Foucaults soziohistorische Theorie der Biomacht und die Eugenik


Bachelorarbeit, 2008

60 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Biomacht und Biopolitik bei Foucault

3. Ein historischer Abriss eugenischer Utopien
3.1 Die Degenerationsthese, Evolutionstheorie und die Eugenik
3.2 Die moderne Humangenetik, Biotechnologie und die „neue Eugenik“

4. Die Einbettung der Eugenik in das Konzept der Biomacht

5. Peter Sloterdijks Elmauer Rede

6. Jürgen Habermas – Zur Zukunft der menschlichen Natur

7. Resümee

8. Literaturverzeichnis (S. 51-58)

1. Einleitung

Durch die soziale, politische und lebensweltliche Menschheitsgeschichte hindurch zieht sich ein nicht zu unterschätzender Strang von Mikro- und Makromacht- und Herrschaftsstrukturen, innerhalb dessen sich meistens alles um Fragen der Menschenführung drehte.[1] Jede politische Staatsform hat dabei ihre eigenen Methoden, um Menschen zu führen. Im Nationalsozialismus beispielsweise geschah diese Menschenführung sehr autoritär, während es in einer parlamentarischen Demokratie eher um argumentative Diskussionen aller Bürger geht und wo ein sanfterer Ton im Parlament regiert. Heutzutage könnte sich durch die Ermöglichungen und Erkenntnisse von Biotechnologien, Bio- und Lebenswissenschaften und allen voran durch die Genetik die Frage nicht mehr nur nach der Menschenführung und Menschenzähmung stellen, sondern nach der Menschenbildung, Menschenzüchtung und Menschenkonstitution.

Die „Technisierung der menschlichen Natur“ (Vgl. Habermas: 2005, S. 46), die über die medizinhistorischen Fortschritte der Impfungen, Herzoperationen, Gehirnoperationen, Organtransplantationen, der künstlichen Organeinpflanzung bis hin zur modernen Gentherapierung vorangeschritten ist, steht vor neuen Damm- und Durchbrüchen: Im Mai 2008 haben amerikanische Forscher nun den ersten genetisch manipulierten Embryo erschaffen und in England gaben die Volksvertreter grünes Licht für die Züchtung einer transgenen Menschtierchimäre (Vgl. Bahnsen/Spiewak: 2008, S. 35). Was über Jahrhunderte lang nur Vision, Utopie oder auch Dystopie in wissenschaftlichen Werken, literarischen Erzeugnissen (besonders im Science-Fiction Genre) und in der relativ neuen medialen Sparte der Filmproduktion gewesen war, könnte sich nahe an der Grenze zur möglichen Realisierung befinden.

Der technologische Fortschritt der großen Zivilisationen ist bereits neben den oben genannten Errungenschaften soweit entwickelt, das Verfahren der biotechnologischen Menschenklonierung, der gezielten genetischen Manipulierung, Genoptimierung-, Selektionierung-, Programmierung-, Therapierung und weitere Praktiken der Eugeniker und Gentechniker möglich wären, wenn da nicht die politische Gesetzgebung und der rege Diskurs der moralisierenden und manchmal normierenden Bioethiken wäre, der den Naturwissenschaftlern mehrere Striche durch die Rechnung machen würde und in Zukunft auch weiterhin tätigen könnte.

Die Thematiken dieser Untersuchung sind brandaktuell und kommen seit dem Beginn des neuen Millenniums in wissenschaftlicher Hinsicht immer mehr in Mode (Vgl. Stingelin: 2003, S. 7). Diese bioethische und biopolitische Konjunktur ist an einer kleinen Welle von wissenschaftlichen Publikationen, die auch in dieser Untersuchung zumindest ausschnittsweise mit eingearbeitet und zur Erstellung verwendet wurden, erkenn- und ablesbar. Es geht mir hier um mehrere Facetten: Einerseits soll die Herstellung einer Brücke zwischen Foucaults „Theorie der Biomacht“ und alten sowie modernen Vorstellungen, Möglichkeiten und Grenzen der wissenschaftlichen Eugenik(en) bewerkstelligt werden. Vor und mit diesem historischen Hintergrund geht es dann darum, die biologischen Möglichkeiten der politischen und wissenschaftlichen Menschenhütung auszuloten und nach deren Legitimität zu fragen, die sich der verwestlichte Mensch als Gattungswesen durch die Säkularisierung und Entgöttlichung in der neuzeitlichen Moderne selbst auferlegt hat: „Die Hütung der menschlichen Herde erfolgt ausschließlich durch den Menschen selbst“ (Gerhardt: 2001, S. 135).

Zunächst wollen wir Foucaults Konzeption näher unter die Lupe nehmen. Dann folgt eine soziohistorische Analyse der eugenischen Ideengeschichte und der Eugenik als Wissenschaft. Danach wird versucht, diese beiden Komplexe miteinander zu verquicken. Von dort aus geht es dann weiter mit gegenwärtigen biopolitischen Positionen, Kontroversen und Debatten rund um die Philosophen Peter Sloterdijk und Jürgen Habermas, die sich beide in mündlicher und schriftlicher Form philosophisch eingemischt haben. Der erste Teil beschäftigt sich vornehmlich mit historischen Geschehnissen, also mit der (heideggersch formulierten) zeitlichen Ekstase der Vergangenheit. Der zweite Teil beschäftigt sich dann mit der kürzlich „vergangenen Gegenwart“, sowohl circa ab der Jahrtausendwende, als auch mit dem Hier und Jetzt. Der dritte Teil behandelt dann die Ekstase der Zukunft oder der „zukünftigen Vergangenheit“, deren mögliche Entwicklungen und die bedeutende Frage nach dem Umgang mit den durch die Gentechniken neu eröffneten Handlungsspielräumen.

