Die Reisemetaphorik in Ezzos Gesang


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Metaphorik
2.1 Definition und Funktion von Metaphern
2.2 Gleichnis/Vergleich, Metapher, Allegorie und Symbol – eine Abgrenzung
2.3 Metapher und Allegorie in frühmittelhochdeutschen Dichtungen

3. Ursprung des Ezzoliedes
3.1 Zur Entstehung des Ezzoliedes
3.2 Die beiden Fassungen

4. Die Metaphorik der Reise im Ezzolied
4.1 Die zu behandelnden Strophen
4.2 Weg, Land und rotes Taufmeer
4.2 Die Schiffsallegorese
4.4 Die Heimat

5. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Ezzos Lied von den Wundern Christi (auch bekannt als ‚Die vier Evangelien’, Von dem Anegenge’ oder ‚Lied von der Erlösung’) war und ist für die Mediaevistik von herausragender Bedeutung. Als reine Auftragsarbeit des Bischofs Gunther von Bamberg um 1060 entstanden, entwickelte es sich schnell zum beliebten Kreuzfahrerlied – vielleicht der erste überlieferte frühmittelhochdeutsche Gassenhauer.

Den Inhalt bildet das Erlösungswerk Christi, wie der katholische Gottesdienst es von Ostern bis Weihnachten liturgisch darstellt. Diese Tatsache hat auf die Architektur des Werkes Einfluss genommen. Ezzo hält sich an die Dramaturgie der Bibel, beginnt jedoch nach der Einleitung mit der Lobpreisung Christi als Licht der Welt, bevor er zurückgreift auf den Ungehorsam Adam und Evas.

Das Lied wirft noch heute viele Fragen auf. So erscheint es z.B. widrig, die ungleich langen Strophen als gesungene Darbietung zu präsentieren. Neben diesen zum Teil durchaus pragmatischen Fragen steht die Frage nach dem tieferen Sinn des Liedes. Für Interpretationen bietet die Dichtung zahlreichen Stoff, zum besseren Verständnis frühmittelhochdeutscher Denkweise ist sie ein Zeugnis ersten Ranges. Interessant ist vor allem, was Ezzo seinem Publikum mit Hilfe der geschilderten Reise der Pilger ins Heilige Land mitteilen wollte. Welche tiefere Bedeutung haben das Schiff und die Reisewege über See und Land, die äußeren Umstände und das Ziel der Reise? Auf diese Fragen will die vorliegende Arbeit Antworten geben. Um sie zu beantworten ist es notwendig, die entsprechenden Passagen des Liedes mit Hilfe moderner und mittelalterlicher Metaphorik und Exegese zu analysieren und interpretieren.

2. Metaphorik

Unter Metaphorik versteht man die zusammenfassende Bezeichnung für den anschauungs- und assoziationsreichen Sprachstil sowie für poetische Bildlichkeit.[1] So simpel sich diese Definition für den Begriff Metaphorik anhören mag, so komplexer und diffiziler ist, wie wir unter 2.1 sehen werden, die Greifbarkeit und literaturwissenschaftliche Charakterisierung ihrer Komponenten – den Metaphern.

Das sprachliche Phänomen ‚Metapher’ ist seit über zweitausend Jahren Gegenstand spekulativer und wissenschaftlicher Reflexion gewesen, wobei die verschiedenen Reflexionsansätze zu den unterschiedlichsten Ergebnissen geführt haben. Überblickt man die Fülle der Literatur zum Metaphernproblem, dann erscheint es unmöglich, daraus einen kontinuierlichen Forschungsprozess zu einer abschließenden Theorie zu abstrahieren. Die einzelnen Untersuchungen gründen sich auf so unterschiedliche Prämissen und sind von so unterschiedlichen Erkenntnisinteressen geprägt, dass ihre Ergebnisse nicht als gleichermaßen verwendungsfähige Bausteine für eine abschließende Metapherntheorie betrachtet werden können.[2]

2.1 Definition und Funktion von Metaphern

Wie zuvor dargestellt, ist eine einzige, allumfassende Definition der Metapher, und damit auch ihrer Funktion, nicht möglich. Vielmehr ist es nötig, den historischen Wandel des Metaphernbegriffs und seiner literarischen bzw. rhetorischen Anwendung zu betrachten. Besonders in den letzten Jahrzehnten der Forschung ist es den Wissenschaftlern gelungen, den Metaphernbegriff aufzuspalten, von außen nach innen zu kehren und wieder zurück und zu überinterpretieren, so dass die ursprüngliche Einfachheit des rhetorischen Mittels ‚Metapher’ verblasste und einer Reihe mehr oder minder konkreter Definitionen Platz machen musste.

