Die Einführung neuer Medien und Technologien hatte schon immer einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Menschen und die Art und Weise, wie sie miteinander kommunizieren. Ob mit der Erfindung der Schrift, durch das Erschaffen bildlicher Darstellungen, dem Buchdruck oder der Erfindung der Kamera, immer beeinflusst die Verwendung neuer Technologien grundlegend die Annahmen, welche die Menschen über sich und die Welt treffen, in der sie leben. Der Zweck dieser Hausaufgabe ist es, auf folgende Frage eine Antwort zu finden: Inwiefern hat die Erfindung der Filmkamera zu einem veränderten Verständnis von Raum beigetragen?
Inhaltsverzeichnis:
I. Einleitung
II. Kapitel 1: Was ist ein Raum?
III. Kapitel 2: Die Auswirkungen der bildlichen Darstellung auf das Raumverständnis
IV. Kapitel 3: Der Zusammenhang von Schrift und Raum
V. Kapitel 4: Die Entwicklung der Kamera als Voraussetzung für den Film
VI. Kapitel 5: Raum im Film - vom Stummfilm zu digitalen Kino
VII. Fazit
I. Einleitung
Die Einführung neuer Medien und Technologien hatte schon immer einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Menschen und die Art und Weise, wie sie miteinander kommunizieren. Ob mit der Erfindung der Schrift, durch das Erschaffen bildlicher Darstellungen, dem Buchdruck oder der Erfindung der Kamera, immer beeinflusst die Verwendung neuer Technologien grundlegend die Annahmen, welche die Menschen über sich und die Welt treffen, in der sie leben.1 Der Zweck dieser Hausaufgabe ist es, auf folgende Frage eine Antwort zu finden: Inwiefern hat die Erfindung der Filmkamera zu einem veränderten Verständnis von Raum beigetragen?
Für die Beantwortung dieser Frage können sehr unterschiedliche Herangehensweisen gewählt werden. Am geeignetsten scheint es die geschichtliche Entwicklung verschiedener Medien und die damit verbunden Kulturtechniken in Relation zu einem sich verändernden Raumverständnis hin zu untersuchen.
In einem ersten Arbeitsschritt soll im Rahmen einer Begriffsbestimmung die Frage beantwortet werden, was unter einem Raum eigentlich zu verstehen ist und wie sich dieses Verständnis über die Zeit verändert hat. Kernaufgabe dieser Arbeit wird es sein zu zeigen, inwiefern das Konzept Raum ein Ergebnis von medialen Kommunikationsprozessen ist und welche Konsequenzen das für das Selbstverständnis der Menschen in ihrer Umwelt hat. Dieses Thema ist in bisherigen Theorien des Films hauptsächlich durch Béla Balázs reflektiert und entwickelt worden. Eine kritische Auseinandersetzung mit seiner Theorie erscheint besonders angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre - der Entstehung des digitalen Films2 - sehr vielversprechend zu sein.
Danach soll es um die Untersuchung einzelner Medien und deren Auswirkungen auf ein verändertes Raumverständnis gehen. Dabei wird jeweils eine Abgrenzung hin zum Medium Film und zur Technik der Kamera hin vorgenommen. Als erstes soll die bildliche Darstellung als eine der ersten Kulturtechniken der Menschheit behandelt werden. Welcher Zusammenhang besteht zwischen den ersten Bildern, die von Menschen geschaffen wurden, und dem Film zur Zeit seiner Entstehung und darüber hinaus? Das Ziel ist es, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Repräsentationsformen und die unterschiedlichen Einflüsse auf das Raumverständnis heraus zu arbeiten.