2. Biomacht und Biopolitik bei Foucault

Der philosophische Wissenschaftshistoriker und „neue historische Kartograph“ (Vgl. Dreyfus/Rabinow: 1993, S. 157) Michel Foucault (1926-1984) eruierte den Begriff „bio-pouvoir“ öffentlich im Jahre 1976 (Vgl. Gehring: 2006, S. 9-10) und entdeckte, dass es eine bestimmte neue, etwas verborgene und sich maskierende Machtform[2] seit dem 17. Jahrhundert in den abendländischen Gefilden gab und gibt, die nicht der klassischen und absoluten Souveränitätsmacht der oder des Herrschenden entspricht (Vgl. Lemke: 2007, S. 79). Denn die Souveränitätsmacht eines Monarchen oder der Fürstentümer konnte „im äußersten Fall sogar über das Leben der Untertanen verfügen“ (Vgl. ebd.: S. 79)[3], während nach der berühmten Formel von Foucault die Biomacht des modernen Staates dadurch gekennzeichnet ist, dass sie „leben macht und sterben lässt“ (Vgl. Groys: 2005, S. 8): „Im Gegensatz zur Souveränitätsmacht, die sterben macht oder leben lässt, lässt die neue Macht sterben und macht leben“ (Lemke: 2007, S. 80; Vgl. Foucault: 1999, S. 277). Dieses alte politische Recht des Souveräns wurde also im 19. Jahrhundert durch ein neues Recht transformiert und implementiert, welches sich in es eindringend installierte: „das Recht, leben zu machen und sterben zu lassen“ (Foucault: 1999, S. 278).

Neben der einen „politischen Technologie des Lebens“, namentlich der „Disziplinierung des Individualkörpers“[4] und dessen Platzierung und Verteilung im Raum (Vgl. Foucault: 1999, S. 279)[5] etablierte sich eine zweite Machttechnologie im 18. Jahrhundert, die sich auf die „Regulierung der Bevölkerung“ richtete (Vgl. Lemke: 2007, S. 80): „Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts blieben diese Pole getrennt; dann schlossen sie sich zusammen, um Machttechnologien zu bilden, die noch unsere gegenwärtige Situation kennzeichnen“ (Vgl. Dreyfus/Rabinow: 1993, S. 164). Der kollektive Begriff der Bevölkerung ist bei zuletzt genannter Machttechnologie dabei per definitionem eine biologische Masse von Körpern, die durch den Einsatz von Biomächten reguliert und kontrolliert wird: „Denn das allgemeine Profil der Biomacht ist das einer Macht, welche die Kräfte hervorbringen, wachsen lassen und ordnen soll, einer positiven Macht, die sich des Lebens annimmt, um es zu lenken, zu steigern, zu vervielfältigen, es Kontrollen zu unterziehen und Gesamtregulationen zuzuführen“ (Bertani: 2003, S. 240). Plötzlich begannen die Theoretiker sich Sorgen um die menschliche Spezies im Rahmen der Degenerationsthese zu machen, welche später noch ausführlich erläutert werden wird. Wenn die „Sorge um sich selbst“ bedeutet, „sich selbst zu erkennen“ (Vgl. Foucault: 2005, S. 976), dann ist die Sorge um die ganze menschliche Spezies, Bevölkerung oder Gattung ein Erkennen einer ganzen Gesellschaft: „… kurz gesagt geht es also darum, das Leben und die biologischen Prozesse der Menschengattung zu erfassen und nicht deren Disziplinierung, sondern deren Regulierung sicherzustellen“ (Foucault: 1999, S. 285).

In der Hauptsache kam es also jetzt nicht mehr auf den Einzelmenschen und seine Selbsterkenntnisse durch Selbsttechnologien an, sondern es geht um die rationale Sammlung, Eruierung, Erhebung und Reflektion von Erkenntnissen über die Bevölkerung eines Landes. Diese neue Machtpraktik, die sich zunächst neben der Disziplinarmacht etablierte und diese auch modifizierend und ergänzend und nicht unterdrückend beeinflusste richtete ihr Augenmerk auf das Leben und die Lebensbedingungen der Gattungsmenschen einer Gesellschaft, Nation oder eines Volkes: Die neue Technologie „richtet sich an die Vielfalt der Menschen“ (…) die „eine globale Masse bilden, die von dem Leben eigenen Gesamtprozessen geprägt sind wie Prozessen der Geburt, des Todes, der Produktion, Krankheit usw.“ (ebd.: S. 280). Im Unterschied zur Disziplinarmacht, welche die Menschenvielfalt zu regieren, zu überwachen, zu dressieren, zu nutzen und gegebenenfalls zu bestrafen suchte und individualisierend auf die Körper zugriff, vollzog sich die Geburt der Biopolitik massenkonstituierend und war durch eine Fürsorglichkeit für die Bevölkerung geprägt (Vgl. ebd.)[6]: „Die Einschließung des Lebens in die Mechanismen der Macht, die Regierung der Gattung und der Individuen als lebender Körper, die Sorge um das Problem der Gesundheit, die Wahrung und der Schutz des biologischen Lebens der Nation: Alle diese Prozesse charakterisieren das Einsetzen der Biopolitik“ (Bertani: 2003, S. 241).[7] Da sich die Macht nun auf ganze Bevölkerungen konzentrierte, entsprach diese eines „neuen Typs politischer Rationalität“ (Dreyfus/Rabinow: 1993, S. 168).[8] Der Zweck dieser Biomacht war nun also die Sicherung, Erhaltung und das Überleben der menschlichen Gattung durch die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung (Vgl. Groys: 2005, S. 8), der „Pflege des Lebens“ und „Wachstum und Wohlergehen der Bevölkerungen“ (Vgl. Dreyfus/Rabinow: 1993, S. 163): „Die Biomacht entdeckt die Bevölkerungspolitik, die sozialhygienische Gattungsverbesserung, die genetische Qualität des Einzelnen und der Art. Sie erfindet den biologischen Mehrwert“ (Gehring: 2006, S. 10).[9] Um die identische Zeit herum (ab ca. Mitte des 18 bis ins 19 Jahrhundert) und während dieser Prozesse ereignete sich ein gewisser Fortschritt und machtvolle Aufstieg der wissenschaftlich fundierten Medizin, aus der sozialhygienische, bio- und sozialmedizinische Programme zur Kontrollierung und Medikalisierung der Bevölkerungskörper abgeleitet und gebildet wurden (Vgl. Bertani: 2003, S. 244-248 und S. 257). So erscheint die Geburt der Biopolitik zunächst als ein, das menschliche Leben unterstützendes Unterfangen und als solches in einem moralisch guten Licht. Mit der Hervorbringung und Etablierung der Eugenik und den damit verbundenen Praktiken sollte sich aber die Biopolitik, wie wir noch erfahren werden, moralisch auf Glatteis begeben und stark wandeln. Während nun also jene Selbstpraktik des Tagebuchschreibens im Rahmen der Sorge um sich selbst wichtig war für die Selbsterkenntnis und Selbsterfahrung (Vgl. Foucault: 2005, S. 978), begannen verschiedene Institutionen quasi Tagebuch über die gesamte Gesellschaft und deren Merkmale zu führen. Diese Gedanken lassen sich auch noch weiter spinnen: Wenn die Selbsterkenntnisse des einzelnen Selbstes „die Bedingung der Möglichkeit einer Reinigung der Seele“ (ebd.: S. 990) sind, so könnte und war die Erkenntnis über bestimmte Bevölkerungen resp. Menschenrassen durch die positive und negative Eugenik[10], verbunden mit der Rassentheorie, die Reinigung des Volkskörpers bzw. der Volksseele aus der Sicht der Nationalsozialisten im dritten Reich.