So einheitlich und klar umreißbar die Metapher in einer rein faktischen Definition erscheint, so komplex und schwer fassbar wird sie jedoch, sobald man auch ihre psychischen Hintergründe, das heißt die besonderen Umstände ihrer Entstehung und Wirkung ermitteln will, und so zahlreich verschiedenartig, ja widersprechend sind daher die vom Altertum bis zur Neuzeit dazu vorgebrachten Deutungen.[3] Dies ist einer der entscheidenden Faktoren für die Analyse metaphorischer Texte. Eine Deutung per se ist unmöglich, vielmehr ist eine exakte Betrachtung der zeitgenössischen Lebensumstände und Weltanschauungen erforderlich.

Die ersten überlieferten Aussagen über die Metapher, die erhalten blieben, stammen von Aristoteles, der vier verschiedene Typen von Metaphern definierte: „Eine Metapher besteht darin, dass man einem Worte eine ihm (ursprünglich) nicht zukommende Bedeutung beilegt, sei es von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung oder von der Art auf eine (andere) Art oder endlich auf Grund einer Proportion.“[4]

Um einen kurzen Überblick über die modernen Definitionen der Metapher und ihrer Funktionen zu geben, habe ich drei Beispiele ausgewählt.

Köller sagt: „Die Metapher ist ein sprachliches Superzeichen, das auf der ungewohnten und als anomal empfundenen Kombination anderer Zeichen beruht, wobei diese anomale Kombination der Zeichen aber so strukturiert ist, dass sie nicht kommunikationsblockierend wirkt, sondern eine spezifische kommunikative Funktion erfüllt, die möglicherweise nicht durch andere sprachliche Organisationsmuster zu ersetzen ist.“[5]

Eine weniger theoretisch-linguistische Definition liefert Meier: „Unter Metapher (griech.: Übertragung) versteht man eine Art von verkürztem Vergleich, durch den ein Wort von seinem eigentlichen, konkreten auf einen anderen, meist abstrakten Sinn übertragen wird, der mit jenem eine gewisse Ähnlichkeitsbeziehung aufweist.“[6]

Ähnlich klingt die Definition von Lausberg, der zugleich ein schönes Beispiel anführt: „Die metaphora ist der Ersatz eines verbum proprium durch ein Wort, dessen eigene proprie-Bedeutung mit der des ersetzten Wortes steht. Die Metapher wird deshalb auch als gekürzter Vergleich definiert, indem das Verglichene mit dem Abbild in eins gesetzt wird. Dem Vergleich ‚Achill kämpfte wie ein Löwe’ entspricht die Metapher ‚Achill war ein Löwe in der Schlacht’.“[7]

Die Metapher wird somit zu einem Mittel zur Benennung jener feineren Wahrnehmungen und Wertnuancen, die sich nicht oder nur schwer mit der gewöhnlichen Bedeutung der Wörter decken ließen, da sie eigentlich zwischen den Grenzen des üblichen Verwendungsbereichs der sprachlichen Zeichen liegen.[8] In dem die Metapher ‚Nähe’ zwischen Bedeutungen schafft, die vordem einander fremd waren, erzeugt sie neue Perspektiven und eröffnet damit neue Bedeutungen und neue Bereiche von Welterfahrung. Durch die Bildung von neuen Denkkonzeptionen und die Eröffnung neuer Wirklichkeitserfahrung wirkt die Metapher letztlich kulturverändernd. Metaphern haben also u.a. auch eine wichtige heuristische Funktion.[9]

2.2 Gleichnis/Vergleich, Metapher, Allegorie und Symbol – eine Abgrenzung

Zum besseren Verständnis der vorliegenden Arbeit ist es unabdingbar, eine kurze begriffliche Abgrenzung der Metapher zu ihren sprachwissenschaftlichen Verwandten vorzunehmen. Besonderes wichtig ist hier die Allegorie, die aufgrund der Thematik dieser Arbeit ein gleichberechtigter Bestandteil zur Untersuchung der Metaphorik im Ezzolied sein muss.

Die Freiheit im Umgang mit Metaphern verwirklicht sich in dem, was die traditionelle rhetorische Theorie ihre ‚Fortsetzung’ – Gebrauch einer oder mehrerer weiterer Metaphern aus dem gleichen Gebiet, die einer ersten folgen – und ‚Ausführung’ – Addition des nichtmetaphorischen Ausdrucks – genannt hat, Möglichkeiten, welche die Transformation der Tropen in ästhetische Figuren regelt. Der Fortsetzung korrespondiert die Allegorie, die Metaphernreihe, in der ein Bild den Inhalt des vorhergehenden aufnimmt und zugleich weiterentwickelt; durch Ausführung entsteht ein Gleichnis, das den ersten Ansatzpunkt für die poetologische Reflexion der Metapher bildet.[10] Die Allegorie ist also die als Gedankentropus fortgesetzte Metapher und besteht im Ersatz des gemeinten Gedankens durch einen anderen Gedanken, der zum gemeinten Gedanken in einem Ähnlichkeits-Verhältnis steht.[11] Sie stellt also die Verbildlichung eines abstrakten Begriffs dar; oft als Verkörperung durch eine Person, z.B. der Tod als Sensenmann. Im Unterschied zum sinnfälligen Symbol enthält die Allegorie eine gedanklich-konstruktive Beziehung zwischen dem Dargestellten und dem Gemeinten.[12]

