Musik und deren gesellschaftliche Funktion in der faschistischen Ideologie am Beispiel der Ode an die Freude


Hausarbeit, 2009

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Motivation und Zielsetzung

Einleitung: Was macht Musik politisch oder ideologisch?

Zur Menschenmasse

Die Beschreibung einer exemplarischen Stelle

Zum faschistischen Missbrauch

Anregungen für den Unterricht

Literaturverzeichnis:

Motivation und Zielsetzung

Diese Arbeit entstand nachdem ich im Sommersemester 2008 ein Musikpädagogikseminar zum Thema Musik und Gesellschaft bei Christine Stöger und Heinz Geuen an der Hochschule für Musik Köln besuchte.

In den großen Themenkomplex Musik und Gesellschaft sollte der Schlusschor der Neunten Sinfonie Beethovens eingebettet werden. Ich habe lange versucht, verschiedenste Ansätzen hierzu zu entwickeln und mich innerhalb des letzten Jahres auf dem riesigen Feld der Themenkomplexe Musik und Gesellschaft, Beethoven und der Neunten zu orientieren.

Beschäftigt man sich mit Musik und Gesellschaft, so wird man immer auch das Feld Musik und Politik streifen.

Mit der Intention ein interessantes Thema zu finden, welches auch einen Beitrag zu fächerübergreifenden Unterrichtsprojekten an allgemeinbildenen Schulen liefern kann, habe ich mich für einen Themenkomplex entschieden, den man folgendermaßen nennen könnte: „Musik und deren gesellschaftliche Funktion in der faschistischen Ideologie am Beispiel der Ode an die Freude“ Hierzu habe ich mich drei Fragestellungen gewidmet:

1. Was kann man unter den Begriffen politische oder ideologische Musik verstehen?
2. Was sind Wirkungsmechanismen von Musik und deren Voraussetzungen, die innerhalb der faschistischen Ideologie zum tragen kommen?
3. Wie funktioniert die Interpretation von Musik (und Text) innerhalb einer solchen Ideologie?

Nach der Einleitung, die sich der ersten Frage widmet, werden die psychologischen Voraussetzungen für spezielle Wirkungsmechanismen von Musik innerhalb der (faschistischen) Gesellschaft benannt, um anschließend exemplarisch anhand einer Stelle des Schlusschors der Neunten diese Mechanismen wiederzufinden.

Der letzte Teil widmet sich einem Ansatz, der nachvollziehbar machen soll, wie man ein autonomes Kunstwerk zur Interpretation innerhalb einer Ideologie missbrauchen kann. Hierzu werde ich sowohl ein exemplarisches Beispiel aus dem Schillerschen Text sowie die zuvor angeführte Musikstelle benutzen.

Angehängt habe ich zudem noch einen kurzen, skizzenhaften und somit optionalen Teil, der erste Anregungen für den praktizierenden Musiklehrer geben soll, der sich fragen mag, wie gewisse Inhalte schülernah vermittelt werden sollen.

So möchte ich diese Arbeit verstanden wissen, als einen Beitrag, den das Fach Musik zum großen interdisziplinären Themenkomplex Nationalsozialismus leisten kann.

Einleitung: Was macht Musik politisch oder ideologisch?

Klänge (Schwingungen) als politisch beschreiben zu wollen, wäre in etwa so sinnvoll, wie andere physikalische Phänomene z.B. rotes, blaues oder grünes Licht politisch gegeneinander abgrenzen zu wollen oder aber den Gesetzen der Schwerkraft eine ideologische Richtung zu unterstellen. Betrachten wir die Klänge also nicht als isoliertes physikalisches Phänomen sondern fragen wir: Was passiert im Moment der Rezeption von Musik?

Ich könnte mich fragen, ob ich mich bei der Rezeption einer von mir bevorzugten Musik nicht automatisch in derjenigen Gruppe wiederfinde, die diese Musik ebenfalls präferiert und ob die damit entstandene Gruppenzugehörigkeit - basierend auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Musik - nicht auch schon der Keim für ein politisch/ideologisches Moment sein kann? Auch dies erscheint mir fragwürdig: An eine Gruppenzugehörigkeit könnte man zwar zunächst denken, wenn man eine Gruppe als Kreis definiert, in dem „sich zwei oder mehr Individuen um eine gemeinsame »Mitte« scharen“; die weiteren „Voraussetzungen zu jeder Gruppenbildung, […], [nämlich] die wechselseitigen Kommunikationen bzw. die Interaktionen“1 zwischen den Gruppenmitgliedern sind mit der bloßen Präferenz einer gewissen Musikrichtung allerdings keinesfalls schon gegeben. Darüberhinaus erscheint es ohnehin äußerst fragwürdig, an jegliche Präferenz ein politisch/ideologisches Interesse knüpfen zu wollen. Oder wollte man demjenigen Konsumenten, der die Musik zum Zwecke der reinen Unterhaltung oder zum Tanz hört, damit schon eine politische Richtung zuweisen?