Doch diese Aussage ist ein Vorgriff und deshalb kehren wir nochmal zurück ins 17. und 18. Jahrhundert, um die vorangegangene Argumentation fort zu führen: Der politische Staat bemerkte also, dass die biologische Masse von Menschenkörpern ein Eigenleben besitzt, welches durch statistische Forschungen ans Tageslicht geholt werden kann. Statistisch und mathematisch, durch die Archivierung von Krankenakten, biomedizinischen Daten und durch medizinsoziologische Sozialforschung lassen und ließen sich die exemplarischen und folgenden Attribute einer Bevölkerung errechnen: „Geburten- und Sterblichkeitsrate, Gesundheitsniveau, Lebensdauer der Individuen“ (Lemke: 2007, S. 81) und „Ernährungszustand, Arbeitskraft, Fruchtbarkeit“ (Gehring: 2006, S. 11). Zum Punkt der Fruchtbarkeit gehört auch die neuartige und intensive Thematisierung der Sexualität und der sexuellen Lust im 19. Jahrhundert: „Biomacht und Sexualität, Biomacht und Fortpflanzungspolitik, aber auch Biomacht und Leben überhaupt gehören für Foucault zusammen“ (ebd.: S. 12) und „Sexualität und die ihr verliehene Bedeutung wurde zum entscheidenden Medium, durch das sich die Bio-Macht verbreitete“ (Dreyfus/Rabinow: 1993, S. 170; siehe dazu auch: Bertani: 2003, S. 255).[11]

Möglich wurden diese bevölkerungstechnischen und rationalisierten Berechnungen mit wahrscheinlichkeitstheoretischen Mitteln und die Erstellung von umfangreichen Untersuchungen über diese genannten und der Bevölkerung inhärenten Phänomene erst durch die im 19. Jahrhundert entstandene „Lebenswissenschaft Biologie mit den ebenfalls in dieser Zeit sich formierenden Sozialwissenschaften. Wir leben daher heute beispielsweise in einer Wirklichkeit der Statistik und der Population“ (Gehring: 2006, S. 15).[12] Denn nur so ist Bevölkerungsregierung effektiv und effizient möglich: „Die Regierung, insbesondere der Verwaltungsapparat, brauchte zum wirksamen Operieren ein Wissen, das konkret, spezifisch und meßbar war“ (Dreyfus/Rabinow: 1993, S. 167). Eben dieses Wissen setzte und es setzt sich noch immer aus den oben genannten und errechneten Durchschnittswerten zusammen. Es war die Polizei, welche die Techniken der Biomacht verbinden und verwalten sollte, „um so die Kontrolle des Staates über seine Einwohner zu steigern“ (ebd.: S. 169).[13] Interessanterweise verband sich hier die Sozialkontrolle der Menschen mit dem gleichzeitigen Ziel des Wohlergehens- und Befindens der Bevölkerung. Denn die Biopolitik und Biomacht, die anfangs noch ohne Disziplinar- und Kontrolltechniken ausgekommen ist, wandelte sich im Laufe der Geschichte und wuchs mit der Disziplinarmacht immer mehr zusammen: Und so gibt es heutzutage kontrollierende und regulierende Biopolitik, die sich z.B. zeigt in den erst kürzlich von der Regierung beschlossenen und gesetzlichen Maßnahmen des Rauchverbots[14], deren Zweck es ist, die Nichtraucher gesundheitlich zu schützen, indem man die Raucher aus bestimmten öffentlichen Räumen und Orten exkludiert und gegebenenfalls (so in der Gastronomie oder an Bahnhöfen) in eigens geschaffene Raucherareale verfrachtet und verbannt.

