„Familie hat heute viele Formen. Im April 2002 lebten in Deutschland fast 81% der Bevölkerung
in Familien, einschließlich Ehepaaren, die keine Kinder (mehr) im Haushalt haben. Rund
54 % der Bevölkerung bildeten Eltern-Kind-Gemeinschaften mit gemeinsamer Haushaltsführung.
Zur selben Zeit gab es 2,4 Mio. Alleinerziehende, darunter 87 % allein erziehende Frauen
mit minderjährigen Kindern.“ (BMFSFJ 2004: 74)
Obgleich nicht von einem allgemeinem Trend zum Single-Dasein ausgegangen werden kann
und Untersuchungen belegen, dass Familie und Partnerschaft nach wie vor einen hohen Stellenwert
einnehmen, verdeutlichen derlei statistische Werte doch deutlich, dass die Lebensform „Familie“ heute viele Gesichter hat und sowohl „von einer ´Normalisierung` nicht ehelicher
Lebensformen gesprochen werden [kann]“ (BMFSFJ 2004: 98), als auch von einer
„Entnormalisierung“ von Familienformen und Lebensverläufen (vgl. Brand & Hammer 2002:
13) ausgegangen werden kann.
Die vorliegende Arbeit fokussiert die Lebensform „Alleinerziehend“. Sie wird sich nicht nur
damit auseinandersetzen, in wie fern sich diese Lebensform etabliert hat und wie weit sie verbreitet
ist, sondern will vor Allem die Zufriedenheit der Betroffenen mit ihrer Lebenssituation
thematisieren, um so eine Aussage darüber treffen zu könne, in wie fern die Lebenssituation
Alleinerziehender ein Themen- und Aufgabenbereich ist, der auch für die Sozialpolitik von
Interesse ist. Diese Zufriedenheit soll sich allerdings nicht auf die bereits mehrfach untersuchte
Lebenszufriedenheit in Bezug auf die ökonomische und/oder berufliche Situation beziehen,
sondern vielmehr hinterfragen, ob sich Aussagen darüber treffen lassen, in wie fern der Entstehungszusammenhang
der Lebensform „Alleinerziehend“ und die Unterstützung durch soziale
und familiale Netzwerke einhergeht mit einem gewissen Grad an Zufriedenheit. Dazu muss in einem ersten Schritt geklärt werden, was die Lebensform „Alleinerziehend“
ausmacht, also auch, wie sich ihre gesellschaftliche Entwicklung und Anerkennung darstellt.
Im weiteren Verlauf der Arbeit werden zwei Studien über die Lebensform „Alleinerziehend“
dargestellt. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Lebensform „Alleinerziehend“
2.1 Gesellschaftliche Entwicklung und Akzeptanz
3. Die Niepel-Studie
3.1 Zur Studie: Aufbau, Durchführung, Untersuchungsziele
3.2 Begriffsbestimmungen
3.2.1 „Soziales Netzwerk“
3.2.2 „Soziale Unterstützung“
3.3 Untersuchungsergebnisse
3.3.1 Veränderungen der Netzwerke durch die Einelternschaft
3.3.2 Netzwerktypen alleinerziehender Frauen
3.3.3 Zufriedenheit der Alleinerziehenden mit ihren Netzwerken
3.3.4. Zufriedenheit der Alleinerziehenden mit der erhaltenen sozialen Unterstützung
4. Die Schneider-Studie
4.1 Der Aufbau der Studie
4.2 Entstehungszusammenhänge
4.3 Der Selbstbestimmtheitsgrad der Lebensform Alleinerziehend
5. Berücksichtigung der Ergebnisse von Seiten der Bundesregierung
5.1 Die Lebensform „Alleinerziehend“ im Achten Kinder- und Jugendbericht
5.2 Die Lebensform „Alleinerziehend“ im Elften Kinder- und Jugendbericht
