Fünf Essays zu verschiedenen Bereichen der Literatur

Von Horaz bis Peter Handke


Sammelband, 2009

109 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Merkur in den Carmina des Horaz
1. Einleitung
2. Carmen 1,2
3. Carmen 1,10
4. Carmen 1,24
5. Carmen 1,30
6. Carmen 2,7
7. Carmen 2, 17
8. Carmen 3, 11
Literaturnachweis

Die Belebung der Charaktere
1. Theophrast
2. Die „Charaktere“
3. Weitere Beispiele der Antike – Menander und Horaz
4. Die „Apokolokyntosis“
5. Comedia dell'arte
6. Die französische Klassik
7. „Les Caratères ou les moeurs de ce siècle“
7.1 Menalque
7.2 Gnathon und Ruffin
7.3 Antagoras
7.4 Télèphe
7.5 Drance
Literaturnachweis

Lichtenberg und die französischen Moralisten
1. Namentliche Erwähnungen der französischen Moralisten
1.1 Montaigne
1.2 Pascal
1.3 La Rochefoucauld
2. Inhaltliche Ähnlichkeiten
2.1 J, 443
2.2 L, 640
3. Stil
3.1 Montaigne
3.2 La Rochefoucauld
3.3 F, 1210
3.4 F, 87
3.5 B, 180
3.6 Gnathon
Literaturnachweis

Die wiedergefundene Muse – Hoffmann in Frankreich
1. Loève-Veimars
2. Gérard de Nerval
3. Gautier
Exkurs: Mystische Aspekte im „Rat Krespel“
4. Henry Egmont
5. Christian
6. Marmier
7. Das Fantastische
8. „Les Contes d’Hoffmann“
9. Die Entwicklung der Oper
10. Veränderungen in der Oper
Literaturverzeichnis

Ein Engel geht vorüber. Versuch über die Formen der Engel
in Wim Wenders’ und Peter Handkes „Der Himmel über Berlin“.
Eine Gedichtinterpretation
1. Einleitung
1.1 Engel als Erzähler
1.2 Homer
1.3 „Der Himmel über Berlin“
1.4 „In weiter Ferne, so nah!“
1.5 Cassiel und Damiel
2. Ein Märchen?
2.1 Engel
2.2 Bipolarität
2.3 Engel als Boten
2.4 Bipolarität bei Damiel und Cassiel
3. Lied vom Kindsein
3.1 Einleitung
3.2 1. Teil
3.3 2. Teil
3.4 3. Teil
3.5 4. Teil
4. Schlußteil
4.1 Namen der Engel
4.2 Schluß
Literaturnachweis

Merkur in den Carmina des Horaz

1. Einleitung

Immer wieder taucht Merkur in den Oden des Horaz auf. Manchmal in seiner eigentlichen Rolle als Götterbote und Schutzpatron der Dichter, andererseits aber auch als Metapher für andere Personen, wie z. B. für Augustus. Hier gebe ich schon eine der deutungswürdigsten Textstellen in den Oden als Beispiel, auf die wir selbstverständlich noch zu sprechen kommen werden.

Die hier diskutierten Stellen lasse ich in der Reihenfolge, wie sie in den vier Odenbüchern erscheinen. In Erwägung habe ich auch die Sortierung nach Wichtigkeit, d. h. nach der sinntragenden Handlung, die sich mit Merkur befaßt, gezogen, genauso wie nach den Rollen und Stilmitteln, die durch Merkurs Einsatz dargestellt und gebraucht werden, z. B. Merkur als eigentlicher Götterbote, Merkur als Metapher usw. Von diesen beiden Sortierungen habe ich abgesehen, da ich nicht entscheiden wollte, welche Rolle oder welche Handlung sinntragender für Merkur im Kontext der Ode ist. Trotzdem werden wir sehen, daß einige Stellen komplexer sein werden als andere. Textstellen aus folgenden Oden sollen hier besprochen werden: 1,2; 1,10; 1,24; 1,30; 2,7; 2,17; und 3,11.

Wenn wir nun mit der Ode 1,2 beginnen, wird uns auffallen, daß es sich hier um die schon oben erwähnte, äußerst komplexe Ode handelt.

2. Carmen 1,2

Das lyrische Ich beginnt ab dem 25. Vers verschiedene Götter anzurufen. Diese Apostrophe stellt einen Hilferuf des Volks dar und steht im Kontrast zu den zuvor geschilderten Unglücken. Jedoch ist der Hilferuf verzweifelt, denn das lyrische Ich weiß nicht, wen das Volk anrufen soll: quem vocet divum populus ruentis imperi rebus? (V. 25/26) Nun geht es verschiedene Möglichkeiten durch: von Vesta (V. 28) über Jupiter (V. 30) und Apoll (V. 32) bis hin zu Erycina (V. 33). Zum Schluß der Reihe spricht er den auctor (V. 36) an, also den Urheber, den Stammvater des römischen Volkes. Alle anderen Gottheiten wurden nur angerufen, der auctor bekommt sofort auch das Problem geschildert. Während es bei Apoll heißt: tandem venias precamur nube candentis umeros amictus augur Apollo (V. 30-32), heißt es beim auctor sofort : sive neglectum genus et nepotes respicis auctor (V. 35/36). Nun schildert das Ich, was der auctor sieht: heu nimis longo satiate ludo (V. 37). Genau diese Schilderungen, denen noch einige in den nächsten Versen folgen, bringen das Elend des Volkes dem Leser wieder näher vor Augen, so wie die Verse 1-24, und lassen vor allem den auctor in einem positiven Licht erscheinen. Während Apoll mit strahlenden Schultern und Wolken herunterschweben soll und an Jupiter nur eine Frage gerichtet wird, hat der auctor als Handlung respicere. Er ist nicht nur einfach da, empfängt Fragen oder zeigt sich strahlend, er schaut auf seine Nachkommen, auf sein genus und seine nepotes. Aber das Verb respicere gibt weitere Auskünfte, der auctor hat schon einmal nach seinem Volk geschaut, sonst wäre die Vorsilbe re hier falsch gewählt. Zum anderen scheint das dem genus beigestellte Attribut neglectum dem respicere ein viel größeres Gegengewicht zu verleihen; unwillkürlich denkt man nun bei respicere nicht nur an „zurückschauen“, sondern auch an „sich kümmern um.“ Der auctor wird als ein besorgter Gründer gezeichnet, obwohl er sich an Helmen und Ähnlichem erfreut.

Die Ansprache richtet sich an eine Figur mit der Eigenschaft ales (V. 42), und ist für uns besonders interessant. Die gesamte Anrufung bzw. die Suche nach Hilfe und Rettung würde ich in drei Teile unterteilen. 1.: Die Möglichkeit der Anrufung der Götter, die jedoch einen ziemlich untätigen Eindruck auf den Leser machen, da sie unerreichbar erscheinen. In den Versen 25-28 wird es besonders deutlich: Einerseits wird die Frage aufgeworfen, wen das Volk überhaupt rufen soll unter den Göttern, zum anderen hört Vesta nicht mehr auf die Gesänge der Jungfrauen (prece qua fatigent virgines sanctae minus audientem carmina Vestam?) Zum anderen scheinen die Götter tatenlos, Apoll wird nur angerufen und als nube candentis umeros amictus (V. 31) beschrieben. 2.: Der auctor wird angesprochen. Er wirkt gnädiger, denn er schaut auf seinen Stamm, bzw. auf sein Volk zurück, was den Eindruck eines besorgten auctors macht. Aber handelnd greift auch er nicht ins Geschehen ein. 3.: Nun ist von einer Person, die mit dem Attribut „ales“ näher bestimmt wird, die Rede. Im nächsten Vers (V. 43) wird klar, um wen es sich handelt; die Person wird mit filius Maiae angesprochen, das heißt es muß sich um Merkur handeln. Da er auf Erden lebt, wie wir sehen werden, bildet seine Erscheinung den Höhepunkt der Dreiteilung. Diese Erscheinung gibt dem römischen Volk wieder Hoffnung.