Durch den Aufstieg und die Etablierung der disziplinären und regulierenden Biomächte wurde die alte Souveränitätsmacht verdrängt, abgeschwächt und so langsam ad acta gelegt (Vgl. Foucault: 1999, S. 294).[15] So verlor das Recht auf Tötung der Untertanen durch den Souverän an Macht und Einfluss. Jedoch gab es eine starke, aber keineswegs neue biomächtige und politische Technologie zur Tötung von Individuen einer oder mehrerer, bestimmter Populationen und Bevölkerungsgruppen: „Mit dem Aufkommen der Bio-Macht zieht der Rassismus in die Mechanismen des Staates ein“ (ebd.: S. 295).[16] Die Biomächte und ihre Ergebnisse über die Bevölkerung führten teilweise zu einer Art Protonormalisierungsgesellschaft, der dann im Hitlerismus radikal gipfelte (Vgl. Link: 2006, S. 318; Foucault: 1999, S. 300; Stingelin: 2003, S. 24). Das „beste Menschentum“ sollte durch Homogenisierung erhalten bleiben und durch die Eugenik gezüchtet werden, während „der schlechteste Menschenauswurf“, also die niederen Rassen und ihre Anormalität ausgemerzt werden sollte: „Die Ausmerzung des unteren Extrems folgte aus einer extremen Denormalisierungsangst, in der die >>jüdische<< Antielite als Blutvergiftung phantasiert war“ (Link: 2006, S. 319). Der Rassismus fungierte so als ein Mittel dazu „eine Zäsur einzuführen: die Zäsur zwischen dem, was leben, und dem, was sterben muß“ (Foucault: 1999, S. 295). Diese Zäsur entsprang aus dem Glauben, das „der Tod der bösen Rasse, der niederen (oder degenerierten oder anormalen) Rasse“ (ebd.: S. 296) das Leben im Allgemeinen wieder gesünder und reiner machen müsste. Überall dort, wo die Biomächte sich entwickelt und etabliert haben ist der Rassismus die notwendige Bedingung für die Akzeptanz und Legitimation des Rechts auf Tötung von jemandem oder von anderen, die als „biologische Gefahren“ angesehen wurden[17]: „Wenn die Normalisierungsmacht das alte souveräne Recht zu töten ausüben möchte, muß sie sich des Rassismus bedienen“ (ebd.: S. 297). Der Rassismus konnte sich dabei, wie wir später expliziter sehen werden, mit der Evolutionstheorie, der Degenerationsthese, der Degenerations- und Denormalisierungsangst (die innerhalb der breiten Masse der Bevölkerung durch Propaganda geschürt wurde), der Eugenik und der Normalisierungs- und Biomacht zur hauptsächlichen Ideologie des Nationalsozialismus entwickeln und mit diesen Argumenten und Hilfen die „angebliche Notwendigkeit“ des Völkermordes und des Weltkrieges legitimieren (Vgl. ebd.: S. 298). Das bedeutet im Klartext, dass die Biomacht einerseits das Leben der eigenen Population versuchte zu schützen und fürsorglich zu fördern, während andererseits der aufkommende Kriegsrassismus die Angst vor der „gegnerischen Rasse“, also der biologischen Gefahr für die eigene Rasse, schürt und deren Zerstörung durch Tötung anordnet und damit gleichzeitig das Risiko eingeht, die „eigene völkische Rasse“ möglicherweise durch den geführten Krieg, der potenziell wie man wusste verloren werden kann, in den Abgrund des Todes zu führen und der Todesgefahr auszuliefern.[18] Somit wird der biomächtige Staat zu einer Souveränitätsmacht in dem Sinne, dass er die juristisch und staatlich verankerte und legitimierte Eliminierung von „Fremdrassen“ und die „Rassenreinigung“ ausübt.[19] Dieser Rassismus war neu in der Geschichte. Der alte Rassismus beschränkte sich auf Hass und Verachtung, doch der neue und erweiterte wurde erst möglich durch bestimmte Biomächte und Biopolitiken, denen es um Rassenhygiene, Rassenerhaltung, Rassenausbreitung (Lebensraumerweiterung und das Ziel der Universalisierung der Rasse), biologische Rassenstärkung und rassistischen Ethnozentrismus ging. Neben dem Begriffskonzept der Biomacht (die von Foucault anscheinend auch manchmal Normalisierungsmacht und Regulierungsmacht genannt wurde) taucht bei Foucault auch der Begriff der Biopolitik auf. Dieser kann davon unterschieden werden und auch der Begriff Bioethik bedeutet streng genommen nicht gleich Biopolitik. Während Biomacht die Kennzeichnungen der Abstraktion und gewissermaßen der gesellschaftlichen Transzendenz auszeichnen, ist die Biopolitik handlungspragmatischer, gesellschaftlich immanenter und konkreter (Vgl. Hardt/Negri: 2004, S. 113 und Gehring: 2006, S. 14-15). Der Begriff der Bioethik steht hingegen für eine, aufgerundet 40 Jahre junge, institutionalisierte, „überlebenswissenschaftliche“ und problematisierende „Interdisziplin“ (Vgl. Engels: 1999, S. 11), die normalerweise versucht und von der erwartet wird, das „sie für unser Handeln allgemeinverbindliche Normen oder Richtlinien auf der Grundlage gemeinsamer Werte anzugeben vermag und in diesem Sinne als Orientierung dienen kann“ (ebd. S. 10).

Tatsächlich aber befinden sich die bereichsspezifischen Bioethiken ständig in schwierigen und kontroversen Disputen, Debatten und Diskussionen über die richtigen Normen hinsichtlich des Verhaltens im Umgang mit der Tierwelt, der Gen- und Biotechnologie, Humangenetik oder der ökologischen Umweltethiken. Und weil gerade bei neuen technischen Entwicklungen meistens ein neuer Regelungsbedarf entsteht (Vgl. Habermas: 2005, S. 47), sollte der bioethische Diskurs die menschliche Natur moralisieren und gegebenenfalls das, was durch die technischen Naturwissenschaften möglich und verfügbar gemacht wurde, durch normative Regelungen und Kontrollierungen entweder begrenzen oder unverfügbar machen (Vgl. ebd. S. 46). Die Meinungsverschiedenheiten und die relative Uneinheitlichkeit der Bioethiken[20] entstanden u.a. aus der Pluralität der Weltanschauungen, Naturtheorien und Menschenbilder[21] und der „ Heterogenität der Lebenswelt “ (Engels: 1999, S. 12). Wie schwierig, kompliziert und komplex die Probleme im bioethischen Diskurs sind, werden wir in den folgenden Kapiteln erörtern und bemerken.