6. Resümee
Anlage 1: Darstellung der Netzwerktypen Alleinerziehender
1.1 Freundschaftsnetzwerk (Typ 1):
1.2.1 Loseres Familien- und Freundschaftsnetzwerk (Typ 2a):
1.2.2 Dichtes Familien- und Freundschaftsnetzwerk (Typ 2b):
1.3 Familiennetzwerk (Typ 3):
Anlage 2: Die Darstellung der einzelnen Gruppen der Lebensform „Alleinerziehend“
2.1.1 Freiwillig Alleinerziehende
2.1.2 Bedingt freiwillig Alleinerziehende
2.1.3 Zwangsläufig Alleinerziehende
2.1.4 Ungewollt Alleinerziehende
2.2 Bilanz der Zuordnungen
Literaturverzeichnis:
1. Einleitung
„Familie hat heute viele Formen. Im April 2002 lebten in Deutschland fast 81% der Bevölkerung in Familien,einschließlich Ehepaaren, die keine Kinder (mehr) im Haushalt haben. Rund 54 % der Bevölkerung bildeten Eltern-Kind-Gemeinschaften mit gemeinsamer Haushaltsführung. Zur selben Zeit gab es 2,4 Mio. Alleinerziehende, darunter 87 % allein erziehende Frauen mit minderjährigen Kindern.“ (BMFSFJ 2004: 74)
Obgleich nicht von einem allgemeinem Trend zum Single-Dasein ausgegangen werden kann und Untersuchungen belegen, dass Familie und Partnerschaft nach wie vor einen hohen Stellenwert einnehmen, verdeutlichen derlei statistische Werte doch deutlich, dass die Lebensform[1] „Familie“ heute viele Gesichter hat und sowohl „von einer ´Normalisierung` nicht ehelicherLebensformengesprochenwerden [kann]“ (BMFSFJ 2004: 98), als auch von einer „Entnormalisierung“ von Familienformen und Lebensverläufen (vgl. Brand & Hammer 2002: 13) ausgegangen werden kann.
Die vorliegende Arbeit fokussiert die Lebensform „Alleinerziehend“[2]. Sie wird sich nicht nur damit auseinandersetzen, in wie fern sich diese Lebensform etabliert hat und wie weit sie verbreitet ist, sondern will vor Allem die Zufriedenheit der Betroffenen mit ihrer Lebenssituation thematisieren, um so eine Aussage darüber treffen zu könne, in wie fern die Lebenssituation Alleinerziehender ein Themen- und Aufgabenbereich ist, der auch für die Sozialpolitik von Interesse ist. Diese Zufriedenheit soll sich allerdings nicht auf die bereits mehrfach untersuchte Lebenszufriedenheit in Bezug auf die ökonomische und/oder berufliche Situation beziehen, sondern vielmehr hinterfragen, ob sich Aussagen darüber treffen lassen, in wie fern der Entstehungszusammenhang der Lebensform „Alleinerziehend“ und die Unterstützung durch soziale und familiale Netzwerke einhergeht mit einem gewissen Grad an Zufriedenheit.
Dazu muss in einem ersten Schritt geklärt werden, was die Lebensform „Alleinerziehend“ ausmacht, also auch, wie sich ihre gesellschaftliche Entwicklung und Anerkennung darstellt. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden zwei Studien über die Lebensform „Alleinerziehend“ dargestellt. Während die erstere vorrangig den Aspekt der Zufriedenheit der Alleinerziehenden, auf dem Hintergrund ihrer sozialen Netzwerke und Unterstützung durch familiale bzw. soziale Gefüge fokussiert, setzt sich die zweite vorgestellte Studie mit dem Entstehungszusammenhang und damit einhergehend mit dem Selbstbestimmtheitsgrad der Lebensform „Alleinerziehend“ auseinander.