Das Gleichnis dagegen ist in der Literatur eine Form des Vergleichs ist, bei dem ein Vorgang, eine Vorstellung oder ein Zustand durch einen entsprechenden Sachverhalt aus einem anderen sinnlich-gegenständlichen Bereich veranschaulicht wird, wobei beiden Seiten ein drittes Moment (tertium comparationis) gemeinsam ist. Anders als bei der Metapher stellt das Gleichnis das Bild nicht an die Stelle der Sache, sondern es stellt beides, durch ein Vergleichspartikel verbunden, nebeneinander.[13] Formal unterscheidet sich der Vergleich von der Metapher durch die explizite Verwendung von Vergleichspartikeln. Im Mittelhochdeutschen wäre ein Beispiel ‚als iz’. Dennoch stehen Metapher und Vergleich in einem engen Bezugsverhältnis. Darauf weist der Umstand, dass manche Metaphern in ihrer Genese von Vergleichen nicht deutlich unterscheidbar sind; weiter die Beobachtung, dass Metaphern in literarischen Texten häufig mit Vergleichen kombiniert werden – sei es, indem die metaphorische Rede Vergleichsrede unmittelbar weiterführt, sei es, indem umgekehrt eine Metapher durch einen Vergleich weitergeführt wird. Die Metapher geht nicht auf im Vergleich, schließt ihn aber ein.[14]

Das Symbol ist ein wahrnehmbares Zeichen bzw. Sinnbild (Gegenstand, Vorgang, Handlung, Zeichen), das stellvertretend für etwas nicht Wahrnehmbares, einen Sinngehalt, oft einen Komplex von Sinnbezügen steht; im engeren Sinn jedes Schrift- oder Bildzeichen mit verabredeter oder unmittelbar einsichtiger Bedeutung.[15] Da das Symbol seinsmäßig immer auf einer niederen Stufe rangiert als das Symbolisierte, bleibt dieses gegenüber dem Symbol immer souverän und unabhängig, was allerdings nicht ausschließt, dass dem Symbol ein direktes Partizipationsverhältnis an dem Symbolisierten zugeschrieben wird.[16]

Das Symbol weist über sich hinaus; die Allegorie zieht in sich hinein, weil der Begriff ihr Zentrum ausmacht. Die Metapher vereinigt die zwei Bewegungen, die der Attraktion und der Repulsion, indem sie zugleich von sich wegweist und anzieht, wobei weder die eine noch die andere Bewegung an ihr Ziel gelangt.[17]

[...]


[1] Brockhaus Multimedial 2003 DVD-Edition

[2] Köller, Wilhelm: Semiotik und Metapher. Stuttgart 1975, S. 1

[3] Meier, Hugo: Die Metapher. Winterthur 1963, S. 2

[4] Aristoteles: Poetik, Kap. 21,4. Die Zitate nach der deutschen Übertragung von Alfred Gudemann: Aristoteles: Über die Dichtkunst. Leipzig 1921, S. 43

[5] Köller, Wilhelm: a.a.O., S. 6

[6] Meier, Hugo: a.a.O., S. 1

[7] Lausberg, Heinrich: Elemente der literarischen Rhetorik. 8. Auflage. München 1984, S. 78

[8] Meier, Hugo: a.a.O., S. 164

[9] Zehnder, Markus P.: Wegmetaphorik im Alten Testament. Berlin 1999, S. 65

[10] Villwock, Jörg: Metapher und Bewegung. Hamburg 1999, S. 219

[11] Lausberg, Heinrich: a.a.O., S. 139

[12] Brockhaus Multimedial 2003 DVD Edition

[13] ebd.

[14] Zehnder, Markus P.: a.a.O., S. 58 ff

[15] Brockhaus Multimedial 2003 DVD-Edition

[16] Köller, Wilhelm: a.a.O., S. 238

[17] Villwock, Jörg: a.a.O., S. 223

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Reisemetaphorik in Ezzos Gesang
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Germanistik I)
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
20
Katalognummer
V133173
ISBN (eBook)
9783640460649
ISBN (Buch)
9783640462667
Dateigröße
521 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Reisemetaphorik, Ezzos, Gesang
Arbeit zitieren
Stefan Siebigke (Autor:in), 2003, Die Reisemetaphorik in Ezzos Gesang, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133173

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