Alles ist erlaubt!?

Plurale Gesellschaft und moralische Ordnung


Hausarbeit, 2009

38 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

1. Orientierung durch das Gewissen

2. Möglichkeiten und Grenzen des Naturrechts

3. Gibt es eine feministische Ethik?

4. Die autonomen Modelle der Moral bei Auer und Böckle Wie vereinen beide Autonomie und Theonomie

5. Fazit/Aussichten

Einleitung

Diese Arbeit möchte sich zunächst mit den Gedanken des Thomas von Aquin beschäftigen, in dem der Frage nachgegangen wird, wie der Mensch sich mittels des Gewissens Orientierung verschaffen kann. Welche Rolle spielt hierbei der Wille des Menschen, und wonach sollte dieser im Besten Fall trachten? Was dient dem Menschen als Anhaltspunkt für seine Entscheidungsfindung? Kann er überhaupt noch aufgrund der Pluralität gescheite Entscheidungen treffen? Was hilft dem Menschen, in der heutigen Gesellschaft nicht verloren zu gehen? Was treibt den Menschen zum Handeln an, und wonach bemisst er dieses? Im weiteren Verlauf dieser Arbeit möchte ich dann auf die Möglichkeiten und Grenzen des Naturrechts als Thema für eine mögliche Gewinnung von Normen für das menschliche Handeln eingehen. Kann man aus der Natur, oder aus dem Wesen des Menschen allgemeingültige Normen für menschliches Zusammenleben herausdestillieren? Wie kann man solch ein Vorgehen begründen. Man muss sich in diesem Zusammenhang fragen, ob ein stetiges Naturgesetz der heutigen modernen Gesellschaft gerecht werden kann. Das Thema Naturrecht und die mit ihm verwobenen Probleme seiner Fülle und Machbarkeit/Begründbarkeit werden im weiteren Verlauf thematisiert. Hat der Naturrechtsgedanke überhaupt noch eine Chance im heutigen Pluralismus? Kann sich ein Rückgriff auf das Naturrecht nicht vielleicht sogar als kontraproduktiv für den Menschen auswirken? Was ist möglich? In der weiteren Abhandlung frage ich mich, ob es eine feministische Ethik geben kann. Wir beschäftigen uns hierbei mit empirischen Studien, Vorurteilen und Traditionen. Das Thema wirft in der Tat die Frage auf, ob nicht Männer und Frauen ein je verschiedenes Denken an den Tag legen. Was kann für beide Geschlechter typisch sein? Stimmt es, dass sich die heutige Moral ausschließlich durch männliche Denker etabliert hat? Dem will ich hier unter anderem näher nachgehen. Als letzten Punkt dieser Arbeit beschäftige ich mich mit den Gedanken A. Auer´s und F. Böckle´s. Es soll hier geklärt werden, wie beide Autonomie und Theonomie vereinen. Dabei gehe ich der Frage nach, was der christliche Glaube zur sittlichen Verwirklichung menschlicher Existenz beitragen kann. Im Weiteren werden die Begriffe Wirklichkeit, Sittlichkeit, Vernunft, Gesolltes, Rationalität und Sein abgehandelt. Auch hier begegnet uns wieder das Naturrecht. Eine Kritik soll zum Verständnis beider Autoren beitragen. Ein Fazit soll diese Arbeit schlussendlich abrunden, und nochmals in Bezug zum Pluralismus prägnante Punkte zu Gehör bringen.