Im anschließenden Abschnitt der Arbeit soll, Bezug nehmend auf die dargestellten Ergebnisse, untersucht werden, ob sich auch die Bundesregierung an den bestehenden, aktuellen empirischen Studien-Ergebnissen orientiert. Dazu sollen zwei Sozialberichte, genauer gesagt zwei Kinder- und Jugendberichte, im Hinblick auf das ihnen zugrunde liegende Bild der Lebensform „Alleinerziehend“ untersucht werden. Abschließend sollen in einem kurzen Resümee Überlegungen angestellt werden, inwiefern die Sichtweise der Bundesregierung angebracht ist oder verändert werden muss. Auch auf die Frage, welche Ansprüche sich aus den Ergebnissen der dargestellten Studien ergeben und wie sich diese für die Praxis nutzen lassen, soll im letzten Abschnitt dieser Arbeit eingegangen werden, bevor schlussendlich die Relevanz der Lebenssituation Alleinerziehender in der Sozialpolitik thematisiert wird.
2. Die Lebensform „Alleinerziehend“
2.1 Gesellschaftliche Entwicklung und Akzeptanz
„Seit etwa 30 Jahren ist in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in den meisten anderen westlichen Industriestaaten ein tiefgreifender Wandel von Ehe, Familie und Elternschaft zu beobachten.“ (Schneider/Krüger/Lasch/Limmer/Matthias-Bleck 2001: 11) So wird unter dem Begriff Familie, „verstanden als Lebensform von Personensorgeberechtigten mit Kind oder Kindern“ (BMFSFJ 2002: 123)[3], nicht mehr nur die klassische Mutter-Vater-Kind Konstellation betrachtet, auch „Alleinerziehende, Mehrgenerationenhaushalte, homosexuelle Paare mit Kindern, sog. patchwork-Familien, in denen die Eltern neue Beziehungen und auch neue ´Elternschaften` eingegangen sind, binationale Familien, Familien, die Migrations- oder auch Fluchterfahrungen haben, u. a. Formen des Zusammenlebens“ (BMFSFJ 2002: 122) lassen sich als Form des familialen Zusammenlebens bezeichnen.
Tatsächlich ist man versucht, der Familie als Gefüge aus Eltern und Kind bzw. Kindern, wobei der Vater als Familienoberhaut galt, bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein eine Monopolstellung zuzuschreiben. Wenngleich sie diese Monopolstellung tatsächlich innehatte, darf dabei doch nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich bei diesem zeitlichen Bezugsrahmen, „historisch gesehen, [um] eine Ausnahmezeit von relativ kurzer Dauer [handelt]“ (BMFSFJ 2006: 69). So erlitt eben dieses „bürgerliche Familienmodell mit finanzieller Existenzsicherung der Familie allein durch den Mann, […] bereits mit dem OPEC-Schock 1973“ (ebd.) eine nicht zu unterschätzende Einschränkung seiner allgemeinen Gültigkeit. Vor dem Hintergrund, dass schon der Begriff der „Familie“ historisch betrachtet noch verhältnismäßig jung ist, erscheint die Monopolstellung der Kleinfamilie dann auch wesentlich relativer: Erst mit Beginn der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte eine Trennung von beruflicher Produktions- und privater Reproduktionsstätte ein und erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte sich dieses bürgerliche, emotional-affektive Familienmodell zunehmend in allen Schichten umsetzen (vgl. Meyer 2002: 402 f.). Der Zeitraum, in welchem sich das bürgerliche Modell der „Normalfamilie“ als „eine kulturelle Selbstverständlichkeit und ein millionenfach fraglos gelebtes Grundmuster [darstellte]“ (ebd.: 403), welches für die „große Bevölkerungsmehrheit als die einzig gesellschaftlich ´richtige` und rechtlich legitimierte private Lebensform […] [galt]“ (ebd.), sollte also nicht zu hoch angesiedelt werden.
