachahmung und ihrer Vervollkommnung im künstlerischen Prozess entsprechend einer bestimmten Idee oder Intention.

Seit dem 18. Jahrhundert wurde der Begriff des Realismus, als die Darstellung des Tatsächlichen unter Einschluss einer höheren Wirklichkeit, unter anderen von Diderot und später expliziter von Goethe vorbereitet.

Im 19. Jahrhundert wurden „realistische“ Motive, die Arbeitswelt, Landschaften und ihre Bevölkerung, häufiger. „Realismus“ wurde ein gängiger Begriff, vor allem in Frankreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wobei er oft eine negative Konnotation erhielt. So wurde der „Realismus“ letztlich zum „Kampfbegriff“ innerhalb der Kunsttheorie erhoben. Auch weil er in den Revolutionsjahren (1848) nicht selten und vor allem in sozialistisch geprägten Zusammenhängen zur Disposition stand. Allen voran war es Gustave Courbet, der dem Realismus seine demokratisch-sozialistische Tendenz verlieh und Pierre Joseph Proudhon war es, der ihm seine theoretische Fundierung gab. Nach Courbet ist im Realismus die Forderung nach Wahrheit, nach Zeitgemäßheit und nach der Verneinung des Idealismus enthalten, wodurch Realismus zu einer politisch-kritischen Ausdrucksform erhoben wurde. Der Realismus wurde zu einer der Hauptströmungen der Kunst auf dem europäischen Kontinent im ausgehenden 19. Jahrhundert.[18]

3.1.1. Exkurs über den französischen Realismus: Courbet und Proudhon

„In der bildenden Kunst beginnt der Einfluss der Arbeiterklasse, als sich demokratisch, proudhonistisch oder sozialistisch gesinnte Künstler, wie Daumier, Courbet, Meunier u.a. sich mit der Arbeiterklasse solidarisieren.“[19]

Die politische Haltung Courbets war von einem Verbalradikalismus geprägt, der vor allen Dingen durch seine Ablehnung jeglicher Autorität gekennzeichnet war. Hier traf sich die sture künstlerisch-individualistische Haltung Courbets mit dem Individualanarchismus Proudhons, jenem „ni dieu, ni maître“, das sich die Anarchisten aller Zeiten auf die Fahnen geschrieben haben. Beide vertraten in der Revolution von 1848 die sozialistische Linke, und konnten sich anfangs nur schwer in das Second Empire einordnen. Der Einfluß Proudhons wird in Courbets Haltung deutlich. Proudhon lehnt in seinen Schriften Les confessions d’un révolutionnaire (1849) und Ideé générale de la révolution (1851) die Regierung als Form der zentralen Gesellschaftsorganisation ab. In seinem realistischen Manifest schrieb Courbet: „C'est une audace incroyable, c'est le renversement de toutes institutions par la voie du jury, c'est l'appel direct au public, c'est la liberté, disent les uns. C'est un scandale, c'est l'anarchie, c'est l'art traîné dans la boue, ce sont les tréteaux de la foire, disent les autres.”[20] Die freche Übernahme der ursprünglich abwertenden Bezeichnung als „Realisten“ erklärt Courbet in seinem Manifest mit der Verachtung für Zuschreibungen und Betitelungen.

Mit den Ereignissen von 1870/71 geriet in Paris für kurze Zeit die bürgerliche Welt aus den Fugen. Die Commune übernahm von 17./18. März bis Ende Mai 1871 die Kontrolle über die französische Hauptstadt und jagte die Republikaner aus der Stadt. Die zwei Monate, in denen die Kommune die Macht besaß, waren geprägt von zahlreichen sozialistischen Reformenbestrebungen. Viele Proudhonisten saßen in dem neuen Stadtrat, und Courbet war Mitbegründer der fédération des artistes de la Commune, der unter anderem auch Edouard Manet und Honoré Daumier angehören. Im Journal Officiel de la Commune vom 5. April 1871 begrüßt der Begründer des Realismus die revolutionäre Entwicklung und forderte alle Künstler zur konstruktiven Teilnahme an der freien Gesellschaft auf. Die Revolution durch das Volk habe die Machtusurpation der wahren Preußen, nämlich jener von Versailles, hinweggefegt und die Künstler hätten nun die Aufgabe, die Moral der Bürger zu heben und den Kunstbetrieb wieder aufzunehmen.[21]