Im dritten Kapitel geht es um die Erfindung der Schrift als ein Medium, welches die Möglichkeit eröffnet, die kognitiven Räume von anderen Menschen zu erschließen und diese über die natürlichen Grenzen der Sprache und des Gedächtnisses hinweg für alle Zeit zu erhalten. Der Fokus soll hierbei auf den kognitiven Raum gelegt werden und die Vorstellungen, die sich damit verbinden. Wie ist dieser Raum beschaffen und wie grenzt er sich von anderen Räumen ab? Welcher Bezug lässt sich dabei zum Film herstellen? Als theoretische Fundierung soll hier das Raumkonzept von Descartes näher untersucht sowie die Theorie der kulturellen Repräsentation von Stuart Hall verwendet werden. Das vierte Kapitel wird der Entwicklung der Kamera, der technischen Voraussetzung des Films, gewidmet sein. Hier soll vor allem gezeigt werden, wie die technischen Entwicklungen der ersten beiden Kulturtechniken Bild und Schrift gleichermaßen bei der Entwicklung der Kamera eine Rolle spielen. Welches sind die Gemeinsamkeiten, welches die Unterschiede zwischen der verwendeten Technologie im Vergleich zum Film? Welche Auswirkungen hat es auf das Selbstverständnis des Menschen und wie beeinflusst diese Erfindung die Wissenschaft? Diese Betrachtung soll durch einen Text von Joel Snyder theoretisch untermauert werden.
Im fünften und letzen Kapitel schließlich soll explizit der Raum im Film thematisiert werden. Dabei wird der Einfluss der Technik auf die räumliche Darstellungsmöglichkeiten untersucht. Hierbei soll ein Bogen von den Anfängen des Stummfilms bis hin zu den aktuellen Entwicklungen des digitalen Films gespannt werden. Für diese Analyse werden hauptsächlich die Texte von Béla Bálazs herangezogen. Das Ziel ist es, den Zusammenhang von Kameratechnik und Raumverständnis anhand von ausgesuchten Filmbeispielen nachzuzeichnen.
Abschließend wird es darum gehen, eine Zusammenfassung der einzelnen Fragestellungen zu präsentieren. Dabei wird als Ergebnis erwartet, dass ein sich veränderndes Selbstverständnis der Menschen in direktem Zusammenhang mit den von ihnen verwendeten Medien- und Kulturtechniken steht. Dieses Selbstverständnis leitet sich dabei unmittelbar aus einer Wissenschaftstradition ab, die mittels neuer Technologien immer neue Erkenntnisse von der Welt produziert. Mindestens kann erwartet werden, dass der Einsatz der Filmkamera zu der Entwicklung eines neuen Raumverständnisses geführt hat, welches wiederum einen großen Einfluss auf die Kultur- und Medienwissenschaften hat.
Kapitel 1: Was ist ein Raum?
Würde man eine Umfrage durchführen, was heutzutage unter einem Raum verstanden wird, so würde man sicher häufig die Antwort erhalten, ein Raum wird bestimmt durch die drei Dimensionen Breite, Höhe und Tiefe. Auch die Vorstellung von einem leeren Raum ist vielen geläufig, was umgekehrt bedeutet, dass ein Raum üblicherweise nicht als leer verstanden wird, sonder dass sich in ihm Körper, oder allgemeiner Materie, befindet und er somit eine Art Behältnis- oder Containerfunktion erfüllt3. Doch warum haben wir überhaupt diese Vorstellung vom Raum, die wir wie selbstverständlich und unhinterfragt in unserem Alltag verwenden? Und warum geben wir uns mit diesem Verständnis zufrieden, obwohl es Hinweise darauf gibt, das es auch noch eine vierte Dimension gibt, wie die Überlegungen Albert Einsteins zur Relativitätstheorie und Hermann Minkowskis zur Raumzeit nahelegen? Die Geschichte des Raumkonzeptes geht bis in die Antike zurück und wurde durch Entwicklungen während der Renaissance und der Moderne entscheidend beeinflusst. Aristoteles hat den Begriff „Ort“ (griech. topos) geprägt4 und meint damit den Ort, der einen Körper als Grenzfläche umgibt, ohne jedoch Teil der Oberfläche des Körpers selbst zu sein.5 Der „Ort“ ist demnach der Raum, den ein Körper einnimmt, von dem er sich selbst aber unterscheidet. Der aristotelischen Raumlehre liegt die Annahme zugrunde, dass jede Bewegung eine andere Bewegung als Ursache voraussetzt.6 Das Bild der Antike von der Weltordnung (griech. kosmos), nachdem die Welt von kugelartigen Sphären begrenzt wird, und somit endlich ist, versteht den Raum jenseits des kosmos als etwas Göttliches. Dies hat allerdings auch zur Konsequenz, dass Gott als Substanz verstanden werden muss, weil die Übertragung von Bewegung nach damaligem Verständnis durch ein „Nichts“ nicht möglich ist. Der Mensch ist ein Körper, und gleichzeitig kann kein anderer Körper an diesem „Ort“ sein.
