Wirtschaftsethik - Moral in der Marktwirtschaft?


Hausarbeit, 2008

22 Seiten

Anonym


Leseprobe


1. Inhaltsangabe

2. Einleitung

3. Begriffsklärung:
3.1. Der Begriff der Ethik
3.2. Der Begriff des Wirtschaftens und des Marktes

4. Ethik in der Marktwirtschaft?
4.1. Die Totalität kapitalistischer Entwicklung
4.2. Instrumentelle Vernunft und die zweite Natur
4.2.1. Instrumentelle Marktrationalität
4.2.2. Zweite Natur und verdinglichtes Denken

5. Moralisierung der Wirtschaftsordnung

6. Literaturangabe

2. Einleitung

„Nachdem die kapitalistische Wirtschaft als ein mediengesteuertes Subsystem erst einmal etabliert ist, bedarf sie der ethischen, d.h. wertrationalen Verankerung rationaler Handlungsorientierungen nicht mehr. Das drückt sich aus in der Verselbstständigung der Betriebe und Organisationen gegenüber den Handlungsmotiven ihrer Mitglieder“

(Habermas 1987b:469)

Die vorliegende Arbeit hat sich die Bearbeitung des Themas Wirtschaftsethik zur Aufgabe gesetzt. Der gängigen Auffassung zufolge seien moderne Gesellschaften schon von sich aus von der Differenz von Ökonomie und Ethik bestimmt (vgl. Wieland 1993), was nicht zuletzt an der von Max Weber beschriebenen zweckrationalen Vernunft des modernen Menschen liege, welche die Vernunft leitenden wertrationalen und traditionalen Prinzipien der Vormoderne abgelöst habe (Weber 1920:673).

Fast jeder zweite Mensch auf der Erde hat täglich weniger als 2 US-Dollar zur Verfügung, was von der Weltbank als Armutsgrenze für die Industrienationen definiert wird (Altvater 2007a:188). Gleichzeitig konstatieren empirische Daten, dass circa 5% der Menschheit soviel Vermögen besitzt wie der Rest der Weltbevölkerung zusammen (Demirovic 2004:7). Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer weiter geöffnet, wobei sich Ungleichheitsunterschiede von Macht und Geld sowie Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Arbeitskraft und Kapital nicht mehr national, sondern durch die wirtschaftliche Transnationalisierung im internationalen Gefälle auf erhöhter Stufe neu reproduzieren. Die weltweiten Wirtschaftsverflechtungen (allgemein unter dem Schlagwort „Globalisierung“ bekannt), ohne gleichzeitiger politischer Mitspracherechte in einem transnationalen Diskurs, sind demnach wohl eher durch den sozialwissenschaftlichen Begriff der „Glokalisierung“ zu definieren (Altvater 2007b:163).

Hatten sich in der klassischen Wirtschaftstheorie von Smith und Ricardo die Analysen vor allem noch auf die jeweilige nationale Situation beschränkt, ist die Analyse demnach heutzutage global vorzunehmen.

Nicolas Stehr konstatiert der gegenwärtigen „Wissensgesellschaft“ (Stehr 2007:236f.) eine Moralisierung der Wirtschaft, was vor allem an den Käufermassen liege, die durch das gestiegene Pro-Kopf-Einkommen und Geldvermögen ein moralisches Bewusstsein bezüglich der Produktkaufentscheidung entwickeln würden. Unternehmen würden daraufhin im Sinne einer Unternehmensethik reagieren, um sich als moralisch bewusst zu inszenieren, damit die Konsumenten ihre Produkte denen Anderer vorziehen. Stehr sieht es demnach als unstrittig und charakteristisch an, „dass Konsumentenentscheidungen Art und Umfang der Produktion (…) mitbestimmen“ (Stehr 2007:13). Auch wenn die realen Einkommen in den Industrieländern tatsächlich in den letzten Jahrzehnten gestiegen sind, wird der Blick hier vor der Verlagerung der wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisse der so genannten dritten und zweiten Welt von der ersten industriellen verschlossen sowie vor der Bewusstseinsmanipulation der Konsumenten durch die Vermarktungsstrategien und der mit der Marktvergesellschaftung einhergehenden instrumentellen Vernunft, die als naturgegeben anthropologisch unhinterfragt als Vernunft der marktwirtschaftlichen Ordnung dargestellt wird. Die Ausbeutung und Unterdrückung der Natur wird ebenfalls nicht als dieser Vernunft innewohnend erörtert.