Merkur erscheint nun verwandelt als iuvenis auf der Erde (sive mutata iuvenem figura ales in terris V. 41/42) und läßt sich Caesars Rächer nennen (imitaris almae filius Maiae patiens vocari Caesaris ultor V. 42-44). Mit iuvenis und Caesaris ultor ist Augustus gemeint. Die antike Bezeichnung des iuvenis reichte vom 17. bis zum 45. Lebensjahr, also fiel Augustus zur Zeit der Entstehung der Ode in diesen Rahmen. Ebenfalls paßt die Bezeichnung Caesaris ultor auf Augustus, da er im Jahre 30 den letzten Caesarmörder hat hinrichten lassen. Aber warum läßt Horaz hier Augustus als verwandelten Merkur auftreten? In den zwei Horazkommentaren von Kiessling und Heinze und von Nisbet und Hubbard sucht man vergebens eine befriedigende Erklärung. Zu Recht führen Kiessling und Heinze hier den Widerspruch an, daß Horaz Merkur also zum Caesaris ultor macht, obwohl Octavian nach der Schlacht bei Philippi dem Mars einen Tempel pro ultione paterna geweiht hat (Suet., Aug. 10). Es wirkt, als würde es sich hier um eine historische Ungenauigkeit von Seiten des Horaz handeln, was ich nicht glaube. Allerdings äußern sich Kiessling und Heinze nicht dazu, warum Merkur auftaucht. Sie legen lediglich diese Ungenauigkeit dar und gehen zum nächsten Punkt über.

Nisbet und Hubbard wissen von Funden aus augusteischer Zeit zu berichten, die Augustus mit Merkur in Verbindung bringen; so zum Beispiel einen Stuck, gefunden in der Villa Farnesina, der zeigt wie Augustus ein Merkur-Emblem trägt. Auch wurde eine Merkur-Figur gefunden, deren Inschrift Rückschlüsse auf Augustus zuläßt. Nisbet und Hubbard schließen aus, daß die Künstler dieser Werke von Horaz beeinflußt wurden. Ich würde jedoch ebenso für meinen Teil ausschließen, daß Horaz diese Kunstwerke kannte und sich hat beeinflussen lassen. Nisbet und Hubbard selbst finden diese Parallelen für eine ausreichende Deutung „completely unsatisfactory“; dem stimme ich zu.

Sollte ich diese Erscheinung deuten, so würde ich von der eigentlichen Gestalt Merkurs ausgehen. Was wußte also der Durchschnittsbürger über Merkur, bzw. womit hat er ihn assoziiert? Schauen wir uns einmal seine Aufgaben an. Er ist Gott des sicheren Geleits, Götterbote, Patron der Wanderer, Hirten, Kaufleute, Schelme und Dichter. Sein Wesen und seine aus dem Wesen resultierenden Taten entfalten sich aus zwei Grundkomponenten: zum einen aus der Gewährung sicheren Geleits und Schutzes, zum anderen aus dem Glück- und Gewinnbringen. Diese Komponenten lassen sich schon allein aus seinen Aufgaben ableiten. So hat der Patron der Wanderer eine schützende Funktion, während der Patron der Kaufleute, Schelme und Dichter eine eher gewinnbringende Funktion hat. Zusammenfassend könnte man sagen, daß bei der ambivalenten Charakteristik Merkurs eher eine positive Seite überwiegt. Selbst mit den negativen Eigenschaften, wie dem Schutz und der Hilfe für Schelme, kann sich jeder identifizieren. Er ist schließlich kein Kriegsgott, der nur für einige Vorteil und für die meisten Nachteil bringt. Dieser Vergleich mit Merkur wirft ein viel positiveres Bild auf Augustus als der Vergleich mit einem anderen Gott. Wäre Augustus zum Beispiel mit dem oben erwähnten Mars verglichen worden, da er ihm als Caesaris ultor einen Tempel geweiht hatte, hätte sein Bild eine negative Färbung, die sofort an einen Kriegstreiber und Mörder erinnern würde. Wenn wir nun noch einmal an die Dreiteilung der Götteranrufung denken, paßt die Deutung mit dem Merkurbild überein, mit jeder Anrufung wächst die Hoffnung und wird am Ende mit Augustus, hinter dem sich Merkur versteckt, erfüllt. Genau aus diesem Grund wird überhaupt ein Gott gebraucht. Da sich Horaz immer steigert, er beginnt bei den Göttern, wechselt zum auctor, der auch ein Gott ist, und endet schließlich bei Augustus alias Merkur, das heißt, er kommt von den fernen Göttern näher zu den Personen, die unmittelbar mit dem römischen Volk zu tun haben, bzw. direkt in der römischen Geschichte eine Rolle spielen, kann er nun nicht die Reihe mit einem Menschen abbrechen. Es wird ein Gott gebraucht, aber zugleich muß es sich auch um den hoffnungsspendenden Augustus handeln. Für diese Rolle ist Merkur nun dreifach geeignet, zum einen ist er ein Gott, zum anderen, wie oben erwähnt, hat er mehr positive als negative Eigenschaften und zum dritten wohl die Eigenschaft, die nur er besitzt, er ist der Bote zwischen Göttern und Menschen. Er redet auf gleicher Ebene mit den Menschen wie mit den Göttern, er sitzt nicht fernab oder kommt glänzend auf einer Wolke vom Himmel nieder. Er steht schon mitten unter den Römern und verkündet ihnen direkt in der Gestalt des Augustus den Willen der Götter.

Natürlich kann man dieser Deutung die negativen Seiten Merkurs entgegenhalten. Der Vergleich könnte eher als Augustuskritik verstanden werden, da Merkur auch der Gott der Schelme, bzw. der Gott der Betrüger ist. Führte man diese Deutung aus, würde das nichts anderes heißen, als daß der Gott der Betrüger die Gestalt des Augustus angenommen hat. Augustus selbst wäre der Betrüger. Die Intention des Autors wäre in diesem Fall ein negatives Bild von Augustus zu zeichnen, wobei jedoch die sich steigernde Reihe der Anrufungen und der ernste Ton unpassend wären. Außerdem wäre es für einen Autoren in einer Monarchie immer gefährlich gegen den Monarchen so offensichtlich zu schreiben. Das Gedicht wurde wohl wirklich nicht negativ aufgefaßt, da uns heute nicht bekannt ist, daß Horaz nach seiner Veröffentlichung deswegen irgendwelche Nachteile erfahren hätte. Hätte Horaz aber wirklich Kritik an Augustus üben wollen, so hätte er einen negativeren Gott wählen können, wie zum Beispiel den oben erwähnten Mars, der Augustus sofort mit Kriegslust in Verbindung gebracht hätte.