Das Weltbild von Descartes hat im Vergleich zur Antike eine Zweiteilung der Welt proklamiert. Zwar geht Descartes wie Aristoteles von der Unmöglichkeit eines leeren Raums aus und begreift Raum daher als „substanzielles Kontinuum“7, jedoch unterscheidet er eine Welt der materiellen Dinge und eine innere Welt der Vorstellungen. Die materielle Welt versteht er als „Ausgedehntes“, welches dem Geltungsbereich der Physik entspricht. Die innere Welt ist selbst „unausgedehnte, denkende Substanz“ in der die materielle Welt in Form von Repräsentationen existiert. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass Descartes den Wahrnehmungsvorgang selbst mit dem Modell der Camera obscura erklärt, die bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. durch Aristoteles beschrieben wurde8. Dies ist ein erster Hinweis darauf, dass das Selbstverständnis der Menschen immer auch von technischen Entwicklungen bestimmt wird, und somit auch Eingang in die Wissenschaft findet, welche wiederum das Denken der Menschen bestimmt. Descartes spricht aber auch von Ideen als Teil der inneren Welt der Vorstellungen, die nicht durch Wahrnehmungsvorgänge erklärt werden können. Sie können logisch mittels der Kombination von Konzepten in Form von Repräsentationen der inneren Welt hergeleitet werden, wobei es sich nach mittelalterlichem Verständnis um göttliche Ideen handelt. Den materiellen Raum sieht er durch die drei Dimensionen Breite, Höhe und Tiefe hinreichend bestimmt und betrachtet damit den Raum als das Volumen, welches Körper aufgrund der Ausdehnung in Richtung dieser Dimensionen einnehmen. Der aristotelische Begriff des Ortes dient ihm zur Definition von Bewegung, nämlich wenn sich ein Körper von einem Ort zu einem anderen bewegt. Die Vorstellung vom Raum als Volumen konnte sich nicht zuletzt deshalb durchsetzen, weil Otto von Guericke mit seinem Halbkugelversuch von 1657 den leeren Raum als Vakuum populär gemacht hat9. Isaac Newton behält diese Konzeption des dreidimensionalen Raums bei, ergänzt den physikalischen Raum - bei Descartes entspricht dies dem materiellen Raum - um den absoluten Raum. Der absolute Raum ist der Raum, der alle relativen Räume beinhaltet. Relative Räume sind für Newton einzelne, lokale Räume, die sich im globalen, absoluten Raum wieder finden. Der absolute Raum erfüllte somit eine Containerfunktion für alle relativen Räume. Newton benötigt diese Konzeption des absoluten Raums, um physikalische Phänomene wie zum Beispiel die Trägheit von Körpern erklären zu können. Die Vorstellung des absoluten Raumes wurde schließlich von den Überlegungen Einsteins und Minkowskis verworfen, die davon ausgehen, dass es keinen absolut gegebenen Raum gibt, sondern dass Raum ein Ergebnis von sich relativ zueinander bewegenden Körpern ist. Diese Erkenntnis leitet Einstein aus der von ihm angenommenen Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ab, die als Konsequenz unter anderem die „Relativität der Gleichzeitigkeit“ 10 zweier relativ zueinander bewegter Systeme hat. Wenn es keine absolute Zeit gibt, dann kann es auch keinen absoluten Raum geben, wie ihn Newton noch konzipierte, weil es nämlich auch kein absolut ruhendes System gibt. Ob dies bereits Archimedes gewusst hat, als er sagte: „Gib mir einen festen Punkt, wo ich stehen kann, und ich werde die Erde bewegen.“11 kann an dieser Stelle nur gemutmaßt werden.