1. Orientierung durch das Gewissen (Thomas von Aquin).

Der gute oder böse Akt des Menschen (für das Objekt) entspringt seinem Willensakt. Das Gute wird dem Willen durch das Gewissen vorgestellt, und unter Inanspruchnahme des Gewissens, wird es durch dessen moralische Bewandtnis zu einem Akt moralischer Gutheit im Willen. Wobei die Gutheit jedoch immer vom Objekt des Willens abhängt, welche dem Gewissen vor geordnet ist. Das Gute bezeichnet in diesem Sinn das Produkt eines vernunfthaften Strebens. Ausgeschlossen aus dieser Konstellation ist das sinnliche Streben. Es ist auf das partikulare Gut fixiert, auf materielle Güter. Es bildet das Gegenteil zum guten Willen, welcher gute, immaterielle Güter anstrebt. Der Wille nämlich kann sich auf das universale Gute richten, und unter der Inanspruchnahme der Vernunft praktisch werden. Man spricht hier auch von der praktischen Vernunft. Das Gewissen bestimmt vor jeder Handlung die moralische Qualität des handelnden Willens. Somit ist das Gewissen der Dreh- und Angelpunkt der moralischen Qualität einer Handlung. Das Gewissen nach der vollzogenen guten Handlung bietet zum Einen die Rechtfertigung einer Handlung, es einen also verteidigt oder entschuldigt, im Fall der bösen Handlung wirft uns das Gewissen unsere Tat vor, und peinigt uns mit Gewissensbissen. Man kann auch sagen, das Gewissen zieht uns in die Verantwortung der vollzogenen Handlung. Nach Thomas ist eine gewisse Dualität des Gewissens zu erkennen. Ich als Gewissen handle zugleich auch immer als eigene Person und stehe ihr gegenüber. Das Gewissen spielt geradezu, wenn man so will, die Rolle des inneren Gerichts. Somit bildet unser Gewissen unter Einverleibung der Moral eine Sinn- und Entscheidungsinstanz, um in der modernen, pluralen und komplexen Gesellschaft vernünftige Entscheidungen zu treffen, die durch das Handeln des Menschen selbst praktisch wird, und möglichst keinem Mitmenschen schadet, da die moralische Handlung möglichst nach dem Guten ausgerichtet sein sollte. Das Böse ist zu vermeiden. Das Gewissen gebietet mir einen Anspruch auf Pflicht.[1] Das Gewissen ermöglicht es uns, zu reflektieren, und verlangt mir ab, meinen empirischen Handlungswillen an ihm, als dem reinen Vernunftwillen, zu orientieren. Es konfrontiert mich mit der moralischen Qualität der Handlung zusammen mit meinem moralischen Ideal. Das Gewissen kann mich also zur Einsicht schlechter Taten führen. Das ist deshalb möglich, weil der Mensch über die nötige Vernunft verfügt, die Gott ihm aus seiner Weisheit heraus schenkte, und die in der gesamten Schöpfung zu finden ist. Für ein moralisch gutes Leben bestimmt Thomas die Eigenschaften Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit.[2] Um sich zu orientieren, so muss der Mensch danach leben, und dadurch, dass er über Vernunft verfügt, die Welt als gesamte Wirklichkeit Gottes´ Schöpfung betrachten, und im reinen, in sich substituierenden Seinsakt sein Ziel finden. Thomas erkennt, dass die Welt durch Gottes Vernunft eine Struktur besitzt, die der Mensch erkennen und erschließen kann. Diese Logik, diese Struktur dient dem Menschen als Orientierung zum Guten und wird als Teilhabe bezeichnet. Nur so kann die Welt begriffen werden. Wir Menschen dürfen nicht unsere Identität verlieren, nicht unsere rudimentäre Bindung an uns selbst und an unseren Schöpfer. Auch dürfen wir nicht die Bindung an unsere Mitmenschen verlieren. Wir alle haben Teil an der Schöpfung und haben unseren Platz in ihr. Der Glaube an Gott und unsere Vernunft können uns daher zu einem gelingenden und daher freieren Leben verhelfen. Der Mensch verfügt über die entsprechende Eigenständigkeit, vernunftgemäß zu handeln, sowie er auch über die nötigen kreativen Eigenschaften verfügt. Gott gab uns das Maß der Welt mit ihren normativen Vorgaben, damit wir uns an ihnen orientieren können, und selbst auch Vernünftiges hervorzubringen im Stande sind. Vernunft sieht Thomas nämlich als das formale Vermögen, inhaltliche Einsichten und Maßgaben selbst zu bilden. Der Mensch kann durch das scheinbar diffuse Material der Welt eine logische Sinnstruktur herausarbeiten, und somit materiale Normvorstellungen erstellen. Das Nichtwiderspruchsprinzip bildet für Thomas erste Prinzipien. Es besagt, dass die praktische Vernunft zwischen Sein und Nichtsein unterscheiden kann, und die theoretische zwischen Gut und Böse. Folglich ist das Gute zu tun, und das Böse zu meiden.[3] Die theoretische Vernunft verinnerlicht die Wirklichkeit. Thomas spricht ihr eine gewisse Normativität zu, da sie den ungeordneten Stoff der Wahrnehmung ordnet. Sie stellt fest, was ist und wie etwas funktioniert, sie erfasst die Soheit und Wesensstruktur. Für die Konstruktion wiederum ist dann die praktische Vernunft zuständig, indem sie wissenschaftliche Erkenntnisse als Entwurf von Modellen benutzt. Daher bezieht sich die praktische Vernunft auf das Handeln, auf die Wirklichkeit, indem eine Veränderung die Hervorbringung von etwas Neuem bewirkt. Gut und Böse werden daher nicht einfach festgestellt, sondern hervorgebracht. Die praktische Vernunft wird Wirklichkeit, weil sie durch das Handeln des Willens wirkt. Um nun zu wissen, was gut, und was böse ist, so stellt Thomas fest, dass es bestimmte Inklinationen gibt, also Überlegungen zu natürlichen Hinneigungen, wie der Arterhaltung, Selbsterhaltung, Gotteskenntnis und dem Leben in der Gesellschaft. Es sind Prinzipien für den Menschen, die von der Vernunft wahrgenommen werden. In ihr verbergen sich weitere menschliche Güter, die es von der Vernunft zu entdecken und zu systematisieren gilt. Somit werden sie zu moralischen Gütern, die materiale Normativität ermöglichen. Allerdings bleibt Thomas hier die Antwort darauf, nach welchen Kriterien die Vernunft die Güter ordnet, schuldig, sodass sie doch wieder auf die Inklinationen zurückgreifen muss.[4] Nach Thomas gelangt der Mensch zu einer umfassenden Orientierung, wenn er sich an die Natur wendet. Denn Natur ist für Thomas selbst etwas Vernünftiges, was sich in der Gestalt spezifischer Ziele spiegelt, die den einzelnen Naturgegenständen einverleibt sind. Daher kommt der Natur eine Bedeutung zu, die sich als qualitativ beschreiben lässt, und in der sich Sinn und Ziele verbergen. Wenn dann die Vernunft etwas aus der Natur herausdestilliert, es damit logisch konsistent macht, und in ein stimmiges Verhältnis zu menschlichen Interessen bringt, so hat sich der Mensch der außermenschlichen Naturstruktur dennoch nicht untergeordnet, und zugleich eine Autonomie erreicht, die ihm genüge tut. Nach Thomas streben die Menschen nach Inklinationen, die auf das Sein gerichtet sind. Also alles, was konstruktiv-positivistisch ist, und demnach keine Privationen darstellen. Die Inklinationen stellen für Thomas das ersterkannte Gute dar, wonach die Vernunft trachtet. Alles was seinsgerichtet ist, ist gut. Rein von der Vernunft her ist der Mensch überhaupt nicht imstande, das Böse zu wollen. Denn seine Vernunft sagt ihm, dass er nur er selbst werden, kann – sprich, er nur seinen Lebensweg finden kann – wenn er sich nach dem Guten richtet, und das Mangelhafte ignoriert. Thomas bezeichnet diese Satzung als das metaphysische Axiom.[5]