3. Carmen 1,10

Das gesamte Carmen ist ein Hymnus auf Merkur. Er wird direkt angesprochen. Ähnliche Dichtungen finden wir auch in der griechischen Literatur. Heute ist uns noch die erste Strophe eines Hermes-Hymnus von Alkaios bekannt. Horaz verwendet sogar dasselbe Versmaß wie sein Vorbild. Beide verwenden die erste sapphische Strophe.

Das lyrische Ich besingt Merkur fast chronologisch. Zuerst wird die Abstammung Merkurs erwähnt (nepos Atlantis V. 1). Danach werden Merkurs Taten sofort gepriesen. Merkur habe die frühen Vorfahren durch vox gezähmt und durch Wettkämpfe den Sinn geschärft (qui feros cultus hominum recentum voce formasti catus et decorae more palaestrae V. 2-4). Ich habe vox oben im Kontext unübersetzt gelassen, da man bei einer Übersetzung die Doppeldeutigkeit aufgeben müßte. Zum einen kann man darunter verstehen, daß Merkur die Wilden mit seiner Stimme gezähmt hat, auf der anderen Seite kann man vox auch metonymisch als Sprache auffassen. Merkur habe also den wilden Vorfahren die Sprache geschenkt und sie somit gebändigt, da sie nun ihre Emotionen in Worte kleiden konnten und sich nicht als stärker als der Nachbar behaupten mußten; also einmal Merkurs Stimme von außen, die den Menschen geboten hat, und zum anderen die Stimme in den Menschen selbst als Schlüssel zur Zivilisation.

Im 5. Vers kommt das lyrische Ich zum erstenmal explizit zum Ausdruck. In den ersten vier Versen gab es nur den in der zweiten Person Singular angesprochenen Merkur. Der 5. Vers beginnt allerdings mit te canam. Sofort findet sich zu dem te eine Apposition. Jedoch wird keine Tat aus längst vergangener Zeit berichtet, sondern von Merkurs jetziger Position: magni Iovis et deorum nuntium. Da dies wohl eine Haupteigenschaft Merkurs ist, mit der man ihn sofort assoziiert, wird sie hier wohl ergänzend zum te genannt. Kurz danach erzählt das lyrische Ich wieder aus der Vergangenheit und nennt Merkur den curvae lyrae parentem (V.6). Was hier auffällt, ist, daß Merkur in erster Linie, bzw. zuerst für seine kunstfördernden Taten vom Ich gelobt wird; zuerst die vox, also Stimme und Sprache, die man benötigt um zum Beispiel ein Carmen vorzutragen, danach die Lyra, die den Sänger des Carmen begleitet.

Verwunderlich mag es scheinen, daß sich nun sofort die beiden Verse callidum quidquid placuit iocoso condere furto anschließen. Jedoch ist es wohl wirklich nicht nur ein dichterischer Kunstgriff, daß die musischen Taten zuerst stehen, sondern schon im Hermes-Hymnos, von dem geglaubt wurde, daß er von Homer stamme, überliefert, daß Merkur, bzw. Hermes direkt nach seiner Geburt eine Schildkröte fand, sie tötete, ausnahm und aus ihr eine Lyra baute. Kurz danach, noch am selben Tag, stahl er Apolls Rinder, worauf diese beiden Verse (V. 7/8) anspielen, aber das lyrische Ich wird in den nächsten Versen konkreter. (te, boves olim nisi reddidisses per dolum amotas, puerum minaci voce dum terret, viduus pharetra risit Apollo. V. 9-12) Diese Strophe bildet nach der Apostrophe zusammen mit der nächsten Strophe einen epischen Teil. Das lyrische Ich setzt mit olim nach den zwei wichtigsten Gegenständen ein, nämlich te, also Merkur, und den Rindern. Olim weist auf eine Vorzeit hin, nämlich wieder auf die Zeit, in der Merkur geboren wurde. Außerdem wird zu dem te auch noch prädikativ puerum gestellt, also als Merkur ein Junge war.

In der nächsten Strophe spielt der Dichter auf die „Ilias“ des Homer an. Merkur hilft Priamos ungesehen zu den Schiffen Achaias zu gelangen (Il. 24, 334-338). Die ganze Handlung wird bei Horaz etwas verkürzt wiedergegeben, meist durch Attribute wie dives. Ich meine auch, daß Horaz die Handlung nicht länger ausführen mußte, da die Ilias wohl jedem Leser bekannt war. Der antike Leser verstand die Anspielung sofort.

Das Gedicht endet in der letzten Strophe mit einem Gebet, wie es bei einem Hymnus üblich war. Merkur wird wieder vom lyrischen Ich angesprochen, diesmal mit einem betonten tu als erstes Wort des 17. Verses. Hier wird Merkurs Eigenschaft deutlich, die Toten vom Diesseits ins Jenseits zu begleiten. Was sofort auffällt, ist, daß hier ein ziemlich ruhiges und friedliches Bild gezeichnet wird. Einige Attribute seien hier genannt. Die animae sind piae und die sedes sind laetae. Alle nicht frommen Seelen werden überhaupt nicht erwähnt, sie sind ausgeschlossen. Da nur die frommen Seelen erwähnt werden, sind auch die Plätze bzw. Orte, an die sie geführt werden, fröhlich/glücklich. Fromme Seelen kommen nicht an Orte der Qual. Da die nicht frommen Seelen ausgeschlossen sind, sind auch deren Orte ausgeschlossen und das Gebet wird von Bild zu Bild positiver und ruhiger. Zu beachten ist auch sein Stab, der bei Horaz als virga aurea beschrieben wird, also als goldener Stab. Kiessling und Heinze übersetzen virga aurea mit Hirtenstab, aber diese Übersetzung finde ich nicht passend. In unserer Zeit und in unserem Kulturkreis würde man einen Hirtenstab mit Jesus Christus in Verbindung bringen. Das ist vor allem durch den 23. Psalm bedingt. Merkur hat hier aber keine christlichen Züge und ist auch mit Jesus nicht zu assoziieren. Ich bevorzuge die Übersetzung „goldener Stab“. Das Attribut aurea färbt im doppelten Sinne den Stab positiv. Man fühlt sich an ein goldenes Zeitalter erinnert, was auch schon die oben erwähnten Attribute vorbereitet haben. Meistens jedoch, vor allem bei den griechischen Dichtern, war Hermes’ Stab nicht derart positiv besetzt. Im 24. Gesang der Odyssee wird Hermes gerufen, um die toten Freier abzuholen. Der Stab wird zwar auch hier als schön und golden geschildert, aber er wird durch den Zusatz (er verdunkelt die Augen der Menschen damit) negativ gezeichnet (Od, 24,2/3).

Das Merkur-Bild bei Horaz wirkt auch positiv, wie es in einem Gebet gezeichnet wird. Merkur wirkt hier wie ein Beschützer, was er auch durchaus sein kann, jedoch kombiniert mit den für Menschen nicht angenehmen Aufgaben.