Wir müssen noch konkreter werden, wenn wir uns fragen, was der Musik einen idologischen oder politischen Gehalt verleiht. Betrachten wir doch hierzu einfach diejenige Musik, die als Transportmedium für politische oder ideologische Inhalte genutzt wird und fragen wir uns im Anschluss, was es ist, das diese Musik politisch macht:

Am offensichtlichsten politisierend bzw. ideologisierend wirkt wohl diejenige Musik, der ein aussagekräftiger Text zugrunde liegt.

Allerdings müsste man hier einschränkend sagen, dass es vielmehr der Text ist, der politisch/ideologisch ist und welcher letztendlich lediglich von jener Art Musik untermalt wird, die sich für solche Zwecke besonders bewährt hat. Als Beispiel könnte man hier ein politisches Volkslied nennen.

Der Text ist eindeutig und seine Wirkung auf den Rezipienten wird durch bestimmte musikalische Mittel besonders begünstigt.

Und doch ist es noch mehr, als die bloße Unterstützung des Textes durch die Musik, denn der Text - der bis zum Moment der Vertonung einziger Träger des ideologisierenden Inhalts war - kann mittels Konditionierung sein Ideologisierungspotential auf die Musik übertragen, wenn er auf diese trifft. Dies ist der Fall, wenn der Text eines Liedes weggelassen wird, der Rezipient den zugehörigen Text aber kennt. Beispielsweise wird man dem Großteil einer Bevölkerung ihre Nationalhymne ohne Text vorspielen können und dennoch einen Identifikationseffekt erzielen, bei dem (individuelle) Gefühle (Stolz, Freude, Liebe, Demut, Trauer, Hass, …) ausgelöst werden.

Der Text - zwar temporär nicht gegenwärtig - wird aus der Erinnerung des Rezipienten ergänzt.

Nach demselben Prinzip funktioniert dies auch bei Musik, zu der gar kein Text existiert:

Auch diese Musik kann Reaktionen in politisch/ideologischem Kontext auslösen, und zwar wenn sie mit einer bestimmten Situation verknüpft wird. Auch in diesem Falle findet wieder eine Konditionierung statt:

Ob nun Pawlows Hund beim Erklingen der Glocke das Wasser im Munde zusammenläuft, oder ob Zeitzeugen des zweiten Weltkriegs heroische Kriegsbilder aus der Wochenschau dieser Zeit vor sich sehen, sobald Wagners Walkürenritt erklingt, ist ein psychologisch äquivalentes Prinzip: die Musik „dressiert das Unbewusste auf bedingte Reflexe“2.

Psychologisch geschickt eingesetzt wird die Musik so zu einer nicht zu unterschätzenden Waffe, ob nun martialisch im Krieg auf dem Schlachtfeld oder aber im Kampf der Konsumkultur um Profit bei der Beschallung von Einkaufszentren.

Halten wir fest:

Klänge per se haben keine Gesinnung. Andernfalls könnte man auch nicht feststellen, dass sich „die musikalischen Propagandamittel […] auch in den divergierendsten ideologischen Einstellungen weitgehend [gleichen]“3.

Die probaten musikalischen Mittel in ideologisierter Musik sind also zunächst buchstäblich 'von links nach rechts' austauschbar. Als extremes, zeitgenössisches Beispiel könnte man hier das Lied „Damals im Mai“ des rechtsextremen Liedermachers Frank Rennicke nennen: Eine Lobeshymne auf den Hitler-Stellvertreter Hess, die sich der Melodie des Bonhoeffer Liedes „Von guten Kräften wunderbar geborgen“ bedient.4 In diesem Fall wird sogar der große Bekanntheitsgrad des Originals ausgenutzt: Durch die konditionierte Assoziation des Rezipienten auf das trostspendende Lied des Widerstandskämpfers kommt überhaupt erst der stark kontrastierende Effekt zustande, welcher es dem rechtsextremistischen Hörer ermöglicht, die rechtsradikale Variante als verhöhnenden Triumpf über sämtliche Widerstände gegen 'seine' Bewegung zu empfinden.

In dem Moment also, in dem unser Gehirn anfänge den Stimulus 'Klang' zu verarbeiten, kommt ein komplizierter psychologischer Prozess von Konditionierungen in Gang, an dessen Ende nun mal Menschen stehen können, welche motiviert durch die Schallwellen aus Trommel und Trompete aufs Schlachtfeld ziehen, um sich zu verstümmeln und zu töten.

Aus dem oben Gesagten ergibt sich auch, dass die ursprüngliche Intention des Komponisten bei der Einbettung in einen politisch/ideologischen Kontext keinesfalls eine Rolle spielen muss. Selbstverständlich ist es sogar möglich, einer Musik einen ideologischen Inhalt einzupflanzen, der ihrer ursprünglichen Intention völlig zuwider läuft.