Doch was bedeutet diese Erkenntnis nun für eine Theorie des Films? Wenn es keinen absoluten Raum gibt, und Raum das Ergebnis zweier relativ sich zueinander bewegender Systeme ist, dann kann man sagen, dass die Filmkamera durch den technischen Apparat der Kamera neue Räume schafft, indem sie dem Beobachter - in diesem Fall dem Zuschauer - relativ zu seiner inneren Welt der Vorstellungen eine Bewegung einschreibt. Béla Balázs schreibt dazu in ‚Der Geist des Films‘ (1930):
„ Die Kamera nimmt mein Auge mit. Mitten ins Bild hinein. Ich sehe die Dinge aus dem Raum des Films. Ich bin umzingelt von den Gestalten des Films und verwickelt in seine Handlung, die ich von allen Seiten sehe.“12
Sollte sich diese Vermutung bestätigen, dass die Technik neue Räume und Vorstellungen bei den Menschen von der Beschaffenheit der Welt schafft, dann hätte das die Konsequenz, dass der Film selbst als bestehend aus vier Dimensionen verstanden werden muss, da die dreidimensionalen Räume des Films der inneren Welt der Vorstellungen nur entstehen können, weil eine Vorrichtung vorhanden ist, die dem Beobachter die Illusion eines bewegten Bildes vermittelt. Am Anfang des Filmzeitalters bestand diese Vorrichtung noch aus einer Filmrolle, die inzwischen durch digitale, aneinandergereihte Bilder teilweise abgelöst wird. Inwiefern diese Digitalisierung sich wiederum auf das Raumverständnis auswirkt, soll im Kapitel fünf dieser Arbeit näher beschrieben werden. Doch zunächst sollen andere Medien auf deren Auswirkungen in Bezug auf ein verändertes Raumverständnis hin untersucht werden.
[...]
1 Vgl. Jochen Hörisch, Der Sinn und die Sinne. Eine Geschichte der Medien. Frankfurt/M. 2001.
2 Nach der Beobachtung von Peter Drexler
3 Günzel, Stefan. Einleitung. Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Suhrkamp. Frankfurt/M. 2006.
4 Zeckl, Hans Günther. Topos. Die aristotelische Lehre vom Raum, Meiner, Hamburg 1990.
5 Vgl. Aristoteles, Physik, in: A., Philosophische Schriften, BD. 6, Hamburg: Meiner1995, S. 85.
6 Vgl. Günzel, Stefan. Einleitung. Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Suhrkamp. Frankfurt/M. 2006. S. 20
7 Günzel, Stefan. Einleitung. Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Suhrkamp. Frankfurt/M. 2006, S. 22
8 „ In der apokryphen Schrift „ Problemata physica “ wurde zum ersten Mal die Erzeugung eines auf dem Kopf stehenden Bildes beschrieben, wenn das Licht durch ein kleines Loch in einen dunklen Raum f ä llt. “ aus http://de.wikipedia.org/wiki/Camera_obscura vom 24.09.2008.
9 http://de.wikipedia.org/wiki/Vakuum vom 27.09.2008.
10 Siegfried Petry, Einführung in die Spezielle Relativitätstheorie (http://de.wikibooks.org/wiki/Spezielle_Relativit%C3%A4tstheorie:_Teil_I vom 27.09.2008)
11 http://de.wikipedia.org/wiki/Archimedes
12 Béla Balazs. Der Geist des Films. Wilhelm Knapp, Halle/Saale 1930.
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