Was wieder an Homer erinnert, ist die Beschreibung der Seelen. Bei Horaz wird sie als levis turba beschrieben, also als leichte Menge, was hier wohl nichts anderes als schnell, schwirrend bedeutet. Die Seelen haben ihren Körper verlassen und schweben nun zu Merkur und hinter Merkur her, der sie zu den laetae sedes führt. Homer hat auch diesen Aspekt der Leichtigkeit bei seiner Schilderung der Seelen, zum Beispiel im 5. und 9. Vers des 24. Gesangs der Odyssee, wobei das levis bei Horaz auch an die Bedeutung „leichtfüßig“ erinnert. Das würde heißen, wenn die Seelen leichtfüßig sind, haben sie kein schweres Gemüt, sie gehen, bzw. schweben leicht und ohne große Anstrengung und Überwindung hinter Merkur her. Diese Doppeldeutigkeit von levis halte ich hier für äußerst wichtig, da die eine Bedeutung (im Sinne von leicht, schwirrend) an Homer erinnert und die andere (im Sinne von leichtfüßig) das positive Bild Merkurs insofern abrundet, daß nicht nur Merkur und die Orte positiv gezeichnet werden, sondern die wichtigsten Personen eigentlich selbst auch: die Toten. Nicht nur Merkur erscheint in Herrlichkeit, den goldenen Stab hat er schließlich bei Homer auch, sondern auch die Toten sind leichtfüßig sich und scheinen ihrem Führer zu vertrauen.

Abschließend in den Versen 19 und 20 wird Merkur als gratus beschrieben, was nicht nur Freund bedeutet, wie es gerne übersetzt wird, sondern ein Adjektiv ist, was „angenehm“ meint. In diesem Wort finden wir die Deutung, daß Merkur äußerst positiv gezeichnet wird, bestätigt. Zwei Dative ergänzen, wem er angenehm ist. Einmal den superi deorum, also den oberen Göttern, und einmal den imi deorum, den unteren Göttern. Die unteren Götter regieren im Hades. Da Merkur Bote ist, bringt er nicht nur Nachrichten auf die Erde, sondern auch in den Hades. Das Wort imus ist das einzige, was man negativ auffassen könnte, jedoch ist es einfach der Gegenbegriff zu „superus“ und wirkt hier eher wie eine Schilderung, der Aufgaben Merkurs. Von der levis turba wird ausdrücklich gesagt, daß sie an laetae sedes gebracht werde.

4. Carmen 1,24

Hier taucht Merkur nur am Rande auf. Merkur selbst wird in der 5. und letzten Strophe, in Vers 18 erwähnt. Er wird als Begleiter der Seelen beschrieben, jedoch der Akzent liegt nicht auf ihm, sondern auf der Tatsache, daß kein Blut ins Bild/Schattenbild zurückkehrt, wenn es Merkur einmal mit seinem Stab ins Totenreich geführt hat (V. 15-18).

Die letzte Handlung, die Merkur davor im Odenbuch zugeschrieben wurde, war dieselbe, auch am Ende des Carmen 1,10 hat Merkur, wie wir oben gesehen haben, die Seelen ins Totenreich geführt. Der große Unterscheid zwischen beiden Schilderungen liegt in der Stimmung. Während die erste Schilderung etwas Frohes, Leichtes und Erlösendes hatte, hat diese Beschreibung etwas Bedrückendes. Die Seelen der Toten wurden als levis turba beschrieben, hier ist von Seelen überhaupt keine Rede. Diese Beschreibung ist viel nüchterner, sie spricht vom Blut, das nicht wieder zurückkehrt. Blut wird hier wohl als Metapher für das Leben selbst gebraucht, klingt jedoch sehr medizinisch. Natürlich verschwindet mit dem Tod nicht das Blut aus dem Körper, sondern das Leben, jedoch gibt es ohne Blut auch kein Leben, insofern eine nüchterne, bzw. wissenschaftliche Metapher.

Auch die Körper sind nur vanae imagines, also leere Bilder, bzw. leere Formen. An dieser kurzen Stelle taucht also eine Art Realismus auf, wie er dem Carmen 1,10 völlig unbekannt ist. Jedoch wird im Carmen 1,10 die Existenz der vana imago nicht geleugnet, aber sie wird auch nicht erwähnt. Dort ist, wie gesagt, nur von einer levis turba die Rede. Die Zweiteilung in sanguis (Leben) und vana imago gibt es dort nicht.

Die Toten, bzw. die Seelen, die Merkur ins Totenreich führen muß, verhalten sich ebenfalls anders als in Carmen 1,10. Dort diskutierten wir über die Bedeutung des Wortes levis und kamen zu dem Entschluß, daß sich levis nicht nur auf das Schwirrende, also die Körperlosigkeit, sondern auch auf die Leichtfüßigkeit beziehen muß, das heißt, die Seelen folgen Merkur gern. Hier ist er jedoch nicht einmal durch Bitten zu erweichen, die Seele wieder zurückzulassen (V. 17). Das läßt auf mindestens einen weiteren Unterschied zum Carmen 1,10 schließen. Über Merkur können wir hier nichts Genaues aussagen, denn wir wissen nicht, ob er in Carmen 1,10 auch die Bitten der Seelen abschlagen würde, aber wir wissen, daß die Seelen überhaupt nicht darum gebeten haben, wieder ins Leben zurückkehren zu dürfen. Merkur wird zwar gnadenloser hier geschildert, aber das ergibt sich nur daraus, daß in Carmen 1,10 keine einzige Seele Gnade verlangt hat, sondern mit ihrem Zustand und ihrem Führer sehr zufrieden war.

Abschließend läßt sich zu diesem Abschnitt des Gedichts noch bemerken, daß auch die Farbwelt, die der Autor verwendet, nun eher dunkel und düster ist. Zuvor wußten wir daß Merkurs Stab golden war, eine Farbe, die an Reichtum und Helligkeit erinnert. Diese Farbe strahlt ihren Glanz aus, während hier die Farbe des Stabes überhaupt nicht erwähnt wird, sondern nur die Farbe des Ortes, wohin Merkur die Seelen führt, nämlich ins nigrum. Er führt sie genau dorthin, wo das Schwarz im Gegensatz zum Gold – Merkurs Stab – dominiert. Während sein Stab dort geglänzt hat, verschlingt das Dunkle quasi jeden Glanz. Außerdem sollte man nicht vergessen, daß zuvor die Totenwelt ausdrücklich als laetae sedes beschrieben wurde. Eine schlechte Welt wurde nicht erwähnt. Hier ist nun das genaue Gegenteil: keine positive Möglichkeit eines Leben nach dem Tod wird erwähnt. Es gibt nur das Dunkel.

Womit sich eventuell beide Beschreibungen verbinden lassen würden, ist die Position des lyrischen Ichs. Während Carmen 1,10 ein Hymnus nur auf Merkur war, und Merkurs Taten neutral oder positiv, aber nie negativ wiedergegeben wurden, erscheint hier Merkur nur in seiner Funktion als Führer der Seelen ins Jenseits. Das lyrische Ich im Carmen 1,24 ist kein Dichter, der einen Gott besingen will, sondern ein Mensch, der über einen Verstorbenen (V. 5/6) und den Tod allgemein klagt. Merkur ist hier nicht die Hauptfigur des Gedichts, sondern nur Randfigur, die ihre Aufgabe erfüllt. Diese Tatsache könnte die unterschiedlichen Schilderungen erklären.

5. Carmen 1,30

Auch in diesem Carmen scheint Merkur eine Nebenrolle zu spielen. Im letzten Vers taucht er auf. Das Gedicht selbst besteht nur aus zwei Strophen und ist an Venus gerichtet. Glycera ruft sie an und bittet sie in ihr Heiligtum zu kommen. Zu Venus gehört ebenfalls ihr Gefolge, darunter die Nymphen und auch Merkur als letzter. Merkur zählt hier also zum Hofstaat der Venus, er wird mit den übrigen aufgezählt. Einen tiefen Grund, warum der Dichter Merkur erwähnt, sucht man wohl vergebens, ausgenommen natürlich, daß Merkur schon im Griechischen als Hermes zum Hofstaat der Aphrodite gehörte.

