Der EU-Integrationsprozess zwischen 1947 und 1963

Eine Prozessanalyse mit Hilfe der politikwissenschaftlichen Integrationstheorien


Seminararbeit, 2008

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Integrationstheorien der Politikwissenschaft
2.1 Föderalismus
2.2 Funktionalismus und Neofunktionalismus
2.3 Intergouvernementalismus
2.4 Synkretismus

3 Der EU-Integrationsprozess zwischen ´47 & ´63
3.1 Das „European Recovery Program“
3.2 Die Londoner Sechsmächtekonferenz
3.3 Der Brüsseler Vertrag
3.4 Der Schuman-Plan und die Montanunion
3.5 Der Pleven-Plan und die EVG
3.6 Die Pariser Verträge
3.7 Die Römischen Verträge und die EFTA
3.8 Der Elysée-Vertrag

4 Analyse des Prozesses – eine Systematisierung

5 Quellen- und Literaturverzeichnis
5.1 Quellenverzeichnis
5.2 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die erste Phase des EU-Integrationsprozesses begann 1958[1] - liest man diese These im Aufsatz von Tsebelis und Garrett, so ergeben sich zwangsläufig einige Fragen, die sich nur beantworten lassen, wenn man der Argumentation anderer Autoren folgt. Diese setzen die erste Phase des Prozesses zwischen 1947 und 1957 an. Demnach sei mit dem Marshallplan das Fundament für den Prozess gelegt wurden.[2] Aus diesem Grund behandelt diese Arbeit die Jahre 1947 bis 1963 und deren Bedeutung für den EU-Integrationsprozess. Das Jahr 1963 als Endpunkt kann aus zweierlei Gründen gewählt werden. Zum einen lehnte der französische Staatschef Charles de Gaulle am 14. Januar 1963 den Beitrittswunsch Großbritanniens zur EWG ab und sorgte dafür, dass der Integrationsprozess nachhaltig ins Stocken geraten ist, zum anderen wurde am 22. Januar 1963 mit dem Elysée-Vertrag der wichtigste (symbolische) (P)Akt für die nachhaltige Integration Westeuropas geschlossen: Die deutsch-französische Freundschaft, welche natürlich auch Auswirkungen auf den Integrationsprozess hatte.

Ich werde zunächst versuchen, die Integrationstheorien der Internationalen Beziehungen zu charakterisieren, im Anschluss den europäischen Einigungsprozess zu kennzeichnen und zum Schluss aufzuzeigen, welche Integrationstheorie den EU- Integrationsprozess zwischen 1947 und 1963 „am Besten“ widerspiegelt. Dabei werde ich versuchen zu zeigen, dass man Claus Gierings These, der Funktionalismus charakterisiere die sektorale Integration zwischen 1947 und 1963 eindeutig am Treffendsten[3], zustimmen muss.

Diese Arbeit nimmt nicht für sich in Anspruch, die Integrationstheorien bis in kleinste Detail zu kennzeichnen bzw. jegliche Verhandlungsszenarien zu deuten und zu untersuchen. Es soll lediglich die Bedeutung des Marshallplans, der Sechsmächtekonferenz in London, des Brüsseler Vertrages, der Montanunion, der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, der Pariser und Römischen Verträge, sowie des Elysée-Vertrages kurz skizziert und die Rolle und Bedeutung für den EU- Integrationsprozess analysiert werden. Ferner soll versucht werden, nachzuweisen, warum der Funktionalismus die geeignete Theorie ist, um den Prozess genauer zu analysieren bzw. überhaupt nachvollziehen zu können.

Meine Untersuchungen stützen sich fast ausschließlich auf Sekundärliteratur. Die Primärliteratur stammt von Anthony Eden und von der NATO. Natürlich ist bei Primärliteratur eine besonnene Quellenkritik von Nöten. Anthony Eden wird natürlich keinesfalls die Politik der britischen Konservativen in irgendeiner Form im besonderen Maße anprangern und deren Glaubwürdigkeit gefährden. Außerdem hatte er nicht den nötigen zeitlichen und emotionalen Abstand zu den Geschehnissen, um eventuell seinen Standpunkt objektiv darzulegen. Deswegen sind seine Ausführungen und seine Motivsuche für die Entscheidungen der Briten stets vorsichtig zu behandeln. Am Beispiel der NATO-Dokumente lässt sich leicht erkennen, wie schnell sich die historische Wahrheit verschleiern lässt. Im Namen der USA wurde die Bundesrepublik Deutschland „eingeladen“, der NATO beizutreten. In den Dokumenten wird nicht ersichtlich, dass es nur der Initiative Großbritanniens zu verdanken ist, dass die Ratifizierung der Pariser Verträge und damit die Aufnahme der BRD in die NATO überhaupt erst realisierbar wurden.