Nichts desto trotz ist es eben diese Familienform, die über Jahre hinweg gesellschaftlich die wohl meiste Akzeptanz erfahren hat, wenngleich sich aktuell ohne weit reichende Einschränkungen behaupten lässt, die bürgerliche „Normalfamilie“ habe im Verlauf der vergangen Jahrzehnte einen Großteil ihrer Normalität eingebüsst: „Es ist inzwischen im wissenschaftlichen Diskurs wie in der öffentlichen Meinung nahezu ein Gemeinplatz geworden, dass Familienformen und Familienverläufe sich ´entnormalisiert`, differenziert und pluralisiert haben. Dabei zeichnet sich auch ein wachsender Trend zu Individualisierung und Singularisierung in Form von Alleinleben und sequenziellen Verläufen von Partnerschaften ab.“ (Brand/Hammer 2002: 13) Dieser Trend zur Individualisierung und Pluralisierung darf allerdings nicht als „Trend zur ´Vereinsamung` und zur ´sozialen Isolierung`“ (Arbeitsgemeinschaft “Riedmüller/Glatzer/Infratest“ 1991: 26) missgedeutet werden. Vielmehr zeigt sich hier sehr deutlich die bestehende Schwierigkeit, die unterschiedlichen Formen des Zusammen-, oder eben auch des Alleinlebens trennscharf voneinander zu differenzieren. Zweifelsohne hat es Auswirkungen auf die soziale Integration und Akzeptanz, ob es sich bei einem Einpersonenhaushalt um eine verwitwete Frau mit erwachsenen Kindern handelt oder um eine getrennt lebende Frau, deren Kinder bei dem ehemaligen Partner leben. Insgesamt ist eine sozialstrukturelle Erweiterung des Handlungsspielraumes der einzelnen Lebensverläufe und Familienformen zu erkennen. Galten Ehe und Familie noch vor wenigen Jahrzehnten als die zu erstrebende Familienform, hat ihre Attraktivität „sich binnen weniger Jahre aufgelöst und einer bislang unbekannten Pluralität von Privatheitsmustern Raum geschaffen“ (Meyer 2002: 412). Im Gegenzug sind die Alternativen der privaten und familialen Lebensentwürfe gestiegen, so dass der Einzelne zwischen verschieden Familienmustern quasi wählen kann. Zwar hat „Familie […] im Gefolge der gesellschaftlichen Ausdifferenzierungs-, Pluralisierungs-, Migrations- und Individualisierungsprozesse und besonders durch die veränderte Frauen- und Mutterrolle der letzten Jahrzehnte ihre typische Kontur verloren und beschreibt deswegen sehr vielfältige Formen des Zusammenlebens von Eltern und Kindern“ (BMFSFJ 2002: 123), eine Dominanz partnerschaftlichen Zusammenlebens ist dennoch nicht von der Hand zu weisen (vgl. ebd.).
Im Sinne dieser Pluralisierungsprozesse hat sich auch die Lebensform „Alleinerziehend“ etabliert, sie „ist in allen sozialen Schichten und in fast jeder Familie anzutreffen“ (Internetredaktion des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend a). Galt sie „in den 50er, 60 er und z. T. auch noch in den 70er Jahren […] als abweichende, pathogene Lebensform“ (Niepel 1994 b: 16) und war selbst „noch im Dritten Familienbericht der Bundesregierung Ende der 80er Jahre […] von ´unvollständigen Familien` die Rede“ (Schneider 2002: 123), hat sich die Lebensform „Alleinerziehend“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts von der Vorstellung der defizitären, unvollständigen Familie zur Option im Lebensverlauf gemausert.