6. Carmen 2,7

Bei diesem Gedicht handelt es sich um ein Willkommensgedicht, das heißt es begrüßt den aus dem Krieg heimkehrenden Pompeius, der uns heute nicht weiter bekannt ist. Eventuell handelt es sich um denselben, der auch im Carmen 1,18 als Varus erwähnt wird (V.1). Horaz war mit ihm wohl bei Philippi und schildert nun, als lyrisches Ich mit starken biografischen Zügen, die alten Kriegserlebnisse. Pompeius zog nach Philippi weiter in den Krieg, während Horaz aus dem Kriegsdienst ausschied. Nun kehrt in diesem Carmen Pompeius aus einem Krieg zurück und das lyrische Ich begrüßt ihn.

Merkur selbst kommt in den Kriegsgeschichten des lyrischen Ich vor, und zwar wurde es von Merkur aus dem Kriegsdienst befreit (V.13/14).

Die Stelle steht fast in der Mitte des Carmen. Es handelt sich um die vierte Strophe von sieben. Jedoch die Rettung des lyrischen Ich steht nicht nur fast, sondern exakt in der Mitte des Gedichts, in Vers 14 von 28. Jedoch fände ich es übertrieben, zu behaupten, daß diese Stelle wegen Merkur in der Mitte des Gedichts steht, denn Merkur ist hier nur eine Randfigur. Er erfüllt seine Rolle als Schutzpatron. Was ich für wahrscheinlicher halte, ist, daß die erwähnte Stelle in der Mitte steht, weil sie das zentrale Ereignis ist, nämlich als das lyrische Ich seine Dichterlaufbahn einschlägt und aus dem Kriegsdienst scheidet. Ohne diesen Wendepunkt im Leben des lyrischen Ich, das, wie schon gesagt, starke biografische Bezüge zum Leben des Horaz aufweist, wäre kein Gedicht zustande gekommen, auch nicht das vorliegende. Sieht man dieses Carmen als Bild für die gesamte Dichtung, bzw. für das gesamte Leben, des Dichters, im Sinne einer pars pro toto, so nimmt die Wende zur Dichtkunst eine zentrale Rolle ein. Auch scheiden sich an dieser Stelle die Wege des lyrischen Ich und die des Pompeius. Diese Interpretation halte ich für schlüssiger als in Merkur den Grund seiner Erwähnung in der Mitte zu sehen.

Aber warum wählt Horaz Merkur als Retter des lyrischen Ich? Merkur ist für seine Rolle als Schutzpatron bekannt, und indem Horaz diese Eigenschaft Merkurs ausnutzt und sie niederschreibt, schließt er an eine Tradition an. Oft werden Personen in der Antike durch einen Gott vom Schlachtfeld gerettet. Man denke nur an die zahlreichen Stellen in Homers Ilias (Il. 3. 380 f., 5. 344 f., 11. 751 f., 20. 321 ff., 443 f.).

Aber auch bei Horaz selbst haben wir schon zuvor Merkur als Beschützer kennengelernt. Wir müssen uns nur an Carmen I, 10, 13-16 erinnern, als Merkur Priamos unter seinen Schutz nahm. Diese Vorstellung über Merkur muß weitverbreitet gewesen sein.

Außerdem fällt auf, daß Merkur hier mit keinerlei Attributen außer celer geschmückt wird, schon gar nicht wird etwas von ihm optisch beschrieben. Diese knappe Erwähnung läßt auch darauf schließen, daß Horaz hier ein sehr bekanntes und verbreitetes Bild aufgreift. Ein antiker Leser sieht sofort die Schlacht und den geretteten Helden, der hier eben ein Dichter ist. Vor diesem Hintergrund wirkt fast schon das Attribut celer überflüssig. Durch seine Erwähnung aber verleiht es der schnellen Handlung noch mehr Schnelligkeit. Ein jeder weiß, daß sich diese Rettungsszene im Kriegsgetümmel schnell abspielen muß, und durch die Erwähnung der Schnelligkeit in celer wird ihr ein gewisser Nachdruck verliehen.

7. Carmen 2, 17

Dieses Gedicht ist an Maecenas gerichtet, und Horaz versichert ihm dadurch seine Treue. Der Dichter, bzw. das lyrische Ich geht sogar soweit, daß er/es sagt, daß nicht einmal der Tod sie trennen kann. Nun sieht der Dichter, daß die Gestirne beider übereinstimmen und er kommt auf diverse Lebenssituationen zu sprechen. Von sich erzählt das lyrische Ich, daß es beinahe von einem umstürzenden Baum erschlagen worden wäre. Diese Stelle ist uns durchaus bekannt. Sie erinnert an das Carmen 2, 13. Der Wahrheitsgehalt dieses Themas ist jedoch unklar. Warum Horaz wieder auf dieses Gedicht anspielt, bleibt auch unklar, und die Kommentare schweigen sich aus. Eine Möglichkeit ist, daß diese Begebenheit sich wirklich zugetragen hat, was nicht unmöglich ist, und Horaz sie erwähnt, weil sie wahrscheinlich Maecenas bekannt ist. Jedoch könnte sie auch erfunden sein, und Horaz erwähnt es wieder, um einen gewissen Zusammenhang zwischen den Gedichten zu schaffen, also eine Art Rückblende auf ein vorangegangenes Gedicht. Der Leser erkennt die Wiederholung und sieht ein gedichtübergreifendes Motiv. Aber die eine Möglichkeit schließt die andere nicht aus. Der Vorfall kann sich genauso, wie geschildert, ereignet haben, und Horaz schöpft das Motiv aus.

Über Faunus steht nun: me truncus inlapsus cerebro sustulerat, nisi Faunus ictum dextra levasset,… (V. 27-29). Merkur selbst taucht nur in einer kurzen Apposition auf, die direkt im Anschluß in Vers 29 folge. Es handelt sich hierbei um eine Apposition zu Faunus: …Mercurialium custos virorum. Faunus ist also der Wächter der „merkurialischen“ Männer. Aber warum erwähnt Horaz diese Apposition überhaupt? Wenn wir uns nun noch einmal an Carmen 2, 7 erinnern, sehen wir Merkur als Retter eines Dichters, bzw. Merkur als Retter eines Soldaten, der Dichter werden wird. Diese Szene ist nicht nur eine Rettung, die ihre Vorbilder in diversen Epen findet, sondern zeigt auch beiläufig, daß Merkur der Gott der Dichter ist, deshalb werden Dichter auch als viri Mercuriales bezeichnet. Merkur rettet aber seinen Dichter nicht selbst vor dem stürzenden Baum. Faunus verringert, bzw. fängt den Schlag mit seiner rechten Hand ab. Die Götter greifen hier nach ihrem Zuständigkeitsbereich ein. Merkur rettet das lyrische Ich nicht, weil ein Baum eher zur Welt des Faunus gehört.