Die vorliegende Hausarbeit ist eine hermeneutische Untersuchung. Ich wertete den Inhalt der im Quellen- und Literaturverzeichnis angegebenen Werke aus, interpretierte diesen und überprüfte anhand meiner vorgestellten zentralen Fragestellung die Grundannahmen der einzelnen Autoren.

2 Die Integrationstheorien der Politikwissenschaft

2.1 Föderalismus

Während des Zweiten Weltkrieges entstand in den europäischen Ländern, die gegen Nazi-Deutschland kämpften, eine europäisch-föderalistische Gesinnung, welche die Überwindung des Nationalstaates zur Grundlage hatte, um Kriegen die Grundlage zu entziehen. Altiero Spinelli (1907-1986), Führer der italienischen Widerstandsbewegung, gilt als Begründer dieser Integrationstheorie. Dabei sah er die USA im Bezug auf das Föderalismusprinzip als Modellfall für Europa.[4] Für Spinelli stand fest: „Zu beseitigen sind die Übel daher nur durch die Schaffung von Institutionen, die ein internationales Gesetz ausarbeiten und durchsetzen, das die Verfolgung von Zielen verhindert, die nur einer Nation Nutzen, den anderen aber Schaden bringen.“[5] Es sollte also eine föderale Verfassung ausgearbeitet werden. Nach Spinelli war es klar, dass bei Krisen die Schwächen der Nationalstaaten, die davor erfolgreich versteckt werden konnten, hervor treten würden. Diese könne man nur durch ein „vereinigtes“ Europa lösen.[6] Zusammengefasst bezeichnet die Theorie ein Prinzip der Organisation, bei dem die einzelnen Gliedstaaten über eine gewisse Souveränität verfügen, aber doch als eine Art Gesamtheit – unter anderem auch durch eine Verfassung – verbunden sind.[7]

Vorgeworfen wurde dieser Theorie immer, dass man zwar den Nationalstaat abschaffen, aber als Folge einen supranationalen Staat gründen wolle. Außerdem könne man die USA nicht als Vorbild nehmen, da hier die historischen Gegebenheiten anders aussehen würden: Die Vereinigten Staaten seien genau historisch verwachsen, wie die Identität der einzelnen Nationalstaaten in Europa.[8]

2.2 Funktionalismus und Neofunktionalismus

Wie der Föderalismus hat auch der Funktionalismus die Idee der Friedenssicherung und Steigerung von Wohlstand. Allerdings erfolgt die schrittweise Integration auf nicht-politischer Ebene, sondern ist auf Sektoren (Wirtschaft, Sicherheit etc.) beschränkt. Der Prozess der Interaktion von Staaten beginnt also in einem genau definierten Sektor und führe zu einer wachsenden Abhängigkeit zwischen den Beteiligten. Dies wiederum führe zur Gründung integrierter Systeme, welche erfolgsorientiert, also funktional sind. Eine große Bedeutung in diesem Zusammenhang kommt dem so genannten „Spill-Over-Effekt“ zu: Die Funktionalisten, wie David Mitrany oder Jean Monnet, gehen davon aus, dass sich die einzelnen Sektoren zu einem Kooperationsgeflecht entwickeln, also einen Übertragungseffekt haben. Kooperiere man beispielsweise im Sektor der Wirtschaft, so würde es nicht lange dauern, bis man auch in sicherheitspolitischen Fällen kooperiere. Kritisch ist vor allem anzumerken, dass dieser langwierige Prozess einen Konsens zwischen den einzelnen Staaten voraussetzen würde, der oft an den nicht vorhandenen gemeinsamen Normen und Werten scheitert (siehe hierzu beispielsweise Großbritannien: Churchill verwies auf die britische Tradition, niemals an derartigen supranationalen Organisationen partizipiert zu haben und es demnach auch nicht zu wollen). Hinzu kommt, dass die Ausgrenzung des politischen Feldes diese Integrationstheorie wenig erfolgsversprechend wirken lässt.[9]

