Inventio. Topoi, Klischees, Stereotype


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Inventio

2. Der Topos
2.1. Die unterschiedlichen Typen des Topos
2. 1. 1. Die Gemeinplätze

3. Das Klischee

4. Das Stereotyp
4. 1. Das Stereotyp in der Linguistik

5. Topos, Klischee und Stereotyp: Ihre Verwandtschaft

Konklusion

Literaturverzeichnis

Einleitung

Rhetorik – ihre „Frage nach Eigenart und Sinngehalt […] begleitet die Redekunst seit ihren Anfängen.“(Steinbrink/Ueding 2005, XI) Schon sehr früh hatte sie als Kunst der Beredsamkeit eine große Bedeutung und wurde vielseitig eingesetzt, sodass auch einige Interpretationen und Lehrbücher bereits aus der Antike stammen.

Doch wie entsteht eine Rede? Woraus besteht sie? Diese Fragen beschäftigten die Rhetoriker bereits zu Beginn und mit der Zeit setzte sich folgende Aufteilung durch:

1. Inventio: die Aufstellung der „Beweise“
2. Disposito: die Anordnung dieser Beweise im Diskurs nach einer bestimmten Ordnung
3. Elocutio: die verbale Ausformung (auf der Satzebene) der Argumente
4. Memoria: das Einprägen der Rede
5. Actio /Pronuntiatio: der Vortrag der Rede (vgl. Barthes 1990, 40)

In der vorliegenden Arbeit soll der erste Arbeitsschritt vorgestellt werden.

Zunächst wird allgemein auf die Inventio als Produktionsstadium eingegangen. Im danach folgenden Teil der Arbeit wird der Topos behandelt, ein elementarer Bestandteil dieser Redephase, um die geeigneten Argumente für seinen Standpunkt zu finden. Anschließend werden das Klischee und das Stereotyp vorgestellt, die ebenfalls dem Redner beim Entwurf seiner Überzeugungsstrategie helfen. Schließlich wird im letzen Punkt der Hausarbeit auf die Verwandtschaft von Topos, Klischee und Stereotyp eingegangen.

1. Die Inventio

Das erste Produktionsstadium einer Rede, Inventio, „ [… ] ist die Bezeichnung der Gedanken und stofflichen Möglichkeiten, die sich aus einem Thema bzw. einer Fragestellung entwickeln lassen.“ (Steinbrink/Ueding 2005, 214) Dieses „Arbeitsstadium der Gedanken steht somit […] in Verbindung mit dem Intellectio, dem Überblick über den Redegegenstand […].“ (ebd. 21; Hv.i.O.) Es ist also das Auffinden der Gedanken, d. h. ein sogfältiges Studium aller Umstände, die mit der zu behandelnden Sache in Zusammenhang stehen.

Demzufolge sollte man sich vor den Beginn einer Rede fragen, worüber sie handeln, an wen sie sich richten und vor allem welche Art von Rede gehalten werden soll. Man kann nämlich zwischen drei Typen unterscheiden, die alle ihre eigenen Merkmale aufweisen: die Festrede, die Gerichtsrede und die politische Rede. Je nach Art der Rede variiert nämlich beispielsweise die Zuhörerschaft, die je nach Redesituation andere Bedürfnisse haben kann und somit bei der Entwicklung einer Rede stets berücksichtigt werden muss:

„Selon les gens à qui l’on s’adresse, on ne dira pas les mêmes choses, et on n’en parlera pas de la même façon. Le discours judiciaire a pour auditoire le tribunal, le délibératif l’Assemblée (Sénat), l’épidictique les spectateurs, tous ceux qui assistent au discours d’apparat, comme panégyrique, oraison funèbre ou autres. […] Le judiciaire, qui dispose de lois et s’adresse à un auditoire spécialisé, utilise de préférence des raisonnements syllogistiques, propres à établir la cause des actes. Le délibératif, s’adressant à un public plus mobile et moins cultivé, préfère argumenter par l’exemple, qui permet d’ailleurs de conjecturer l’avenir à partir des faits passés […]. Quant à l’épidictique, il recourt surtout à l’amplification : car les faits sont connus du public, et propre de l’orateur est de les faire valoir, en montrant leur importance et leur noblesse.“(Reboul 2001, 57-58)

Bei der Beweisfindung sollte man sich aber nicht nur auf die Zuhörerschaft konzentrieren. Denn je nach Art der Rede muss auch die Argumentationsweise angepasst werden:

„Les actes des trois discours ne sont pas les mêmes, Le judiciaire accuse (réquisitoire) ou défend (plaidoirie). Le délibératif conseille ou déconseille dans toutes les questions concernant la cité : la paix ou la guerre, la défense, les impôts, les budgets, les importations, la législation […]. L’épidictique blâme et, plus souvent, loue soit un homme, soit une catégorie d’hommes comme les morts à la guerre, soit une cite, soit d’êtres légendaires […].“ (ebd. 57)