Der Bereich der Wirtschaftsethik kann demnach nicht nur die Produktionsverhältnisse in Augenschein nehmen. Für eine progressive Bearbeitung des Themas Wirtschaftsethik wäre es m.E. ebenfalls ungenügend, im Feld der Philosophie zu verbleiben, da sie sich ja primär um die Subjekt/Objekt Problematik auf erkenntnistheoretischer Ebene bemüht (Habermas 1988:41) und der Praktischen Philosophie aufgrund ihres subjektiven Bezugsrahmens nicht genügend Bedeutung beimisst. Deswegen teile ich Habermas’ Auffassung von der Notwendigkeit, die Philosophie in die Soziologie übergehen zu lassen, da sie „als einzige der sozialwissenschaftlichen Disziplinen den Bezug zu Problemen der Gesamtgesellschaft beibehalten [hat]“ (Habermas 1995:29). So kann auch nur ihr die Aufgabe zufallen die „anomischen Erscheinungsformen der kapitalistischen Modernisierung (…) zu erklären“ (Habermas 1995:21).

Ein weiteres grundlegendes Problem des Themas Wirtschaftsethik ist, dass in den meisten sie betreffenden Diskursen im Bereich der bürgerlichen Ökonomie verblieben wird, sich also der Kategorien der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften wie „Markt“, „Eigentum“, „Staat“ etc. undialektisch bedient wird, wo es doch gerade in der Philosophie um das kritische Hinterfragen verfestigter Denkstrukturen und Begriffen gehen sollte. Antonio Gramsci sieht daher in der „kritischen Ökonomie“ den „angemessenen Ausgleich zwischen der deduktiven Methode und der induktiven Methode angestrebt“ (Gramsci 1994:1294), da es hier um die historische Bestimmung von Begriffen und Theorien geht, was bei der „klassischen Ökonomie“ kaum erfolgt: „Die gesamte Konzeption der kritischen Ökonomie ist historizistisch.“ (Gramsci 1994:1296) In den Theoremen der Volkswirtschaftslehre werden hingegen Begriffe wie „markt-wirtschaftliches System“, „Gewinntheorie“, „Wettbewerbstheorie“, „Märkte“ etc. in ihren Theorien, nicht jedoch in ihren Begriffen als historisch entstanden und damit menschlich konstruiert erklärt (vgl. Woll 1981). Positivismus ist durch Philosophie entgegenzuarbeiten, im Sinne eines dialektischen Verfahrens, das sich die Aufgabe setzt, historisch und gesellschaftlich zu verfahren, also die genannten Kategorien als hervorgebracht und damit nicht als naturhaft darzustellen. Gramsci erwähnt, dass „das Lehrbuch der Wirtschaftswissenschaft (…) nicht ohne einen Kurs zur Geschichte der ökonomischen Lehrmeinungen [geht].“ (Gramsci 1994:1296) Deswegen folgt in dieser Arbeit der Begriffsdefinition von Wirtschaften und Moral eine Darstellung der Auswirkungen der instrumentellen Vernunft auf das Bewusstsein der Menschen, bevor Denkanstöße für eine Moralisierung des Wirtschaftssystems gegeben werden. Selbst konservative Denker wie Niklas Luhmann konstatieren „in den guten Absichten der Ethik Fans könnten sich schlimme Folgen verbergen, nämlich eine Ablenkung von allen ernsthaften Versuchen, die moderne Gesellschaft und ihr Funktionssystem Wirtschaft zu begreifen“ (Luhmann 1993: 142).