In seinen weiteren Ausführungen präzisiert Thomas seinen Gewissensbegriff in 2 Richtungen. In der ersten durch die Begriffe conscientia und synderesis. Ersterer besagt, dass wir ein Wissen im Gewissen besitzen, was Thomas als eine Applikation eines Wissens auf einen bestimmten Akt versteht. Er meint das Wissen, dass ein Akt bereits vollzogen wurde, oder noch wird. Daher besteht hier noch keine moralische Bewandtnis. Die Applikation kann aber auch als Überlegung darüber, ob ein Akt moralisch richtig oder falsch war, erfolgen. Es erfolgt eine Reflexion über den Akt. Diesen Vorgang nennen wir Gewissen. Die Reflexion bezieht sich hierbei auf den noch nicht vollzogenen, aber vorgestellten, erwogenen und geplanten Akt. Thomas meint hier das voraus- und das nachgehende Gewissen. Aber wie versteht der Aquinate die Vorstellung vom Wissen im Gewissen? Thomas geht dabei zunächst von dem Begriff synderesis aus, der besagt, dass das Wissen um allgemeine moralisch-praktische Prinzipien der praktischen Vernunft natürlicherweise zugeschrieben werden kann, welches dem natürlichen allgemeinmenschlichen Habitus entspricht. Dieses Wissen agiert normativ, es gebietet Gutes und verbietet Böses (z.B nicht morden, nicht lügen, Mitmenschen in Not helfen).