Proudhon hat in seiner Analyse des Courbetschen Realismus ein Problem angesprochen, das auch im zwanzigsten Jahrhundert noch die sozialistischen Kunsttheoretiker und Kulturfunktionäre beschäftigen sollte. Vielleicht sind nicht Kunst und Gesellschaft, wohl aber Realismus und Gesellschaft eng miteinander verwoben. Tatsächlich ist es so, daß die realistischen Kunststile, indem sie einerseits alltagsweltliche und sittliche Fragen aufwerfen und sich dazu positionieren, andererseits von sozialistisch-fortschrittlichen Regimen immer wieder zu erzieherischen Zwecken vereinnahmt wurden, eine weit engere Beziehung zur Gesellschaft eingehen als formalistische Kunstrichtungen. Die Avantgardisierung der Kunstentwicklung, die nach dem Impressionismus einsetzte und eine Aufsplitterung nicht nur in immer neue Stile, sondern auch in nationale und regionale Eigenentwicklungen – russischer Symbolismus, italienischer Futurismus, Dresdner Expressionismus – mit sich brachte, führte auch zu einer breiten Fächerung von Form, Inhalt und Ideal.

3.4. Realismus in der Zeit nach Marx

Schließlich waren es Karl Marx und Friedrich Engels, die den Realismus zu einer funktionalen Theorie mit der Forderung nach Vermittlung von historischer Wahrheit verbanden. Seither wird der Realismus im Zusammenhang mit weltanschaulichen Konzeptionen verbunden, so etwa mit der Entwicklung der revolutionären Kunsttheorie in Russland. Der politisch-programmatische Realismus brachte auch eine neue Formensprache mit sich, die sich deutlich von vorangegangenen unterschied. So bezeichneten konstruktivistische Künstler wie etwa Malewitsch ihre Kunstform als Neuen Realismus. Gleichzeitig wurde der Realismus politisch instrumentalisiert, so von Stalin, der ihn zum Programm machte, um den Einfluss der kommunistischen Partei auf Produktion und Rezeption von Kunst, sprich auf das künstlerische Feld, zu sichern.[22] Die funktionalistische Auffassung von Realismus wurde in den 1960er Jahren schließlich die dominante.

Galt zunächst die Abbildung und Darstellung des Typischen, so kam es jetzt zur Betonung des kritischen, eingreifenden Charakters realistischer Darstellung. Der Realismus sollte gesellschaftliche Veränderungen unterstützen und bewirken. Dabei bildet er keinen einheitlichen Stil. Denn es geht um die Intention, die in einem Kunstwerk enthalten ist und nicht darum, eine spezifische Formensprache zu entwickeln. „Realismus in diesem Sinne ist eine Kunst, die Phänomene bewusst machend zur Wirklichkeit bringt.“[23] Es geht also gewissermaßen darum, durch die realistische Darstellung erkenntnis- und wahrnehmungskritischen Sinn zu erschließen; Erkenntnis der inneren, unsichtbaren Wirklichkeit.[24] Diese Wahrheit beinhaltet den Glauben an den politischen und an den sozialistischen Fortschritt und das Parteiergreifen des Künstlers für denselben. Damit wird Realismus zu einer Methode der Wirklichkeitsaneignung durch den Künstler.[25]

Realismus ist ein Konzept, welches immer schon eine Opposition in sich birgt, sich definiert, indem es sich von einem anderen Kunstkonzept distanziert. So soll durch den Realismus der bürgerliche Modernismus, oder Formalismus, überwunden werden.

3.5. Sozialistischer Realismus

Der Sozialistische Realismus gilt als die Vervollkommnung des Realismus, als Kunst der fortschrittlichen sozialistischen Gesellschaft. Zum Sozialistischen Realismus gibt es die in Theorie und Methode entfaltete Strömung und die praktische Seite, die (real-) sozialistische Kunst.

In der Theorie ist es die kunstphilosophische Bestimmung des Sozialistischen Realismus, beim Aufbau des Sozialismus eine führende und leitende und somit letztlich eine erzieherische Funktion zu übernehmen. Es geht dabei, ganz im marxistisch-leninistischen Sinne, in erster Linie um die Herstellung klasseneigener Kunstverhältnisse. Das heißt, Kunst soll nicht länger elitär, sondern Gut einer Klasse sein. Das Proletariat ist zugleich kunsterzeugende und kunsttragende Klasse. Wesentliche ästhetische Prinzipien des sozialistischen Realismus sind Parteilichkeit, sozialistischer Ideengehalt, Volksverbundenheit beziehungsweise Volkstümlichkeit, Wahrheitsgehalt und Ideologiefunktion. Themen sind die gesellschaftlichen Transformationsprozesse hin zur sozialistischen Gesellschaft, oder auch die wissenschaftlich-technische Revolution im Sozialismus, und deren Akteur: das Proletariat. Die Weltaneignung durch den Künstler ist im Sozialistischen Realismus im Wesentlichen durch die Parteinahme für die Arbeiterklasse und den Marxismus-Leninismus geprägt. Dabei ist die Funktion der Weltaneignung dominant. Sprich der Erkenntnisgehalt und das Wissen um die Veränderbarkeit der Welt. Es geht also letztlich vielmehr um den Inhalt des Dargestellten als um die Form der Abbildung. Aufgrund der, von der Partei bestimmten, Funktion ‚Massenwirksamkeit’ werden im sozialistischen Realismus häufig bildhafte, anschauliche und sinnfällige Formen gewählt. Die Funktion eines Abbildes ist die „subjektive Widerspiegelung der objektiven Realität.“[26]