Dabei ist die Lebensform „Alleinerziehend“ keineswegs ein ausschließlich modernes Phänomen. Wenngleich die zu Grunde liegende Definition des Status „Alleinerziehend“ nicht explizit erläutert und damit nicht eindeutig bestimmbar ist, zeigen Aufzeichnungen, dass bereits „Mitte des 17. Jhdts. bis Ende des 18. Jhdts. […] die Zahl der Alleinerziehenden zwischen einem Fünftel und einem Viertel der Gesamtzahl aller Familien [pendelte]. Mitte des 18. Jhdts. wurden in manchen Regionen Deutschlands sogar mehr als die Hälfte der Familien als ´unvollständig` ausgewiesen […]“ (Cromm 1998: 71 f.). Dass es sich bei diesen „unvollständigen“ Familien nicht um geschiedene Personen in unserem heutigen Verständnis handelt, liegt auf der Hand, wenn man bedenkt, dass das Scheidungsrecht seine ersten Schritten im Eherecht von 1900 machte.[4] Dennoch weisen derlei Quellen noch einmal sehr deutlich auf die Problematik, der allgemeingültigen Definition der Lebensform „Alleinerziehend“ hin. Vor dem Hintergrund der Verwitwung durch Verlust des Ehepartners durch Krankheit oder Krieg verwundert eine solche Angabe also nicht, weist aber darauf hin, dass bereits zu dieser Zeit von einer homogenen Gruppe „Alleinerziehender“ keineswegs ausgegangen werden kann und auch hier die soziale Anerkennung in einem hohen Maß vom Entstehungshintergrund abhing (vgl. ebd.). Auch heute resultiert die Lebensform „Alleinerziehend“ aus unterschiedlichen Umständen, häufig aus einer Trennung oder Scheidung der beiden Elternteile. Parallel dazu entscheiden sich aber auch immer mehr Menschen ganz bewusst für diese Lebensform. „Alleinerziehen hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten von einer sozialen Randerscheinung zu einer weit verbreiteten Lebensform entwickelt.“ (BMFSFJ 2001: 109) Aktuell leben „in Deutschland […] fast zwei Millionen Alleinerziehende mit über 2,8 Millionen Kindern unter 18 Jahren“ (ebd.). Auch hier zeigt sich die Problematik der Trennschärfe[5]. So kann keineswegs immer davon ausgegangen werden, dass eine getrennt lebende Frau auch tatsächlich alleinerziehend ist oder dass sich für die Erziehung und Versorgung eines nicht ehelich geborenen Kindes tatsächlich nur ein Elternteil verantwortlich zeigt. Nach Angaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sind „etwa 72% der Alleinerziehenden mit Kindern unter 18 Jahren […] Einelternfamilien, also tatsächlich Alleinerziehende. 83% der Alleinerziehenden sind Frauen (einschließlich derjenigen in nicht ehelichen Lebensgemeinschaften).“ (BMFSFJ 2003: 109)
Unbestritten ist, dass sich mit der Tendenz zur Pluralisierung und Individualisierung auch die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber diesen zahlreichen Optionen von Lebensverläufen und Familienformen verändert hat. Dieser deutlich zu erkennende Wandel lässt sich auch auf politischer und formaljuristischer Ebene nachzeichnen. Das am 01.August 2001 in Kraft getretene „Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft“[6] liefert für diese Veränderung einen stichhaltigen Beweis. Auch das Bundesministerium der Justiz trägt dieser Veränderung gegenüber Sorge, die im Januar 2005 publizierte Broschüre „´Gemeinsam leben` – Eine Information für Paare, die ohne Ehe oder eingetragene Partnerschaft zusammenleben“ weist darauf nur allzu deutlich hin. Darüber hinaus trug beispielsweise die Reform des Kindschaftsrechts 1998 dazu bei, auch die Bedingungen für alleinstehende Mütter positiv zu verändern. Wenngleich gerade um einer Benachteiligung und Stigmatisierung der Lebensform „Alleinerziehend“ entgegenzuwirken noch weitere Maßnahmen ergriffen und Veränderungen angestrebt werden müssen, zeigen derlei Reformen doch recht deutlich, dass eine dahingehende Bewegung bereits in Gang gesetzt wurde. Schlussendlich lässt sich also sagen, dass „Alleinerziehen […] keine defizitäre Form der Familie und kein moderner Lebensstil, sondern, bei aller Spezifität, eine familiale Lebensform wie andere [ist]“ (Schneider 2002: 135).