Der erworbene Habitus, die sapientia (Weisheit) bezieht sich auf die weltanschauliche Grundeinstellung des Menschen und ist variabel. Darunter sind die philosophischen und religiösen Überzeugungen eines Menschen zu verstehen. Die Scientia bestimmt Thomas als Wissen, womit der erworbene Habitus jedes empirischen Wissens gemeint ist. Hier geht es um den faktischen Kenntnisstand, den ein Mensch besitzt, wenn er sich in einer konkreten Situation überlegt, was er tun, bzw. wie er handeln soll. Es lässt sich somit folgern:[6]

„Das Gewissen appliziert also das apriorische sittliche Bewußtsein, d.h. den natürlichen Habitus der Synderesis, differenziert durch die gegebenen weltanschaulichen Überzeugungen (sapientia) und konkretisiert durch die vorhandenen empirischen Kenntnisse (scientia), auf die bestimmte Handlung (actus) in einer gegebenen Situation.“[7]

Auf unsere heutige Gesellschaft bezogen bedeutet dies, dass wir in bestimmten Situation eine Entscheidung treffen, aufgrund einer Mischung aus Synderesis, Sapientia und Scientia, die unter Absprache mit dem Gewissen unter Abwägung etwaiger entscheidungsrelevanter Punkte (Kostenersparnis, Konsequenz für die Umwelt, Gesetzeslage, Akzeptanz in der Gesellschaft etc.) zu einer moralischen Entscheidungsfindung führt. Diese Überlegung findet immer, auch implizit als Programm eines dreistufigen Modells statt, wobei die Motivationsweite bei jedem Menschen durch unterschiedliches Tatsachenwissen divergiert, bedingt durch gesellschaftlich-geschichtlich und kulturell-biographische Einflussfaktoren. Festzuhalten ist, dass jeder Mensch moralisches Subjekt ist, und ein Gewissen hat. Entscheidungen werden von uns immer unter freier Selbstbestimmung des Willens für das Objekt gefällt, welches im Handeln verwirklicht werden soll. Während dieses Prozesses entscheidet man sich für einen guten oder bösen Willen. Somit hängt die moralische Qualität einer Handlung von der Qualität des Willens ab. Die zweite Richtung schlägt der Aquinate mit der Theorie der Lex naturalis als Teilhabe an der lex aeterna ein . Dabei bezieht sich Thomas vor allem auf das „ewige Gesetz“ Gottes und dessen Bedeutung für die moralische Ordnung. Die göttliche Weisheit lenkt alle Handlungen (des Menschen) und Bewegungen (der Natur). Wir partizipieren an dieser Weisheit, jedoch sehr differenziert. Thomas unterscheidet hier die generelle und spezielle Partizipation. Die generelle besagt, der Mensch könne am ewigen Gesetz teilhaben, wenn er eine substantiale Form aufweist, die das innere Bewegungsprinzip ihres Agierens und Reagierens ist. Ebenfalls ist eine Partizipation aufgrund natürlicher Hinneigungen möglich, die daraufhin hinauslaufen, Ziele und Zwecke zu verfolgen.[8] Alle Geschöpfe können durch diese Leistung an der Weisheit Gottes mitwirken und dadurch an Orientierung gewinnen. Mit innerem Bewegungsprinzip meint Thomas die artspezifische Vorsehung / Aufgabe eines jeden Geschöpfs. Bei der speziellen Teilhabe sieht Thomas diese in der planenden Vernunft Gottes, erfahrbar im Geschehen von Geschichte und Natur, und mündend in der vernünftigen Kreatur durch den Providenzaspekt. Sie partizipiert die Vorsehung, durch selbiges Vorsehen, auch für andere. Es wird als das „natürliche Gesetz“ bezeichnet. Wichtig ist, dass der Mensch an der generellen Partizipation nicht Teilhabe besitzt, denn er ist allein der naturalen Bestimmung nicht würdig, im Gegenteil, er ist nicht auf bestimmte Inklinationen festgelegt, sondern er selbst sieht vor, maßregelt und bemisst. Der Mensch findet sich in einer Schöpfung, die Gottes Gesetzen untersteht, der Mensch durch seine Vernunft zwar der lex aeterna untersteht, aber auch selbst durch die göttliche Weisheit in sich gesetzgebend wirkt. Der Mensch nimmt an der Lex-Bewandtnis teil und partizipiert an der göttlichen Providenz.

