Mysterien des Dionysos und die Orphik bei Walter Burkert


Hausarbeit, 2005

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

1. Die dionysisch-bakchischen Mysterien
1.1 Funktion und Organisation
1.1.1 Der wandernde Charismatiker
1.1.2 Der freie Kultverein

2. Zeugnisse dionysisch-bakchischer Mysterien
2.1 Das Corpus der Goldblättchen
2.2 Die Graffiti aus Olbia
2.3 Weitere Zeugnisse

3. Burkerts Schlußfolgerungen aus dem Quellenmaterial
3.1 Argumentation in ‚Antike Mysterien’
3.2 Burkerts jüngste Publikation zum Thema

4. Kritische Stellungnahme

Abschließende Betrachtung

Literaturverzeichnis

Vorbemerkung

Die Beziehung der dionysisch-bakchischen Mysterien zu jenen Schriften, Gruppen und Personen, die man unter den Begriffen ‚Orphik’ und ‚Orphiker’ zusammenfaßt, ist ein seit vielen Jahren sehr kontrovers diskutiertes Thema. In keinem anderen Bereich der Altertumswissenschaften, und insbesondere der antiken Religion, ist innerhalb der letzten Jahrzehnte durch Neufunde ein solcher Umschwung eingetreten wie im Bereich der Orphik.

Ich werde mich in der vorliegenden Arbeit mit der Darstellung der dionysisch-bakchischen Mysterien und deren Beziehung zur Orphik bei Walter Burkert auseinandersetzen. Ich beschränke mich dabei größtenteils auf zwei Publikationen Burkerts, nämlich auf das Buch ‚Antike Mysterien: Funktion und Gehalt’[1] und ergänzend dazu auf seine jüngste Publikation zum Thema ‚Die neuen orphischen Texte: Fragmente, Varianten, ‚Sitz im Leben’’[2]. Im 1. Teil dieser Arbeit werde ich ausschließlich Burkerts Darstellung der Thematik referieren, wobei hier ein allgemeiner Überblick über das weite Feld der dionysisch-bakchischen Mysterien im Zentrum steht. Im 2. Teil werde ich, ebenfalls Burkerts Darstellung folgend, den Fokus auf die Zeugnisse bakchischer Mysterien lenken, die für die hier behandelte Thematik von zentraler Relevanz sind. Im 3. Teil werde ich mich bemühen, Burkerts Schlußfolgerungen aus den Quellen zu extrahieren und seine Argumentation reflexiv herauszuarbeiten. Dabei werde ich auch auf eventuelle Unterschiede und Entwicklungen von Burkerts Position zum Thema in seinen beiden genannten Publikationen eingehen. Teil 4 wird der Versuch einer eigenen Stellungnahme sein, in welcher ich Burkerts Thesen und Argumentationen analysieren, kritisch beleuchten und hinterfragen werde. Aus Platzgründen ist selbstverständlich keine vollständige Darstellung und Diskussion Burkerts Ausführungen zu diesem Sujet möglich. So werde ich beispielsweise den Papyrus von Derveni und die apulischen Vasen nur kurz erwähnen und aus den Teilen 3 und 4 ganz herauslassen. Auch meine Ausführungen in den beiden letztgenannten Punkten erheben jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist vielmehr der Versuch, einen Ausgleich zu finden zwischen der Weite des thematischen Feldes und der Enge des hier gebotenen Raumes.