3. Ein historischer Abriss eugenischer Utopien

Was bedeutet überhaupt Eugenik als Menschenzüchtung?[22] Der Züchtungsbegriff impliziert für viele, durch vor allem die historischen Ereignisse in Nazideutschland, eine negative Konnotation.[23] Die moderne Vorstellung von Zucht und Züchten, begriffen als tiefes, genetisch merkmalsveränderndes, künstlich präparierendes und prädestinierendes, die natürlichen An- und Veranlagungen verbesserndes und so intervenierendes Eingreifen in die Zufälligkeit und Naturwüchsigkeit der menschlichen Reproduktion, um diese quasikybernetisch zu steuern und zu lenken, gab es nicht immer in der Form, Art und Weise und reicht doch historisch weit zurück (Vgl. Gehring: 2006, S. 173-174). Das Züchten lässt sich tatsächlich begreifen als eine manipulatorische und willkürliche Kunst, die eine Macht ist „und in einem nicht nur metaphorischen Sinne Schöpfung und Gestaltung des Lebendigen“ (Gehring: 2006, S. 155) darbietet. Die alte Idee der Menschenzüchtung entstand dabei schon in der Antike (Vgl. Bayertz et. al.: 1992, S. 15). Platon und Sokrates entwarfen im Rahmen der Konstruktion ihres idealen Staates Politeia „ein Verfahren der institutionalisierten Zuchtwahl für die Fortpflanzung“ (Gehring: 2006, S. 155) um eine edle und tugendhafte Menschenherde der „Trefflichsten“ zu züchten. Diese „Protoeugenik“ sah dementsprechend vor, alle andersartigen und verstümmelten, behinderten, deformierten oder lasterhaften Sprösslinge an einen unzugänglichen Ort zu bringen und dort zu verbergen (ebd.: S. 155).

Diese biopolitische Idee ist nur eine „in einem umfangreichen Reservoir von mythischen Sagen und Utopien der Menschenzüchtung“ (Weingart: 2002, S. 2).[24] Solche eugenischen Menschenzüchtungsideen sind beispielsweise historisch zu finden bei den Spartanern, welche „die öffentliche Aufzucht der Kinder und die Tötung schwacher und missgebildeter Nachkommen wohl tatsächlich praktiziert“ (Gehring: 2006, S. 156) haben und so massive Selektionen durchführten, um die stärksten und fittesten Krieger filtern und formen zu können. In der Romanschriftstellerei der Literaturgattung „Utopien“ sind weitere bekannte und teilweise verschiedene Eugeniken in Thomas Morus „Utopia“ (1516), Tommaso Campanellas „Sonnenstaat“ (1602) (Vgl. Bayertz et. al.: 1992, S. 29) und Francis Bacons „Nova Atlantis“ (1627) (Vgl. Gehring: 2006, S. 158) auffindbar, nachlesbar und vorhanden.[25] Allerdings unterscheiden sich ältere Praktiken der eugenischen Menschenzüchtungen von der modernen Menschenzüchtung, die im Zeitalter der Biomacht zu einer Biotechnologie des Eingriffs in die Erbsubstanzen geworden ist. Ältere Utopien der züchterischen Interventionen wohnte eine andere Logik inne. Es ging nicht um merkmalsverändernde Eingriffe in die Gene, sondern um Menschenzüchtung durch sowohl moralische und sittliche Verhaltenslenkung als auch „die Steuerung der Partnerwahl und der Zeugung als Mittel zur Verbesserung des Kollektivs“ (ebd.: S. 174-175). Außerdem wollte man früher eher eine Elite züchten, während die modernere Eugenik ihr Augenmerk der Idee nach aufs Bevölkerungsganze gelegt hatte (Vgl. ebd.: S. 163). Zweck all dieser biopolitischen Operationen der Eugeniken ist die Idee der Schaffung des perfekte(re)n, begabt(er)en und vervollkommnet(er)en Menschen aus reinlichem Erbgut, der dann optimal funktionieren sollte.[26]

Die utopische Idee der Eugenik wurde erst durch Darwins Theorie bestätigt, bekräftigt, ermöglicht und „plötzlich zu einer wissenschaftlich begründeten Handlungsperspektive“ (Bayertz et. al.: 1992, S. 30). Vorher erfuhr die Eugenik durch den „Aufklärungshumanismus“ einen herben Rückschlag, denn dieser verwarf wegen der instrumentalisierenden und selektierenden Logik sowie der angewandten barbarischen Mittel, mit den Werten der Menschlichkeit, der Freiheit und der Gleichbehandlung als Begründung „sowohl die Idee der Menschenherstellung als auch die physisch motivierte Auswahlentscheidung in Bezug auf den Menschen“ (Gehring: 2006, S. 160). Doch nun kam die Eugenik als Wissenschaft vom guten Erbe daher (Vgl. Bayertz et. al.: S. 16) und war als solche eine anwendbare, notwendig wertbezogene und eminent politisierte Unternehmung (Vgl. ebd.: S. 20): Die Eugenik wollte die Gesellschaft neu gestalten, verändern und sie zum Labor machen. Zur Zeit des Nationalsozialismus nannte man die „negative Eugenik“ auch Rassenhygiene.[27] Die Wertsetzung dieser „Wissenschaft“ belief sich auf die Erhaltung der rassischen Reinheit des Genpools einer Bevölkerung, ihrer Schönheit, einer höheren und besseren Intelligenz und einer gesunden körperlichen Konstitution. Neben der Erhaltung der rassischen Reinheit der Deutschen, die man annahm, wollte man gleichzeitig auch die Genome verbessern und damit zur Verbesserung des Phänotyps der Menschen beitragen. Heutzutage ist die Eugenik nicht ad acta gelegt, sondern die moderne Humangenetik gibt Anlass zu eugenischen Schlussfolgerungen. Nach der Zeit des Nationalsozialismus, in der die Eugenik florierend fungierte, wurde sie in unseren Breitengraden stark diszipliniert. Neben der Eugenik als Wissenschaft ist und war sie auch immer Vision und Utopie: „Als Gedanke scheint Züchtung nicht nur von Pflanzen und Tieren, sondern als regelrechte Züchtungspolitik von Menschen immer schon vorhanden – oder jedenfalls seit Platon“ (Gehring: 2006, S. 154).

[...]


[1] Diese Historie der zahlreichen und verschiedenen Machtformen,- Techniken,- und Praktiken untersuchte Michel Foucault in seinen Werken, auf die wir später noch detaillierter eingehen werden.