2. Möglichkeiten und Grenzen des Naturrechts

Das Naturrecht lässt sich in dem Sein des Menschen und der Welt begründen. Die menschliche Vernunft ist imstande, sie aus der Schöpfung herauszulesen. Das Naturgesetz umfasst Forderungen, die in der Natur des Menschen und der Dinge ihren Grund haben. Der Mensch erkennt die Gesetze, da auch die Vernunft in der Schöpfung Gesetz ist. Es wird hierbei bemängelt, dass die Vernunft lediglich wahrnehmend agiert, also sprich, die Gesetze die der Mensch zum Leben braucht, nur nach und nach abliest, sozusagen als wahrnehmende und konstatierende Instanz. Außerdem sei die Vernunft nur ein Organ der natürlichen Erkenntnis, abgespalten vom Organ des übernatürlichen Glaubens. Die vorgegebene Natur des Menschen und der Dinge gilt als normgebend. Es gibt Zwecke, die in der naturgemäßen Handlung realisiert werden können. Das meint Natur in ihrer Finalität. Man hat häufig das faktische zur Norm erhoben, oder es nach eigenem Belieben gedeutet, um herauszulesen, was man hineingelegt hatte. Man unterscheidet drei Elemente. Zum Einen fundamentalste sittliche Prinzipien (Gutes Tun, Dekalog, Goldene Regel). Diese sind dem Vernunftsmensch einsichtig und leicht zu erkennen. Zum Zweiten sind erste Ableitungen anzuführen (Nicht Ehebrechen, keine Euthanasie). Hier kann es nicht ohne Weiteres eine schuldlose Unkenntnis geben. Die entfernten Ableitungen stellen die schwer erkennbaren Normen dar (Verbot des Selbstmordes etc.). Hier kann es eine unverschuldete Unwissenheit geben. Eine inhaltliche Grenze des Naturrechts ist nicht vorhanden, es umfasst in letzter Konsequenz die gesamte Moral. Eine entscheidende Möglichkeit des Naturgesetzes besteht darin, dass es unveränderlich ist. Es ist für immer richtig und gültig. Allerdings muss hier beachtet werden, dass bei der Anwendung die Sätze sehr wohl einem Wandel der Zeit unterliegen dürfen. So wollte man lange Zeit ethische Normen begründbar machen, bis sich jedoch Mitte des 20. Jh. Schwierigkeiten ergaben. Stellt das Naturgesetz eine Eigenart der christlichen Ethik dar? Oder wird diese vielleicht sogar durch jene verdunkelt? Ist der Rekurs auf ein natürliches Sittengesetz überhaupt von Nöten? Oder solle man nicht doch mehr auf die heilige Schrift rekurrieren? Andererseits lässt sich auch fragen, ob die Lehre vom Naturgesetz der fundamentalen Geschichtlichkeit der Welt und des Menschen gerecht wird. Wenn sich nämlich diese verändert und entwickelt, dann können die Normen des natürlichen Sittengesetzes nicht immer die gleichen sein. Weiterhin lässt sich hinterfragen, ob sich nicht doch die Natur oder das Wesen des Menschen oder einer Sache tatsächlich immer exakt erkennen lässt, oder man nicht oft schon bloß das Faktische für das Wesen hält? Was genau mag das Wesen der menschlichen Sexualität sein, was davon eventuell durch kulturelle Einflüsse entstanden sein?[9] Man kann hier das Beispiel von Mann und Frau (Frau stand/steht unter dem Mann) anführen, welches sehr gut verdeutlicht, wie man Gesetzmäßigkeiten nicht richtig erkannt hat, und die dann kulturell teils bis heute gelten. Noch grundlegender gefragt, wenn der Mensch heute kulturell geprägt ist, ist dann überhaupt noch rein Natürliches bei ihm auszumachen? Und inwieweit kann die Natur oder das Sein schon eine Norm für das Handeln sein? Das Sein bringt uns nicht automatisch zum Sollen, und führt uns in jenen naturalistischen Fehlschluss, von dem man behaupten kann, dass Natur bereits in sich als vollkommen gedacht werden kann. Hier jedoch kann man sagen, dass weder im Menschen, in dem Aggressivität vorzufinden ist, noch die Natur, die vom Chaotischen gekennzeichnet ist, Vollkommenheit vorherrscht. Denn von diesen Eigenschaften würde niemand sagen, ihnen gemäß sei zu handeln. Nun, wie kann man trotz dieser negativen Eigenschaften der Natur auf ihr ein Naturgesetz begründen? Man versuchte dies anfänglich, indem man das Moment der Geschichte implementierte. Eine weitere Möglichkeit, das Naturrecht auf die Stufe der Zeit zu hieven, bestand darin, dass man die Glaubwürdigkeit der Idee vom Naturgesetz durch inhaltliche Begrenzungen zu erhöhen versuchte. Man glaubte, das Phänomen der Geschichtlichkeit des Menschen mit den Gedanken des Naturgesetzes verbinden zu können. Dies war nur unter der Prämisse wandelbarer Naturgesetznormen möglich. J. David führte dazu eine Distinktion bei der Größe „Natur“ ein, und unterschied derweilen zwischen der Wesensnatur und der realen. Erstere stellt den Kern des Menschen dar, ohne den er nicht gedacht werden kann. Um ihn legen sich zwar im Laufe der Zeit andere Schichten, die zufälliger Art sind, und die die konkrete Natur des Menschen bilden, doch ist dieser Kern unwandelbar. Die zahlreichen Schichten, die seine Persönlichkeit bilden jedoch sind es. Naturgesetzliche Normen entspringen nach David beider (Kern und Schicht), wobei nur die aus der Wesensnatur allgemeingültig sind. Die aus den Schichten sind veränderlich und gelten nicht für alle. David ist der Auffassung, dass Natur das objektiv Vorgegebene ist, und aus der der Mensch seine Gesetze ableitet. Hier können wir konstatieren, dass David veränderliche Elemente zur menschlichen Natur, und somit auch zum Naturgesetz zählt. Allerdings ist der Umfang des unwandelbaren Naturgesetzes eng begrenzt. Es sind Grundnormen, wie z.B. das Recht auf Leben und Lebenserhaltung sowie die Freiheit. Das Naturrecht ermöglicht durch wandelbare Normen eine Gesetzgebung, die je zu ihrer Zeit als sachgerecht und angemessen erscheint. Bei David werden die Normen direkt aus der Wirklichkeit aufgenommen, allerdings bleibt er eine exakte Antwort, wie dies gelingen soll, schuldig.[10]