1. Die dionysisch-bakchischen Mysterien

Burkerts Darstellung zufolge wurde Dionysos, der Gott des Weines und der Ekstase, allerorts und in vielfacher Art und Weise verehrt. Neben den offiziellen Kulten und Festen zu Ehren des Gottes gab es auch persönliche, geheime Rituale (teletai), die dem Eingeweihten ein seliges Dasein im Jenseits versprachen und gleichzeitig ein besonderes Verhältnis zum Gott konstituierten. Die Existenz solcher exklusiver Mysterienweihen wurde erst in jüngster Zeit durch die Neufunde weiterer Goldblättchen aus Gräbern bestätigt[3]. Die Mysterien des Dionysos waren neben denen von Eleusis am weitesten verbreitet, erscheinen nur kurz nach diesen in der Dokumentation (mindestens seit dem 5. Jh.v.Chr.) und bleiben über Jahrhunderte hinweg, nicht näher bestimmbaren Veränderungen unterzogen, ebenfalls bestehen[4]. Immerhin ist gesichert, daß bakchische Weihen bis ins 4. Jh.n.Chr. durchgeführt wurden[5]. Mit Sicherheit waren die dionysischen Mysterien sehr vielgestaltig. So wird z.B. der Mythos von der Zerreißung des Dionysos einige Male ausdrücklich mit diesen Mysterien verbunden; das dies allgemein gültig war, ist jedoch keineswegs gesichert. Es gab für Dionysosmysterien, im Gegensatz zu Eleusis, kein festes Zentrum. Nachweise für ihre weite Verbreitung finden sich in Gebieten am Schwarzen Meer bis nach Ägypten und von Kleinasien bis nach Süditalien[6].

1.1 Funktion und Organisation

Nach Burkert sind Mysterien in einer ersten Annäherung als Initiationsrituale zu bestimmen. Die Zulassung hängt demnach von einer persönlichen, exklusiven Zeremonie ab, der sich jeder einzelne zu unterziehen hat. Damit ändert sich der Status des Initianten (in seiner Innensicht) gegenüber der Gottheit und er tritt in den inneren Kreis der Vertrauten ein. Ein Wandel ist im Falle der antiken Mysterien dabei nicht in der sozialen Stellung des Eingeweihten zu konstatieren, sondern in der Persönlichkeitsstruktur, „die von einer besonderen Erfahrung im Bereich des Heiligen herrührt“[7]. Die Mysterien erfüllen zweifellos einen lebenspraktischen Zweck und sind den Freuden und Lüsten des irdischen Lebens durchaus zugetan. Platon erwähnt z.B. eine Art ‚Therapie’ psychosomatischer Leiden durch bakchische teletai, bei welcher durch einen induzierten, reinigenden ‚Wahnsinn’ Störungen und Verkrampfungen aller Art gelöst werden sollen[8]. Nachdrücklich betont wird jedoch das Versprechen und die Verheißung einer seligen postmortalen Existenz, die dem Initianten durch die rituelle Einweihung zugesichert wird. Obwohl es in Gelehrtenkreisen gelegentliche Zweifel gab, diese jenseitsbezogene Dimension dem Dionysoskult bereits in der Frühzeit zuzutrauen, ist diese Ausrichtung mindestens seit dem 5. Jh.v.Chr. anzunehmen, da die deutlichsten Zeugnisse dafür eben aus der klassischen Epoche stammen[9]. Lehren und Vorstellungen mit ihren impliziten Bedeutungen geben den Menschen ein Mittel in die Hand, mit ihren Ängsten, Nöten und verschiedensten Bedürfnissen zurechtzukommen. Dabei ist es wichtig nach der Organisation, den Funktionsträgern und dem sozialen Hintergrund der Mysterien zu fragen[10]. Bei den bakchischen Mysterien treten vor allem zwei Organisationsformen in Erscheinung: der wandernde Charismatiker und der freie Kultverein . Die Mysterien von Lerna sind bisher das einzige Beispiel für an ein lokales Heiligtum gebundene bakchische Mysterien (datiert ins 4.Jh.n.Chr.)[11].

1.1.1 Der wandernde Charismatiker

Der wandernde Seher oder Charismatiker, der Reinigungen und Weihen anbietet, hat seine Kunst von einem Meister, einem geistigen oder realen ‚Vater’, übernommen, wobei die Übernahme zugleich auch als Weihe fungiert. Das ‚Familienmodell’ garantiert die Eigenart und Kontinuität der Tradition. Der Charismatiker arbeitet unabhängig, für eigenen Gewinn und auf eigenes Risiko. Der Seher lebt meistens in Armut am Rande der Gesellschaft, oftmals verachtet und feindlich abweisend behandelt. Nur in seltenen Fällen, beispielsweise im Krieg, hatte er die Möglichkeit, sich zu bewähren und zu einem Vermögen zu kommen[12]. Burkert zitiert Platon mit seiner Beschreibung der wandernden Charismatiker, die an den Türen der Reichen ihre Weihen auf Grund von Büchern des Orpheus und des Musaios anbieten und versichern, daß ihre Rituale guttun für die Lebenden, aber auch für die, die gestorben sind; diejenigen, die sich den Riten verweigern, erwarte Schreckliches[13].