Mit den „Mercureales viri“ meint aber Horaz nicht nur sich, schließlich spricht er auch im Plural. Auch bezieht er vorrangig nicht seine Dichterkollegen mit ein, sondern eher Maecenas, was er im Laufe des Gedichts schon lange vorbereitet hat. Laufend sucht er Gemeinsamkeiten mit Maecenas und hier hat er sogar eine doppeldeutige gefunden. Maecenas ist ohne Zweifel ein Kunstliebhaber, sonst hätte er nicht den Dichterkreis um sich versammelt und ihnen, wie Horaz, große Geschenke, gemacht. Aus diesem Grund und um vielleicht seinen Kunstgeschmack ein wenig zu loben, steigert Horaz hier die Gemeinsamkeiten mit Maecenas in die „Mercuriales viri“. Merkur selbst würde dann wirklich nur als Beschützer und Gott der Dichter auftreten.

Eine sehr schlüssige Interpretation. Was ich oben schon mit dem Begriff der Doppeldeutigkeit erwähnte, geht vom Stern aus. Kiessling und Heinze lehnen diese Interpretation zwar ab, aber dennoch finde ich sie treffend wegen ihrer Doppeldeutigkeit. Man muß sich nicht für eine einzige entscheiden. Merkur kann sich doch als Gott verallgemeinert auf den Dichter beziehen, aber zugleich zeugt er als Stern auch von den Gemeinsamkeiten des Maecenas und Horaz.

In Vers 22 sagt das lyrische Ich, daß der Stern mit Maecenas’ übereinstimme (consentit astrum).

Ich möchte gar nicht an Kiesslings und Heinzes Belegstellen zweifeln, daß das Wort bei anderen Autoren auch schon verwendet wurde, wie zum Beispiel Cicero. Auch möchte ich nicht ausschließen, daß Horaz den Gebrauch des Wortes „Mercurialis“ kannte, was nichts anderes als „verehrt“ oder „freundlich“ bedeutete. Aber warum sollte er die Doppeldeutigkeit ausschließen wollen, ja sogar eine dreifache Bedeutung. Ich bin der Meinung, daß diese Mehrdeutigkeit zur dichterischen Schöpfung gehört und keine der Möglichkeiten ausgeschlossen werden sollte. Zum einen wird Maecenas als Kunstliebhaber auch zu den Mercurialis viri gezählt, vielleicht auch um ihm zu schmeicheln, wie schon erwähnt. Zum anderen bezeichnet das lyrische Ich Maecenas damit als „verehrt“ oder „Freund“, wenn man davon ausgehen kann, daß diese Wendung damals wirklich derart bekannt war. Und zum dritten mag es sich um das Gestirn Merkur handeln, das zur Zeit von Horaz’ und Maecenas’ Geburt Einfluß nahm, wobei ich das genaue Gestirn nicht für wichtig halte, sondern einfach die Tatsache, daß beide unter demselben geboren wurden. Merkur bietet sich eben hier in der Situation nicht nur wegen des Namens eines Gottes, sondern auch wegen des Namens eines Gestirns an. Ich meine, daß Horaz hier als Dichter diese Dreideutigkeit genau eingeplant hat.

8. Carmen 3, 11

Dieses Gedicht richtet sich an Lyde, von deren Taten auch im Laufe berichtet wird. Es handelt sich nicht um ein Liebesgedicht, das die „schönen Seiten“ einer bestimmten Frau aufzählt und sie verehrt und vergöttert, sondern es verstrickt Mythos und Realität miteinander; es spricht Lyde zwar an, erzählt aber diverse Mythen und spielt auf sie an. Vielmehr scheinen Kunst und Liebe zu Lyde nur Rahmenhandlungen, um eben diese Mythen zu erzählen.

Das Gedicht beginnt mit einer Anrufung Merkurs. Sofort mit dem ersten Wort wird Merkur vom lyrischen Ich angesprochen. An Mercuri schließt sich sofort ein „nam“ an (V. 1). Dieses „nam“ hat explikativen Charakter und erläutert, warum hier Merkur angerufen wird und kein anderer Gott. In den Versen 1 und 2 heißt es also: nam te docilis magistro movit Amphion lapides canendo. Hier spielt der Dichter auch auf die graue Vorzeit an. Amphion, ein Sohn des Zeus, bewegt Steine durch seinen Gesang. Merkur war sein Lehrer, wie aus dem Ablativus absolutus deutlich wird. Also ruft das lyrische Ich Merkur an, weil er der Lehrer Amphions war, der dann nach seinem Unterricht und durch seinen Gesang, ähnlich wie Orpheus, auf den der Dichter später noch anspielt, Steine bewegen konnte. Das heißt also, daß das lyrische Ich Merkur anruft, weil er schon anderen Sängern geholfen hat. So wurde auch Merkur Gott der Dichter. Aber nicht nur aus diesem Grund wird Merkur angerufen, sondern auch, weil er Amphion so unterrichtet hatte, daß dieser Steine bewegen konnte. Da das lyrische Ich nur eine Person bewegen will und keine Steine, wendet es sich an Merkur. Es hat die Hoffnung, daß es mit Merkurs Hilfe die Angebetete bewegen könne.

Durch die Erwähnung Amphions erinnert Horaz den Leser auch gleichzeitig an ein altes und bekanntes Thema. Vielleicht hatte der antike Leser hier schon eine Ahnung, daß es sich um ein Liebesgedicht handelt, obwohl jeder weitere Gedanke über die Reaktionen bei der Rezeption Spekulation wäre.

In den Versen 3 und 4 spricht das lyrische Ich die Lyra an. Von der Struktur sind sich die beiden Anreden ähnlich, fast sind sie schon parallel. Was auffällt ist, daß in Vers 3 erst noch ein „tu“ der „testudo“ voransteht. Das wirkt vertrauter. Es scheint auch durchaus logisch, daß ein lyrisches Ich mit seiner Lyra vertrauter ist als mit Merkur. Zu erwähnen ist noch, daß Horaz nicht das Wort „lyra“ im Lateinischen verwendet, sondern „testudo“, was in seiner ursprünglichen Bedeutung „Schildkröte“ heißt und erst durch metonymische Verschiebungen zur Leier wurde. Hier wird also wieder auf die schon oben erwähnte, alte Sage angespielt, daß Merkur an seinem ersten Tag nicht nur viel Verwirrung gestiftet, sondern auch aus einem Schildkrötenpanzer eine Lyra gebaut hat, was ihn zum Gott, bzw. Schutzpatron der Dichter macht.

Aber obwohl in den Versen 3 und 4 die Lyra angesprochen wird, so wird doch durch den Gebrauch von „testudo“ die Verbindung zu Merkur hergestellt. Also auch wenn Merkur hier nicht angesprochen wird, so ist seine Tat doch in diesem einen Wort präsent.

Von seiner Lyra kommt Horaz allmählich in Vers 7 auf Lyde zu sprechen. Zwar verwendet Horaz nie das Wort „lyra“ für die Leier, aber der Name Lyde hat starke Ähnlichkeit zu Lyra. Da der Vorgang des Bespannens der Lyra mit sieben Saiten genau beschrieben wird, wird jedem Leser klar, daß es sich um eine Lyra und nicht nur um einen Panzer handelt, zumal dem Leser auch die Sage über Merkur bekannt war. Es besteht kein Zweifel, daß es sich um eine Lyra handelt. Dieses Wort hat jeder Leser im Kopf und Horaz variiert es mit dem Namen Lyde, ohne es je genannt zu haben.

Literaturnachweis

Verwendete Primärliteratur:

- D. R. Shackleton Bailey, Horatius Opera, München 2001
- C. L. Roth, C. Suetoni Tranquilli quae supersunt omnia, Leipzig 1902
- Monro-Allen, Homeri opera, Oxford o.J.