Der Sozialistische Realismus ist von einer großen Stilvielfalt gekennzeichnet. Unklar ist, ob er zwingend nur in sozialistischen Staaten entsteht und ob er tatsächlich realistisch sein muss. Der Sozialistische Realismus wurde in den 1930ern in Russland so benannt und der sowjetischen Politik unterstellt um die sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Die kultur- und kunstpolitische Praxis der Sowjetunion diente der DDR dann als Vorbild.

4. Kunst und Kunstpolitik in der SBZ/DDR

„Unter dem großen Bogen eines sich zuerst kraftvoll erneuernden und zuletzt in Metamorphosen aufhebenden Realismus war die Entwicklung von einem extrem wechselnden künstlerischen Ertrag bestimmt.“[27]

In der DDR gilt der Künstler, in Anlehnung an das sowjetische Vorbild, als Entdecker neuer Wirklichkeiten und bewusster Mitgestalter des Sozialismus.[28] Kunst wird aus dem Raum des Privaten in den der Politik überführt. Sie soll das Proletariat nicht als leidende, sondern als revolutionär kämpfende Klasse zum Gegenstand der Kunst machen und der Künstler soll sich dieser Wahrheit und damit diesem Erkenntnispotential von Kunst verpflichten. Der Sozialistische Realismus, der bereits Ende der 1940er Jahre von der KPD/SED forciert wurde, steht dem l’art pour l’art und der formalistischen Kunst entgegen, die aus Sicht der marxistisch-leninistisch geprägten Sozialisten das Publikum zwingt und es regelrecht vergewaltigt. Im Sinne des Sozialistischen Realismus wird die Welt erst beschreibbar, wenn sie auch veränderbar ist. So forderte Lenin von der Kunst gar die absolute Parteilichkeit für das Proletariat.[29]

[...]


[1] Held 2005, S. 21

[2] Das sagten schon Karl Marx und Friedrich Engels zum Beispiel in „Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“, Berlin 1962

[3] Vgl. Hütt 1974, S. 5f

[4] Vgl.: Olbrich u. a. 2004, Band 1, S. 233

[5] Vgl.: Hütt 1974, S. 6f

[6] Babierstuben, Webereien,...

[7] Vgl.: Hütt 1974, S. 7

[8] zum Beispiel Seidenspinnereien und –webereien

[9] Vgl.: Hütt 1974, S. 7f

[10] Macht Euch die Erde Untertan.

[11] Vgl.: Hütt 1974, S. 8

[12] Hütt 1974, S. 9

[13] Vgl.: Olbrich u. a. 2004, Band 1, S. 228

[14] u.a. bei Otto Dix

[15] Mehr hierzu in den folgenden Kapiteln.

[16] Berthold Brecht, zitiert nach: Olbrich 2004, Band 6, S. 770

[17] Olbrich u.a. 2004, Band 6, S. 63

[18] Eine ausführliche Abhandlung zum Realismus u.a. zu finden in: Olbrich u.a. 2004, Band 6, S. 62ff

[19] Olbrich u.a. 2004, Band 1, S. 231

[20] Champfleury, Sur Monsieur Courbet. lettre à Madame Sand; Quelle: http://membres.lycos.fr/almasty/courbet.htm

[21] Ebd.

[22] Vgl.: Olbrich u.a. 2004, Band 6, S. 63

[23] Olbrich u.a. 2004, Band 6, S. 63

[24] Dem Idealismuskonzept genau entgegengesetzt, welches eine Erhöhung der Wirklichkeit fordert.

[25] Vgl.: Olbrich u.a. 2004, Band 6, S. 63

[26] Olbrich u.a. 2004, Band 6, S. 771

[27] Raum 2000, S. 7

[28] Vgl.: Pracht 1975, S. 23

[29] Vgl.: Pracht 1975, S. 51

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Kunst und Kunstpolitik in der DDR
Untertitel
Das Arbeiterbild im Wandel
Hochschule
Technische Universität Dresden  (für Kunst- und Musikwissenschaften)
Veranstaltung
Ästhetik der Arbeit
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
40
Katalognummer
V120038
ISBN (eBook)
9783640240302
Dateigröße
3324 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kunst, Kunstpolitik, Seminar
Arbeit zitieren
Edda Laux (Autor:in), 2007, Kunst und Kunstpolitik in der DDR, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120038

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