3. Die Niepel-Studie
Im folgenden Abschnitt soll der Frage nachgegangen werden, in wie fern und wenn ja, wie es möglich ist, eine gültige Aussage, über die Zufriedenheit Alleinerziehender im Bezug auf die erhaltene Unterstützung innerhalb ihrer Lebenssituation, zu treffen. Zweifelsohne ist die Lebensform „Alleinerziehend“ verbunden mit einer, im Vergleich zur Elternschaft innerhalb einer Partnerschaft, höheren Belastung. Alleinerziehende müssen nicht nur alleine für „Betreuung und Erziehung ihrer Kinder, für den Erwerb des Lebensunterhalts und für die [Erledigung der] Haushaltsaufgaben [sorgen]“ (Niepel 1994 b: 19), sie sind in Folge eben dieser Mehrfach-Belastung auch wesentlich häufiger und in einem höheren Maß Stressoren ausgesetzt, die sich auch in der Bewertung und Bewältigung ihrer Lebenssituation niederschlagen. Während die Faktoren, die als Ursache für einen finanziell belastenden Hintergrund recht offenkundig sind und darüber hinaus auch als empirisch untersucht gelten, muss die Daten- und Untersuchungsbasis im Bezug auf die „Lebenszufriedenheit darüber hinaus“ doch prekärerweise als äußerst dürftig bezeichnet werden.
Erst in den 80er Jahren beginnt man im angloamerikanischen Raum in der Single Parent-Forschung die Bedeutung und Tragweite sozialer Unterstützung und sozialer Netzwerke zu erkennen und empirisch zu untersuchen und zu belegen. Für die Hinwendung zu dieser Thematik lassen im wesentlichen zwei Gründe benennen: zum Einen ließ sich aus einer Vielzahl von Studien, deren genuiner Forschungsgegenstand nicht die Erforschung des sozialen Netzwerks und/oder der sozialen Unterstützung war, herauslesen, dass „die Verfügbarkeit quantitativ wie qualitativ zufriedenstellender Unterstützung ein wesentlicher Faktor für die Bewältigung der Lebenssituation als Alleinerziehende ist […]. Zum anderen liegen sie in den Erkenntnissen der Lebensereignis-, Streß- und Social Support-Forschung, in denen die zentrale Bedeutung sozialer Unterstützung als Bewältigungsressource neben dem individuellem ´coping` vielfach empirisch belegt worden ist“ (Niepel 1994 b:21 f.). Um aber eben diese Bedeutung für die Lebenszufriedenheit Alleinerziehender valide darstellen zu können, muss zudem geklärt werden, was sowohl in der dargestellten Studie, als auch in der weiteren Literatur unter „sozialen Netzwerken“ und „sozialer Unterstützung“ verstanden wird.
3.1 Zur Studie: Aufbau, Durchführung, Untersuchungsziele
Die vorgestellte Studie wurde über einen Zeitraum von zwei Jahren (1991/92) im Rahmen des, an der Universität Bielefeld angesiedelten, Forschungsprojektes „Soziale Netzwerke und soziale Unterstützung bei Alleinerziehenden“ durchgeführt. Ein vergleichsweise kleines Sample (N = 20) wurde im Rahmen von „problemzentrierten Intensivinterviews mit relativ offenem Charakter“ (Niepel 1994 b: 62) befragt. Basierend auf Untersuchungsergebnissen empirischer Studien, die die Lebenssituation Alleinerziehender als potentiell besonders belastend bezeichneten und der dennoch festgestellten Tatsache, dass es auch unter den Alleinerziehenden eine Vielzahl von Personen gibt, die sowohl die alltägliche Belastung, als auch einzelne Krisen und besonders stress- und belastungsreiche Phasen in ihrem Lebensverlauf gut meistern, stellte sich die Frage, auf welche