Verwendete Sekundärliteratur:

- A. Kiessling / R. Heinze, Q. Horatius Flaccus Oden und Epoden, Dublin 1968
- R. G. M. Nisbet / M. Hubbard, A Commentary on Horace, Odes, Book I, New York 1970
- R. G. M. Nisbet / M. Hubbard, A Commentary on Horace, Odes, Book II, New York 1978
- R. G. M. Nisbet / N. Rudd, A Commentary on Horace, Odes, Book III, New York 2004

Die Belebung der Charaktere

1. Theophrast

Die Vorlage für La Bruyères „Les Caractères ou les moeurs de ce siècle“ bilden die „Charaktere“ des Theophrast. Theophrast lebte ungefähr von 372 bis 287 vor Christus. Um das Jahr 322 wurde er Leiter der peripatetischen Schule , dies war nach dem Tod des Aristoteles.

Die peripatetische Schule selbst war eine der vier großen antiken Philosophieschulen (Kyniker, Stoiker, Epikureer und Peripatetiker). Ihren Namen bekam die Schule durch den Ort, wo sich ihre Mitglieder trafen und diskutierten: περίπατος, was nichts anderes als Wandelhalle heißt. Die Schule wurde von Aristoteles gegründet, der zuvor bei Platon an der Akademie war, und bis zu seinem Tod von ihm geleitet. Die Themen der Peripatetiker sind an den Ort und dessen sinnliche Wahrnehmung gebunden. Des weiteren sehen sie den Staat (πολις) als höchste Gemeinschaftsform an und leben in großer Bedürfnislosigkeit. Diese Bedürfnislosigkeit wurde wohl am deutlichsten und bekanntesten in den Anekdoten über Diogenes. Weiterhin waren die Peripatetiker Naturwissenschaftler, so schrieb Theophrast nicht nur über Charaktere, sondern auch über Pflanzen. Denn wer in seiner Philosophie sinnliche Wahrnehmung lehrt, ist auch guter Beobachter und genau das ist die Verbindung zur Naturwissenschaft, in der beobachtet und gedeutet wird. Theophrast selbst war einer der großen universellen Naturgelehrten, sein Hörerkreis bestand aus ungefähr zweitausend Schülern. Die „Charaktere“ sind jedoch kein naturwissenschaftliches Buch wie seine anderen Bücher, z. B. die „Pflanzenkunde“ oder die „Pflanzenphysiognomie“, sie sind eher eine Sammlung negativer Typen, jedoch anders als in den „Ethiken“ des Aristoteles werden hier die Typen ironisiert dargestellt, alle Charaktere weisen skurrile Einzelzüge auf. Ein oder zwei bestimmte Verhaltensweisen sind für einen Charakter typisch. So führt Theophrast seine dreißig, mehr sind uns heute nicht bekannt, Charaktere an .Dies war wohl der Beginn der biografisch-anthropologischen Studien. Der Text selbst entstand gegen Ende des vierten Jahrhunderts vor Christus, auf das Jahr genau möchte ich mich nicht festlegen, obwohl einige das Jahr 319 vor Christus in Erwägung ziehen. Ich meine nicht, daß für uns das genaue Entstehungsjahr wichtig ist, viel wichtiger ist es doch, daß wir wissen, daß Theophrasts Text die Gesellschaft Athens widerspiegelt, irgendwann gegen Ende des vierten Jahrhunderts vor Christus.

2. Die „Charaktere“

Der einzelne Charakter bei Theophrast grenzt sich streng von den übrigen ab. Man findet bei ihm keine Eigenschaften, die sich wiederum bei mehreren Charakteren finden ließen. Genauso streng ist der Aufbau des einzelnen Texts, der einen Charakter beschreibt. An den Anfang einer jeden Schilderung setzt Theophrast eine Definition der eigentlichen Charaktereigenschaft und wechselt dann zum dementsprechenden Typus. Dies bildet den Eröffnungssatz. (Textbeispiel aus dem Abschnitt über den Redseligen: Ἡ δ̣ὲ ἀδολεσχία ἐστὶ μὲν διήγησις λόγων μακρῶν καὶ ἀπροβουλεύτων, ὁ δὲ ἀδολέσχης τοιοῦτός τις, οἷος, ὃν…) Danach werden Beispiele aus dem Leben des Typen präsentiert. Diese Beispiele spielen im athenischen Alltagsleben, auf bestimmte Personen, wie stadtbekannte Persönlichkeiten, Politiker oder Figuren der Mythologie, spielt er nicht an. Jedoch werden diese Beispiele so überspitzt dargestellt, daß sie nicht ganz ernst wirken, eher wirken sie satirisch. (Der Redselige erzählt so viel und endet schließlich damit, daß er einem Fremden berichtet, daß er gestern erbrochen habe: ̣χθὲς ἤ̣μεσα.) Diese Ironie läßt ein moralisierendes Fazit durchschimmern. (Der Redselige hätte sich nicht lächerlich gemacht, wenn er es nicht erzählt hätte.) Es wird deutlich, daß Theophrast die angeführten Charaktereigenschaften nicht schätzt, denn alle Typen erleiden durch sie etwas Negatives, was zugleich moralisierend wirkt, da anscheinend der Autor seinen Leser davor bewahren möchte, indem er ihm eben den negativen (finanziell negativen, schmerzhaften) Ausgang schildert. Über die Typen selbst läßt sich sagen, daß sie unpersönlich sind, sie haben keine Namen und haben auch sonst keine anderen Charaktereigenschaften, die sie auszeichnen könnten. Zudem sind sie auch nicht in eine fortlaufende Handlung involviert, die dem Leser die Lebenssituation näherbringt. Gründe für die jeweilige Charaktereigenschaft werden ebenfalls nicht gegeben, was ich hier auch nicht für notwendig halte. Der jeweilige Text setzt sich aus äußerst kurzen Situationen zusammen, meist werden sie nur im deutschen Konditionalgefüge erwähnt. Im Griechischen steht dort sogar nur eine Partizipialkonstruktion oder der Sonderfall einer solchen Konstruktion, der Genitivus absolutus (Beispiel aus dem „Exklusiven“: ̣δήμου βουλευομένου.) Die namenlosen Personen haben keinen eigenen Willen, sie handeln nur so, wie es ihnen ihre Charaktereigenschaft vorschreibt. So scheint ihr gesamtes Leben nur durch diese Eigenschaft bestimmt, wenn man so weit gehen möchte. Rückschlüsse auf ihr Leben lassen daher nur ihre Eigenschaften zu, so ist der Geizige wahrscheinlich wohlhabend, denn ohne Geld und Güter könnte er nicht geizig sein. Ein vager Schluß, den man nur bei den Wenigsten ziehen kann. Außerdem meine ich, daß die Lebenssituation bei Theophrasts „Charakteren“ nicht wichtig ist. Ich bin sogar der Meinung, daß es notwendig ist, in solch einem Text die Lebenssituation des einzelnen nicht zu berücksichtigen, da der Autor wahrscheinlich versuchte, ein breites Publikum anzusprechen. Damals war ohnehin das Publikum für einen geschriebenen Text sehr eingeschränkt, da viele weder lesen noch schreiben konnten. Schließlich läßt sich bei jedem Leser oder Hörer eine der Eigenschaften, wenn auch nur bedingt, finden. Wäre hier also die Rede von bestimmten Personen, hätte der Leser wohl nicht an sich selbst gedacht. Zum anderen meine ich, daß dieser Text überhaupt von Identifikation lebt. Wir wissen aus der „Poetik“ (̣Περὶ ποιητικῆς) des Aristoteles, daß Theater, bzw. Tragödien ihre Aufgabe in der Identifikation des Zuschauers mit den Prot- und Antagonisten des Stückes hatten. Eleos (ὁ ἔλεος) und Phobos (ὁ φόβος) sollten die Zuschauer erschaudern und sich fürchten lassen, um die gewünschte Katharsis (ἡ κάθαρσις) zu erreichen, die die Zuschauer von, grob gesagt, schlechten Eigenschaften reinigen sollte. Leider ist uns heute von der „Poetik“ des Aristoteles nur noch der Teil über die Tragödie vorhanden, aber wir wissen aus späteren Zeiten und Epochen, daß die Komödie auch zwei Aufgaben hat: docere et delectare. Eventuell läßt sich dadurch ein Rückschluß auf die antike Komödie ziehen, denn Literatur und Theater haben eine Tradition, und ich meine nicht, daß die Komödie in späteren Epochen, wie vor allem der Ranaissance oder der französischen Klassik, sich grundlegend veränderte, da der Bezug zur Antike sehr stark war. Das würde nun im Fall Theophrast die moralisierende Wirkung unterstützen. Zwar kommen seine Charaktere nicht zu Tode, wie in der Tragödie, aber sie nehmen doch, wenn auch humoresk dargestellt, Schaden. Der Gedankenlose wird z. B. Von einem Hund gebissen, da er sich auf das Nachbargrundstück verirrt.