Zudem muss man beispielsweise ebenfalls darauf achten, dass je nach Redetyp sich die Zeit unterscheidet, auf die sich das Gesagte bezieht

„ Le judiciaire porte sur le passé, car ce sont des faits passés qu’il s’agit d’établir, de qualifier et de juger. Le délibératif porte sur l’avenir, puisqu’il inspire des décisions et des projets. Enfin, l’épidictique porte sur le présent, puisque l’orateur se propose à l’administration des spectateurs, tout en tirant argument du passé et de l’avenir.“ (ebd. 57)

Außerdem gibt es zu berücksichtigen, dass es bei der Festrede, der politische Rede und der Gerichtsrede jeweils bestimmte Werte zu beachten gibt:

„Les valeurs qui servent de normes à ces discours ne sont pas les mêmes. Alors que le judiciaire porte sur le juste et l’injuste, le délibératif, lui, porte sur l’utile et nuisible. […] Quant à l’épidictique, les valeurs qui n’ont rien à voir avec l’intérêt collectif, ne se confondent pas non plus avec le « juste », en tout cas au sens de légal.“ (ebd. 57)

Demzufolge muss man je nach Art der Rede Unterschiedliches beachten. Aber selbst wenn man weiß, was es jeweils zu berücksichtigen gibt, stellt sich immer die Frage: Was ist zu sagen? Wie findet man die „beste“ Argumentation?

Um die geeignete Argumentation zu finden, ist es notwendig, etwas Brauchbares in der Erinnerung zu suchen bzw. zu finden. Die Inventio verweist nämlich nicht auf eine Erfindung der Argumente, sondern auf eine Entdeckung, also ein Finden der Erinnerungen. Der Begriff Inventio ist also her „extraktiv“ als kreativ.“ (vgl. Barthes 1990, 44)

Dem liegt eine bestimmte Vorstellung vom Gedächtnis zugrunde: Das Gedächtnis als ein räumliches Ganzes, in dessen einzelnen Raumteile die einzelnen Gedanken gespeichert sind. Diese Raumteile werden auch als Orte oder Topoi bezeichnet. Diese werden näher in Kapitel 2 behandelt. (vgl. ebd.62)

Schließlich hat man die Inventio in vier verschiedene Arbeitsschritte unterteilt, „wobei man jeweils ,Orte‘ angab, die für bestimmte Zwecke bzw. Teilaufgaben etwas Passendes bereit halten: und zwar für die Einleitung, für die Schilderung des Sachverhaltes, für die Begründung und für den Schluss der Rede.“ (Göttert 1998, 27) Der erste Schritt ist die Einleitung (exordium), in der sich dem Redner die Aufgabe stellt, mit dem Publikum Kontakt aufzunehmen (ebd. 27). Der zweite Arbeitsschritt ist die Schilderung des Sachverhaltes (narratio), in dem der ,Fall‘, der der Rede zugrunde liegt zum ersten Mal direkt angesprochen wird (vgl. ebd.30). Anschließend folgt die Begründung (argumentaio). In diesem Schritt „werden die Argumente vorgetragen, die die These erhärten sollen.“ (ebd. 33). Der letzte Arbeitsschritt ist der Schluss (peroratio), der zwei unterschiedliche Aufgaben hat: der Hörer soll nun das Wissen haben, das vermittelt werden sollte, und er soll so zu einer bestimmten Handlung bewegt werden (vgl. ebd. 38).

2. Der Topos

Topos (koinos) stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich (Gemein-)Ort. Von den römischen Rednern wie Cicero und Quintilian wird er mit seinem lateinischen Äquivalent Locus (communis) gebraucht. In der französischen Literatur kommt der Begriff auch als Lieu (commun) vor, der aus der lateinischen Bezeichnung hervorging (vgl. Plantin 1996, 43). In der Literatur werden Topos und Locus (communis) bzw. Lieu (commun) häufig als Synonym verwendet.