Ressourcen diese Alleinerziehenden zurückgreifen, um eben diese Problemsituationen und –phasen zu bewältigen. Die Beantwortung dieser Frage kann als eine der Hauptinteressen der Studie bezeichnet werden. Während die angloamerikanische Single Parent-Forschung dieser Frage zwar zumindest in Teilen schon nachgegangen war, stellte sich im Hinblick auf die festgestellten Ergebnisse die Frage nach ihrer Gültigkeit für den deutschen Raum, so dass mit der Bielefelder Alleinerziehendenstudien „erstmalig […] der Versuch unternommen wurde, soziale Netzwerke und soziale Unterstützung alleinerziehender Frauen gezielt zu untersuchen“ (Niepel 1994 b: 55). Wie diffizil und anspruchsvoll eine solche Zielsetzung ist, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass es bei einer solchen Studie nicht darum gehen kann, soziale Netzwerke darzustellen oder soziale Unterstützung als solche vorzufinden. Vielmehr wäre es für die valide und differente Beantwortung einer solchen Frage notwendig, die Bedürfnisse von Alleinerziehenden in Bezug auf konkrete Unterstützungsformen und die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit mit eben diesen erhaltenen Unterstützungsangeboten, sowie eine Analyse der ursächlichen Bedingungen für jenen Unterstützungsbedarf und der allgemeinen Bewältigungsstrategien empirisch zu untersuchen. Auch Faktoren, die Veränderungen der Netzwerkstrukturen bedingen und Dimensionen, in denen sich soziale Unterstützung unterscheiden lässt, müssten aus den Ergebnissen einer solchen Studie ersichtlich werden. Darüber hinaus erfordert eine empirische Analyse sozialer Netzwerkstrukturen und sozialer Unterstützung auch, „eine vergleichende Analyse von Personen hinsichtlich ihrer Rolle als Geber wie als Empfänger von Unterstützung […], eine Berücksichtigung möglicher Belastungen“ (Niepel 1994 b: 56), die sich aus der Notwendigkeit des Erhalts sozialer Unterstützung ergeben können, sowie schlussendlich die Untersuchung der transferierten Hilfe im Hinblick auf ihre Prozessverläufe.[7] Um diesen Ansprüchen möglichst genüge zu leisten wurde das Unterstützungsbedürfnis der Befragten auf zwei Wegen erhoben. Während im Erstinterview einerseits direkt nach Unterstützungsbedürfnissen gefragt wurde und sich auch aus dem Verlauf des Gesprächs einige Antworten herauslesen lassen konnten, sollte im Zweitinterview ein Erhebungsbogen mit 17 Items aus sechs Unterstützungsdimensionen Aufschluss über Gewichtung und Zufriedenheit geben (vgl. Niepel 1994 b: 149f.)
3.2 Begriffsbestimmungen
Obgleich in der Literatur vielfach synonym verwendet, muss doch darauf hingewiesen werden, dass es sich bei den Bezeichnungen des „Sozialen Netzwerkes“ und der „Sozialen Unterstützung“ keineswegs um lediglich verschieden Bezeichnungen handelt, sondern sich die Begriffe vielmehr auch inhaltlich konkret unterscheiden lassen. In diesem Anschnitt der Arbeit soll daher eine konkrete Bestimmung dessen erfolgen, was in der Bielefelder Alleinerziehenden-Studie unter den Begriffen des „Sozialen Netzwerkes“ und der „Sozialen Unterstützung“ verstanden wird. Offenkundig lässt sich zwischen beiden Bezeichnungen eine Verbindung bzw. Beziehung herstellen und doch kann zur Nachvollziehbarkeit der Studie auf eine genaue Differenzierung der Begriffe nicht verzichtet werden.