Als Schlüsseldokument der hellenistischen Zeit wird das Edikt des Königs Ptolomaios IV. Philopator angeführt, datiert ca. 210 v.Chr., welches besagt, daß „diejenigen, die auf dem Land teletai für Dionysos durchführen, nach Alexandria fahren“ und sich in gesetzter Frist registrieren lassen sollen. Dabei solle gleich angegeben werden, von wem sie das ‚Heilige’ übernommen haben, und zwar bis zu drei Generationen. Der hieros logos sei, mit dem eigenen Namen versehen, versiegelt einzureichen. Es wird also hier das ‚Familienmodell’ in der Vermittlung des Heiligen, ‚Generationen’ von Praktikern durchschreitend, vorausgesetzt. Der hieros logos, ein ‚heiliges Wort’, ist ein Teil der geheimen Lehre, der hier in geschützter Form den Behörden übergeben wird[14].

1.1.2. Der freie Kultverein

Der freie Kultverein (thiasos) ist eine sehr bezeichnende Organisationsform für die entwickelte griechische Gesellschaft. Das Grundprinzip dieser Gemeinschaften besteht darin, daß gleichberechtigte Einzelpersonen sich für einen bestimmten Zweck zu regelmäßiger Zusammenarbeit verbinden. Die Mitglieder sind unabhängig (vor allem wirtschaftlich) und bleiben in ihrem gewohnten sozialen Umfeld außerhalb des thiasos eingebunden. Für die Belange des Vereins stehen sie jedoch stets zur Verfügung und setzen Zeit, Einfluß und Vermögen in den Dienst der gemeinsamen Sache; großzügige Zuwendungen werden gerade von den gut situierten Mitgliedern erwartet. Durch den persönlichen Einsatz für den thiasos gibt es besondere ‚Ehren’ zu erlangen, die z.B. durch vielfache Inschriften dokumentiert sind. Ein thiasos ist rechtlich anerkannt, verfügt über eigenes Vermögen und besteht meist ohne feste Hierarchie oder einen charismatischen Leiter (auch wenn dies keineswegs ausgeschlossen ist)[15]. Die thiasoi, wie übrigens auch die Priesterschaften, sind eingepaßt in die kleingegliederte, lokal gebundene Gesellschaft der Antike[16].

[...]


[1] Burkert, Walter: Antike Mysterien. Funktionen und Gehalt. 3., durchges. Aufl., München: Beck, 1994.

[2] Burkert, Walter: Die neuen orphischen Texte: Fragmente, Varianten, ‚Sitz im Leben’. In: ders. u.a. (Hg.), Fragmentsammlungen philosophischer Texte der Antike (1998), S. 387-400.

[3] Burkert 1994, a.a.O., S.12.

[4] Ebd. S.10.

[5] Ebd. S.39.

[6] Ebd. S.12f.

[7] Ebd., S.15.

[8] Burkert 1994, a.a.O., S.25.

[9] Ebd. S.27.

[10] Ebd. S.35.

[11] Ebd. S.111, Anm. 23.

[12] Ebd. S. 36.

[13] Burkert 1994, a.a.O., S. 27; siehe auch Plat.rep.365a; Plat.leg.870de.

[14] Burkert 1994, a.a.O., S. 37.

[15] Ebd. S. 37.

[16] Ebd. S.48.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Mysterien des Dionysos und die Orphik bei Walter Burkert
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Religionswissenschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
18
Katalognummer
V132051
ISBN (eBook)
9783640385898
ISBN (Buch)
9783640385607
Dateigröße
388 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Antike Mysterien, Mysterienkulte, Dionysos, Orpheus, Walter Burkert, Religionswissenschaft, Religionsgeschichte, Orphik, Orphiker, Antike Religion, Bacchus, Kult- und Mythenüberlieferung, Antikerezeption, Mythenrezeption, Dionysus
Arbeit zitieren
Frederik A. Behrens (Autor:in), 2005, Mysterien des Dionysos und die Orphik bei Walter Burkert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132051

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