Doch was genau ist ein Topos? Was ist hier genau mit „Ort“ gemeint? „Das, sagt Aristoteles, wo eine Vielzahl von rednerischen Beweisführungen zur Deckung kommt.“ (Barthes 1990, 59) Es handelt sich also hierbei buchstäblich von Standorten, an denen sich Argumente befinden oder aufhalten, denn „um sich an Dinge zu erinnern, sagt Aristoteles, braucht man nur den Platz wiederzuerkennen, an dem sie sich auch befinden (der Platz ist also ein Element einer Ideenassoziation […]).“ (Barthes 1990, 59) Dies bedeutet, dass sich der Redner für die überzeugungskräftige Geltung des eigenen Standpunktes also zunächst so umfassend wie möglich über seinen Fall informieren und nach Gedanken, Argumenten und Beweisen suchen muss. „Dafür steht dem Redner „ein eigenes System von Suchkategorien, die Topik, zur Verfügung, die problem- oder personenbezogen alle möglichen Fundorte für Argumente, Belege oder Beweise methodisch erschließen lässt.“ (Steinbrink/Ueding 2005, 239) Der Topos ist ein Element davon: „Fondamentalement un topos est […] un élément d’une topique […] heuristique, un art de collecter les informations et de faire émerger des arguments [..] (Plantin 1996, 43) Er bildet somit alleine noch keine eigenständige Einheit, denn er besteht nicht lediglich aus einem Argument, sondern ist eine Konstruktion von Argumenten, um ein bestimmtes, vorgegebenes Argumentationsziel zu erreichen: „Intégrés à l‘ inventio […], les topoï ne sont plus seulement une méthode de raisonnement, ils deviennent une réserve d’arguments types, de procédés d’amplification, et de développements tout faits.“ (Amossy/Herschberg Pierrot 2007, 15 ; Hv.i.O.)

Topoi gelten also als „Handwerkszeug des Redners […], als ‘Kunstgriffe’, die dem Redner helfen, plausible Argumente zu finden’.“ (Eggs 1984, 339-340) Sie helfen also dabei, eine These überzeugend zu beweisen : „On peut [… ] dire que les topoï communs sont des garants logiques rationnels qui légitiment l’inférence à une conclusion à partir d’une configuration de prémisses donnée.“ (Eggs 2002, 68; Hv.i.O.) Demnach ist eine Argumentation erst durch Topoi möglich: „Dans la conception du topos comme schéma, on dira que sa présence dans un discours permet de le considérer comme un discours argumentatif […].“ (Plantin 2002, 108-109)

Ein Topos ist dabei jedoch nicht so fixiert, dass er die Schlussfolgerung schon erzwingt. Es ist vielmehr charakteristisch, „daß [sic] derselbe Topos unterschiedlichen Zielen dienen kann.“ (Barthes 1990, 35; Hv. i. O.) Denn

„jeder Topos eröffnet verschiedene, sogar entgegengesetzte Argumentationsmöglichkeiten […]; jede Argumentation des jeweils nützlichen Topos und die Reihenfolge der Topoi-Anwendungen sind nicht rationalisierbar oder auch nur optimierbar; jeder Topos kann jedem anderen über- und untergeordnet werde, je nach Problemlage und Argumentation.“ (Steinbrink/Ueding 2005, 241)

Schließlich bleibt festzuhalten, dass der Topos auf einer höheren, abstrakteren, Ebene das Argument selbst ist. Er ist eine formale, nicht inhaltliche, Methode dessen Funktion die Argumentationsfindung sowie die Gewährleistung der Plausibilität eines Argumentes beinhaltet. Dabei sind mehrere Topoi zu unterscheiden, auf die im kommenden Teil näher eingegangen werden soll.

2.1. Die unterschiedlichen Typen des Topos

„Die Plätze bilden […] einen ganz besonderen Speicher wie das Alphabet: ein Korpus an sich entleerter Formen, die durch die Auswahl, Verknüpfung, Aktualisierung am Sinn wirken.“ (Barthes 1990, 59) Doch was für unterschiedliche Plätze gibt es?

Die vier Grundklassen des Topos, die von größter Allgemeinheit und universaler Gültigkeit sind, sind das Merkmal, die Akzidens, die Gattung und die Definition. Aus ihnen ergeben sich Suchkategorien, die zu konkreten Schlussfolgerungen führen. (vgl. Steinbrink/Ueding 2005, 239)

Es ist gibt allerdings keine allgemein geltende Festlegung der unterschiedlichen Topoi. Das Werk „Rhetorik“ von Aristoteles gilt zwar als Hauptwerk, das sehr systematisch und äußert detailliert über die Rhetorik und deren Zusammenhänge handelt, allerdings sind die Erläuterungen zum Topos so vage und abstrakt, dass sein Begriff oft unterschiedlich definiert und dadurch teilweise sogar anders bezeichnet oder in verschiedenen Kategorien unterteilt wird.

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Inventio. Topoi, Klischees, Stereotype
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Fachbereich für Translations, Sprach- und Kulturwissenschaft)
Veranstaltung
Rhetorik Französisch-Deutsch
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
19
Katalognummer
V137710
ISBN (eBook)
9783640468775
ISBN (Buch)
9783640468539
Dateigröße
567 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Im Literaturverzeichnis sind 15 Werke aufgelistet.
Schlagworte
Inventio, Topoi, Klischees, Stereotype
Arbeit zitieren
Cristina Dichio (Autor:in), 2009, Inventio. Topoi, Klischees, Stereotype, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137710

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