3. Weitere Beispiele der Antike – Menander und Horaz

Die Charaktere waren in der Antike sehr beliebt. So finden wir sie beim griechischen Komödiendichter Menander (342/341 – 293/292 vor Christus) wieder. Einige seiner Komödien sind sogar nach Charakteren benannt: „Dyskolos“ (ὁ δύσκολος „Der Grieskram“), „Kolax“ (ὁ κόλαξ „Der Schmeichler“), usw.

Auch in der lateinischen Literatur werden verschiedene Charaktere behandelt. Bei Horaz finden wir, in seiner wohl bekanntesten Satire, die der Dichter selbst „Sermones“ („Unterhaltungen“) nannte, der Satire 1,9, einen unermüdlichen Schwätzer. Anders als bei Theophrast ist nun der Charakter in eine Handlung eingebettet. Das lyrische, bzw. satirische Ich befindet sich auf einem Spaziergang auf der Via Sacra. Schon hier gewinnt das Ich an Tiefe durch die scheinbar beiläufige Information sicut meus est mos (V.1). Der plötzliche Moment des Gehens, der auch noch mit forte – zufällig – beschrieben wird, dehnt sich nun auf einen Tag aus durch den obengenannten Zusatz in Vers 1. Zudem wird durch forte auch noch das müßiggängerische Leben geschildert. Zufällig ging er dort, er hätte genausogut gerade woanders oder hier etwas früher oder später gehen können. Es ist zwar seine Gewohnheit, aber zugleich trennt forte die Gewohnheit vom Zwang, der leicht aus Gewohnheit werden kann. Zudem ist das Ich noch meditans nugarum, totus in illis (V. 2): all diese kurzen Tätigkeiten beleuchten das Ich und geben Aufschluß über sein Leben. Hier könnte man fast schon so weit gehen und das Ich auf den Autor übertragen, da es viele Parallelen mit dem müßiggängerischen Leben des Horaz aufweist.

Nach kurzer Einleitung tritt nun der Schwätzer auf und begrüßt das Ich aufs herzlichste. Weiterhin werden die Charaktere belebt, indem sie in direkter Rede sprechen, die sich mit Gesten abwechselt. Immer wieder fallen auch die Gedanken des Ich in die Handlung ein. In den Versen 29 und 30 erinnert es sich zum Beispiel an Erzählungen aus früher Kindheit, an das Orakel, das ihm die sabellinische Hexe legte, so wie es Brauch war. (Confice, namque instat fatum mihi triste, Sabella quod puero cecinit divina mota anus urna.)

Belebt wird die Handlung ebenfalls durch die konkreten Schauplätze. Wir kennen nicht nur wie bei Theophrast die Stadt, sondern auch die genauen Straßennamen, Gebäude und Personen, von denen außerdem die Rede ist. Der Prot- und Antagonist befinden sich nicht irgendwo in Rom, sondern an konkreten Orten, wo man sie sich genau vorstellen kann. Interessant ist jedoch, daß weder der Name des Ich, noch der Name des Schwätzers genannt wird. Der Freund des Ich, der gegen Ende der Satire in Erscheinung tritt, trägt einen Namen, Aristius Fuscus, und ist ein Freund des Horaz. (V. 60 – 62: Haec dum agit, ecce Fuscus Aristius occurrit, mihi carus et illum qui pulcre nosset.) Daß Fuscus auch ein realer, persönlicher Freund des Horaz war, wissen wir aus den Episteln (epist. I,10). Auch tragen alle anderen Personen, die im Verlauf erwähnt werden, Namen, nur diese beiden nicht. Im Falle des lyrischen Ich ist es weniger interessant, warum es keinen konkreten Namen trägt. Erstens ist es natürlich, von sich selbst in der ersten Person Singular zu sprechen, zweitens weißt das Ich viele biografischen Bezüge zum Leben des Horaz auf, wie zum Beispiel die ausgedehnten Spaziergänge auf der Via Sacra (V. 1), den realen Freund Aristius Fuscus (V. 60 – 62) und die Bekanntschaft mit Maecenas (V. 43 : Maecenas quomodo tecum?). Der Schwätzer selbst wird vom Ich nur als quidam notus mihi nomine (V. 3) bezeichnet. Also hat der Schwätzer auch, wie jeder andere, einen Namen, jedoch wird dieser Name hier nicht genannt, weder vom Ich, noch vom Schwätzer selbst. Aber warum nicht? Wahrscheinlich aus ähnlichen Gründen, aus denen auch die Charaktere bei Theophrast keine Namen haben. Alle Personennamen, die in dieser Satire vorkommen, dienen entweder der Erläuterung, wie der Freund des Horaz (V. 61), oder sind skopische Seitenhiebe, wie die Apostrophe an Bolanus (V. 11 – 12: O te Bolane cerebri felicem.). Den Schwätzer wollte Horaz wohl nicht direkt benennen, das Satirische liegt alleine schon in seiner Erscheinung und seinem Benehmen. Obwohl wir einiges über die Biographie des Schwätzers erfahren, zum Beispiel daß alle seine Verwandten gestorben sind (V. 27 – 28: Omnes conposui.), bleibt er uns doch relativ verschlossen, dadurch bedingt, daß das lyrische Ich ihn selbst nur vom Namen her kennt und nichts weiter über ihn zu berichten weiß.

[...]

Ende der Leseprobe aus 109 Seiten

Details

Titel
Fünf Essays zu verschiedenen Bereichen der Literatur
Untertitel
Von Horaz bis Peter Handke
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Autor
Jahr
2009
Seiten
109
Katalognummer
V141446
ISBN (eBook)
9783640517039
ISBN (Buch)
9783640517176
Dateigröße
800 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Fünf, Essays, Bereichen, Literatur, Horaz, Peter, Handke
Arbeit zitieren
Udo Sell (Autor:in), 2009, Fünf Essays zu verschiedenen Bereichen der Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141446

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