[2] Foucault behauptete, dass Macht tolerierbar und annehmbar wird, wenn sie sich (z.B. über Diskurse) maskiert und tarnt (Vgl. Dreyfus/Rabinow: 1993, S. 160).

[3] Siehe dazu auch: „Daß der Souverän das Recht über Leben und Tod innehat, bedeutet im Grunde, daß er sterben machen und leben lassen kann“ (Foucault: 1999, S. 277) und d.h. das der Souverän das Recht hat zu töten und dadurch übt er Macht über das Leben aus (ebd.): „Es ist das Recht, sterben zu machen oder leben zu lassen“ (ebd.: S. 278).

[4] Diese Disziplinarmacht entstand im Zuge und Aufkommen des ökonomischen Kapitalismus: Foucault behauptet, „daß es die Disziplinartechnologien waren, die dem Wachstum, der Ausbreitung und dem Triumph des Kapitalismus als ökonomischem Unternehmen zugrunde lagen. Ohne die Einfügung disziplinierter, ordentlicher Individuen in die Produktionsmaschinerie wäre den neuen Anforderungen des Kapitalismus nicht zu genügen gewesen“ (Dreyfus/Rabinow: 1993, S. 165).

[5] Diese Platzierung und Disziplinierung der einzelnen Körper geschieht beispielsweise in vielen Institutionen: In der Schule, in den Krankenhäusern, der Armee, an den Arbeitsplätzen, Universitäten, Behörden und in den so genannten „totalen Institutionen“ Gefängnis und Psychiatrie (Vgl. Lemke: 2007, S. 80; auch: Dreyfus/Rabinow: 1993, S. 164).

[6] Diese staatliche Fürsorglichkeit gipfelte dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Geburt des Wohlfahrts- und Sozialstaates, um die weit verbreitete Verelendung durch Verstädterung und Industrialisierung innerhalb der Bevölkerung zu stoppen und ihr entgegen zu wirken (Siehe dazu: Wohlfahrtsstaat. In: Bonvin, Jean-Michel et. al. (2003): Wörterbuch der Sozialpolitik. Rotpunktverlag, Zürich.). Vorher begann die Biopolitik die Krankheiten der Bevölkerungen zu erforschen, was zu einer Installation und Institutionalisierung einer immer größer werdenden medizinischen Praxis führte. Dabei wurden nicht unbedingt die Epidemien, die unweigerlich zum Tod führten erforscht, sondern die „Volkskrankheiten“, die den Körpern Energien und Kräfte entziehen (Vgl. Foucault: 1999, S. 281-282).

[7] In gewisser Weise schien die Gesundheit das religiöse Heilsstreben zu ersetzen und abzulösen (Vgl. Bertani: 2003, S. 244).

[8] Die Logik war diese: Man dachte, das die Staatsmacht nur gestärkt werden kann, wenn das Leben, die Lebensbedingungen, die Kräfte und die Stärke der Individuen gefördert, entwickelt und verbessert werden (Vgl. Bertani: 2003, S. 245).

[9] Im Unterschied dazu ging es der oben erwähnten Disziplinarmacht um die einzelnen Körper, deren Effizienz durch „die Steigerung der Fähigkeiten und Kräfte“ (Lemke: 2007, S. 80) erhöht werden sollte. Beide Machtformen, sowohl die Kontroll- und Disziplinarmacht, als auch die Regulierungsmacht zusammen genommen, bewirken und ermöglichen „es, ökonomisch produktive, militärisch nützliche und politisch gehorsame Körper zu schaffen“ (ebd.: S. 81). Regulierungsmacht nennt Foucault diese Biomacht deshalb, da diese beispielsweise versuchte biologische Prozesse innerhalb einer Bevölkerung, welche eigentlich von Natur aus zufällig ablaufen und von Zufällen und damit von Chaos und eventuellen Unvorhersehbarkeiten geprägt sind zu kontrollieren und „ordnungsgemäß“ zu steuern (Vgl. Foucault: 1999, S. 300, auch S. 303). Beispielsweise sollte die Natalität angehoben oder gesenkt werden, die Mortalitätsrate sollte gesenkt und das Leben verlängert oder verkürzt werden oder die „Darwinsche Fitness“, die biologisch bedingte Tüchtigkeit und Tauglichkeit der Individuen (Vgl. Bayertz et. al.: 1992, S. 117), sei diese bezogen auf Reproduktion und Fruchtbarkeit oder auf ökonomische Produktivität und Nützlichkeit, militärischen Gehorsam oder Gesundheit (um das vermehrte Vorkommen von Behinderten, Kranken, Schwachen, psychisch Gestörten und auch Kriminellen und Gefängnisinsassen zu senken, weil diese den Staat unheimlich viel Geld kosten) exorbitant gesteigert werden.

[10] Die so genannte „negative Eugenik“ meint im Grunde genommen die Züchtung einer Elite dadurch, dass das schlechte, erbkranke, suboptimale, minderwertige und als ineffizient angesehene Erbgut ausgelöscht, ausgerottet und ausradiert werden sollte. Eine negativ eugenische Maßnahme war somit beispielsweise der Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen von der Fortpflanzung und Reproduktion durch Sterilisation, Vernichtung oder Isolation. Menschen mit unerwünschten Eigenschaften aller Art (Verhaltens-, Körper-, Charakter-, oder Intelligenzeigenschaften) sollten sich nicht mehr fortpflanzen dürfen, während die „positive Eugenik“ sich mit der Förderung der Reproduktion der Besten, Tüchtigsten, Tauglichsten, Trefflichsten, Tugendhaftesten, Begabtesten und leistungsfähigsten Individuen beschäftigte (Vgl. Schwank: 1996, S. 463-464).