Im ersten Hauptteil geht es also darum, wie die Wirtschaft (hier als Wirtschaftssystem verstanden) auf die Ethik negativ Einfluss nimmt. Vor allem die Beeinflussung der Bewusstseinsformen des Subjektes und damit eingehend der Moral durch die Imperative des Wirtschaftssystems steht hier im Vordergrund. Hier hat die Philosophie als aufklärerische Disziplin demnach als erstes anzusetzen. Adorno sah in der Erkenntnis die notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für Aufklärung und Moralisierung der Gesellschaft, denn „es bedürfte der lebendigen Menschen, um die verhärteten Zustände zu verändern.“ (Adorno 1965:18) Im zweiten Hauptteil will ich hingegen aufzeigen, worin Hoffnung besteht, d.h. wie eine demokratischere Wirtschaftsordnung auf die Ethik und das konkrete moralische Bewusstsein der Menschen einwirken kann, um den amoralischen Tendenzen der aktuellen „westlichen“ Wirtschaftsordnung entgegenzuwirken. Um die Konklusion und Grundthese dieser Arbeit direkt vorweg zu nehmen, kann es m.E. nicht (nur) um „moralische“ Käuferentscheidungen gehen, dieses oder jenes Produkt, welches unter für den Produzenten „angenehmeren“ Bedingungen angefertigt wurde, zu erwerben. Es geht um die Partizipation in sozialen oder basisdemokratischen Institutionen und Bewegungen, um der Verselbstständigung des Marktes und Durchkapitalisierung jeglicher Lebensbereiche eine wirklich demokratische Ordnung tendenziell als Alternative entgegenzustellen. Die klassische Ethik, die konkret auf die Handlung orientiert war, kann somit hier nicht als fruchtbar angesehen werden. Ethik muss vielmehr auf die Ordnung selbst einwirken und diese gestalten. Auch in seiner Radikalität sicher übertrieben, aber m.E. in der Tendenz richtig, hat dies schon Adorno prägnant auf den Begriff gebracht: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ (Adorno 2003c:19), denn „die natürliche Folge wirtschaftlicher Entwicklung ist (…) nicht die Harmonie (…) sondern der Konflikt“ (Galbraith 1972:69).

Diese Punkte will die vorliegende Arbeit kritisch aufarbeiten und zeigen, dass nur durch eine wirkliche basisdemokratische Beteiligung an Produktion, Konsumtion und Verwaltung eine wirkliche progressive Moralisierung der Wirtschaft, die ihren Namen verdient, vollzogen werden kann. Da es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine philosophische handelt, habe ich nur wenige empirische Daten, vor allem die Ungleichheitsquantifizierungen betreffend, aufgeführt, um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen und zu weit vom Gebiet der Philosophie abzukommen.

3. Begriffsklärung:

Um eine vernünftige Diskussion über das Verhältnis von Wirtschaften und Ethik führen zu können, ist es obligatorisch zunächst die der Beobachtung zugrunde liegenden Begriffe zu analysieren. Was wird an dieser Stelle genau unter dem Begriff der Ethik und was unter dem des Wirtschaftens verstanden? Der Arbeit liegt eine dialektische Erkenntnistheorie zugrunde, die versucht die Starrheit der Begriffe der rationalistischen Erkenntnistheorie zu überwinden (Lukacs 1970:256). Nach der Wortanalyse sollen die beiden Begriffe in ihrer Relation zueinander bestimmt werden um aufzuzeigen, wo Grenzen und Schnittmengen vorhanden sind, bzw. allgemeiner gesagt, wie sie sich dialektisch beeinflussen.

3.1. Der Begriff der Ethik

Beim Nachschlagen des Begriffes der Ethik im Philosophischen Wörterbuch lässt sich eine Schwammigkeit der Begriffsanalyse erkennen: „Ethische Werte sind Werte der Gesinnung und des erstrebten sittlichen Verhaltens“, heißt es bspw. (Schmidt 1982:170).

Peter Ulrich definiert den Begriff der Ethik konkreter als „philosophische Reflexion, die (…) Formen des Guten Lebens, des gerechten Zusammenlebens und des verantwortlichen Handelns untersucht.“ (Ulrich 2001:43) Ich will mich hier des Ethikbegriffs Kants und dem erkenntnistheoretischen Postulats Adornos bedienen. Kant forderte in der zweiten Formel des kategorischen Imperativs, den anderen immer auch als „Zweck an Sich“, nicht nur als „Mittel“ zu betrachten: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ (Kant 1974:61) Er stellt sich folglich gegen die Instrumentalisierung von Objekten. Adorno arbeitet in seiner Negativen Dialektik einen Erkenntnis-theorieanspruch heraus, der sich auch als Moralkonzept verstehen lässt. Dem Identitätsdenken des Subjekts muss durch den „Vorrang des Objekts vor dem Subjekt“ (Adorno 1973:48) entgegengearbeitet werden. Auch hier soll demnach das Objekt nicht durch das Subjekt instrumentalisiert werden zugunsten einer Tolerierung des Nicht-Identischen, also der Differenz, des Besonderen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Wirtschaftsethik - Moral in der Marktwirtschaft?
Hochschule
Universität Münster
Jahr
2008
Seiten
22
Katalognummer
V128553
ISBN (eBook)
9783640335718
ISBN (Buch)
9783640335923
Dateigröße
442 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wirtschaftsethik, Moral, Marktwirtschaft
Arbeit zitieren
Anonym, 2008, Wirtschaftsethik - Moral in der Marktwirtschaft?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128553

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