Dies ist der Fall, mit dem wir es auch bei der Interpretation von Schillers Text und Beethovens Musik im Schlusschor der Neunten Sinfonie durch die nationalsozialistische Ideologie zu tun haben werden.

Wenn wir im Folgenden über die Funktion dieser Musik im nationalsozialistischen Deutschland reden, so scheint es mir von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit, dass wir die nationalsozialistische Bewegung als Massendynamik begreifen. Eine gleichgeschaltete Menschenmasse, wie wir sie während des dritten Reichs in der Masse des deutschen Volkes finden, bildet aufgrund gewisser Massenphänomene einen äußerst fruchtbaren Nährboden für jegliche Form ideologisch zu indoktrinierender Saat.

Ich möchte deshalb ein kurzes Kapitel der Beschreibung dieser Phänomene widmen, damit wir besser nachvollziehen können, wie Musik im Allgemeinen und im Besondern die mächtigen, heroischen, mitreißenden Charakterzüge, die sich im Schlusschor der Neunten finden lassen, praktisch als 'Dünger' für die aberwitzigen Auswüchse der nationalsozialistischen Ideologie missbraucht werden konnten.

Zur Menschenmasse

Das Verhalten bzw. die Handlungen von Menschen innerhalb einer Menschenmasse unterscheiden sich grundlegend von denen des isolierten Individuums.

Eine Reihe von Widersprüchen werden deutlich zwischen 'Massenverhalten und Einzelverhalten': Man braucht beispielsweise bloß an den Selbsterhaltungstrieb zu denken, welcher in jedem einzelnen Indiviuum fest verankert ist und in der Regel die höchste Handlungsmotivation darstellt. Dieser Selbsterhaltungstrieb des Einzelnen kann durch eine Massendynamik in dem jeweiligen Individuum völlig ausgeschaltet werden und auf die Masse übertragen werden. Dann geht es nur noch darum, die Masse zu erhalten. Der Einzelne wird zu einer kleinen Zelle eines neuen Wesens - dem der Masse.

Begreift man die Handlungen des Einzelnen als Resultate des Denkens und Fühlens, so stellt man fest, dass der Mensch in der Masse auch ganz anders denkt und fühlt. Dieses Denken und Fühlen unterscheidet sich signifikant von dem des isolierten Individuums.5

Derlei Veränderungen zwischen 'Massendenken und Einzeldenken' sowie 'Massengefühlen und Einzelgefühlen' nachzugehen und scheinbare Widersprüche im menschlichen Verhalten aufzulösen gibt der Einführung des Begriffs der 'Massenseele' durch die Psychologie einige Berechtigung.

Seit Le Bon hat sich die Massenpsychologie rasant entwickelt und besonders wichtig scheint mir die Feststellung der „kollektiven Hemmung der intellektuellen Leistung“ bei gleichzeitiger „Steigerung der Affektivität in der Masse“6.

Das vernunftgerichtete Nachdenken, die Urteilsfähigkeit, ja selbst die reine Beobachtungsgabe (weshalb Le Bon beispielsweise von „Kollektivhalluzinationen“ spricht7 ) des Einzelnen wird durch die Massendynamik stark beeinträchtigt.

[...]


1 Raymond Battegay: Der Mensch in der Gruppe, Hans Huber, Bern 1974, S.41 bzw. S. 44

2 Adorno: Dissonanzen, Einleitung in die Musiksoziologie, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2003, S. 234 5

3 Otto Brusatti: Nationalismus und Ideologie in der Musik; Hans Schneider, Tutzing 1978, S. 19

4 Christian Dornbusch und Jan Raabe: » Wir sind keine Spa ß fraktion « - Politische Strategien des Rechtsrock, in: Musik // Politik Hrsg v. Ute Canaris, Kamp, Bochum 2005, S. 102f

5 Gustave Le Bon: Psychologie der Massen, Nikol, Hamburg 2009, S. 32

6 Siegmund Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse; Fischer, Frankfurt a. M. 1978, S.21

7 Le Bon; S. 46

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Musik und deren gesellschaftliche Funktion in der faschistischen Ideologie am Beispiel der Ode an die Freude
Hochschule
Hochschule für Musik Köln
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
20
Katalognummer
V143798
ISBN (eBook)
9783640547432
ISBN (Buch)
9783640550951
Dateigröße
548 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Musik, Beethoven, Musik und Gesellschaft, Musikpsychologie, Massenpsychologie, Faschismus, Nationalsozialismus, Die Neunte Symphonie, Ideologie, Menschenmasse, Funktion von Musik, Faschistischer Missbrauch, Missbrauch, Musikpädagogik, Schlusschor, Musik und Politik, Hitlerdeutschland
Arbeit zitieren
Manuel Lorenz (Autor:in), 2009, Musik und deren gesellschaftliche Funktion in der faschistischen Ideologie am Beispiel der Ode an die Freude, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143798

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