[11] Für Ärzte, Reformer und Sozialwissenschaftler galt damals die Sexualität „als Schlüssel zur individuellen Gesundheit, Pathologie und Identität“ (Dreyfus/Rabinow: 1993, S. 199). Der aufsteigende und sich ausbreitende Diskurs über die Sexualität (z.B. die schichtübergreifende, wissenschaftliche Klassifikation von Sexualpraktiken und Sexualaktivitäten (ebd. S. 200) oder die medizinische Erfassung von Genitalkrankheiten und sexuell übertragbaren Krankheiten und deren Verbreitung innerhalb der Bevölkerung), insbesondere im 19. Jahrhundert, war so ein Instrument der ebenfalls expandierenden Biomacht. Foucault identifizierte in den zahlreichen, aber vor allem medizinischen Diskursen über Sexualität (ebd. S. 201) vier große strategische Einheiten aus Wissen und Macht: Die Hysterisierung der weiblichen Körper, die Pädagogisierung der Kindersexualität und der Masturbation im Kindesalter, die Vergesellschaftung und Überwachung des Fortpflanzungsverhaltens und der Sexualität und die Psychiatrisierung der perversen Lüste (ebd. S. 202-204).

[12] Anmerkung: „Eine wichtige Leistung der Statistik ist die auf die Zukunft anwendbare Wahrscheinlichkeitsaussage: die Realität der statistischen Prognose “ (Gehring: 2006, S. 26). Seitdem es die Statistik und die Berechnung eines Durchschnitts innerhalb von Populationen gibt, ist es möglich geworden so genannte Normalitäten und Abweichungen zu definieren (Siehe hierzu: Link, Jürgen (1998): Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Vandenhoeck & Ruprecht). Zur Genealogie der Statistik vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, die als Instrument der Biomacht im Umgang mit einer Population unverzichtbar war, siehe insbesondere: Pircher, Wolfgang (2003): Von der Population zum Volk. Biopolitik und Volkszählung in Österreich. In: Stingelin, Martin (2003) (Hrsg.): Biopolitik und Rassismus. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main.

[13] Die Polizei war damals zu einer Technik geworden, die sich mit der Bewachung von allem Lebendigen und dessen Glückseligkeit beschäftigte, „um die Steigerung und Stärkung des Lebens zu erreichen, das, so Foucault, der wahre Gegenstand der Polizei ist“ (Bertani: 2003, S. 238-239). Es ging ihr um das Leben der Bevölkerung und um gegebenenfalls Interventionen in dem, was sich zwischenmenschlich abspielt und sich um folgende Thematiken handelte: „Territorium, Produktions- und Tauschbeziehungen, Typen von Tätigkeiten. Und schließlich die Gesundheit“ (…) und „das Wohlergehen sowohl der einzelnen Körper wie des ganzen sozialen Körpers“ (ebd.).

[14] Es existiert eine ganze Historie der poe a poe voranschreitenden Rauchverbote und der Gesetze zum Nichtraucherschutz, die fast allesamt im neuen Jahrtausend verabschiedet worden sind. Jedoch variieren diese Gesetze je nach Bundesland sehr stark. Je nach Bundesland gibt es so Rauchverbote in Gaststätten, Diskotheken, Krankenhäusern, Behörden, Pflegeeinrichtungen, Schulen, Kindereinrichtungen, Hochschulen, bestimmten Kultureinrichtungen, Sportstätten, Flughäfen, Bahnhöfen, Kaufhäusern und Einkaufsläden und in Hotels (Siehe dazu: Gesetzesbeschluss des Landtags von Baden-Württemberg: Landesnichtraucherschutzgesetz vom 25.07.2007).

[15] Wohlgemerkt: Wenn der Staat jedoch die Fähigkeit zur Förderung, Regierung und Regulierung des Lebens ausübte, dann hatte er auch potenziell die Möglichkeit, bei Bedarf die Bevölkerung auch thanatopolitisch massakrieren zu können (Vgl. Bertani: 2003, S. 239).

[16] Dabei ist Foucault der Ansicht, dass es diesen biosozialen Staatsrassismus nicht nur im Nationalsozialismus gab, sondern dass sich rassistische Elemente und Komponenten auch im Sozialismus, Anarchismus und Kapitalismus finden lassen (Vgl. Foucault: 1999, S. 302-303).

[17] Es wurden jedoch nicht ausschließlich „fremdrassige biologische Gefahren“ getötet, sondern es konnten auch die Individuen der eigenen Rasse mit Recht getötet werden, so z.B. der Nachbar, der neben einem wohnte, beispielsweise wenn er durch denunziatorische und politisch subversive Haltungen auffiel und als Vaterlandsverräter, Fahnenflüchtiger, als „Bolschewist“ in den Augen der Nazigefolgsleute galt oder homosexuell war. So war das Recht auf Tötung und Zerstörung der „souveränen Biomacht“ quasi im Nazismus verkörpert und verallgemeinert worden (Vgl. Foucault: 1999, S. 300-301).

[18] Die Sterbebereitschaft und das Risiko möglicherweise sterben zu können, für ein höheres politisches Ziel, für Volk und Rasse, das war ein Grundprinzip und eine Pflicht in der Nazigesellschaft und wurde durch den Schwur des Eides auf den Führer geleistet, denn gerade diese Risikobereitschaft galt als ein Merkmal der höheren und überlegeneren Rasse: „Das geht bis zu dem Punkt, an dem die gesamte Bevölkerung dem Tod ausgeliefert wird“ (ebd.: S. 301), was Hitler 1945, dem Jahr des Untergangs des selbstmörderischen dritten Reiches und kurz vor Kriegsende quasi durch eine „Politik der verbrannten Erde“ befahl (Vgl. ebd.: S. 302).

[19] Durch die Einteilung, Abgrenzung und Hierarchisierung in gute Rassen, die „schlank und rank“ (…) „flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“ (Hitler: 1935, S. 183) sind und sein sollten und schlechte Rassen, welche angeblich „zum Sammelbecken von Dysfunktionen, Infektionen, Ansteckungen und Gefahren für den Gesellschaftskörper geworden“ (Bertani: 2003, S. 256) sind und deshalb dem Tod geweiht wurden, um den organischen Volks,- Gesellschafts,- und Bevölkerungskörper rassisch zu homogenisieren und rassenhygienisch zu reinigen (Vgl. ebd. S. 256-257).