Der Neofunktionalismus, der von Ernst Bernard Haas (1924-2003) begründet wurde, schränkte die Bedeutung von autonomem Regierungshandeln ein. Den nationalstaatlichen Entscheidungsträgern entgleite allmählich durch die Vernetzung von gesellschaftlichen Akteuren (beispielsweise NGOs oder Gewerkschaften) die Kontrolle über universelle Entscheidungsprozesse. Besonders deutlich werde diese Einflusszunahme bei der Entwicklung des EU-Integrationsprozesses nach 1963, so Wayne Sandholz und Alec Stone Sweet. Genau diese These kritisieren die Gegner der Theorie: Sie habe einen ausschließlich deskriptiven Charakter und sei nur für den EU-Integrationsprozess verwendbar.[10]

2.3 Intergouvernementalismus

Die Zusammenarbeit mehrerer Staaten auf Regierungsebene innerhalb einer internationalen Organisation bezeichnet man als Intergouvernementalismus. Ein Beispiel hierfür wäre die UNO als zwischenstaatlicher Zusammenschluss, in dem die Staaten weiterhin eine Entscheidungskompetenz haben, was in supranationalen Organisationen nicht der Fall wäre. Charles de Gaulle verfolgte beispielsweise die Politik des Intergouvernementalismus.[11]

2.4 Synkretismus

Der Synkretismus soll hier nur als Integrationstheorie kurz erwähnt werden. Bei den weiteren Betrachtungen spielt diese Theorie aber keine Rolle, da ihre Hauptidee eher darin besteht, die verschiedenen Religionen zu einer neuen Weltanschauung zu verschmelzen. Sie ist also religiöser Natur.[12]

[...]


[1] George Tsebelis & Geoffrey Garrett, The Institutional Foundations of Intergovernmentalism and Supranationalism in the European Union, in: International Organization 55 (2), 2001, S. 357-390, hier: S. 358.

[2] Vgl. Tony Judt, Die Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg, Bonn 2006, S. 116. (s.a. Milward (2002), Steininger (2006) etc.)

[3] Vgl. Claus Giering, Europa zwischen Zweckverband und Superstaat: die Entwicklung der politikwissenschaftlichen Integrationstheorie im Prozeß der europäischen Integration, Bonn 1997, S. 50.

[4] Vgl. Franz Steinbauer, Welche Theorie für Europa? Eine vergleichende Theorie gängiger Integrationstheorien, Wien 1998, S. 9f.

[5] Martin Große Hüttmann & Thomas Fischer, Föderalismus und europäische Integration, in: Hans- Jürgen Bieling & Marika Lerch (Hrsg.), Theorien der europäischen Integration, Wiesbaden 2005, S. 41-63, hier: S. 45.

[6] Vgl. Franz Steinbauer, a.a.O., S. 11.

[7] Vgl. Martin Große Hüttmann & Thomas Fischer, a.a.O., S. 45.

[8] Vgl. Martin Große Hüttmann & Thomas Fischer, a.a.O., S. 55.

[9] Vgl. Hans-Joachim Lauth & Ruth Zimmerling, Internationale Beziehungen, in: Manfred Mols, Hans- Joachim Lauth & Christian Wagner (Hrsg.), Politikwissenschaft: Eine Einführung, 5., aktualisierte Aufl., Paderborn 2006, S. 135-174, hier: S. 150.

[10] Vgl. Thomas Conzelmann, Neofunktionalismus, in: Siegfried Schiedler & Manuela Spindler (Hrsg.), Theorien der Internationalen Beziehungen, 2., überarb. Aufl., Opladen (u.a.) 2006, S. 145- 174, hier: S. 147ff.

[11] Vgl. Dieter Wolf, Integrationstheorien im Vergleich: funktionalistische und intergouvernementalistische Erklärung für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion im Vertrag von Maastricht, 1. Aufl., Baden-Baden 1999, S. 63f.

[12] Vgl. Franz Steinbauer, a.a.O., S. 30ff.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der EU-Integrationsprozess zwischen 1947 und 1963
Untertitel
Eine Prozessanalyse mit Hilfe der politikwissenschaftlichen Integrationstheorien
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Politikwissenschaft und Japanologie)
Veranstaltung
Einführung in die Internationalen Beziehungen (Proseminar)
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
19
Katalognummer
V130932
ISBN (eBook)
9783640388394
ISBN (Buch)
9783640388486
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
EU-Integrationsprozess, Eine, Prozessanalyse, Hilfe, Integrationstheorien
Arbeit zitieren
Robert Griebsch (Autor:in), 2008, Der EU-Integrationsprozess zwischen 1947 und 1963, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130932

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