[...]


[1] Vgl. Anzenbacher, Arno, Einführung in die Ethik 86-87.

[2] Vgl. Hausmanninger, Thomas, Problemgeschichte philosophischer Ethik 126-127,

Aus: Heinbach-Steins (Hg), Christliche Sozialethik. Ein Lehrbuch.

[3] Vgl. Hausmanninger, Thomas, Problemgeschichte philosophischer Ethik 126-128.

[4] Vgl. Hausmanninger, Thomas, Problemgeschichte philosophischer Ethik 127-130,

Aus: Heinbach-Steins (Hg), Christliche Sozialethik. Ein Lehrbuch.

[5] Vgl. Hausmanninger, Thomas, Problemgeschichte philosophischer Ethik 130-132,

Aus: Heinbach-Steins (Hg), Christliche Sozialethik. Ein Lehrbuch.

[6] Vgl. Anzenbacher, Arno, Einführung in die Ethik 81-84.

[7] Anzenbacher, Arno, Einführung in die Ethik 84.

[8] Vgl. Anzenbacher, Arno, Einführung in die Ethik 84-88.

[9] Vgl. Weber, Helmut, Allgemeine Moraltheologie. Ruf und Antwort 110-113.

[10] Vgl. Weber, Helmut, Allgemeine Moraltheologie. Ruf und Antwort 113-115.

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Alles ist erlaubt!?
Untertitel
Plurale Gesellschaft und moralische Ordnung
Hochschule
Universität Osnabrück  (Katholische Theologie)
Veranstaltung
Vorlesung: Alles ist erlaubt?! Plurale Gesellschaft und moralische Orientierung
Note
3,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
38
Katalognummer
V133068
ISBN (eBook)
9783640396054
ISBN (Buch)
9783640395569
Dateigröße
567 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Alles, Plurale, Gesellschaft, Ordnung
Arbeit zitieren
Manuel Berg (Autor:in), 2009, Alles ist erlaubt!?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133068

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