[20] Innerhalb des bioethischen Diskurses haben sich schon gewisse und „bestimmte Positionen als unhaltbar und konsensunfähig herauskristallisiert“ (Engels: 1999, S. 13) und von daher gibt es auch rationale Beurteilungs- und Bewertungsmaßstäbe für bioethische Normen.

[21] Heute verläuft der Kampf der Menschenbilder zwischen den naturalistischen Futuristen, die auf eine technische Selbstoptimierung der Gattung setzen und einer Anthropologie, die auf der Grundlage eines schwächeren und milderen Naturalismus den Einsichten des Neodarwinismus Rechnung trägt (Vgl. Habermas: 2002, S. 33).

[22] Von Menschenzüchtung wollen und können wir hier kontextuell in Bezug zu den neuen Biotechnologien sprechen: „Embryonenforschung und PID erregen die Gemüter vor allem deshalb, weil sie eine Gefahr exemplifizieren, die sich mit der Perspektive der >>Menschenzüchtung<< verbindet“ (Habermas: 2005, S. 122).

[23] Dabei muss darauf hingewiesen werden, das es auch immer interessierte und unterstützende Rezeptionen eugenischer Ideen auch im politisch liberalen Lager und innerhalb der politischen Linken und überall dort, wo der Sozialismus herrschte, gab (Vgl. Bayertz et. al.: 1992, S. 105): „Der zentrale Anknüpfungspunkt zwischen Eugenik und Sozialismus war das Degenerationsproblem“ (ebd.: S. 108).

[24] Denn die Geschichte der Eugenik und der Genetik ist voll von „Utopien vom besseren Menschen und einer besseren Welt, von sozialem Fortschritt durch biologische Eingriffe in die Gesellschaft“ (Schwank: 1996, S. 478).

[25] Diese drei Utopien haben eines gemeinsam: „Bei Morus, Campanella und Bacon ist die Ehe der einzige legitime Ort der Kinderzeugung und in ihren Voraussetzungen rigide geregelt“ (Gehring: 2006, S. 157).

[26] Weitere, andere und historisch ergänzende biopolitische Utopien und Ideen waren und sind z.B.: Die Verjüngung des Körpers entgegen den Alterungsprozessen, die Bekämpfung und Eliminierung des Todes und die Verwirklichung des Traums der Unsterblichkeit (Immortalität ist potenziell möglich. Die Einzeller, die fortwährend ihre Zellen teilen sind im Prinzip immortal (Vgl. Hassel/Müller: 2005, S. 647-648), während bei Homo Sapiens als Vielzeller der biologische Tod durch Alterungsprozess anscheinend genetisch vorprogrammiert ist (ebd. S. 652-654) und evolutionsbiologisch Sinn macht, damit die dagewesenen Lebewesen ihren Nachkommen Platz machen und durch sexuelle Fortpflanzung laufend neue Genotypen hervorbringen können, die dann möglicherweise leistungsfähigere und angepasstere Lebewesen werden (Vgl. ebd. S. 655-656). Der Gedanke von der Unendlichkeit und Ewigkeit des Lebens bringt es auch mit sich, das der Mensch einen seiner ärgsten natürlichen Feinde besiegen und beherrschen könnte: Die Zeit. Weitere Bioutopien sind: die künstliche Widerauferstehung der Menschen nach ihrem Tod, die Abschaffung der geschlechtlichen Differenz, die ungeschlechtliche und rein künstliche Menschenproduktion (die In-Vitro-Fertilisation steht dem schon sehr nah – ganz aktuell träumt auch der frz. Intellektuelle und Schriftsteller Michel Houellebecq am Ende seines populären Romans „Elementarteilchen“ davon, die ungeschlechtliche Fortpflanzung und künstliche Menschenerschaffung voranzutreiben insoweit, das der neu produzierte Menschen seiner Vision nach keine Gefühle mehr hat – denn er sieht die Emotionen als verantwortlich für vieles menschliche Leiden an, welches so besiegt werden könnte), die Implantierung der Möglichkeit der Telekinese und Telepathie als menschliche Fähigkeit, die Möglichkeit des Beamens und der anarchistische Biokosmismus – der vorsieht den Himmelskörper als neuen Lebensraum zu erobern (Siehe zu den genannten Bioutopien insbesondere: Groys: 2005, S. 14-18 und Hagemeister: 2005, S. 19 ff.). Die Biokosmisten wollten weiterhin folgende biopolitische Ziele erreichen: 1. Die Überwindung der einzwängenden und beschränkenden Naturgesetze, 2. Die Herrschaft über Raum und Zeit, 3. Den Vorstoß in neue Dimensionen und 4. Den Kampf gegen den Tod (Vgl. Hagemeister: 2005, S. 28). Neuere biopolitische Vorstellungen sind die Idee der Cyborgs – also der Verbesserung der Menschen durch Chipimplantate und das Szenario der Verdrängung der menschlichen Spezies durch eine intelligentere KI, also einer künstlichen Robotergeneration (Vgl. Habermas: 2005, S. 75).

[27] Der Begründer der deutschen Eugenik war gewissermaßen der Rassenhygieniker Alfred Ploetz (1860-1940), der den Begriff Eugenik ummünzte in „Rassenhygiene“ (Vgl. Gehring: 2006, S. 163).

Ende der Leseprobe aus 60 Seiten

Details

Titel
Foucaults soziohistorische Theorie der Biomacht und die Eugenik
Hochschule
Universität Kassel  (Fachbereich 05 - Gesellschaftswissenschaften)
Veranstaltung
Michel Foucault, Peter Sloterdijk & Jürgen Habermas in Zusammenhang gebracht.
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
60
Katalognummer
V129068
ISBN (eBook)
9783640347810
ISBN (Buch)
9783640347476
Dateigröße
633 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Alles Wichtige (also die Struktur und der Aufbau der Bachelorarbeit) findet sich im Abstract, das eine stark gekürzte Fassung der Einleitung der Bachelorarbeit darstellt.
Schlagworte
Foucaults, Theorie, Biomacht, Eugenik
Arbeit zitieren
Konrad Kalisch (Autor:in), 2008, Foucaults soziohistorische Theorie der Biomacht und die Eugenik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129068

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