3.2.1 „Soziales Netzwerk“
„Soziale Netzwerke sind Geflechte sozialer Beziehungen zwischen einer bestimmten Anzahl von Menschen (oder Organisationen). Im Bild des sozialen Netzwerks sind wie in einem Fischernetz die Knotenpunkte – die einzelnen Personen (Organisationen) oder Netzwerkmitglieder – durch das Garn mit anderen Knotenpunkten – anderen Personen (Organisationen) verbunden.“ (Nestmann 2001: 1684) Die Darstellung des Sozialen Netzwerks am Bild des Fischernetzes benutzt auch Niepel in der, der Studie zugrunde liegenden Definition des Sozialen Netzwerks. Darüber hinaus betont sie nicht nur, dass „der Begriff des sozialen Netzwerkes […] über jenen der sozialen Integration hinausgeht, da er nicht nur die dyadischen Beziehungen einer Zielperson zu jeweils einzelnen Personen umfasst, sondern auch die Beziehungen dieser Personen untereinander, mit oder ohne Einbezug der Zielperson faßt“ (Niepel 1994 b: 37), sondern weist auch darauf hin, dass „auch wenn theoretisch ´persönliche` Netzwerke (d.h. das Beziehungsgeflecht von einer Person) von ´sozialen` Netzwerken (d.h. das Beziehungsgeflecht eines ganzen Systems sozialer Beziehungen wie beispielsweise einer Gemeinde) unterschieden werden kann, […] sich auch für das persönliche Netzwerk der Begriff soziales Netzwerk etabliert [hat]“ (ebd.).
[...]
[1] „Unter Lebensformen sind […] relativ stabile Beziehungsmuster zu verstehen, die allgemein als Formen des Alleinlebens oder Zusammenlebens, sowohl mit als auch ohne Kinder (familiale versus nichtfamiliale Lebensformen) zu beschreiben sind.“ (Meyer 2002: 402)
[2] In der Regel wird im Verlauf dieser Arbeit von der „Lebensform ´Alleinerziehend`“ bzw. „Alleinerziehenden“ die Rede sein. Wenngleich weitere Termina in diesem Kontext bestehen und u.a. in Punkt 2.1 kurz darauf eingegangen wird, dass es sich bei „Alleinerziehenden“ oftmals nicht um tatsächlich Alleinerziehende handelt, wird dieser Begriff bevorzugt verwendet werden, da er nichts desto trotz am sinnvollsten erscheint. So könnte auch der Terminus der „Ein-Eltern-Familie“ nicht ohne Einschränkungen verwendet werden, worauf auch Schneider hinweist, wenn er bemerkt, dass der Begriff der Ein-Eltern-Familie verschleiert, dass „die Mehrzahl der Kinder Kontakt zu beiden Eltern hat“ (Schneider 2002: 125) (vgl. auch Schneider u. a. 2001: 17).
[3] Nach Meyer lässt sich der Begriff der Familie auch als „eine, nach Geschlecht und Generation differenzierte Kleingruppe mit einem spezifischen Kooperations- und einem wechselseitigen Solidaritätsverhältnis, dessen Begründung in allen Gesellschaften zeremoniell begangen wird“ (Meyer 2002: 401) definieren.
[4] Auf diesen Umstand wird auch im achten Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung hingewiesen: „Allerdings sollte nicht verkannt werden, daß innerhalb der Gruppe der Kinder, die mit nur einem Elternteil aufwachsen, ganz erhebliche Verschiebungen insbesondere bei der Gruppe der Kinder, die mit alleinerziehenden Müttern aufwachsen zu beobachten sind: 1961 war ein großer Prozentsatz alleinerziehender Mütter verwitwet, während es heute in der Regel geschiedene Mütter sind.“ (BMJFFG 1990: 37)
[5] Auf diese Problematik wird auch von Seiten verschiedener Autoren immer wieder hingewiesen: „Allerdings sind bereits sämtliche Zahlen in diesem Umfeld höchst relativ, das sowohl in den amtlichen Statistiken wie auch in manchen empirischen Untersuchungen die verschiedenen nichtehelichen Lebensformen nicht systematisch voneinander getrennt werden. Daher kommt es vor allem bei den Angaben zu in den Haushalten Alleinerziehender lebenden Kindern oft zu deutlichen Abweichungen.“ (Brand/Hammer 2002: 13)
[6] Kurz: Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG)
[7] Wenngleich weitere Faktoren benannt werden könnte, soll diese exemplarische Auswahl doch genügen, um dem Leser die Komplexität und den damit einhergehenden hohen Anspruch der Studie zu verdeutlichen.
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